Oberlandesgericht Köln Urteil, 19. Sept. 2014 - 20 U 69/14
Gericht
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das am 2. April 2014 verkündete Urteil der 26. Zivilkammer des Landgerichts Köln ‑ 26 O 474/13 - wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn die Beklagte nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
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Gründe
2I.
3Der Kläger schloss mit der Beklagten eine kapitalbildende Lebensversicherung mit Versicherungsbeginn zum 1. Februar 1992 ab. Mit Schreiben vom 17. September 2008 teilte der Kläger der Beklagten mit, dass er wegen seiner Scheidung die Beiträge in Höhe von 131,94 € nicht mehr zahlen könne. Die Parteien einigten sich daraufhin auf eine Beitragssenkung auf 25,- € ab dem 1. November 2008. Der Kläger kündigte die Versicherung mit Schreiben vom 4. Dezember 2011. Die Beklagte erkannte die Kündigung mit Wirkung zum 1. Februar 2012 an und zahlte einen Betrag von 16.855,62 € an den Kläger. Mit Anwaltsschreiben vom 11. Juli 2013 erklärte der Kläger den „Widerspruch des Versicherungsvertrages gemäß § 8 VVG a.F.“.
4Mit der Klage verlangt der Kläger von der Beklagten die verzinsliche Rückerstattung der geleisteten Prämien abzüglich des ausgekehrten Betrags.
5Der Kläger hat den Erhalt einer Widerrufsbelehrung mit Nichtwissen bestritten. Jedenfalls fehle es an einer ordnungsgemäßen Belehrung, so dass das Widerrufsrecht fortbestehe. Ein Widerruf sei auch noch nach einer Kündigung möglich; zudem sei die Kündigung in einen Widerruf umzudeuten. Verwirkung liege nicht vor. Die fehlerhafte Belehrung führe schließlich auch zu einem Schadensersatzanspruch.
6Der Kläger hat beantragt,
7die Beklagte zu verurteilen,
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1. an ihn einen Betrag in Höhe von 35.656,72 € zu bezahlen zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit;
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2. ihm außergerichtliche Rechtsverfolgungskostgen in Höhe von 1.229,27 € zu bezahlen zzgl. Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit;
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3. ihn von Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.155,97 € freizustellen, die die Rechtsanwaltskanzlei F & L, Tstraße 19, C, ihm gegenüber hat, die aufgrund der außergerichtlichen Rechtsanwaltstätigkeit in Bezug auf die streitgegenständlichen Forderungen entstanden sind.
Die Beklagte hat beantragt,
13die Klage abzuweisen.
14Die Beklagte hat sich auf den Standpunkt gestellt, nach der Kündigung sei ein Widerruf nicht mehr möglich. Der Kläger habe eindeutig eine Kündigung ausgesprochen, die nicht in einen Widerruf ausgelegt werden könne.
15Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom 2. April 2014, auf das wegen der tatsächlichen Feststellungen Bezug genommen wird, abgewiesen
16Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers, mit der er seine erstinstanzlich gestellten Anträge in vollem Umfang weiterverfolgt. Der Kläger ist weiterhin der Auffassung, dass er auch noch nach Vertragsabwicklung infolge Kündigung zum Widerruf berechtigt ist. Die Kündigung sei in einen Widerruf umzudeuten. Jedenfalls sei die Beklagte zum Schadensersatz verpflichtet.
17Die Beklagte, die die Zurückweisung der Berufung beantragt, verteidigt das angefochtene Urteil.
18Wegen aller weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.
19II.
20Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg.
21Der Kläger hat keinen Anspruch auf verzinsliche Erstattung der von ihm auf den Versicherungsvertrag geleisteten Prämien abzüglich des ausgekehrten Rückkaufswerts. Der Kläger war nicht berechtigt, dem 1992 geschlossenen Vertrag gemäß § 8 Abs. 4 VVG in der bis 28. Juli 1994 gültigen Fassung noch im Jahr 2013 zu widersprechen. Nach § 8 Abs. 4 Satz 1 VVG a.F. stand dem Kläger als Versicherungsnehmer das Recht zu, die auf den Vertragsschluss gerichtete Willenserklärung binnen 10 Tagen ab Unterzeichnung des Versicherungsantrags schriftlich zu widerrufen. Diese Frist hat der Kläger nicht gewahrt. Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs beginnt die Widerrufsfrist allerdings erst mit einer ordnungsgemäßen Widerrufsbelehrung. (BGH, VersR 2013, 1513). Ob die hier vorliegende Belehrung, die sich ohne besondere drucktechnische Hervorhebung unter Ziff. 2 der Schlusserklärung zum Versicherungsantrag befindet (GA 30), ausreicht, bedarf keiner Entscheidung.
