Verwaltungsgericht Minden Urteil, 27. Okt. 2015 - 8 K 1220/15
Tenor
Ziffer 2. der Verfügung des Beklagten vom 18.03.2015 wird vollständig und Ziff. 3 insoweit aufgehoben, als sie sich auch auf erlaubnisfreie Waffen bezieht.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger zu 2/3 und der Beklagte zu 1/3.Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.Die Beteiligten dürfen die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des aufgrund des Urteils jeweils beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Gegenseite zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
1
Tatbestand:
2Der am 29.05.1979 in E. geborene Kläger ist seit dem 01.01.2009 Sportschütze im Polizeischießverein PSV E. . Auf seinen Antrag hin stellte der Beklagte ihm am 03.08.2012 eine Waffenbesitzkarte aus, in die eine Pistole eingetragen war. Im Zuge der zuvor durchgeführten Überprüfung der Zuverlässigkeit des Klägers wurde ihm bekannt, dass in der Vergangenheit gegen diesen mehrere Ermittlungsverfahren anhängig waren, darunter eines wegen Beleidigung und Bedrohung, die jedoch sämtlich eingestellt wurden. Darüber hinaus erfuhr er durch eine Abfrage, dass der Kläger im Februar 2012 anlässlich einer Verkehrskontrolle, als er sich ohne Kfz-Papiere auf dem Weg zur Moschee befand, den Polizeibeamtinnen nahegelegt hat, ihn nicht anzusehen, sondern in eine andere Richtung zu schauen. Er sei gläubiger Moslem und habe eine Haddsch durchgeführt. Diese Erkenntnisse standen seinerzeit nach Einschätzung des Beklagten der Erteilung einer waffenrechtlichen Erlaubnis nicht entgegen.
3Bei einer Wohnungsdurchsuchung in anderer Angelegenheit wurden von der Polizei am 09.11.2012 die Pistole und die zugehörige Munition sowie ein PTB-Revolver zunächst sichergestellt, am 13.11.2012 jedoch wieder an ihn zurückgegeben.
4Im September 2014 erhielt ein Mitarbeiter des Beklagten in einem vertraulichen Gespräch den Hinweis, dass der Kläger vor einiger Zeit eine Wallfahrt nach Mekka unternommen habe und später nochmals nach Mekka gereist sei, wobei er den deutsch-islamistischen Prediger Q. W. begleitet haben solle. Seither sei er in seinem Erscheinungsbild sehr traditionell wie auch seine Ehefrau, die die Burka trage. Aus seinem religiösen Umfeld sei er bereits mehrmals gebeten worden, sein Äußeres zu ändern, was er jedoch abgelehnt habe. Auf Anfrage teilte die Staatsschutzabteilung der Kriminalpolizei C. mit, dass der Kläger dort als Anhänger der islamistischen Szene seit Jahren bekannt sei. Die Zugehörigkeit zur islamistischen Szene sei belegt. Es würden diesbezüglich zahlreiche Hinweise mit mehreren Überprüfungsvorgängen existieren. Hierbei war auch die Äußerung der Leiterin der Kindertagesstätte in M. , die der Sohn des Klägers besucht, erfasst. Diese gab an, dass der Sohn im Kindergarten geäußert habe, dass sein Vater jetzt eine Pistole gekauft habe. Auch sei der Kläger radikaler Islamist und Gegner der Jeziden aus M. . Jezidische Mütter hätten sich vor kurzem überrascht geäußert, dass er in der Kita sei. Der Kläger sei doch befreundet mit dem Q. W. . Die hätten doch im Internet verbreitet, dass sie alle getötet werden sollten. Über die Staatsschutzabteilung der Kriminalpolizei C. wurden darüber hinaus die Teilnahme des Klägers an einer Benefizveranstaltung des salafistisch geprägten Vereins „Helfen in Not“, die zunächst versehentlich auf den 29.09.2014 datiert wurde, tatsächlich aber am 29.09.2013 stattfand, sowie die Teilnahme an einem Grillfest der „Ansaar C. “ im S. Park am 22.06.2014 aktenkundig. Diese Gruppierung - so die Staatsschutzabteilung - unterhalte enge Kontakte zu „Ansaar E1. “, die wiederum Verbindungen zur islamistischen Szene im ganzen Bundesgebiet habe. Deshalb stehe sie im Fokus staatsschutzmäßiger Beobachtungen.
5Daraufhin hörte der Beklagte den Kläger zu einem beabsichtigten Widerruf der waffenrechtlichen Erlaubnis und einem Waffenverbot an. In einem nachfolgenden Gespräch mit der Leiterin der Kindertagesstätte in M. , Frau C1. , wies diese einen Mitarbeiter des Beklagten darauf hin, dass die Eltern der in dem Kindergarten betreuten jezidischen Kinder ihre Ängste geäußert hätten, die sie gegenüber dem Kläger hegen würden. Dieser solle auf einer arabischen Internetseite in einer Filmsequenz zu sehen gewesen sein, in der er die Taten des IS gewürdigt habe und wo er auch persönlich schmähend und mit Todesdrohungen gegen Kurden gesprochen haben solle. Diese Seite im Internet sei inzwischen jedoch gelöscht worden. Der Kläger habe ihr nach einem Besuch der Moschee in M. eine Anzahl von Koranausgaben zum ständigen Verbleib mit in den Kindergarten gebracht. Diese seien noch in Folie eingeschweißt gewesen. Sie hätten denen geglichen, die von den Salafisten in den Städten verteilt würden. Auch sei ihr aufgefallen, dass der Sohn des Klägers im Kindergarten „richtig Krieg“ spiele. Nicht einfach nur so, wie Kinder das schon mal täten, sondern in einer Form, die auf sie erschreckend echt und geschult gewirkt hätte. In einem späteren Telefongespräch wies Frau C1. den Beklagten darauf hin, dass sie sich von dem Kläger unter Druck gesetzt fühle. Er habe in zwei Gesprächen von ihr verlangt, dass sie ihre Angaben hinsichtlich seiner Waffe zurücknehme bzw. abschwäche. Er habe ihr mit einer Anzeige wegen Verleumdung gedroht.
6Durch seinen Prozessbevollmächtigten nahm der Kläger zu den beabsichtigten waffenrechtlichen Maßnahmen gegenüber dem Beklagten mit Schreiben vom 18.11.2014 Stellung. Er wies darauf hin, er werde aufgrund seines Äußeren vorverurteilt. Er sei Mitglied der DiTiB-Moschee in M. . Aus den Akten lasse sich nicht erkennen, inwiefern ihm ein Bezug zur islamistischen Szene nachgewiesen werden könne. Die angesprochene Polizeikontrolle habe sechs Monate vor Erteilung seiner Waffenbesitzkarte stattgefunden. Sie sei den Behörden bekannt gewesen und hätte seinerzeit seiner waffenrechtlichen Zuverlässigkeit nicht entgegengestanden. Im Übrigen habe er den Polizistinnen dabei nicht gesagt, sie sollten nicht in seine Richtung schauen. Er habe sie nur gebeten, nicht mit der Taschenlampe aus kürzester Entfernung in sein Gesicht zu strahlen. Es sei für ihn eine unangenehme Situation gewesen, aufgrund seines Äußeren wie ein „Verbrecher“ behandelt und provoziert worden zu sein. Wenn sein Sohn im Kindergarten von dem Kauf einer Pistole im Kindergarten gesprochen habe, könne er sich dies nur dadurch erklären, dass er von seinem Sohn unbemerkt beobachtet worden sei, als er die Waffe vor dem Schießtraining in seinen Waffenkoffer gepackt habe. Er habe auch ein gutes nachbarschaftliches Verhältnis mit Jeziden, mit denen er schon seit 1998 in einem Haus lebe. Als Autohändler habe er auch viele jezidisch-kurdische Kunden, sein Sohn habe jezidische Freunde. In der Kita habe es noch nie Probleme gegeben. Er habe zusammen mit seiner Ehefrau die große Pilgerfahrt nach Mekka im Jahre 2010 vollzogen und damit eine der fünf Pflichten eines jeden Moslems erfüllt. Danach habe er sich aus religiöser Überzeugung einen Vollbart wachsen lassen, der über die Jahre hinweg länger geworden sei. Ab Mai 2010 habe er dann zunächst aus gesundheitlichen Gründen, später aus Bequemlichkeit eine weite Hose getragen. Weil er von der Pilgerfahrt 2010 so begeistert gewesen sei, habe er 2012 allein noch die kleine Pilgerfahrt nach Saudi-Arabien unternommen. Dabei sei er nicht mit Q. W. zusammen gewesen. Seine Ehefrau trage keine Burka, sondern lediglich ein Kopftuch. Er sei weder radikaler Islamist noch predige er Gewalt gegen Andersgläubige. Er gehöre auch keiner radikalen Strömung oder Vereinigung an. Er habe niemals an demonstrativen Aktivitäten der salafistischen Szene teilgenommen und plane dies auch nicht. Eine Trennung von Männern und Frauen bei Veranstaltungen, eine Teilnahme an einem Grillfest oder einer Benefizveranstaltung können nicht als Indiz für eine salafistische Ausrichtung herangezogen werden. Er sei auch nie bei einer solchen Veranstaltung in C3. gewesen. Er habe nicht gewusst, dass „Ansaar C. “ enge Kontakte zu „Ansaar E1. “ unterhalte und diese im Fokus staatsschutzmäßiger Beobachtung stehe.
7Auf Bitten des Klägers teilte der Leiter des PSV E. dem Beklagten mit, dass der Kläger ein respektiertes Vereinsmitglied, zuverlässig, freundlich und gut integriert sei, wenngleich einige Vereinsmitglieder vor einiger Zeit Anstoß an seinem Äußeren genommen hätten.
8Mit dem hier angefochtenen Bescheid vom 18.03.2015 widerrief der Beklagte die dem Kläger erteilte Waffenbesitzkarte (1.) und untersagte ihm den Erwerb und Besitz von erlaubnisfreien und erlaubnispflichtigen Waffen und Munition für unbefristete Zeit (2.). Gleichzeitig ordnete er die Unbrauchbarmachung seiner Waffen bzw. die Überlassung an einen Berechtigten an und forderte den Kläger auf, ihm einen Nachweis hierüber vorzulegen (3.). Schließlich ordnete er noch die sofortige Vollziehung der Verfügungen zu Ziffer 2. und 3. an. Zur Begründung führte er mit umfangreichen Darlegungen aus, dass die Zugehörigkeit des Klägers zur islamistischen Szene aktenkundig sei und er durch sein Verhalten zeige, dass er verfassungsfeindliche Gedanken hege, auch wenn er nicht Mitglied in einer Vereinigung sei, die verfassungswidrige Bestrebungen verfolge. Die Zugehörigkeit zur islamistischen Szene rechtfertige auch die Annahme, dass dem Kläger die erforderliche Zuverlässigkeit auch für den Besitz von erlaubnisfreien Waffen fehle. Das aus diesem Grunde ausgesprochene Waffenverbot setze als Präventionsmaßnahme nicht voraus, dass der Kläger bereits eine Waffe missbräuchlich oder leichtfertig eingesetzt habe. Vielmehr sei durch sein Verhalten und seine Lebenseinstellung zu befürchten, dass er mit Waffen und Munition nicht ordnungsgemäß und rechtskonform umgehen werde.
9Daraufhin hat der Kläger fristgerecht am 30.04.2015 die vorliegende Klage erhoben.
10Auf Anfrage des Gerichts hat die Staatsschutzabteilung der Kriminalpolizei C. über den Beklagten am 23.10.2015 ergänzend mitgeteilt, dass sich der Kläger am 20.07.2014 auf der ersten LIES-Veranstaltung im Sato Festsaal in Köln-Kalk befunden habe. Dort seien als Redner Q. W. , J. B. O. , T. F. - F1. alias B1. E2. und B2. C4. zugegen gewesen. Die Veranstaltung sei durch den Staatsschutz L. aufgeklärt worden. Dabei seien auch die Kennzeichen der dort abgestellten Pkw notiert worden. Eins davon habe dem Kläger als Halter zugeordnet werden können. Im Nachgang zu der Veranstaltung seien Fotos bei Facebook veröffentlicht worden. Auf einem der Fotos sei auch der Kläger zu erkennen. Darüber hinaus habe der Kläger am 08.06.2015 an einer Veranstaltung in Bad Salzuflen teilgenommen. Dort habe der Islamwissenschaftler aus C5. , B3. N. , zu einem Gespräch/einer Diskussion zum Thema Salafismus eingeladen. Im Laufe der Veranstaltung sei es zu Störungen durch fünf Personen gekommen. Es seien Äußerungen gegen Herrn N. gefallen, die dieser als bedrohlich empfunden habe. Eine der störenden Personen sei der Kläger gewesen. Der Organisator der Veranstaltung habe ihn anhand von Lichtbildern wiedererkannt und den Eindruck gehabt, dass er der Sprecher oder Anführer der Gruppe gewesen sei. Darüber hinaus wird noch von einer Streitigkeit und einer vom Kläger ausgesprochenen Bedrohung mit den Worten „Wenn meine Familie nicht hier wäre, dann würde ich dich umbringen“ berichtet.
11In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger schließlich ausgesagt, er erfahre von den Veranstaltungen, an denen er teilnehme, über das Internet oder werde über Facebook oder WhatsApp hiervon benachrichtigt. Er gehe zu derartigen Veranstaltungen, weil er Autohändler sei und auf diese Weise Geschäftsbeziehungen pflegen könne. Außerdem gebe es bei den großen Veranstaltungen die Möglichkeit, besser als anderswo weite Kleidung und Gebetsteppiche, Datteln und dergleichen zu kaufen. Bei der Veranstaltung in L. /Kalk habe es sich um ein „Fastenbrechen“ gehandelt. Damals seien seine Frau und seine Kinder schon in der Türkei gewesen. Er sei allein gewesen und niemand habe für ihn kochen können. Deshalb habe er eine Einladung angenommen und sei mit Freunden dorthin gefahren, zumal er auch dort seine Hinweise auf seinen Autohandel an den abgestellten Pkw habe anbringen dürfen. Er habe nicht gedacht, dass es sich hierbei in irgendeiner Form um etwas Verbotenes handeln könnte. Vielmehr habe er sich vergewissert, dass er durch seine Teilnahme nicht gegen deutsche Gesetze verstoße. Bei der LIES-Kampagne habe er zehn Koran-Ausgaben mitgenommen, weil er von anderen um Überlassung von Koran-Ausgaben gebeten worden sei. Auf Wunsch habe er auch einige im Kindergarten abgegeben. Hierzu sei es nur gekommen, weil die DiTiB-Moschee in M. keine deutschen Koran-Ausgaben mehr vorrätig gehabt habe, die sie an den Kindergarten hätte abgeben können. Da sei er auf Bitten der Moschee eingesprungen und habe dort wunschgemäß vier seiner Exemplare abgegeben. Er habe nie Gelder an die Organisation „Helfen in Not“ gespendet. Auch sei dort kein Eintritt verlangt worden. Ebenso wenig habe er bei der Veranstaltung von Ansaar C. Geld bezahlt oder gespendet. Von den drei nachgewiesenen Veranstaltungen abgesehen habe er niemals salafistische Redner wie Q. W. „live“ gehört. Sein Interesse habe auch niemals den Rednern gegolten, sondern vielmehr seinen Geschäften. Die Reden könne er einfacher über YouTube anhören, wenn er es wolle. Zu Salafisten habe er allenfalls geschäftliche Kontakte.
12Vor dem Jahre 2010 sei er eher „Wochenendmoslem“ gewesen. Dann sei er auf Bitten seiner Frau mit ihr zur Haddsch nach Saudi-Arabien gegangen und habe bereits im Vorfeld eine Bewusstseinsveränderung an sich wahrgenommen. Er habe die emotionale und spirituelle Wirkung erfahren, die mit der Reise nach Mekka zusammenhing. Er habe sich in der Folgezeit stärker mit dem Islam befasst und sich bemüht, streng nach den islamischen Gesetzen zu leben, was auch im Hinblick auf Alkohol, Zigaretten und dergleichen gelte. Wegen dieser spirituellen Erfahrung habe er nochmals nach Saudi-Arabien reisen wollen und sei deshalb im Jahr 2012 und im Jahr 2013 jeweils für zwei Wochen allein auf kleine Pilgerfahrten gegangen, einmal nach Mekka und einmal nach Medina. Man könne die Empfindungen nicht erklären, sondern nur selbst wahrnehmen, die einen dazu veranlassen würden, solche Reisen zu machen. Er wolle weder in Saudi-Arabien, wo man sich ohnehin nur drei Monate aufhalten dürfe, noch in Deutschland unter der Scharia, die hier ja gar nicht zulässig sei, leben. Er sei in Deutschland groß geworden und wolle hier nach der demokratischen Grundordnung im Einklang mit den Gesetzen sein Leben führen.
13Der Kläger beantragt,
14den Bescheid des Beklagten vom 18.03.2015 aufzuheben.
15Der Beklagte beantragt,
16die Klage abzuweisen.
17Er hält an seiner Bewertung in dem Widerrufsbescheid fest und nimmt auf seine dortige ausführliche Begründung Bezug.
18Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.
19Entscheidungsgründe:
20Die Klage ist zulässig, aber nur zum Teil begründet.
21Soweit der Beklagte in dem Bescheid vom 18.03.2015 die Waffenbesitzkarte des Klägers widerrufen hat, begegnet seine Entscheidung keinen rechtlichen Bedenken und verletzt den Kläger auch nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
22Diese Entscheidung findet ihre Rechtsgrundlage in § 45 Abs. 2 des Waffengesetzes (WaffG). Nach dieser Vorschrift ist eine waffenrechtliche Erlaubnis zu widerrufen, wenn nachträglich Tatsachen eintreten, die zu ihrer Versagung hätten führen müssen. Nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 WaffG setzt die Erteilung einer Erlaubnis voraus, dass der Antragsteller die erforderliche Zuverlässigkeit gemäß § 5 WaffG besitzt. Diese wird in § 5 Abs. 2 Nr. 3 a WaffG im Regelfall für solche Personen verneint, die einzeln oder als Mitglied einer Vereinigung Bestrebungen verfolgen oder unterstützen oder in den letzten fünf Jahren verfolgt oder unterstützt haben, die gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet sind. Mit dieser Regelung soll verhindert werden, dass die Verfolgung verfassungsfeindlicher Ziele durch waffenrechtliche Erlaubnisse nicht auch noch von staatlicher Seite scheinbar oder tatsächlich sanktioniert wird.
23So Apel/Bushard, Waffenrecht, 3. Aufl., § 5 RZ 37.
24Wann verfassungsfeindliche Bestrebungen vorliegen, die verfolgt oder unterstützt werden, kann aus den Regelungen des § 92 Abs. 2 des Strafgesetzbuches (StGB) sowie aus § 4 des Bundesverfassungsschutzgesetzes (BVerfSchG) hergeleitet werden. Nach den dort enthaltenen Legaldefinitionen zählen zur verfassungsmäßigen Ordnung das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen, die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht, das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition, die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung, die Unabhängigkeit der Gerichte, der Ausschluss jeder Gewalt- und Willkürherrschaft und die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte.
25Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchstabe c BVerfSchG sind Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung nur die in diesem Sinne verfolgten politisch bestimmten, ziel- und zweckgerichteten Verhaltensweisen. Bestrebungen müssen also politisch determiniert, folglich objektiv geeignet sein, über kurz oder lang politische Wirkung zu entfalten. Sie erfordern ein aktives Vorgehen ihrer Realisierung. Kein Bestandteil des Merkmals „Bestrebung“ ist jedoch ein „aktiv kämpferisches“ Verhalten. Auch definiert das Gesetz den Begriff der Bestrebung nicht anhand der Merkmale legal/illegal. Es kommt nicht darauf an, ob bestimmte Verhaltensweisen erlaubt sind oder nicht.
26So BVerwG, Urteil vom 21.07.2010 - 6 C 22/09 -, juris.
27Erfasst werden davon Verhaltensweisen, die über rein politische Meinungen hinausgehen und auf Durchsetzung eines Ziels ausgerichtet sind. Dabei müssen die Aktivitäten auf die Beeinträchtigung eines der vom Gesetz geschützten Rechtsgüter abzielen und somit ein maßgeblicher Zweck der Bestrebung sein. Die bloße Inkaufnahme einer entsprechenden Gefährdung ist nicht ausreichend. Die verantwortlich Handelnden müssen auf den Erfolg einer Rechtsgüterbeeinträchtigung hinarbeiten.
28So ebenfalls BVerwG, Urteil vom 21.07.2010, a.a.O.
29Ausgehend von diesen Grundsätzen ist bei extremistischen Salafisten - diesem Personenkreis ordnet der Beklagte den Kläger letztlich zu - die Einschätzung gerechtfertigt, dass sie Bestrebungen gegen die freiheitliche, demokratische Grundordnung verfolgen. Nach dem Verfassungsschutzbericht für das Land Nordrhein-Westfalen über das Jahr 2014 verstehen extremistische Salafisten die islamische Religion als Ideologie und die Scharia als gottgegebenes Ordnungs- und Herrschaftssystem. Demokratie ist in ihren Augen eine falsche „Religion“. Gesetze können der salafistischen Ideologie zufolge nur von Gott kommen (Prinzip der göttlichen Souveränität) und niemals vom Volk. Die Volkssouveränität als wesentliches Element der Demokratie westlicher Prägung ist demnach unvereinbar mit dem religiös argumentierenden Salafismus. Vertreter dieser Ideologie behaupten, dass alle gesellschaftlichen Probleme nur durch eine uneingeschränkte Anwendung von Koran und Sunna sowie eine entsprechend strikte Ausrichtung des Lebens gelöst werden können. Dazu zählt die konsequente Anwendung der „Scharia“ nach salafistischer Auslegung. Sie fordern eine rigide Trennung von Mann und Frau, nicht nur in der Moschee, sondern insgesamt im öffentlichen Raum. Eine gemeinsame schulische Erziehung von Jungen und Mädchen wird grundsätzlich abgelehnt. Sie grenzen Frauen auf den heimischen Bereich ein. Berufstätigkeit von Frauen wird abgelehnt. Frauen sollen sich ganz auf den Haushalt und die Kindererziehung konzentrieren. Sie sind nach diesem Wertebild nominell gleichwertig, aber keinesfalls gleichberechtigt … Die salafistische Ideologie widerspricht somit in wesentlichen Punkten (Gesellschaftsbild, politisches Ordnungssystem, Gleichberechtigung, individuelle Freiheit) den Grundprinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Darüber hinaus führt sie zur Bildung einer Parallelgesellschaft. Dies birgt aufgrund der propagierten feindlichen Einstellungen gegenüber der übrigen Gesellschaft ein großes Konfliktpotential und beeinträchtigt das friedliche gesellschaftliche Zusammenleben. Im Jahr 2014 waren in Nordrhein-Westfalen mindestens 1.900 extremistische Salafisten bekannt, davon rund 1.600 politische Salafisten und 300 gewaltorientierte.
30So der Verfassungsschutzbericht für das Land Nordrhein-Westfalen über das Jahr 2014, S. 136 bis 138.
31Diese Grundpfeiler der salafistischen Ideologie stehen auch nach Auffassung des erkennenden Gerichts in einem fundamentalen Widerspruch zu einem Kernprinzip der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, weil die Staatsgewalt vom Volk ausgeht und die Rechtssetzung in einem politischen Prozess nach bestimmten demokratischen Verfahrensregeln erfolgt. Zudem widerspricht die Stellung der Frau nach dem vom Salafismus propagierten fundamentalistischen Verständnis des Islam dem Gleichberechtigungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 2 GG.
32So auch VG Aachen, Urteil vom 26.02.2015 - 1 K 1395/14 -, juris, bestätigt durch das OVG NRW, Beschluss vom 13.05.2015 - 1 A 807/15 -, juris.
33Derartige salafistische verfassungsfeindliche Bestrebungen hat der Kläger, wenn nicht gar selbst verfolgt, so doch zumindest in den letzten fünf Jahren unterstützt. Dem steht nicht entgegen, dass er - wie er von sich behauptet - der salafistischen Szene zuzurechnenden Vereinigungen keine finanzielle Unterstützung zukommen lässt. Deren verfassungsfeindliche Bestrebungen können auch durch die „bloße“ Teilnahme an Veranstaltungen unterstützt werden. Hierzu hat das VG München ausgeführt, dass insoweit zu § 5 Abs. 2 Nr. 3 a WaffG zwar keine einschlägige Rechtsprechung vorhanden sei. Der Rechtsprechung im Übrigen lasse sich aber entnehmen, dass die bloße Teilnahme an Demonstrationen oder anderen Veranstaltungen einschneidende sicherheitsrechtliche Maßnahmen rechtfertige, weil dies den Schluss auf die Unterstützung von gesetzlich missbilligten Bestrebungen zulasse.
34So VG München, Urteil vom 13.11.2013 - M 7 K 12.2797 -, juris.
35Dieser Auffassung folgt das Gericht. Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem bereits zitierten Urteil vom 21.07.2010 z.B. ausgeführt, dass die Beobachtung einzelner Personen durch den Verfassungsschutz gerechtfertigt ist, wenn deren Tätigkeit lediglich objektiv geeignet ist, verfassungsfeindliche Bestrebungen zu unterstützen. Das Bundesverfassungsschutzgesetz wolle nach seinem Zweck helfen, objektiv bestehende Gefahren für die freiheitlich-demokratische Grundordnung abzuwehren. Solche Gefahren gingen nicht nur von Personen aus, die der freiheitlichen demokratischen Grundordnung feindlich gegenüberstünden und sie ganz oder teilweise beseitigen wollten. Ebenso gefährlich könnten Personen sein, die selbst auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung stünden, jedoch bei objektiver Betrachtung durch ihre Tätigkeit verfassungsfeindliche Bestrebungen fördern würden, ohne dies zu erkennen. Eine derartige Person, die nicht merke, wofür sie missbraucht werde, könne für den Bestand der freiheitlich-demokratischen Grundordnung genauso gefährlich sein wie der Überzeugungstäter.
36So BVerwG, Urteil vom 21.07.2010, a.a.O. unter Hinweis auf
37BVerwG, Urteil vom 11.11.2004 - BVerwG 3 C 8.04 -.
38In einer anderen Entscheidung hat das Bundesverwaltungsgericht für die Ergreifung ausländerrechtlicher Maßnahmen wegen Unterstützung des internationalen Terrorismus jede Tätigkeit als ausreichend angesehen, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeiten der inkriminierten Vereinigung auswirkt. Dazu zähle jedes Tätigwerden eines Nichtmitglieds, das die innere Organisation und den Zusammenhalt der Vereinigung fördere, ihren Fortbestand oder die Verwirklichung ihrer auf die Unterstützung terroristischer Bestrebungen gerichteten Ziele fördere und damit ihre potentielle Gefährlichkeit festige und ihr Gefährdungspotential stärke, ohne dass es auf einen beweis- und messbaren Nutzen für die Verwirklichung der missbilligten Ziele oder eine subjektive Vorwerfbarkeit ankomme.
39So BVerwG, Urteil vom 15.03.2005 - 1 C 26/03 -, juris.
40Ein Unterstützen könne dann in Betracht kommen, wenn durch zahlreiche Beteiligungen an Demonstrationen und Veranstaltungen im Umfeld einer Vereinigung bei einer wertenden Gesamtschau zur Überzeugung des Gerichts feststehe, dass der Betreffende auch als Nichtmitglied in einer inneren Nähe und Verbundenheit zu der Vereinigung selbst stehe, die er durch sein Engagement als ständiger (passiver) Teilnehmer zum Ausdruck bringe und damit deren Stellung in der Gesellschaft begünstigend beeinflusse, ihre Aktionsmöglichkeiten und eventuell auch ihr Rekrutierungsfeld erweitere und dadurch insgesamt zu einer Stärkung ihres latenten Gefahrenpotentials beitrage.
41So wiederum BVerwG, Urteil vom 15.03.2005, a.a.O.
42Diese Darlegungen müssen ‑ auch insoweit folgt das Gericht dem bereits zitierten Urteil des VG München - bei der Bewertung der waffenrechtlichen Zuverlässigkeit nach § 5 Abs. 2 WaffG berücksichtigt werden. Ein Unterstützen setzt deshalb nicht voraus, dass sich bei dem Betreffenden bereits Anhaltspunkte für einen Missbrauch von Waffen wegen seiner politischen oder ideologischen Ziele ergeben haben. Deshalb muss die Unterstützungshandlung auch nicht in waffenrechtlicher Hinsicht den Schluss erlauben, dass der Waffenbesitzer seine Waffen künftig im Sinne einer verfassungsfeindlichen Einstellung gegen die Rechtsordnung einsetzen wird. Denn der Gesetzgeber hat lediglich auf das Unterstützen verfassungsfeindlicher Bestrebungen abgestellt, nicht jedoch einen Waffenbezug als weitere Voraussetzung aufgestellt.
43Nach Auffassung des Gerichts unterstützt der Kläger in diesem Sinne auch den extremistischen Salafismus. Nachgewiesenermaßen hat er am 22.06.2014 an einem Grillfest der „Ansaar C. “, im S. Park teilgenommen. Diese Organisation hält enge Kontakte zu „Ansaar E1. “ und steht nach den in den Verwaltungsvorgängen befindlichen Angaben des Staatsschutzes C. im Fokus staatsschutzmäßiger Beobachtungen. „Ansaar E1. “ wiederum unterhält Verbindungen zur islamistischen Szene im ganzen Bundesgebiet. Bei dem Grillfest wurden Männer und Frauen durch einen zwei Meter hohen Zaun voneinander getrennt. Auf dem Rasen wurden die Gebetsteppiche ausgebreitet. Nach den Erkenntnissen des Verfassungsschutzes Nordrhein-Westfalen in seinem schon genannten Bericht (S. 142 f.) handelt es sich bei dem im Jahr 2012 in E1. gegründeten Verein „Ansaar E1. e.V.“ nach eigenem Verständnis um einen Hilfsbund zur Unterstützung notleidender Glaubensgeschwister im In- und Ausland. Der Verein führt auch die Bezeichnung „Ansaar international“. Er ist fest mit der deutschen Salafistenszene verwoben. Er unterstützt Hilfsprojekte für bedürftige Muslime weltweit. Innerhalb Deutschland verfügt die Organisation über mehrere sog. „Ansaar International Teams“, die im Namen des Vereins Spenden sammeln, Werbeaktionen durchführen und im Internet mit eigenen Facebook-Auftritten für sich werben.
44Darüber hinaus nahm der Kläger am 29.09.2013 in I. an einer Veranstaltung der Organisation „Helfen in Not“ teil. Nach dem Verfassungsschutzbericht bezeichnet sich dieser Verein mit Sitz in O1. als Hilfsverein zur Unterstützung notleidender Muslime. Im Vordergrund seiner Aktivitäten steht die Hilfe für die vom Bürgerkrieg betroffenen Menschen in Syrien. Er machte im Berichtsjahr 2014 durch Benefizveranstaltungen auf sich aufmerksam, bei denen für in Not geratene Muslime in Syrien, aber auch in anderen Regionen der Welt gesammelt wurde. Bei diesen Veranstaltungen traten regelmäßig Prediger auf, die fest in der salafistischen Szene verwurzelt sind. Dazu gehörten auch Prediger, die dem gewaltaffinen Spektrum des Salafismus in Nordrhein-Westfalen zuzuordnen ist. Der Verein hat medizinische Güter und Kleidung in mehreren Hilfskonvois nach Syrien gebracht. In diesem Zusammenhang traten ebenfalls Personen des salafistischen Spektrums in Erscheinung, die die Konvois begleiteten oder organisatorisch in die Abwicklung der Transporte eingebunden waren (S. 143 des Verfassungsschutzberichtes).
45Des Weiteren ist die Teilnahme des Klägers an der 1. LIES-Veranstaltung am 20.07.2014 in Köln-Kalk belegt. Als Redner waren dort u.a. auch Q. W. und J. B. O. anwesend. Die Veranstaltung wurde durch den Staatsschutz L. aufgeklärt. Im Nachgang wurden Fotos bei Facebook veröffentlicht, die sich in den Verwaltungsvorgängen befinden und auf denen auch der Kläger zu sehen ist. Im Verfassungsschutzbericht Nordrhein-Westfalen (S. 138) wird Q. W. als bundesweit agierender salafistischer Prediger bezeichnet, der aus Nordrhein-Westfalen stammt und hier seinen schwerpunktmäßigen Wirkungskreis hat. Seine Kundgebungen wurden im Internet beworben und von Angehörigen der jeweiligen örtlichen Salafistenszene angemeldet. Der in L. lebende salafistische Prediger J. B. O. bildet mit seinem Netzwerk „die wahre Religion“ einen Schwerpunkt des politischen Salafismus, wobei eindeutig Bezüge zum extremistischen Salafismus erkennbar sind. In der Öffentlichkeit tritt dieses Netzwerk durch die Verteilung von deutschsprachigen Koranexemplaren unter dem Label „LIES“ bzw. „Haus des Qurans“ hervor. Dabei sind die Aktionen ähnlich wie ein Franchise-System organisiert. Eine Zentralstelle leitet an, die Verantwortlichkeit für die Aktion vor Ort übernehmen autarke lokale Akteure. Ihr Ziel ist nicht die tatsächliche Konversion aller in Deutschland lebenden Menschen zum Islam, sondern das Provozieren medialer und staatlicher Reaktionen. Koranverteilungen sind zwar ‑ so der Verfassungsschutzbericht weiter ‑ grundsätzlich rechtlich nicht zu beanstanden. Verteilungen im Rahmen der „LIES-Kampagne“ sind jedoch eindeutig als salafistisch-extremistische Aktionsform zu werten und dienen einem Heranführen junger Menschen an die extremistische Szene. In diesem Zusammenhang ist auch die Teilnahme des Klägers an der „LIES-Veranstaltung“ in Köln-Kalk zu sehen. Der Bezug zu der „LIES-Aktion“ ist den hierzu geposteten Fotos unzweideutig zu entnehmen. Es handelte sich dabei, auch dies lassen die Fotos erkennen, um einen überschaubaren Teilnehmerkreis, nicht um eine Großveranstaltung. Auf einem der Fotos ist auch der Kläger zu erkennen. Ein weiteres Foto zeigt den Redner Q. W. . Nach seinen eigenen Angaben hat der Kläger von dieser Veranstaltung zehn in Folie eingeschweißte deutsche Koranausgaben mitgenommen, um sie an andere Menschen weiter zu verteilen. Dies war dem Beklagten zwar bei seiner Entscheidung noch nicht bekannt, ist hier aber dennoch nicht außer Acht zu lassen, weil es zum Einen im unmittelbaren Zusammenhang mit der schon damals bekannten Abgabe von Koranausgaben im Kindergarten steht, zum Anderen aber auch das in den Blick zu nehmende Gesamtbild von der Persönlichkeit des Klägers und seinen Unterstützungshandlungen abrundet.
