Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Beschluss, 30. März 2011 - NC 9 S 2780/10

published on 30/03/2011 00:00
Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Beschluss, 30. März 2011 - NC 9 S 2780/10
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Tenor

Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 30. November 2010 - NC 7 K 1166/10 - mit Ausnahme der Kostenfestsetzung geändert.

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten der Verfahren in beiden Rechtszügen.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 5.000,-- EUR festgesetzt.

Gründe

 
Der Antragsteller begehrt im Wege einstweiligen Rechtsschutzes die vorläufige Zulassung zum Studium der Humanmedizin an der Universität Heidelberg im 2. Fachsemester zum Sommersemester 2010. Die Antragsgegnerin hatte den Antrag abgelehnt. Zwar seien im 2. Fachsemester sowohl an der Fakultät Heidelberg (Zulassungszahl: 306, Belegung: 301) als auch an der Fakultät Mannheim (Zulassungszahl: 171, Belegung: 170) Plätze frei. Angesichts der Überbuchungen im 4. Fachsemester (Fakultät Heidelberg: Belegung von 315 bei Zulassungszahl 306; Fakultät Mannheim: Belegung von 184 bei Zulassungszahl 171) sei die in der Vorklinik bestehende Lehrkapazität aber ausgeschöpft und eine Neuaufnahme weiterer Studenten daher nicht möglich. Nach § 4 Abs. 2 Satz 2 der Zulassungszahlenverordnung ZVS-Studiengänge 2009/2010 (GBl. 2009 S. 307) sei Voraussetzung der Aufnahme in höhere Fachsemester nicht nur ein freier Platz im jeweiligen Semester, vielmehr müsse die Gesamtzahl der Studierenden im vorklinischen Teil unter der Summe der jeweils festgesetzten Auffüllgrenzen liegen. Das Verwaltungsgericht war der Auffassung, die Vorschrift könne für „außerkapazitäre“ Studienplätze keine Anwendung finden und hat dem Eilantrag stattgegeben, da auch für das Sommersemester 2010 von vier - freien - „außerkapazitären“ Plätzen auszugehen sei. Die hiergegen von der Antragsgegnerin erhobene Beschwerde hat Erfolg.
Entgegen der vom Verwaltungsgericht geäußerten Auffassung sind die Vorgaben aus § 4 Abs. 2 Satz 2 der Zulassungszahlenverordnung für die Vergabe von Studienplätzen in höheren Fachsemestern entsprechend auch für die Vergabe jenseits der „festgesetzten Auffüllgrenzen“ liegender und insoweit „außerkapazitärer“ Studienplätze heranzuziehen.
Es entspricht ständiger Senatsrechtsprechung, die Kriterien für die Vergabe „außerkapazitärer“ Studienplätze möglichst eng an den normativen Vorgaben der „regulären“ Vergabe auszurichten (vgl. grundlegend Senatsurteil vom 29.10.2009 - 9 S 1611/09 -). Denn nur durch die Anwendung einheitlicher Vergabekriterien kann vermieden werden, dass die nachträglich festgestellten Studienplätze nicht solchen Bewerbern zufallen, denen sie bei ordnungsgemäßer Kapazitätsfeststellung nicht zugestanden hätten. Die analoge Anwendung der Bestimmungen aus der Zulassungszahlenverordnung auch für die Vergabe von Studienplätzen für höhere Fachsemester liegt daher schon aus systematischen Gründen nahe. Sie wird - soweit ersichtlich - auch von der Rechtsprechung praktiziert (vgl. etwa Sächs. OVG, Beschluss vom 03.08.2010 - NC 2 B 441/08 - sowie VG Halle/Saale, Beschluss vom 14.01.2010 - 3 B 101/09 -).
Die durch § 4 Abs. 2 Satz 2 der Zulassungszahlenverordnung angeordnete Gesamtbetrachtung des vorklinischen Studienabschnitts entspricht auch inhaltlich der Systematik der Kapazitätsberechnung und gewährleistet eine widerspruchsfreie Berechnung der an Hochschulen vorhandenen Ausbildungsmöglichkeiten. Denn die - auch für die Vergabe „außerkapazitärer“ Studienplätze maßgebliche - Berechnung der vorhandenen personellen Lehrkapazität wird nicht semesterbezogen durchgeführt, sondern stellt auf die Lehreinheit (§ 8 Abs. 1 Satz 1 KapVO VII) und den vorklinischen Studienabschnitt insgesamt (§ 18 KapVO VII) ab. Auch die in höheren Fachsemestern Studierenden nehmen Lehrkapazität in Anspruch und binden damit die in der Lehreinheit bestehenden Ressourcen. Sinn und Zweck des Berechnungssystems gebieten daher ebenfalls eine entsprechende Anwendung der in § 4 Abs. 2 Satz 2 der Zulassungszahlenverordnung angeordneten Gesamtbetrachtung.
Der insoweit vom Verwaltungsgericht befürchtete Eingriff in die „grundrechtlich geschützte Zuweisungschance“ ist schon deshalb nicht zu besorgen, weil ein zuzuweisender Studienplatz damit gerade nicht besteht. Mangels vorhandener Kapazität geht der Teilhabeanspruch ins Leere.
Ob hinsichtlich der Berechnung für die in höheren Semestern bestehende Kapazität auf die in der Zulassungszahlenverordnung normativ festgesetzte Studienplatzzahl abzustellen ist oder die ggf. von Gerichten in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes angesetzte Zahl tatsächlicher Studienplätze fortgeschrieben werden muss, kann vorliegend offenbleiben. Angesichts der tatsächlichen Überbuchung im 4. Fachsemester liegt die Gesamtbelegung der Vorklinik nicht nur deutlich über den in der Zulassungszahlenverordnung ausgewiesenen Auffüllgrenzen, sie übersteigt vielmehr auch die korrigierten und um die in vorangegangenen Entscheidungen aufgefundenen Studienplätze ergänzten Margen.
Allerdings hat der erkennende Senat bereits die Vorzüge eines Abstellens auf die normativen Werte hervorgehoben (vgl. Senatsbeschluss vom 31.07.2008 - NC 9 S 2978/07 -). Jedenfalls soweit die von Gerichten vorgenommene Korrektur der festgesetzten Zulassungszahl auf einer abweichenden Berechnung des Schwundfaktors beruht, kann sie nicht als Maßstab der Auffüllgrenzen herangezogen werden. Denn die schwundbedingt angenommene Erhöhung der Zugangszahlen im ersten Semester beruht auf der Annahme freibleibender Lehrkapazitäten in höheren Semestern. Wird nun aber die Aufnahmefähigkeit im ersten Semester wegen prognostizierten Schwundes in höheren Fachsemestern (kompensatorisch) erhöht, so darf diese Zahl nicht als Auffüllgrenze in höhere Fachsemester fortgeschrieben werden. Vielmehr setzt der Ansatz einer Schwundbereinigung systembedingt zwingend voraus, dass die Belegung in höheren Semestern niedriger ausfällt. Andernfalls fehlt der Grund für eine schwundbezogene Korrektur (vgl. auch § 14 Abs. 3 Nr. 3 KapVO VII). Die Fortschreibung schwundbedingt erhöhter Aufnahmezahlen erwiese sich daher als Systembruch (vgl. zur wechselseitigen Abhängigkeit von Schwundkorrektur und Auffüllung auch bereits Senatsbeschluss vom 17.09.2008 - NC 9 S 1792/08 -).
Da die Aufnahmekapazität der Antragsgegnerin im vorklinischen Teil des Studiengangs erschöpft ist, kann die vom Antragsteller begehrte Zulassung zum 2. Fachsemester nicht erfolgen. Entgegen dem Vortrag des Antragstellers ist Art. 12 Abs. 1 GG nicht dadurch verletzt, dass sich diese Erschöpfung aus einer früheren „überkapazitären“ Vergabe von Studienplätzen ergibt. Zu dessen weiterem Vorbringen im Antragsverfahren wird auf den den Beteiligten bekannten Beschluss des Senats vom 17.02.2011 - NC 9 S 1429/10 u.a. - verwiesen.
Der Beschluss des Verwaltungsgerichts muss daher geändert und der Antrag abgelehnt werden.
10 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 53 Abs. 3 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG.
11 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
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(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