22Es kommt auch nicht darauf an, ob bei fortbestehendem Widerrufsrecht dessen Ausübung jedenfalls deshalb ausscheidet, weil der Widerruf erst nach vollständiger Leistungserbringung infolge der Kündigung erklärt worden ist (s. dazu aber die Hinweise in der Verfügung vom 21. Juli 2014) oder ob die Kündigung, wie der Kläger meint, in einen Widerruf auszulegen oder umzudeuten wäre.
23Das Widerrufsrecht bzw. etwaige aus einer fehlerhaften Belehrung folgende Ansprüche (s. dazu im Einzelnen das Senatsurteil vom 3. Februar 2012 - 20 U 140/11 -, in juris dokumentiert, Rz. 27) sind verwirkt.
24Ein Recht ist verwirkt, wenn der Berechtigte es über einen längeren Zeitraum hindurch nicht geltend gemacht hat, der Verpflichtete sich hierauf eingerichtet hat und sich auch darauf einrichten durfte, weil er nach dem Verhalten des Berechtigten annehmen konnte, dass er sein Recht nicht mehr geltend machen werde (vgl. etwa BGHZ 84, 280, 281; BGH, NJW 2008, 2254; Palandt-Grüneberg, BGB, 73. Aufl., § 242, Rn. 87). Sinn und Zweck des zeitlich befristeten Widerrufsrechts nach § 8 Abs. 4 VVG a.F. war es, dem Versicherungsnehmer eine Überlegungsfrist einzuräumen und es ihm zu ermöglichen, sich von einem ggf. übereilt getroffenen Entschluss, sich vertraglich gegenüber einem Versicherer zu binden, ohne Angabe von Gründen wieder lösen zu können. Im Ansatz zutreffend mag sein, dass einer Verwirkung die wegen fehlender oder unzutreffender Belehrung mangelnde Kenntnis vom Widerrufsrecht entgegenstehen kann (vgl. BGH, VersR 2014, 817). Dies aber ist nur ein Element im Rahmen der Gesamtwürdigung aller Umstände. Entscheidend ist der Zweck des Widerrufsrechts, dem Versicherungsnehmer, der sich möglicherweise voreilig zu einem Vertragsabschluss entschieden hat, eine rechtliche Handhabe zu geben, um den Vertrag nicht fortsetzen zu müssen. Dieser Zweck verblasst im Laufe der Zeit und tritt dann in den Hintergrund, wenn der Versicherungsnehmer den abgeschlossenen Vertrag über viele Jahre hinweg fortführt und so zu erkennen gibt, dass er am Vertrag festhalten will. Vorliegend hat der Kläger seinen dahingehenden Willen nicht nur durch die laufenden Beitragszahlungen, sondern vor allem dadurch in besonderer Weise bestätigt, dass er 2008 um eine Beitragsreduzierung gebeten hat, die ihm von der Beklagten auch gewährt worden ist. Dadurch hat er seinen Vertragsbindungswillen deutlich dokumentiert. Bei dieser Sachlage hält der Senat unter Einbeziehung des Umstandes, dass der Vertrag fast 20 Jahre lang durchgeführt worden ist, ein Widerrufsrecht für verwirkt. Der Frage, ob Verwirkung anzunehmen ist, kommt auch keine rechtsgrundsätzliche Bedeutung zu, denn es sind stets die Umstände des Einzelfalls maßgebend. Dass auch ein einem Verbraucher eingeräumtes Widerrufsrecht unter besonderen Umständen als verwirkt angesehen werden kann, entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, NJW-RR 2005, 180, Rz. 23/24; vgl. zu allem auch die Senatsbeschlüsse vom 27. Januar 2014 und vom 9. April 2014 in der Sache 20 U 192/13).
25Indem der Kläger nach Vertragsbeginn über mehr als 19 Jahre die vereinbarten Prämien gezahlt und zudem 2008 um eine Beitragsreduzierung nachgesucht hat, hat er der Beklagten klar zu erkennen gegeben, dass er am Vertrag festhalten will; hierauf konnte und durfte die Beklagte sich einrichten. Unter diesen Umständen hat der Kläger ein etwa seit 1992 noch fortbestehendes Widerrufsrecht sowie etwaige aus einer fehlerhaften Belehrung über dieses Recht folgende Schadensersatzansprüche verwirkt.
26Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
27Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.
28Berufungsstreitwert: 35.656,72 €
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(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.
(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.
(3) (weggefallen)