Bundesverfassunsggericht bestätigt die Verurteilung eines Mannes, der eine Amtsleiterin beleidigte und dessen psychiatrisches Gutachten anforderte
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Bundesverfassungsgericht Beschluss, 19. Mai 2020 - 1 BVR 2459/19
Bundesverfassungsgericht
Beschluss vom 19.05.2020
Az.: 1 BvR 2459/19
Tenor
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts wird abgelehnt, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, ohne dass es auf den Wiedereinsetzungsantrag ankommt.
Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos (§ 40 Abs. 3 GOBVerfG).
Gründe
I.
Die Verfassungsbeschwerde und der damit verbundene Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung richten sich gegen die strafrechtliche Verurteilung des Beschwerdeführers wegen Beleidigung einer kommunalen Amtsträgerin.
1. Aus Anlass einer Meinungsverschiedenheit mit der Stadtbibliothek A. über die Bestellung und Beschaffung eines Buchs verfasste und versandte der Beschwerdeführer eine Klageschrift an das Verwaltungsgericht S., in der er Folgendes äußerte:
„Klage mit Bezug auf § 5 BenO
[...] Der Kläger wendet sich telefonisch [...] an [...] mit der Bestellung des o.g. Werkes. Eine Bearbeitung der Buchbestellung wurde trotz Vorliegens der Voraussetzungen nach § 2 BenO abgelehnt. [...]
Unter Berücksichtigung, dass der Kläger von der Beklagten vormals grundlos von der Nutzung ausgeschlossen wurde, dass die Beklagte für Kopien rechtswidrig Gebühren forderte [...] und dass in der Sache die Leiterin des Rechtsamtes [es folgt der Nachname der Betroffenen], eine in stabiler und persönlichkeitsgebundener Bereitschaft zur Begehung von erheblichen Straftaten befindlichen Persönlichkeit, deren geistig seelische Absonderlichkeiten und ein psychiatrisches Gutachten zu deren Geisteskrankheit Gegenstand von gerichtlichen Auseinandersetzungen sind, involviert ist, behält sich der Kläger vor, [...] ein Ordnungsgeld in angemessener Höhe zu beantragen.“
Der Auseinandersetzung lag soweit ersichtlich zugrunde, dass der Beschwerdeführer in der Vergangenheit eine Fernleihgebühr für ein Buch nicht entrichtet hatte, weil er der Auffassung gewesen war, ein anderes Buch bestellt zu haben. Deshalb verlangte man vom Beschwerdeführer in Absprache mit der Bibliotheks-leitung und nach Rücksprache mit dem Rechtsamt bei der neuerlichen Bestellung eines Buchs, das Bestellformular selbst auszufüllen, was dieser verweigert hatte. Zudem hatte der Beschwerdeführer, in einem anderen Strafverfahren wegen Urkundenfälschung, das auf eine Strafanzeige der Leiterin des Rechtsamts hin gegen ihn geführt wurde, die Einholung eines psychiatrischen Gutachtens über deren Geisteszustand beantragt. Zum Zeitpunkt der obengenannten Äußerung hatte das dortige Gericht noch nicht über diesen Antrag entschieden.
2. Aufgrund dieser Äußerung verurteilte das Amtsgericht den Beschwerdeführer wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 30 Euro. Die Grenze zur unzulässigen Schmähung sei überschritten, wenn allein die Diffamierung der Person im Vordergrund stehe. Hier habe der Beschwerdeführer mit seiner Klage eine solche Äußerung getätigt. Maßgeblich sei insoweit die Sicht des mit der Klage adressierten Verwaltungsgerichts. Aus der Klageschrift sei keinerlei Zusammenhang des Anliegens des Beschwerdeführers mit der geistigen Gesundheit der betroffenen Leiterin des Rechtsamts erkennbar. Die Klageschrift führe nichts dazu aus, dass diese mit Angelegenheiten der Stadtbibliothek befasst sein könnte und mit dem konkreten Gegenstand der Klage vorbefasst gewesen wäre. Dass nach den späteren Ausführungen im Verfahren ein Zusammenhang womöglich herstellbar gewesen sei, hindere die Realisierung des einmal verwirklichten Tatbestands nicht.