46Damit hat der Kläger im Sinne der oben beschriebenen Grundsätze salafistische und damit verfassungsfeindliche Bestrebungen unterstützt. Er gibt zwar vor, nichts von Verbindungen der „Ansaar-C. “ und des Vereins „Helfen in Not“ zur salafistischen und islamistischen Szene zu wissen. Diese Einlassung vermag das Gericht jedoch nicht zu überzeugen. In der mündlichen Verhandlung hat er seinen Wandel von einem früher eher gemäßigten Moslem („Wochenendmoslem“) hin zu einem streng gläubigen Moslem geschildert. Danach begann seine innere Wandlung kurz vor seiner Ausreise zur Haddsch nach Mekka in Saudi-Arabien und war aufgrund seiner emotionalen und spirituellen Erfahrung so bestimmend für ihn, dass er fortan beschloss, in jeder Hinsicht streng nach den islamischen Gesetzen zu leben, er hat sich einen langen Bart wachsen lassen und trägt seither nur noch weite Kleidung. Er richtet sich nach den Vorgaben des Koran aus und hat im Jahre 2012 und nochmals im Jahre 2013 jeweils für zwei Wochen erneut kleine Pilgerfahrten nach Saudi-Arabien, einmal nach Mekka und einmal nach Medina unternommen. Seine extrem strenggläubige Grundhaltung wurde ausweislich der in den Verwaltungsvorgängen befindlichen Aktenvermerke schon im Februar 2012 deutlich, als er anlässlich einer Verkehrskontrolle die Polizistin unter Hinweis darauf, dass er die Haddsch unternommen habe und streng gläubiger Moslem sei, bat, ihn nicht anzusehen, sondern in eine andere Richtung zu blicken. Zudem hat er in der mündlichen Verhandlung ausgesagt, von Veranstaltungen wie den oben beschriebenen über das Internet zu erfahren oder in vielfältiger Weise über Facebook oder WhatsApp hiervon benachrichtigt zu werden. Es erscheint dem Gericht ausgeschlossen, dass dem Kläger im Vorfeld der Teilnahme an solchen Veranstaltungen entgangen ist, dass diese einen Bezug zur salafistischen Szene haben, da sich den Einladungen und Hinweisen im Internet auf diese Veranstaltungen schon an den Berichten zu den Hilfsleistungen und der Wortwahl der Einladungen, gepaart mit Hinweisen auf die getrennte Unterbringung von Männern und Frauen in verschiedenen Hallen, entnehmen lässt, dass es sich hierbei um Betreiber und Organisatoren handelt, die eine extrem streng gläubige Auffassung des Koran vertreten. Insofern nimmt das Gericht dem Kläger auch nicht ab, dass er zu derartigen Großveranstaltungen nur gegangen sei, um hierbei Geschäftskontakte als Autohändler zu pflegen. Diese könnten auch auf anderen Großveranstaltungen erreicht werden, die keinen Bezug zur salafistischen Szene haben. Auch der Hinweis des Klägers, auf diesen Veranstaltungen könne man besser als anderswo Gebetsteppiche, weite Hosen und Datteln kaufen, ist nicht geeignet, das Gericht davon zu überzeugen, dass er nicht genau über die salafistischen Bezüge dieser Veranstaltungen in I. und C. informiert war und hieran nicht gerade wegen ihrer extremistischen Ausrichtung teilgenommen hat. Nur hierdurch wird seine mehrfach in der Verhandlung betonte Aussage erklärbar, er habe sich jeweils im Vorfeld von Veranstaltungen erkundigt, ob diese mit den deutschen Gesetzen in Einklang stehen oder er sich durch eine Teilnahme strafbar mache. Einer solchen Nachfrage hätte es nicht bedurft, hätte der Kläger tatsächlich keine Kenntnis von dem salafistischen Bezug der Veranstaltungen gehabt. Insbesondere belegt aber die Teilnahme des Klägers an der ersten „LIES-Veranstaltung“ in Köln-Kalk seine Nähe zur salafistischen Szene und durch die Mitnahme von zehn Koranausgaben auch seine konkrete Unterstützung der extremistischen Islamisten. Wenn er seine Teilnahme hieran in der mündlichen Verhandlung damit zu erklären versuchte, er sei lediglich zum „Fastenbrechen“ nach Ende des Ramadan eingeladen worden und habe dieser Einladung Folge geleistet, weil seine Ehefrau sich schon in der Türkei befunden habe und für ihn nicht habe kochen können, so ist dieser Erklärungsversuch schlicht abwegig. Die Abwesenheit seiner Ehefrau kann ihn zwar genötigt haben, außerhalb seines eigenen Zuhauses zusammen mit anderen Moslems das „Fastenbrechen“ zu begehen. Dies hätte jedoch auch in seinem Wohnort M. im Zusammenhang mit Angehörigen der DiTiB-Moschee, sonstigen Freunden oder Verwandten geschehen können. Eine Reise zu dieser speziellen Veranstaltung nach Köln-Kalk, bei der bekannte salafistische Extremisten als Redner auftraten, ist mit der Tradition des „Fastenbrechens“ nicht erklärbar. Schon gar nicht kann hiermit erläutert werden, warum der Kläger zehn Ausgaben des Koran im Rahmen der „LIES-Kampagne“ mitgenommen hat, die er in dem vom Verfassungsschutzbericht beschriebenen Sinne des Franchise-Systems weiterleiten wollte. Es mag zwar sein, dass er entsprechende Exemplare im Kindergarten in M. nur verteilt hat, weil die DiTiB-Moschee über keine deutschsprachigen Ausgaben des Koran mehr verfügte, die Leitung des Kindergartens bei der DiTiB-Moschee jedoch eine solche angefragt hatte. Dieser Umstand ändert aber nichts an der Tatsache, dass er bei der „LIES-Kampagne“ in Köln-Kalk nach seinem eigenen Bekunden zehn der dort vorhandenen Koranausgaben zur Weiterverteilung an andere Personen mitgenommen und damit diese Aktion unterstützt hat.
47Das besondere Interesse des Klägers am Salafismus wird auch durch seine Teilnahme an der Diskussions- und Gesprächsrunde zum Thema Salafismus am 08.06.2015 in Bad Salzuflen belegt, zu der der Islamwissenschaftler B3. N. aus C5. eingeladen war und bei der es nach Angaben des Staatsschutzes C. zu störenden Zwischenrufen insbesondere auch durch den Kläger kam, die von Herrn N. zum Teil als bedrohlich empfunden wurden.
48Dass der Kläger betont, in Deutschland nach der demokratischen Grundordnung in Einklang mit den deutschen Gesetzen leben zu wollen, ändert nichts an der oben dargelegten Einschätzung seiner Unterstützungstätigkeit. Zum einen kann es sich hierbei um ein bloßes „Lippenbekenntnis“ handeln, das nicht mit seiner inneren Überzeugung übereinstimmt und nur aus Opportunitätsgründen abgegeben wurde. Zum anderen ist die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts schon dargelegt worden, die insoweit auch auf den Kläger zutreffen kann und die auf die Gefährlichkeit von Personen hinweist, die selbst auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehen, objektiv aber verfassungsfeindliche Bestrebungen unterstützen.
49Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. 07.2010 a.a.O.
50Da das Gericht schon durch die Teilnahme des Klägers an den zunächst genannten Veranstaltungen seine Unterstützung verfassungsfeindlicher Bestrebungen der extremistischen Salafisten als gegeben ansieht, kommt es nicht mehr darauf an, ob der Kläger darüber hinaus in der Vergangenheit auch zusammen mit Q. W. auf jezidenfeindlichen Videos zu sehen war, was die jezidischen Mütter im Kindergarten in M. angstvoll berichtet haben, was aber, da die entsprechende Internetseite gelöscht ist, nicht mehr nachweisbar ist. Außer Acht bleiben können deshalb auch die Rückschlüsse der Leiterin des Kindergartens aus den Äußerungen und Verhaltensweisen des Sohnes des Klägers.
51Insofern ist eine waffenrechtliche Unzuverlässigkeit des Klägers nach § 5 Abs. 2 Satz 3 Buchstabe a WaffG gegeben. Anhaltspunkte dafür, dass vorliegend ein Abweichen von der Regelvermutung dieser Norm gerechtfertigt sein könnte, sind nicht ersichtlich. Damit begegnet der in Ziffer 1 der angefochtenen Verfügung ausgesprochene Widerruf der Waffenbesitzkarte des Klägers keinen rechtlichen Bedenken.
52Soweit sich der Kläger gegen das in Ziffer 2 der Verfügung ausgesprochene Waffenverbot wendet, hat seine Klage jedoch Erfolg. Nach § 41 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 2 WaffG kann der Erwerb und Besitz von erlaubnisfreien und erlaubnispflichtigen Waffen und Munition zwar untersagt werden. Dies ist jedoch nur dann zulässig, wenn dies zur Verhütung von Gefahren für die Sicherheit geboten ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts stehen hierbei Prävention und der Schutz von Leben und Gesundheit im Vordergrund. Allerdings wird die Möglichkeit eines waffenrechtlichen Verbotes nicht einfach eingeräumt, soweit es zur Verhütung von Gefahren für die Sicherheit in Betracht kommt, sondern nur, soweit es „geboten“ ist. Darin drückt sich eine gesteigerte Anforderung im Sinne einer „Erforderlichkeit“ aus. Diese Anforderung begrenzt den im Verbot liegenden Eingriff, in dem nicht jede Gefahr für die öffentliche Sicherheit die Voraussetzungen erfüllt, sondern nur eine mit höherer Dringlichkeit. Ein Verbot ist dann geboten, wenn der Waffenbesitzer bzw. der Erwerbswillige in der Vergangenheit ein Verhalten oder eine seiner Person anhaftende Eigenschaft zu Tage gelegt hat, welche den auf Tatsachen beruhenden Verdacht begründet, dass durch einen Umgang mit der Waffe Gefahren für die öffentliche Sicherheit verursacht werden. Nach § 41 Abs. 2 WaffG kann jemandem der Besitz nur untersagt werden, wenn durch den fortdauernden Besitz eine nicht hinnehmbare Gefahrensituation entstehen würde. Anknüpfungspunkt beim Verbot zum Besitz erlaubnispflichtiger Waffen nach § 41 Abs. 2 WaffG ist ebenso wie bei demjenigen nach § 41 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 WaffG eine Gefährlichkeit des Waffenbesitzers. Deshalb sind Anordnungen nach diesen Vorschriften insbesondere dann gerechtfertigt, wenn der Betroffene eine Straftat begangen hat und aus der Tat auf eine rohe oder gewalttätige Gesinnung oder eine Schwäche des Täters zu schließen ist, sich zu Gewalttaten hinreißen zu lassen, oder wenn der Täter eine schwere Straftat mit Hilfe oder unter Mitführung von Waffen begangen hat oder Straftaten begangen hat, die nicht selten unter Mitführen oder Anwenden von Waffen begangen werden.
53So BVerwG, Urteil vom 22.08.2012 - 6 C 30/11 -, juris.
54Gemessen an diesen Voraussetzungen ist die von dem Beklagten ausgesprochene Untersagung des Erwerbs und Besitzes von erlaubnisfreien und erlaubnispflichtigen Waffen nicht gerechtfertigt. Zwar ist der Kläger ‑ wie oben dargelegt ‑ wegen der Unterstützung verfassungsfeindlicher Bestrebungen waffenrechtlich unzuverlässig im Sinne des § 5 Abs. 2 Nr. 3 a WaffG. Hieraus ergibt sich jedoch noch nicht seine Gefährlichkeit, die allein ein Waffenverbot rechtfertigen könnte. Da er wegen des Widerrufs der Waffenbesitzkarte und der damit verbundenen Anordnung der Überlassung bzw. Unbrauchbarmachung seiner Waffe nicht mehr über eine Waffe verfügt und legal auch eine solche nicht mehr erwerben kann, hat das ausgesprochene Waffenverbot in erster Linie Bedeutung im Hinblick auf erlaubnisfreie Waffen. Dass durch den fortdauernden Besitz des Klägers auch erlaubnisfreier Waffen eine nicht hinnehmbare Gefahrensituation entstehen würde, ist nicht naheliegend. Der Kläger ist in der Vergangenheit nicht nachweisbar durch eine rohe oder gewalttätige Gesinnung oder eine Schwäche, sich zu Gewalttaten hinreißen zu lassen, aufgefallen. Dem Beklagten ist zwar zuzugeben, dass ein Waffenverbot nicht voraussetzt, dass der Betroffene bereits eine Waffe oder Munition im Sinne des Waffengesetzes missbräuchlich oder leichtfertig eingesetzt hat. Anders als der Beklagte sieht das Gericht in der Zugehörigkeit des Klägers zur islamistischen Szene allerdings noch keinen zwingenden Hinweis darauf, dass allein aus diesem Grunde die Gefahr missbräuchlicher Verwendung von Waffen für die Zukunft besteht. Auch hat er bislang nicht mit Hilfe oder unter Mitführung von Waffen Straftaten begangen. Da ihm zudem vom vorsitzenden Leiter der Schießsportabteilung des Polizeischießvereins M1. -E. e.V. vom 11.03.2015 bescheinigt wurde, ein respektiertes Vereinsmitglied, zuverlässig, freundlich und gut integriert zu sein, sind keine Gründe ersichtlich, die die Verhängung des Waffenverbots als unausweichlich und somit zur Abwendung einer drohenden Gefahr für die Sicherheit geboten erscheinen lassen. Ziffer 2 der Verfügung vom 18.03.2015 ist deshalb rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.
55Dies hat auch Auswirkungen auf Ziffer 3 der Verfügung, mit der der Beklagte angeordnet hat, dass der Kläger seine Waffen, auch erlaubnisfreie, dauerhaft unbrauchbar machen lassen oder sie dauerhaft einem Berechtigten überlassen muss. Soweit sich diese Anordnung auf erlaubnispflichtige Waffen bezieht, ist die Verfügung nach zulässigem Widerruf der Waffenbesitzkarte rechtlich nicht zu beanstanden. Im Hinblick auf die erlaubnisfreien Waffen und die hierzu gehörige Munition ist die Anordnung nach dem oben Gesagten dagegen nicht gerechtfertigt.
56Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit und Abwendungsbefugnis beruht auf §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11 und 711 ZPO.
Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgericht Minden Urteil, 27. Okt. 2015 - 8 K 1220/15
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Verwaltungsgericht Minden Urteil, 27. Okt. 2015 - 8 K 1220/15 zitiert oder wird zitiert von 6 Urteil(en).
(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
(1) Eine Erlaubnis nach diesem Gesetz ist zurückzunehmen, wenn nachträglich bekannt wird, dass die Erlaubnis hätte versagt werden müssen.
(2) Eine Erlaubnis nach diesem Gesetz ist zu widerrufen, wenn nachträglich Tatsachen eintreten, die zur Versagung hätten führen müssen. Eine Erlaubnis nach diesem Gesetz kann auch widerrufen werden, wenn inhaltliche Beschränkungen nicht beachtet werden.
(3) Bei einer Erlaubnis kann abweichend von Absatz 2 Satz 1 im Fall eines vorübergehenden Wegfalls des Bedürfnisses, aus besonderen Gründen auch in Fällen des endgültigen Wegfalls des Bedürfnisses, von einem Widerruf abgesehen werden. Satz 1 gilt nicht, sofern es sich um eine Erlaubnis zum Führen einer Waffe handelt.
(4) Verweigert eine betroffene Person im Fall der Überprüfung des weiteren Vorliegens von in diesem Gesetz oder in einer auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnung vorgeschriebenen Tatbestandsvoraussetzungen, bei deren Wegfall ein Grund zur Rücknahme oder zum Widerruf einer Erlaubnis oder Ausnahmebewilligung gegeben wäre, ihre Mitwirkung, so kann die Behörde deren Wegfall vermuten. Die betroffene Person ist hierauf hinzuweisen.
(5) Widerspruch und Anfechtungsklage gegen Maßnahmen nach Absatz 1 und Absatz 2 Satz 1 haben keine aufschiebende Wirkung, sofern die Erlaubnis wegen des Nichtvorliegens oder Entfallens der Voraussetzungen nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 zurückgenommen oder widerrufen wird.
(1) Eine Erlaubnis setzt voraus, dass der Antragsteller
- 1.
das 18. Lebensjahr vollendet hat (§ 2 Abs. 1), - 2.
die erforderliche Zuverlässigkeit (§ 5) und persönliche Eignung (§ 6) besitzt, - 3.
die erforderliche Sachkunde nachgewiesen hat (§ 7), - 4.
ein Bedürfnis nachgewiesen hat (§ 8) und - 5.
bei der Beantragung eines Waffenscheins oder einer Schießerlaubnis eine Versicherung gegen Haftpflicht in Höhe von 1 Million Euro - pauschal für Personen- und Sachschäden - nachweist.
(2) Die Erlaubnis zum Erwerb, Besitz, Führen oder Schießen kann versagt werden, wenn der Antragsteller seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht seit mindestens fünf Jahren im Geltungsbereich dieses Gesetzes hat.
(3) Die zuständige Behörde hat die Inhaber von waffenrechtlichen Erlaubnissen in regelmäßigen Abständen, mindestens jedoch nach Ablauf von drei Jahren, erneut auf ihre Zuverlässigkeit und ihre persönliche Eignung zu prüfen sowie in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 5 sich das Vorliegen einer Versicherung gegen Haftpflicht nachweisen zu lassen.
(4) Die zuständige Behörde hat das Fortbestehen des Bedürfnisses bei Inhabern einer waffenrechtlichen Erlaubnis alle fünf Jahre erneut zu überprüfen.
(5) Zur Erforschung des Sachverhalts kann die zuständige Behörde in begründeten Einzelfällen das persönliche Erscheinen des Antragstellers oder des Erlaubnisinhabers verlangen.
(1) Die erforderliche Zuverlässigkeit besitzen Personen nicht,
- 1.
die rechtskräftig verurteilt worden sind - a)
wegen eines Verbrechens oder - b)
wegen sonstiger vorsätzlicher Straftaten zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr,
wenn seit dem Eintritt der Rechtskraft der letzten Verurteilung zehn Jahre noch nicht verstrichen sind, - 2.
bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie - a)
Waffen oder Munition missbräuchlich oder leichtfertig verwenden werden, - b)
mit Waffen oder Munition nicht vorsichtig oder sachgemäß umgehen oder diese Gegenstände nicht sorgfältig verwahren werden, - c)
Waffen oder Munition Personen überlassen werden, die zur Ausübung der tatsächlichen Gewalt über diese Gegenstände nicht berechtigt sind.
(2) Die erforderliche Zuverlässigkeit besitzen in der Regel Personen nicht,
- 1.
- a)
die wegen einer vorsätzlichen Straftat, - b)
die wegen einer fahrlässigen Straftat im Zusammenhang mit dem Umgang mit Waffen, Munition oder explosionsgefährlichen Stoffen oder wegen einer fahrlässigen gemeingefährlichen Straftat, - c)
die wegen einer Straftat nach dem Waffengesetz, dem Gesetz über die Kontrolle von Kriegswaffen, dem Sprengstoffgesetz oder dem Bundesjagdgesetz
zu einer Freiheitsstrafe, Jugendstrafe, Geldstrafe von mindestens 60 Tagessätzen oder mindestens zweimal zu einer geringeren Geldstrafe rechtskräftig verurteilt worden sind oder bei denen die Verhängung von Jugendstrafe ausgesetzt worden ist, wenn seit dem Eintritt der Rechtskraft der letzten Verurteilung fünf Jahre noch nicht verstrichen sind, - 2.
die Mitglied - a)
in einem Verein, der nach dem Vereinsgesetz als Organisation unanfechtbar verboten wurde oder der einem unanfechtbaren Betätigungsverbot nach dem Vereinsgesetz unterliegt, oder - b)
in einer Partei, deren Verfassungswidrigkeit das Bundesverfassungsgericht nach § 46 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes festgestellt hat,
waren, wenn seit der Beendigung der Mitgliedschaft zehn Jahre noch nicht verstrichen sind, - 3.
Bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie in den letzten fünf Jahren - a)
Bestrebungen einzeln verfolgt haben, die - aa)
gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet sind, - bb)
gegen den Gedanken der Völkerverständigung, insbesondere gegen das friedliche Zusammenleben der Völker, gerichtet sind oder - cc)
durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden,
- b)
Mitglied in einer Vereinigung waren, die solche Bestrebungen verfolgt oder verfolgt hat, oder - c)
eine solche Vereinigung unterstützt haben,
- 4.
die innerhalb der letzten fünf Jahre mehr als einmal wegen Gewalttätigkeit mit richterlicher Genehmigung in polizeilichem Präventivgewahrsam waren, - 5.
die wiederholt oder gröblich gegen die Vorschriften eines der in Nummer 1 Buchstabe c genannten Gesetze verstoßen haben.
(3) In die Frist nach Absatz 1 Nr. 1 oder Absatz 2 Nr. 1 nicht eingerechnet wird die Zeit, in welcher die betroffene Person auf behördliche oder richterliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist.
(4) Ist ein Verfahren wegen Straftaten im Sinne des Absatzes 1 Nr. 1 oder des Absatzes 2 Nr. 1 noch nicht abgeschlossen, so kann die zuständige Behörde die Entscheidung über den Antrag auf Erteilung einer waffenrechtlichen Erlaubnis bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens aussetzen.
(5) Die zuständige Behörde hat im Rahmen der Zuverlässigkeitsprüfung folgende Erkundigungen einzuholen:
- 1.
die unbeschränkte Auskunft aus dem Bundeszentralregister; - 2.
die Auskunft aus dem zentralen staatsanwaltschaftlichen Verfahrensregister hinsichtlich der in Absatz 2 Nummer 1 genannten Straftaten; - 3.
die Stellungnahme der örtlichen Polizeidienststelle, ob Tatsachen bekannt sind, die Bedenken gegen die Zuverlässigkeit begründen; die örtliche Polizeidienststelle schließt in ihre Stellungnahme das Ergebnis der von ihr vorzunehmenden Prüfung nach Absatz 2 Nummer 4 ein; - 4.
die Auskunft der für den Wohnsitz der betroffenen Person zuständigen Verfassungsschutzbehörde, ob Tatsachen bekannt sind, die Bedenken gegen die Zuverlässigkeit nach Absatz 2 Nummer 2 und 3 begründen; liegt der Wohnsitz der betroffenen Person außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes, ist das Bundesamt für Verfassungsschutz für die Erteilung der Auskunft zuständig.
(1) Im Sinne dieses Gesetzes sind
- a)
Bestrebungen gegen den Bestand des Bundes oder eines Landes solche politisch bestimmten, ziel- und zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluß, der darauf gerichtet ist, die Freiheit des Bundes oder eines Landes von fremder Herrschaft aufzuheben, ihre staatliche Einheit zu beseitigen oder ein zu ihm gehörendes Gebiet abzutrennen; - b)
Bestrebungen gegen die Sicherheit des Bundes oder eines Landes solche politisch bestimmten, ziel- und zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluß, der darauf gerichtet ist, den Bund, Länder oder deren Einrichtungen in ihrer Funktionsfähigkeit erheblich zu beeinträchtigen; - c)
Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung solche politisch bestimmten, ziel- und zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluß, der darauf gerichtet ist, einen der in Absatz 2 genannten Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen.
(2) Zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne dieses Gesetzes zählen:
- a)
das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen, - b)
die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht, - c)
das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition, - d)
die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung, - e)
die Unabhängigkeit der Gerichte, - f)
der Ausschluß jeder Gewalt- und Willkürherrschaft und - g)
die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte.
Tatbestand
- 1
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Der Kläger, Mitglied der Partei DIE LINKE, wendet sich gegen die Sammlung personenbezogener Informationen über ihn durch das Bundesamt für Verfassungsschutz.
- 2
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Die Partei DIE LINKE entstand im Juni 2007 aus der Verschmelzung der Partei Die Linkspartei.PDS (Die Linke.PDS) mit der Partei Arbeit & soziale Gerechtigkeit - Die Wahlalternative (WASG). Die Partei Die Linkspartei.PDS (Die Linke.PDS) ist ihrerseits aus der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) hervorgegangen. Diese benannte sich im Dezember 1989 in Sozialistische Einheitspartei Deutschlands - Partei des Demokratischen Sozialismus (SED-PDS) und im Februar 1990 in Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) um. Ab Juli 2005 führte sie die Bezeichnung Die Linkspartei.PDS (Die Linke.PDS).
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Der 1956 geborene Kläger war von 1981 bis 1990 Gewerkschaftssekretär in Mittelhessen. 1990 ging er nach Thüringen und war dort bis 1999 Landesvorsitzender der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen. Im April 1999 trat er der PDS bei. Von Oktober 1999 bis Oktober 2005 war er Abgeordneter im Thüringer Landtag, zunächst als stellvertretender Vorsitzender und ab 2001 als Vorsitzender der Landtagsfraktion. Zudem war er deren gewerkschafts- und wirtschaftspolitischer Sprecher. Im Oktober 2005 wurde der Kläger in den Bundestag und dort zum stellvertretenden Vorsitzenden der Fraktion gewählt. Im August 2009 wurde er erneut in den Thüringer Landtag gewählt und ist dort Vorsitzender der Fraktion der Partei DIE LINKE.
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Das Bundesamt für Verfassungsschutz führt über den Kläger eine Personenakte, in der Unterlagen über seine politischen Aktivitäten zusammengestellt sind. Die Informationen reichen bis in die 1980er Jahre zurück. Sie wurden zunächst bei der Beobachtung der DKP und ihres Umfelds gewonnen, seit 1999 bei der Beobachtung der PDS bzw. der Linkspartei.PDS sowie gegenwärtig der Partei DIE LINKE. Das Bundesamt erhebt Informationen über die Tätigkeit des Klägers in der und für die Partei sowie über seine Abgeordnetentätigkeit, jedoch ohne sein Abstimmungsverhalten und seine Äußerungen im Parlament sowie in den Ausschüssen. Anfang 2003 erfuhr der Kläger, dass das Bundesamt über ihn Informationen sammelt.
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Der Kläger hat daraufhin beim Verwaltungsgericht Klage mit dem Antrag erhoben, festzustellen, dass die Sammlung personenbezogener Informationen über ihn durch das Bundesamt für Verfassungsschutz rechtswidrig ist, soweit es sich um Informationen handelt, die (1.) bis zur Aufnahme des Landtagsmandats im Oktober 1999, (2.) während der Zeit des Landtagsmandats und (3.) während der Tätigkeit als Bundestagsabgeordneter erhoben worden sind. Das Verwaltungsgericht hat das Verfahren abgetrennt, soweit es die Sammlung von Informationen über den Kläger bis zur Aufnahme des Landtagsmandats im Oktober 1999 betroffen hat. Im Übrigen, soweit die Klage die Zeit als Abgeordneter des Thüringer Landtags und des Bundestags betrifft, hat das Verwaltungsgericht festgestellt, dass die Sammlung personenbezogener Informationen über den Kläger durch das Bundesamt für Verfassungsschutz rechtswidrig ist.
- 6
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Mit ihrer Berufung hat die Beklagte die Abweisung der Klage beantragt. Der Kläger hat im Berufungsverfahren seinen erstinstanzlichen Antrag dahin klargestellt, festzustellen, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz rechtswidrig Informationen über ihn in der Zeit seines Landtagsmandats sowie seit der Übernahme seines Bundestagsmandats bis zur mündlichen Verhandlung erhoben hat, und die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlassen, über ihn künftig personenbezogene Daten zu erheben.
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Das Oberverwaltungsgericht hat durch Vernehmung eines Zeugen Beweis darüber erhoben, ob seit Oktober 1999 im Bundesamt für Verfassungsschutz die Anordnung getroffen wurde, personenbezogene Daten über den Kläger mit Mitteln der heimlichen Informationsbeschaffung zu erheben. Es hat sodann durch das angefochtene Urteil festgestellt, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz rechtswidrig Informationen über den Kläger in der Zeit seines Landtagsmandats (von Oktober 1999 bis Oktober 2005) sowie in der Zeit von der Übernahme seines Bundestagsmandats im Oktober 2005 bis zum 13. Februar 2009 aus allgemein zugänglichen Quellen erhoben hat. Das Oberverwaltungsgericht hat die Beklagte verurteilt, es zu unterlassen, über den Kläger künftig personenbezogene Daten aus allgemein zugänglichen Quellen zu erheben. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen, nämlich insoweit, als der Kläger mit seinem Antrag auch begehrt hat, festzustellen, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz Informationen über ihn rechtswidrig mit den Mitteln der heimlichen Informationsbeschaffung erhoben hat, und die Beklagte zu verurteilen, zukünftig den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel der heimlichen Informationsbeschaffung zu unterlassen. Insoweit hat das Oberverwaltungsgericht angenommen, nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme habe das Bundesamt Informationen über den Kläger seit Oktober 1999 nicht heimlich, sondern allein aus allgemein zugänglichen Quellen beschafft.
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Soweit das Oberverwaltungsgericht der Klage stattgegeben hat, hat es im Kern zur Begründung ausgeführt: Die Gesamtschau aller vorhandenen tatsächlichen Anhaltspunkte deute darauf hin, dass die Parteien PDS, Linkspartei.PDS und heute DIE LINKE Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung verfolgten, die darauf gerichtet seien, die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte, das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition, die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung sowie das Recht des Volkes, die Volksvertretung in allgemeiner und gleicher Wahl zu wählen, zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen. Eine weitere Aufklärung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz erscheine deshalb erforderlich. Die Voraussetzungen für eine Beschaffung von Informationen über den Kläger aus allgemein zugänglichen Quellen (offene Beobachtung) seien allein schon wegen seiner politischen Betätigung in der Partei DIE LINKE (früher: PDS/Linkspartei.PDS) gegeben, auch wenn keine hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass der Kläger selbst durch seine Parteiarbeit politisch bestimmte, ziel- und zweckgerichtete Verhaltensweisen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung verfolge. Die offene Beobachtung von Abgeordneten durch das Bundesamt für Verfassungsschutz bedürfe auch keiner besonderen Ermächtigungsgrundlage. Im Einzelfall des Klägers stehe aber das freie Mandat seiner offenen Beobachtung entgegen. Die offene Beobachtung greife jedenfalls deshalb in das freie Mandat ein, weil sie zumindest mit faktischen Nachteilen für die politische Tätigkeit eines Abgeordneten verbunden sein könne. Mit der Beobachtung durch den Verfassungsschutz sei eine "Stigmatisierung" verbunden, die den Zugang zu dem Teil der Bevölkerung erschweren könne, der sich als verfassungstreu betrachte. Wenn die offene Beobachtung des Klägers durch Verfassungsschutzbehörden allgemein bekannt werde, könne es für ihn schwieriger werden, Anhänger und Wähler für sich und seine Partei zu gewinnen sowie mit der Bevölkerung in Kontakt zu kommen. Demgegenüber sei eine unmittelbar drohende Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung nicht gegeben. Die Partei DIE LINKE habe in ihrer parlamentarischen Arbeit und bei Regierungsbeteiligungen bislang keine Aktivitäten unternommen, die Ansätze für eine Überwindung der herrschenden Staats- und Gesellschaftsordnung erkennen ließen. Den Gruppierungen innerhalb der Partei, bei denen Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung bestünden, komme innerhalb der Partei zwar nennenswerter, bislang aber kein bestimmender Einfluss zu. Dass das Bundesamt für Verfassungsschutz ohne eine Beobachtung des Klägers bei der gebotenen Gewinnung von Informationen über die Partei DIE LINKE in nicht hinzunehmender Weise an der Erfüllung seiner Aufgaben gehindert oder dabei zumindest beeinträchtigt würde, habe weder die Beklagte substantiiert vorgetragen noch sei dies sonst ersichtlich. Das Bundesamt könne die relevanten Informationen in erster Linie durch die Beobachtung der Partei als solcher, einzelner in ihr bestehender Gruppierungen sowie anderer führender Parteimitglieder gewinnen. Diese geringe Bedeutung einer Beobachtung des Klägers könne einen Eingriff in das freie Mandat nicht rechtfertigen. Insoweit sei maßgeblich, dass der Kläger zwar Spitzenfunktionär der Partei sei, jedoch keiner Gruppierung innerhalb der Partei angehöre, bei der der Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen bestehe, wenn er auch die Kräfte innerhalb der Partei nicht aktiv bekämpfe, die solcher Bestrebungen verdächtig seien.
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Soweit das Oberverwaltungsgericht die Klage abgewiesen hat, hat der Senat die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision zurückgewiesen.
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Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag weiter, die Klage in vollem Umfang abzuweisen: Die Erhebung von Informationen über den Kläger sei auch mit Rücksicht auf dessen Status als Abgeordneter rechtmäßig, insbesondere verhältnismäßig. Die gegenteilige Wertung des Oberverwaltungsgerichts sei nicht nachvollziehbar, beruhe auf einer Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes und stehe namentlich im Widerspruch zu den Feststellungen, die das Oberverwaltungsgericht an anderer Stelle zu Recht über die verfassungsfeindlichen Bestrebungen der Partei DIE LINKE, der Stellung des Klägers als eines Spitzenfunktionärs dieser Partei und die deshalb begründete Erforderlichkeit gerade seiner Beobachtung getroffen habe. Das Oberverwaltungsgericht leite die faktischen Nachteile für die politische Betätigung des Klägers daraus her, dass dessen Beobachtung durch den Verfassungsschutz allgemein bekannt werde. Der Kläger habe aber seine Beobachtung durch den Verfassungsschutz selbst publik gemacht. Er könne nicht unter Hinweis auf die dadurch angeblich ausgelöste Erschwernis seiner Arbeit die Rechtswidrigkeit seiner Beobachtung geltend machen.
