Oberlandesgericht Köln Urteil, 06. Dez. 2013 - 20 U 144/13
Gericht
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das am 15. Juli 2013 verkündete Urteil der 26. Zivilkammer des Landgerichts Köln ‑ 26 O 252/12 - wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn die Beklagte nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Die Revision wird zugelassen.
1
Gründe
2I.
3Der Kläger schloss bei der Beklagten eine fondsgebundene Lebensversicherung mit Versicherungsbeginn zum 1. Dezember 2004 ab. Er kündigte die Versicherung zum 1. Januar 2011. Daraufhin zahlte die Beklagte einen Rückkaufswert von 8.625,64 € (GA 60) aus. Mit Anwaltsschreiben vom 15. Februar 2012 erklärte der Kläger den Widerspruch nach § 5a VVG.
4Mit der Klage verlangt der Kläger von der Beklagten die verzinsliche Rückerstattung der geleisteten Prämien (16.500,- €) abzüglich des ausgekehrten Rückkaufswerts.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, er sei berechtigt gewesen, dem Vertragsschluss noch im Jahr 2012 gemäß § 5 a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. zu widersprechen. Er hat bestritten, dass ihm die allgemeinen Versicherungsbedingungen vor der Antragstellung übermittelt worden seien. Ihm sei nicht erinnerlich, zu irgendeinem Zeitpunkt über das Widerspruchsrecht belehrt worden zu sein. Er könne nicht mehr sicher sagen, „dass sie die Unterlagen erhalten hat; sie kann dies auch nicht ausschließen“ (GA 12). Der Kläger hat die Auffassung vertreten, das in § 5 a VVG a.F. normierte Policenmodell verstoße gegen europäisches Gemeinschaftsrecht. Er hat seinen Anspruch ferner auf eine Verletzung vorvertraglicher Beratungs- und Informationspflichten (auch über nicht offen gelegte Kick-back-Zahlungen) sowie auf eine fehlerhafte Kapitalanlageberatung gestützt und ein Widerrufsrecht wegen vereinbarter unterjähriger Zahlung der Beiträge gegen Zuschlag geltend gemacht.
5
Der Kläger hat beantragt,
61. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 11.724,21 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 8. März 2012 zu zahlen;
72. die Beklagte zu verurteilen, an ihn außergerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 1.213,09 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 8. März 2012 zu zahlen;
8Die Beklagte hat beantragt,
9die Klage abzuweisen.
10Die Beklagte hat behauptet, der Kläger habe den Versicherungsschein und mit dessen Übersendung die notwendigen Vertragsunterlagen erhalten.
11Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom 15. Juli 2013, auf das wegen der tatsächlichen Feststellungen Bezug genommen wird, abgewiesen.
12Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers, mit der er seine erstinstanzlich gestellten Anträge in vollem Umfang weiterverfolgt. Er hält die Widerspruchsbelehrung für fehlerhaft. Er habe „mit Schriftsatz“ (GA 128) vorgetragen, ihm seien die Verbraucherinformationen weder bei noch nach Vertragsschluss übersandt worden. § 5a VVG a.F. hält der Kläger weiterhin für europarechtswidrig. Der Vortrag zum Widerrufsrecht nach verbraucherkreditrechtlichen Vorschriften werde „einstweilen nicht aufrechterhalten“; gleichwohl möge „ das erkennende Gericht dies abschließend würdigen“.
13Die Beklagte, die die Zurückweisung der Berufung beantragt, verteidigt das angefochtene Urteil.
14Wegen aller weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.
15II.
16Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg.
17Der Kläger hat keinen Anspruch auf verzinsliche Erstattung der von ihm auf den Versicherungsvertrag geleisteten Prämien abzüglich des ausgekehrten Rückkaufswerts gemäß § 812 Abs. 1 BGB. Der Versicherungsvertrag ist auf der Grundlage des Policenmodells gemäß § 5 a Abs. 1 VVG a.F. wirksam mit Versicherungsbeginn zum 1. Dezember 2004 zustande gekommen. Der Kläger hat dem Vertragsschluss nicht binnen der vorliegend maßgebenden Frist von 30 Tagen nach Überlassung des Versicherungsscheins, der Versicherungsbedingungen und der Verbraucherinformationen widersprochen (§ 5 a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F.). Der erst mit Anwaltsschreiben vom 15. Februar 2012 erklärte Widerspruch war verfristet.
