Bundesgerichtshof Beschluss, 30. Juli 2015 - I ZB 61/13
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gründe:
- 1
- Die gemäß § 321a ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Anhörungsrüge hat in der Sache keinen Erfolg.
- 2
- I. Die Bestimmung des Art. 103 Abs. 1 GG garantiert den Beteiligten eines gerichtlichen Verfahrens, dass sie Gelegenheit erhalten, sich zu dem einer gerichtlichen Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt vor Erlass der Entscheidung zu äußern, und dass das Gericht das Vorbringen zur Kenntnis nimmt und bei seiner Entscheidung in Erwägung zieht (BVerfGE 86, 133, 144; BVerfG, NJW-RR 2004, 1710, 1712). Auf einen Gesichtspunkt, mit dem ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nicht zu rechnen braucht, darf das Gericht ohne vorherigen Hinweis oder Erörterung mit den Parteien nicht abstellen (BVerfGE 86, 133, 144; BVerfGE 98, 218, 263). Das Gericht ist nach Art. 103 Abs. 1 GG allerdings grundsätzlich nicht verpflichtet, vor einer Entscheidung auf seine Rechtsauffassung hinzuweisen (BVerfGE 74, 1, 6; 84, 188, 190). Die Partei hat auch keinen Anspruch darauf, dass das Gericht sich in dem von ihr für richtig erachteten Sinn mit ihrem Vorbringen befasst (BGH, Beschluss vom 3. April 2014 - I ZR 237/12, MarkenR 2014, 343 Rn. 2 - BAVARIA; Beschluss vom 18. Dezember 2014 - I ZR 228/12, juris Rn. 2).
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- II. Der Anspruch der Antragstellerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) ist durch den Senatsbeschluss vom 23. Oktober 2014 nicht verletzt.
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- 1. Die Anhörungsrüge rügt als überraschend die Auffassung des Senats, die Annahme der Verkehrsdurchsetzung der angegriffenen Farbmarke im Jahr 2009 könne ausnahmsweise auf den Tag der Anmeldung im Jahr 1996 zurückbezogen werden. Die Anhörungsrüge wendet sich mit derselben Begründung gegen die Annahme des Senats, es komme für die Bejahung der kennzeichenmäßigen Verwendung einer Farbe nicht auf besondere Werbemaßnahmen an, die sich gerade auf die Wahrnehmung der Farbe als Marke beziehen. Schließlich wertet die Anhörungsrüge die Feststellung des Senates als gehörswidrige Überraschungsentscheidung, dass die gelbe Farbe der Markeninhaberin nicht durch herkömmliche Herkunftshinweise in den Hintergrund gedrängt wird.
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- 2. Der Senatsbeschluss vom 23. Oktober 2014 stellt keine gehörswidrige Überraschungsentscheidung dar.
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- a) In der von der Rechtsbeschwerde angegriffenen Entscheidung hat das Bundespatentgericht sich mit diesen zentralen Rechtsfragen des Verfahrens befasst. Es hat angenommen, zwar werde eine auf den Anmeldetag rückbezogene Feststellung der Verkehrsdurchsetzung abgelehnt, wenn die Durchsetzung erst mehrere Jahre nach der Anmeldung nachgewiesen werde. Allerdings seien auch Fallgestaltungen denkbar, in denen konkrete Anhaltspunkte rückblickende Schätzungen für die Vergangenheit ermöglichten. So liege es im Streitfall ; die in dem demoskopischen Gutachten von 2009 festgestellte Bekanntheit habe auch im Zeitpunkt der Anmeldung im Jahr 1996 bereits bestanden. Zwar setze die Verkehrsdurchsetzung voraus, dass die Farbe isoliert für sich als Marke dem Publikum in der Wahrnehmung näher gebracht worden sei. Es seien jedoch die Besonderheiten in dem jeweiligen Warengebiet zu berücksichtigen. Das Warensegment der Wörterbücher zeichne sich durch besondere Kennzeichnungsgewohnheiten aus. Das angesprochene Publikum sei bei Druckereierzeugnissen an die gleichzeitige Verwendung mehrerer Zeichen gewöhnt und könne die Farbe als selbständige Marke erkennen. In dieser Branche könne keine isolierte markenmäßige Benutzung der Farbe Gelb verlangt werden.
