Oberlandesgericht Stuttgart Beschluss, 18. Aug. 2014 - 5 U 58/14

published on 18/08/2014 00:00
Oberlandesgericht Stuttgart Beschluss, 18. Aug. 2014 - 5 U 58/14
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Tenor

Zur vorläufigen Würdigung der Sach- und Rechtslage aus Sicht des Senats wird den Parteien mitgeteilt:

Gründe

 
I.
Die Kläger, die ihren Wohnsitz im Bezirk des Landgerichts Heilbronn haben, nehmen die beklagte Schweizer Bank auf Schadensersatz wegen behaupteter Pflichtverletzung im Zusammenhang mit der Aufnahme eines Fremdwährungsdarlehens für ein Kapitalanlagegeschäft in Anspruch.
Zwischen den Parteien ist die Frage der internationalen Zuständigkeit umstritten, welche die Beklagte in I. Instanz gerügt hat.
Auf Empfehlung des Anlageberaters R..., der mit der BB...F... zusammenarbeitet, für welche der Zeuge G... sowie Herr B... tätig sind, beabsichtigten die Kläger, frei gewordene Gelder, welche aus der Auflösung von Lebensversicherungen und eines Bausparvertrags resultierten, in verschiedene Fondsanlagen zu investieren. Die BB...F... ist ein deutsches Anlageberatungsunternehmen. Zum Abschluss des Kapitalanlagevertrags und der Depoteröffnung begaben sich die Kläger in Begleitung der Zeugen R... und G... am 22.01.2007 in die Filiale der Beklagten in S.../Schweiz. Die Beklagte stellte hierzu den Klägern ein Fremdkapitaldarlehen in Schweizer Franken i. H. v. 247.400,00 CHF zur Verfügung und eröffnete das Depot zugunsten der Kläger. Vor Abschluss des Kapitalanlagevertrages bestand zwischen den Klägern und der Beklagten keinerlei Geschäftskontakt.
Die Kläger behaupten, dass sich die Zeugen R... und G... anlässlich des Abschlusses des Kapitalanlagevertrages in der Filiale der Beklagten mit deren Mitarbeiter R... geduzt hätten und der Abschluss des Kapitalanlage- und Depoteröffnungsvertrages bereits vollständig vorbereitet gewesen sei, woraus zu schließen sei, dass zwischen der BB...F... und der Beklagten ein geschäftlicher Kontakt bestanden habe.
Des Weiteren hab die Kläger vorgetragen, dass der Kundenberater der Beklagten, Herr R..., sie auf eigene Initiative hin im Jahr 2008 in Deutschland besucht habe. Anlässlich dieses Besuches sei es zu einem weiteren Vertragsschluss gekommen, bei dem die Kläger Werte aus ihrem Depot bei der Beklagten verkauft und bei einer englischen Lebensversicherung angelegt hätten. Die Beklagte hingegen bestreitet einen persönlichen Kundenbesuch durch den Mitarbeiter R... bei den Klägern. Sie behauptet, dass der erneute Vertragsschluss ausschließlich auf Bestreben der Kläger und fernmündlich erfolgt sei.
Aufgrund der vom Landgericht im Anschluss an die entsprechende Aussage des Zeugen G... verfahrensfehlerfrei getroffenen tatsächlichen Feststellungen, an die das Berufungsgericht nach § 529 Abs. 1 ZPO gebunden ist, steht fest, dass die Beklagte mittels einer vor dem streitgegenständlichen Vertragsabschluss organisierten Bodensee-Dampfschifffahrt Kontakt zu verschiedenen Volks- und Raiffeisenbanken sowie zu den Mitarbeitern der BB...F..., B... und G... hergestellt hat, die in die Verhandlungen zwischen den Klägern und der Beklagten eingebunden waren. Anlässlich dieser Einladung wurden dem Zeugen G... die Mechanismen der Hebelgeschäfte plausibel gemacht. Dabei seien auch die Darlehenskonditionen der Beklagten gegenüber zu vermittelnden Endkunden der BB...F... dargestellt worden. Zudem gab der Zeuge R... an, dass die BB...F... der Beklagten neben dem streitgegenständlichen Anlagegeschäfte drei bis vier weitere Kunden aus Deutschland vermittelt hat.
Das Landgericht hat die internationale Zuständigkeit mit der Begründung verneint, dass die Beklagte nicht mit unmittelbarer Wirkung gegenüber den Klägern tätig geworden sei. Den vor Abschluss des Kapitalanlagegeschäfts vorgelagerten Marketingmaßnahmen der Beklagten anlässlich der Bodensee-Dampfschifffahrt würden das erforderliche Wirkungspotential fehlen. Insofern läge kein Ausrichten der gewerblichen Tätigkeit in Bezug auf den Sitzstaat der Kläger vor.