(1) Im Rechtsmittelverfahren bestimmt sich der Streitwert nach den Anträgen des Rechtsmittelführers. Endet das Verfahren, ohne dass solche Anträge eingereicht werden, oder werden, wenn eine Frist für die Rechtsmittelbegründung vorgeschrieben ist, inn

(1) Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts können vorbehaltlich des § 99 Abs. 2 und des § 133 Abs. 1 dieses Gesetzes sowie des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht angefochte

(1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden. (2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im
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(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

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(1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden.

(2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.

(3) Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Im Rechtsmittelverfahren bestimmt sich der Streitwert nach den Anträgen des Rechtsmittelführers. Endet das Verfahren, ohne dass solche Anträge eingereicht werden, oder werden, wenn eine Frist für die Rechtsmittelbegründung vorgeschrieben ist, innerhalb dieser Frist Rechtsmittelanträge nicht eingereicht, ist die Beschwer maßgebend.

(2) Der Streitwert ist durch den Wert des Streitgegenstands des ersten Rechtszugs begrenzt. Das gilt nicht, soweit der Streitgegenstand erweitert wird.

(3) Im Verfahren über den Antrag auf Zulassung des Rechtsmittels und im Verfahren über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung des Rechtsmittels ist Streitwert der für das Rechtsmittelverfahren maßgebende Wert.

(1) Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts können vorbehaltlich des § 99 Abs. 2 und des § 133 Abs. 1 dieses Gesetzes sowie des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht angefochten werden.

(2) Im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gilt für Entscheidungen des beauftragten oder ersuchten Richters oder des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle § 151 entsprechend.