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| Die Berufung der Klägerin ist unbegründet. Das angefochtene Urteil ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Zwar ist das Verwaltungsgericht zu Unrecht der Ansicht, die Präparate Folplus, Histaminus-Komplex und Kryptosan forte seien als Nahrungsergänzungsmittel nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 BVO in der seit dem 1.1.2009 geltenden Fassung von der Beihilfefähigkeit generell ausgeschlossen (unten 1). Die Klägerin hat jedoch keinen Anspruch auf die begehrte weitere Beihilfe, weil die Aufwendungen für die genannten Präparate unter den in ihrem Fall gegebenen Umständen nicht als notwendig angesehen werden können (unten 2). |
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| 1. Nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 BVO sind aus Anlass einer Krankheit entstandene Aufwendungen für von Ärzten, Zahnärzten oder Heilpraktikern bei Leistungen nach Nr. 1 verbrauchte oder nach Art und Menge schriftlich verordnete Arzneimittel grundsätzlich beihilfefähig. Nach der Rechtsprechung der vormals für das Beihilferecht zuständigen Senate des erkennenden Gerichtshofs sind nach Sinn und Zweck der Beihilfevorschriften unter „Arzneimitteln“ im Sinne dieser Vorschrift Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen zu verstehen, die dazu bestimmt sind, durch Anwendung am oder im menschlichen Körper Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhafte Beschwerden zu heilen, zu lindern, zu verhüten oder zu erkennen. Die Frage, ob ein Mittel ein Arzneimittel im Sinne dieser Vorschrift ist, richtet sich nach dieser Rechtsprechung nicht nach der formellen Einordnung eines Mittels im arzneimittelrechtlichen Sinne, sondern nach dem materiellen Zweckcharakter, d. h. danach, ob nach objektiven Maßstäben von dem Mittel eine therapeutische Wirkung zu erwarten ist (ausführl.: Urteil vom 31.8.2010 - 10 S 3384/08 - IÖD 2010, 231; Urteil vom 19.1.2010 - 4 S 1816/07 - PharmR 2010, 307; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 23.2.2010 - 13 S 2696/09 - juris). Hinsichtlich des materiellen Zweckcharakters ist die - nach wissenschaftlicher oder allgemeiner Verkehrsanschauung bestehende - objektive (Zweck-) Bestimmung entscheidend, also die Eignung des jeweils in Rede stehenden Mittels und namentlich des darin enthaltenen Wirkstoffs, durch Einwirkung auf den menschlichen Körper zur Heilung oder Linderung einer Krankheit zu dienen. Der arznei- und lebensmittelrechtlichen Einordnung kommt jedoch eine indizielle Bedeutung zu: Lässt sich nicht feststellen, welcher Verwendungszweck eines Nahrungsergänzungsmittels überwiegt, ist es im Zweifel regelmäßig als Lebensmittel einzuordnen, denn nach dem ersten Anschein handelt es sich bei einem solchen Mittel auch im beihilferechtlichen Sinne nicht um ein Arzneimittel (vgl. Bay. VGH, Urteil vom 13.12.2010 - 14 BV 08.1982 - juris-Rn. 30 u. 32). |
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| An dieser Rechtsprechung ist auch unter der Geltung der Beihilfeverordnung in ihrer seit dem 1.1.2009 geltenden Fassung vom 30.8.2008 festzuhalten. Zwar ist in § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 BVO nunmehr ausdrücklich bestimmt, dass Aufwendungen für Nahrungsergänzungsmittel nicht beihilfefähig sind. Der Senat sieht jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass der Verordnungsgeber mit dieser die Regelung in § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 BVO ergänzenden Bestimmung eine grundlegende Änderung des in der bisherigen Rechtsprechung vertretenen Arzneimittelbegriffs vornehmen und Nahrungsergänzungsmittel auch dann von der Beihilfefähigkeit ausschließen wollte, wenn es sich dabei im Sinne der bisherigen Rechtsprechung um Arzneimittel im beihilferechtlichen Sinn handelt. Hätte der Verordnungsgeber eine solche Änderung tatsächlich beabsichtigt, hätte er dies mit der erforderlichen Deutlichkeit zum Ausdruck bringen müssen. Dies wäre z.B. durch einen Verweis auf die entsprechenden Definitionen des AMG, des LFGB oder der NemV (oder deren wörtlicher Übernahme in die BVO) ohne Weiteres möglich gewesen. Der Senat sieht deshalb in § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 BVO nur eine Klarstellung, die lediglich für solche Nahrungsergänzungsmittel von Bedeutung ist, die keine Arzneimittel im beihilferechtlichen Sinne sind. |