18Nach § 5 a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. beginnt der Lauf der Frist erst, wenn dem Versicherungsnehmer der Versicherungsschein und die Unterlagen nach Absatz 1 (Versicherungsbedingungen und Verbraucherinformationen nach § 10 a VAG) vollständig vorliegen und der Versicherungsnehmer bei Aushändigung des Versicherungsscheins schriftlich, in drucktechnisch deutlicher Form über das Widerspruchsrecht, den Fristbeginn und die Dauer belehrt worden ist.
19Dass dem Kläger die Versicherungsbedingungen und die Verbraucherinformationen gemäß § 10 a VAG mit dem Versicherungsschein übersandt wurden, ist prozessual als unstreitig zu behandeln. Der Kläger hat den Erhalt der Unterlagen unter Hinweis auf seine mangelnde Erinnerung der Sache nach mit Nichtwissen bestritten. Gemäß § 138 Abs. 4 ZPO ist es einer Partei grundsätzlich verwehrt, eigene Handlungen und Wahrnehmungen mit Nichtwissen zu bestreiten. Nur ausnahmsweise darf sich in Abweichung hiervon eine Partei auch zu eigenen Handlungen und Wahrnehmungen mit Nichtwissen erklären, wenn nach der Lebenserfahrung glaubhaft ist, dass sie sich hieran nicht mehr erinnert (BGH NJW-RR 2002, 612, 613; ebenso aus jüngerer Zeit OLG Brandenburg, Urt. v. 21. Dezember 2012 - 11 U 40/12 -, juris-Rz. 14; OLG Hamm, VersR 2012, 745; OLG Celle, Urt. v. 9. Februar 2012 - 8 U 191/11 -, juris-Rz. 34; OLG München, Urt. v. 25. September 2012 - 25 U 1828/12 -, juris-Rz. 11). Die bloße Behauptung, sich nicht erinnern zu können, reicht indes nicht aus (so bereits BGH NJW 1995, 130). Vorliegend ist mit keinem Wort näher dargelegt, ob und in welcher Weise sich der Kläger konkret bemüht hat, seine Erinnerung aufzufrischen bzw. aus welchen Gründen ihm dies nicht möglich war (vgl. zu einer insoweit bestehenden Obliegenheit: OLG Brandenburg, aaO). Vielmehr erschöpft sich auch der zweitinstanzliche Vortrag in allgemeinen, ersichtlich nicht konkret fallbezogenen Ausführungen.
20Die Widerspruchsbelehrung, die in dem 2-seitigen Policenbegleitschreiben vom 20. Dezember 2004 (Anlage B 2) enthalten ist, ist formal und inhaltlich nicht zu beanstanden. Sie lautet:
21Der Versicherungsvertrag gilt auf der Grundlage des Versicherungsscheines, insbesondere der Versicherungsbedingungen, als abgeschlossen, wenn Sie nicht innerhalb von 30 Tagen nach Überlassung der Unterlagen in Textform widersprechen. Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerspruchs.
22Im Einklang mit den gesetzlichen Vorgaben macht die Belehrung dem Versicherungsnehmer noch ausreichend deutlich, welche Unterlagen ihm vorliegen müssen, damit die Widerspruchsfrist beginnt. Allerdings erwähnt die Belehrung nicht ausdrücklich, dass dem Versicherungsnehmer neben dem Versicherungsschein und den Versicherungsbedingungen auch die Verbraucherinformationen vorliegen müssen, damit die Frist des § 5 a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. beginnt. Der Senat hält dies aber für unschädlich. Die Belehrung stellt klar, dass die Widerspruchsfrist erst nach „Überlassung der Unterlagen“ beginnt. Damit ist verdeutlicht, dass weder alleine die Überlassung des Versicherungsscheins noch die Überlassung der Versicherungsbedingungen ausreichen, um die Frist in Gang zu setzen, sondern dass es vielmehr noch der Überlassung weiterer Unterlagen bedarf. Welche Unterlagen dies sind, erschließt sich dem Versicherungsnehmer aber ohne weiteres aus dem weiteren Text des Policenbegleitschreibens, auf das die Belehrung mit der Formulierung „Überlassung der Unterlagen“ ersichtlich Bezug nimmt. In dem Policenbegleitschreiben heißt es einleitend:
23„wir überreichen Ihnen als Anlage die Unterlagen zu der abgeschlossenen
24H Variable Fondspolice.“
25Bei diesen Unterlagen handelt es sich im wesentlichen um den Versicherungsschein, die Versicherungsbedingungen und die Verbraucherinformationen (vgl. Anlage B 4). Die Belehrung macht dem Versicherungsnehmer mithin unter Einbeziehung des Gesamtinhaltes des Policenbegleitschreibens noch hinreichend klar, dass der Lauf der Widerspruchsfrist auch die Überlassung der Verbraucherinformationen voraussetzt.