3. Die Berufung des Beschwerdeführers wies das Landgericht zurück. Zwar handele es sich nicht um einen Fall der Schmähkritik, da in der Klageschrift eine Beteiligung der Betroffenen an dem Vorgang behauptet werde und damit, zumal angesichts des tatsächlichen Hintergrunds der Auseinandersetzung, ein Sachbezug nicht völlig fehle. Die gebotene Abwägung zwischen der persönlichen Ehre der Betroffenen und der Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers falle jedoch zugunsten des Persönlichkeitsrechts aus. Zwar gehörten zur Meinungsfreiheit auch polemische Überspitzung und Kritik, die nicht sachlich zu sein bräuchten. Auch sei zugunsten des Beschwerdeführers zu berücksichtigen, dass er in einer Reihe von Streitigkeiten mit der Betroffenen zu tun hatte und sich jeweils ungerecht von ihr behandelt fühlte. Andererseits handele es sich um drastische und in hohem Maße ehrverletzende Äußerungen. Auch werde ein unmittelbarer Zusammenhang zum Verhalten der Betroffenen in der Klageschrift nicht hergestellt, sodass im Vordergrund deren Abwertung und Diffamierung, nicht die Auseinandersetzung mit ihrem Wirken gestanden habe. Schließlich habe der Beschwerdeführer den Boden sachlicher Auseinandersetzung dadurch verlassen, dass er bewusst die Tatsachen verbogen habe, weil niemals ein Gutachten über den Geisteszustand der Betroffenen eingeholt worden sei. Nach alledem sei der Beschwerdeführer nicht berechtigt gewesen, die Betroffene in der Klageschrift mit derartigen Formulierungen zu überziehen.
4. Die Revision des Beschwerdeführers verwarf das Oberlandesgericht nach § 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet und wies die daraufhin eingelegte Anhörungsrüge als unbegründet zurück.
5. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer in erster Linie eine Verletzung seiner Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. Zusätzlich macht er unter anderem eine Verletzung des Willkürverbots nach Art. 3 Abs. 1 GG und des rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG geltend.
II.
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen (§ 93a Abs. 2 BVerfGG), weil sie teilweise unzulässig und jedenfalls unbegründet ist.
1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig, soweit sie eine Verletzung der Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG rügt. Soweit sie sich gegen den Beschluss zur Zurückweisung der Anhörungsrüge richtet, ist eine Gehörsverletzung inhaltlich nachvollziehbar nicht zu erkennen. Selbiges gilt für eine angebliche willkürliche Missachtung diverser strafprozessualer Vorschriften.
2. Die Verfassungsbeschwerde ist, soweit sie zulässig ist, nicht begründet. Die Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer nicht in seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG.
a) Die strafgerichtliche Verurteilung des Beschwerdeführers wegen Beleidigung greift in das Grundrecht des Beschwerdeführers auf Meinungsfreiheit ein.
Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gibt jedem das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten. Grundrechtlich geschützt sind damit insbesondere Werturteile, also Äußerungen, die durch ein Element der Stellungnahme gekennzeichnet sind. Dies gilt ungeachtet des womöglich ehrschmälernden Gehalts einer Äußerung. Dass eine Aussage polemisch oder verletzend formuliert ist, entzieht sie nicht dem Schutzbereich des Grundrechts (vgl. BVerfGE 54, 129 <138 f.>; 61, 1 <7 f.>; 93, 266 <289 f.>; stRspr). Der Beschwerdeführer äußert sich nach den nicht zu beanstandenden Ausführungen des Landgerichts in erster Linie wertend zur geistigen und seelischen Verfassung der betroffenen Leiterin des Rechtsamts. Die strafrechtliche Sanktion knüpft an diese in den Schutzbereich fallende Äußerung an und greift damit in die Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers ein.
b) Dieser Eingriff in das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG ist verfassungsrechtlich gerechtfertigt.
aa) Nach Art. 5 Abs. 2 GG findet das Grundrecht der Meinungsfreiheit seine Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze. Dazu gehört auch § 185 StGB (vgl. BVerfGE 93, 266 <290 ff.>), auf den sich die angegriffenen Entscheidungen stützen.