- 11
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Der Kläger hält das Berufungsurteil zwar im Ergebnis, nicht aber in den Gründen für zutreffend: Das Oberverwaltungsgericht gehe zu Unrecht davon aus, dass die Partei DIE LINKE vom Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet werden dürfe. Die Partei verfolge keine Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet seien. Bei seiner gegenteiligen Einschätzung sei das Oberverwaltungsgericht von unzutreffenden rechtlichen Maßstäben ausgegangen. Seine tatsächliche Würdigung beruhe auf einer Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes und der Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts.
Entscheidungsgründe
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Die Revision der beklagten Bundesrepublik Deutschland ist begründet. Das angefochtene Urteil verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 VwGO) und stellt sich nicht aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO). Bei zutreffender Anwendung des § 8 des Gesetzes über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und über das Bundesamt für Verfassungsschutz (Bundesverfassungsschutzgesetz - BVerfSchG) hätte das Oberverwaltungsgericht die Klage in vollem Umfang abweisen müssen. Die Erhebung von Informationen über den Kläger durch das Bundesamt für Verfassungsschutz war in der hier in Rede stehenden Zeit rechtmäßig, verstieß insbesondere nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§ 8 Abs. 5 BVerfSchG). Deshalb kann der Kläger auch nicht beanspruchen, dass das Bundesamt eine Erhebung von Informationen über ihn künftig unterlässt. Diese Beurteilung kann der Senat auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts selbst abschließend treffen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO). Die Revisionsgründe, die der Kläger im Wege der Gegenrüge gegen diese Feststellungen vorgebracht hat, sind entweder unzulässig oder unbegründet (§ 137 Abs. 2 VwGO), so dass die Feststellungen für den Senat bindend sind.
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Das Bundesamt für Verfassungsschutz erhob und erhebt Informationen über den Kläger mit den Mitteln der offenen Informationsbeschaffung (1. a)); auch der Einsatz solcher Mittel zur Informationsbeschaffung stellt einen Eingriff in die Rechte des Betroffenen dar, der deshalb einer Ermächtigungsgrundlage bedarf (1. b)). Ermächtigungsgrundlage für die Erhebung von Informationen mit den Mitteln der offenen Informationsbeschaffung ist § 8 Abs. 1 Satz 1 BVerfSchG (2.). Diese Vorschrift deckt die Erhebung von Informationen über den Kläger, weil die Partei DIE LINKE verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolgt (3.) und die deshalb erforderliche Erhebung von Informationen durch den Verfassungsschutz auf den Kläger als eines ihrer herausgehobenen Mitglieder erstreckt werden darf (4.).
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1. a) Nach den Feststellungen im Berufungsurteil hat das Bundesamt für Verfassungsschutz Informationen über den Kläger in der Zeit von Oktober 1999 bis zur mündlichen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht mit den Mitteln der offenen Informationsbeschaffung erhoben.
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Bei dieser Art der Informationsbeschaffung werden Informationen aus offenen Quellen gesammelt und ausgewertet. Offene Quellen sind Informationsträger, die für jedermann, wenn auch nur unter gewissen Umständen, zugänglich sind. Dazu zählen Zeitungen und Zeitschriften, Rundfunk- und Fernsehsendungen sowie Internetangebote. Weiter rechnen dazu die sonstigen offen zugänglichen Verlautbarungen der beobachteten Organisationen (Presseerklärungen, Flugblätter, Programme, Aufrufe), der Besuch öffentlicher Veranstaltungen sowie Erkundigungen aus öffentlich zugänglichen Karteien und Registern.
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Das Bundesamt für Verfassungsschutz führt über den Kläger eine Personenakte, in der aus solchen allgemein zugänglichen Quellen Unterlagen über seine politischen Aktivitäten zusammengestellt sind. Die Erhebung von Informationen über den Kläger umfasste dessen gesamte Tätigkeit im linken politischen Spektrum, seine Aktivitäten in der und für die Partei DIE LINKE sowie zuvor in und für die Parteien PDS und Linkspartei.PDS, Teile seiner Abgeordnetentätigkeit im Bundestag und im Thüringer Landtag sowie seine sonstigen politischen Betätigungen. Bei der Erhebung von Informationen über die Abgeordnetentätigkeit des Klägers sind allein sein Abstimmungsverhalten und seine Äußerungen im Parlament sowie in dessen Ausschüssen außer Betracht geblieben. Die Informationen über seine Arbeit als Abgeordneter betreffen nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts andere Aspekte dieser Tätigkeit: Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat allein dokumentiert, wenn dem Kläger in den Fraktionen, denen er angehörte, besondere Funktionen (beispielsweise als Vorsitzender, stellvertretender Vorsitzender oder Sprecher für bestimmte Politikbereiche) übertragen wurden (Berufungsurteil Seite 42).
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b) Bei der Erhebung von Informationen mit den Mitteln der offenen Informationsbeschaffung handelt es sich um einen Eingriff, wenn die gewonnenen Informationen einzelnen Personen oder Personenmehrheiten zugeordnet werden. Unter "Erhebung" ist die aktive Informationsbeschaffung zu verstehen, nicht die zufällige Erlangung von Informationen beispielsweise durch unverlangte Mitteilungen. Erhebung ist nur die intendierte, auf den Betroffenen gezielte Informationsbeschaffung (Borgs, in: Borgs/Ebert, Das Recht der Geheimdienste, BVerfSchG § 3 Rn. 13). Wer am öffentlichen Leben in Wort, Schrift oder Aktion teilnimmt, willigt damit nicht notwendig in die gezielte, auf Vollständigkeit angelegte Erhebung oder gar Speicherung aller seiner öffentlichen Äußerungen ein. Die zielgerichtete Sammlung öffentlicher Verhaltensweisen oder Äußerungen einer bestimmten Person ist daher als "Erhebung" im datenschutzrechtlichen Sinne anzusehen (Borgs a.a.O. Rn. 13), die an gesetzliche Voraussetzungen gebunden ist. Dem steht nicht entgegen, dass es dem Staat nicht verwehrt ist, von jedermann zugänglichen Informationsquellen unter denselben Bedingungen wie jeder Dritte Gebrauch zu machen. Ein Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ist jedoch anzunehmen, wenn - wie hier - die aus öffentlich zugänglichen Quellen stammenden Daten durch ihre systematische Erhebung, Sammlung und Erfassung einen zusätzlichen Aussagewert erhalten (vgl. BVerfG, Urteil vom 11. März 2008 - 1 BvR 2074/05 und 1 BvR 1254/07 - BVerfGE 120, 378 <398 f.>).
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2. Ermächtigungsgrundlage (Befugnisnorm) für die Erhebung von Informationen mit den Mitteln der offenen Informationsbeschaffung ist § 8 Abs. 1 Satz 1 BVerfSchG. Nach dieser Vorschrift darf das Bundesamt für Verfassungsschutz die zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlichen Informationen einschließlich personenbezogener Daten erheben, verarbeiten und nutzen. Aufgabe des Bundesamts ist nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 BVerfSchG unter anderem die Sammlung und Auswertung von Informationen, insbesondere von sach- und personenbezogenen Auskünften, Nachrichten und Unterlagen, über Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind. In diesem Sinne sind Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung solche politisch bestimmten, ziel- und zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, einen der in § 4 Abs. 2 BVerfSchG genannten Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c BVerfSchG). Zu diesen Verfassungsgrundsätzen gehören das Recht des Volkes, die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen, das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition, die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung sowie die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte (§ 4 Abs. 2 Buchst. a, c, d und g BVerfSchG).
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3. Der Kläger war bzw. ist in den Parteien PDS, Linkspartei.PDS und DIE LINKE tätig. Bei diesen Parteien handelte und handelt es sich um Personenzusammenschlüsse im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c BVerfSchG (a)), weil nach den bindenden tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts bei ihnen im streitigen Zeitraum tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c BVerfSchG gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung vorlagen (b)).
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a) Unter die Personenzusammenschlüsse im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c BVerfSchG fallen auch Parteien. Der Anwendung der Vorschrift auf sie stehen weder das Parteienprivileg aus Art. 21 Abs. 2 GG (aa)) noch das Selbstbestimmungsrecht der Parteien aus Art. 21 Abs. 1 GG (bb)) entgegen.
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aa) Nach Art. 21 Abs. 2 Satz 2 GG entscheidet zwar ausschließlich das Bundesverfassungsgericht über die Frage der Verfassungswidrigkeit politischer Parteien. Vor Ergehen einer solchen Entscheidung ist ein administratives Einschreiten gegen den Bestand einer politischen Partei ausgeschlossen. Gegen die Partei, ihre Funktionäre, Mitglieder und Anhänger dürfen wegen ihrer mit allgemein erlaubten Mitteln arbeitenden parteioffiziellen Tätigkeiten keine rechtlichen Sanktionen angedroht oder verhängt werden. Die Beobachtung durch ein Amt für Verfassungsschutz ist aber keine solche Maßnahme, sondern dient der Aufklärung des Verdachts, dass die Partei verfassungsfeindliche Ziele verfolgt. Die Zulässigkeit einer solchen Aufklärung wird von der Verfassung vorausgesetzt. Auch ohne die Feststellung ihrer Verfassungswidrigkeit darf die Überzeugung gewonnen und vertreten werden, eine Partei verfolge verfassungsfeindliche Ziele (Urteil vom 7. Dezember 1999 - BVerwG 1 C 30.97 - BVerwGE 110, 126 <130 f.>).
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bb) Soweit § 8 Abs. 1 Satz 1 BVerfSchG i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c BVerfSchG das Bundesamt für Verfassungsschutz ermächtigt, bei Anhaltspunkten verfassungsfeindlicher Bestrebungen eine politische Partei zu beobachten, steht die Vorschrift mit Art. 21 Abs. 1 GG in Einklang.
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Nach Art. 21 Abs. 1 Satz 1 und 2 GG wirken die Parteien bei der politischen Willensbildung des Volkes mit; ihre Gründung ist frei. Das Grundgesetz setzt die Staatsfreiheit der Parteien als frei gegründeter, im gesellschaftlich-politischen Bereich wurzelnder Gruppen voraus und gewährleistet ihre Unabhängigkeit vom Staat. Ihnen steht das Recht auf Selbstbestimmung zu. Zu dessen Kernbereich gehört das Recht der Parteien, selbst und ohne staatliche Einflussnahme oder Überwachung über ihre Ziele, Organisation und Tätigkeiten zu entscheiden. Sowohl die Freiheit der inneren Willensbildung als auch die freie Entfaltung der Tätigkeiten als Partei sind gewährleistet.
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Das Selbstbestimmungsrecht der Parteien findet seine Schranke in der Entscheidung des Grundgesetzes für eine "streitbare Demokratie". Diese Grundentscheidung ist im Wesentlichen aus Art. 9 Abs. 2, Art. 18, Art. 20 Abs. 4, Art. 21 Abs. 2 und Art. 28 Abs. 3 GG herzuleiten. Sie wird in den Zuständigkeitsvorschriften der Art. 73 Nr. 10 Buchst. b und Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG bestätigt. Das Grundgesetz vertraut aufgrund geschichtlicher Erfahrung nicht allein darauf, die freiheitliche Demokratie werde sich im Prozess der öffentlichen Meinungsbildung ohne Weiteres behaupten. Es hat darüber hinaus dem Staat die Aufgabe übertragen, die zentralen Grundwerte der Verfassung durch (repressive) Schutzvorkehrungen zu sichern und zu gewährleisten. Die Beobachtung einer politischen Partei auf verfassungsfeindliche Bestrebungen hin zielt dabei nicht ausschließlich darauf ab, die Entscheidung über repressive staatliche Maßnahmen vorzubereiten. Sie bezweckt vielmehr auch, Informationen über die aktuelle Entwicklung verfassungsfeindlicher Kräfte, Gruppen und Parteien im Vorfeld einer Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Verfassungsordnung zu gewinnen und zu sammeln und damit die Regierung und die Öffentlichkeit in die Lage zu versetzen, Art und Ausmaß möglicher Gefahren zu erkennen und diesen in angemessener Weise, namentlich mit politischen Mitteln entgegenzuwirken. Um die Überschreitung der Linie feststellen zu können, von der an verfassungsfeindliche Betätigungen zu einer Gefahr für die freiheitlich demokratische Grundordnung werden, der nicht mehr mit politischen Mitteln, sondern nurmehr mit juristischen Mitteln begegnet werden kann, muss dieses Vorfeld notwendig beobachtet werden (so unter Zusammenfassung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts: Urteil vom 7. Dezember 1999 - BVerwG 1 C 30.97 - BVerwGE 110, 126 <131 ff.>).
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Der Gesetzgeber hat die Aufgaben und Befugnisse des Bundesamts für Verfassungsschutz so bestimmt, dass Eingriffe in das Selbstbestimmungsrecht der Parteien auf das zur Selbstverteidigung der freiheitlichen Demokratie zwingend Gebotene beschränkt bleiben. Die widerstreitenden Prinzipien der Parteienfreiheit und der streitbaren Demokratie sind namentlich in § 8 Abs. 5 BVerfSchG und § 9 BVerfSchG mit Hilfe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit einem angemessenen Ausgleich zugeführt. Die Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im Einzelfall genügt zur Wahrung der Rechte und schützenswerten Belange Betroffener. Dies gilt auch für politische Parteien (Urteil vom 7. Dezember 1999 - BVerwG 1 C 30.97 - BVerwGE 110, 126 <134 f.>).
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Werden die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Beobachtung von Parteien durch den Verfassungsschutz eingehalten und wird dabei insbesondere der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt, greift diese Beobachtung nicht stärker in den offenen Wettbewerb der Parteien um die Möglichkeit politischer Gestaltung ein, als dies mit Rücksicht auf die Verteidigung der verfassungsrechtlichen Grundlagen der Demokratie erforderlich ist. Das Bundesverfassungsschutzgesetz lässt es nicht zu, den Verfassungsschutz darüber hinaus einseitig parteipolitisch, namentlich im Interesse der Regierungsparteien zu instrumentalisieren. Missbräuchlich, und deshalb von den eingeschränkten Ermächtigungsgrundlagen des Bundesverfassungsschutzgesetzes nicht gedeckt, wäre eine einseitige und gezielte, zudem verdeckte Weitergabe von gewonnenen Erkenntnissen an einzelne Parteien oder Politiker, namentlich zur Verwendung im Wahlkampf. Es ist nicht Aufgabe des Verfassungsschutzes, Munition für den Wahlkampf bereitzustellen. Welche Folgerungen daraus für die Anforderungen zu stellen sind, unter denen in einem Verfassungsschutzbericht (§ 16 Abs. 2 Satz 1 BVerfSchG) politische Parteien oder einzelne Personen als extremistisch oder verfassungsfeindlich bewertet werden dürfen, bedarf hier keiner Entscheidung.
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b) In dem hier streitigen Zeitraum von Oktober 1999 bis Februar 2009 lagen nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts tatsächliche Anhaltspunkte (aa)) für Bestrebungen in den Parteien PDS, Linkspartei.PDS und DIE LINKE vor, die im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c BVerfSchG gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet waren. Das dazu entwickelte Rechtsverständnis des Oberverwaltungsgerichts entspricht der Rechtslage (bb)). Das Oberverwaltungsgericht hat außerdem festgestellt, dass die verfassungsfeindlichen Bestrebungen in politisch ziel- und zweckgerichtete Verhaltensweisen im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c BVerfSchG eingemündet sind (cc)). Die dazu jeweils getroffenen tatsächlichen Feststellungen binden mangels darauf gerichteter, zulässiger und begründeter Rügen das Revisionsgericht gemäß § 137 Abs. 2 VwGO.
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aa) Nach § 4 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 1 BVerfSchG reichen für das Tätigwerden des Bundesamts für Verfassungsschutz "tatsächliche Anhaltspunkte" für verfassungsfeindliche Bestrebungen, konkret für Gefährdungen der gesetzlich näher beschriebenen Verfassungsrechtsgüter aus. Die Regelung verlangt keine Gewissheit darüber, dass Bestrebungen vorliegen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind.
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Allerdings hat das Oberverwaltungsgericht eingangs seiner Würdigung (auch) von tatsächlichen Anhaltspunkten "für den Verdacht" von Bestrebungen der Parteien PDS, Linkspartei.PDS und DIE LINKE gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gesprochen. Entgegen der Auffassung des Klägers hat das Oberverwaltungsgericht damit aber nicht die Schwelle für die Beobachtung der Parteien entgegen dem maßgeblichen Recht herabgesetzt, mit der weiteren Folge, dass seine tatsächliche Würdigung, weil von einem falschen rechtlichen Maßstab ausgehend, revisionsgerichtlich zu beanstanden wäre. Liegen Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung vor, besteht ein Verdacht solcher Bestrebungen. Die Anhaltspunkte müssen mithin geeignet sein, einen Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen zu begründen. Die dann einsetzende Beobachtung dient der Klärung dieses Verdachts. Nichts anderes hat das Oberverwaltungsgericht gemeint, wenn es von Anhaltspunkten für einen Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen spricht.
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Das Tatbestandsmerkmal "tatsächlicher Anhaltspunkt" verlangt allerdings mehr als bloße Vermutungen. Es müssen konkrete und in gewissem Umfang verdichtete Umstände als Tatsachenbasis für den Verdacht vorliegen (vgl. hierzu auch: Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 14. Juli 1999 - 1 BvR 2226/94 - BVerfGE 100, 313 <395>). Zur Annahme eines Verdachts kann ferner die Gesamtschau aller vorhandenen tatsächlichen Anhaltspunkte führen, wenn jeder für sich genommen einen solchen Verdacht noch nicht zu begründen vermag (Urteil vom 17. Oktober 1990 - BVerwG 1 C 12.88 - BVerwGE 87, 23 <28>).
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Diese Anforderungen an die tatsächlichen Anhaltspunkte genügen den verfassungsrechtlichen Vorgaben auch unter Berücksichtigung der grundgesetzlich garantierten freien Betätigung der Parteien. Weitere Eingrenzungen für die zulässige Beobachtung einer Partei lassen sich nicht der Entscheidung entnehmen, die der Kläger in diesem Zusammenhang anführt (BVerfG, Beschluss vom 24. Mai 2005 - 1 BvR 1072/01 - BVerfGE 113, 63). Sie befasst sich mit Blick auf die grundrechtlich garantierte Pressefreiheit mit der Aufnahme einer Wochenzeitung in den Verfassungsschutzbericht und dem dort enthaltenen Hinweis auf den Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen. Das Bundesverfassungsgericht arbeitet zunächst im Anschluss an frühere Rechtsprechung heraus, wann das Informationshandeln der Regierung als Eingriff in ein Grundrecht zu werten ist und unter welchen Voraussetzungen ein solcher Eingriff gerechtfertigt sein kann. Es hebt dabei insbesondere (und insoweit auch mit Bedeutung für die bloße Beobachtung einer Partei) hervor, es seien keine verfassungsrechtlichen Bedenken dagegen zu erheben, dass das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte für den Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen für die Aufnahme in den Verfassungsschutzbericht ausreicht. Das Bundesverfassungsgericht betont im Anschluss daran vor allem den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit: Die tatsächlichen Anhaltspunkte müssten hinreichend gewichtig sein. Rechtfertigten sie nur den Schluss, dass möglicherweise ein Verdacht begründet sei, reichten sie als Grundlage einer Grundrechtsbeeinträchtigung nicht aus. Stünden die Bestrebungen noch nicht fest, begründeten tatsächliche Anhaltspunkte aber einen entsprechenden Verdacht, müsse dessen Intensität hinreichen, um die Veröffentlichung in Verfassungsschutzberichten auch angesichts der nachteiligen Auswirkungen auf die Betroffenen zu rechtfertigen (BVerfG, Beschluss vom 24. Mai 2005 - 1 BvR 1072/01 - BVerfGE 113, 63 <81>). Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit begrenzt auch die Möglichkeit, Parteien wegen verfassungsfeindlicher Bestrebungen zu beobachten. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts lässt sich aber insoweit nicht ohne Weiteres übertragen. Das Gewicht des Eingriffs in die freie Betätigung der Parteien ist ein anderes, je nachdem ob sie (nur) beobachtet werden oder ob als Ergebnis einer solchen Beobachtung die Öffentlichkeit über Gefährdungen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung unterrichtet werden soll, die von der Partei ausgehen. Die Beobachtung dient gerade der Aufklärung, ob Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gegeben sind, die, ohne schon zum Mittel des Verbotsantrags zu greifen, doch die politische Auseinandersetzung mit dieser Partei erforderlich machen und ob zu diesem Zweck auch das Mittel einer Warnung der Öffentlichkeit über den Verfassungsschutzbericht eingesetzt werden soll. Diese Abstufung der Reaktion auf mögliche Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind, schließt es aus, jeweils das gleiche Gewicht für tatsächliche Anhaltspunkte für solche Bestrebungen zu verlangen.
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bb) Nach den den Senat bindenden Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts gab bzw. gibt es in den Parteien PDS, Linkspartei.PDS und heute DIE LINKE tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind, nämlich gegen das Recht des Volkes, die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen, gegen das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition, gegen die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung sowie gegen die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte.
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Mit diesen zentralen Verfassungswerten nicht vereinbar sind eine sozialistische Revolution und die Diktatur des Proletariats im klassisch marxistisch-leninistischen Sinne einer sozialistisch- kommunistischen Gesellschaftsordnung. In einer solchen Gesellschaft sind - vor allem in der Phase der Diktatur des Proletariats - die Wahrung der im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte, das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition, die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung sowie allgemeine und gleiche Wahlen nicht gewährleistet. Nach marxistisch-leninistischer Lehre ist die Diktatur des Proletariats eine notwendige Vorstufe zur Erreichung des Sozialismus. In dieser Phase wandelt das Proletariat, das durch eine Revolution die Macht ergriffen hat, in fortgesetzten revolutionären Kämpfen die kapitalistische Gesellschaft in eine sozialistisch-kommunistische um. Hierzu bedarf es einer Unterdrückung des Widerstands der durch die Revolution entmachteten Klasse. Die Staatsgewalt ist bei der Staatspartei - der Kommunistischen Partei - konzentriert, die Trägerin des Klassenkampfes ist. Die so verstandene Diktatur des Proletariats ist mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes unvereinbar. Es wäre nicht denkbar, den Wesenskern des Grundgesetzes aufrechtzuerhalten, wenn eine Staatsordnung errichtet würde, die die kennzeichnenden Merkmale der Diktatur des Proletariats trüge. In einem derartigen Gemeinwesen sind die Menschenrechte nicht gewährleistet. Für die Angehörigen der unterdrückten Klasse ist das selbstverständlich. Da alles staatliche Handeln der Aufgabe der grundlegenden Neugestaltung der staatlichen Ordnung und der Erreichung des Sozialismus untergeordnet ist, stehen auch den Mitgliedern der herrschenden Klasse Grundrechte nur insoweit zu, als sie der Festigung der Diktatur des Proletariats zumindest nicht entgegenstehen. Angesichts der Allmacht der Kommunistischen Partei und ihrer alleinigen Einsicht in die politischen Notwendigkeiten scheiden eine Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber der Volksvertretung und erst recht Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition aus. Die Erörterung von Methoden und Einzelmaßnahmen ist ausgeschlossen, sobald sie einmal von der herrschenden Partei autoritativ verkündet worden sind. Angesichts dessen bestehen auch für eine Ablösbarkeit der Regierung sowie allgemeine und gleiche Wahlen kein Raum und kein Bedürfnis (BVerfG, Urteil vom 17. August 1956 - 1 BvB 2/51 - BVerfGE 5, 85 <147 ff.> KPD-Verbot).
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Das Oberverwaltungsgericht hat die ihm vorliegenden Unterlagen dahin gewürdigt, aus ihnen ergäben sich tatsächliche Anhaltspunkte von hinreichendem Gewicht und in ausreichender Zahl dafür, dass durchaus namhafte Teile der Partei eine politische Umgestaltung der Bundesrepublik Deutschland verfolgten, nämlich durch eine sozialistische Revolution und die Diktatur des Proletariats im klassisch marxistisch-leninistischen Sinne eine sozialistisch-kommunistische Gesellschaftsordnung anstrebten.
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Diese Würdigung kann revisionsgerichtlich nicht beanstandet werden. Das Bundesverwaltungsgericht ist deshalb an sie als Revisionsgericht gebunden und hat sie seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Indem § 137 Abs. 2 VwGO das Revisionsgericht an die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz bindet, entzieht die Vorschrift insbesondere die Beweiswürdigung des Tatrichters einer umfassenden revisionsgerichtlichen Nachprüfung. Dem Tatsachengericht ist die Aufgabe übertragen, sich im Wege der freien Beweiswürdigung unter Abwägung verschiedener Möglichkeiten seine Überzeugung über den zu entscheidenden Sachverhalt zu bilden. Dieser Vorgang ist revisionsgerichtlich nur eingeschränkt nachprüfbar (Beschluss vom 2. November 1995 - BVerwG 9 B 710.94 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 266 S. 20). Eine Grenze der freien Beweiswürdigung bildet nach der einen Seite hin das anzuwendende Recht und dessen Auslegung. Nach der anderen Seite hin ergibt sich die Grenze daraus, dass der Überzeugungsgrundsatz nicht für eine Würdigung in Anspruch genommen werden kann, die im Vorgang der Überzeugungsbildung an einem Fehler leidet, etwa weil das Gericht gesetzliche Beweisregeln, allgemeine Erfahrungssätze, unumstrittene Geschichtstatsachen oder gar die Denkgesetze missachtet oder Tatsachen berücksichtigt hat, die sich weder auf ein Beweisergebnis noch sonst auf den Akteninhalt stützen lassen (Urteil vom 25. Mai 1984 - BVerwG 8 C 108.82 - Buchholz 448.0 § 11 WPflG Nr. 35 S. 16; Urteil vom 14. Januar 1998 - BVerwG 11 C 11.96 - BVerwGE 106, 115 <123>). Das Gericht verstößt gegen das Gebot, seiner Überzeugungsbildung das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde zu legen, wenn es von einem unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt ausgeht, insbesondere Umstände übergeht, deren Entscheidungserheblichkeit sich ihm hätte aufdrängen müssen (Urteil vom 23. September 2004 - BVerwG 7 C 23.03 - BVerwGE 122, 85 <92>).
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Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung ist hingegen nicht schon dann in einer revisionsgerichtlich beachtlichen Weise verletzt, wenn auch eine inhaltlich andere Überzeugung möglich gewesen wäre. Der Überzeugungsgrundsatz setzt geradezu voraus, dass auch eine andere Überzeugung hätte gewonnen werden können. Er findet seine Grenze insoweit erst da, wo eine andere Überzeugungsbildung zwingend gewesen wäre, die Beweiswürdigung des Tatsachengerichts also die Denkgesetze verletzt. Daraus folgt zugleich, dass eine Überzeugung, die als solche fehlerfrei gewonnen wurde, grundsätzlich nicht schon durch die Darlegung von Tatsachen erschüttert werden kann, die lediglich belegen, dass auch eine inhaltlich andere Überzeugung möglich gewesen wäre (Urteil vom 25. Mai 1984 - BVerwG 8 C 108.82 - Buchholz 448.0 § 11 WPflG Nr. 35 S. 16).
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Das Oberverwaltungsgericht hat die Grenzen, die seiner freien Beweiswürdigung gesetzt sind, weder in die eine noch in die andere Richtung überschritten.
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Der Senat hat nicht feststellen können, dass das Oberverwaltungsgericht bei der Bewertung der Umstände, die für die Feststellung verfassungsfeindlicher Bestrebungen in der Partei DIE LINKE maßgeblich waren, die gesetzlichen Tatbestandsmerkmale rechtlich fehlerhaft ausgelegt und angewandt hat, auf die hin der Sachverhalt zu würdigen war.
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Das Oberverwaltungsgericht hat nicht verkannt, dass Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c und Abs. 2 BVerfSchG nicht allein deshalb vorliegen, weil eine auch grundlegende Umgestaltung der wirtschaftspolitischen Verhältnisse als politisches Ziel verfolgt wird. Entgegen auch in der mündlichen Verhandlung angeklungener Kritik hat das Oberverwaltungsgericht beispielsweise die Forderung nach einer Verstaatlichung von Banken nicht für sich als Ausweis verfassungsfeindlicher Bestrebungen gewertet. Das Oberverwaltungsgericht hat vielmehr ausdrücklich hervorgehoben (Seite 54 f. des Urteilsabdrucks), es widerspräche vernünftiger Betrachtung, Anhaltspunkte für Verfassungsfeindlichkeit schon deshalb zu bejahen, weil eine Partei das Ziel ihrer Arbeit am gesellschaftlichen Umbau mit "Sozialismus", "demokratischer Sozialismus", "sozialistische Gesellschaft" oder ähnlichen Formulierungen umschreibt. Der Begriff "Sozialismus" werde im politischen Sprachgebrauch nicht nur im klassischen marxistisch-leninistischen Sinne benutzt, sondern könne auch eine als sozial verstandene, grundlegende Umgestaltung der wirtschaftspolitischen Verhältnisse meinen, die den Rahmen des Grundgesetzes nicht überschreite. Auch die Begriffe "Revolution", "Kapitalismus", "Demokratie" und "Menschenrechte" würden nicht einheitlich verwandt. "Revolution" bedeute nicht notwendig einen gewaltsamen Umsturz der verfassungsmäßigen Ordnung des Grundgesetzes, sondern könne auch eine radikale, sich aber noch im Rahmen des Grundgesetzes haltende Umgestaltung der Gesellschaft sein. Der Begriff des "Kapitalismus" könne auf die Wirtschaftsordnung beschränkt sein, aber auch die ihn ermöglichende politische Ordnung erfassen.
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Von diesem zutreffenden rechtlichen Verständnis der Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung ausgehend hat das Oberverwaltungsgericht programmatische Aussagen und Forderungen festgestellt, die weitergehend auf eine Umgestaltung der Staats- und Gesellschaftsordnung im klassisch marxistisch-leninistischen Sinne einer sozialistisch- kommunistischen Gesellschaftsordnung zielen.
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Derartige Forderungen hat das Oberverwaltungsgericht zum einen bei der Kommunistischen Plattform ausgemacht (Seite 55 f. des Urteilsabdrucks). Es hat deren programmatische Äußerungen unter Hinweis auf die insoweit ausgewerteten Dokumente dahin ausgelegt, dass die Mitglieder dieses parteiinternen Zusammenschlusses sich der Sache nach ausdrücklich zu einer sozialistischen Revolution und der Diktatur des Proletariats bekennten: Ihre Forderungen nach einem "Sozialismus im Marx'schen Sinne", einem "wissenschaftlichen Sozialismus von Marx und Engels", einer Partei, die "im Geiste von Marx, Engels und Lenin gegen das Kapital, für den Sozialismus" wirke, und einer Gesellschaftsordnung, "in welcher die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen abgeschafft und der Mensch nicht länger ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist", ließen verständigerweise keine andere Interpretation zu. Die Aussage, die angestrebte Gesellschaft werde "natürlich in ihrer Anfangsphase alles andere als perfekt" sein, und der Hinweis auf die Notwendigkeit, "unlogische, nicht objektive, ungerechte, einfache Macht" einzusetzen, seien vor diesem ideologischen Hintergrund nur als kaum verhohlene Bekenntnisse zur Diktatur des Proletariats und zur Gewaltanwendung während dieser Vorphase des Sozialismus zu verstehen. Wenn nach anderen Ausführungen gegenwärtig keine revolutionäre Situation bestehe, der Kapitalismus aber "von immer mehr Menschen als asozial, nicht friedfertig und als immer weniger demokratisch empfunden" werde, woran "zur Zeit des Zustandekommens von 'Deutschland einig Vaterland' nicht zu denken gewesen" sei, werde damit nicht bloß die politische Lage beschrieben, sondern der Hoffnung auf das Entstehen einer revolutionären Stimmung in Deutschland Ausdruck verliehen.
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Das Oberverwaltungsgericht hat zum anderen ebenfalls an Hand ausgewerteter und im Einzelnen bezeichneter Dokumente festgestellt (Seite 56 f. des Urteilsabdrucks), auch das Marxistische Forum bekenne sich offen zu Zielen, die mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht vereinbar seien: Es fordere nicht nur, "den Herrschenden ihre ökonomischen Machtgrundlagen zu entreißen", sondern wolle ihnen auch ihre "politische Macht (...) nehmen". Damit stelle es - so die Wertung des Oberverwaltungsgerichts - unmissverständlich klar, dass es sich nicht darauf beschränke, für wirtschaftspolitische Veränderungen einzutreten, die im Rahmen des Grundgesetzes zulässig seien. Dass das Marxistische Forum vielmehr anstrebt, die bestehende staatliche Ordnung durch ein gänzlich anderes Gemeinwesen zu ersetzen, hat das Oberverwaltungsgericht beispielhaft Aussagen entnommen, in denen das Grundgesetz als eine Verfassung beschrieben wird, die "nach marxistischem Verständnis Resultat von Klassenkämpfen" und "Waffenstillstandslinie bzw. Grenzmarke der kämpfenden Klassen" sei, die "auch nach ihrer Annahme immer wieder umkämpft" sei. Das Oberverwaltungsgericht hat diese Aussagen dahin ausgelegt, die angestrebte Umgestaltung der Staats- und Gesellschaftsordnung solle auch durch eine sozialistische Revolution und die Diktatur des Proletariats im klassisch marxistisch-leninistischen Sinne erreicht werden: Ein anderes Verständnis ließen die Bekenntnisse zu "Verbreitung marxistischen Wissens und dialektischen Herangehens" und "marxistischer Verfassungsbetrachtung" sowie die Auffassung nicht zu, die "marxistische Linke" benötige "eine revolutionäre Partei (...), die den Kampf um Gesellschaftsveränderung - letztlich um sozialistische Neuorganisierung der Gesellschaft - begreife und führe".
