Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt Beschluss, 06. März 2017 - 3 M 245/16
Gericht
Gründe
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1. Die zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Magdeburg - 1. Kammer - vom 8. Dezember 2016 hat in der Sache Erfolg. Die dargelegten Gründe rechtfertigen die Abänderung des angefochtenen Beschlusses.
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Das Verwaltungsgericht hat die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 20. Juli 2016 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 8. Juli 2016 zu Unrecht angeordnet bzw. wiederhergestellt. Nach der im vorliegenden vorläufigen Rechtsschutzverfahren allein veranlassten überschlägigen Prüfung der Sach- und Rechtslage rechtfertigen die erhobenen Einwendungen eine andere Bewertung, da Erfolgsaussichten im noch anzustrengenden Hauptsacheverfahren voraussichtlich nicht bestehen (a.) und das Interesse des Antragstellers daran, von den Wirkungen des Verwaltungsaktes bis zum Eintritt der Bestandskraft verschont zu bleiben, hinter dem öffentlichen Interesse zurücksteht (b.).
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a.) Rechtsgrundlage für die Feststellung der Gefährlichkeit des Hundes des Antragstellers sind im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, mithin bereits unter Geltung des geänderten Gesetzes zur Vorsorge gegen die von Hunden ausgehenden Gefahren (Hundegesetz - HundeG LSA -, GVBl. 2009 S. 22 i. d. F. des Artikel 1 des Gesetzes vom 27. Oktober 2015, GVBl. S. 560), ist § 4 Abs. 4 i. V. m. § 3 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 HundeG LSA. Gemäß § 3 Abs.1 Alt. 2 HundeG LSA sind gefährlich die Hunde, deren Gefährlichkeit im Einzelfall festgestellt wird. Im Einzelfall gefährliche Hunde sind gemäß § 3 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Alt. 1 HundeG LSA insbesondere solche, die sich als bissig erwiesen und eine nicht nur geringfügige Verletzung verursacht haben, ohne selbst angegriffen worden zu sein. Erhält die zuständige Behörde einen Hinweis darauf, dass ein Hund eine gesteigerte Aggressivität aufweist, insbesondere Menschen oder Tiere gebissen hat, so hat sie den Hinweis gemäß § 4 Abs. 4 Satz 1 HundeG LSA von Amts wegen zu prüfen. Ergibt die Prüfung Tatsachen, die den Verdacht rechtfertigen, dass von dem Hund eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht, so stellt die Behörde fest, dass der Hund gefährlich ist, § 4 Abs. 4 Satz 2 HundeG LSA.
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Gemessen an diesen Voraussetzungen ist der Hund des Antragstellers ein gefährlicher Hund im Sinne des § 3 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Alt. 1 HundeG LSA, denn er hat am 23. Januar 2016 unstreitig den Hund der Zeugin B. (K.) sowie die Zeugin A. (K.) gebissen. Die Feststellung der Bissigkeit erfordert nach der ständigen Rechtsprechung des beschließenden Senats lediglich das Zuschnappen der Kiefer eines Hundes an einem menschlichen oder tierischen Körper (vgl. OVG LSA, Beschluss vom 8. November 2011 - 3 M 397/11 -, juris Rdnr. 6 und vom 29. November 2011 - 3 M 484/11 -, juris Rdnr. 6). An dieser Definition hat auch die Neufassung des § 3 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 HundeG LSA nichts geändert. In dem Vorfall am 23. Januar 2016 haben sich aber nach summarischer Prüfung auch die mit dem Änderungsgesetz eingefügten weiteren Tatbestandsmerkmale des neu gefassten § 3 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Alt. 1 HundeG LSA realisiert.
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Denn der Hund hat durch die Bisse sowohl dem Hund der Zeugin B. (K.) als auch der Zeugin A. (K.) Verletzungen zugefügt, die nicht nur geringfügig waren. Die Rechtsprechung des Senats, die eine irgend geartete Verletzung des Bissopfers gerade nicht forderte, ist mit der Neufassung des § 3 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Alt. 1 HundeG LSA zwar überholt. Gleichwohl sind auch nach der neuen Rechtslage die Anforderungen an das Ausmaß der Verletzung nicht zu überspannen. "Fleischwunden, innere Verletzungen oder Verletzungen des Bewegungsapparates" sind - entgegen der Auffassung des Antragstellers - nicht erforderlich. Der unbestimmte Rechtsbegriff der "nicht nur geringfügigen Verletzung" ist dabei ebenso wie die Feststellung, ob der beißende Hund selbst angegriffen worden ist (vgl. Hessischer VGH, Beschluss vom 29. Januar 2015 - 5 A 804/14.Z - juris), einer vollständigen gerichtlichen Überprüfung zugänglich, so dass unerheblich ist, ob die Antragsgegnerin im angefochtenen Bescheid zu Recht davon ausging, dass es sich bei den festgestellten Verletzungen im Einzelnen um geringfügige Verletzungen gehandelt haben könnte.
