Bundesgerichtshof Urteil, 14. Okt. 2015 - IV ZR 359/13
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 6.065,99 € festgesetzt.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
- 1
- Die Klägerseite (Versicherungsnehmer: im Folgenden d. VN) begehrt von dem beklagten Versicherer (im Folgenden Versicherer) Rückzahlung geleisteter Versicherungsbeiträge einerRentenversicherung.
- 3
- D. VN zahlte von September 1996 bis Juni 2009 Prämien in Höhe von insgesamt 4.413,17 €. Im Mai 2001 verpfändete d. VN die Ansprüche aus der Rentenversicherung an eine Bausparkasse. Im Jahr 2005 nahm er ein Vorauszahlungsdarlehen in Höhe von 1.900 € in Anspruch und im Jahr 2008 beantragte er Freistellung von der Beitragszahlung. Mit Schreiben vom 24. Juni 2009 kündigte d. VN den Vertrag und der Versicherer zahlte den Rückkaufswert aus. Mit Schreiben vom April 2012 erklärte d. VN den Widerspruch nach § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F.
- 4
- Mit der Klage verlangt d. VN Rückzahlung aller auf den Vertrag geleisteten Beiträge nebst Zinsen abzüglich des bereits gezahlten Rückkaufswerts , insgesamt 6.065,99 €.
- 5
- Nach Auffassung d. VN ist der Versicherungsvertrag nicht wirksam zustande gekommen, weil d. VN nicht ordnungsgemäß über das Widerspruchsrecht belehrt wurde und das Policenmodell mit den Lebensversicherungsrichtlinien der Europäischen Union nicht vereinbar sei.
- 6
- Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht die hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt d. VN das Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe:
- 7
- Die Revision hat keinen Erfolg.
- 8
- I. Dieses hat einen Prämienrückerstattungsanspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung verneint. Der Versicherer habe zwar nicht ordnungsgemäß über das Widerspruchsrecht belehrt. Der Vertrag sei aber gemäß § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie endgültig wirksam geworden. Die Regelung des Policenmodells verstoße nicht gegen Europäische Richtlinien.
- 9
- II. Das hält rechtlicher Nachprüfung im Ergebnis stand.
- 11
- 1. Die Voraussetzungen für ein Zustandekommen des Versicherungsvertrages sind hier erfüllt. Nach den bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts erhielt d. VN mit dem Policenbegleitschreiben den Versicherungsschein, die Versicherungsbedingungen und die Verbraucherinformation. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts und der Revision ist auch die Widerspruchsbelehrung inhaltlich ordnungsgemäß; sie genügt den Anforderungen des § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. Für einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer ist deutlich ersichtlich, was mit den Verbraucherinformationen gemeint ist, auf die in der Widerspruchsbelehrung Bezug genommen wird. Deren Satz 1 lautet auszugsweise : "Der Vertrag gilt auf der Grundlage des Versicherungsscheins, der Versicherungsbedingungen und der Verbraucherinformationen als geschlossen, … ." Im Anschluss an die Widerspruchsbelehrung ist ver- merkt, dass dem Versicherungsschein die Vertragsunterlagen "E24 E30 E95" beigefügt sind. Zwar sind die Verbraucherinformationen nicht mit dieser Bezeichnung überschrieben, aus dem Zusammenhang mit der Anmerkung und den tatsächlich übersandten Unterlagen, von denen der Versicherungsschein und die Versicherungsbedingungen auch als solche bezeichnet sind, ergibt sich für einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer aber unmissverständlich, dass es sich bei der Anlage E95 um die Verbraucherinformationen handelt. Bis zum Ablauf der damit in Gang gesetzten 14-tägigen Widerspruchsfrist erklärte d. VN den Widerspruch nicht.
