Bezeichnung von Richtern als "Kindesentfremder", "Provinzverbrecher" und "asoziale Justizverbrecher" fällt unter die Meinungsfreiheit

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Bundesverfassungsgericht Beschluss, 19. Mai 2020 - 1 BvR 2397/19

Author’s summary by Rechtsanwalt Dirk Streifler - Partner

Das Bundesverfassungsgericht bestätigt die Verurteilung eines Mannes wegen Beleidigung. Dieser hat sich in mehreren Blogeinträgen über die Verhandlungsführung der Richter in einem ihn betreffenden Verfahren ausgelassen und diese als „asoziale Justizverbrecher“, „Provinzverbrecher“ und „Kindesentfremnder“, welche Rechtsbeugung begehen und „Drahtzieher einer Vertuschung von Verbrechern im Amt“ seien, bezeichnet.

Das Bundesverfassungsgericht bestätigte die Verurteilung eines Mannes aus Bayern, welcher seiner Wut in einem Internetblog Luft machte (1 BVR 2397/19). Nachdem mehrere Richter wiederholt zu seinem Nachteil entschieden und ihm das Umgangsrecht mit seiner Tochter untersagt hatten bezeichnete er sie in einem Internetblog als „asoziale Justizverbrecher“, „Provinzverbrecher“ und „Kindesentfremnder“. Die Karlruher-Richter führten aus, dass es sich bei den beanstandeten Äußerungen zwar nicht um Schmähkritik handelt. Letztendlich jedoch der Ehrschutz aus Art. 2 Abs. 2 GG gegenüber der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG überwiegt. 

Dirk Streifler – Streifler&Kollegen – Rechtanwälte Berlin

Was ist passiert?

Der Beschwerdeführer, ein wegen Beleidigung mehrfach vorbestrafter Mann, führte zahlreiche rechtliche Auseinandersetzungen um das Umgangsrecht mit der gemeinsamen Tochter. Im Jahr 2012 wurde ihm erstmalig der Umgang untersagt. Der Beschwerdeführer sah sich in seinem Rechten durch das Verfahren systematisch verletzt. Deshalb erstellte er seit 2013 zahlreiche Einträge in seinem Weblog. Dabei berichtete er über die Auseinandersetzungen mit seiner Frau und der bayrischen Justiz und nannte die betroffenen Richter namentlich. Wobei er seinen Einträgen dessen Fotografien beifügte. Nachdem das Oberlandgericht Bamberg, die vollständige Entziehung des Umgangsrechts durch die Vorinstanz bestätigte, verfasste der Beschwerdeführer im Februar und August 2016 auf seinem Internetblog drei weitere Einträge. Darin beschrieb er die Entscheidung des Oberlandgerichts als ein weiteres Beispiel der ihm gegenüber vermeintlich begangenen Ungerechtigkeiten, seitens der bayrischen Justiz. Neben der Fotos der beteiligten Richter bezeichnete er diese als „asoziale Justizverbrecher“, „Provinzverbrecher“ und „Kindesentfremnder“, welche Rechtsbeugung begehen und „Drahtzieher einer Vertuschung von Verbrechern im Amt“ seien. Auch die Anwältin der Gegenseite wird namentlich genannt und als „bösartige und widerwärtige Hetzerin“ bezeichnet. 

Ansichten der Instanzen

Aufgrund dieser Blogeinträge verurteilte ihn das Amtsgericht, nach vorherigen Strafbefehl und Einspruch wegen je zwei, beziehungsweise vier tateinheitlicher Beleidigungen in drei Fällen zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 15 Euro.

Das Landgericht wies die Berufung des Beschwerdeführers ab mit ähnlicher Begründung. Verurteilte ihn jedoch zu 90 Tagessätzen zu je 10 Euro. Dabei wurden 30 Tagessätze als bereits vollstreckt angesehen, aufgrund überlanger Verfahrensdauer. 

Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts

Das Bundesverfassungsgericht bestätigt die Verurteilung und die Ansicht des Fachgerichte, dass es sich, in Anbetracht der emotional belastenden Situation des Beschwerdeführers, bei den getätigten Äußerungen nicht um Schmähkritik handle. Den Blogeinträgen unter Namensnennung sowie Bebilderung sei jedoch der Vorwurf zu entnehmen, dass die Betroffenen dazu neigen

„Bürger in kollusivem Zusammenwirken gleich einer organisierten Bande ohne Ansehen des Rechts um ihre Rechte zu bringen“, so das Bundesverfassungsgericht. 

Dies sei eine ehrenrührige Aussage. Zwar sei aufgrund der Situation auch Verständnis für scharfe Kritik geboten. Zugunsten des Persönlichkeitsschutzes spricht jedoch der erheblich ehrenrührige Blogeintrag, welcher im Internet, gegenüber einer Vielzahl von Personen geäußert wurde und den Vorwurf enthielt, die Betroffenen seien Verbrecher und Rechtsbeuger. Das Abwägungsergebnis fällt auch deshalb zu Gunsten des Ehrschutzes aus, weil das allgemeine Persönlichkeitsrechts der Betroffenen über einen längerem Zeitraum wiederholt verletzt und ihre Integrität schwerwiegend erschüttert wurde. Die untermalte, aufreißerische und anprangernde Darstellung lasse die Kränkung in den Vordergrund und das sachliche Anliegen in den Hintergrund treten. Dies überschreite die Grenzen berechtigter Interessen. 

Auch Amtspersonen, hier die Richter des entscheidenden Senats des Oberlandgerichts und ihr Dienstvorgesetzter, müssen auch dann geschützt werden, wenn beleidigende Aussagen sachliche Erwägungen beinhalten, so das Bundesverfassungsgericht.

Haben Sie noch Fragen zum Thema Beleidigung, allgemeines Persönlichkeitsrecht oder Meinungsfreiheit? Dann nehmen Sie Kontakt zu Streifler&Kollegen auf und lassen Sie sich fachkundig beraten.

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