II.
1.
Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist das Landgericht Heilbronn international nach Art. 15 Abs. 1 c, Art. 16 Abs. 1 Fall 2 Luganer Übereinkommen zuständig.
a) Da das Luganer Übereinkommen in der Fassung vom 30. Oktober 2010 keine Regelungen zu den Anforderungen an den klägerischen Vortrag zur Darlegung der internationalen Zuständigkeit enthält, richtet sich die Darlegungslast nach deutschem internationalem Zivilprozessrecht. Hierfür ist es ausreichend, wenn die Kläger vertragliche Ansprüche i. S. d. Art. 15 Abs. 1 Luganer Übereinkommen schlüssig behaupten. Für die Begründung des Verbrauchergerichtsstands gemäß Art. 15 Abs. 1 Buchstabe c) Luganer Übereinkommen ist nicht die Geltendmachung eines vertraglichen Anspruchs im engeren Sinne erforderlich. Vielmehr liegen vertragliche Ansprüche jedenfalls dann vor, wenn eine Partei gegenüber einer anderen freiwillig eine Verpflichtung eingegangen ist. Der Anwendungsbereich des Art. 15 Abs. 1 Buchstabe c) Luganer Übereinkommen ist i. d. S. eröffnet, wenn eine Partei ein verbindliches Angebot macht, das hinsichtlich seines Gegenstandes und seines Umfanges so klar und präzise ist, dass eine Vertragsbeziehung, wie sie die Norm voraussetzt, entstehen kann. Ausreichend ist hierbei eine - aus der maßgeblichen Empfängersicht - einseitige Verpflichtung des Gewerbetreibenden, eine wie auch immer geartete rechtliche Verpflichtung des Verbrauchers ist hingegen nicht notwendig. Ob diese Voraussetzungen im Einzelfall erfüllt sind, ist vom nationalen Gericht zu beurteilen.
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Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Die Beklagte richtete den Klägern einerseits ein Depotkonto ein und stellte andererseits den Klägern zur Finanzierung des Anlagegeschäfts das erforderliche Fremdwährungsdarlehen zur Verfügung.
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b) Der in Art. 15 Abs. 1 Buchstabe c) Luganer Übereinkommen geforderte räumliche Bezug des Vertrags zum Wohnsitzstaat des Verbrauchers ist ebenfalls gegeben. Dabei kann dahinstehen, ob die Beklagte mit dem klägerseits behaupteten - von der Beklagten bestrittenen - Kundenbesuch durch den Kundenberater der Beklagten, Herrn R..., im Jahre 2008 eine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit in der Bundesrepublik Deutschland ausgeübt hat. Jedenfalls war die berufliche Tätigkeit der Beklagten bereits vor dem streitgegenständlichen Vertragsabschluss auf die Bundesrepublik Deutschland „ausgerichtet“. Art. 15 Abs. 1 Buchstabe c) Luganer Übereinkommen erweitert gegenüber der Vorgängervorschrift des Art. 13 Abs. 1 Nr. 3 den Anwendungsbereich für Verbraucherklagen auf Fälle, in denen der Vertragspartner seine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit auf den Wohnsitzstaat des Verbrauchers lediglich ausgerichtet hat. Veranlasst worden ist diese Erweiterung durch den Wunsch, auch Verträge zu erfassen, die über eine vom Unternehmer unterhaltene aktive Internetseite abgeschlossen werden, beschränkt sich jedoch nicht auf solche Vorgänge (BGH, Urteil v. 30.03.2006 ‒ VII ZR 249/04, BGHZ 167, 83 Rn. 28 m.w.N.). Nach der Rechtsprechung des EuGH, nach welcher auch der Begriff des „Ausrichtens“ zur Parallelvorschrift der EuGVVO autonom ausgelegt werden muss (NJW 2011, 505 Rn. 55), umfasst Art. 15 Abs. 1 Buchstabe c) Luganer Übereinkommen gegenüber der Vorgängerregelung des Art. 13 Abs. 1 Nr. 3, die noch ein ausdrückliches Angebot und „Werbung des Gewerbetreibenden“ vorausgesetzt hatte, im Interesse der Stärkung des Verbraucherschutzes ein breiteres Spektrum an Tätigkeiten.