(1) Bei Anwendung dieser Strafnorm auf Äußerungen im konkreten Fall verlangt Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG zunächst eine der Meinungsfreiheit gerecht werdende Ermittlung des Sinns der infrage stehenden Äußerung (vgl. BVerfGE 93, 266 <295 f.>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 29. Juni 2016 - 1 BvR 2732/15 -, Rn. 12 f.). Darauf aufbauend erfordert das Grundrecht der Meinungsfreiheit als Voraussetzung einer strafgerichtlichen Verurteilung nach § 185 StGB im Normalfall eine abwägende Gewichtung der Beeinträchtigungen, die der persönlichen Ehre auf der einen und der Meinungsfreiheit auf der anderen Seite drohen (vgl. BVerfGE 7, 198 <212>; 85, 1 <16>; 93, 266 <293>; stRspr). Abweichend davon tritt ausnahmsweise bei herabsetzenden Äußerungen, die die Menschenwürde eines anderen antasten oder sich als Formalbeleidigung oder Schmähung darstellen, die Meinungsfreiheit hinter den Ehrenschutz zurück, ohne dass es einer Einzelfallabwägung bedarf (vgl. BVerfGE 82, 43 <51>; 85, 1 <16>; 90, 241 <248>; 93, 266 <293 f.>; 99, 185 <196>; stRspr).
Aus dem Nichtvorliegen einer solchen – unabhängig von einer Abwägung strafbaren – Antastung der Menschenwürde, Schmähung oder Formalbeleidigung folgt noch keine Vorfestlegung dahingehend, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht bei der dann gebotenen Abwägungsentscheidung zurückzutreten habe. Eine solche Vorfestlegung ergibt sich auch nicht aus der Vermutung zugunsten der freien Rede. Diese Vermutung zielt insbesondere darauf, der Meinungsfreiheit dann zur Durchsetzung zu verhelfen, wenn es sich bei einer Äußerung um einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage handelt (vgl. BVerfGE 7, 198 <208, 212>; 93, 266 <294 f.>). Sie ist Ausfluss der schlechthin konstituierenden Bedeutung der Meinungsfreiheit für eine freiheitlich-demokratische Staatsordnung, deren Lebenselement der ständige Kampf der Meinungen ist (vgl. BVerfGE 7, 198 <208>). Als solche begründet die Vermutungsregel keinen generellen Vorrang der Meinungsfreiheit gegenüber dem Persönlichkeitsschutz. Aus ihr folgt aber, dass auch dann, wenn Meinungsäußerungen die Ehre anderer beeinträchtigen und damit deren Persönlichkeitsrechte betreffen, diese nur nach Maßgabe einer Abwägung sanktioniert werden können. Dabei ist diese Abwägung offen und verlangt eine der konstitutiven Bedeutung der Meinungsfreiheit Rechnung tragende Begründung in Fällen, in denen Äußerungen im oben genannten Sinne im Wege der Abwägung hinter dem Persönlichkeitsschutz zurücktreten sollen (vgl. BVerfGE 93, 266 <295>). Darüber hinaus können sich hieraus auch für die Konfliktbewältigung im Einzelnen Vorrangregeln ergeben (vgl. etwa zur Auslegung von Äußerungen BVerfGE 93, 266 <295 f., 297 f., 303 f.>). Eine Asymmetrie zwischen den Grundrechten bei der Abwägung insgesamt ergibt sich hieraus jedoch nicht.
(2) Während Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG demnach als Voraussetzung von Verurteilungen nach § 185 StGB grundsätzlich eine die konkreten Umstände des Falles berücksichtigende Abwägung der widerstreitenden grundrechtlichen Interessen verlangt, kann eine Verurteilung ausnahmsweise auch ohne eine solche Abwägung gerechtfertigt sein, wenn es sich um Äußerungen handelt, die sich als Angriff auf die Menschenwürde, Formalbeleidigung oder Schmähung darstellen (vgl. BVerfGE 82, 43 <51>; 85, 1 <16>; 90, 241 <248>; 93, 266 <293 f.>; 99, 185 <196>). Dabei handelt es sich um verschiedene Fallkonstellationen, an die jeweils strenge Kriterien anzulegen sind (siehe näher dazu den Beschluss der Kammer vom heutigen Tag - 1 BvR 2397/19 -, Rn. 18 bis 25).
