Corona-Überbrückungshilfen und Familienunternehmen: Wann liegt wirklich ein Unternehmensverbund vor?

originally published: 14/02/2025 16:44, updated: 14/02/2025 16:55
Corona-Überbrückungshilfen und Familienunternehmen: Wann liegt wirklich ein Unternehmensverbund vor?
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Author’s summary by Rechtsanwalt Dirk Streifler - Partner

Rechtliche Herausforderungen und Konsequenzen für Antragsteller

I. Einleitung: Warum ist die Frage der verbundenen Unternehmen so relevant?

Die Corona-Überbrückungshilfen waren für viele Unternehmen eine wirtschaftliche Rettung. Doch nicht jeder Antrag wurde bewilligt – insbesondere Unternehmen mit familiären Strukturen sahen sich vermehrt Ablehnungen und Rückforderungen ausgesetzt. Behörden stellten vielfach fest, dass Unternehmen allein aufgrund familiärer Verbindungen als „verbunden“ eingestuft wurden, was zu einer nachträglichen Kürzung oder Ablehnung der Fördermittel führte.

Diese behördliche Praxis ist aus rechtlicher Sicht problematisch, weil sie keine wirtschaftliche Verflechtung voraussetzt, sondern bereits familiäre Beziehungen als ausreichend ansieht. Die Frage, ob ein Unternehmen mit einem anderen „verbunden“ ist, ist jedoch eine Frage der wirtschaftlichen und rechtlichen Kontrolle und sollte nicht allein auf familiäre Bande gestützt werden.

Dieser Fachartikel beleuchtet die Rechtslage, die Behördenpraxis und die entscheidenden rechtlichen Argumente, die gegen eine pauschale Einordnung als verbundene Unternehmen sprechen.

II. Hintergrund: Die Definition verbundener Unternehmen in den Überbrückungshilfen

 

1. Bedeutung der Einstufung als Unternehmensverbund

Die Annahme eines Unternehmensverbundes führt zu erheblichen Einschränkungen bei der Antragsberechtigung:

 

  • Nur ein gemeinsamer Antrag für den gesamten Verbund möglich

 

  • Zusammenfassung von Umsätzen und Fixkosten

 

  • Innerhalb des Verbundes gezahlte Fixkosten nicht förderfähig

 

  • Prüfung der wirtschaftlichen Schwierigkeiten des gesamten Verbundes

 

Für Familienunternehmen kann dies bedeuten, dass sie entweder keine Förderung erhalten oder wesentlich geringere Summen ausgezahlt bekommen.

 

2. Maßgebliche Rechtsgrundlage: Wann liegt ein Unternehmensverbund vor?

Die EU-Verordnung Nr. 651/2014 (Allgemeine Gruppenfreistellungsverordnung, AGVO) bestimmt in Art. 3 Abs. 3, wann Unternehmen als „verbunden“ gelten. Unternehmen sind verbunden, wenn:

 

  • eine Mehrheitsbeteiligung besteht,

 

  • eine Kontrollmöglichkeit über Geschäftsentscheidungen vorliegt,

 

  • eine wirtschaftliche Abhängigkeit gegeben ist.

 

Zusätzlich enthält Art. 3 Abs. 3 UAbs. 4 AGVO eine Sonderregelung, wonach auch Unternehmen, die durch eine gemeinsam handelnde Gruppe natürlicher Personen verbunden sind, als eine wirtschaftliche Einheit gelten.

In den FAQ zur Überbrückungshilfe wurde dies so ausgelegt, dass bereits eine familiäre Verbindung als Indiz für eine solche gemeinsam handelnde Gruppe angesehen werden könne.

 

III. Behördenpraxis: Wann werden Unternehmen als verbunden eingestuft?

 

1. Familiäre Beziehungen als Indiz für wirtschaftliche Einheit?

Ein zentrales Problem vieler Ablehnungen oder Rückforderungen war die automatische Annahme eines Unternehmensverbundes bei familiären Beziehungen, selbst wenn keine rechtliche oder wirtschaftliche Abhängigkeit bestand.

Die Behörden begründeten dies mit der FAQ zur Überbrückungshilfe, die sich auf den Benutzerleitfaden zur Definition von KMU der EU-Kommission stützt. Dort heißt es sinngemäß, dass familiäre Verbindungen als ausreichend für die Annahme einer gemeinsamen Einflussnahme angesehen werden können.