26Die Belehrung ist auch in drucktechnisch deutlicher Form erfolgt. Dies fordert ausreichende Lesbarkeit und setzt die Verwendung einer hinreichend großen Schrift voraus (vgl. BGH, NJW 2011, 1061). Darüber hinaus muss sich der Belehrungstext in einer nicht zu übersehenden Weise (etwa durch farbliche Gestaltung, größere Buchstaben, Sperrschrift oder Fettdruck) aus dem übrigen Text hervorheben (vgl. BGH, NJW 2009, 3060). Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Die Widerspruchsbelehrung ist in dem lediglich 2 Seiten umfassenden Policenbegleitschreiben durch Fettdruck und Unterstreichung vom sonstigen Text, der sonst keine fettgedruckten Abschnitte enthält, deutlich abgehoben. Er stellt überdies den letzten Absatz des Schreibens dar und befindet sich unmittelbar unter der Unterschrift der für die Beklagte handelnden Personen. Damit ist entgegen der Auffassung des Klägers gewährleistet, dass die Belehrung nicht übersehen wird.
27Da die Beklagte den Kläger mithin über sein Widerspruchsrecht wirksam belehrt und ihm die notwendigen Vertragsunterlagen mit Zusendung der Versicherungsscheins überlassen hat, hätte der Kläger das Widerspruchsrecht innerhalb von 30 Tagen nach Zugang der Unterlagen ausüben müssen, was vorliegend nicht geschehen ist.
28§ 5 a Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Abs. 2 S. 1 VVG a.F. steht im Einklang mit europäischem Recht. Diese Gesetzesbestimmungen stellen sich insbesondere nicht als fehlerhafte Umsetzung der Bestimmungen in Art. 31 Abs. 1 in Verbindung mit Anhang II Buchstabe A der Richtlinie 92/96 EWG des Rates vom 10. November 1992 bzw. Art. 36 Abs. 1 in Verbindung mit Anhang III Buchstabe A der die erstgenannte Richtlinie ablösenden Richtlinie 2002/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. November 2002 dar.
29Die Richtlinienbestimmungen führen aus: „Vor Abschluss des Versicherungsvertrages sind dem Versicherungsnehmer mindestens die in Anhang .. (II nach Art. 31 Abs. 1 der Richtlinie 92/96 EWG bzw. III nach Art. 36 Abs. 1 der Richtlinie 2002/83/EG) Buchstabe A aufgeführten Angaben mitzuteilen.“ In dem jeweils genannten Anhang werden sodann die erforderlichen Angaben im Einzelnen aufgeführt.
30Diesen Anforderungen wird § 5 a Abs. 1, Abs. 2 S. 1 VVG a.F. inhaltlich gerecht. Soweit er die Übermittlung der Verbraucherinformation nach § 10 a Abs. 1 VAG a.F., in dem die Angaben aus den Anhängen der Richtlinien übernommen worden sind, nicht zwingend bis zur Antragstellung verlangt, bleibt der Vertrag bis zum Ablauf einer vierzehntägigen Widerspruchsfrist nach Überlassung der Unterlagen schwebend unwirksam (vgl. dazu Senat, VersR 2011, 245 und 248 sowie RuS 2011, 216; OLG Düsseldorf VersR 2001, 837 ff.; OLG Frankfurt, VersR 2005, 631 ff.). Diese rechtliche Konstruktion gewährleistet, dass eine vertragliche Bindung des Versicherungsnehmers richtlinienkonform erst nach der gebotenen Verbraucherinformation eintritt (Senat, aaO).
31Die Ausführungen der Generalanwältin T in ihren Schlussanträgen vom 11. Juli 2013 in der Rechtssache C-209/12, die sich ‑ über die Frage des Vorlagebeschlusses des Bundesgerichtshofs vom 28. März 2012 (IV ZR 76/11, VersR 2012, 608) hinaus – in der Sache auch mit der Europarechtskonformität des Policenmodells als solchem beschäftigen, geben dem Senat keinen Anlass, von seiner bisherigen Auffassung, wonach das Policenmodell als solches mit europäischem Recht in Einklang steht, abzuweichen.
