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| Das Amtsgericht hat den Antrag des Antragstellers auf Rückgabe des Kindes A., geb. 29.8.1998, nach dem Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung vom 25.10.1980 (HKÜ) durch Beschluss vom 8.11.2002 zurückgewiesen. |
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| Seine Entscheidung hat das Gericht auf zwei Gesichtspunkte gestützt. Zum einen sei von einem gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes sowohl in Frankreich wie auch in Deutschland auszugehen; auf einen solchen Fall finde das HKÜ keine Anwendung. Zum andern stehe einer Rückführung entgegen, dass das zuständige französische Familiengericht durch Beschluss vom 25.9.2002 bestimmt hat, dass das Kind seinen Wohnsitz bei der in Deutschland wohnhaften Antragsgegnerin hat. |
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| Der Antragsteller wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Auffassung des Amtsgerichts, das Kind A. habe zwei gewöhnliche Aufenthalte. Ein mehrfacher gewöhnlicher Aufenthalt sei im IPR ausgeschlossen, weil es auf die tatsächlichen Verhältnisse ankomme. Die Rechtsprechung des Ausgangsgerichts führe dazu, dass für den Fall mehrfacher gewöhnlicher Aufenthalte - sollte man dies zulassen - ein Schutz von Kindern nach dem HKÜ nicht stattfinde. Im Übrigen habe sich der gewöhnliche Aufenthalt von A. vor dem Zurückhalten im April 2002 in Frankreich befunden. |
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| Die Entscheidung des französischen Gerichts stehe gem. Art. 17 HKÜ einer Rückgabe des Kindes nicht entgegen. Insbesondere die Gründe dieser Entscheidung würden eine Ablehnung der Rückführung nach Art. 13 HKÜ nicht rechtfertigen. Ziel des HKÜ sei es, zur Sicherung des Kindeswohls eine sofortige Rückgängigmachung der Entführung zu ermöglichen. Dies sei nur möglich bei einer Unabhängigkeit des HKÜ-Verfahrens von etwaigen Sorgerechtsverfahren (bis zu deren rechtskräftigen Abschluss). Mit einer Anordnung der Rückgabe des Kindes nach Frankreich - und Rückkehr der Mutter nach Frankreich - lägen neue Tatsachenelemente vor, die eine Abänderung der bisherigen Entscheidung (des französischen Gerichts) ermöglichen würden. Der Antrag auf Rückgabe des Kindes habe sich auch nicht durch den Umgang des Antragstellers mit A. erledigt, weil das Kind nicht bleibend zurückgeführt worden sei. |
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| Die Antragsgegnerin verteidigt die angefochtene Entscheidung, insbesondere unter Verweis auf die weitere Entscheidung des Tribunal de Grande Instance de Grasse vom 3.12.2002. In seinem Beschluss gestattet das Landgericht Grasse den Ehegatten, getrennt zu leben, dem Antragsteller in N., Frankreich, der Antragsgegnerin in G., Deutschland. Des weiteren wird angeordnet, dass das Sorgerecht für das gemeinsame Kind A. gemeinsam durch die Eltern ausgeübt wird. Der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes wird am Wohnsitz der Mutter (Antragsgegnerin) festgelegt. Weiter werden in dem Beschluss der Umgang des Vaters mit dem Kind sowie unterhaltsrechtliche Fragen geregelt. |
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| Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Darstellung des Sachverhalts in der angefochtenen Entscheidung verwiesen. |
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| Der Senat hat die Eltern am 11.2.2003 in Anwesenheit des Kindes A. angehört. |
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| Die sofortige Beschwerde des Antragstellers ist gem. § 8 Abs. 2 des Sorgerechtsübereinkommens-Ausführungsgesetzes (SorgeRÜbkAG) statthaft und auch sonst zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg. |
