Bundesgerichtshof Beschluss, 31. Mai 2016 - VI ZR 139/15
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 31. Mai 2016 durch den Vorsitzenden Richter Galke, die Richter Wellner und Stöhr, die Richterinnen von Pentz und Dr. Oehler
beschlossen:
2. Die Anhörungsrüge der Beklagten zu 1 vom 15. Februar 2016 gegen das Urteil des Senats vom 8. Dezember 2015 wird auf Kosten der Beklagten zu 1 zurückgewiesen.
Gründe:
I.
- 1
- Mit dem beanstandeten Urteil vom 8. Dezember 2015 hat der Senat die Revision der Beklagten zu 2 gegen das Urteil des 15. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 21. Januar 2015 zurückgewiesen und die Revision der Beklagten zu 1 gegen das vorbezeichnete Urteil als unzulässig verworfen. Das Berufungsgericht hat die Revision nur für die Beklagte zu 2 zugelassen. Das Urteil des Berufungsgerichts ist der Beklagten am 27. Januar 2015 zugestellt worden. Mit Schriftsatz vom 17. Februar 2015, bei Gericht eingegangen am 18. Februar 2015, hat die Prozessbevollmächtigte der Beklagten namens und im Auftrag der Beklagten zu 2 gegen das Berufungsurteil die - zugelassene - Revision eingelegt und namens der Beklagten zu 1 gegen die Nichtzulassung der Revision im Berufungsurteil Nichtzulassungsbeschwerde erhoben.
- 2
- Mit Schriftsatz vom 27. Mai 2015 hat sie beantragt, 1. die Revision - auch der Erstbeklagten - gegen das Berufungsurteil zuzulassen , 2. auf die Revisionen der Beklagten das Berufungsurteil aufzuheben und nach den Schlussanträgen II. Instanz zu erkennen, hilfsweise das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
- 3
- In der Verhandlung vom 8. Dezember 2015 hat der Vorsitzende des Senats im Protokoll festgestellt, dass die Formalien geprüft seien und Beanstandungen sich nicht ergeben hätten. Die Prozessbevollmächtigte der Revisionskläger stellte - abweichend von ihrem angekündigten Antrag - zunächst den Antrag zu 2 und hilfsweise den Antrag zu 1 aus dem Schriftsatz vom 27. Mai 2015. Danach zog sich der Senat zur Beratung zurück. Nach Beratung über die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten zu 1 hat der Senat diese auf Kosten der Beklagten zu 1 zurückgewiesen. Dieser Beschluss ist der Prozessbevollmächtigten am 8. Januar 2016 zugestellt worden. Nach weiterer Beratung hat der Senat am 8. Dezember 2015 das beanstandete Urteil verkündet, das der Prozessbevollmächtigten am 2. Februar 2016 zugestellt worden ist.
- 4
- Die Prozessbevollmächtigte der Beklagten hat mit Schriftsatz vom 15. Februar 2016, bei Gericht eingegangen am 16. Februar 2016, beantragt, 1. den Tatbestand des Senatsurteils im am Rand mit der Ziffer 4 gekennzeichneten Absatz, der in der zugestellten Urteilsausfertigung auf Seite 4 abgedruckt ist, wie nachfolgend ausgeführt zu berichtigen und 2. auf die Anhörungsrüge der Erstbeklagten das Verfahren fortzusetzen und über deren in der Revisionsverhandlung gestellten Revisionsantrag aus dem Schriftsatz vom 27. Mai 2015 in der Sache zu entscheiden.
- 5
- Der Tatbestand des Urteils verfälsche und verschweige entscheidungserhebliche Tatsachen. Korrekt und vollständig müsse es dort heißen: "Das Oberlandesgericht hat die Berufungen der Beklagten zurückgewiesen ; die Revision der Beklagten zu 2 hat es zugelassen, die Revision der Beklagten zu 1 nicht. Dagegen richten sich die unter Vorlage des Urteils, gegen das Revision eingelegt werden sollte, eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten zu 1, mit der sie Zulassung der Revision auch zu ihren Gunsten erstrebt, und die - die Beschränkung der Revision für unwirksam erachtenden - Revisionen der Beklagten, mit der sie ihr Ziel der Klageabweisung insgesamt weiterverfolgen. Ferner hat die Beklagte zu 1 in der Revisionsverhandlung zusätzlich zum gemeinsam mit der Beklagten zu 2 gestellten Antrag zu 2 aus der Nichtzulassungsbeschwerde - und Revisionsbegründung vom 27. Mai 2015 hilfsweise den Antrag zu 1 aus der Nichtzulassungsbeschwerde- und Revisionsbegründung vom 27. Mai 2015 gestellt, die Revision - auch - der Beklagten zu 1 zuzulassen. Am 14. Juli 2015 war "In Sachen J. E. , Inh. V. F. u.a. gegen D. u.a." Termin zur mündlichen Verhandlung auf 8.12.2015 anberaumt und dieser als Sache "J. E. , Inh. V. F. u.a. gegen D. u.a." aufgerufen worden. Bevor die Anwältin der Revisionskläger für beide Beklagte den Antrag zu 2 aus der Nichtzulassungsbeschwerde- und Revisionsbegründung vom 27. Mai 2015 stellte, war festgestellt und im Protokoll niedergelegt worden, dass die Formalien geprüft sind und sich Beanstandungen nicht ergeben haben.
