Landesarbeitsgericht Hamburg Urteil, 19. Mai 2016 - 8 Sa 2/16
Gericht
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 17.11.2015 (21 Ca 161/15) wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
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Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer Befristung.
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Die am ...1956 geborene Klägerin war seit dem 01.11.2010 – mit Ausnahme der jährlichen „großen“ Ferien – ohne Unterbrechung für die Beklagte als Lehrerin für das Fach „Darstellendes Spiel“ am G.-Gymnasium tätig. Der Beschäftigung lagen insgesamt 10 befristete Arbeitsverträge mit der Beklagten mit unterschiedlichen Anteilen einer Vollzeitkraft zugrunde. In keinem der Verträge war die Tätigkeit an einer bestimmten Schule vereinbart. Der letzte Arbeitsvertrag der Parteien (Anl. K10, Bl.18ff d.A.) datiert vom 10.07.2014 und sah eine Tätigkeit vom 19.08.2014 bis 15.07.2015 im Umfang von 50 % einer Vollzeitkraft und eine Eingruppierung in Entgeltgruppe 9 TV-L vor, was einem monatlichen Bruttogehalt von € 1.242,29 entspricht. In einem am 30.06.2014 vom stellvertretenden Schulleiter des G.-Gymnasiums ausgefüllten „Lehrauftrag“ (Anl. B2, Bl. 29 d.A.) ist als Unterrichtseinsatz die „Sekundarstufe II / Darstellendes Spiel/Theater“ vorgesehen. Als Begründung ist „Aufgaben von begrenzter Dauer“ angegeben. Unter Bemerkungen heißt es „Frau R. (Arbeitszeit 100%) geht in ein Sabbatjahr“.
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Während ihres Sabbatjahres wurde Frau R., die Bildende Kunst und Mathematik unterrichtet, in einem Wahlpflichtkurs des Jahrgangs 8 im Bereich „Bildende Kunst“ von Frau S. vertreten. Diese musste aufgrund dessen in einem Englischkurs (…) im Umfang von 6 Wochenstunden von Frau E. vertreten werden. Für Frau E. übernahm die Klägerin zwei Theater-Kurse in den Jahrgängen 12 und 13.
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Zwei weitere Kurse „Bildende Kunst“ von Frau R. in den Klassen 7.. und 5.. übernahm Frau E1, die aufgrund dessen in einem Französischkurs im Jahrgang 9 im Umfang von 5,8 Wochenstunden von Herrn T. vertreten werden musste. Die Klägerin übernahm deshalb für Herrn T. einen Theaterkurs im Jahrgang 13 im gleichen Umfang.
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Drei weitere Kunstkurse von Frau R. (7.., 7.. und …) übernahm Frau A., die deshalb in zwei Spanischkursen in den Jahrgängen 8 und 9 im Umfang von 5,8 bzw. 1,4 Stunden von Frau A1 vertreten werden musste. Die Klägerin hat dafür Frau A1 in 2 Theaterkursen (Thea … im Jahrgang 12 und Thea … im Jahrgang 11) vertreten.
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Mit ihrer am 08.04.2015 bei Gericht eingegangenen und der Beklagten am 20.04.2015 zugestellten Klage begehrt die Klägerin die Feststellung der Unwirksamkeit der Befristung und Weiterbeschäftigung. Es fehle an einem sachlichen Grund für die Befristung. Die wiederholte Tätigkeit im gleichen Fach an der gleichen Schule belege, dass dort ein dauerhafter Bedarf an der Tätigkeit der Klägerin bestehe.
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Die Klägerin hat beantragt,
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1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht aufgrund der am 19.08.2014 vereinbarten Befristung am 15.07.2015 beendet wird.
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2. Im Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 1 wird die Beklagte verurteilt, die Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Lehrerin weiter zu beschäftigen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hat die Ansicht vertreten, die Befristung sei gemäß § 14 I 2 Ziffer 3 gerechtfertigt. Es handele sich um einen Fall der mittelbaren Stellvertretung. Unter Einbeziehung einer Stunde „Funktionszeit“ ergäbe sich aus den Vertretungen exakt der Umfang der vertraglich geschuldeten Arbeitszeit der Klägerin.
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Das Arbeitsgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Die Befristung sei unwirksam, selbst wenn ein Vertretungsbedarf zu Gunsten der Beklagten unterstellt werde. Da die Klägerin nach ihrem Arbeitsvertrag an allen Hamburger Schulen eingesetzt werden könne, könne für den sachlichen Grund nicht auf eine einzelne Schule abgestellt werden. Im Übrigen sei die streitgegenständliche Befristung auch wegen institutionellen Rechtsmissbrauchs unwirksam. Wegen der Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichts (Bl. 54 – 60 d.A.) Bezug genommen.