32Soweit es eine mögliche Europarechtswidrigkeit in Bezug auf Art. 31 der Dritten Lebensversicherungsrichtlinie (Richtlinie 92/96/EWG vom 10. November 1992) angeht, bleibt es bei den im vorgenannten Hinweisbeschluss angeführten Erwägungen. Die Generalanwältin dürfte zwar (anders als die Europäische Kommission in ihrer Stellungnahme vom 12. Oktober 2006 im Vertragsverletzungsverfahren 2007/5046) die Konstruktion einer schwebenden Vertragsunwirksamkeit bis zum Ablauf der wirksam in Gang gesetzten Widerspruchsfrist, die dem Policenmodell des § 5a Abs. 1 VVG a.F. zugrunde liegt, erkannt haben (Schlussanträge Ziff. 28). Sie argumentiert indes, die nach der Richtlinie erforderlichen Informationen müssten vor der Wahl eines bestimmten Versicherers und eines bestimmten Vertrags erfolgen (Ziff. 59), also letztlich vor der Abgabe eines konkreten Angebots des Versicherungsnehmers auf Abschluss eines Lebensversicherungsvertrags (vgl. Ziff. 62). Hergeleitet wird dies aus dem Zweck der Mitteilungspflicht, den Versicherungsnehmer in die Lage zu versetzen, den seinen Bedürfnissen am ehesten entsprechenden Vertrag auszuwählen (Ziff. 59). Dies wird gestützt auf den 23. Erwägungsgrund der Dritten Lebensversicherungsrichtlinie, der lautet:
33Im Rahmen eines einheitlichen Versicherungsmarkts wird dem Verbraucher eine größere und weiter gefächerte Auswahl von Verträgen zur Verfügung stehen. Um diese Vielfalt und den verstärkten Wettbewerb voll zu nutzen, muß er im Besitz der notwendigen Informationen sein, um den seinen Bedürfnissen am ehesten entsprechenden Vertrag auszuwählen. Da die Dauer der Verpflichtungen sehr lang sein kann, ist diese Information für den Verbraucher noch wichtiger. Folglich sind die Mindestvorschriften zu koordinieren, damit er klare und genaue Angaben über die wesentlichen Merkmale der ihm angebotenen Produkte und über die Stellen erhält, an die etwaige Beschwerden der Versicherungsnehmer, Versicherten oder Begünstigten des Vertrages zu richten sind.
34Aus der Formulierung in Satz 2 des 23. Erwägungsgrundes („…Vertrag auszuwählen“) kann aber nicht zwingend hergeleitet werden, dass die notwendigen Informationen erfolgen müssen, bevor der Versicherungsnehmer eine ihn wegen des Widerspruchsrechts gemäß § 5a Abs. 1 VVG a.F. noch nicht bindende Vertragserklärung abgegeben hat. Demgemäß heißt es in Art. 31 Absatz 1 der Dritten Lebensversicherungsrichtlinie auch nicht, dass die erforderlichen Informationen vor Abgabe einer auf einen Vertragsschluss gerichteten Willenserklärung, sondern „vor Abschluss des Versicherungsvertrags“ zu erfolgen haben. Daraus muss gefolgert werden, dass dem Zweck der Informationspflicht auch dann genügt ist, wenn die Informationen erfolgen, bevor für den Versicherungsnehmer eine vertragliche Bindung eingetreten ist. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Entscheidung des EFTA-Gerichtshofs vom 13. Juni 2013 in der Rechtssache E-11/12. Dort ist lediglich ausgeführt, Ziel der Dritten Lebensversicherungsrichtline sei es, den Verbraucher dadurch zu schützen, dass dieser im Besitz der notwendigen Informationen ist, wenn er seine Wahl trifft (Ziff. 62 der Entscheidungsgründe). Diese Wahl kann der Versicherungsnehmer beim Vertragsschluss nach dem Policenmodell durch die Ausübung des Widerspruchsrechts, das keiner näheren Begründung bedarf, ausüben.