- 6
- Mit seinen Unrichtigkeiten und Lücken suggeriere der Tatbestand der Aktenlage zuwider, von der Erstbeklagten sei die Einlegung eines gegen das Berufungsurteil zulässigen Rechtsmittels versäumt worden. Auf der Basis der durch das BGH-Heft belegten wahren Fakten habe eine Revision der Beklagten zu 1, die sich als nach § 548 ZPO als verfristet habe verwerfen lassen, nicht existiert.
- 7
- Dass das am 8. Dezember 2015 verkündete Senatsurteil die Revision der Erstbeklagten als unzulässig verworfen habe, noch bevor eine Entscheidung über ihre Nichtzulassungsbeschwerde ergangen sei, sei der Prototyp einer durch Art. 103 Abs. 1 GG verbotenen Überraschungsentscheidung. Indem der Senat den Termin als Revisionssache aufgerufen und nach Aufruf festgestellt habe, dass sich zu den Formalien Beanstandungen nicht ergeben hätten, um deren Revision, der noch nicht beschiedenen Nichtzulassungsbeschwerde ungeachtet, sodann als schon verfristet zu verwerfen, sei der Erstbeklagten der Zugang zur Revisionsinstanz in einer Weise abgeschnitten, die in der Zivilprozessordnung nicht vorgesehen sei. Darin liege ein Verstoß gegen die Rechtsweggarantie.
II.
- 8
- 1. Der Antrag auf Berichtigung des Tatbestandes ist unzulässig. Der Tatbestand eines Revisionsurteils unterliegt grundsätzlich nicht der Tatbestandsbe- richtigung gemäß § 320 ZPO, weil die in ihm enthaltene gekürzte Wiedergabe des Parteivorbringens keine urkundliche Beweiskraft besitzt (vgl. BGH, Urteil vom 27. Juni 1956 - IV ZR 317/55, NJW 1956, 1480; BGH, Beschluss vom 22. Februar 1990 - IX ZR 257/88, BGHR ZPO § 320 Revisionsurteil 1; BGH, Beschluss vom 9. November 1994 - IV ZR 294/03, BGHRZ Nr. 15611 Revisionsurteil 2; BGH, Beschluss vom 17. Dezember 1998 - V ZR 224/97, NJW 1999, 796; Musielak in Musielak/Voit, ZPO, 12. Aufl., § 320 Rn. 3; BeckOK ZPO/Elzer, Stand: 1.12.2015, ZPO § 314 Rn. 11). Dies gilt auch für die verkürzte Darstellung des Revisionsbegehrens. Ausnahmsweise kann etwas anderes gelten, wenn der unrichtige Teil nach einer Zurückweisung für das weitere Verfahren wie z.B. bei einer in der Revisionsverhandlung abgegebenen Parteierklärung urkundliche Beweiskraft nach § 314 ZPO hat (vgl. nur BGH, Beschluss vom 9. November 1994 - IV ZR 294/93, BGHRZ Nr. 15611 Revisionsurteil 2 mwN). Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor.
- 9
- 2. Die gemäß § 321a ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Anhörungsrüge ist unbegründet.
- 10
- a) Die Bestimmung des Art. 103 Abs. 1 GG garantiert den Beteiligten eines gerichtlichen Verfahrens, dass sie Gelegenheit erhalten, sich zu dem einer gerichtlichen Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt vor Erlass der Entscheidung zu äußern, und dass das Gericht das Vorbringen zur Kenntnis nimmt und bei seiner Entscheidung in Erwägung zieht. Auf einen Gesichtspunkt, mit dem ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nicht zu rechnen braucht, darf das Gericht ohne vorherigen Hinweis oder Erörterung mit den Parteien nicht abstellen. Das Gericht ist nach Art. 103 Abs. 1 GG allerdings grundsätzlich nicht verpflichtet, vor einer Entscheidung auf seine Rechtsauffassung hinzuweisen. Die Partei hat auch keinen Anspruch darauf, dass das Gericht sich in dem von ihr für richtig erachteten Sinn mit ihrem Vorbringen befasst (vgl.