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| Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts ist der Senat zwar der Auffassung, dass das HKÜ im vorliegenden Fall anwendbar ist, weil das Kind A. vor seinem Zurückhalten in Deutschland im April 2002 seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Frankreich hatte. Ob das Zurückhalten widerrechtlich war oder der Antragsteller einem Aufenthalt des Kindes in Deutschland zustimmte, kann aber dahingestellt bleiben. Denn jedenfalls steht einer Rückgabeanordnung nach dem HKÜ die Entscheidung des Landgerichts Grasse vom 3.12.2002 über den Aufenthalt des Kindes bei der Antragsgegnerin mit Blick auf Art. 13 I b HKÜ entgegen. |
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| Das HKÜ ist im vorliegenden Fall anwendbar, weil Frankreich und Deutschland Vertragsstaaten des HKÜ sind und A. vor seinem Zurückhalten in Deutschland im April 2002 seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Frankreich hatte. Der Senat teilt nicht die Auffassung des Amtsgerichts, dass wegen der wechselnden Aufenthalte der Eltern in Frankreich und Deutschland seit der Geburt des Kindes mit Blick auf den jeweiligen Gesamtumfang der Aufenthalte davon auszugehen ist, dass A. in beiden Ländern einen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Der Senat schließt sich vielmehr der Auffassung an, dass bei alternierenden Aufenthalten der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes jeweils wechselt (vgl. Baetge, Zum gewöhnlichen Aufenthalt bei Kindesentführungen, IPRax 2001, 573, 576; MünchKomm-Siehr, Art. 19 EGBGB Anhang II Rn 28 b). Diese Betrachtung trägt dem Schutzzweck des HKÜ Rechnung. |
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| Nach h.A. ist der "gewöhnliche Aufenthalt" rein tatsächlich und nicht normativ zu bestimmen (vgl. BverfG FamRZ 99, 85, 88). Es kommt daher darauf an, wo der Daseinsmittelpunkt eines Kindes ist, d.h. der Ort des tatsächlichen Mittelpunktes seiner Lebensführung, des Schwerpunktes seiner sozialen Bindungen, insbesondere in familiärer und schulischer bzw. beruflicher Hinsicht (s. Palandt, BGB, 62. Aufl., Anhang zu Art. 24 EGBGB, Rn 10 m.w.N.). Eine solche soziale Integration setzt voraus, dass der Aufenthalt von einer gewissen Dauer ist, wobei in der Regel ein Zeitraum von sechs Monaten zugrunde gelegt wird. Je nach Umständen kann dieser Zeitraum auch länger oder kürzer sein. Da die Eltern von A. ab September 2001 einverständlich an einen ihnen vertrauten Ort in Frankreich zurückkehrten, der Antragsteller dort wieder als Lehrer arbeitete und sie somit keine größere Eingewöhnungsphase benötigten, kam dies auch der sozialen Integration von A. zugute. Unter diesen Umständen hatte A. seinen gewöhnlichen Aufenthalt jedenfalls in Frankreich, bevor er im April 2002 in Deutschland zurückgehalten wurde. Dass die Parteien mittelfristig beabsichtigten, wieder nach Deutschland zurückzukehren - sobald der Antragsteller dort eine Anstellung gefunden hat - ändert an diesem tatsächlichen Daseinsschwerpunkt nichts, weil ein sog. animus manendi für die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts nicht erforderlich ist. |
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| Durch das Zurückhalten von A. wurde das (Mit-)Sorgerecht des Antragstellers, das sowohl nach französischem als auch nach deutschem Recht beiden Eltern zusteht, beeinträchtigt. Die Widerrechtlichkeit des Zurückhaltens i.S.v. Art. 3 HKÜ könnte allerdings entfallen, sollte der Antragsteller mit dem Verbleiben des Kindes bei seiner Mutter in Deutschland einverstanden gewesen sein. Der Senat neigt - in Übereinstimmung mit dem Amtsgericht - insoweit aber zu der Auffassung, dass sich aus dem - bestrittenen - Vorbringen der Antragsgegnerin nicht ableiten lässt, dass der Antragsteller einem dauerhaften Aufenthalt des Sohnes in Deutschland zugestimmt hat. Letztlich kann diese Frage aber dahinstehen, weil aus anderen Gründen eine Rückgabeanordnung nicht in Betracht kommt. |