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Voraussetzung ist jeweils, dass der Gewerbetreibende seinen Willen zum Ausdruck gebracht hat, Geschäftsbeziehungen zu Verbrauchern im Wohnsitz-Mitgliedsstaat des Verbrauchers herzustellen, also zum Vertragsschluss mit diesen bereit zu sein. Der Begriff des „Ausrichtens“ ist daher tendenziell weit zu verstehen. Er bezieht sich auf des Anbieters eigene Marketingstrategie und die zu deren Umsetzung eingesetzten Mittel (vgl. Mankowski, IPRax 2009, S. 238).
13 
Mit der Einladung verschiedener Volks- und Raiffeisenbanken sowie der BB...F... zu einer Bodensee-Dampfschifffahrt, verbunden mit Informationen zu Hebelgeschäften und Produkten der Beklagten, insbesondere den Darlehenskonditionen für Fremdwährungskredite, hat die Beklagte den Impuls gesetzt, den deutschen Markt über Vermittler zu erschließen. Diese Marketingmaßnahme ist ausreichend, um Kontakte zu potentiellen Endkunden herzustellen. Denn die Kontaktaufnahme zu ausländischen Anlageberatungsunternehmen und Kreditinstituten stellt bereits eine auf den Wohnsitzstaat des Verbrauchers ausgerichtete absatzfördernde Handlung der eigenen Produkte dar. Für die zu fordernde Zielgerichtetheit der Tätigkeit des Unternehmens reicht zwar ein bloßes „Doing-Business“ nicht aus (OGH, Beschl. v. 08.09.2009, ZIP 2010, 1154, 1155). So genügen das einmalige Versenden von Katalogen an Einzelpersonen ebenso wenig wie eine Empfehlung durch Bekannte oder das Bereithalten von Formularen des späteren Vertragspartners zur Ausfüllung durch den vom Verbraucher eingeschalteten Vermittler. Hier knüpfte die Beklagte jedoch gezielt Kontakte zu deutschen Kreditinstituten und Anlageberatungsunternehmen, um Verbrauchern in Deutschland letztlich Fremdwährungsdarlehen anzubieten. Diese Kontaktanbahnung ist mehr als ein „doing-business“ und stellt sich als absatzfördernde Handlung zur eigenen Kreditgewährung gegenüber Endkunden dar.
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c) Art. 15 Abs. 1 c Luganer Übereinkommen fordert - im Gegensatz zur Vorgängerbestimmung - nicht, dass der Verbraucher die zum Abschluss des Vertrages erforderlichen Rechtshandlungen in seinem Wohnsitzstaat vorgenommen haben muss. Der Ort des Vertragsschlusses, hier in der Schweiz, ist daher nicht relevant.
2.
15 
Die Voraussetzungen des Art. 15 Abs. 1 Buchstabe c, Art. 16 Abs. 1 Fall 2 Luganer Übereinkommen sind insofern gegeben. Die von der Beklagten angeführte Gerichtsstandsvereinbarung bleibt daher gem. Art. 17, 23 Abs. 5 Luganer Übereinkommen ohne Wirkung. Das Landgericht Heilbronn ist zur Entscheidung in der Sache international berufen.
III.
16 
Da das Landgericht Heilbronn seine Entscheidung auf die Frage der internationalen Zuständigkeit beschränkt und diese zu Unrecht verneint hat, wird beiden Parteien anheimgestellt, einen Antrag auf Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landgericht nach § 538 Abs. 1 Nr. 3 ZPO zu stellen. In diesem Fall ist - da sich das Landgericht mit dem Rechtsstreit in der Sache gar nicht auseinandergesetzt hat - beabsichtigt, den Rechtsstreit an das Landgericht zurückzuverweisen. Einer mündlichen Verhandlung bedarf es aus Sicht des Senats in diesem Fall nicht. Es wird deshalb angeregt, dass die Parteien ihre Zustimmung zur Entscheidung im schriftlichen Verfahren erteilen und aus Kostengründen auf die Darstellung des Tatbestands und der Entscheidungsgründe - die im Wesentlichen auf die Wiederholung der Ausführungen dieses Beschlusses hinauslaufen würden - verzichten.
17 
Die Parteien erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 14. September 2014.
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(1) Das Berufungsgericht hat seiner Verhandlung und Entscheidung zugrunde zu legen:1.die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidung