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| Für ein solches Verständnis der Vorschrift spricht auch, dass nach ihr außer Aufwendungen für Nahrungsergänzungsmittel auch Aufwendungen für Mittel von der Beihilfefähigkeit ausgeschlossen sind, die geeignet sind, Güter des täglichen Bedarfs zu ersetzen. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Gerichtshofs soll diese Ausschlussklausel nach ihrem Sinn und Zweck nur solche Aufwendungen von der Beihilfefähigkeit ausnehmen, zu deren Bestreitung der Dienstherr dem Beamten - so wie dies bei den Aufwendungen für die tägliche Ernährung oder für die Körperpflege der Fall ist - eine amtsangemessene Besoldung oder Versorgung zur Verfügung stellt. Der krankheitsbedingte Sonderbedarf wird auch von dieser Ausschlussklausel hingegen nicht erfasst (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 31.8.2010 - 10 S 3384/10 - IÖD 2010, 231; Urteil vom 19.1.2010 - 4 S 1816/07 - PharmR 2010, 307). |
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| Die hier vertretene Auslegung wird auch durch eine weitere Erwägung nahegelegt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 5.5.2010 - 2 C 12.10 - ZBR 2011, 126, insbes. juris-Rn. 13-16) hält die verfassungsrechtliche Fürsorgepflicht den Dienstherrn dazu an, Beihilfe für notwendige und angemessene Aufwendungen im Krankheitsfall nicht ohne Rücksicht auf die wirtschaftlichen Folgen für den Beamten auszuschließen. Er muss im Blick behalten, dass der amtsangemessene Lebensunterhalt des Beamten und seiner Familie nicht gefährdet werden darf. Sollen hiernach Aufwendungen für Arzneimittel im beihilferechtlichen Sinne auch dann von der Beihilfefähigkeit ausgeschlossen werden, wenn die herkömmlichen beihilferechtlichen Voraussetzungen der Notwendigkeit und Angemessenheit erfüllt sind, muss der Dienstherr Vorkehrungen treffen, damit dem Beamten nicht erhebliche Aufwendungen verbleiben, die im Hinblick auf die Höhe der Alimentation nicht mehr zumutbar sind. Solche Folgen können etwa bei chronischen Erkrankungen auftreten. Für derartige Fallgestaltungen ist daher grundsätzlich eine entsprechende Härtefallregelung erforderlich. An einer solchen Regelung fehlt es hier jedoch. Die Tatsache, dass der baden-württembergische Verordnungsgeber keine Härtefallregelung getroffen hat, spricht demzufolge ebenfalls für eine Auslegung des in § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 BVO geregelten Ausschlusstatbestands im Sinne einer bloßen deklaratorischen Klarstellung. |
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| 2. Bei den hier in Rede stehenden Präparaten dürfte es sich arznei- und lebensmittelrechtlich gesehen um Nahrungsergänzungsmittel handeln. Insoweit kann auf die Ausführungen in dem Sachverständigengutachten vom 2.12.2011 sowie die Ausführungen im Schriftsatz des Beklagten vom 22.3.2011 Bezug genommen werden, die der Senat für überzeugend erachtet. Im Fall der Klägerin spricht jedoch Überwiegendes dafür, dass diese Präparate als Arzneimittel im beihilferechtlichen Sinne eingesetzt werden, da sie durch Einwirkung auf den menschlichen Körper zur Heilung oder Linderung einer Krankheit beitragen sollen. Das bedarf jedoch keiner abschließenden Klärung. Denn selbst wenn man zu Gunsten der Klägerin davon ausgeht, dass die ihr verordneten Präparate als Arzneimittel im beihilferechtlichen Sinne eingesetzt werden sollen, ist damit noch nicht die Frage beantwortet, ob dieser Zweck hier erreicht werden kann und die verordneten Mittel insbesondere zur Behandlung einer Erkrankung erforderlich sind. Das ist eine Frage der beihilferechtlichen Notwendigkeit (vgl. § 5 Abs. 1 Satz 1 BVO), an der es unter den im vorliegenden Fall gegebenen Umständen fehlt. |