(3) Liegt keine dieser eng umgrenzten Ausnahmekonstellationen vor, begründet dies bei Äußerungen, mit denen bestimmte Personen in ihrer Ehre herabgesetzt werden, kein Indiz für einen Vorrang der Meinungsfreiheit. Voraussetzung einer strafrechtlichen Sanktion ist dann allerdings – wie es der Normalfall für den Ausgleich von Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht ist – eine grundrechtlich angeleitete Abwägung, die an die wertungsoffenen Tatbestandsmerkmale und Strafbarkeitsvoraussetzungen des Strafgesetzbuchs, insbesondere die Begriffe der „Beleidigung“ und der „Wahrnehmung berechtigter Interessen“, anknüpft (vgl. BVerfGE 12, 113 <124 ff.>; 90, 241 <248>; 93, 266 <290>). Hierfür bedarf es einer umfassenden Auseinandersetzung mit den konkreten Umständen des Falles und der Situation, in der die Äußerung erfolgte.
Das bei der Abwägung anzusetzende Gewicht der Meinungsfreiheit ist umso höher, je mehr die Äußerung darauf zielt, einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung zu leisten, und umso geringer, je mehr es hiervon unabhängig lediglich um die emotionalisierende Verbreitung von Stimmungen gegen einzelne Personen geht (vgl. BVerfGE 7, 198 <212>; 93, 266 <294>). Bei der Gewichtung der durch eine Äußerung berührten grundrechtlichen Interessen ist zudem davon auszugehen, dass der Schutz der Meinungsfreiheit gerade aus dem besonderen Schutzbedürfnis der Machtkritik erwachsen ist und darin unverändert seine Bedeutung findet (vgl. BVerfGE 93, 266 <293>). Allerdings bleibt auch der Gesichtspunkt der Machtkritik in eine Abwägung eingebunden. Gegenüber einer auf die Person abzielenden, insbesondere öffentlichen Verächtlichmachung oder Hetze setzt die Verfassung allen Personen gegenüber äußerungsrechtliche Grenzen und nimmt hiervon Personen des öffentlichen Lebens und Amtsträger nicht aus (vgl. BVerfGE 42, 143 <153>; siehe näher dazu den Beschluss der Kammer vom heutigen Tage - 1 BvR 2397/19 -, Rn. 30 bis 32).
Das Ergebnis der von den Fachgerichten vorzunehmenden Abwägung ist verfassungsrechtlich nicht vorgegeben (vgl. BVerfGE 85, 1 <16>; 99, 185 <196 f.>; stRspr). Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts ist es lediglich zu überprüfen, ob die Fachgerichte dabei Bedeutung und Tragweite der durch die strafrechtliche Sanktion betroffenen Meinungsfreiheit ausreichend berücksichtigt und innerhalb des ihnen zustehenden Wertungsrahmens die jeweils für den Fall erheblichen Abwägungsgesichtspunkte identifiziert und ausreichend in Rechnung gestellt haben. Zu den hierbei zu berücksichtigenden Umständen können insbesondere Inhalt, Form, Anlass und Wirkung der betreffenden Äußerung sowie Person und Anzahl der Äußernden, der Betroffenen und der Rezipienten gehören (siehe im Einzelnen den Beschluss der Kammer vom heutigen Tage - 1 BvR 2397/19 -, Rn. 26 bis 35).
bb) Diesen verfassungsrechtlichen Maßgaben werden die zulässig angegriffenen Entscheidungen gerecht. Dabei kann dahinstehen, ob die strafrechtliche Verurteilung des Beschwerdeführers – wie das Amtsgericht annimmt – bereits unter dem Gesichtspunkt der Schmähkritik gerechtfertigt ist. Denn jedenfalls genügt die Abwägungsentscheidung des Landgerichts den verfassungsrechtlichen Vorgaben an eine angemessene Berücksichtigung der Meinungsfreiheit bei Handhabung des § 185 StGB. Dabei konnte das Landgericht maßgeblich auf den erheblich ehrschmälernden Gehalt der Äußerung und den nur schwach ausgeprägten Sachbezug abstellen. Einer Verurteilung steht hier auch nicht entgegen, dass sich die Äußerung auf eine staatliche Amtsträgerin und deren dienstliche Handlungen bezog und nur ein kleiner Personenkreis von ihr Kenntnis erhielt.