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Schließlich hat das Oberverwaltungsgericht die Linksjugend <'solid>, die als Jugendorganisation der Partei DIE LINKE anerkannt ist, zu den Gruppierungen gezählt, die der Partei zuzurechnen seien und die tragende Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung offen ablehnten (Seite 57 des Urteilsabdrucks). Es hat diese Einschätzung beispielhaft auf eine Veröffentlichung gestützt, in der die Linksjugend <'solid> den Parlamentarismus als "Kasperletheater zur Legitimation kapitalistischer Verhältnisse" verunglimpft. Das Oberverwaltungsgericht hat daraus und aus weiteren Äußerungen dieser Gruppierung die Folgerung gezogen, die Linksjugend <'solid> spreche dem Parlament seine in der Staatsordnung des Grundgesetzes zentrale Rolle bei der politischen Willensbildung ab: Sie wolle das Parlament lediglich für ihre Zwecke instrumentalisieren, indem sie es als "Bühne (...) für den Kampf um eine gerechtere Welt" nutze, der "schwerpunktmäßig außerhalb der Parlamente" stattfinden solle.
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Die Sichtung des umfangreichen Materials und die daran anknüpfende Bewertung, welche Aussagen und welches Verhalten nach ihrem Gewicht für die von der Partei verfolgten Ziele tatsächlich von Bedeutung sind, bildet danach ebenso wie die Würdigung mehrdeutiger Aussagen den Kern der freien Beweiswürdigung, die dem Tatsachengericht, nicht aber dem Bundesverwaltungsgericht als Revisionsgericht obliegt. Dass der Kläger die vom Oberverwaltungsgericht herangezogenen Dokumente anders bewertet, ergibt noch keinen Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz, der die Bindung des Senats an die Schlussfolgerungen tatsächlicher Art beseitigen könnte, die das Oberverwaltungsgericht in freier Beweiswürdigung aus den von ihm ausgewerteten Dokumenten gezogen hat.
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Zwar hat das Oberverwaltungsgericht bei seiner Würdigung verfassungsfeindliche Bestrebungen nur bei einzelnen Gruppierungen innerhalb der Partei DIE LINKE festgestellt. Damit hat es aber ebenfalls nicht den rechtlichen Rahmen verlassen, der ihm bei der Würdigung des Sachverhalts durch die Tatbestandsvoraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c BVerfSchG gezogen war. Anhaltspunkte für Bestrebungen einer Partei, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind, sind nicht nur dann gegeben, wenn die Partei in ihrer Gesamtheit solche Bestrebungen entfaltet. Das Oberverwaltungsgericht verweist zutreffend darauf (Seite 52 des Urteilsabdrucks), dass gerade die innere Zerrissenheit einer Partei, Flügelkämpfe und eine Annäherung an extremistische Gruppierungen oder Parteien eine Beobachtung durch Verfassungsschutzbehörden erfordern können. Nur so ist festzustellen, in welche Richtung sich die Partei letztlich bewegt. Allein durch die Beobachtung können die Regierung, das Parlament und die Öffentlichkeit über den Fortgang der weiteren, noch nicht abgeschlossenen Entwicklung der Partei sachkundig und angemessen unterrichtet werden. So können eindeutige verfassungsfeindliche Bestrebungen einzelner Gruppierungen innerhalb einer Partei Anhaltspunkte dafür liefern, in welche Richtung die Partei sich entwickeln kann. Das erfordert die Beobachtung der Partei insgesamt, nicht nur der einzelnen Gruppierung, mag auch diese für sich einen Personenzusammenschluss im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c BVerfSchG darstellen. Das Oberverwaltungsgericht hat bei seiner Würdigung die Gesamtpartei als Bezugspunkt nicht aus den Augen verloren, sondern stets danach gefragt, inwieweit die von ihm festgestellten verfassungsfeindlichen Bestrebungen einzelner Gruppierungen für die künftige Entwicklung der Gesamtpartei von Bedeutung sein können.
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Zu den Gruppierungen Kommunistische Plattform, Marxistisches Forum und Linksjugend <'solid> hat das Oberverwaltungsgericht in diesem Zusammenhang festgestellt, sie seien keine innerhalb der Partei unbedeutenden Splittergruppen, sondern besäßen nach ihrer satzungsmäßigen Stellung, der Zahl ihrer Mitglieder, ihrem Rückhalt bei der Gesamtheit der Parteimitglieder und dem sich hieraus ergebenden Einfluss nennenswertes Gewicht innerhalb der Partei (Seite 57 ff. des Urteilsabdrucks).
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Das Oberverwaltungsgericht leitet dies zum einen aus programmatischen Äußerungen der Partei her, in denen die Partei sich als plural bzw. pluralistisch bezeichne und das Ziel verfolge, unterschiedliche Kräfte des linken politischen Spektrums zu binden. Hierbei beziehe sie ausdrücklich auch radikale Kräfte (Bundesgeschäftsführer Dr. Dietmar Bartsch) und solche Kräfte mit ein, "die die gegebenen Verhältnisse fundamental ablehnen" (Parteiprogramm der Linkspartei.PDS). Das Oberverwaltungsgericht verweist zum anderen auf die Satzung der Partei, die in ihrem § 7 innerparteilichen Zusammenschlüssen eine besondere Stellung einräume: Sie seien entsprechend ihren Schwerpunktthemen aktiv in die Arbeit von Parteivorstand, Kommissionen und Arbeitsgruppen aller Ebenen einzubeziehen, könnten Delegierte zum Parteitag entsenden und erhielten im Rahmen des Finanzplanes finanzielle Mittel für ihre Arbeit. Das Oberverwaltungsgericht knüpft seine Wertung aber nicht allein an die zahlenmäßige Stärke der von ihm als verfassungsfeindlich gekennzeichneten Gruppierungen und die Zahl der ihnen satzungsgemäß vorbehaltenen Sitze in den Gremien der Partei an, sondern auch an den Rückhalt ihrer Arbeit in der Gesamtpartei. Der Senat ist wiederum an die auf diese Umstände zusammengenommen gestützte tatsächliche Wertung gebunden, die vom Oberverwaltungsgericht als verfassungsfeindlich angesehenen Gruppierungen innerhalb der Partei besäßen einen Einfluss von nennenswertem Gewicht. Was der Kläger gegen den Einfluss der Gruppierungen Kommunistische Plattform, Marxistisches Forum und Linksjugend <'solid> in der Partei anführt, stellt nur eine abweichende Würdigung des Sachverhalts dar, die trotz des wiederholten Hinweises auf den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 VwGO) und die Verletzung der Denkgesetze die Voraussetzungen einer erfolgreichen Verfahrensrüge nicht erfüllt und die Bindungswirkung der gegenteiligen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts nicht entfallen lässt.
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Das Oberverwaltungsgericht hat umgekehrt gerade nicht feststellen können, dass diesen Gruppierungen ein nennenswertes Gewicht mit dem Argument abgesprochen werden könne, die von ihnen initiierten und unterstützten Strömungen in der Partei könnten sich angesichts einer Übermacht grundgesetzkonformer Meinungen und Aktivitäten niemals durchsetzen. Das Oberverwaltungsgericht benennt insoweit zahlreiche gewichtige Hinweise, die aus seiner Sicht Zweifel daran begründen, dass sich die Partei als solche vorbehaltlos zum zentralen Wertesystem des Grundgesetzes bekennt (Seite 59 ff. des Urteilsabdrucks). Es spricht in diesem Zusammenhang von einem "Nährboden" für verfassungsfeindliche Bestrebungen, der es derzeit nicht ausgeschlossen erscheinen lasse, dass es den Zusammenschlüssen Kommunistische Plattform, Marxistisches Forum und Linksjugend <'solid> insbesondere auch im Zusammenwirken gelinge, ihre gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Bestrebungen innerhalb der Partei DIE LINKE durchzusetzen. Für diese Aussage verwertet das Oberverwaltungsgericht Aussagen im Parteiprogramm, die nach seiner Ansicht deutlich machten, dass die von der Partei angestrebten Veränderungen nicht auf die Wirtschaftspolitik beschränkt seien, sondern die bestehenden Gesellschafts- und Machtverhältnisse insgesamt betreffen sollten (Seite 60 f. des Urteilsabdrucks): In diesen Formulierungen könnten sich die Kräfte in der Partei wiederfinden, die den Übergang zu einer sozialistischen Gesellschaft im marxistisch-leninistischen Sinne anstrebten. Das Oberverwaltungsgericht verweist beispielhaft auf das Parteiprogramm Linkspartei.PDS. In ihm heiße es unter anderem, es bedürfe "alternativer Gesellschaftsstrukturen, die von der Verwirklichung gemeinschaftlicher Interessen geprägt sind und die Dominanz privatkapitalistischen Eigentums überwunden haben". An anderer Stelle werde dort ausgeführt, sozialistische Politik ziele "heute auf die Veränderung der Kräfteverhältnisse, die Schaffung der notwendigen Voraussetzungen für einen Richtungswechsel der Politik und die damit verbundene Umgestaltung von Eigentums- und Machtstrukturen". Das Oberverwaltungsgericht sieht darin Belege dafür, dass die von der Partei angestrebten Veränderungen nicht auf die Wirtschaftspolitik beschränkt seien, sondern die bestehenden Gesellschafts- und Machtverhältnisse insgesamt betreffen sollten, hält jedenfalls eine dahingehende Auslegung des Parteiprogramms der Linkspartei.PDS nicht für völlig ausgeschlossen, zumal in den programmatischen Eckpunkten der Partei DIE LINKE unter Berufung auf Karl Marx die "Überwindung aller Eigentums- und Herrschaftsverhältnisse, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist", gefordert und das Ziel formuliert werde, "Bürgerinnen und Bürger gegen Machtbestrebungen der herrschenden Klasse" zu "mobilisieren". Das Oberverwaltungsgericht räumt zwar ein, eine an die Sprache von Marx, Engels und Lenin anknüpfende Ausdrucksweise müsse nicht auf einen verfassungswidrigen Inhalt führen, hält der Partei aber vor, ohne eine deutliche Abkehr davon bleibe jedenfalls ein tatsächlicher Anhaltspunkt für verfassungsfeindliche Bestrebungen.
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Wie dem Kläger einzuräumen ist, hat das Oberverwaltungsgericht nicht angenommen, die Partei strebe schon nach ihrem aktuellen Programm eine revolutionäre Umgestaltung der Gesellschaftsordnung an. Zu Recht ist das Oberverwaltungsgericht aber davon ausgegangen (Seite 50 des Urteilsabdrucks), ausreichende tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen könnten bereits dann gegeben sein, wenn aussagekräftiges Tatsachenmaterial lediglich einen Teilbereich der Zielsetzungen, Verlautbarungen und Aktivitäten des Personenzusammenschlusses widerspiegele. Deren Aussagekraft wird nicht allein dadurch in Frage gestellt, dass daneben eine Vielzahl von Äußerungen existiert, denen sich keine Anhaltspunkte für eine verfassungsfeindliche Ausrichtung entnehmen lassen. Der Hinweis auf die Aussagen im Parteiprogramm hat in dem hier interessierenden Zusammenhang für das Oberverwaltungsgericht zudem nur die Funktion, zu belegen, dass die verfassungsfeindlich ausgerichteten Gruppen sich mit ihren Bestrebungen auf jedenfalls mehrdeutige und unklare Aussagen in dem Programm der Gesamtpartei berufen können, mit der Folge, dass sie nicht als Außenseiter angesehen werden können, die für die Ausrichtung der Partei gänzlich vernachlässigt werden müssen.
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Soweit der Kläger im Weiteren die Auslegung programmatischer Aussagen im Parteiprogramm durch das Oberverwaltungsgericht angreift und dieser Auslegung seine eigene Deutung entgegensetzt, handelt es sich um einen Angriff auf die Sachverhaltswürdigung des Tatsachengerichts, der nicht die Voraussetzungen einer zulässigen und begründeten Verfahrensrüge erfüllt.
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Diese Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen werden nach den tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts verstärkt und bestätigt durch Verlautbarungen der Partei insgesamt sowie der Zusammenschlüsse in ihr, die für eine Solidarisierung mit der DDR und der Republik Kuba stritten (Seite 61 ff. des Urteilsabdrucks). Das Oberverwaltungsgericht verweist auf die totalitären Züge, die die Staatsgewalt in der DDR und in Kuba getragen habe bzw. trage. Die fehlende Distanz zu und die ausdrückliche Solidarität mit diesen Staatsgewalten trotz der gravierenden Verletzungen der Menschenrechte dort verstärkten die Zweifel, ob die Partei die Werte des Grundgesetzes teile, die für die freiheitliche demokratische Grundordnung grundlegend seien. Das Oberverwaltungsgericht räumt zwar ein, dass es in der Partei, beispielsweise in der Präambel des Parteiprogramms, deutliche Distanzierungen von den Verhältnissen in der DDR gebe. Dem stünden aber ebenso deutliche Versuche gegenüber, das begangene Unrecht zu relativieren, mit der Folge, dass die PDS, die Linkspartei.PDS sowie DIE LINKE bei der Würdigung des Unrechts in der DDR ein unverständliches, uneinheitliches Bild böten.
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Das Oberverwaltungsgericht konnte Verlautbarungen aus der Partei zur DDR heranziehen, ohne damit die rechtlichen Grenzen zu überschreiten, die durch das Erfordernis von Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gezogen sind.
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Entgegen in der mündlichen Verhandlung anklingender Kritik hat das Oberverwaltungsgericht zum einen nicht etwa jede Zustimmung zu wirtschaftlichen und sozialen Einrichtungen der DDR, wie etwa Polikliniken, pauschal als mangelnde Distanzierung von der DDR und als Ausweis fehlender Verbundenheit mit den Grundwerten der Demokratie angesehen. Das Oberverwaltungsgericht hat vielmehr Aussagen verwertet, die sich auf Erscheinungen beziehen, die in herausgehobener Weise die der Demokratie und den Menschenrechten feindlichen Seiten des politischen Systems der DDR kennzeichnen. So hat das Oberverwaltungsgericht beispielsweise auf eine Äußerung verwiesen, in der der Bau der Mauer gerechtfertigt wird, weil er berechtigten ökonomischen Interessen des Staates gedient habe (Seite 62 des Urteilsabdrucks). Die vom Oberverwaltungsgericht angeführte Äußerung des zeitweiligen stellvertretenden Bundesvorsitzenden der PDS Diether Dehm warnt davor, eine allzu gedankenlose Distanzierung vom Mauerbau könnte in Zukunft das Verständnis dahin dogmatisch versperren, wo eine ökonomisch unterentwickelte Region - um mehr Demokratie, mehr Ökologie, mehr Kulturausgaben, mehr Sozialausgaben zu wagen - sich abschotte oder etwa wegen der Abwerbung der vom Monopolkapital bevorzugten Kräftigen, Jungen, teuer Ausgebildeten verhindern wolle. Andere Äußerungen, die das Oberverwaltungsgericht in diesem Zusammenhang angeführt hat, betreffen die Verharmlosung, wenn nicht gar Rechtfertigung der Staatssicherheit der DDR (Seite 63 des Urteilsabdrucks).
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Das Oberverwaltungsgericht hat in diesem Zusammenhang nicht verkannt, dass eine verfassungsfeindliche Abkehr von der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht schon bei "Entgleisungen" einzelner Mitglieder oder Anhänger angenommen werden kann (Urteil vom 18. Mai 2001 - BVerwG 2 WD 42.00, 43.00 - BVerwGE 114, 258 <265>). Die von ihm angeführten Äußerungen stammen aber beispielsweise von einem ehemaligen stellvertretenden Bundesvorsitzenden und späteren Vorsitzenden eines Landesverbandes sowie von dem Ältestenrat der Partei und damit von Persönlichkeiten und Einrichtungen, von denen angenommen werden darf, dass sie zumindest Teile der Partei repräsentieren und Mitglieder und Wähler an die Partei binden sollen, die mit ihren Auffassungen übereinstimmen.
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Zum anderen hat das Oberverwaltungsgericht die Verlautbarungen aus der Partei zur DDR nicht isoliert als Belege verfassungsfeindlicher Bestrebungen gewertet, sondern sie in einen Zusammenhang gestellt mit den von ihm festgestellten Bestrebungen einzelner Gruppierungen in der Partei, die auf eine sozialistische Revolution und die Diktatur des Proletariats im klassisch marxistisch-leninistischen Sinne einer sozialistisch-kommunistischen Gesellschaftsordnung gerichtet sind. Wenn über diese Gruppierungen hinaus Tendenzen in der Partei feststellbar sind, die Verhältnisse in der DDR schön zu reden, erlaubt dies wiederum den Schluss, dass diese Bestrebungen nicht isoliert in der Partei dastehen, sondern - wie das Oberverwaltungsgericht sich ausdrückt - dort einen Nährboden finden. Die Rechtfertigung der DDR oder die Zurückweisung von Kritik an ihr kann Anhaltspunkte dafür liefern, was unter dem für sich vieldeutigen Begriff Sozialismus oder sozialistische Gesellschaftsordnung verstanden oder doch als mit diesen Begriffen vereinbar angesehen wird. In einer politischen Partei handelt es sich bei Aussagen zur DDR nicht um bloße Meinungsbekundungen zu einer interessanten zeitgeschichtlichen Frage, sondern um einen auf die Gegenwart bezogenen Beitrag zu den politischen Vorstellungen, die für die Partei erstrebenswert, jedenfalls tolerabel sind.
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Unterlagen über die praktische Arbeit der Partei hat das Oberverwaltungsgericht zudem Hinweise für eine Annäherung der Partei an extremistische Organisationen im In- und Ausland und deren politische Unterstützung entnommen. Zu den extremistischen Organisationen im Inland zählt das Oberverwaltungsgericht die DKP, zu der die Partei DIE LINKE langjährige intensive Kontakte gepflegt habe und pflege (Seite 63 f. des Urteilsabdrucks). Nach der Wende in der DDR habe die PDS bei ihren Bemühungen, im politischen System der Bundesrepublik akzeptiert zu werden, zunächst auf die Hilfe der DKP gesetzt. In der Folgezeit habe sich die Zusammenarbeit intensiviert, bis hin zur Aufnahme von Mitgliedern der DKP in Wahlvorschläge der Partei DIE LINKE. Der auf dem Parteitag im Mai 2008 gefasste Beschluss, auf den Listen der Partei DIE LINKE für Europa-, Bundestags- und Landtagswahlen zukünftig keine Personen mehr aufzunehmen, die Mitglied in anderen Parteien sind, sei nicht als Abkehr von dieser Zusammenarbeit zu verstehen. Vielmehr habe sogar der Kläger betont, der Beschluss sei nicht gegen die DKP gerichtet, sondern solle nur der Gefahr von Wahlanfechtungen begegnen. Zu den extremistischen Organisationen im Ausland zählt das Oberverwaltungsgericht ausländische Guerillaorganisationen wie die kolumbianische FARC, die auf der Terrorliste der EU geführt wird, und die auch in Deutschland verbotene PKK bzw. ihre Nachfolgeorganisationen KADEK und KONGRA GEL, die die Partei politisch unterstütze, ohne dies von einer Beendigung terroristischer Aktionen abhängig zu machen.
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Auch diese Hinweise haben in der Würdigung des Sachverhalts für das Oberverwaltungsgericht die Funktion, die Nähe von Teilen der Partei zu revolutionärer Gewalt und deren Rechtfertigung zu belegen (Seite 64 des Urteilsabdrucks). Der Kläger unternimmt demgegenüber weithin den Versuch, nachzuweisen, dass jeder einzelne vom Oberverwaltungsgericht verwertete Umstand für sich nicht geeignet ist, verfassungsfeindliche Bestrebungen zu belegen. Das geht schon deshalb an der Würdigung des Sachverhalts durch das Oberverwaltungsgericht vorbei, weil das Oberverwaltungsgericht zutreffend eine Gesamtbetrachtung anstellt, bei der die Bedeutung einzelner Umstände erst im Lichte anderer hervortritt. An das rechtsfehlerfrei zustande gekommene Ergebnis dieser Gesamtbetrachtung, nämlich der Feststellung tatsächlicher Anhaltspunkte verfassungsfeindlicher Bestrebungen, ist der Senat gebunden.
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cc) Das Oberverwaltungsgericht hat darüber hinaus festgestellt, dass die verfassungsfeindlichen Bestrebungen in politisch bestimmte, ziel- und zweckgerichtete Verhaltensweisen im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c BVerfSchG eingemündet sind.
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Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c BVerfSchG sind "Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung" nur die in diesem Sinne verfolgten politisch bestimmten, ziel- und zweckgerichteten Verhaltensweisen. Das Tatbestandsmerkmal einer "politisch bestimmten, ziel- und zweckgerichteten Verhaltensweise" erfordert damit über das bloße Vorhandensein bestimmter Bestrebungen hinaus ein aktives, nicht jedoch notwendig kämpferisch-aggressives Vorgehen zu deren Realisierung. Dementsprechend umschreibt das Gesetz verfassungsschutzrelevante Bestrebungen nicht als politisch motiviert, sondern als politisch bestimmt. Bestrebungen müssen also zum einen politisch determiniert, folglich objektiv geeignet sein, - über kurz oder lang - politische Wirkungen zu entfalten (Droste, Handbuch des Verfassungsschutzrechts, S. 165). Kein Bestandteil des Merkmals "Bestrebung" ist ausweislich des Wortlauts der Norm ein "aktiv kämpferisches" Verhalten. Zudem definiert das Gesetz den Begriff der Bestrebung nicht anhand der Merkmale legal/illegal. Es kommt nicht darauf an, ob bestimmte Verhaltensweisen erlaubt sind oder nicht (Droste, Handbuch des Verfassungsschutzrechts, S. 168).
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§ 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c BVerfSchG erfasst Verhaltensweisen, die über rein politische Meinungen hinausgehen und auf Durchsetzung eines Ziels ausgerichtet sind. Neben der Durchsetzung des politischen Hauptziels müssen die Aktivitäten auf die Beeinträchtigung eines der vom Gesetz geschützten Rechtsgüter abzielen und somit ein maßgeblicher Zweck der Bestrebung sein. Die bloße Inkaufnahme einer entsprechenden Gefährdung ist nicht ausreichend. Die verantwortlich Handelnden müssen auf den Erfolg der Rechtsgüterbeeinträchtigung hinarbeiten. Die bloße Übereinstimmung oder Sympathie mit den Zielen einer verfassungsfeindlichen Organisation reicht ebenso wie die wissenschaftliche Beschäftigung mit einer extremistischen Theorie nicht aus (Droste, Handbuch des Verfassungsschutzrechts, S. 167 ff.). Die eindeutig bestimmbare Grenze zwischen wissenschaftlicher Theorie und politischem Ziel liegt dort, wo die betrachtend gewonnenen Erkenntnisse von einer politischen Partei, also einer ihrem Wesen nach zu aktivem Handeln im staatlichen Leben entschlossenen Gruppe, in ihren Willen aufgenommen, zu Bestimmungsgründen ihres politischen Handelns gemacht werden (BVerfG, Urteil vom 17. August 1956 - 1 BvB 2/51 - BVerfGE 5, 85 <147>).
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Diese rechtlichen Vorgaben hat das Oberverwaltungsgericht bei seiner Würdigung des Sachverhalts beachtet. Es hat insoweit zutreffend berücksichtigt, dass die bloße Kritik an Verfassungswerten und Verfassungsgrundsätzen nicht als Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung einzuschätzen ist, wohl aber darüber hinausgehende Aktivitäten zu deren Beseitigung (BVerfG, Beschluss vom 24. Mai 2005 - 1 BvR 1072/01 - BVerfGE 113, 63 <81>). Dabei ist zu berücksichtigen, dass Kritik an der Verfassung und ihren wesentlichen Elementen ebenso erlaubt ist wie die Äußerung der Forderung, tragende Bestandteile der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu ändern. Es ist allerdings verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn die Verfassungsschutzbehörde insoweit an die Inhalte von Meinungsäußerungen knüpft, als diese Ausdruck eines Bestrebens sind, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen. Es ist dem Staat grundsätzlich nicht verwehrt, aus Meinungsäußerungen Schlüsse zu ziehen und gegebenenfalls Maßnahmen zum Rechtsgüterschutz zu ergreifen. Lassen sich Bestrebungen zur Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung aus Meinungsäußerungen ableiten, dürfen Maßnahmen zur Verteidigung dieser Grundordnung ergriffen werden. (BVerfG, Beschluss vom 24. Mai 2005 - 1 BvR 1072/01 - BVerfGE 113, 63 <82>). Kritik an einem Bestandteil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung muss danach nur als "bloße" Kritik unberücksichtigt bleiben, nicht jedoch, wenn sie verbunden ist mit der Ankündigung konkreter Aktivitäten zur Beseitigung dieses Verfassungsgrundsatzes oder mit der Aufforderung zu solchen Aktivitäten. Politische Parteien sind auf politische Aktivität und auf Änderung der politischen Verhältnisse ausgerichtete Organisationen. Bei Meinungsäußerungen, die von oder innerhalb einer politischen Partei abgegeben werden, liegt zumindest nahe, dass sie mit der Intention einer entsprechenden Änderung der realen Verhältnisse abgegeben werden (vgl. hierzu Murswiek, NVwZ 2006, 121 <125 und 127>).
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Hiervon ausgehend hat das Oberverwaltungsgericht innerhalb der Partei aktive Verhaltensweisen, insbesondere der Kommunistischen Plattform, des Marxistischen Forums und der Linksjugend <'solid>, festgestellt, die darauf gerichtet sind, mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht vereinbare Ziele zunächst innerhalb der Partei und sodann über diese hinaus allgemein durchzusetzen (Seite 66 ff. des Urteilsabdrucks): So bemühten sich die extremistischen Kräfte, ihren Einfluss innerhalb der Partei zu vergrößern, indem sie bei den Parteimitgliedern massiv um Unterstützung für ihre Positionen würben. Derartige Bemühungen, parteiintern Unterstützung für ihre eigenen Positionen zu gewinnen, entfalteten die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Kräfte insbesondere zu Zeiten, in denen wesentliche programmatische Grundentscheidungen anstünden. Die Bemühungen der genannten Gruppierungen um Einfluss innerhalb und außerhalb der Partei würden zudem durch ihr Streben nach parteiinternen Ämtern und Parlamentsmandaten deutlich. Bei sich bietendem Anlass würden gezielt Parteimitglieder und -anhänger mobilisiert, um den Bundesvorstand und den Parteirat zu Äußerungen zu veranlassen, die geeignet seien, Zweifel daran zu begründen, dass die Partei die für die freiheitliche demokratische Grundordnung grundlegenden Werte des Grundgesetzes teile. Anhaltspunkte für über die Partei hinaus wirkende Aktivitäten zur Durchsetzung von Zielen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet seien, ergäben sich insbesondere aus der Unterstützung, die die Partei linksextremistischen Organisationen, wie insbesondere der DKP, gewähre.
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Es kann schließlich von Rechts wegen nicht beanstandet werden, dass das Oberverwaltungsgericht den von ihm festgestellten tatsächlichen Anhaltspunkten für verfassungsfeindliche Bestrebungen ein hinreichendes Gewicht beigemessen hat, um nach wie vor eine Beobachtung der Partei DIE LINKE für gerechtfertigt zu halten. Das Oberverwaltungsgericht entnimmt diese tatsächlichen Anhaltspunkte im Wesentlichen den programmatischen Verlautbarungen und sonstigen Äußerungen der Kommunistischen Plattform, des Marxistischen Forums und der Linksjugend <'solid> sowie deren Mitglieder. Diese Gruppierungen bestehen zwar schon seit langem, ohne dass es ihnen nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts gelungen wäre, die Partei DIE LINKE zu dominieren und in die von ihnen gewünschte Richtung zu drängen. Dass der Einfluss der offen verfassungsfeindlichen Gruppierungen nicht merklich gewachsen ist, rechtfertigt allein noch nicht die Annahme, diese Gruppierungen und ihre Ziele hätten nach so langer Zeit jetzt nicht mehr das notwendige Gewicht, um Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen der Partei insgesamt zu liefern. Bestehen über die Jahre unverändert tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen, weil sich diese Anhaltspunkte trotz mehrjähriger Beobachtung nicht haben ausräumen lassen, rechtfertigen sie nach wie vor die Beobachtung der Partei durch das Bundesamt für Verfassungsschutz. Das Oberverwaltungsgericht hat seine Einschätzung auf Quellen gestützt, die auch aus jüngerer Zeit stammen. Zudem hat der Zusammenschluss der Linkspartei.PDS mit der WASG zur Partei DIE LINKE im Jahre 2007 zu einem beträchtlichen Mitgliederzuwachs geführt und der Partei neue Wählerschichten eröffnet. Es besteht ein berechtigtes öffentliches Interesse daran, die Entwicklung der neu zusammengesetzten Partei und ihrer maßgeblichen Funktionäre zu beobachten. Insbesondere bedarf der Aufklärung, ob es den extremistischen Kräften innerhalb der Partei gelingt, die verbreiterte Basis der Partei innerhalb der Gesellschaft für ihre Zwecke zu nutzen.
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4. Die Tätigkeit des Klägers als eines herausgehobenen Mitglieds der Parteien PDS, Linkspartei.PDS und heute DIE LINKE rechtfertigt es, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz gemäß § 8 Abs. 1, § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c BVerfSchG Informationen über ihn mit den Mitteln der offenen Informationsbeschaffung erhebt (a)). Diese Maßnahme ist verhältnismäßig (b)).
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a) § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c BVerfSchG verlangt keine Voraussetzungen, die über die Mitgliedschaft in dem Personenzusammenschluss hinausgehen (aa)). Einer Beobachtung des Klägers steht nicht entgegen, dass er nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts in eigener Person keine verfassungsfeindlichen Bestrebungen verfolgt (bb)). Schließlich ist eine Beobachtung des Klägers nicht deshalb ausgeschlossen, weil § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c BVerfSchG auf Abgeordnete des Bundestages oder eines Landesparlaments aus Gründen höherrangigen Rechts nicht anwendbar wäre (cc)).
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aa) Über die bisher erörterten Voraussetzungen hinaus, die bei dem Personenzusammenschluss im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c BVerfSchG vorliegen müssen, hängt die Zulässigkeit der Erhebung von Informationen über den Kläger nicht von individuellen und subjektiven Beiträgen des Klägers oder seiner intentionalen Beteiligung an Handlungen zur Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ab. § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c BVerfSchG verlangt keine Voraussetzungen, die über die Mitgliedschaft in dem Personenzusammenschluss hinausgehen. § 4 Abs. 1 Satz 2 BVerfSchG gilt mit dem zusätzlichen Erfordernis einer nachdrücklichen Unterstützung nur für Personen, die nicht in dem Personenzusammenschluss, sondern ausschließlich für diesen handeln. Die noch weiter reichenden Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 4 BVerfSchG gelten nur für Personen, die weder in noch für den Personenzusammenschluss handeln.
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bb) Die Beobachtung des Klägers ist nicht ausgeschlossen, weil er nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts (Seite 68 f. des Urteilsabdrucks) in eigener Person keine verfassungsfeindlichen Bestrebungen verfolgt.
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Allerdings bindet diese Feststellung das Revisionsgericht (§ 137 Abs. 2 VwGO). Die insoweit erhobene Verfahrensrüge der Beklagten ist unbegründet. Die Annahme des Oberverwaltungsgerichts verstößt nicht gegen die Denkgesetze und kann deshalb nicht unter diesem Gesichtspunkt den Überzeugungsgrundsatz des § 108 Abs. 1 VwGO verletzen. Das Oberverwaltungsgericht hat zwar angenommen, dass über die Gruppierungen Kommunistische Plattform, Marxistisches Forum und Linksjugend <'solid> hinaus sich auch in der Gesamtpartei Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen finden. Mit diesen hat das Oberverwaltungsgericht den Kläger persönlich aber nicht in Verbindung gebracht. Auch wenn der Kläger eine führende Rolle in der Partei spielt, ist es nicht aus Gründen der Logik ausgeschlossen, dass er selbst keine verfassungsfeindlichen Bestrebungen verfolgt, sondern eine andere Politik will.
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§ 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c BVerfSchG verlangt jedoch nach seinem Wortlaut nur, dass die verfassungsfeindlichen Bestrebungen von dem Personenzusammenschluss verfolgt werden. Die Beobachtung einzelner Personen, die in einem solchen Personenzusammenschluss tätig sind, ist nach dieser Vorschrift auch dann gerechtfertigt, wenn das Mitglied eines solchen Personenzusammenschlusses nicht selbst subjektiv das Ziel verfolgt, durch seine Tätigkeit in dem Personenzusammenschluss die freiheitliche demokratische Grundordnung ganz oder teilweise zu beseitigen. Vielmehr reicht es aus, dass seine Tätigkeit objektiv geeignet ist, solche Bestrebungen zu unterstützen. Das Bundesverfassungsschutzgesetz will nach seinem Zweck helfen, objektiv bestehende Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung abzuwehren. Solche Gefahren gehen nicht nur von Personen aus, die der freiheitlichen demokratischen Grundordnung feindlich gegenüberstehen und sie ganz oder teilweise beseitigen wollen. Ebenso gefährlich können Personen sein, die selbst auf dem Boden der freiheitlichen demokratischen Grundordnung stehen, jedoch bei objektiver Betrachtung durch ihre Tätigkeit verfassungsfeindliche Bestrebungen fördern, ohne dies zu erkennen oder als hinreichenden Grund anzusehen, einen aus anderen Beweggründen unterstützten Personenzusammenschluss zu verlassen. Eine derartige Person, die nicht merkt, wofür sie missbraucht wird, kann für den Bestand der freiheitlichen demokratischen Grundordnung genauso gefährlich sein wie der Überzeugungstäter (vgl. hierzu auch Urteil vom 11. November 2004 - BVerwG 3 C 8.04 - BVerwGE 122, 182 <191>).