(1) Das Berufungsgericht hat die notwendigen Beweise zu erheben und in der Sache selbst zu entscheiden. (2) Das Berufungsgericht darf die Sache, soweit ihre weitere Verhandlung erforderlich ist, unter Aufhebung des Urteils und des Verfahrens an d
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(1) Das Berufungsgericht hat seiner Verhandlung und Entscheidung zugrunde zu legen:1.die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidung

(1) Das Berufungsgericht hat die notwendigen Beweise zu erheben und in der Sache selbst zu entscheiden. (2) Das Berufungsgericht darf die Sache, soweit ihre weitere Verhandlung erforderlich ist, unter Aufhebung des Urteils und des Verfahrens an d
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(1) Das Berufungsgericht hat seiner Verhandlung und Entscheidung zugrunde zu legen:

1.
die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten;
2.
neue Tatsachen, soweit deren Berücksichtigung zulässig ist.

(2) Auf einen Mangel des Verfahrens, der nicht von Amts wegen zu berücksichtigen ist, wird das angefochtene Urteil nur geprüft, wenn dieser nach § 520 Abs. 3 geltend gemacht worden ist. Im Übrigen ist das Berufungsgericht an die geltend gemachten Berufungsgründe nicht gebunden.

(1) Das Berufungsgericht hat die notwendigen Beweise zu erheben und in der Sache selbst zu entscheiden.

(2) Das Berufungsgericht darf die Sache, soweit ihre weitere Verhandlung erforderlich ist, unter Aufhebung des Urteils und des Verfahrens an das Gericht des ersten Rechtszuges nur zurückverweisen,

1.
soweit das Verfahren im ersten Rechtszuge an einem wesentlichen Mangel leidet und auf Grund dieses Mangels eine umfangreiche oder aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist,
2.
wenn durch das angefochtene Urteil ein Einspruch als unzulässig verworfen ist,
3.
wenn durch das angefochtene Urteil nur über die Zulässigkeit der Klage entschieden ist,
4.
wenn im Falle eines nach Grund und Betrag streitigen Anspruchs durch das angefochtene Urteil über den Grund des Anspruchs vorab entschieden oder die Klage abgewiesen ist, es sei denn, dass der Streit über den Betrag des Anspruchs zur Entscheidung reif ist,
5.
wenn das angefochtene Urteil im Urkunden- oder Wechselprozess unter Vorbehalt der Rechte erlassen ist,
6.
wenn das angefochtene Urteil ein Versäumnisurteil ist oder
7.
wenn das angefochtene Urteil ein entgegen den Voraussetzungen des § 301 erlassenes Teilurteil ist
und eine Partei die Zurückverweisung beantragt. Im Fall der Nummer 3 hat das Berufungsgericht sämtliche Rügen zu erledigen. Im Fall der Nummer 7 bedarf es eines Antrags nicht.