- 11
- b) Eine Verletzung des Anspruchs der Beklagten zu 1 auf Gewährung rechtlichen Gehörs liegt gemessen daran nicht vor, insbesondere stellt das Senatsurteil vom 8. Dezember 2015 keine gehörswidrige Überraschungsentscheidung dar. Die Feststellung des Senatsvorsitzenden, dass die Formalien geprüft worden seien und Beanstandungen sich nicht ergeben hätten, erfolgte vor der Antragstellung im Termin. Sie konnte sich - wenn man auch den Inhalt der Anträge als Formalie verstehen wollte - lediglich auf die angekündigten Anträge der Beklagten zu 1 im Schriftsatz vom 27. Mai 2015 beziehen. Diese Anträge hat die Prozessbevollmächtigte der Beklagten im Termin danach aber umgestellt und auch für die Beklagte zu 1 beantragt, auf die Revision das angegriffene Urteil aufzuheben. Diesem Antrag hat der Senat Rechnung getragen und diese Revision als verfristet zurückgewiesen, da eine Zulassung auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten zu 1 nicht erfolgt war. Da der Senatsvorsitzende vor Stellung der Anträge mitgeteilt hatte, dass der Senat über die Nichtzulassungsbeschwerde noch nicht vorberaten habe, wusste die Prozessbevollmächtigte der Beklagten zu 1, dass auch eine Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde noch nicht ergangen war. Dem hätte sie durch die angekündigten Anträge Rechnung tragen können. Nachdem der Senat die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten zu 1 zurückgewiesen hat und in dem beanstandeten Urteil sich auch mit den für begründet erachteten Schadensersatzansprüchen gegen die Beklagte zu 1 auseinandergesetzt hat, ist nicht ersichtlich, dass das rechtliche Gehör der Beklagten zu 1 verletzt worden oder ihr der Zugang zur Revisionsinstanz ohne Rechtsgrundlage abgeschnitten worden wäre. Galke Wellner Stöhr von Pentz Oehler
LG München II, Entscheidung vom 06.05.2014 - 5 O 7209/06 -
OLG München, Entscheidung vom 21.01.2015 - 15 U 2296/14 -
moreResultsText
Annotations
Die Frist für die Einlegung der Revision (Revisionsfrist) beträgt einen Monat; sie ist eine Notfrist und beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Berufungsurteils, spätestens aber mit dem Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.
(1) Enthält der Tatbestand des Urteils Unrichtigkeiten, die nicht unter die Vorschriften des vorstehenden Paragraphen fallen, Auslassungen, Dunkelheiten oder Widersprüche, so kann die Berichtigung binnen einer zweiwöchigen Frist durch Einreichung eines Schriftsatzes beantragt werden.
(2) Die Frist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils. Der Antrag kann schon vor dem Beginn der Frist gestellt werden. Die Berichtigung des Tatbestandes ist ausgeschlossen, wenn sie nicht binnen drei Monaten seit der Verkündung des Urteils beantragt wird.
(3) Das Gericht entscheidet ohne Beweisaufnahme. Bei der Entscheidung wirken nur diejenigen Richter mit, die bei dem Urteil mitgewirkt haben. Ist ein Richter verhindert, so gibt bei Stimmengleichheit die Stimme des Vorsitzenden und bei dessen Verhinderung die Stimme des ältesten Richters den Ausschlag. Eine Anfechtung des Beschlusses findet nicht statt. Der Beschluss, der eine Berichtigung ausspricht, wird auf dem Urteil und den Ausfertigungen vermerkt. Erfolgt der Berichtigungsbeschluss in der Form des § 130b, ist er in einem gesonderten elektronischen Dokument festzuhalten. Das Dokument ist mit dem Urteil untrennbar zu verbinden.
(4) Die Berichtigung des Tatbestandes hat eine Änderung des übrigen Teils des Urteils nicht zur Folge.
Der Tatbestand des Urteils liefert Beweis für das mündliche Parteivorbringen. Der Beweis kann nur durch das Sitzungsprotokoll entkräftet werden.
(1) Auf die Rüge der durch die Entscheidung beschwerten Partei ist das Verfahren fortzuführen, wenn
- 1.
ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist und - 2.
das Gericht den Anspruch dieser Partei auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.
(2) Die Rüge ist innerhalb einer Notfrist von zwei Wochen nach Kenntnis von der Verletzung des rechtlichen Gehörs zu erheben; der Zeitpunkt der Kenntniserlangung ist glaubhaft zu machen. Nach Ablauf eines Jahres seit Bekanntgabe der angegriffenen Entscheidung kann die Rüge nicht mehr erhoben werden. Formlos mitgeteilte Entscheidungen gelten mit dem dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Die Rüge ist schriftlich bei dem Gericht zu erheben, dessen Entscheidung angegriffen wird. Die Rüge muss die angegriffene Entscheidung bezeichnen und das Vorliegen der in Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 genannten Voraussetzungen darlegen.
(3) Dem Gegner ist, soweit erforderlich, Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.
(4) Das Gericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Rüge an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist erhoben ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Rüge als unzulässig zu verwerfen. Ist die Rüge unbegründet, weist das Gericht sie zurück. Die Entscheidung ergeht durch unanfechtbaren Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden.
(5) Ist die Rüge begründet, so hilft ihr das Gericht ab, indem es das Verfahren fortführt, soweit dies auf Grund der Rüge geboten ist. Das Verfahren wird in die Lage zurückversetzt, in der es sich vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung befand. § 343 gilt entsprechend. In schriftlichen Verfahren tritt an die Stelle des Schlusses der mündlichen Verhandlung der Zeitpunkt, bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden können.