Diese weite Auslegung ist jedoch problematisch, weil sie:

 

  • keine tatsächliche wirtschaftliche Verflechtung erfordert,

 

  • die individuelle Unternehmensstruktur unberücksichtigt lässt,

 

  • zu pauschalen Ablehnungen ohne Einzelfallprüfung führt.

 

2. Differenzierung durch die EU-Kommission

Die Europäische Kommission hat in früheren Entscheidungen, insbesondere in der Sache Nordbrandenburger Umsteuerungswerke GmbH & Co. KG (C 8/2005, 2006), klargestellt, dass eine familiäre Beziehung nicht ausreicht, um einen Unternehmensverbund anzunehmen.

Stattdessen müssen weitere Kriterien hinzutreten, etwa:

 

  • Beteiligungsstrukturen (Mehrheitsanteile in mehreren Unternehmen),

 

  • gemeinsamer Marktauftritt,

 

  • finanzielle Verflechtungen,

 

  • beherrschender Einfluss auf Geschäftsentscheidungen.

 

Diese Auslegung zeigt, dass eine automatische Annahme eines Unternehmensverbundes allein wegen familiärer Verbindungen gegen die europarechtlichen Vorgaben verstößt.

 

3. Verwaltungsgerichte: Einschränkung der behördlichen Praxis

In verschiedenen verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen wurde die Praxis der Behörden kritisch hinterfragt. Dabei machten die Gerichte deutlich, dass eine rein familiäre Beziehung keine wirtschaftliche Verflechtung darstellt.

So urteilten Verwaltungsgerichte in mehreren Fällen, dass eine tatsächliche Kontrolle über das andere Unternehmen erforderlich sei, um eine wirtschaftliche Einheit zu begründen. Entscheidend sei, ob die Unternehmen:

 

  • wirtschaftlich unabhängig voneinander agieren,

 

  • keine beherrschende Einflussnahme vorliegt,

 

  • kein gemeinsames wirtschaftliches Handeln erkennbar ist.

 

Diese Abgrenzung steht im Einklang mit der europäischen Rechtsprechung und den Anforderungen an eine wirtschaftliche Begründung der Verbundenheit.

 

IV. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die behördliche Praxis

 

1. Art. 6 GG (Schutz der Familie)

Die Einstufung von Unternehmen als „verbunden“ allein aufgrund familiärer Beziehungen könnte einen unzulässigen Eingriff in den Schutzbereich des Art. 6 GG (Schutz der Familie) darstellen.

Familienunternehmen dürfen nicht ohne wirtschaftliche Begründung schlechter gestellt werden als andere Unternehmen, bei denen wirtschaftliche Verflechtungen objektiv überprüft werden.

 

2. Art. 3 GG (Gleichbehandlung)

Die Annahme eines Unternehmensverbundes nur aufgrund familiärer Beziehungen könnte zudem eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung darstellen.

Während nicht-familiär verbundene Unternehmen individuell geprüft werden, werden Familienunternehmen pauschal als wirtschaftliche Einheit behandelt.

Dies widerspricht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und kann eine unverhältnismäßige Belastung für Familienunternehmen darstellen.

 

V. Fazit: Rechtliche Klarstellung erforderlich

Die Behördenpraxis, familiäre Verbindungen automatisch als Kriterium für einen Unternehmensverbund zu werten, ist aus mehreren Gründen problematisch:

 

  • Eine familiäre Beziehung allein begründet keine wirtschaftliche Einheit.

 

  • Die Rechtsprechung stellt klar, dass wirtschaftliche Verflechtungen erforderlich sind.

 

  • Eine pauschale Ablehnung oder Kürzung der Überbrückungshilfe verstößt gegen das EU-Recht.

 

Unternehmen, die mit einer solchen Ablehnung oder Rückforderung konfrontiert werden, sollten sich wehren.Eine gerichtliche Überprüfung kann erfolgversprechend sein, um fehlerhafte Entscheidungen anzufechten und unberechtigte Rückforderungen zu vermeiden.

Die Praxis der Behörden sollte angepasst werden, um eine einzelfallbezogene, wirtschaftlich begründete Prüfungsicherzustellen. Nur so können rechtssichere und faire Förderentscheidungen gewährleistet werden.

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