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cc) Eine Erhebung von Informationen über den Kläger mit den Mitteln der offenen Informationsbeschaffung ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil § 8 Abs. 1 Satz 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c BVerfSchG auf Abgeordnete des Bundestages oder eines Landesparlaments nicht angewandt werden dürfte. Die Vorschriften beschränken zulässigerweise den Grundsatz des freien Mandats aus Art. 38 Abs. 1 GG (aaa)). Für eine solche Beschränkung bedarf es keiner besonderen Ermächtigungsgrundlage, die eine Erhebung von Informationen mit den Mitteln der offenen Informationsbeschaffung speziell gegenüber Abgeordneten zulässt. Eine solche Notwendigkeit ergibt sich weder aus dem Vorbehalt des Gesetzes noch besteht ein allgemeiner verfassungsrechtlicher Grundsatz, wonach Maßnahmen gegen Abgeordnete nur mit Zustimmung des Parlaments zulässig seien (bbb)). Schließlich steht der Anwendung der § 8 Abs. 1 Satz 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c BVerfSchG auf Abgeordnete das Parteienprivileg nicht entgegen (ccc)).
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aaa) Grundlage des freien Mandats ist Art. 38 Abs. 1 GG. Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen (Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG). Diese Norm schützt nicht nur den Bestand, sondern auch die tatsächliche Ausübung des Mandats (BVerfG, Urteil vom 13. Juni 1989 - 2 BvE 1/88 - BVerfGE 80, 188 <218>; Urteil vom 20. Juli 1998 - 2 BvE 2/98 - BVerfGE 99, 19 <32>). Der Abgeordnete ist - vom Vertrauen der Wähler berufen - Inhaber eines öffentlichen Amtes, Träger eines freien Mandats und, gemeinsam mit der Gesamtheit der Mitglieder des Parlaments (BVerfG, Beschluss vom 24. März 1981 - 2 BvR 215/81 - BVerfGE 56, 396 <405>), Vertreter des ganzen Volkes (BVerfG, Urteil vom 8. Dezember 2004 - 2 BvE 3/02 - BVerfGE 112, 118 <134>). Er hat einen repräsentativen Status inne, übt sein Mandat in Unabhängigkeit, frei von jeder Bindung an Aufträge und Weisungen, aus und ist nur seinem Gewissen unterworfen (BVerfG, Urteil vom 5. November 1975 - 2 BvR 193/74 - BVerfGE 40, 296 <314, 316>; Beschluss vom 30. September 1987 - 2 BvR 933/82 - BVerfGE 76, 256 <341>).
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Die Freiheit des Mandats ist allerdings nicht schrankenlos gewährleistet. Sie kann durch andere Rechtsgüter von Verfassungsrang begrenzt werden (BVerfG, Urteil vom 4. Juli 2007 - 2 BvE 1/06 - BVerfGE 118, 277 <324>). Zu diesen Grundsätzen gehört, wie erwähnt, das Prinzip der streitbaren Demokratie. Die Tätigkeit des Bundesamts für Verfassungsschutz hat verfassungsrechtlichen Rang, insofern es institutionell (Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG) und mit seinen Aufgaben (Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b GG) im Grundgesetz erwähnt wird. § 8 BVerfSchG konkretisiert einfachrechtlich dieses Prinzip der streitbaren Demokratie.
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bbb) Soweit Abgeordnete von der Tätigkeit des Bundesamts für Verfassungsschutz betroffen sind, bedarf diese Konkretisierung keines Gesetzes, das ein Tätigwerden gerade gegenüber Abgeordneten erlaubt.
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Der Vorbehalt des Gesetzes verlangt, dass staatliches Handeln in bestimmten grundlegenden Bereichen durch förmliches Gesetz legitimiert wird. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen, und darf sie nicht anderen Normgebern (oder gar der Verwaltung) überlassen. Wann es danach einer Regelung durch den parlamentarischen Gesetzgeber bedarf, lässt sich nur im Blick auf den jeweiligen Sachbereich und auf die Eigenart des betroffenen Regelungsgegenstandes beurteilen. Die verfassungsrechtlichen Wertungskriterien sind dabei den tragenden Prinzipien des Grundgesetzes, insbesondere den darin verbürgten Grundrechten, zu entnehmen. Danach bedeutet wesentlich im grundrechtsrelevanten Bereich in der Regel "wesentlich für die Verwirklichung der Grundrechte" (BVerfG, Urteil vom 14. Juli 1998 - 1 BvR 1640/97 - BVerfGE 98, 218 <251>) und in dem hier in Rede stehenden Bereich "wesentlich für die Verwirklichung des freien Mandats", dessen verfassungsrechtlich immanente Schranken bestimmt und konkretisiert werden müssen.
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Die danach wesentlichen Entscheidungen hat der Gesetzgeber aber mit § 3 Nr. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c, § 8 BVerfSchG getroffen. Gegenstand dieser Regelungen sind Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung und damit politisch motivierte Betätigungen. Dem Gesetzgeber war aufgrund der Geschichte, auch derjenigen der Bundesrepublik Deutschland, bewusst, dass Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung auch von Parteien ausgehen können, die bei Bundes- oder Landtagswahlen Mandate errungen haben. Dass die Abgeordneten solcher Parteien in ihnen zumeist eine herausragende Funktion einnehmen werden und deshalb zuvörderst Träger der verfassungsfeindlichen Bestrebungen sein können, lag für ihn auf der Hand. Dem Gesetzgeber war das Problem einer Anwendung der von ihm zur Verteidigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung geschaffenen Normen auf Abgeordnete mithin durchaus gegenwärtig. Er konnte andererseits nicht übersehen, dass die nachrichtendienstliche Beobachtung von Abgeordneten erhebliche Gefahren im Hinblick auf ihre Unabhängigkeit (Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG) und auf die Mitwirkung der betroffenen Parteien bei der politischen Willensbildung (Art. 21 GG) und damit für den Prozess demokratischer Willensbildung insgesamt birgt (BVerfG, Beschluss vom 1. Juli 2009 - 2 BvE 5/06 - NVwZ 2009, 1092 <1095>). Den deshalb notwendigen Ausgleich der widerstreitenden Verfassungsprinzipien hat er nicht nur durch die eingehend normierten Eingriffsvoraussetzungen selbst, sondern insbesondere auch mit § 8 Abs. 5, § 9 BVerfSchG geschaffen, die die Tätigkeit des Bundesamts für Verfassungsschutz einem strikten Gebot der Verhältnismäßigkeit unterwerfen. Mit diesen Regelungen hat der Gesetzgeber selbst die wesentlichen Entscheidungen für die Auflösung des Spannungsverhältnisses von freiem Mandat und streitbarer Demokratie getroffen.
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Der Gesetzgeber war dabei nicht von Verfassungs wegen gezwungen, die Erhebung von Informationen über Abgeordnete durch das Bundesamt für Verfassungsschutz von der vorherigen Genehmigung des Parlaments abhängig zu machen.
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Dem Grundgesetz lässt sich kein allgemeiner Grundsatz des Inhalts entnehmen, Maßnahmen anderer staatlicher Gewalten gegen Parlamentarier seien nur zulässig, wenn sie zuvor vom Parlament genehmigt wurden. Art. 46 Abs. 2 und Abs. 3 GG sehen eine Genehmigung des Bundestages nur vor für die Einleitung eines Strafverfahrens gegen Abgeordnete und für deren Verhaftung, für sonstige freiheitsbeschränkende Maßnahmen und für die Einleitung eines Verfahrens auf Verwirkung von Grundrechten nach Art. 18 GG. Diese punktuellen Regelungen sind nicht verallgemeinerungsfähig.
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Die Existenz eines allgemeinen verfassungsrechtlichen Grundsatzes lässt sich erst recht nicht anhand lediglich einfachrechtlicher Regelungen nachweisen, die das Verhältnis Verfassungsschutz/Abgeordnete (zudem zumeist nur am Rande) berühren. Nach § 2 Abs. 3 Nr. 1 des Gesetzes über die Voraussetzungen und das Verfahren von Sicherheitsüberprüfungen des Bundes (Sicherheitsüberprüfungsgesetz - SÜG) gilt das Sicherheitsüberprüfungsgesetz nicht für Mitglieder der Verfassungsorgane des Bundes. Es ist damit insbesondere auf Bundestagsabgeordnete nicht anwendbar. Nach § 3 Abs. 1 SÜG liegt die Zuständigkeit für Sicherheitsüberprüfungen grundsätzlich nicht beim Bundesamt für Verfassungsschutz. Dieses führt Sicherheitsüberprüfungen nur selbst durch, wenn Bewerber und Mitarbeiter des eigenen Dienstes betroffen sind (§ 3 Abs. 3 SÜG). Im Übrigen wirkt das Bundesamt für Verfassungsschutz bei Überprüfungen, die andere Behörden durchzuführen haben, lediglich mit (§ 3 Abs. 2 SÜG). § 44c Abgeordnetengesetz (AbgG) ermöglicht eine Überprüfung von Bundestagsabgeordneten auf eine Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit der DDR. Die Vorschrift dient nicht dazu, Abgeordnete aufgrund ihrer besonderen Stellung in der Ordnung des Grundgesetzes anders als Bürger, die diesen verfassungsrechtlichen Schutz nicht genießen, vor staatlichen Maßnahmen zu schützen. § 44c AbgG schafft vielmehr staatliche Eingriffsmöglichkeiten, die nur gegenüber Abgeordneten gelten. Umgekehrt verbietet § 3 Abs. 2 Satz 4 des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10-Gesetz) die Einbeziehung von Abgeordnetenpost nur in Maßnahmen, die sich gegen Dritte richten. Abgeordnetenpost darf danach Gegenstand von Maßnahmen sein, die gegen den Abgeordneten selbst gerichtet sind. Das Gesetz geht damit von der Zulässigkeit solcher Maßnahmen der Verfassungsschutzbehörden gegen Abgeordnete aus, obwohl das Artikel 10-Gesetz keine Ermächtigungsgrundlage für Eingriffe enthält, die speziell diesen Personenkreis betreffen.
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ccc) Die Tätigkeit des Klägers in der Partei zum Anknüpfungspunkt für Maßnahmen des Bundesamts für Verfassungsschutz zu machen, ist schließlich mit dem Parteienprivileg vereinbar. Zwar schützt das Privileg des Art. 21 Abs. 2 GG in erster Linie die Parteiorganisation, erstreckt sich jedoch auch auf die mit allgemein erlaubten Mitteln arbeitende parteioffizielle oder parteiverbundene Tätigkeit der Funktionäre und Anhänger einer Partei. Es stellt den Bürger bei solchen Tätigkeiten von Sanktionen frei, um ein ungestörtes und unbehindertes Funktionieren der Partei zu gewährleisten (Urteil vom 17. September 2003 - BVerwG 6 C 4.03 - Buchholz 448.0 § 48 WPflG Nr. 4 S. 9). Aus dem Schutzzweck des Art. 21 Abs. 2 GG folgt jedoch, dass der Kläger als Parteimitglied nicht im Hinblick auf seine Mitgliedschaft in der Partei gegen staatliche Maßnahmen geschützt sein kann, die die Partei selbst hinzunehmen hat.
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b) Die Erhebung von Informationen über den Kläger mit den Mitteln der offenen Informationsbeschaffung wahrt den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Von mehreren geeigneten Maßnahmen hat das Bundesamt für Verfassungsschutz gemäß § 8 Abs. 5 Satz 1 BVerfSchG diejenige zu wählen, die den Betroffenen voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigt. Eine Maßnahme darf gem. § 8 Abs. 5 Satz 2 BVerfSchG keinen Nachteil herbeiführen, der erkennbar außer Verhältnis zu dem beabsichtigten Erfolg steht. Die Erhebung von Informationen über den Kläger verfolgt einen legitimen Zweck (aa)), war geeignet (bb)), erforderlich (cc)) und verhältnismäßig im engeren Sinne (dd)).
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aa) Bei den Parteien PDS, Linkspartei.PDS und DIE LINKE bestanden und bestehen nach den bindenden tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind. Hiervon ausgehend gehörte und gehört die Gewinnung von Informationen über diese Parteien zu den legitimen Aufgaben der Verfassungsschutzbehörden. Die Beobachtung des Klägers bezweckt dabei, die bestehenden tatsächlichen Anhaltspunkte für das Vorliegen verfassungsfeindlicher Bestrebungen weiter aufzuklären und mit den gewonnenen Informationen die Regierung und die Öffentlichkeit in die Lage zu versetzen, Art und Ausmaß möglicher Gefahren zu erkennen und diesen in angemessener Weise zu begegnen. Solche Aufklärungsmaßnahmen entspringen dem bundesrechtlichen Prinzip der streitbaren Demokratie und gehören in diesem Zusammenhang zu den Aufgaben, die den Ämtern für Verfassungsschutz übertragen sind (vgl. Urteil vom 7. Dezember 1999 - BVerwG 1 C 30.97 - BVerwGE 110, 126 <134 f.>).
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bb) Die Erhebung von Informationen über den Kläger mit den Mitteln der offenen Informationsbeschaffung ist geeignet, diesen Zweck zu fördern.
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Ein Mittel ist geeignet, wenn mit seiner Hilfe der gewünschte Erfolg gefördert werden kann. Das Verwaltungshandeln darf keine zur Erreichung des Ziels objektiv untaugliche, rechtlich oder tatsächlich unmögliche Maßnahme darstellen.
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Der Kläger hat bereits in der PDS und in der Linkspartei.PDS herausgehobene Funktionen wahrgenommen und tut dies weiterhin in der Partei DIE LINKE. Er war und ist Spitzenfunktionär der Partei. Nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts wurde der Kläger im Oktober 2004 in den Parteivorstand gewählt und gehört ihm bis heute an. Ab Oktober 2005 nahm er in der Linkspartei.PDS die Aufgabe eines Fusionsbeauftragten wahr, d.h. eines Beauftragten für die Parteineubildung durch Zusammenschluss mit der WASG. Er hat weitere hervorgehobene Funktionen innerhalb seiner Partei inne. Die Erhebung von Informationen über den Kläger zeigt einen Ausschnitt der etwaigen verfassungsfeindlichen Betätigung der Partei DIE LINKE oder von Mitgliedern oder Gruppierungen innerhalb dieser Partei. Den Äußerungen und dem Verhalten der Spitzenfunktionäre einer Partei kommt erhebliche Bedeutung zu, wenn die von einer Partei ausgehenden Gefahren zu beurteilen sind. Diese Personen beeinflussen die politische Richtung der Partei, ihr Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit und die innerparteiliche Diskussion maßgeblich. Die Art und Weise der politischen Betätigung des Klägers hat innerhalb der Partei Gewicht und kann aussagekräftig für die verfassungsschutzrechtliche Bewertung dieser Gruppierung sein.
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Die Erhebung von (weiteren) Informationen über den Kläger ist nicht deshalb ungeeignet, weil sie sich über zehn Jahre erstreckt und fortdauert, ohne beim Kläger selbst verfassungsfeindliche Bestrebungen aufgedeckt zu haben. Eine Dauerbeobachtung, die mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht vereinbar sein kann, liegt vor, wenn sich nach umfassender Aufklärung durch eine mehrjährige Beobachtung der Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen nicht bestätigt hat und die für die Beobachtung maßgeblichen tatsächlichen Umstände im Wesentlichen unverändert geblieben sind (Urteil vom 7. Dezember 1999 - BVerwG 1 C 30.97 - BVerwGE 110, 126 <137 f.>). Der Kläger betätigt sich nach wie vor politisch in einer Partei, bei der auch aktuell tatsächliche Anhaltspunkte für gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen vorliegen. Wie insoweit schon ausgeführt, stützt das Oberverwaltungsgericht zum einen seine Einschätzung der Partei auf Quellen, die auch aus jüngerer Zeit stammen, und es besteht zum anderen mit Blick auf den Zusammenschluss der Linkspartei.PDS mit der WASG zur Partei DIE LINKE ein berechtigtes öffentliches Interesse daran, die Entwicklung der neu zusammengesetzten Partei und ihrer maßgeblichen Funktionäre zu beobachten.
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cc) Die Beobachtung des Klägers war und ist erforderlich. Zwar verfolgt der Kläger nach den bindenden Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts in eigener Person keine verfassungsfeindlichen Bestrebungen. Das Oberverwaltungsgericht hat aber auch - den Senat ebenfalls bindend - festgestellt, dass sich das Ziel, verfassungsfeindliche Bestrebungen innerhalb der Partei DIE LINKE aufzuklären, ohne eine Beobachtung des Klägers als einer ihrer Spitzenfunktionäre nicht ebenso effektiv erreichen ließe.
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Eine Gefahrenabschätzung wäre nicht in gleicher Weise möglich, wenn neben der Partei in ihrer Gesamtheit nur solche Mitglieder beobachtet würden, von denen verfassungsfeindliche Äußerungen bekannt geworden sind oder die einer der parteiinternen Gruppierungen angehören, bei denen Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Ziele verfolgen. Aufgrund der Bedeutung, die Spitzenfunktionären für die politische Richtung der Partei, ihr Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit und die innerparteiliche Diskussion zukommt, sind Erkenntnisse über deren Verhältnis zu den radikalen Kräften innerhalb der Partei für eine zuverlässige Abschätzung der von der Partei ausgehenden Gefahren von wesentlicher Bedeutung. Spitzenfunktionäre sind maßgebliche Repräsentanten der Partei und bringen aufgrund dessen für Außenstehende zum Ausdruck, dass sie das Programm und die Politik der Partei umfassend unterstützen. Sie haben Einblick auch in die Zielsetzungen verfassungsfeindlich ausgerichteter Zusammenschlüsse und Organisationen in der Partei. Sie sind an maßgebender Stelle mitverantwortlich für Äußerungen und Erklärungen der Partei, selbst wenn sie sich diese subjektiv nicht zu eigen machen. Sie engagieren sich maßgeblich für die Partei in der Öffentlichkeit, um Unterstützer, Wähler und Mitglieder zu gewinnen und so die Position der Partei im politischen Wettbewerb zu verbessern. Damit unterstützen sie objektiv letztlich auch die Kräfte in der Partei, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind. Wächst die Partei in ihrer politischen Bedeutung und Durchsetzungsfähigkeit, erschließen sich auch für die verfassungsfeindlichen, weiterhin nicht parteiintern angegriffenen Kräfte neue Wege und Kreise, Unterstützung zu finden.
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Um ein umfassendes Bild über die Partei zu gewinnen, ist deshalb nicht nur die Beobachtung solcher Spitzenfunktionäre erforderlich, bei denen Anhaltspunkte für eigene Aktivitäten gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung bekannt geworden sind. Auch die Beobachtung von Spitzenfunktionären, die - wie der Kläger - selbst zwar keine eigenen verfassungsfeindlichen Aktivitäten entfalten, aber die radikalen, offen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung eintretenden Kräfte innerhalb der Partei - wie das Oberverwaltungsgericht bezogen auf den Kläger ebenfalls festgestellt hat - genauso wenig aktiv bekämpfen, verspricht - wenn auch vergleichsweise geringfügige - zusätzliche Erkenntnisse. Sie ermöglicht eine unmittelbare und deshalb zuverlässigere Einschätzung des Verhältnisses dieser Spitzenfunktionäre zu den radikalen Kräften innerhalb der Partei, als sie aufgrund einer Beobachtung möglich wäre, die sich auf die Partei als solche oder die in ihr aktiven radikalen Kräfte beschränkt. Welche Entfaltungsmöglichkeiten für verdächtige Parteimitglieder bestehen, hängt entscheidend davon ab, wie sich die Spitzenfunktionäre positionieren und welche Freiräume sie anderen Strömungen geben.
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dd) Die Erhebung von Informationen über den Kläger mit den Mitteln der offenen Informationsbeschaffung wahrt die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne. Sie beachtet das Gebot des geringsten Mittels aus § 8 Abs. 5 Satz 1 BVerfSchG (aaa)) und verstößt nicht gegen das Übermaßverbot aus § 8 Abs. 5 Satz 2 BVerfSchG (bbb)).
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aaa) Nach § 8 Abs. 5 Satz 1 BVerfSchG hat das Bundesamt für Verfassungsschutz von mehreren geeigneten Maßnahmen diejenige zu wählen, die den Betroffenen voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigt.
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Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat sich dafür entschieden, Informationen über den Kläger nur mit den Mitteln der offenen Informationsbeschaffung zu erheben. Das Bundesamt verzichtet hingegen auf den Einsatz der Methoden, Gegenstände und Instrumente zur heimlichen Informationsbeschaffung im Sinne des § 8 Abs. 2 BVerfSchG, wie den Einsatz von Vertrauensleuten und Gewährspersonen, Observationen, Bild- und Tonaufzeichnungen, Tarnpapiere und Tarnkennzeichen. Das Bundesamt erhebt in der hier in Rede stehenden Zeit Informationen über den Kläger allein aus allgemein zugänglichen Quellen, wie parlamentarische Drucksachen, Berichten in den Medien und Pressemitteilungen des Klägers oder seiner Partei. Dies hat das Oberverwaltungsgericht nach einer Beweisaufnahme festgestellt und gestützt hierauf die Klage insoweit rechtskräftig abgewiesen, als sie die Feststellung der Rechtswidrigkeit eines Einsatzes nachrichtendienstlicher Mittel im Sinne des § 8 Abs. 2 BVerfSchG zum Gegenstand hatte.
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Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat nach den bindenden tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts darüber hinaus den Kernbereich der parlamentarischen Tätigkeit des Klägers, nämlich sein Abstimmungsverhalten sowie seine Äußerungen im Parlament und in dessen Ausschüssen, von der Beobachtung ausgenommen.
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bbb) Eine Maßnahme darf ferner keinen Nachteil herbeiführen, der erkennbar außer Verhältnis zu dem beabsichtigten Erfolg steht (§ 8 Abs. 5 Satz 2 BVerfSchG). Die Vorteile, die eine Erhebung von Informationen über den Kläger für die wirksame Abwehr von Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung bietet, überwiegen unter den hier obwaltenden Umständen die Nachteile, die der Kläger durch die Erhebung von Informationen über ihn erleidet. Das Oberverwaltungsgericht ist zu seiner abweichenden Abwägung der konkret betroffenen Vor- und Nachteile deshalb gelangt, weil es die zuvor getroffenen tatsächlichen Wertungen rechtlich fehlerhaft, insbesondere in sich widersprüchlich gewichtet hat.
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Auf der einen Seite erleidet der Kläger durch die Erhebung von Informationen über ihn Nachteile bei seiner Tätigkeit als Abgeordneter. Diese Nachteile für die Ausübung des freien Mandats haben Gewicht. Die nachrichtendienstliche Beobachtung von Abgeordneten birgt - wie schon erwähnt - erhebliche Gefahren im Hinblick auf ihre Unabhängigkeit (Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG) und auf die Mitwirkung der betroffenen Parteien bei der politischen Willensbildung (Art. 21 GG) und damit für den Prozess demokratischer Willensbildung insgesamt (BVerfG, Beschluss vom 1. Juli 2009 - 2 BvE 5/06 - BVerfGE 124, 161 <195>).
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Für die Ausübung des freien Mandats ergeben sich nach den tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts faktische Nachteile daraus, dass die Erhebung von Informationen über den Kläger für ihn mit einer "Stigmatisierung" verbunden ist, die ihm den Zugang zu dem überwiegenden Teil der Bevölkerung erschweren kann, der sich als verfassungstreu betrachtet. Wenn die offene Informationsbeschaffung über den Kläger durch Verfassungsschutzbehörden allgemein bekannt wird, kann es für ihn schwieriger werden, Anhänger und Wähler für sich und seine Partei zu gewinnen sowie mit der Bevölkerung in Kontakt zu kommen. Letzteres hat auch deshalb negative Auswirkungen auf seine politische Arbeit, weil er für diese darauf angewiesen ist, Meinungen und Stimmungen der Wählerschaft zu kennen, sowie Informationen aus der Bevölkerung zu erhalten. Wenn dem einzelnen Abgeordneten als faktische Folge einer Beobachtung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz der Zugang zur Bevölkerung erschwert wird, bedeutet dies aber nicht nur eine Beeinträchtigung der Arbeit dieses Abgeordneten. Zugleich gehen Erkenntnisse verloren, die für den Willensbildungsprozess des Parlaments in seiner Gesamtheit von Bedeutung sind. Im Parlament kann sich ein den Willen des Volkes widerspiegelnder, überindividueller Gesamtwille nur durch das ungehinderte Zusammenwirken aller Abgeordneten bilden. Er ist Ergebnis einer Diskussion, in die jedes Parlamentsmitglied sein Wissen und seine persönlichen Überzeugungen einbringt. Der Beitrag, den der einzelne Abgeordnete zu diesem Willensbildungsprozess leistet, beruht nicht nur auf seiner Ausbildung, seinem persönlichen Werdegang und den Erfahrungen in seinem privaten Umfeld, sondern ganz wesentlich auch auf Erkenntnissen, die er durch Kontakte mit der Bevölkerung gewinnt.
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Entgegen der Auffassung der Beklagten sind diese faktischen Nachteile für die Ausübung des freien Mandats zu berücksichtigen. Die Beklagte sieht einen Widerspruch darin, dass das Oberverwaltungsgericht den Eintritt faktischer Nachteile für den Kläger einerseits mit dem allgemeinen Bekanntwerden einer Informationsbeschaffung über ihn durch das Bundesamt für Verfassungsschutz verknüpft, aber andererseits die Rechtswidrigkeit der Erhebung von Informationen für den gesamten streitigen Zeitraum seit 1999 festgestellt hat, obwohl frühestens im Jahre 2003 allgemein bekanntgeworden sei, dass das Bundesamt Informationen über den Kläger erhebt. Die Beklagte missversteht in diesem Punkt das angefochtene Urteil. Das Oberverwaltungsgericht sieht die faktischen Nachteile zu Recht nicht erst in dem Bekanntwerden der Informationsbeschaffung, sondern in der Erhebung von Informationen selbst, weil sie mit der Gefahr des Bekanntwerdens verbunden ist. Das ist folgerichtig, weil faktische Nachteile der Informationsbeschaffung mit ihrem Bekanntwerden unwiderruflich eintreten und deshalb nicht erst ihr Bekanntwerden nur ihre Fortsetzung rechtswidrig machen kann.
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Unerheblich ist ferner, dass nach den tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts der Kläger im konkreten Fall selbst die Erhebung von Informationen über ihn durch das Bundesamt für Verfassungsschutz publik gemacht hat (Seite 79 des Urteilsabdrucks). Die Beklagte möchte wohl geltend machen, der Kläger (oder ein anderer Abgeordneter in vergleichbarer Lage) verhalte sich treuwidrig, wenn er die (sonst geheim bleibende) Beschaffung von Informationen über ihn durch den Verfassungsschutz selbst an die Öffentlichkeit bringt, um dann unter Berufung auf die damit ausgelösten faktischen Erschwernisse seiner Arbeit einen unverhältnismäßigen Eingriff in das freie Mandat geltend zu machen. Der Kläger ist jedoch nicht gehindert, publik zu machen, dass der Verfassungsschutz über ihn Informationen erhebt. Dies hat zwar einerseits die geschilderten faktischen Nachteile, kann aber gleichzeitig andererseits bei den ohnehin von seiner Arbeit Überzeugten eine Solidarisierung gegen seine "Bespitzelung" auslösen und ihm in diesem Kreis der Bevölkerung nützlich sein. Darauf darf der Kläger hinarbeiten.
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Unabhängig von ihren Auswirkungen auf das freie Mandat kann sich eine (auch offene) Informationsbeschaffung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz nachteilig auf die politische Betätigung in Parlament und Partei auswirken. Wer sich beobachtet weiß und damit rechnen muss, dass seine Worte gesammelt und ausgewertet werden, verhält sich beispielsweise bei politischen Äußerungen oder der Unterschrift unter Aufrufe möglicherweise zögerlich oder ängstlich, kann sich jedenfalls in seiner politischen Arbeit gehemmt fühlen (vgl. hierzu wenn auch in etwas anderem Zusammenhang: BVerfG, Urteil vom 15. Dezember 1983 - 1 BvR 209/83 u.a. - BVerfGE 65, 1 <43>).
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Nicht berücksichtigt werden können hingegen hier (wie auch schon in anderem Zusammenhang) die vom Kläger beklagten Nachteile, die ihm daraus erwachsen sind, dass der Verfassungsschutz oder einzelne seiner Mitarbeiter den politischen Gegner gezielt mit Informationen versorgen, insbesondere zu einer Verwendung gegen den Kläger im Wahlkampf. Ein solches Verhalten wäre, weil von keiner Ermächtigungsgrundlage gedeckt, rechtswidrig und hat daher zu unterbleiben.
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Diese Nachteile für die Ausübung des freien Mandats werden aber dadurch erheblich gemildert, dass sich das Bundesamt für Verfassungsschutz auf die offene Informationsbeschaffung beschränkt. Die Freiheit des Mandates wäre im Kern betroffen, wenn der Abgeordnete in seiner Arbeit mit den Menschen seines Vertrauens oder mit Menschen, die sich ihm anvertrauen, heimlich beobachtet würde. Dasselbe gälte für eine heimliche Beobachtung in seiner parlamentarischen Arbeit, soweit diese sich unter Ausschluss der Öffentlichkeit vollzieht. Gegenstand der offenen Informationsbeschaffung sind jedoch nur öffentlich wahrnehmbare Tätigkeiten, die regelmäßig ohnehin auf eine möglichst weitreichende Wirkung und Kenntnisnahme gerichtet sind. Insoweit zielt der einzelne öffentlichkeitswirksame Beitrag eines Abgeordneten ohnehin über seine Person hinaus. Zudem bleibt der Kernbereich der parlamentarischen Arbeit von der Informationsbeschaffung ausgenommen.
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Ferner hat das Oberverwaltungsgericht keine Anhaltspunkte dafür feststellen können, dass der Kläger sich durch die offene Informationsbeschaffung inhaltlich in seiner politischen Arbeit beeinflussen lassen könnte. Das Oberverwaltungsgericht verweist insoweit auf eine Erklärung des Klägers in der mündlichen Verhandlung, nach der er eine solche Beeinflussung ausdrücklich verneint hat.
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Nachteilig betroffen ist ferner - wie bereits aufgezeigt - das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers insoweit, als sich die Informationsbeschaffung auf Tätigkeiten erstreckt, die er in anderen Funktionen als in seiner Eigenschaft als Abgeordneter wahrnimmt. Durch die auf Vollständigkeit angelegte Sammlung aller Äußerungen und die Zusammenfassung der zusammengetragenen Unterlagen in einer Personenakte entsteht ein Informationsgehalt, der als Gesamtbild der politischen Persönlichkeit über das hinausgeht, was als Eindruck aus öffentlichen Äußerungen haften bleibt, die bei Gelegenheit wahrgenommen werden.
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Jedoch wirkt sich die Informationsbeschaffung über den Kläger nur geringfügig auf sein Persönlichkeitsrecht aus. Das Bundesamt für Verfassungsschutz erhebt nur Informationen, die durch die Veröffentlichung in allgemein zugänglichen Quellen einem unbestimmt großen Personenkreis bekannt geworden sind. Sie betreffen nicht den persönlichen Lebensbereich des Klägers, sondern ausschließlich dessen politische Tätigkeit in der Öffentlichkeit. Das umfassende Bild der Aktivitäten und Ansichten des Klägers bleibt auf dessen politische Tätigkeit beschränkt, die sich ohnehin zu einem großen Teil öffentlich abspielt und von den Medien und den politischen Gegnern genau beobachtet wird. Es betrifft den Kläger nicht in seiner persönlichen Lebensführung.
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Auf der anderen Seite ist der Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung für den Bestand des Grundgesetzes und der in ihm verkörperten Werteordnung von existentieller Bedeutung.
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Diesem Schutz dient zwar vor allem die Erhebung von Informationen über die Partei als solcher und der in ihr aktiven radikalen Kräfte. Die offene Informationsbeschaffung über den Kläger, deren Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen in tatsächlicher Hinsicht vom Oberverwaltungsgericht bindend festgestellt wurden, mag im Vergleich dazu nur einen begrenzten zusätzlichen Erkenntnisgewinn bieten. Jedoch ist auch dieser Gewinn an Erkenntnissen nicht zu vernachlässigen, wie schon ausführlich dargelegt. Spitzenfunktionäre einer Partei sind für deren Entwicklung und Ausrichtung von erheblicher Bedeutung. Erst Erkenntnisse über ihr Verhalten runden das Bild ab. Gerade die führenden Persönlichkeiten einer Partei werden, wenn diese den Stimmenanteil für einen Einzug in das Parlament erreicht, regelmäßig zu den Abgeordneten ihrer Partei gehören. Müssten sie deshalb von einer Beobachtung ausgenommen werden, obwohl tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen ihrer Partei vorliegen, wäre die Sammlung von Informationen über Aktivitäten gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung wesentlich eingeschränkt. Im konkreten Fall würde dies beispielsweise auch für führende Repräsentanten der offen verfassungsfeindlichen Gruppierungen in der Partei DIE LINKE gelten, die aufgrund der vom Oberverwaltungsgericht dargelegten Stellung dieser Gruppierungen in der Partei einen günstigen Listenplatz für die Parlamentswahl und als Folge davon ein Abgeordnetenmandat erhalten haben.
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Danach überwiegen die Vorteile einer Beschaffung von Informationen über den Kläger die diesem dadurch erwachsenden Nachteile. Diese verbleibenden Nachteile hinzunehmen, ist dem Kläger zuzumuten.
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Der Kläger hat durch seine herausgehobene politische Betätigung in einer Partei, bei der Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung bestehen, einen ihm zurechenbaren Anlass für die Erhebung von Informationen über ihn durch das Bundesamt für Verfassungsschutz geschaffen. Die Arbeit für und in der Partei lässt sich nicht säuberlich von der Wahrnehmung des Mandats trennen. Die politische Einbindung des Abgeordneten in Partei und Fraktion ist verfassungsrechtlich erlaubt und gewollt. Das Grundgesetz weist den Parteien eine besondere Rolle im Prozess der politischen Willensbildung zu (Art. 21 Abs. 1 GG), weil ohne die Formung des politischen Prozesses durch geeignete freie Organisationen eine stabile Demokratie in großen Gemeinschaften nicht gelingen kann. Die Fraktionen nehmen im parlamentarischen Raum unabdingbare Koordinierungsaufgaben wahr, bündeln die Vielfalt der Meinungen zur politischen Stimme und spitzen Themen auf politische Entscheidbarkeit hin zu. Wenn der einzelne Abgeordnete im Parlament politischen Einfluss von Gewicht ausüben, wenn er gestalten will, bedarf er der abgestimmten Unterstützung (BVerfG, Urteil vom 4. Juli 2007 - 2 BvE 1/06 - BVerfGE 118, 277 <328>). Kehrseite dieser Vorteile, die der Abgeordnete bei der Wahrnehmung seines Mandats aus seiner Einbindung in eine Partei zieht, ist aber, dass er die Nachteile für seine Arbeit hinzunehmen hat, die sich an zulässige Maßnahmen des Verfassungsschutzes gegen die Partei knüpfen, für die er als Abgeordneter wirken will.