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| Einer Anordnung der sofortigen Rückführung des Kindes A. nach Frankreich gem. Art. 12 HKÜ steht entgegen, dass eine Rückgabe das Kind dieses in eine unzumutbare Lage bringen würde (Art. 13 Abs. 1 lit. b). Auf die zutreffenden Ausführungen des Amtsgerichts wird verwiesen. |
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| Der Antragsteller weist zwar mit Recht darauf hin, dass die Entscheidung des Tribunal de Grande Instance de Grasse vom 3.12.2002 über den vorläufigen Aufenthalt des Kindes bei der Mutter in Deutschland gem. Art. 17 HKÜ für sich genommen keinen Grund darstellt, dass das Kind aufgrund dieses Übereinkommens nicht zurückzugeben ist. Allerdings können die Gerichte des ersuchten Staates gem. Art. 17 Hs. 2 HKÜ die Gründe einer solchen Entscheidung berücksichtigen. |
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| Soweit Art. 17 HKÜ bestimmt, dass Sorgerechtsentscheidungen im ersuchten Staat einer Rückgabeanordnung nicht entgegenstehen, ist dies nach dem Zweck des Übereinkommens - auch mit Blick auf Art. 16 HKÜ - ohne weiteres nachvollziehbar. |
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| Soweit Art. 17 HKÜ nach seinem Wortlaut allerdings auch Sorgerechtsentscheidungen im Herkunftsstaat umfasst (vgl. Palandt, BGB, 62. Aufl., Anhang zu EGBGB 24, Rn 83), ist für das Verständnis dieser Bestimmung der Erläuternde Bericht von Elisa Perez-Vera zum HKÜ (s. Deutscher Bundestag, Drucksache 11/5314) zu beachten. |
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| Danach entspreche die in diesem Artikel niedergelegte Lösung der Zielsetzung des Abkommens, die möglichen Entführer zu entmutigen, weil sie ihre Handlung weder auf eine vor dem Verbringen erlassene, aber nie vollstreckte "tote" Entscheidung noch auf eine nachher erwirkte Entscheidung stützen können, die in den meisten Fällen wegen Betrugs in ihrer Wirksamkeit beeinträchtigt sei. Die Behörden des ersuchten Staates seien verpflichtet, eine Entscheidung in Frage zu stellen, die nicht wirksam oder auf der Grundlage von Zuständigkeitsmissbrauch ergangen sei oder die schließlich nicht die Verteidigungsrechte aller betroffenen Parteien beachtet habe. |
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| All diese Gesichtspunkte für eine evtl. Nichtberücksichtigung der Entscheidung des Tribunal de Grande Instance de Grasse vom 3.12.2002 liegen hier nicht vor. Vielmehr hat das französische Gericht in einem vom Antragsteller selbst eingeleiteten, ordnungsgemäßen Verfahren nach Art. 242 ff. Code Civil nach einem gescheiterten Sühneversuch am 30.10.2002 durch Beschluss vom 3.12.2002 vorläufige Maßnahmen nach Art. 254 - 256 Code Civil angeordnet und diese Entscheidung in der Sache begründet. Unter anderem hat das Gericht - in Kenntnis des Vorwurfs der Kindesentführung - den gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes A. bei der Mutter (Antragsgegnerin) in Deutschland festgelegt, weil sie über mehr Verfügbarkeit für das Kind und über zufriedenstellendere Unterbringungsmöglichkeiten verfüge als der Antragsteller. Der Umstand, dass die Antragsgegnerin den Sohn A. in Deutschland zurückgehalten hatte, hat dieses Verfahren nicht beeinträchtigt. Denn beide Elternteile waren in der Verhandlung am 30.10.2002 anwesend und konnten vom Gericht persönlich angehört werden. Auch A. hielt sich zu diesem Zeitpunkt - beim Antragsteller - in Frankreich auf und hätte vom Gericht angehört werden können. Es gibt somit keinen Anlass, diese Entscheidung des Tribunal de Grande Instance de Grasse vom 3.12.2002 im vorliegenden Verfahren nicht zu beachten. |