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- b) Ein kundiger Prozessbeteiligter musste im Rechtsbeschwerdeverfahren zu diesen Rechtsfragen Stellung nehmen. Die Anhörungsrüge macht nicht geltend, dass die Antragstellerin hierzu vor der Entscheidung durch den Senat keine Gelegenheit gehabt hätte. Sie verweist vielmehr darauf, dass die Antragstellerin sowohl in der Rechtsbeschwerdebegründung als auch in der Replik auf die Beschwerdeerwiderung zur rückbezogenen Feststellung der Verkehrsdurchsetzung vorgetragen habe. Sie weist weiter darauf hin, dass sie in der Rechtsbeschwerdebegründung auf den von ihr für eine markenmäßige Verwendung des angegriffenen gelben Farbtons für notwendig gehaltenen Hinweis in Werbemaßnahmen auf die Bedeutung der Farbe als Marke hingewiesen habe. Soweit es um die Auffassung des Senates geht, dass die gelbe Farbe der Markeninhaberin nicht durch herkömmliche Herkunftshinweise in den Hintergrund gedrängt wird, wendet sich die Anhörungsrüge dagegen, dass sie sich zu dieser Auffassung nicht "nochmals" habe äußern können. Schon aus diesem Grund ist die Anhörungsrüge unbegründet.
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- c) Die Antragstellerin hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat Gelegenheit gehabt, zu diesen Rechtsfragen Stellung zu nehmen. Der Senatsvorsitzende hat sie im Übrigen bei der Einführung in den Sach- und Streitstand in der mündlichen Verhandlung angesprochen. Die Verfahrensbeteiligten haben im Anschluss daran Gelegenheit erhalten, sich hierzu zu äußern und haben hiervon Gebrauch gemacht.
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- d) Der Umstand, dass der Senat im Hinblick auf die von der Anhörungsrüge angesprochenen Rechtsfragen die Rechtsauffassung des Bundespatentgerichts bestätigt hat, stellt vor diesem Hintergrund keine den Anspruch der Antragstellerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzende Überraschungsentscheidung dar. Dass das Rechtsmittelgericht einzelne Elemente der Begründung der angefochtenen Entscheidung oder deren Begründung insgesamt billigt , ist ein Umstand, mit dem ein rechtskundiger Prozessbeteiligter immer rechnen muss. Im Ergebnis macht die Anhörungsrüge geltend, der Senat seiihrer Rechtsauffassung zu den genannten Rechtsfragen zu Unrecht nicht gefolgt. Mit diesem Anliegen kann sie im Anhörungsrügeverfahren keinen Erfolg haben, das nicht dazu dient, die Senatsentscheidung nochmals inhaltlich zur Überprüfung zu stellen.
Schwonke Feddersen
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 05.08.2013 - 29 W(pat) 90/12 -
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(1) Auf die Rüge der durch die Entscheidung beschwerten Partei ist das Verfahren fortzuführen, wenn
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ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist und - 2.
das Gericht den Anspruch dieser Partei auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.
(2) Die Rüge ist innerhalb einer Notfrist von zwei Wochen nach Kenntnis von der Verletzung des rechtlichen Gehörs zu erheben; der Zeitpunkt der Kenntniserlangung ist glaubhaft zu machen. Nach Ablauf eines Jahres seit Bekanntgabe der angegriffenen Entscheidung kann die Rüge nicht mehr erhoben werden. Formlos mitgeteilte Entscheidungen gelten mit dem dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Die Rüge ist schriftlich bei dem Gericht zu erheben, dessen Entscheidung angegriffen wird. Die Rüge muss die angegriffene Entscheidung bezeichnen und das Vorliegen der in Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 genannten Voraussetzungen darlegen.
(3) Dem Gegner ist, soweit erforderlich, Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.
(4) Das Gericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Rüge an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist erhoben ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Rüge als unzulässig zu verwerfen. Ist die Rüge unbegründet, weist das Gericht sie zurück. Die Entscheidung ergeht durch unanfechtbaren Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden.
(5) Ist die Rüge begründet, so hilft ihr das Gericht ab, indem es das Verfahren fortführt, soweit dies auf Grund der Rüge geboten ist. Das Verfahren wird in die Lage zurückversetzt, in der es sich vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung befand. § 343 gilt entsprechend. In schriftlichen Verfahren tritt an die Stelle des Schlusses der mündlichen Verhandlung der Zeitpunkt, bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden können.