(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.
(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.
(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
1
T a t b e s t a n d :
2Der Kläger wendet sich gegen seine Entlassung aus dem Soldatenverhältnis auf Zeit wegen mangelnder Eignung.
3Der im N. geborene Kläger verpflichtete sich mit Erklärung vom 12. August 2009, vier Jahre Wehrdienst zu leisten. Das von ihm unterzeichnete Formular enthielt den Hinweis darauf, dass er in den ersten vier Jahren seiner Dienstzeit entlassen werden könne, wenn er die Anforderungen, die an ihn in seiner Laufbahn zu stellen seien, nicht mehr erfülle. Der Kläger trat zum 1. April 2010 in die Bundeswehr ein, das Dienstzeitende wurde auf 31. März 2014 festgesetzt.
4Unter dem 27. September 2012 meldete der Stabschef des 7. Objektschutzregimentes der Luftwaffe dem Militärischen Abschirmdienst (MAD) auffälliges Verhalten des Klägers. Dieser bestehe auf der Möglichkeit, fünfmal täglich auch während des Wachdienstes ein Gebet durchzuführen, halte auch unter militärisch fordernden Bedingungen den Ramadan ein, meide strikt Alkohol und Schweinefleisch und trage einen Bart. Sorge bereite ihm, dass der Kläger sein religiöses Verhalten zunehmend intensiviere. Zudem sei ihm zugetragen worden, dass er im Kameradenkreis mit Anmerkungen zu den Themen "Dschihad, Salafismus und Terrorcamps" aufgefallen sei. Der Kläger solle konkret geäußert haben, wenn man ihn riefe, würde er in den Dschihad ziehen.
5Mit Schreiben vom 7. November 2013 stufte der MAD den Kläger als gefestigten Salafisten und Extremisten ein; seine Einstellungen seien mit den Werten der freiheitlich-demokratischen Grundordnung nicht vereinbar. Der MAD berief sich dabei auf mehrere Gespräche mit dem Kläger.
6Die erste Befragung fand am 14. Januar 2013 statt. Der Kläger ließ sich dahingehend ein, dass er regelmäßig eine Moschee in C. besuche und die arabische Sprache lerne. Er versuche, seinen Glauben ausschließlich nach Koran und Sunna auszurichten, und halte die Fastenzeit im Ramadan streng ein. Im Paradies strebe er die höchste Stufe an. Im Jahr 2012 habe er sich in Aachen beschneiden lassen. Auch seine zukünftige Ehefrau müsse gläubige Muslima sein, damit in der Ehe eine gemeinsame Grundlage zur Kindererziehung vorhanden sei. Er suche eine Frau über eine muslimische Kontaktbörse im Internet. Die Verschleierung von Frauen sei sinnvoll, weil eine verschleierte Frau weniger Probleme mache. Im Internet schaue er sich Vorträge zum Islam an. Unter anderem habe er sich Predigten von Q. W. und anderen dem Salafismus zuzurechnenden Person angesehen. Privat versuche er, seine Belange ausschließlich nach dem Koran und der Sunna zu regeln. Wenn er die Macht hätte, würde er die Scharia dem Grundgesetz vorziehen und diese deutschlandweit zur Regelung des öffentlichen Lebens einführen. Sein Freundeskreis bestehe zu 100 % aus Muslimen.
7Nachdem der Kläger einen Urlaubsantrag mit dem Reiseziel Alexandria eingereicht hatte, befragte ihn der MAD am 28. Juni 2013 erneut. Zum damaligen Zeitpunkt lag eine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes für Ägypten vor. Angaben zu seiner Reise habe der Kläger nicht machen wollen. Er fühle sich als Moslem verfolgt, weil der MAD ihn aufsuche, um über die Reise eines Moslem zu sprechen.
8Eine Auswertung der Facebook-Seiten des Klägers durch den MAD ergab, dass der Kläger mit Nutzern eines Netzwerkes mit dschihadistischen Videos befreundet war. Unter anderem habe es einen Link zu einem Propagandavideo des deutschen Dschihadisten E. D. gegeben. Dieser habe in verschiedenen Veröffentlichungen zur Geiselnahme deutscher Staatsangehöriger und zu Angriffen auf die Bundeswehr aufgerufen und seinen Wunsch zum Ausdruck gebracht, als Selbstmordattentäter sterben zu wollen. Über eine Facebook-Gruppe verkaufe der Kläger islamische Bekleidung, unter anderem Kleidung zur Vollverschleierung von Frauen. Der von ihm als bester Freund bezeichnete I. H. stelle sich bei Facebook als Anhänger von Q. W. dar.
9Bei einer dritten Befragung am 24. September 2013 weigerte sich der Kläger, über seine Ägypten-Reise im Juli und August des Jahres zu berichten. Er gab an, wahre Muslime seien diejenigen, welche nach Koran und Sunna lebten, während Aleviten, Schiiten und Sufis Angehörige von Sekten seien. Saudi-Arabien sei in religiöser Hinsicht eine vorbildliche Gesellschaft. In seiner Wunschgesellschaft sei das Oberhaupt ein religiöser Führer, der durch Wahlen bestimmt werde und bis zu seinem Tode regiere. Die Scharia sei in islamischen Ländern sinnvoll und zweckmäßig. Er spende bis zu 20,- € im Monat für den Verein Ansaar Düsseldorf für bedürftige Muslime. Er würde auch dann spenden, wenn er wüsste, dass davon Waffen gekauft würden. Der Widerstand in Ägypten gegen die Regierung der Muslimbruderschaft und ihren Präsidenten Mursi gehe einzig von den christlichen Kopten aus. Er plane, im kommenden Jahr während des Ramadan nach Saudi-Arabien zu reisen. Gewalt sei für ihn kein Weg. Er habe keine Ambitionen, am Dschihad teilzunehmen.
10Mit Schreiben vom 19. November 2013 leitete die Beklagte das Verfahren zur Entlassung des Klägers wegen charakterlicher Nichteignung nach § 55 Abs. 4 Satz 1 des Soldatengesetzes (SG) ein. Der Kläger erklärte sich mit der Maßnahme unter dem 20. bzw. 21. November 2013 nicht einverstanden, beantragte aber nicht die Anhörung einer Vertrauensperson, sondern kündigte eine Entgegnung seiner Anwälte an. Die Dienstvorgesetzten des Klägers gaben im November 2013 Stellungnahmen ab, in denen sie einen Widerspruch zwischen der Gesinnung des Klägers und der freiheitlich-demokratischen Grundordnung feststellten.
11Der MAD berichtete am 5. Dezember 2013, dass mehrere Videodateien auf der Festplatte des Klägers, welche dieser am 25. September 2013 freiwillig zur Auswertung übergeben habe, einen Tag zuvor, am Abend des 24. September 2013, gelöscht worden seien. Im Rahmen der Auswertung habe man die Dateien wiederherstellen können; auf der Festplatte gebe es diverse Videodateien mit salafistischem und dschihadistischem Hintergrund.
12Der Prozessbevollmächtigte des Klägers erläuterte mit Schreiben vom 13. Dezember 2013, dass der Kläger weiterhin zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehe und bereit sei, diese als Soldat zu verteidigen. Im Januar 2014 ergänzte er, der Kläger verurteile die wahllose Tötung von Menschenleben und die Verübung von Selbstmordanschlägen. Auch verherrliche er keine terroristischen Aktivitäten.
13Mit Bescheid vom 28. Januar 2014 wurde der Kläger mit Ablauf des 28. Februar 2014 nach § 55 Abs. 4 Satz 1 SG aus dem Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit entlassen. Zur Begründung ist ausgeführt, dass die Äußerungen des Klägers im Rahmen der Befragung durch den MAD an seiner Verfassungstreue und damit an der charakterlichen Eignung und Zuverlässigkeit als Soldat auf Zeit zweifeln ließen. Der Kläger stelle den Koran und die Sunna eindeutig und unzweifelhaft über die weltliche Ordnung und die freiheitlich-demokratische Grundordnung Deutschlands. Nach eigenen Angaben befürworte er die Einführung der Scharia in Deutschland und besitze nur nicht die Macht hierzu. Zudem pflege er Kontakte zu Einrichtungen und Personen, die der salafistischen Szene zuzurechnen seien. Er befürworte die Todesstrafe und bezeichne die saudi-arabische Gesellschaftsordnung als vorbildlich. Darüber hinaus führe er den zwischenzeitlichen Machtwechsel in Ägypten auf eine Verschwörung christlicher Kopten zurück und teile islamistische Verschwörungstheorien im Zusammenhang mit den Anschlägen vom 11. September 2001. Man schließe sich der Einschätzung des MAD an, dass der Kläger mittlerweile ein gefestigter Salafist sei. Die Entlassung sei auch unter Berücksichtigung des eingeräumten Ermessens die folgerichtige und zwingend notwendige Konsequenz.
14Mit Beschwerdebescheid vom 16. Juli 2014 wurde die Beschwerde des Klägers als unbegründet zurückgewiesen. In Ergänzung der Entlassungsverfügung wird dargelegt, dass der Maßnahme nicht nur die Auswertung der Erkenntnisse des MAD, sondern auch die durch Kameraden wahrgenommenen Veränderungen im klägerischen Auftreten zugrundelägen. Gemäß § 37 Abs. 1 Nr. 2 SG müsse der Soldat auf Zeit auch in der Zukunft die Gewähr dafür bieten, jederzeit für die freiheitlich-demokratische Grundordnung einzutreten. Ein Soldat, welcher einer abweichenden Rechts- und Staatsordnung den Vorzug gegenüber dem Grundgesetz gebe, biete diese Gewähr nicht mehr. Der Kläger empfinde mittlerweile gegenüber seinen Glaubensbrüdern und seinen religiösen Geboten ein höheres Maß an Loyalität als gegenüber der Bundeswehr und der deutschen Demokratie. Er lehne einen Einsatz in Afghanistan ab und vertreibe im Internet islamische Bekleidung, u.a. zur Vollverschleierung von Frauen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit stehe der Entlassung einen Monat vor Ablauf der Dienstzeit nicht entgegen. Der Bundeswehr sei es nicht zuzumuten, den Kläger für den Monat März 2014 weiter zu beschäftigen. Es sei nicht mehr sichergestellt, dass der Kläger Befehle befolgen werde, falls diese ihn an der Erfüllung von in seinen Augen höherwertigen religiösen Verpflichtungen hinderten.
15Der Kläger hat am 28. Juli 2014 Klage erhoben. Ihm stehe ein Rechtsschutzbedürfnis für die Klage zu, auch wenn er hiermit nicht mehr die Fortsetzung des am 31. März 2014 wegen Zeitablaufs beendeten Dienstverhältnisses erreichen könne. Bei Aufhebung der Entlassungsverfügung stünde ihm Wehrsold für den Monat März 2014 zu, auch hätte er Anspruch auf Maßnahmen der Berufsförderung. Er habe sich 47 Monate lang als Soldat nichts zu Schulden kommen lassen und treu gedient.
16Der Kläger beantragt,
17die Entlassungsverfügung des Kommandos Einsatzverbände Luftwaffe vom 28. Januar 2014 in der Gestalt des Beschwerdebescheides des Kommandos Luftwaffe vom 16. Juli 2014 aufzuheben.
18Die Beklagte beantragt,
19die Klage abzuweisen.
20Sie hält die Klage mangels Rechtsschutzbedürfnisses bereits für unzulässig, weil die reguläre Dienstzeit des Klägers mit Ablauf des 31. März 2014 geendet habe. Zudem sei die Klage auch unbegründet. Hierzu könne man auf die in der Sache ergangenen Bescheide verweisen.
21Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach‑ und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
22E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
23Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
24Der Zulässigkeit der Klage steht nicht entgegen, dass die reguläre Dienstzeit des Klägers zum 31. März 2014 ihr Ende fand und ihm daher ein Rechtsschutzbedürfnis für die Anfechtung seiner Entlassung zum 28. Februar 2014 fehle. Wie der Kläger zutreffend dargelegt hat, kommen der Entlassungsverfügung u.a. mit Blick auf den Wehrsold für den Monat März 2014 und mögliche Berufsförderungsmaßnahmen rechtlich nachteilige Wirkungen zu, die bei Ausscheiden aus der Bundeswehr kraft Gesetzes nicht auftreten würden.
25Die Klage ist jedoch unbegründet.
26Die Entlassungsverfügung des Kommandos Einsatzverbände Luftwaffe vom 28. Januar 2014 in der Fassung des Beschwerdebescheides des Kommandos Luftwaffe vom 16. Juli 2014 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, vgl. § 113 Abs. 1 VwGO.
27Rechtsgrundlage für die Entlassung ist § 55 Abs. 4 Satz 1 SG. Danach kann ein Soldat auf Zeit in den ersten vier Jahren seiner Dienstzeit entlassen werden, wenn er die Anforderungen, die an ihn in seiner Laufbahn zu stellen sind, nicht mehr erfüllt.
28Formelle Mängel des Entlassungsverfahrens sind nicht ersichtlich. Die dem Kläger mit Anhörungsschreiben vom 19. November 2013 nahe gelegte Anhörung der Vertrauensperson gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 des Soldatenbeteiligungsgesetzes hat er nicht beantragt.
29Auch sind die materiellen Voraussetzungen des § 55 Abs. 4 Satz 1 SG gegeben. Grund für die Entlassung des Klägers ist die zukünftige mangelnde Eignung zum Soldaten auf Zeit, woraus folgt, dass er die genannten Anforderungen nicht mehr erfüllte.
30Ein Eignungsmangel im Sinne des § 55 Abs. 4 Satz 1 SG kann sich aus einer charakterlichen, geistigen, körperlichen oder fachlichen Nichteignung ergeben. Da für die Feststellung der mangelnden Eignung in erster Linie die spezifischen Anforderungen des militärischen Dienstes maßgeblich sind, können nur die militärischen Vorgesetzten sachverständig und zuverlässig beurteilen, ob der Soldat in der Zukunft den Anforderungen entsprechen wird. Damit ist eine auf einer Zukunftsprognose beruhende, wertende Entscheidung des Dienstherrn zu treffen. Diese Entscheidung kann im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nur daraufhin überprüft werden, ob die Entlassungsbehörde den Begriff der mangelnden Eignung und den gesetzlichen Rahmen, innerhalb dessen sie sich bewegen kann, verkannt hat, ob sie von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, allgemein gültige Wertmaßstäbe nicht beachtet oder sachwidrige Erwägungen angestellt hat.
31Vgl. BVerwG, Beschluss vom 26. Juni 1986 - 1 WB 128/85 - BVerwGE 83, 200; Bayerischer VGH, Beschluss vom 26. August 2013 - 6 CS 13.1459 -, juris; VG Minden, Urteil vom 4. Oktober 2011 - 10 K 823/10 -, juris, nachgehend hierzu OVG NRW, Beschluss vom 22. März 2012 - 1 A 2752/11 -, www.nrwe.de; Vogelsang in Fürst, GKÖD, Stand: Oktober 2014, Yk § 55 SG, Rnr. 11 ff.; Sohm in Walz/Eichen/Sohm, Soldatengesetz, 1. Auflage 2006, § 55 Rnr. 28.
32Derartige Fehler liegen hier nicht vor. Der Entlassungsbescheid der Beklagten in der Gestalt des Beschwerdebescheides hält sich im Rahmen des eröffneten Beurteilungsspielraums.
33Zutreffend hat die Beklagte die mangelnde Eignung des Klägers damit begründet, dass Zweifel an seiner Bereitschaft bestehen, die freiheitlich-demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes anzuerkennen und durch sein gesamtes dienstliches und außerdienstliches Verhalten hierfür einzutreten. Mit der Prüfung der Verfassungstreue hat die Entlassungsbehörde ein Kriterium zugrundegelegt, das für die Eignung eines Soldaten auf Zeit in besonderem Maße bedeutsam ist. Dies folgt aus § 37 Abs. 1 Nr. 2 SG und § 8 SG. Danach muss ein Soldat auf Zeit jederzeit die Gewähr dafür bieten, für die freiheitlich-demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes einzutreten. Diese Gewähr bietet nur derjenige, dem nach seiner Gesamtpersönlichkeit und seinem bisherigen Verhalten ohne jeden Zweifel zuzutrauen ist, dass er stets seiner Verpflichtung nach § 8 SG nachkommen wird. Die politische Treuepflicht des § 8 SG verlangt von dem Soldaten die Bereitschaft, sich mit der Idee des Staates, dem er dient, zu identifizieren. Dies gehört zu den Kernpflichten des Soldaten. Identifizieren bedeutet dabei nicht nur, die Grundordnung dieses Staates anzuerkennen, sondern verlangt ein Mehr an staatsbürgerlicher Verpflichtung, das dem Soldaten, wie auch dem Richter und Beamten, auferlegt ist. Die Bundesrepublik Deutschland ist eine Demokratie, die von ihren Bürgern die Verteidigung der freiheitlichen Ordnung erwartet. Das Prinzip der streitbaren, wehrhaften Demokratie gilt auch für die innere Ordnung der Bundeswehr. Die politische Treuepflicht nach § 8 SG, die von jedem Soldaten die Bereitschaft verlangt, sich zu der Idee des Staates, dem er dient, zu bekennen und aktiv für ihn einzutreten, gehört daher zu den elementarsten soldatischen Pflichten, ihre Verletzung zu den schwersten denkbaren Pflichtwidrigkeiten. Ein Verstoß gegen die Verfassungstreuepflicht liegt dann vor, wenn sich ein Soldat für Ziele einsetzt, die geeignet sind, die freiheitlich-demokratische Grundordnung auszuhöhlen oder wenn er sich nicht eindeutig von Bestrebungen distanziert, die diesen Staat und die geltende Verfassungsordnung angreifen, bekämpfen und diffamieren. Das bloße Haben einer Überzeugung und die bloße Mitteilung, dass man diese habe, ist allerdings noch keine Verletzung der Treuepflicht, die dem Soldaten auferlegt ist. Die Grenze ist jedoch überschritten, wenn der Soldat aus seiner Auffassung Folgerungen für seine Einstellung gegenüber der verfassungsmäßigen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland, für die Art und Weise der Erfüllung seiner Dienstpflichten, für den Umgang mit anderen Soldaten oder für Aktivitäten im Sinne seiner Überzeugung zieht.
34Vgl. BVerwG, Urteil vom 28. September 1990 - 2 WD 27/89 -, BVerwGE 86, 321; VG Minden, Urteil vom 4. Oktober 2011 - 10 K 823/10 -, a.a.O.; Vogelsang in Fürst, a.a.O., Yk § 8 SG, Rnr. 7 ff.
35Gemessen an diesen Grundsätzen begegnet es keinen rechtlichen Bedenken, dass die Entlassungsbehörde im maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Beschwerdebescheides Zweifel an der Verfassungstreue des Klägers gehabt und darauf gestützt seine Eignung zum Soldaten auf Zeit verneint hat.
36Der Kläger hat sich in seinen Befragungen durch den MAD eingehend zu seinem religiösen Bekenntnis und seiner Weltanschauung sowie den hieraus folgenden Konsequenzen für seinen Dienst bei der Bundeswehr und seine Einstellung zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung geäußert. Die weitaus meisten der in dem Schreiben vom 7. November 2013 wiedergegebenen Aussagen werden vom Kläger nicht (substantiiert) bestritten. Lediglich Einiges will er nicht bzw. so nicht gesagt haben. Die Entlassung stößt aber auch dann nicht auf durchgreifende rechtliche Bedenken, wenn man zu Gunsten des Klägers lediglich die nicht bestrittenen oder sogar zugestandenen Erklärungen aus der Zusammenstellung des MAD sowie den Verwaltungsvorgängen im Übrigen zugrunde legt.
37Selbst wenn man dem Vortrag folgt, er wolle nicht die Scharia in Deutschland einführen, hat sich der Kläger ausdrücklich zur Scharia bekannt und diese als ein der freiheitlich-demokratischen Grundordnung vorzuziehendes Ordnungssystem bezeichnet. Die Gesellschaftsordnung Saudi-Arabiens wird von ihm als vorbildlich dargestellt. Er verfügt über Kontakte zu Einrichtungen und Personen, die der - unter Beobachtung der Verfassungsschutzbehörden stehenden - salafistischen Szene zuzurechnen sind. Er hat nach eigenen Angaben regelmäßig Videos mit Predigten bekannter Salafisten studiert, auch wenn er die Vorgehensweise von Q. W. mittlerweile ablehnt. In Deutschland hat er gemeinsam mit seinem besten Freund I. H. und mit B. B1. I1. , nach Mitteilung des MAD eine Führungspersönlichkeit der salafistisch-dschihadistischen Szene Aachens, an zwei Islam-Seminaren in Deutschland teilgenommen, die von salafistischen Predigern angeboten worden waren. Angaben zu seiner Reise nach Alexandria hat er nicht gemacht, obwohl er sich dem Verdacht ausgesetzt sah, gemeinsam mit I. H. im Sommerurlaub an einem Lehrgang in einem ägyptischen Radikalisierungszentrum teilgenommen zu haben. Aus den öffentlich zugänglichen Informationen über Facebook konnte der MAD zu dem schlüssigen Ergebnis gelangen, dass der Kläger eine entsprechende Schule besucht hatte. Bevor der Kläger dem MAD seine Festplatte aushändigte, löschte er zahlreiche Videodateien mit salafistischen und dschihadistischen Bezügen, offensichtlich, um sich nicht weiter einem entsprechenden Verdacht auszusetzen.
38Lassen die vorliegenden Erkenntnisse danach allein den Schluss zu, dass es sich bei dem Kläger um einen gefestigten Salafisten handelt, ist seine Entlassung mangels Eignung rechtlich nicht zu beanstanden.
39Im Verfassungsschutzbericht des Bundesministeriums des Innern für das Jahr 2013 heißt es zum Thema "salafistische Bestrebungen" u.a.:
40"Der Salafismus bleibt in Deutschland die dynamischste islamistische Bewegung. Dem salafistischen Spektrum werden derzeit 5.500 Personen zugerechnet (2012: 4.500). Ursache für die steigenden Zahlen ist die beträchtliche Anziehungskraft, die der Salafismus insbesondere auf junge Menschen, häufig Konvertiten, ausübt. Zugleich wandern junge Anhänger anderer islamistischer Organisationen verstärkt zu den Salafisten ab. Salafisten geben vor, ihre religiöse Praxis und Lebensführung ausschließlich an den Prinzipien des Koran, dem Vorbild des Propheten Muhammad und der ersten drei muslimischen Generationen, der sogenannten rechtschaffenen Altvorderen (arab. al-salaf al-salih), auszurichten. Die Scharia, die von Gott in seiner Offenbarung gesetzte Ordnung, gilt ihnen als unverletzlich und unaufhebbar. Sie sei jeder weltlichen Gesetzgebung übergeordnet und für die gesamte Menschheit gültig. Dies hat zur Folge, dass Salafisten staatliche Gesetze ablehnen. Salafistische Ideologen vermitteln ihrer Anhängerschaft die Botschaft, Elite und Vorkämpfer zu sein. Als solche sollen sie sich von anderen Muslimen und Nichtmuslimen distanzieren. Sie zielen mit dieser Forderung auf die Schaffung einer salafistischen „Parallelwelt“ ab und kündigen gleichzeitig die friedliche Koexistenz unterschiedlicher religiöser Gruppierungen in Deutschland auf. In letzter Konsequenz versuchen Salafisten, in Deutschland einen „Gottesstaat“ nach den Regeln der Scharia zu errichten, in dem die freiheitliche demokratische Grundordnung keine Geltung mehr haben soll."
41Im Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 2012 wird zum Salafismus u.a. ausgeführt:
42"Die Grundpfeiler der salafistischen Ideologie sind mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht vereinbar:
43- Salafisten verstehen die islamische Religion als Ideologie, Ordnungs- und Herrschaftssystem und als unvereinbar mit der im Grundgesetz festgelegten parlamentarischen Demokratie.
44- Salafisten behaupten, dass alle gesellschaftlichen Probleme nur durch eine uneingeschränkte Anwendung von und strikte Ausrichtung des Lebens nach Koran und Sunna gelöst werden können. Dazu zählt die uneingeschränkte Anwendung der ‚Scharia' nach salafistischer Auslegung.
45- Sie betonen die rigide Trennung von Mann und Frau - nicht nur in der Moschee, sondern insgesamt im öffentlichen Raum. Auch die gemeinsame schulische Erziehung von Jungen und Mädchen wird grundsätzlich abgelehnt.
46- Sie grenzen die Frau zudem auf den heimischen Bereich ein; die Berufstätigkeit der Frau wird abgelehnt. Sie soll sich ganz auf den Haushalt und die Kindererziehung konzentrieren.
47- Die salafistische Ideologie widerspricht in wesentlichen Punkten (Gesellschaftsbild, politisches Ordnungssystem, individuelle Freiheit) den Grundprinzipien der freiheitlichen Demokratie. Darüber hinaus führt sie zur Bildung einer Parallelgesellschaft, die aufgrund der propagierten feindlichen Einstellungen gegenüber der übrigen Gesellschaft großes Konfliktpotential birgt. Schließlich kann sich aus dieser extrem vereinfachenden Ideologie eine weitere Radikalisierung und in den Terrorismus führen. Denn letztlich rechtfertigt die Ideologie der salafistischen Bestrebungen Gewalt gegen ‚Ungläubige', worin die nicht-salafistische Muslime eingeschlossen werden."
48Die so beschriebenen Grundannahmen und Ziele des Salafismus (wie auch anderer fundamentalistischer Richtungen des Islam) sind mit der durch das Grundgesetz statuierten freiheitlich-demokratischen Grundordnung schlechthin unvereinbar. Die angestrebte theokratische Ordnung schließt die nach dem Demokratieverständnis des Grundgesetzes in Art. 20 Abs. 2 GG festgelegte, vom Volk ausgehende Staatsgewalt aus. Sie widerspricht durch die Verabsolutierung von Gott gegebenen Rechts der in der pluralistischen Demokratie westlicher Prägung vorgesehenen Rechtssetzung in einem politischen Prozess nach bestimmten demokratischen Verfahrensregeln. Der Salafismus steht damit - wie im Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen zutreffend dargelegt - in einem fundamentalen Widerspruch zu einem Kernprinzip der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, auf dessen Boden jeder Beamte, Richter und Soldat zu stehen hat. Zudem widerspricht die Stellung der Frau nach dem (u.a.) vom Salafismus propagierten fundamentalistischen Verständnis des Islam deutlich dem Gleichberechtigungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 2 GG.
49Vgl. zum Verhältnis eines fundamentalistischen Islamverständnisses zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung VG Berlin, Urteil vom 21. N. 2007 - 2 A 79.04 -, juris, m.w.N.
50Dabei spielt es keine Rolle, dass die tatsächliche Dienstausübung des Klägers keinen Anlass zu Kritik oder gar disziplinarischen Maßnahmen gegeben hätte. Denn Eignungsmängel im Sinne des § 55 Abs. 4 Satz 1 SG brauchen sich nicht in einem Dienstvergehen niederzuschlagen, sondern können auch auf andere Weise sichtbar werden. Ein Dienstvergehen ist deshalb weder notwendige Voraussetzung der Entlassung, noch hat es notwendig die Entlassung zur Folge. Die Entlassung wegen mangelnder Eignung als Soldat auf Zeit ist nicht nur der Form, sondern auch der Sache nach keine Disziplinarmaßnahme, mit der ein Dienstvergehen in einem gegenüber der disziplinargerichtlichen Entfernung aus dem Dienst einfacheren und rascheren Verwaltungsverfahren geahndet werden kann.
51Schließlich hat der Kläger sich zu keinem Zeitpunkt glaubhaft von einem fundamentalistischen Verständnis des Islam distanziert. Soweit er sinngemäß geltend macht, entgegen der Auffassung der Beklagten stehe er auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, kann er hiermit jedenfalls nicht durchdringen. Denn seine Beteuerung, die durch das Grundgesetz errichtete Ordnung zu achten, steht in deutlichem Widerspruch zu seinen Äußerungen anlässlich der Befragung durch den MAD, die allein den Schluss zulassen, dass er sich einer fundamentalistischen Richtung des Islam zugewandt und hierbei Kontakte zu Vertretern sowie Einrichtungen einer Gruppierung unterhalten hat, deren Weltanschauung und Ziele nicht mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland vereinbar sind. Darüber hinaus kann er sich gegenüber der Feststellung, er weise nicht mehr die für einen Zeitsoldaten in seiner Laufbahn erforderliche charakterliche Eignung auf, auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass er hierdurch unzulässig wegen seiner Religion benachteiligt werde. Dies folgt schon daraus, dass die in Art. 3 Abs. 3 GG und Art. 33 Abs. 3 GG enthaltenen Benachteiligungsverbote nicht isoliert ausgelegt werden können, sondern vielmehr aus dem Kontext der Verfassung heraus zu interpretieren sind. In diesen Zusammenhang gestellt ist es schlechterdings ausgeschlossen, dass dieselbe Verfassung, welche die Bundesrepublik Deutschland aus historischer Erfahrung heraus als eine streitbare, wehrhafte Demokratie konstituiert hat, diesen Staat Beamten, Richtern oder Soldaten ausliefert, deren Verfassungstreue nicht gewährleistet ist. Interpretiert man das verfassungsrechtliche Verbot der Benachteiligung wegen der Religion in dieser Weise, so ist dem Kläger aufgrund der bei ihm bestehenden Zweifel an der Verfassungstreue die Berufung auf dieses Verbot versagt. Dies hat erst recht für einfach-gesetzliche Benachteiligungsverbote zu gelten.
52Danach trifft die Einschätzung der Beklagten, der Kläger sei für den Dienst als Soldat auf Zeit charakterlich ungeeignet gewesen, nicht auf durchgreifende rechtliche Bedenken. In der Rechtsfolge sieht § 55 Abs. 4 Satz 1 SG ("kann") vor, dass die zuständige Behörde nach ihrem pflichtgemäßen Ermessen über die Entlassung des betreffenden Soldaten entscheidet. Mit Blick auf die bislang angesprochenen Aspekte lag der Fall einer Ermessensreduzierung auf Null vor. Angesichts der besonderen Bedeutung der Pflicht zur Verfassungstreue stellt sich der bei dem Kläger vorliegende Mangel an Eignung als so gravierend dar, dass der Beklagten keine andere Möglichkeit verblieb, als ihn zu entlassen. Ein Verbleiben im Dienstverhältnis als Zeitsoldat erschien vor dem Hintergrund der genannten Umstände unter jedem erdenklichen Gesichtspunkt ausgeschlossen, weil der Kläger offensichtlich die religiösen Gebote des salafistisch geprägten Islam über die freiheitlich-demokratische Grundordnung stellte und damit nicht mehr gewährleistet war, dass er Befehle befolgt, sollten diese ihn an der Erfüllung höherwertiger religiöser Verpflichtungen hindern.
53Unerheblich ist dabei der Umstand, dass der Kläger mit Ablauf des 28. Februar 2014 entlassen worden ist, seine Dienstzeit aber ohnehin mit Ablauf des 31. März 2014 geendet hätte. Das Gesetz hat mit der Begrenzung der Entlassungsmöglichkeit in § 55 Abs. 4 Satz 1 SG auf die ersten vier Jahre selbst die maßgebliche Grenzziehung vorgenommen, womit naturgemäß - ähnlich wie auch im Falle sog. Stichtagsregelungen - gewisse Härten verbunden sein können. Die Ausschöpfung dieser Frist durch die Bundeswehr bedarf hiervon ausgehend keiner besonderen Erwägungen.
54Vgl. OVG NRW, Urteil vom 23. Juli 2009 - 1 A 2084/07 -, juris; VG Minden, Urteil vom 4. Oktober 2011 - 10 K 823/10 -, a.a.O.
55Zudem begegnet die Ausschöpfung keinen Bedenken, weil der Mangel der Eignung hier gravierend ist und der MAD den Kläger seit Januar 2013 über einen längeren Zeitraum mehrfach befragte, ohne dass der Kläger die Gelegenheit nutzte, sich von einem fundamentalistischen Verständnis des Islam zu distanzieren.
56Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
57Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 Sätze 1 und 2 ZPO.
Tenor
Der Antrag wird auf Kosten des Klägers abgelehnt.
Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 13.020,34 Euro festgesetzt.
1
G r ü n d e
2Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe nach § 124 Abs. 2 Nr. 1, 3 und 5 VwGO sind bereits nicht den Anforderungen an eine hinreichende Darlegung (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) dargelegt bzw. liegen auf der Grundlage der maßgeblichen – fristgerecht vorgelegten – Darlegungen des Klägers nicht vor.
31. Die Berufung ist nicht wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen.
4Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung im Sinne dieser Vorschrift sind begründet, wenn zumindest ein einzelner tragender Rechtssatz der angefochtenen Entscheidung oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und sich die Frage, ob die Entscheidung etwa aus anderen Gründen im Ergebnis richtig ist, nicht ohne weitergehende Prüfung der Sach- und Rechtslage beantworten lässt. Der die Zulassung der Berufung beantragende Beteiligte hat gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung (seiner Ansicht nach) zuzulassen ist. Darlegen in diesem Sinne bedeutet, unter konkreter Auseinandersetzung mit dem angefochtenen Urteil fallbezogen zu erläutern, weshalb die Voraussetzungen des jeweils geltend gemachten Zulassungsgrundes im Streitfall vorliegen sollen. Das Oberverwaltungsgericht soll allein aufgrund der Zulassungsbegründung die Zulassungsfrage beurteilen können, also keine weiteren aufwändigen Ermittlungen anstellen müssen.
5Vgl. etwa Beschluss des Senats vom 18. November 2010 – 1 A 185/09 –, juris, Rn. 16 f.; ferner etwa Seibert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 124a Rn. 186, 194.