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| a) Die Klägerin hat sowohl im Verwaltungsverfahren als auch im erstinstanzlichen Verfahren als Zweck der eingesetzten Präparate die Bekämpfung eines Mangelzustands genannt. Ausschließlich auf diesen Gesichtspunkt stützen sich auch die ursprünglichen Verordnungen der streitgegenständlichen Präparate durch die Ärztin von W. und die Heilpraktikerin V.. Daran hat die Klägerin auch im Berufungsverfahren weitgehend festgehalten. Dementsprechend hat der Bevollmächtigte der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausdrücklich erklärt, die streitgegenständlichen Präparate dienten primär der Vorbeugung bzw. Bekämpfung von Mangelerscheinungen. |
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| Der Zweck, eine durch die Allergien der Klägerin verursachte Unterversorgung mit bestimmten Vitaminen und Mineralstoffen auszugleichen, wird jedoch schon nicht schlüssig dargetan. Die Klägerin hat zwar detailliert vorgetragen, welche Schwierigkeiten sie bei der Lebensmittelversorgung hat. Allerdings lassen diese Probleme den Schluss auf einen dadurch verursachten Vitamin- oder Mineralstoffmangel nicht zu. Nach der Schilderung der Klägerin verträgt sie zwar insbesondere keine vorgefertigten Lebensmittel. So kann sie ihrem Vortrag zufolge kein gewöhnliches, beim Bäcker erworbenes Brot zu sich nehmen; sie backt jedoch aus hochwertigen schad- und konservierungsstofffreien Zutaten ihr eigenes Brot. Auch Fleisch verträgt sie ihrem Vortrag zufolge, wenn es frisch und „absolut Bio“ ist. An Obst und Gemüse nimmt sie nach ihrer Aufstellung vom 16.4.2012 Karotten, Zwiebeln und Äpfel täglich, Brokkoli, gekochte Tomaten und Bananen zumindest einmal wöchentlich sowie Kohlrabi und Paprika in mehrwöchentlichem Abstand zu sich. Dass bei dieser Art der Ernährung Mangelerscheinungen auftreten könnten, ist nicht ersichtlich. Dabei verkennt der Senat nicht, dass die Klägerin weitestgehend daran gehindert ist, Fertigprodukte zu sich zu nehmen, und deshalb einen besonders hohen Aufwand beim Einkauf und der Zubereitung von Speisen treiben muss. Dieser hohe Aufwand führt aber im Ergebnis dazu, dass sie sogar besonders hochwertige Lebensmittel zu sich nimmt, und lässt damit nicht auf das Auftreten von Mangelerscheinungen schließen. |
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| Zudem ist ein Vitamin- oder Mineralstoffmangel nicht laborärztlich diagnostiziert worden. Eine Untersuchung des Vitaminstatus der Klägerin ist - soweit bekannt - niemals erfolgt. Aber auch ein Mangel an Mineralstoffen und Spurenelementen ist nicht festgestellt worden. Bei einer am 14.8.2006 durchgeführten Untersuchung ihrer Haare lagen die Werte für Mineralstoffe und Spurenelemente größtenteils im (unteren) Normalbereich; lediglich der Wert für Mangan lag mit 0,069 ppm minimal unter dem Wert für den Normalbereich mit 0,07 bis 1 ppm. |
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| Bei dieser Sachlage handelt es sich hier um eine Behandlung „ins Blaue“ hinein. Die streitgegenständlichen Präparate sind ohne hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass tatsächlich eine entsprechende Unterversorgung gegeben sein könnte, verordnet worden. Die Feststellung der Notwendigkeit einer Behandlung setzt aber immer eine entsprechende aussagekräftige Diagnose voraus. Eine bloße nicht abgesicherte Behandlung auf Verdacht ist beihilferechtlich nicht notwendig i.S.v. § 5 Abs. 1 Satz 1 BVO. |
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| b) Als Reaktion auf das seitens des Senats eingeholte Sachverständigengutachten hat die Klägerin allerdings vorgetragen, die streitgegenständlichen Mittel würden zur antioxidativen Therapie ihrer MCS eingesetzt. Diese Zweckbestimmung lässt sich jedoch den ursprünglichen ärztlichen Verordnungen und der Verordnung ihrer Heilpraktikerin nicht entnehmen. Jedenfalls aber fehlt es auch insoweit an der beihilferechtlichen Notwendigkeit i.S.v. § 5 Abs. 1 Satz 1 BVO. |
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| Bei der MCS handelt es sich um eine Erkrankung, deren Entstehung umstritten ist. Die Spanne reicht von rein umweltmedizinischen bis zu rein psychosomatischen Erklärungen. Letztlich dürften sich vermittelnde Auffassungen durchgesetzt haben, wonach es sich um eine multifaktorielle Erkrankung handelt (s. das Gutachten mit Anlagen; Deutscher Berufsverband der Umweltmediziner (Hg.), Handlungsorientierte umweltmedizinische Praxisleitlinie 2011; Prof. Dr. Wolfgang Huber, „Artikel des Monats Januar 2011 Teil 6: CFS, MCS, FMS - Therapie und Differentialdiagnostik“; Hill et al.; Multiple Chemikalien-Sensitivität, 3. Aufl. 2010, S. 334). |