(1) Das Landgericht geht zutreffend davon aus, dass es sich bei der bestraften Äußerung nach ihrem Inhalt um eine drastische, den grundlegenden sozialen Geltungsanspruch der Betroffenen deutlich berührende Äußerung handelt. Denn in dem Klageschriftsatz wird der Leiterin des Rechtsamts eine krankhafte Neigung zu schweren Straftaten nachgesagt und zugleich die Fähigkeit und der Anspruch abgesprochen, in zurechnungsfähiger und verantwortlicher Weise mit anderen Menschen umzugehen und sich ihnen gegenüber sozial und in rechtmäßiger Weise verhalten zu können.
(2) Darüber hinaus verweist das Landgericht in nachvollziehbarer Weise erschwerend darauf, dass die bestrafte Äußerung mangels eines aus der Klageschrift verständlichen Zusammenhangs des damit verfolgten Anliegens zur Tätigkeit der Leiterin des Rechtsamts deren soziales Wirken und die Art ihrer Amtsführung nur am Rande zum Gegenstand hatte, sodass das Element der Schmähung in den Vordergrund rückte.
(3) Ebenfalls überzeugend weist das Landgericht darauf hin, dass die bestrafte, primär wertende Äußerung zum Geisteszustand der Betroffenen auch tatsächliche Elemente aufwies, die der Beschwerdeführer bewusst falsch wiedergab. Denn die Aussage, „ein psychiatrisches Gutachten zu deren Geisteskrankheit [sei] Gegenstand von gerichtlichen Auseinandersetzungen“, ist von unvoreingenommenen Lesern dahingehend zu verstehen, dass ein solches Gutachten existiere und nicht dahingehend, dass eine Begutachtung lediglich beantragt worden sei. Damit verlieh der Beschwerdeführer seiner Äußerung ein zusätzliches verleumderisches Element, das als bewusst unwahrer Umstand am Schutz durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG nicht teilhat (vgl. BVerfGE 61, 1 <8>; 85, 1 <15>; stRspr).
(4) Das Landgericht lässt in seiner Abwägung auch das vom Beschwerdeführer zum Anlass für seine Äußerung genommene Geschehen und den im Zusammenhang mit der Amtsführung der Betroffenen stehenden Konflikt mit dem Beschwerdeführer nicht außer Acht. Es ist jedoch verfassungsrechtlich unbedenklich, dass das Gericht diesem Gesichtspunkt kein die schwere Ehrbeeinträchtigung überwiegendes Gewicht beigemessen hat. Selbst in der Öffentlichkeit stehende und streithaft sich zu Wort meldende Politiker müssten derart schwerwiegende Angriffe auf ihre Person nur in Grenzen und allenfalls dann hinnehmen, wenn die Äußerung in erster Linie auf einen Beitrag zum öffentlichen Meinungskampf zielt und nicht – wie hier – auf eine Herabsetzung der Person (siehe Beschluss der Kammer vom heutigen Tag - 1 BvR 2397/19 -, Rn. 30 bis 32). Erst recht gilt dies für die Betroffene, bei der es sich um eine Person handelt, der dieses Amt im Rahmen ihrer gewöhnlichen Berufsausübung übertragen wurde und die überdies gegenüber dem Beschwerdeführer keine einschneidenden Entscheidungsbefugnisse wahrzunehmen hatte. Das gegenüber Angriffen auf ihre Person von ihr aufzubringende Maß der Toleranz war daher nicht durch ihre besondere öffentlich wirksame Stellung oder durch besonders einschneidende Machtausübung und -befugnisse gegenüber dem Beschwerdeführer erhöht.