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Gegen das am 17.11.2015 verkündete und der Beklagten am 16.12.2015 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 06.01.2016 Berufung eingelegt und diese – nach Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 16.03.2016 – am 11.03.2016 begründet.
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Die Beklagte meint, das Arbeitsgericht sei fehlerhaft von einem institutionellen Rechtsmissbrauch ausgegangen. Dabei habe es zu Unrecht nicht auf den letzten befristeten Vertrag abgestellt. Da dieser durch mittelbare Stellvertretung gerechtfertigt sei, komme es auf alles Übrige nicht an. Unabhängig davon überträfen weder die Gesamtdauer der Beschäftigung der Klägerin (4 ½ Jahre) noch die Anzahl der befristeten Verträge (10) die Grenzen des § 14 II TzBfG in so signifikanter Weise, dass von einem Missbrauch ausgegangen werden könne. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass nicht nur die letzte, sondern sämtliche Befristungen jeweils durch Vertretungsbedarfe gerechtfertigt gewesen seien.
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Die Beklagte beantragt,
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unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Hamburg vom 17.11.2015 (21 Ca 161/15) die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie verteidigt das angefochtene Urteil.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf das erstinstanzliche Urteil sowie die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
I.
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Das Arbeitsgericht ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die streitgegenständliche Befristung nicht beendet worden ist.
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1. Die Befristung gilt nicht bereits gemäß § 17 S. 2 TzBfG i.V.m. § 7 KSchG als wirksam, denn die Klägerin hat die am 15.07.2015 endende Befristung innerhalb von drei Wochen nach dem vereinbarten Ende durch Klage vor dem Arbeitsgericht angegriffen. Dass die Klage bereits vor dem vereinbarten Fristende erhoben worden ist, ist unschädlich (vgl. BAG v. 11.12.2005 – 7 AZR 541/04 – Tz 24 m.w.N.).
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2. Ob die streitgegenständliche Befristung wegen institutionellen Rechtsmissbrauchs unwirksam ist, wofür entgegen der von der Beklagten vertretenen Rechtsauffassung nicht nur auf die letzte Befristung, sondern auf eine Gesamtschau aller zwischen den Parteien vereinbarten befristeten Verträge abzustellen wäre (vgl. BAG v. 18.07.2012 – 7 AZR 783/10 – Tz 32), kann dahinstehen, denn nach Auffassung der Kammer ist die Befristung bereits deshalb unwirksam, weil die Beklagte versäumt hat, dem Vertrag vom 10.07.2014 bei seinem Abschluss die im vorliegenden Verfahren vorgetragene Vertretungskette gedanklich zuzuordnen.
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a) Nach ständiger Rechtsprechung des BAG liegt eine die Befristung gemäß § 14 I 2 Nr. 3 TzBfG sachlich rechtfertigende Vertretung nicht nur dann vor, wenn der Betroffene die Aufgaben eines vorübergehend abwesenden Arbeitnehmers übernimmt (sog. unmittelbare Vertretung, vgl. BAG v. 11.02.2015 – 7 AZR 113/13 – Tz 18). Anerkannt ist auch die mittelbare Stellvertretung, bei der die Aufgaben eines vorübergehend abwesenden Arbeitnehmers von einem oder mehreren anderen Arbeitnehmern übernommen werden, die – ggf. über eine weitere Vertretungskette – letztlich von dem befristet Beschäftigten übernommen werden (vgl. BAG, a.a.O. Tz 19). Voraussetzung für eine wirksame mittelbare Vertretung ist, dass der Arbeitgeber die Vertretungskette schlüssig darlegt (BAG v. 16.11.2013 – 7 AZR 96/12 – Tz 28). Ein und dieselbe Vertretungskette kann nur eine Befristung sachlich rechtfertigen.