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| Welcher Erklärungsansatz überzeugender ist, muss im Rahmen dieses Rechtsstreits nicht geklärt werden. Sollte es sich um eine rein psychosomatische Erkrankung handeln, kann es sich bei der Gabe von Vitaminen und Spurenelementen von vornherein um keine notwendige Behandlung handeln. Aber auch wenn man dem von der Klägerin für richtig gehaltenen umweltmedizinischen Ansatz folgt, ist dies nicht der Fall. |
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| Es ist im Falle der Klägerin schon nicht eindeutig geklärt, ob eine MCS im Sinne einer umweltmedizinischen Erkrankung überhaupt vorliegt. Entsprechende objektive Messwerte, die auf eine MCS hinweisen könnten, liegen nicht vor. Das Sachverständigengutachten hat keine Laborwerte ergeben, die in diese Richtung deuten könnten. Bei der bereits erwähnten Haaranalyse vom 14.8.2006 wurden an toxischen Elementen lediglich Cadmium, Blei und Aluminium - allerdings jeweils im untersten Normalbereich - festgestellt. Auch sonst dürften die nach dem umweltmedizinischen Ansatz erforderlichen differentialdiagnostischen Abklärungen nicht erfolgt sein (s. hierzu: Deutscher Berufsverband der Umweltmediziner (Hg.), Handlungsorientierte umweltmedizinische Praxisleitlinie 2011; Prof. Dr. Wolfgang Huber, „Artikel des Monats Januar 2011 Teil 6: CFS, MCS, FMS - Therapie und Differentialdiagnostik“; Hill et al., Multiple Chemikalien-Sensitivität, 3. Aufl. 2010, S. 252 ff.). |
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| Jedenfalls aber ist die Behandlung als solche ebenfalls ohne die gebotene diagnostische Abklärung erfolgt. Gerade die Vertreter des umweltmedizinischen Ansatzes verlangen, dass eine antioxidative Therapie durch die Gabe von Vitaminen nicht „ins Blaue“ hinein erfolgt, sondern durch eine sorgfältige laboranalytische Untersuchung des Redoxstatus kontrolliert werden soll, um z.B. schädliche Vitamin-Überdosierungen zu vermeiden (so ausdrückl. Hill et al., Multiple Chemikalien-Sensitivität, 3. Aufl. 2010, S. 252 ff.). Dass hier solche Untersuchungen erfolgt sind, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Eine bloße Behandlung auf Verdacht ist auch in diesem Zusammenhang nicht notwendig i.S.v. § 5 Abs. 1 Satz 1 BVO. |
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| 3. Eine weitere Aufklärung des Sachverhalts durch die Einholung eines weiteren (oder die Ergänzung des vorliegenden) Gutachtens, die die Klägerin ursprünglich noch angeregt hatte, ist nach alledem nicht erforderlich. Die Bedeutung des eingeholten Sachverständigengutachtens liegt vor allem in der „klassischen“ Diagnostik, d.h. den erhobenen Werten an sich und dem Ausschluss herkömmlicher (internistischer) Erkrankungen mit Ausnahme eines Asthma bronchiale. Insoweit erhebt auch die Klägerin keine Einwendungen gegen die in dem Gutachten getroffenen Feststellungen. |
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| Wie die Klägerin zu Recht geltend macht lässt sich eine abschließende Bewertung der Entstehung, Diagnose und Therapie einer MCS-Erkrankung - sowohl allgemein als auch in ihrem Einzelfall - dem Gutachten hingegen nicht entnehmen. Der Senat ist jedoch insoweit von dem umweltmedizinischen Ansatz ausgegangen, den auch die Klägerin vertritt. Soweit die Klägerin die Ausführungen des Gutachtens zur Frage der Arzneimitteleigenschaft angreift, hat der Senat zu ihren Gunsten angenommen, dass es sich bei den streitgegenständlichen Präparaten um Arzneimittel im beihilferechtlichen Sinne handelt. |
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| Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt. |
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| Beschluss vom 2. August 2012 |
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| Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 69,47 EUR festgesetzt (§ 52 Abs. 3 GKG). |
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