35Das Policenmodell steht auch im Einklang mit Art. 15 der Zweiten Lebensversicherungsrichtlinie (Richtlinie 90/619/EWG vom 8. November 1990). Nach Abs. 1 des Art. 15 der Zweiten Lebensversicherungsrichtlinie muss einem Versicherungsnehmer bei einem Lebensversicherungsvertrag von dem Zeitpunkt an, zu dem er davon in Kenntnis gesetzt wird, dass der Vertrag geschlossen ist, eine Frist zwischen 14 und 30 Tagen eingeräumt werden, um vom Vertrag zurücktreten zu können. Den Ausführungen der Generalanwältin dürfte zu entnehmen sein, dass sie die Auffassung vertritt, Art. 15 Absatz 1 verlange, dass das Rücktrittsrecht zu einem Zeitpunkt zu gewähren ist, zu dem der Vertrag bereits für beide Teile bindend geschlossen worden ist (s. Ziff. 60 der Schlussanträge: „Es liegt auf der Hand, dass ein Rücktritt von einem Vertrag, der noch nicht geschlossen ist, weil kein Angebot und keine Annahme vorliegen, die zu einer Vereinbarung der Parteien mit bindenden Vertragsbedingungen führen, nicht möglich ist.“).
36Nach nationalem Recht hat der Versicherungsnehmer bei einem Vertragsabschluss nach dem Policenmodell kein Rücktrittsrecht. Dieses wird nach der ausdrücklichen Regelung in § 8 Abs. 6 VVG a.F. durch das Widerspruchsrecht nach § 5a VVG a.F. ersetzt. Die Generalanwältin scheint demgegenüber verlangen zu wollen, dass dem Versicherungsnehmer bei der Konstruktion des Vertragsabschlusses nach dem Policenmodell ein Rücktrittsrecht einzuräumen ist, wenn der Vertrag mit Ablauf der Widerspruchsfrist bindend geworden ist (so Ziff. 63 und 64).
37Art. 15 Absatz 1 Zweite Richtlinie Leben geht davon aus, dass die Rücktrittsfrist beginnt, wenn der Versicherungsnehmer davon in Kenntnis gesetzt wird, „dass der Vertrag geschlossen ist“. Damit muss aber nicht zwingend ein für beide Seiten uneingeschränkt bindender Vertrag gemeint sein Die vom deutschen Gesetzgeber gewählte Konstruktion der schwebenden Unwirksamkeit des Vertrags bis zum Ablauf der Widerspruchsfrist bei Abschluss nach dem Policenmodell bedeutet nicht, dass der Vertrag bis zum Ablauf der Frist ohne jegliche Bindung ist. Auch ein schwebend unwirksamer Vertrag entfaltet eine Bindungswirkung: Insbesondere kann sich der andere Vertragspartner (vorliegend die Versicherung) nicht einseitig vom Vertrag lösen (vgl. zur Bindungswirkung bei schwebender Unwirksamkeit: Staudinger-Knothe, Neubearbeitung 2011, § 108 BGB, Rn. 3). Wenn die Versicherung beim Vertragsschluss nach dem Policenmodell den Versicherungsschein nebst den erforderlichen Unterlagen und der Belehrung über das Widerspruchsrecht übersendet, dann lässt sich das durchaus als Mitteilung, dass damit der Vertrag geschlossen ist, deuten (so auch OLG München, Urt. v. 10. Oktober 2013 – 14 U 1804/13 -, juris-Rz. 40). Aus Art. 15 Abs. 1 der Zweiten Lebensversicherungsrichtlinie lässt sich nicht herleiten, dass dem Versicherungsnehmer bei Abschluss nach dem Policenmodell zwei Lösungsrechte zugebilligt werden müssen (nämlich ein Widerspruchsrecht und anschließend noch ein Rücktrittsrecht). Auch bei Vertragsschluss nach dem Policenmodell hat der Versicherungsnehmer die Möglichkeit, sich innerhalb der Frist, die Art. 15 Absatz 1 der Zweiten Lebensversicherungsrichtlinie vorschreibt, vom Versicherungsvertrag zu lösen, indem er den Widerspruch erklärt. Dass diese Erklärung nach der Konstruktion des Policenmodells bewirkt, dass der Vertrag als von vornherein nicht zustande gekommen anzusehen ist, begünstigt den Versicherungsnehmer sogar, weil das europarechtliche Rücktrittsrecht eine solche Rückwirkung nicht notwendig entfalten muss, denn die Rechtswirkungen des Rücktritts beschreibt Art. 15 Abs. 1 Satz 2 der Zweiten Lebensversicherungsrichtlinie dahin, dass der Versicherungsnehmer für die Zukunft von allen aus dem Vertrag resultierenden Verpflichtungen befreit ist.