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b) Das Bundesarbeitsgericht hat eine nach außen erkennbare gedankliche Zuordnung – soweit ersichtlich – bisher nur verlangt, wenn weder eine unmittelbare noch eine mittelbare Vertretung vorliegt, sondern der Arbeitgeber dem befristet Beschäftigten Aufgaben überträgt, die der vertretene nie ausgeübt hat, die ihm jedoch – im Falle seiner Anwesenheit – rechtlich und tatsächlich übertragen werden könnten (BAG v. 11.02.2015 – 7 AZR 113/13 – Tz 20). Die gedankliche Zuordnung dient der Verhinderung von Missbrauch. Durch die gedankliche Zuordnung sei der Arbeitgeber gehindert, die Befristung des Arbeitsvertrages mit einem anderen Arbeitnehmer, der die bisherigen Aufgaben der Stammkraft erledigen soll, auf den Sachgrund der Vertretung zu stützen. Er habe sich durch die gedankliche Zuordnung im Zeitpunkt des Vertragsschlusses festgelegt und könne den Ausfall der Stammkraft nicht mehr zur Begründung einer unmittelbaren oder mittelbaren Vertretung durch einen anderen Arbeitnehmer heranziehen (BAG, a.a.O. – Tz 21).
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c) Die Kammer ist der Meinung, dass eine solche Missbrauchsgefahr grundsätzlich auch im Falle mittelbarer Vertretungen besteht. Der Arbeitgeber kann auf die vorübergehende Abwesenheit einer Stammkraft in sehr flexibler Weise reagieren. Er kann die bisher von diesem Arbeitnehmer ausgeübten Tätigkeiten auf einen oder mehrere Arbeitnehmer verteilen und diese ggf. über mehrstufige Ketten vertreten lassen. Dabei ist er nicht verpflichtet, bei der Dauer der befristeten Verträge die Gesamtdauer der vorübergehenden Abwesenheit auszuschöpfen, sondern kann sich – ggf. auch mehrfach hintereinander – auf kürzere Zeiträume beschränken. Insbesondere bei Arbeitgebern, die eine Vielzahl von Arbeitnehmern beschäftigen, die sich ggf. gegenseitig vertreten können, ergibt sich daraus eine Vielzahl möglicher Vertretungsketten. Da erfahrungsgemäß nur ein geringer Anteil von Befristungen einer gerichtlichen Kontrolle zugeführt wird, besteht die Gefahr, dass in diesen Fällen erst nachträglich Vertretungsketten generiert werden. Dieser Missbrauchsgefahr kann in angemessener Weise begegnet werden kann, indem sich der Arbeitgeber im Prozess nur auf Vertretungsketten berufen kann, die er bei Vertragsschluss in nach außen erkennbarer Weise festgelegt hat.
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Der Einwand des instruierten Vertreters der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer, durch eine entsprechende Dokumentationspflicht würden die Schulleiter überfordert, da sie regelmäßig mit dem Befristungsrecht nicht vertraut seien, hält die Kammer nicht für überzeugend. Letztlich wird den Schulleitern nur die Dokumentation dessen auferlegt, was sie zur Prüfung, ob ein sachlicher Grund für eine Befristung vorliegt, ohnehin feststellen müssen.
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d) Im vorliegenden Fall hat die Beklagte die Befristungskette im Prozess schlüssig dargelegt. Der bei Vertragsschluss gefertigte Vermerk des stellvertretenden Schulleiters dokumentiert diese Vertretungskette jedoch nicht, sondern stellt nur deren Anfang dar, das Sabbatjahr einer Vollzeitkraft.
II.
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Die Pflicht zur Weiterbeschäftigung eines Arbeitnehmers ergibt sich nach dessen Obsiegen in einem Beendigungsrechtsstreit aus §§ 611, 242 BGB i.V.m. Art. 1 und 2 GG (vgl. BAG(GS) v. 27.02.1985 – GS 1/84 – Tz 49)
III.
IV.
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Annotations
Will der Arbeitnehmer geltend machen, dass die Befristung eines Arbeitsvertrages rechtsunwirksam ist, so muss er innerhalb von drei Wochen nach dem vereinbarten Ende des befristeten Arbeitsvertrages Klage beim Arbeitsgericht auf Feststellung erheben, dass das Arbeitsverhältnis auf Grund der Befristung nicht beendet ist. Die §§ 5 bis 7 des Kündigungsschutzgesetzes gelten entsprechend. Wird das Arbeitsverhältnis nach dem vereinbarten Ende fortgesetzt, so beginnt die Frist nach Satz 1 mit dem Zugang der schriftlichen Erklärung des Arbeitgebers, dass das Arbeitsverhältnis auf Grund der Befristung beendet sei.
Wird die Rechtsunwirksamkeit einer Kündigung nicht rechtzeitig geltend gemacht (§ 4 Satz 1, §§ 5 und 6), so gilt die Kündigung als von Anfang an rechtswirksam; ein vom Arbeitnehmer nach § 2 erklärter Vorbehalt erlischt.
Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.
(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.
(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.
(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.
(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.
(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.
(3) (weggefallen)