(5) Auch der vom Beschwerdeführer angeführte Gesichtspunkt, dass es ihm in Anbetracht des sogenannten Kampfs ums Recht und des Justizgewährungs- anspruchs möglich sein müsse, einen Beweisantrag hinsichtlich einer psychiatrischen Begutachtung der Betroffenen zu stellen, führt zu keinem anderen Ergebnis. Denn zumindest wäre es zu diesem Zweck erforderlich gewesen, den Zusammenhang der Angelegenheit mit dem vom Beschwerdeführer ohne jeden nachvollziehbaren Anhaltspunkt in den Raum gestellten Geisteszustand der Betroffenen in groben Zügen in der Klageschrift aufzuzeigen, um die Relevanz für das Verfahren fassbar zu machen. Durch diese Anforderung, die sich auch dem Beschwerdeführer als Laien aufdrängen musste, wird ihm die Möglichkeit der adäquaten – auch polemischen, überspitzten und vehementen – Rechtsverteidigung und -wahrnehmung nicht genommen.
(6) In Anbetracht der verfassungsrechtlich einwandfreien Abwägungsentscheidung der Vorinstanz ist ein verfassungsrechtlicher Mangel der nicht begründeten Revisionsverwerfungsentscheidung ebenfalls nicht erkennbar.
3. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Ein Statement des Bundesverfassungsgericht zum Verhältnis zwischen der nach Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Meinungsfreiheit und der strafrechtlich geahndeten Beleidigung gem. § 185 Abs. 1 StGB setzt das Bundesverfassungsgericht in seinen Beschlüssen vom 19.05.2020. Ein Verfahren, welches nicht zur Entscheidung angenommen wurde betrifft die Verurteilung eines Mannes wegen Beleidigung (1 BVR 2459/19). In einer verwaltungsrechtlichen Klageschrift äußerte er sich zur der Leiterin eines Rechtsamtes. Sie sei „eine in stabiler und persönlichkeitsgebundener Bereitschaft zur Begehung von erheblichen Straftaten befindliche Persönlichkeit“. Auch sprach er von „geistig seelischen Absonderlichkeiten“. Das Bundesverfassungsgericht war der Ansicht, dass es sich hier nicht um Schhmähkritik handelt. Die Abwägung müsse jedoch zugusten des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ausfallen. Die Verurteilung des Mannes zu einer Geldstrafe ist damit verfassungsgemäß nicht zu beanstanden.
Dirk Streifler - Streifler&Kollegen - Rechtsanwälte Berlin
Was ist passiert?
Kern der Auseinandersetzung eines Mannes mit einer Amtsleiterin war eine nicht entrichtete Fernleihgebühr für ein Buch. Der Mann meint, er habe nicht dieses sondern ein anderen Buch bestellt. In Absprache mit dem Rechtsamt, sowie der Bibliotheksleitung habe man diesen dann aufgefordert bei weiteren Bestellungen das Bestellformular selbst auszufüllen. Aus Wut darüber und über die zuvor erstatteten Anzeige der Leiterin des Rechtsamts wegen Urkundenfälschung, beantragt er die Einholung eines psychiatrischen Gutachtens über ihren Geisteszustand. In einer Klageschrift beschwert sich der Mann darüber, dass er grundlos von der Nutzung ausgeschlossen wurde und die Amtsleiterin rechtswidrig Kopien von ihm forderte. Dabei nennt er sie namentlich und meint sie sei eine
„in stabiler und persönlichkeitsgebundener Bereitschaft zur Begehung von erheblichen Straftaten befindlichen Persönlichkeit, deren geistig seelische Absonderlichkeiten und ein psychiatrischen Gutachten zu deren Geisteskrankheit Gegenstand von gerichtlichen Auseinandersetzungen sind“.
Darin behält sich der Beschwerdeführer, nach eigenen Angaben vor, ein Ordnungsgeld in angemessener Höhe zu beantragen. Tatsächlich wurde ein solches Gutachten lediglich angefordert jedoch nie ausgestellt.
Der Instanzenzug
Aufgrund dieser Äußerungen wurde er vom Amtsgericht zur einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 30 Euro verurteilt. Der Kläger habe mit seinen Aussagen die Grenze zulässiger Meinungsäußerungen überschritten. Es handle sich bei den getätigten Äußerungen um Schmähkritik, deshalb sei eine Abwägung entbehrlich. Ein Zusammenhang zwischen dem Anliegen des Beschwerdeführer mit dem geistigen Zustand der Betroffenen ist aus der Klageschrift nicht ersichtlich.