38Nach allem hält der Senat das Policenmodell als solches weiterhin für europarechtskonform. Welche Folgen sich aus einer etwaigen Europarechtswidrigkeit des Policenmodells bzw. der Regelung über die Jahresfrist des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. für die Anwendung des nationalen Rechts ergeben würden, bedarf keiner abschließenden Erörterung (vgl. dazu OLG München, aaO). Allerdings könnte in dem hier gegebenen Fall, in dem der Widerspruch erst nach Kündigung und Abwicklung des Vertrags erklärt wird, zu erwägen sein, ob das Widerspruchsrecht selbst bei unterstellter Europarechtswidrigkeit des Policenmodells jedenfalls dann erlischt, wenn die beiderseitigen Leistungen vollständig erbracht worden sind. Es liegt nicht fern, die insoweit vom Bundesgerichtshof entwickelten Grundsätze zum Widerrufsrecht nach § 8 Abs. 4 VVG in der Fassung des Gesetzes vom 17. Dezember 1990 (Urt. v. 16. Oktober 2013 - IV 52/12 -) auf die vorliegende Fallkonstellation zu übertragen.
39Ein Widerrufsrecht nach verbraucherkreditrechtlichen Vorschriften steht dem Kläger nicht zu. Der Bundesgerichtshof hat inzwischen zutreffend entschieden, dass eine vertraglich vereinbarte unterjährige Zahlungsweise von Versicherungsprämien keine Kreditgewährung in Form eines entgeltlichen Zahlungsaufschubs darstellt (VersR 2013, 341).
40Der Senat lässt die Revision zu. Ob das Policenmodell als solches europarechtskonform ist, dürfte sich unter Berücksichtigung der Äußerungen der Generalanwältin T nunmehr als eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung darstellen. Mit Blick auf die Revisionszulassung sieht der Senat von einer Vorlage an den Europäischen Gerichtshof ab (vgl. Art. 267 AEUV).
41Berufungsstreitwert: 11.724,21 €
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Annotations
(1) Wer durch die Leistung eines anderen oder in sonstiger Weise auf dessen Kosten etwas ohne rechtlichen Grund erlangt, ist ihm zur Herausgabe verpflichtet. Diese Verpflichtung besteht auch dann, wenn der rechtliche Grund später wegfällt oder der mit einer Leistung nach dem Inhalt des Rechtsgeschäfts bezweckte Erfolg nicht eintritt.
(2) Als Leistung gilt auch die durch Vertrag erfolgte Anerkennung des Bestehens oder des Nichtbestehens eines Schuldverhältnisses.
(1) Die Parteien haben ihre Erklärungen über tatsächliche Umstände vollständig und der Wahrheit gemäß abzugeben.
(2) Jede Partei hat sich über die von dem Gegner behaupteten Tatsachen zu erklären.
(3) Tatsachen, die nicht ausdrücklich bestritten werden, sind als zugestanden anzusehen, wenn nicht die Absicht, sie bestreiten zu wollen, aus den übrigen Erklärungen der Partei hervorgeht.
(4) Eine Erklärung mit Nichtwissen ist nur über Tatsachen zulässig, die weder eigene Handlungen der Partei noch Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung gewesen sind.
(1) Schließt der Minderjährige einen Vertrag ohne die erforderliche Einwilligung des gesetzlichen Vertreters, so hängt die Wirksamkeit des Vertrags von der Genehmigung des Vertreters ab.
(2) Fordert der andere Teil den Vertreter zur Erklärung über die Genehmigung auf, so kann die Erklärung nur ihm gegenüber erfolgen; eine vor der Aufforderung dem Minderjährigen gegenüber erklärte Genehmigung oder Verweigerung der Genehmigung wird unwirksam. Die Genehmigung kann nur bis zum Ablauf von zwei Wochen nach dem Empfang der Aufforderung erklärt werden; wird sie nicht erklärt, so gilt sie als verweigert.
(3) Ist der Minderjährige unbeschränkt geschäftsfähig geworden, so tritt seine Genehmigung an die Stelle der Genehmigung des Vertreters.