6Aus dem Zulassungsvorbringen des Klägers ergeben sich keine ernstlichen Zweifel im vorgenannten Sinne an der Einschätzung des Verwaltungsgerichts, die auf § 55 Abs. 4 Satz 1 SG gestützte Entlassungsverfügung vom 28. Januar 2014 in der Gestalt des Beschwerdebescheides vom 16. Juli 2014 sei rechtmäßig und verletze den Kläger nicht in seinen Rechten.
7Soweit der Kläger zur Begründung seines Zulassungsbegehrens zunächst „ergänzend auf sein Vorbringen im Verwaltungsverfahren und in der ersten Instanz“ Bezug nimmt und dieses solchermaßen zum Gegenstand des Zulassungsvorbringens machen will, stellt dies ersichtlich keine hinreichende Darlegung im o.g. Sinne dar, weil es insoweit an jeglicher Auseinandersetzung mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung fehlt.
8Dazu, dass die bloße Bezugnahme auf früheres Vorbringen keine Darlegung i.S.v. § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO darstellt vgl. statt aller OVG NRW, Beschluss vom 23. Mai 2014 – 1 A 2043/13 –, juris, Rn. 5 f., m.w.N.
9Ernstliche Zweifel i.S.v. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ergeben sich aber auch nicht aus dem weiteren, konkret aufgeführten Zulassungsvorbringen.
10Der Vortrag des Klägers (Zulassungsbegründung, Seite 2, vorletzter Absatz), es lägen keine Gründe vor, die zu einer Entlassung nach § 55 Abs. 5 SG führen könnten, kann die Fehlerhaftigkeit des angefochtenen Urteils schon deswegen nicht aufzeigen, weil weder das Verwaltungsgericht noch der Entlassungsbescheid sich mit dieser Vorschrift befasst haben.
11Nicht durchgreifend ist auch das weitere Zulassungsvorbringen, das Verwaltungsgericht sei der Beklagten zu Unrecht bei der Bejahung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 55 Abs. 4 Satz 1 SG gefolgt. Der Kläger macht insoweit geltend: Er habe die Anforderungen, die an ihn in seiner Laufbahn zu stellen seien, als Mannschaftsdienstgrad während seiner Dienstzeit, welche am 31. März 2014 regulär geendet habe, erfüllt. Die auf einer Zukunftsprognose beruhende, wertende Entscheidung des Dienstherrn, er biete in der Zukunft – also ab Bekanntgabe des Entlassungsbescheides am 29. Januar 2014 – nicht mehr die Gewähr dafür, jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung einzutreten, und weise deswegen nicht mehr die für einen Mannschaftsdienstgrad erforderliche charakterliche Eignung auf, sei – anders, als das Verwaltungsgerichts meine – voll zu überprüfen. Aber selbst bei Bestehen eines Beurteilungsspielraums sei die Annahme, der Entlassungstatbestand sei erfüllt, nicht zu rechtfertigen. Denn es könne kein Grund für die Entlassung eines deutschen Soldaten sein, „wenn er die Gesellschaftsordnung Saudi Arabiens angeblich als vorbildlich darstellt und die Bundesrepublik Deutschland zur Aufrechterhaltung dieser Gesellschaftsordnung schwere und schwerste Waffen liefert.“ Die Annahme, dass er der salafistischen Szene zuzurechnen oder überhaupt Salafist sei, sei ebenso unsubstantiiert wie die generelle Annahme, ein Salafist könne grundsätzlich nicht auf dem Boden der freiheitlich demokratischen Grundordnung stehen. Salafisten seien schiitischer Glaubensrichtung und wirkten weitaus aggressiveren Glaubensrichtungen, welchen ausschließlich Sunniten anhingen, entgegen (Anmerkung des Senats: Dieser anwaltliche Vortrag ist ersichtlich fehlerhaft, da Salafisten zu den Sunniten zählen und antischiitisch eingestellt sind). Er habe sich, wie die Erkenntnisse des MAD belegten, von Personen abgewendet, die der freiheitlich demokratischen Grundordnung entgegenstünden. Auch sei nicht all das, was man im Bücherschrank stehen habe, als eigene Meinung anzusehen. Im Übrigen dürfe das, was in Verfassungsschutzberichten des Landes NRW stehe, „nicht nur nicht immer richtig“, sondern „teilweise auch bereits jetzt überholt“ sein. Soweit das Verwaltungsgericht eine glaubhafte Distanzierung des Klägers von einem fundamentalistischen Verständnis des Islam vermisst habe, sei „damit so lange wenig anzufangen, wie– zutreffend oder nicht – seinerzeit der Bundespräsident meinte feststellen zu müssen, dass der Islam zu Deutschland gehöre und selbiges später noch von der Bundeskanzlerin aufgegriffen und offensichtlich für richtig befunden“ habe.
12Dieses Vorbringen ist zunächst nicht geeignet, den rechtlichen Ansatzpunkt des Verwaltungsgerichts in Zweifel zu ziehen, die auf einer Zukunftsprognose beruhende, wertende Entscheidung des Dienstherrn über das Vorliegen eines Eignungsmangels i.S.v. § 55 Abs. 4 Satz 1 SG könne im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nur eingeschränkt überprüft werden, nämlich nur darauf, ob die Entlassungsbehörde den Begriff der mangelnden Eignung und den gesetzlichen Rahmen, innerhalb dessen sie sich bewegen kann, verkannt hat, ob sie von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, allgemein gültige Wertmaßstäbe nicht beachtet oder sachwidrige Erwägungen angestellt hat. Das gilt schon deshalb, weil der Kläger sich insoweit darauf beschränkt hat, der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts seine abweichende Ansicht schlicht entgegenzustellen, ohne eine Begründung vorzulegen. Abgesehen davon ist der dargestellte rechtliche Ansatz des Verwaltungsgerichts aus den im Urteil angeführten Gründen – nur die militärischen Vorgesetzten können, da es bei der Feststellung der mangelnden Eignung in erster Linie auf die spezifischen Anforderungen des militärischen Dienstes ankommt, sachverständig und zuverlässig beurteilen, ob der Soldat künftig den Anforderungen entsprechen wird – zutreffend (vgl. insoweit auch die vom Verwaltungsgericht angeführten Belege aus Rechtsprechung und Literatur, UA S. 8).
13Das Zulassungsvorbringen zeigt ferner nicht auf, dass sich die angefochtenen Bescheide entgegen der Einschätzung des Verwaltungsgerichts nicht im Rahmen des danach dem Dienstherrn eröffneten Beurteilungsspielraums halten.
14Zunächst ergibt sich aus ihm nicht, dass die Beklagte von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist. Das diesem Gesichtspunkt zuzuordnende Zulassungsvorbringen ist substanzlos. Der Kläger hält die – hier korrekt wiedergegebene – Annahme der Beklagten, er habe eingeräumt, Kontakte zu Einrichtungen und Personen zu pflegen, die der – unter der Beobachtung der Verfassungsschutzbehörden stehenden – salafistischen Szene zuzurechnen seien, für „unsubstantiiert“. Das geht ersichtlich fehl. Mit Blick auf die vom Verwaltungsgericht angeführten, vom Kläger nicht bestrittenen oder sogar zugestandenen Fakten (UA S. 10, dritter Absatz) aus den Ermittlungsvorgängen, die diese Annahme der Beklagten konkretisieren und stützen, erweist sich vielmehr das Zulassungsvorbringen als substanzlos, das im Übrigen die fraglichen Kontakte auch jetzt nicht in Abrede stellt. Auch der Einwand des Klägers, er habe sich ausweislich des MAD-Materials von Personen abgewendet, die der freiheitlich demokratischen Grundordnung entgegenstünden, greift nicht durch. Er kann sich allenfalls auf die Passage des MAD-Berichts vom 7. November 2013 beziehen, nach welcher der Kläger (bei seiner ersten Befragung am 14. Januar 2013) die Missionierungsarbeit des Q. W. für „zu aggressiv“ und „zu öffentlich“ gehalten hatte. Diese Erwägung enthält aber schon nicht zwingend eine inhaltliche Distanzierung, sondern kann ebenso gut auch bloß taktisch bedingt sein, also ein gut geheißenes Vorgehen lediglich als nicht zielführend kritisieren. Abgesehen davon hat auch das Verwaltungsgericht festgehalten, dass der Kläger die Vorgehensweise von Q. W. ablehne. Dieser eine Umstand stellt aber die übrigen Fakten nicht in Frage, die sich aufgrund der Angaben des Klägers bei seinen drei Befragungen und aufgrund weiterer Ermittlungen des MAD ergeben haben und die zusammen mit den belegten Kontakten bereits für sich genommen die Annahme rechtfertigen, der Kläger habe sich zunehmend radikalisiert und müsse mittlerweile als gefestigter Salafist eingeordnet werden. Danach
15- bekennt der Kläger sich ausdrücklich zur Scharia und
16- zieht diese der freiheitlich demokratischen Grundordnung als Ordnungssystem vor;
17- hält der Kläger die Gesellschaftsordnung Saudi-Arabiens für vorbildlich;
18- hat der Kläger u.a. mit einer Führungspersönlichkeit der salafistisch-dschihadistischen Szene B. an zwei Islam-Seminaren salafistischer Prediger in Deutschland teilgenommen und außerdem
19- einen Lehrgang in einem ägyptischen Radikalisierungszentrum besucht;
20- hat der Kläger auf einer ihm gehörenden externen Festplatte vor deren Herausgabe an den MAD zahlreiche (vom MAD rekonstruierte) Videodateien mit salafistischen und dschihadistischen Bezügen gelöscht (Bericht des MAD vom 5. Dezember 2013).
21Diesen Fakten hat der Kläger auch mit der Zulassungsbegründung nicht substantiiert widersprochen. Er hat allenfalls in Abrede gestellt, die Gesellschaftsordnung Saudi-Arabiens für vorbildlich zu halten („angeblich“). Dieses substanzlose Vorbringen genügt aber nicht, die eingehende Wiedergabe dieser – in einen Gesamtzusammenhang von Äußerungen eingebetteten – Äußerung des Klägers in dem (dem Kläger und seinem Prozessbevollmächtigten bekannten) MAD-Bericht in Zweifel zu ziehen. Das Argument, welches im vorliegenden Zusammenhang deutsche Waffenlieferungen an Saudi-Arabien bemüht, verkennt offensichtlich, dass dieses Verhalten Deutschlands nichts mit einer Billigung der dortigen Ordnung zu tun hat, sondern anderen, namentlich auch geopolitischen Überlegungen geschuldet ist. Auch die Behauptung, nicht all das, was man im Bücherschrank stehen habe, könne als eigene Meinung angesehen werden, greift ersichtlich nicht durch. Sie ist substanzlos, weil sie nicht deutlich macht, wovon sich der Kläger insoweit distanzieren will. Schließlich überzeugt auch das Argument des Klägers nicht, dass der Islam doch auch nach Äußerungen des früheren Bundespräsidenten Wulff und der Bundeskanzlerin zu Deutschland „gehöre“. Denn diese Äußerungen meinen – natürlich – nicht den fundamentalistischen Islam, hinsichtlich dessen das Verwaltungsgericht jegliche Distanzierung des Klägers vermisst hat.
22Aus dem Zulassungsvorbringen ergibt sich auch nicht, dass die Beklagte mit ihrer Bewertung, die angeführten Umstände belegten die mangelnde charakterliche Eignung des Klägers auch unter Berücksichtigung seines (nur) gegebenen Mannschaftsdienstgrades, den ihr eingeräumten Beurteilungsspielraum in sonstiger Weise überschritten hat. Insbesondere verkennt es nicht den Begriff der Eignung und den insoweit gezogenen gesetzlichen Rahmen, aus den zugestandenen oder zumindest nicht substantiiert in Frage gestellten Umständen auch unter Berücksichtigung aktueller Verfassungsschutzberichte darauf zu schließen, dass der Kläger keine hinreichende Gewähr für seine Verfassungstreue bietet, und eine solche Annahme bei jedem Soldaten – unabhängig von seinem Dienstgrad – und damit auch bei dem Kläger durchgreifen zu lassen. Der allgemein bleibende Einwand des Klägers gegen die Verfassungsschutzberichte, diese seien nicht nur nicht immer richtig, sondern teilweise auch schon überholt, verfehlt schon die Anforderungen an eine hinreichende Darlegung. Denn insoweit hätte es dem Kläger oblegen, sich mit inhaltlich mit den Ausführungen dieser Berichte auseinanderzusetzen, die im Entlassungsbescheid (Verfassungsschutzberichte für den Bund für 2012 und für NRW für 2012) und in dem angefochtenen Urteil (Verfassungsschutzberichte für den Bund für 2013 und für NRW für 2012) auszugsweise zitiert und ausgewertet worden sind.
23Das Zulassungsvorbringen weckt auch keine ernstlichen Zweifel an der Einschätzung des Verwaltungsgerichts, das der Beklagten in § 55 Abs. 4 Satz 1 SG eingeräumte und im Entlassungsbescheid auch betätigte (vgl. dort S. 8: „Aufgrund des mir kraft Gesetzes eingeräumten Ermessens und unter Berücksichtigung Ihrer persönlichen Verhältnisse entlasse ich Sie daher ungeachtet der für Sie einschneidenden Folgen gemäß § 55 Abs. 4 Satz 1 SG aus der Bundeswehr“) Ermessen sei wegen des als gravierend einzustufenden Eignungsmangels des Klägers „auf Null“ reduziert gewesen, wobei es unerheblich sei, dass der Kläger erst gut einen Monat vor dem Ablauf seiner regulären, auf vier Jahre festgelegten Dienstzeit entlassen worden sei.
24Insoweit meint der Kläger zunächst, dass zu prüfen gewesen wäre, ob nicht ein milderes Mittel – etwa eine Beurlaubung mit oder ohne Weiterzahlung der Bezüge – als die Entlassung möglich gewesen wäre. Diese Erwägung greift schon mangels hinreichender Darlegung nicht durch. Denn sie setzt sich nicht mit der Argumentation des Verwaltungsgerichts auseinander, nach welcher ein Verbleiben des Klägers im Dienstverhältnis als Zeitsoldat vor dem Hintergrund der belegten, vom Kläger aus seiner salafistischen Einstellung gezogenen Folgerungen unter jedem erdenklichen Gesichtspunkt ausgeschlossen erschien, weil er offensichtlich die religiösen Gebote des salafistisch geprägten Islam über die freiheitlich-demokratische Grundordnung stellte und damit nicht mehr gewährleistet war, dass er Befehle befolgt, an deren Erfüllung er sich aus religiösen Gründen gehindert sieht.
25Ferner wendet der Kläger gegen die Billigung der getroffene Ermessensentscheidung durch das Verwaltungsgericht noch ein, dass die Beklagte einerseits seine (unbeanstandeten) Dienste bis kurz vor Beendigung der regulären Dienstzeit in Anspruch genommen habe und andererseits durch die verfügte Entlassung Aufwendungen i.H.v. ca. 13.000,00 Euro „spare“. Diese Gesichtspunkte sind indes nicht geeignet, die Ermessensentscheidung rechtlich zweifelhaft erscheinen zu lassen. Das Verwaltungsgericht hat insoweit überzeugend ausgeführt, dass eine Entlassung erst kurz vor Ende der Vierjahresfrist des § 55 Abs. 4 Satz 1 SG keiner besonderen Erwägungen bedürfe, weil das Gesetz mit der Begrenzung der Entlassungsmöglichkeit nach dieser Vorschrift auf die ersten vier Jahre der Dienstzeit des betroffenen Soldaten selbst die maßgebliche Grenzziehung vorgenommen und gewisse Härten einkalkuliert habe.
26Vgl. OVG NRW, Urteil vom 29. August 2012– 1 A 2084/07 –, juris, Rn. 146 ff., insb. Rn. 148 f. (zu der entsprechenden zeitlichen Grenze bei einer ebenfalls im Ermessen der Behörde stehenden Entlassung nach § 55 Abs. 5 SG).
27Ferner hat es – ebenfalls überzeugend – dargelegt, dass die (weitgehende) Ausschöpfung der Frist auch deswegen keinen Bedenken unterliege, weil der Eignungsmangel gravierend sei. Zudem ist die Verfahrensdauer von der Meldung eines auffälligen Verhaltens des Klägers Ende September 2012 bis zum Erlass des Entlassungsbescheides im Januar 2014 im Wesentlichen den umfassenden Ermittlungen des MAD im Jahre 2013 (Befragungen des Klägers am 14. Januar 2013, am 28. Juni 2013 und am 24. September 2013 und Auswertung derselben; forensische Auswertung der am 25. September 2013 vom Kläger vorgelegten externen Festplatte und Anfertigung des Berichts) und der von Befragung zu Befragung festgestellten, die Fortführung des Verfahrens gebietenden zunehmenden Radikalisierung des Klägers geschuldet.
282. Die Berufung kann auch nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zugelassen werden. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne dieser Vorschrift, wenn sie eine konkrete noch nicht geklärte Rechts- oder Tatsachenfrage aufwirft, deren Beantwortung sowohl für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war als auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich sein wird und die über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder für die Weiterentwicklung des Rechts hat. Dabei ist zur Darlegung des Zulassungsgrundes die Frage auszuformulieren und substantiiert anzuführen, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich gehalten und aus welchen Gründen ihr Bedeutung über den Einzelfall hinaus zugemessen wird. Ist die aufgeworfene Frage eine Rechtsfrage, so ist ihre Klärungsbedürftigkeit nicht schon allein deshalb zu bejahen, weil sie bislang nicht obergerichtlich oder höchstrichterlich entschieden ist. Nach der Zielsetzung des Zulassungsrechts ist vielmehr Voraussetzung, dass aus Gründen der Einheit oder Fortentwicklung des Rechts eine obergerichtliche oder höchstrichterliche Entscheidung geboten ist. Die Klärungsbedürftigkeit fehlt deshalb, wenn sich die als grundsätzlich bedeutsam bezeichnete Frage auf der Grundlage des Gesetzeswortlauts nach allgemeinen Auslegungsmethoden und auf der Basis der bereits vorliegenden Rechtsprechung ohne Weiteres beantworten lässt.
29Vgl. Beschluss des Senats vom 13. Oktober 2011– 1 A 1925/09 –, juris, Rn. 31 m. w. N.
30In Anwendung dieser Grundsätze ist der geltend gemachte Zulassungsgrund schon nicht hinreichend dargelegt. Denn der Kläger hat zwar eingangs seines Begründungsschriftsatzes vom 4. Mai 2015 die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache behauptet, es aber nachfolgend an jeglichen Darlegungen hierzu fehlen lassen.
313. Schließlich kann eine Zulassung der Berufung auch nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO erfolgen. Der Kläger sieht einen Gehörsverstoß darin, dass das Verwaltungsgericht ihn trotz seiner Anwesenheit in der mündlichen Verhandlung nicht zu seinen entscheidungserheblichen Äußerungen gegenüber dem MAD befragt hat, obwohl sich eine solche Befragung aufgedrängt habe. Dieses Vorbringen führt nicht auf das Vorliegen eines Verfahrensfehlers in der Gestalt eines Gehörsverstoßes oder eines Aufklärungsmangels. Es musste sich dem Verwaltungsgericht nicht aufdrängen, durch Befragung des Klägers weitere Ermittlungen anzustellen. Es konnte seine Einschätzung, es liege ein durchgreifender Eignungsmangel vor, vielmehr ohne Weiteres – allein tragend (vgl. UA, S. 10, zweiter Absatz, letzter Satz) – auf die vom Kläger nicht bestrittenen oder sogar zugestandenen, in den Akten enthaltenen konkreten Angaben des MAD (Berichte vom 7. November 2013 und vom 5. Dezember 2013) stützen. Es konnte nämlich diese Angaben gerade deshalb als wahr ansehen, weil der – im Verwaltungsverfahren und auch in der mündlichen Verhandlung anwaltlich vertretene – Kläger ihnen zu keinem Zeitpunkt und gerade auch nicht in der der Gewährung rechtlichen Gehörs dienenden mündlichen Verhandlung substantiiert widersprochen hatte, also nicht angegeben hatte, welche von diesen Angaben aus welchen Gründen nicht der Wahrheit entsprechen sollten. Dass das Verwaltungsgericht diese Angaben seiner Entscheidung zugrundelegen würde, konnte den Kläger auch nicht überraschen. Denn im Zentrum des Rechtsstreits stand, wie auch der Kläger wusste, die Frage seiner Verfassungstreue.
32Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 40, 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 und Abs. 6 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 und 3 GKG in der aktuellen Fassung. Dabei hat der Senat bei seiner Bewertung zunächst die Summe derjenigen Bezüge ermittelt, welche dem Kläger nach dem Stand des Besoldungsrechts im Zeitpunkt der Rechtsmitteleinlegung (1. April 2015) unter Berücksichtigung seiner Erfahrungsstufe und unter Außerachtlassung nicht ruhegehaltfähiger Zulagen und der in § 52 Abs. 6 Satz 3 GKG aufgeführten Bezügebestand-teile für das Kalenderjahr 2015 als Soldat mit dem zuletzt innegehabten Dienstgrad eines Stabsgefreiten fiktiv zu zahlen wären und welche sich nach Mitteilung der Beklagten auf 26.040,68 Euro belaufen. Diesen Betrag hat der Senat sodann mit Blick darauf halbiert, dass hier die Beendigung nicht eines Dienstverhältnisses auf Lebenszeit, sondern eines Dienstverhältnisses auf Zeit im Streit steht (vgl. § 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 (hier nicht einschlägig) und Nr. 2 (hier einschlägig) GKG).
33Dieser Beschluss ist hinsichtlich der Streitwertfestsetzung nach §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG und im Übrigen gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar. Das angefochtene Urteil ist nunmehr rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).
(1) Die erforderliche Zuverlässigkeit besitzen Personen nicht,
- 1.
die rechtskräftig verurteilt worden sind - a)
wegen eines Verbrechens oder - b)
wegen sonstiger vorsätzlicher Straftaten zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr,
wenn seit dem Eintritt der Rechtskraft der letzten Verurteilung zehn Jahre noch nicht verstrichen sind, - 2.
bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie - a)
Waffen oder Munition missbräuchlich oder leichtfertig verwenden werden, - b)
mit Waffen oder Munition nicht vorsichtig oder sachgemäß umgehen oder diese Gegenstände nicht sorgfältig verwahren werden, - c)
Waffen oder Munition Personen überlassen werden, die zur Ausübung der tatsächlichen Gewalt über diese Gegenstände nicht berechtigt sind.
(2) Die erforderliche Zuverlässigkeit besitzen in der Regel Personen nicht,
- 1.
- a)
die wegen einer vorsätzlichen Straftat, - b)
die wegen einer fahrlässigen Straftat im Zusammenhang mit dem Umgang mit Waffen, Munition oder explosionsgefährlichen Stoffen oder wegen einer fahrlässigen gemeingefährlichen Straftat, - c)
die wegen einer Straftat nach dem Waffengesetz, dem Gesetz über die Kontrolle von Kriegswaffen, dem Sprengstoffgesetz oder dem Bundesjagdgesetz
zu einer Freiheitsstrafe, Jugendstrafe, Geldstrafe von mindestens 60 Tagessätzen oder mindestens zweimal zu einer geringeren Geldstrafe rechtskräftig verurteilt worden sind oder bei denen die Verhängung von Jugendstrafe ausgesetzt worden ist, wenn seit dem Eintritt der Rechtskraft der letzten Verurteilung fünf Jahre noch nicht verstrichen sind, - 2.
die Mitglied - a)
in einem Verein, der nach dem Vereinsgesetz als Organisation unanfechtbar verboten wurde oder der einem unanfechtbaren Betätigungsverbot nach dem Vereinsgesetz unterliegt, oder - b)
in einer Partei, deren Verfassungswidrigkeit das Bundesverfassungsgericht nach § 46 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes festgestellt hat,
waren, wenn seit der Beendigung der Mitgliedschaft zehn Jahre noch nicht verstrichen sind, - 3.
Bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie in den letzten fünf Jahren - a)
Bestrebungen einzeln verfolgt haben, die - aa)
gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet sind, - bb)
gegen den Gedanken der Völkerverständigung, insbesondere gegen das friedliche Zusammenleben der Völker, gerichtet sind oder - cc)
durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden,
- b)
Mitglied in einer Vereinigung waren, die solche Bestrebungen verfolgt oder verfolgt hat, oder - c)
eine solche Vereinigung unterstützt haben,
- 4.
die innerhalb der letzten fünf Jahre mehr als einmal wegen Gewalttätigkeit mit richterlicher Genehmigung in polizeilichem Präventivgewahrsam waren, - 5.
die wiederholt oder gröblich gegen die Vorschriften eines der in Nummer 1 Buchstabe c genannten Gesetze verstoßen haben.
(3) In die Frist nach Absatz 1 Nr. 1 oder Absatz 2 Nr. 1 nicht eingerechnet wird die Zeit, in welcher die betroffene Person auf behördliche oder richterliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist.
(4) Ist ein Verfahren wegen Straftaten im Sinne des Absatzes 1 Nr. 1 oder des Absatzes 2 Nr. 1 noch nicht abgeschlossen, so kann die zuständige Behörde die Entscheidung über den Antrag auf Erteilung einer waffenrechtlichen Erlaubnis bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens aussetzen.
(5) Die zuständige Behörde hat im Rahmen der Zuverlässigkeitsprüfung folgende Erkundigungen einzuholen:
- 1.
die unbeschränkte Auskunft aus dem Bundeszentralregister; - 2.
die Auskunft aus dem zentralen staatsanwaltschaftlichen Verfahrensregister hinsichtlich der in Absatz 2 Nummer 1 genannten Straftaten; - 3.
die Stellungnahme der örtlichen Polizeidienststelle, ob Tatsachen bekannt sind, die Bedenken gegen die Zuverlässigkeit begründen; die örtliche Polizeidienststelle schließt in ihre Stellungnahme das Ergebnis der von ihr vorzunehmenden Prüfung nach Absatz 2 Nummer 4 ein; - 4.
die Auskunft der für den Wohnsitz der betroffenen Person zuständigen Verfassungsschutzbehörde, ob Tatsachen bekannt sind, die Bedenken gegen die Zuverlässigkeit nach Absatz 2 Nummer 2 und 3 begründen; liegt der Wohnsitz der betroffenen Person außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes, ist das Bundesamt für Verfassungsschutz für die Erteilung der Auskunft zuständig.
(1) Die zuständige Behörde kann jemandem den Besitz von Waffen oder Munition, deren Erwerb nicht der Erlaubnis bedarf, und den Erwerb solcher Waffen oder Munition untersagen,
- 1.
soweit es zur Verhütung von Gefahren für die Sicherheit oder zur Kontrolle des Umgangs mit diesen Gegenständen geboten ist oder - 2.
wenn Tatsachen bekannt werden, die die Annahme rechtfertigen, dass der rechtmäßige Besitzer oder Erwerbswillige abhängig von Alkohol oder anderen berauschenden Mitteln, psychisch krank oder debil ist oder sonst die erforderliche persönliche Eignung nicht besitzt oder ihm die für den Erwerb oder Besitz solcher Waffen oder Munition erforderliche Zuverlässigkeit fehlt.
(2) Die zuständige Behörde kann jemandem den Besitz von Waffen oder Munition, deren Erwerb der Erlaubnis bedarf, untersagen, soweit es zur Verhütung von Gefahren für die Sicherheit oder Kontrolle des Umgangs mit diesen Gegenständen geboten ist.
(3) Die zuständige Behörde unterrichtet die örtliche Polizeidienststelle über den Erlass eines Waffenbesitzverbotes.
Tatbestand
- 1
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Der Kläger wendet sich gegen ein Verbot des Besitzes und Erwerbs von Waffen und Munition.
- 2
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Das Landgericht H. verurteilte den - zu diesem Zeitpunkt bereits mehrfach, u.a. wegen Körperverletzung, vorbestraften - Kläger am 1. Februar 2008 wegen bandenmäßigen besonders schweren Raubes in drei Fällen, davon in einem Fall wegen Versuchs, in einem Fall in Tateinheit mit besonders schwerer räuberischer Erpressung, in zwei Fällen in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren. Das Urteil wurde mit der Verwerfung der Revision als unbegründet (BGH, Beschluss vom 2. September 2008) rechtskräftig. Der Kläger befand sich wegen dieser Taten seit dem 23. August 2007 in Polizei- und Untersuchungshaft; seit Rechtskraft der Verurteilung befindet er sich in Strafhaft in der Justizvollzugsanstalt F. Nach den Urteilsfeststellungen führte der Kläger bei den drei Raubtaten gegen Prostituierte einen ausziehbaren Teleskopstab (so genannter Totschläger) mit sich und drohte damit. In einem der Fälle setzte der Kläger ein Elektroschockgerät eigenhändig zur Drohung ein.
- 3
-
Die Beklagte untersagte mit für sofort vollziehbar erklärter Verfügung vom 10. März 2008 dem Kläger gemäß § 41 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und § 41 Abs. 2 WaffG die Ausübung der tatsächlichen Gewalt über Waffen aller Art, Schusswaffen, Schießapparate, Munition und Geschosse mit pyrotechnischer Wirkung und bestimmte, dass das Verbot beinhaltet, Waffen und Munition, deren Erwerb nicht der Erlaubnispflicht des Waffengesetzes unterliegt, zu erwerben und die tatsächliche Gewalt darüber auszuüben. Zur Begründung führte sie aus, der Kläger sei waffenrechtlich unzuverlässig gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a WaffG; dies zeige die massive Gewalt, mit der er und seine Mittäter bei den drei angeklagten Taten die geschädigten Personen mit einem Elektroschockgerät verletzt und mit einem Schlagstock bedroht hätten. Die Annahme der Unzuverlässigkeit sei daneben im Hinblick auf die bereits erfolgten strafrechtlichen Verurteilungen gemäß § 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a WaffG begründet.
- 4
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Den dagegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Bescheid vom 3. Juni 2008 zurück. Die daraufhin am 4. Januar 2009 erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 31. März 2009 abgewiesen.
- 5
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Auf Antrag des Klägers hat das Berufungsgericht die Berufung zugelassen. Mit Schriftsatz vom 15. Dezember 2009 an das Berufungsgericht hat die Beklagte die nach ihrer Auffassung maßgeblichen Ermessenserwägungen für die streitgegenständliche Verbotsverfügung zusammengefasst.
- 6
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Das Oberverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 11. Januar 2011 das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert. Den Bescheid vom 10. März 2008 und den Widerspruchsbescheid vom 3. Juni 2008 hat es insoweit aufgehoben, als dem Kläger darin der Besitz von Waffen und Munition untersagt worden ist, deren Erwerb der Erlaubnis bedarf. Im Übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen.
- 7
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Zur Begründung hat das Oberverwaltungsgericht u.a. ausgeführt, die angefochtene Untersagungsverfügung der Beklagten habe in Bezug auf Waffen und Munition, deren Erwerb der Erlaubnis bedürfe, in § 41 Abs. 2 WaffG keine gesetzliche Grundlage, weil der Kläger derartige Waffen oder Munition nicht im Besitz gehabt habe oder habe. Die Untersagung nach § 41 Abs. 2 WaffG setze den Besitz der bezeichneten Gegenstände voraus. Die Befugnis, jemandem den Besitz zu untersagen, schlösse es zwar nicht schon dem allgemeinen Wortsinn nach aus, die Untersagung auch auf einen künftigen Besitz zu beziehen. Die Begrenzung auf den bestehenden Besitz im Sinne der bereits ausgeübten tatsächlichen Gewalt ergebe sich aber aus dem Vergleich mit der Regelung, die der Gesetzgeber in ein- und demselben Gesetzgebungsakt für die Untersagungsbefugnis in § 41 Abs. 1 WaffG hinsichtlich erlaubnisfreier Waffen und Munition getroffen habe: Dort seien die Untersagung des Besitzes und die des Erwerbs ausdrücklich unterschieden und nebeneinander aufgeführt. Habe der Gesetzgeber in seinem Sprachgebrauch zur Regelung der Untersagungsbefugnisse in § 41 WaffG für den einen gegenständlichen Teilbereich (Absatz 1) aber dergestalt zwischen den Fallgruppen des Besitzes und des Erwerbs unterschieden, erscheine es als zwingend, den gleichermaßen differenzierenden Sprachgebrauch auch bei der Regelung des anderen Teilbereichs (in Absatz 2) anzunehmen. Dann sei Besitz im Sinne des Absatzes 2 nur der vorhandene Besitz und nicht auch der (durch Erwerb zu erlangende) künftige Besitz. Der so differenzierende Sprachgebrauch entspreche zudem den gesetzlichen Begriffsbestimmungen in Anlage 1 zu § 1 Abs. 4 WaffG, Abschnitt 2, in denen das Erwerben und das Besitzen von Waffen oder Munition (in Nummern 1 und 2) als unterschiedliche waffenrechtliche Begriffe definiert seien. Die Untersagungsverfügung betreffend den Besitz und Erwerb erlaubnisfreier Waffen und Munition habe das Verwaltungsgericht hingegen zutreffend als rechtmäßig angesehen. Die Voraussetzungen des § 41 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WaffG lägen vor.
- 8
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Soweit das Oberverwaltungsgericht der Klage stattgegeben und die streitige Verfügung teilweise aufgehoben hat, hat die Beklagte die vom Bundesverwaltungsgericht zugelassene Revision eingelegt und sie damit begründet, entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts bedürfe es zur Untersagung des Besitzes von erlaubnispflichtigen Waffen und zur Untersagung des Besitzes von Munition für entsprechende Waffen keines vorherigen Besitzes des Verfügungsadressaten. Das Berufungsgericht verkenne hiermit den Willen des Gesetzgebers und erschwere eine effektive Gefahrenabwehr.
- 9
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Die Beklagte beantragt,
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unter teilweiser Abänderung des Urteils des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts vom 11. Januar 2011 die Klage vollumfänglich abzuweisen.
- 10
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Der Kläger beantragt,
-
die Revision zurückzuweisen.
- 11
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Er verteidigt die Auslegung des § 41 Abs. 2 WaffG durch das Berufungsgericht.
- 12
-
Der Kläger und die Beklagte haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
- 13
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Der Senat entscheidet gemäß § 101 Abs. 2 VwGO im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung.