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| Der Zweck des HKÜ, entführte oder zurückgehaltene Kinder möglichst schnell wieder in den Herkunftsstaat zurückzuführen und auf diese Weise auch eine Sorgerechtsentscheidung des zuständigen Gerichts am gewöhnlichen Aufenthaltsort des Kindes sicherzustellen, erfordert im vorliegenden Fall - entgegen der Auffassung des Antragstellers - eine Rückführung gerade nicht. Denn das zuständige Gericht in Frankreich hat bereits eine - wenn auch vorläufige - Entscheidung über den Aufenthalt des Kindes getroffen und die Antragsgegnerin hätte aufgrund dieser vorläufig vollstreckbaren, also wirksamen Entscheidung jederzeit die Möglichkeit, den Sohn A. nach einer Rückführung nach Frankreich wieder zu sich nach Deutschland zu nehmen. An dieser Rechtslage ändert auch der Umstand nichts, dass noch keine rechtskräftige Entscheidung über das Sorgerecht vorliegt. Ein solches sinnloses Hin- und Her-Verbringen des Kindes ist auch nicht durch den präventiven Zweck des HKÜ zu rechtfertigen. Vielmehr würde das Kind als bloßes Streitobjekt ohne Rücksicht auf seine Bedürfnisse behandelt und somit durch eine Rückgabeanordnung in eine gem. Art. 13 Abs. 1 lit. b HKÜ unzumutbare Lage gebracht werden (so auch OGH, Beschluß vom 15.4.1998, IPRax 2000, 141; Baetge, Haager Kindesentführungsübereinkommen, IPRax 2000, 146; Staudinger/Pirrung, BGB, Vorbem. zu Art. 19 EGBGB, Rn 684). |
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| Auch der Antragsteller stellt nicht in Abrede, dass die Antragsgegnerin nach einer Rückführung des Sohnes nach Frankreich aufgrund der Entscheidung des französischen Gerichts berechtigt wäre, A. umgehend wieder mit zu sich nach Deutschland zu nehmen. Dies hat auch die entsprechende Handhabung der Parteien nach den in Frankreich erfolgten Umgangskontakten gezeigt. Soweit der Antragsgegner meint, eine unzumutbare Lage würde nicht durch die Anordnung der Rückgabe geschaffen, sondern erst durch eine "verantwortungslose" Entscheidung der Antragsgegnerin, seine sofortige Rückgabe nach Deutschland durchzusetzen, kann dem nicht gefolgt werden. Der Antragsteller verkennt insoweit, dass bereits eine Entscheidung eines französischen Gerichts über den Aufenthalt des Kindes vorliegt, die die Antragsgegnerin berechtigt und verpflichtet, den Sohn - weil er bei ihr seinen Aufenthalt hat - zu betreuen und zu erziehen und ihr die jederzeitige Rückkehr nach Deutschland mit dem Sohn ermöglicht. Eine Rückgabeanordnung würde daher - entgegen der Meinung des Antragstellers - nicht dazu führen, dass die Antragsgegnerin aufgrund des HKÜ faktisch gezwungen würde, für die nächsten Monate nach Frankreich zurückzukehren. Im Übrigen würde die Hin- und Rückführung das Kind nicht in eine belastende Situation bringen, wie die bereits erfolgten Umgangskontakte in Frankreich gezeigt haben. Der Vorgang wäre lediglich als solcher sinnlos und damit nicht zumutbar. |
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| Soweit der Antragsteller schließlich noch erwägt, eine Rückgabeanordnung nach dem HKÜ könne auf eine - für den Vater positive - Sorgerechtsentscheidung in Frankreich Einfluss haben, liegt dies außerhalb des Zwecks des HKÜ. Die Entscheidung über den gewöhnlichen Aufenthalt von A. im Rahmen einer Sorgerechtsentscheidung ist allein Sache des französischen Gerichts und es ist nicht Aufgabe des Senats, eine - wie der Antragsteller meint - "fehlerhafte" Entscheidung in Frankreich zu korrigieren. Der Senat geht daher auch nicht auf die Angriffe des Antragstellers gegen die - von ihm selbst herbeigeführte - Entscheidung des Tribunal de Grande Instance de Grasse vom 3.12.2002 ein. |
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| Die Kostenentscheidung beruht auf § 13 a Abs. 1 S. 2 FGG. |
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| Nach § 8 Abs. 2 S. 3 SorgeRÜbkAG findet eine weitere Beschwerde nicht statt. Die Erwägung des Senats im Termin über eine evtl. Zulassung der weiteren Beschwerde ist somit gegenstandslos. |
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