Auch das Landgericht wies die Berufung des Beschwerdeführers zurück. Es war allerdings der Ansicht, dass ein Sachbezug durchaus gegeben sei. In der Klageschrift nämlich, werde eine Beteiligung der Amtsleiterin an dem Vorgang behauptet. Deshalb handle es sich nicht um Schmähkritik. Unter die Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG fallen auch polemische Überspitzung und scharf geäußerte Kritik. Zudem war er in etliche Streitigkeiten mit der Amtsleiterin verwickelt, wessen Verhalten er als ungerecht empfand. Jedoch handle es sich um „drastische und in hohem Maße ehrverletzende Äußerungen“, so das Landgericht. Eine Abwägung muss deshalb zu Gunsten der Ehre der Betroffenen, mithin zu Gunsten des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ausfallen.
Schließlich verwarf auch das Oberlandgericht die Revision des Beschwerdeführers nach § 249 Abs. 2 StPO. Da sie offensichtlich unbegründet ist, wird auch die daraufhin eingelegte Anhörungsrüge als unbegründet zurückgewiesen.
Rüge vor dem Bundesverfassungsgericht
Der Beschwerdeführer rügt in einer Verfassungsbeschwerde die Verletzung seiner Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG. Weiterhin macht er die Verletzung des Willkürverbots nach Art. 3 Abs. 1 GG und des rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG geltend.
Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts
Das Bundesverfassungsgericht betont zunächst, dass eine, von den Fachgerichten vorzunehmende Abwägung, verfassungsrechtlich nicht vorgegeben wird. Grundsätzlich ist das Bundesverfassungsgericht nicht verpflichtet dessen Entscheidungen vollumfänglich zu prüfen und dessen Abwägung durch die eigene zu ersetzen. Es prüft lediglich, ob die angegriffenen Entscheidungen die Bedeutung und Tragweite der Meinungsfreiheit verkannt haben.
Ob eine Verurteilung schon deshalb gerechtfertigt ist, weil es sich hierbei um Schmähkritik handelt kann insoweit dahinstehen. Das Landgericht habe eine verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende Abwägung vorgenommen und insoweit die Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers hinreichend Rechnung getragen, so das Bundesverfassungsgericht. Zwar müsse zwar der Umstand berücksichtigt werden, dass sich die Aussage an eine staatliche Amtsträgerin und deren dienstliche Handlungen bezog und nur ein kleiner Kreis Kenntnis von ihr erlangte. Der ehrschmälernde Charakter der Äußerungen, sowie der nur sehr schwach ausgeprägte Sachbezug lassen die Meinungsfreiheit hinter dem Persönlichkeitsschutz zurücktreten.
Der Amtsleiterin wird vorgeworfen krankhafte Neigungen zu schweren Straftaten zu haben. Gleichzeitig werden Zweifel darüber geäußert, dass sie in der Lage ist, in einer zurechnungsfähiger und verantwortlicher Weise mit anderen umzugehen.
Bei den angegriffenen Äußerungen handelt es sich um „drastische, den grundlegenden sozialen Geltungsanspruch der Betroffenen deutlich berührende Äußerungen“.
Bewusst untergebrachte und unwahre Behauptung der Existenz eines geistigen Gutachtens
Die bestrafte, überwiegend werte Äußerung zum geistigen Gesundgheitszustand der Leiterin enthielt zudem bewusst unwahre Elemente. Die Aussage des Beschwerdeführers sei dahingehend zu verstehen, dass ein solchen Gutachten existiere und nicht lediglich beantragt worden sei. Bewusst unwahre Tatsachen nehmen jedoch nicht am Schutz durch Art 5 Abs. 1 S. 1 GG teil (vgl. BVerfGE 61, 1 7; 85, 1 15). Der Beschwerdeführer habe insoweit also bewusst ein „verleumderisches Element“ in seine Klageschrift eingebracht, was den Schutz der Meinungsäußerung insgesamt mindert, so die Richter des Bundesverfassungsgerichts.
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