- 14
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Die Revision der Beklagten ist begründet. Das Berufungsurteil verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Das Oberverwaltungsgericht hätte die Berufung des Klägers auch zurückweisen müssen, soweit das Verwaltungsgericht die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 10. März 2008 und deren Widerspruchsbescheid vom 3. Juni 2008 insoweit abgewiesen hatte, als dem Kläger darin der Besitz von Waffen und Munition untersagt worden war, deren Erwerb der Erlaubnis bedarf. Das Berufungsgericht hat zu Unrecht angenommen, § 41 Abs. 2 WaffG setze einen bereits vollzogenen Besitzerwerb des Verbotsadressaten voraus. Die im Verfahren getroffenen Feststellungen erlauben den Schluss, dass der Kläger den Verbotstatbestand des § 41 Abs. 2 WaffG erfüllt. Der Senat kann daher in der Sache selbst entscheiden (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO) und die Berufung vollumfänglich zurückweisen.
- 15
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1. Die Klage richtete sich ursprünglich gegen die vollständige Verfügung der Beklagten vom 10. März 2008. Damit ist dem Kläger gemäß § 41 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und § 41 Abs. 2 WaffG die Ausübung der tatsächlichen Gewalt über Waffen aller Art, Schusswaffen, Schießapparate, Munition und Geschosse mit pyrotechnischer Wirkung untersagt worden. Dieses Verbot beinhaltete ausdrücklich auch das Verbot, Waffen und Munition, deren Erwerb nicht der Erlaubnispflicht des WaffG unterliegt, zu erwerben und die tatsächliche Gewalt darüber auszuüben (§ 41 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WaffG). Das Verwaltungsgericht hat die dagegen gerichtete Klage mit Urteil vom 31. März 2009 vollständig abgewiesen. Auf die Berufung hat das Oberverwaltungsgericht zwar der Klage gegen die auf § 41 Abs. 2 WaffG gestützte Verfügung gegen die erlaubnispflichtigen Waffen zum Erfolg verholfen, aber die Berufung abgewiesen, soweit es um die auf § 41 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WaffG gestützte Verfügung betreffend erlaubnisfreier Waffen ging. Nachdem der Kläger daraufhin keine Revision eingelegt hat, ist der Rechtsstreit betreffend das gegen den Kläger ausgesprochene Erwerbs- und Besitzverbot für erlaubnisfreie Waffen rechtskräftig geworden. Im Streit steht lediglich noch die Frage der Rechtmäßigkeit des Besitzverbots betreffend erlaubnispflichtiger Waffen.
- 16
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2. Das streitgegenständliche Besitzverbot für erlaubnispflichtige Waffen gegen den Kläger ist rechtmäßig, denn es beruht auf einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage, deren Anforderungen es einhält.
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a) Nach § 41 Abs. 2 WaffG kann die zuständige Behörde jemandem den Besitz von Waffen oder Munition, deren Erwerb der Erlaubnis bedarf, untersagen, soweit es zur Verhütung von Gefahren für die Sicherheit oder Kontrolle des Umgangs mit diesen Gegenständen geboten ist.
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Zu Unrecht hat das Oberverwaltungsgericht die Voraussetzungen des Waffenbesitzverbotes nach § 41 Abs. 2 WaffG im Falle des Klägers verneint, weil dieser eine derartige Waffe oder Munition nicht im Besitz habe oder gehabt habe. § 41 Abs. 2 WaffG erlaubt unter den in der Vorschrift bezeichneten Voraussetzungen die Verhängung eines Besitzverbots auch zu einem Zeitpunkt, in dem der Verbotsadressat erlaubnispflichtige Waffen bzw. Munition nicht in Besitz hat, d.h. nicht die tatsächliche Gewalt über sie ausübt (vgl. Ziff. 2, Abschnitt 2 der Anlage 1 - zu § 1 Abs. 4 - WaffG). Verboten werden darf wie bei § 41 Abs. 1 WaffG auch der künftige Besitz.
- 19
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aa) Der Wortlaut der Vorschrift ist für diese Auslegung offen. § 41 Abs. 2 WaffG schreibt nicht vor, dass der Verbotsadressat bereits bei Ausspruch des Verbots "Besitzer" sein müsste.
- 20
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Der Wortlaut von § 41 Abs. 2 WaffG bezieht sich nicht auf eine erteilte Erlaubnis, sondern nur allgemein darauf, ob Waffen und Munition grundsätzlich einer Erlaubnis bedürfen. Damit erfasst der Wortlaut auch Fälle, in denen im konkreten Einzelfall keine Erlaubnis erteilt ist oder diese nicht mehr besteht. Dass der Gesetzgeber die Anwendung der Verbotsermächtigung in § 41 Abs. 2 WaffG nicht auf Fälle der aktuellen Innehabung des unerlaubten Besitzes an einer Waffe beschränken wollte, macht der Wortlaut nicht zuletzt dadurch deutlich, dass es dort nicht verengend heißt, dem Besitzer könne der "weitere Besitz" untersagt werden.
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bb) Aus Formulierungsunterschieden in der Regelung über das Verbot erlaubnisfreier Waffen nach § 41 Abs. 1 WaffG - d.h. Verbot für "Besitz und Erwerb" - und dem für erlaubnispflichtige Waffen nach § 41 Abs. 2 WaffG - d.h. Verbot für "Besitz" - ist entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts nichts Gegenteiliges abzuleiten. Der Grund für den unterschiedlichen Wortlaut liegt vielmehr schlicht darin, dass es für erlaubnisfreie Waffen keine Erwerbsbeschränkung gibt. Der Erwerb erlaubnispflichtiger Waffen steht dagegen unter einem Erlaubnisvorbehalt, der den freien Erwerb ausschließt (Lehmann/v. Grotthuss, in: von Grotthuss/Soens, Aktuelles Waffenrecht, Stand Juli 2012, § 41 Rn. 48; Humberg VR 2004, 8).
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Es ist schon vom geregelten Sachverhalt her nicht einsehbar, warum die Behörde mit der Anwendung des Waffenverbotes nach § 41 Abs. 2 WaffG bis zu dem - für sie gar nicht immer offensichtlichen - Zeitpunkt abwarten sollte, zu dem der vom Gesetzgeber als verbotswürdig eingestufte Besitz vom Betroffenen schließlich erlangt wird.
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cc) Die Auslegung des § 41 Abs. 2 WaffG nach der Gesetzessystematik unterstützt die Ansicht, dass ein Verbot zum Besitz erlaubnispflichtiger Waffen auch ausgesprochen werden kann, wenn der Erwerb einer solchen Waffe noch bevorsteht. Das systematische Verständnis des Waffenverbotes nach § 41 Abs. 2 WaffG erschließt sich aus ihrer Vorgängernorm in § 40 WaffG a.F. § 40 WaffG 72 stellte eine Fortentwicklung von § 23 des Reichswaffengesetzes dar, wonach Erwerb, Besitz und Führen von Schusswaffen verboten werden konnten, durch die eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit zu befürchten war. In der Zielrichtung besteht zwischen beiden Vorschriften kein Unterschied, was auch in der Begründung zu dem Entwurf des Bundesrates, der dem Waffengesetz zugrunde liegt, zum Ausdruck kommt (BTDrucks 6/2678 S. 23). Die Vorschrift soll im Gesamtgefüge des Waffengesetzes die Regelungen über die Zuverlässigkeitsprüfung in der Weise ergänzen, dass sie - umfassend und unabhängig von einer Erwerbssituation - die Allgemeinheit vor dem Schaden bewahrt, der aus einem Umgang mit Schusswaffen durch ungeeignete Personen droht. Eine solche Aufgabe kann die Vorschrift aber nur erfüllen, wenn sie auch jenseits des eigentlichen Gebrauchmachens von Schusswaffen die Tatbestände erfasst, die für einen derartigen Schutz der Allgemeinheit von Bedeutung sind, so z.B. die Gefahren, die aus einer nicht sorgfältigen Verwahrung der Schusswaffe oder einem Überlassen der Waffen an Nichtberechtigte entstehen können (Urteil vom 6. Dezember 1978 - BVerwG 1 C 94.76 - Buchholz 402.5 WaffG Nr. 14 S. 43 f.). Der Ausschluss einer Verbotsmöglichkeit nach § 41 Abs. 2 WaffG hinsichtlich zukünftigen Besitzes wäre wertungssystematisch insofern unstimmig, als die von Absatz 2 betroffenen erlaubnispflichtigen Waffen vom Gesetzgeber allgemein als gefahrenträchtiger als die in Absatz 1 betroffenen erlaubnisfreien Waffen eingestuft worden sind. Wenn schon bei den letzteren der zukünftige Besitz ein hinreichender Bezugspunkt für ein Verbot ist, muss dies bei ersteren umso mehr gelten.
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Ein weiterer systematischer Aspekt zum Verständnis von § 41 Abs. 2 WaffG ergibt sich aus dem Zusammenspiel von der Rückgabe oder Verzicht auf eine waffenrechtliche Erlaubnis und der flankierenden Anordnung eines Waffenverbotes. Droht der Widerruf einer notwendigen Erlaubnis, versuchen Betroffene - wie auch Erfahrungen in anderen Rechtsgebieten mit Erlaubnisvorbehalten zeigen - einen Erlaubniswiderruf durch Rückgabe oder Verzicht zu unterlaufen. Damit unterbleibt zunächst die Aufklärung und Feststellung des Widerrufssachverhalts mit wachsenden Beweisschwierigkeiten für die Waffenbehörde im Falle späterer Antragsverfahren auf Neuerteilung einer Erlaubnis. Soweit Verbote neben dem Widerruf oder der Versagung einer notwendigen Erlaubnis möglich sind, dienen sie zur Umsetzung einer Präventionswirkung auch für den Fall der Erlaubnisrückgabe und verhindern die andernfalls drohenden Nachteile einer Verschlechterung der Beweislage (Lehmann/v. Grotthuss a.a.O. Rn. 50). Insofern wird das Verbot nach § 41 Abs. 2 WaffG in den Fällen von Rückgabe oder Verzicht auf eine waffenrechtliche Erlaubnis zu einem präventiven Mittel gegenüber dem Besitz oder Wiedererwerb von erlaubnispflichtigen Waffen durch den vormaligen Erlaubnisinhaber.
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dd) Der Gesetz gewordene Wortlaut des § 41 Abs. 2 WaffG, wonach nur der Besitz und nicht auch der Erwerb untersagt werden kann, ist auf ein eingeschränktes situatives Problemverständnis im Gesetzgebungsverfahren zurückzuführen und kann darüber hinaus kein einschränkendes Gesetzesverständnis nach sich ziehen. Dass der "Erwerb" in § 41 Abs. 1 WaffG gesondert aufgeführt ist, bedeutet nicht, dass nur von § 41 Abs. 1 WaffG der Erwerb und folglich der künftige Besitz erfasst sind. Der Gesetzgeber hat die Vorschrift des § 41 Abs. 2 WaffG in Ansehung eines Vorfalls gefasst, bei dem ein rechtmäßiger Waffenbesitzer eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellte (BTDrucks 14/7758 S. 77). Im Anschluss daran sollte die Vorschrift die sofortige Sicherstellung der Waffen in Fällen ermöglichen, die nicht durch Rücknahme oder Widerruf der Erlaubnis nach § 45 WaffG - in Fällen der Unzuverlässigkeit oder Ungeeignetheit - oder durch das Vorgehen wegen illegalen Waffenbesitzes erfasst werden könnten. Für die Regelung eines Erwerbsverbots hat der Gesetzgeber vor dem Hintergrund dieses konkreten Problemverständnisses anscheinend keinen Bedarf gesehen und demzufolge den Erwerb auch nicht in § 41 Abs. 2 WaffG wörtlich erwähnt, zumal sich der Sache nach ein Erwerbsverbot bei den Waffen, die unter § 41 Abs. 2 WaffG fallen, regelmäßig schon durch das notwendige Erlaubnisverfahren ergibt, indem eine Erlaubnis dann versagt wird. Jedenfalls bietet die Entstehungsgeschichte keine Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber bei Erlass des neuen § 41 Abs. 2 WaffG die in der Anwendungspraxis zu § 40 WaffG 1972 vielfach anerkannte Befugnis, auch zukünftigen Waffenbesitz zu verbieten (vgl. z.B. BGH, Beschluss vom 24. November 1992 - 4 StR 539/92 - NStZ 1993, 192; Potrykus/Steindorf, Waffenrecht, 5. Aufl. 1982, S. 238; Nr. 40.1 WaffVwV i.d.F. der Bekanntmachung von 1979), beseitigen wollte. Dies hätte auch nicht im Einklang mit der allgemeinen Stoßrichtung der Novellierung gestanden, wonach die Umgestaltung der Vorschrift auf eine "Erweiterung der Befugnis zum Erlass eines Waffenbesitzverbotes gegenüber der bisherigen Regelung in § 40 des Waffengesetzes" (vgl. BTDrucks 14/7758 S. 76) gezielt hat.
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Bereits unter Geltung der Vorgängervorschrift des § 40 WaffG a.F. war ebenso anerkannt, dass die Behörde das Recht hatte, nach Ausstellung der Waffenbesitzkarte zum Nachweis der Anmeldung ein Waffenbesitzverbot zu erlassen, und es ihr auch möglich sein musste, die Prüfung der Voraussetzungen eines entsprechenden Waffenbesitzverbotes vorbeugend in das Verfahren zur Erteilung einer Waffenbesitzkarte nach § 59 WaffG 72 einzubeziehen (Urteil vom 6. Dezember 1978 a.a.O. S. 42 f.). Hieran sollte durch die Einführung des § 41 Abs. 2 WaffG nichts geändert werden. Denn § 40 WaffG a.F. sollte lediglich umgestaltet sowie die Befugnis zum Erlass eines Waffenbesitzverbotes gegenüber der bisherigen Regelung in § 40 WaffG a.F. erweitert und der Rechtsprechung angepasst, keinesfalls gelockert werden (BTDrucks 14/7758 S. 76).
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ee) Sinn und Zweck des Verbotes für den Besitz von erlaubnispflichtigen Waffen nach § 41 Abs. 2 WaffG zeigen, dass es nach dem Normverständnis nicht darauf ankommt, dass der Pflichtige die tatsächliche Gewalt über Waffen oder Munition im Verbotszeitpunkt bereits ausübt. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich zu der Vorgängernorm von § 41 Abs. 2 WaffG in § 40 WaffG a.F. dahingehend geäußert, dass die Vorschrift im Gesamtgefüge des Waffengesetzes die Regelungen über die Zuverlässigkeitsprüfung in der Weise ergänze, dass sie die Allgemeinheit vor dem Schaden bewahren solle, der aus dem Umgang mit Schusswaffen durch ungeeignete Personen drohe. Dies zeige, dass der Schutz der Allgemeinheit im Vordergrund stehe und dieses Ziel auf dem effektivsten Wege verfolgt werden müsse (Urteil vom 6. Dezember 1978 a.a.O. S. 43 f.). Dies wird im Normtext sichtbar anhand der Formulierung des § 41 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 WaffG, in dem von "Verhütung von Gefahren für die Sicherheit" ausgegangen wird und aufgrund § 1 Abs. 1 WaffG, der von der "Berücksichtigung der Belange der öffentlichen Sicherheit und Ordnung" spricht. Als Leitlinie der Vorschrift ist somit der Rechtsgüterschutz beabsichtigt. Um ein solches Ziel ernsthaft und bestmöglich zu erreichen, sind indes Maßnahmen mit Präventivcharakter notwendig (Humberg, VR 2004, 8), wie sie im Erwerbs- und Besitzverbot gegenüber einem Betroffenen liegen, der die tatsächliche Gewalt über Waffen oder Munition noch nicht ausübt.
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Ein Verbot des Besitzes erlaubnispflichtiger Waffen nach § 41 Abs. 2 WaffG ist zulässig, wenn damit ein künftiger Erwerb verhindert werden soll. Dass der Erwerb solcher Waffen an einen Erlaubnisvorbehalt gebunden ist, steht dem Erlass eines Verbotes nicht entgegen. Mit der Versagung einer Erlaubnis und dem Ausspruch eines Waffenverbotes nach § 41 Abs. 2 WaffG werden unterschiedliche Zwecke umgesetzt. Bei der Versagung einer Erlaubnis wird nur das Erwerbsinteresse des Einzelnen und die Erfüllung der daran geknüpften Anforderungen geprüft, beim Waffenverbot steht die Prävention und der Schutz von Leben und Gesundheit im Vordergrund (Lehmann/v. Grotthuss a.a.O. Rn. 47). Der Hauptanwendungsfall eines Waffenverbotes nach § 41 Abs. 2 WaffG betrifft Konstellationen, in denen zuvor eine Waffenbesitzerlaubnis erteilt wurde. Soweit die Voraussetzungen für den Erlass eines Waffenverbotes nach § 41 Abs. 2 WaffG gegeben sind, rechtfertigt dies vielfach zwar auch den Widerruf der Erlaubnis (§ 45 WaffG). Dies bedarf jedoch bis zur Bestands- oder Rechtskraft einer gewissen Zeit, in der das allgemeine Sicherungsbedürfnis ohne die Möglichkeit des Waffenverbotes nicht bedient würde (Lehmann/v. Grotthuss a.a.O. Rn. 43).
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b) Die danach allein erforderlichen Voraussetzungen für ein Waffenbesitzverbot nach § 41 Abs. 2 WaffG liegen vor.
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aa) Das Besitzverbot muss zur Verhütung von Gefahren für die Sicherheit geboten sein.
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Anknüpfungspunkt für die Regelung in § 41 Abs. 2 WaffG ist eine Gefährlichkeit des Waffenbesitzers. Das Besitzverbot ist dann "zur Verhütung von Gefahren für die Sicherheit" geboten, wenn der fortdauernde Waffenbesitz des Verbotsadressaten eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellt (Gade/Stoppa, WaffG, 2011, § 41 Rn. 10); das gleiche gilt - für den Fall, dass der Betreffende noch nicht im Besitz einer Waffe ist - für den künftigen Besitz. Im Rahmen dieser auf Tatsachen gestützten Gefahrenprognose ist derselbe Maßstab anzulegen, der auch im Zuge eines Erwerbs- und Besitzverbotes nach § 41 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 WaffG zur Anwendung kommt (Gade/Stoppa a.a.O. Rn. 10 u. 6). Der Begriff "zur Verhütung von Gefahren für die Sicherheit" ist nach der Vorstellung des Gesetzgebers am Rechtsgüterschutz orientiert und hat die Verhütung von Gefahren zum Gegenstand (BTDrucks 14/7758 S. 76). Dabei handelt es sich um den aus dem allgemeinen Gefahrenabwehrrecht stammenden Begriff der öffentlichen Sicherheit.
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Das Waffenverbot aus § 41 Abs. 2 WaffG dient im vorliegenden Fall auch der Verhütung von Gefahren für die öffentliche Sicherheit, denn es soll Schaden von den Rechtsgütern Einzelner abwenden. Der Kläger bietet keine ausreichende Gewähr dafür, dass er mit Waffen in einer Weise umgeht, die Dritte in ihren Rechten nicht gefährdet. Das Landgericht H. verurteilte ihn wegen bandenmäßigen besonders schweren Raubes in drei Fällen, davon in einem Fall wegen Versuchs, in einem Fall in Tateinheit mit besonders schwerer räuberischer Erpressung, in zwei Fällen in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren. Nach den Urteilsfeststellungen führte der Kläger bei den drei Raubtaten gegen Prostituierte in deren Modellwohnungen einen ausziehbaren Teleskopstab (sog. Totschläger) mit sich und drohte damit. In einem der Fälle setzte der Kläger auch das Elektroschockgerät eigenhändig zur Drohung ein. Bei dem im landgerichtlichen Urteil festgestellten Sachverhalt handelte es sich nicht um ein isoliertes strafwürdiges Verhalten. Der Kläger war vielmehr bereits damals mehrmals vorbestraft, unter anderem wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.
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bb) Nach § 41 Abs. 2 WaffG wird die Möglichkeit eines waffenrechtlichen Verbotes nicht einfach eingeräumt, "soweit es zur Verhütung von Gefahren für die Sicherheit" in Betracht kommt, sondern soweit es "geboten" ist. Darin drückt sich eine gesteigerte Anforderung im Sinne einer "Erforderlichkeit" aus. Diese Anforderung begrenzt den im Verbot liegenden Eingriff, indem nicht jede Gefahr für die öffentliche Sicherheit die Voraussetzungen erfüllt, sondern nur eine mit höherer Dringlichkeit. Ein Verbot ist dann geboten, wenn der Waffenbesitzer bzw. der Erwerbswillige in der Vergangenheit ein Verhalten oder eine seiner Person anhaftende Eigenschaft zutage gelegt hat, welche den auf Tatsachen beruhenden Verdacht begründet, dass durch einen Umgang mit der Waffe Gefahren für die öffentliche Sicherheit verursacht werden (Gade/Stoppa a.a.O. Rn. 6). Nach § 41 Abs. 2 WaffG kann jemandem der Besitz nur untersagt werden, wenn durch den fortdauernden Besitz eine nicht hinnehmbare Gefahrensituation entstehen würde (Papsthart, in: Steindorf/Heinrich/Papsthart, WaffG, 9. Aufl. 2010, § 41 Rn. 9). Anknüpfungspunkt beim Verbot zum Besitz erlaubnispflichtiger Waffen nach § 41 Abs. 2 WaffG ist ebenso wie bei demjenigen nach § 41 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 WaffG eine Gefährlichkeit des Waffenbesitzers (Gade/Stoppa a.a.O. Rn. 10).
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Diese gesteigerten gesetzlichen Voraussetzungen eines zur Verhütung von Gefahren für die Sicherheit "gebotenen" Waffenverbotes erfüllt der Kläger. Anordnungen nach § 41 Abs. 2 WaffG sind nämlich insbesondere dann gerechtfertigt, wenn der Betroffene eine Straftat begangen hat und aus der Tat auf eine rohe oder gewalttätige Gesinnung oder eine Schwäche des Täters zu schließen ist, sich zu Gewalttaten hinreißen zu lassen, oder wenn der Täter eine schwere Straftat mit Hilfe oder unter Mitführen von Waffen begangen hat oder Straftaten begangen hat, die nicht selten unter Mitführen oder Anwendung von Waffen begangen werden (Nr. 41.3 WaffVwV i.d.F. der Bekanntmachung von 2012). Das im Strafurteil des Landgerichts H. vom 1. Februar 2008 zum Ausdruck kommende Maß an Gewaltbereitschaft, und zwar insbesondere in Verbindung mit dem Gebrauch oder zumindest der Androhung von Waffengewalt lassen die Verhängung des Verbots als unausweichlich und somit geboten erscheinen, um die andernfalls von einem im Besitz von Waffen befindlichen Kläger drohende Gefahr für die Sicherheit abzuwenden.
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Darüber hinaus ist das Verbot für erlaubnispflichtige Waffen nach § 41 Abs. 2 WaffG auch geboten, weil der Kläger bereits nicht die Voraussetzungen für die Erteilung einer waffenrechtlichen Erlaubnis erfüllt. Es fehlt bei ihm an den Voraussetzungen für die Erteilung einer Waffen- und Munitionserlaubnis, weil er die erforderliche persönliche Zuverlässigkeit nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a und Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a WaffG nicht besitzt. Die erforderliche Zuverlässigkeit besitzen nämlich Personen nicht, bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie mit Waffen oder Munition nicht vorsichtig oder sachgerecht umgehen oder diese Gegenstände nicht sorgfältig verwahren werden (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a WaffG). Die erforderliche Zuverlässigkeit besitzen darüber hinaus in der Regel Personen nicht, die wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Freiheitsstrafe rechtskräftig verurteilt worden sind (§ 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a WaffG). Darauf hat der Widerspruchsbescheid das Verbot auch ausdrücklich gestützt.
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cc) Dass damit auf Umstände abgestellt wird, die in der Person des Klägers liegen, führt nicht zur Unanwendbarkeit des § 41 Abs. 2 WaffG. Soweit teilweise behauptet wird, § 41 Abs. 1 Satz 1 WaffG unterscheide nach objektbezogenen Untersagungsgründen in Nr. 1 und personenbezogenen Untersagungsgründen in Nr. 2, weshalb wegen der gleichartig wie in Nr. 1 des § 41 Abs. 1 Satz 1 WaffG formulierten Voraussetzungen des § 41 Abs. 2 WaffG dort nur objektbezogene Untersagungsgründe eine Rolle spielen würden (Bushart, in: Apel/Bushart, Waffenrecht, Band 2, 3. Aufl. 2004, § 41 Rn. 10), kann dem aus mehreren Gründen nicht gefolgt werden. Zum einen sind objektbezogene Gefahren schon Gegenstand der Regelungen des Beschussgesetzes (vgl. BTDrucks 14/7758 S. 48 f.). Zum anderen gibt es keine Anhaltspunkte für eine derartige Unterscheidung in § 41 Abs. 1 Satz 1 WaffG. Denn die Kontrollbedürftigkeit nach der Nr. 1 bezieht sich auf den "Umgang" und damit auf menschliche Verhaltensweisen in Bezug auf Waffen (vgl. § 1 Abs. 3 WaffG), ist also gleichfalls personenbezogen. Dasselbe gilt, soweit die Verhütung von Gefahren für die Sicherheit angesprochen wird. Denn damit sollen, entsprechend dem Zweck des Gesetzes (§ 1 Abs. 1 WaffG) hochrangige Rechtsgüter vor einem nicht ordnungsgemäßen Umgang mit Waffen oder Munition geschützt werden (BTDrucks 14/7758 S. 51), womit wiederum auf Gefahren abgestellt wird, die durch auf Waffen bezogenes Verhalten von Waffenbesitzern entstehen. Die Nr. 1 des § 41 Abs. 1 Satz 1 WaffG unterscheidet sich daher nur insoweit von der Nr. 2 als sie auf die Verhütung von Gefahren zum Schutz von Rechtsgütern durch nicht ordnungsgemäßes Verhalten von Waffenbesitzern ausgerichtet ist, während die Nr. 2 nicht in erster Linie auf solche Gefahren abstellt, sondern auf die tatsachengestützte fehlende Vertrauenswürdigkeit des Betroffenen im Hinblick auf die erforderlichen persönlichen Voraussetzungen (Eignung bzw. Zuverlässigkeit) für den Umgang mit Waffen, vgl. BTDrucks 14/7758 S. 76). Entsprechend den Ausführungen zu § 41 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 WaffG betrifft daher auch § 41 Abs. 2 WaffG nicht nur objektbezogene Gründe, sondern generell die Verhütung von Gefahren für Rechtsgüter, die für diese durch den nicht ordnungsgemäßen Umgang von Waffenbesitzern mit Waffen und Munition entstehen. Bestätigt wird dies durch den oben genannten Zweck des § 41 Abs. 2 WaffG im Hinblick auf eine sofortige Sicherstellung nach § 46 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 WaffG (schon vor Fristablauf nach § 46 Abs. 2 Satz 2 WaffG), der sonst unterlaufen würde sowie durch die Gesetzesbegründung zu § 41 Abs. 2 WaffG, wo ausschließlich ein personenbezogener Untersagungsgrund genannt wird (VG Ansbach, Urteil vom 11. Oktober 2006 - AN 15 K 06.00854 - juris Rn. 54; ebenso VG Sigmaringen, Urteil vom 26. April 2006 - 1 K 1331/05 - juris Rn. 20).
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c) Bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen kann (aa)) die zuständige Behörde jemandem den Besitz von Waffen oder Munition, deren Erwerb der Erlaubnis bedarf, untersagen (bb)). Diese Rechtsfolge hat die Beklagte in rechtmäßiger Weise gezogen.
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aa) Mit der streitgegenständlichen Verfügung hat die Beklagte angeordnet, dass der Kläger keine erlaubnispflichtigen Waffen und Munition erwerben oder besitzen darf. Die Anordnung des Waffenbesitzverbotes nach § 41 Abs. 2 WaffG verbietet nicht nur den Besitz erlaubnispflichtiger Waffen und Munition, d.h. die Ausübung tatsächlicher Gewalt über sie, sondern sperrt damit auch zugleich die Möglichkeit zum rechtmäßigen Erwerb, soweit die betroffene Person erst dadurch zukünftig Besitz begründen würde. Der ausdrücklichen Erwähnung eines Erwerbsverbotes im Rahmen der Verfügung nach § 41 Abs. 2 WaffG bedarf es deshalb nicht; die Erwähnung macht den Bescheid aber auch nicht fehlerhaft. Gegenständlich fallen erlaubnispflichtige Waffen in den Anwendungsbereich der Vorschrift. Nach Anlage 2 Abschnitt 2 Unterabschnitt 1 WaffG sind prinzipiell Schusswaffen, ihnen gleichgestellte Gegenstände sowie dafür bestimmte Munition erlaubnispflichtig. Mit Rücksicht auf die Ausnahmen von der Erlaubnispflicht für bestimmte Waffen, deren Verbot ggf. auf § 41 Abs. 1 WaffG zu stützen ist, unterfallen nur diejenigen erlaubnispflichtigen Waffen dem Verbot nach § 41 Abs. 2 WaffG, die hinsichtlich des Erwerbs nicht von der Erlaubnispflicht ausgenommen sind (vgl. die Ausnahmen nach Anlage 2 Abschnitt 2 Unterabschnitt 2 Nr. 1 WaffG; Gade/Stoppa, WaffG, 2011, § 41 Rn. 9).
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bb) Das Waffenbesitzverbot wird als Ermessensentscheidung getroffen. Es gilt daher das eingeschränkte Prüfungsprogramm des Verwaltungsgerichts nach § 114 Satz 1 VwGO darauf hin, ob der Verwaltungsakt rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Im Ausgangsbescheid vom 10. März 2008 sowie dem Widerspruchsbescheid vom 3. Juni 2008 sind solche Ermessenserwägungen allenfalls ansatzweise zu erkennen. Das Oberverwaltungsgericht hat daher nach § 114 Satz 2 VwGO mit richterlicher Verfügung vom 2. Dezember 2009 der Beklagten Gelegenheit gegeben, zur Erfüllung der Schriftlichkeitsanforderungen nach § 39 Abs. 1 Satz 3 HmbVwVfG, die für die Ausübung des Ermessens nach § 41 Abs. 2 WaffG maßgeblichen Ermessenserwägungen schriftlich mitzuteilen. Dem ist die Beklagte mit Schreiben an das Gericht vom 15. Dezember 2009 nachgekommen.
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Danach hält die Beklagte den Erlass der waffenrechtlichen Verbotsverfügung nach § 41 Abs. 2 WaffG auch unter Berücksichtigung des Vollzuges der Freiheitsstrafe in der Justizvollzugsanstalt F. für geeignet, erforderlich und angemessen. Es sei nicht ausgeschlossen, dass erlaubnispflichtige oder verbotene Waffen in die Anstalt gelangen könnten. Auch wenn in Bezug auf erlaubnispflichtige Waffen die Wahrscheinlichkeit zum Erwerb faktisch erheblich eingeschränkt sein möge, sei das verbleibende Risiko nicht hinzunehmen. Sie ist außerdem der Auffassung, dass bei einer Verbotsverfügung, die eine Dauerwirkung entfalte, eine temporäre Reduzierung der Gefahrenlage nicht zur Aufhebung der Verbotsverfügung führen müsse. Hierbei sei insbesondere zu berücksichtigen, dass vorliegend der Zeitraum, in dem der Kläger die Möglichkeit zum Waffenerwerb habe, den Zeitraum, in dem die Möglichkeit des Klägers zum Waffenerwerb aufgrund der Inhaftierung reduziert sei, erheblich übersteige. Auch stehe dem Einwand des Klägers, Vollzugslockerungen seien derzeit unwahrscheinlich, die Rechtmäßigkeit der Verbotsverfügung nicht entgegen. Denn zumindest seien Vollzugslockerungen in absehbarer Zeit nach den Vorschriften des H. Strafvollzugsgesetzes möglich. Dieses Restrisiko müsse im Hinblick auf die zu erwartende Gefährdung hoher Rechtsgüter nicht hingenommen werden. Diesem Risiko könne auch nicht durch eine Information der Justizvollzugsanstalt an die zuständige Waffenbehörde über bevorstehende Vollzugslockerungen begegnet werden.
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Das Berufungsgericht hat sich mit diesen Ermessenserwägungen nicht auseinander gesetzt, weil es den Bescheid insoweit bereits aus anderen Gründen für fehlerhaft gehalten hat. Die Erwägungen der Beklagten verhalten sich aber innerhalb des von § 41 Abs. 2 WaffG vorgezeichneten Ermessensspielraums. Dieser Spielraum war vorliegend bereits dadurch stark eingeschränkt, dass sehr erhebliche Gründe für die Erforderlichkeit des Waffenverbotes auf der Tatbestandsseite der Norm sprachen. Bei Vorliegen derart gewichtiger - sich aus den Vorstrafen des Klägers ergebender - Tatsachen beschränkt sich der Abwägungsspielraum in der Tat auf die Frage, ob seine derzeitige Inhaftierung ein Verbot nach § 41 Abs. 2 WaffG entbehrlich macht. Abgesehen davon, dass die insoweit gegen ein Verbot während der Haftzeit in das Feld zu führenden Argumente zugleich von geringem Gewicht sind, weil sie den Kläger in dieser Zeit mangels Gelegenheit zum legalen Erwerb auch nicht nennenswert belasten, hat die Beklagte jedoch einleuchtend ein verbleibendes Restrisiko beschrieben, das mit einem Verbot besser begrenzt werden kann als ohne. Diese Belastung hat der Kläger zum Schutz der Öffentlichkeit hinzunehmen.
(1) Wenn ein Beteiligter teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jedem Teil zur Hälfte zur Last. Einem Beteiligten können die Kosten ganz auferlegt werden, wenn der andere nur zu einem geringen Teil unterlegen ist.
(2) Wer einen Antrag, eine Klage, ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf zurücknimmt, hat die Kosten zu tragen.
(3) Kosten, die durch einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entstehen, fallen dem Antragsteller zur Last.
(4) Kosten, die durch Verschulden eines Beteiligten entstanden sind, können diesem auferlegt werden.
(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.
(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.