- 12
- 2. Ob solchermaßen nach dem Policenmodell geschlossene Versicherungsverträge wegen Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des § 5a VVG a.F. Wirksamkeitszweifeln unterliegen (vgl. dazu Senatsurteil vom 16. Juli 2014 - IV ZR 73/13, BGHZ 202, 102 Rn. 16 ff.; BVerfG VersR 2015, 693 Rn. 30 ff.), kann im Streitfall dahinstehen. Die von der Revision begehrte Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union scheidet bereits deshalb aus, weil es auf die Frage, ob das Policenmodell mit den genannten Richtlinien unvereinbar ist, hier nicht entscheidungserheblich ankommt. D. VN ist es auch im Falle einer unterstellten Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des Policenmodells nach Treu und Glauben wegen widersprüchlicher Rechtsausübung verwehrt, sich nach jahrelanger Durchführung des Vertrages auf dessen angebliche Unwirksamkeit zu berufen und daraus Bereicherungsansprüche herzuleiten. Die Treuwidrigkeit liegt darin, dass d. VN nach ordnungsgemäßer Belehrung über die Möglichkeit, den Vertrag ohne Nachteile nicht zustande kommen zu lassen , diesen jahrelang unter regelmäßiger Prämienzahlung durchführte und erst dann von dem Versicherer, der auf den Bestand des Vertrages vertrauen durfte, unter Berufung auf die behauptete Unwirksamkeit des Vertrages Rückzahlung aller Prämien verlangte (vgl. im Einzelnen zu den Maßstäben Senatsurteil vom 16. Juli 2014 aaO Rn. 32-42; BVerfG aaO Rn. 42 ff.). D. VN verhielt sich objektiv widersprüchlich. Die vertraglich eingeräumte und bekannt gemachte Widerspruchsfrist blieb bei Vertragsschluss 1996 ungenutzt. D. VN zahlte bis zur Kündigung im Juni 2009 mehr als 11 Jahre die Versicherungsprämien und ließ danach nochmals fast drei Jahre bis zur Erklärung des Widerspruchs vergehen. Die jahrelangen Prämienzahlungen des bereits im Jahre 1996 über die Möglichkeit, den Vertrag nicht zustande kommen zu lassen, belehrten VN und seine trotz dieser Belehrung zunächst nur für die Zukunft ausgesprochene Beendigung im Juni 2009 haben bei dem Versicherer ein schutzwürdiges Vertrauen in den Bestand des Vertrages für die Vergangenheit begründet. Dies gilt umso mehr als d. VN über die Versicherung auch verfügt hat, insbesondere verpfändete er seine Ansprüche aus der Rentenversicherung im Mai 2001 an eine Bausparkasse. Diese vertrauensbegründende Wirkung war für d. VN auch erkennbar.
- 13
- Die Frage einer möglichen Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union in einem Fall, in dem kein widersprüchliches Verhalten des Versicherungsnehmers festgestellt werden kann, stellt sich im Streitfall nicht.
Lehmann Dr. Brockmöller
Vorinstanzen:
LG Wiesbaden, Entscheidung vom 07.03.2013- 3 O 221/12 -
OLG Frankfurt am Main, Entscheidung vom 18.09.2013- 7 U 120/13 -
moreResultsText
moreResultsText
Annotations
(1) Die Parteien verhandeln über den Rechtsstreit vor dem erkennenden Gericht mündlich.
(2) Mit Zustimmung der Parteien, die nur bei einer wesentlichen Änderung der Prozesslage widerruflich ist, kann das Gericht eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung treffen. Es bestimmt alsbald den Zeitpunkt, bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden können, und den Termin zur Verkündung der Entscheidung. Eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ist unzulässig, wenn seit der Zustimmung der Parteien mehr als drei Monate verstrichen sind.
(3) Ist nur noch über die Kosten oder Nebenforderungen zu entscheiden, kann die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ergehen.
(4) Entscheidungen des Gerichts, die nicht Urteile sind, können ohne mündliche Verhandlung ergehen, soweit nichts anderes bestimmt ist.