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Dabei kann hier dahinstehen, ob es, wenn ein Hund einen Menschen beißt, überhaupt darauf ankommen kann, ob eine daraus entstandene Verletzung geringfügig ist oder nicht. Nach dem Wortlaut des Gesetzes ist eine Differenzierung nicht vorgesehen, so dass auch bloß geringfügige Bissverletzungen bei Menschen für die Feststellung der Gefährlichkeit nicht genügen könnten. Die Begründung des Gesetzentwurfs stellt hingegen insoweit nur darauf ab, dass "die Voraussetzungen für eine Gefährlichkeitsfeststellung nach § 4 Abs. 4 dann nicht (mehr) erfüllt [sind], wenn der betroffene Hund ein anderes (Haus-)Tier, insbesondere einen anderen Hund, nur ganz geringfügig verletzt hat" (Drs. 6/4359 Begründung des Gesetzentwurfs S. 19). Daraus könnte abzuleiten sein, dass es bei Bissverletzungen bei Menschen nicht auf deren Schwere ankommen soll.
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Auch die vom Ministerium für Inneres und Sport des Landes Sachsen-Anhalt erlassene Verwaltungsvorschrift zum Hundegesetz (VwV-HundeG LSA - MBl. LSA 2016, S. 210, ber. 246 -) gibt nur Maßstäbe für die geringfügige Verletzung anderer Tiere vor. Danach sind die Voraussetzungen für eine Gefährlichkeitsfeststellung nach § 4 Abs. 4 in Verbindung mit § 3 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 nicht erfüllt, wenn der betroffene Hund ein anderes (Haus-)Tier, insbesondere einen anderen Hund, nur geringfügig verletzt hat. Geringfügig sind Verletzungen des Körpers oder der Gesundheit ohne wesentliche Beeinträchtigung der Lebensführung und ohne Dauerfolgen, beispielsweise einzelne herausgerissene Haare oder sehr kleine oberflächliche Kratzer. Dementsprechend wird die Feststellung einer (nicht nur geringfügigen) Verletzung gefordert; es kommt jedoch weder auf deutlich sichtbare Verletzungen des Bissopfers, etwa die Feststellung einer (blutenden) Wunde, noch auf zerstörte Kleidungsstücke an (Ziffer 3.3.1.2 VwV-HundeG LSA). Der Hinweis auf (nicht) zerstörte Kleidungsstücke deutet allerdings darauf hin, dass auch bei Bissen an Menschen eine Qualifizierung stattfinden soll.
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Die vergleichbaren Regelungen anderer Länder, an denen sich ausweislich der Begründung des Gesetzentwurfs (a. a. O. S. 18) die Neuregelung orientiert, ordnen Bissverletzungen bei Menschen nicht nach deren Schweregrad ein.
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So bestimmte § 3 Abs. 3 Nr. 2 GefHG SH (GVOBl. 2005, S. 51), dass als gefährlich solche Hunde galten, die einen Menschen gebissen haben, sofern dies nicht zur Verteidigung anlässlich einer strafbaren Handlung geschah, während § 3 Abs. 3 Nr. 4 GefHG SH vorsah, dass Hunde, die ein anderes Tier durch Biss geschädigt haben, ohne selbst angegriffen worden zu sein, oder die einen anderen Hund trotz dessen erkennbarer artüblicher Unterwerfungsgestik gebissen haben, als gefährlich gelten. Auch die Neufassung in § 7 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3 HundeG SH (GOVBl. 2015, S. 193, ber. S. 369) ändert daran nichts.
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§ 2 Abs. 2 HundeVO HE (GVBl. I 2003, S. 54) regelt, dass gefährlich auch Hunde sind, die einen Menschen gebissen oder in Gefahr drohender Weise angesprungen haben, sofern dies nicht aus begründetem Anlass geschah (Nr. 1), oder ein anderes Tier durch Biss geschädigt haben, ohne selbst angegriffen worden zu sein, oder die einen anderen Hund trotz dessen erkennbarer artüblicher Unterwerfungsgestik gebissen haben (Nr. 2).
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§ 4 Abs. 1 Nr. 2 HuHG BE (GVBl. 2004, S. 424) sah vor, dass Hunde, die einen Menschen oder ein Tier durch Biss geschädigt haben, ohne selbst angegriffen oder dazu durch Schläge oder in ähnlicher Weise provoziert worden zu sein, oder einen anderen Hund trotz dessen erkennbarer artüblicher Unterwerfungsgestik gebissen haben, als gefährlich gelten. Die nunmehr geltende Regelung des § 5 Abs. 3 Satz 1 HundeG BE (GVBl. 2016, S. 436) sieht vor, dass eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit insbesondere von einem solchen Hund ausgeht, der einen Menschen gebissen oder in sonstiger Weise wiederholt oder schwerwiegend gefährdet, insbesondere in gefahrdrohender Weise angesprungen hat, ohne zuvor angegriffen oder provoziert worden zu sein (Nr. 1) oder der außerhalb der waidgerechten Jagd oder des Hütebetriebes ein anderes Tier gehetzt, gebissen oder getötet hat, ohne zuvor angegriffen worden zu sein (Nr. 2).
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Auf die Schwere der durch den Biss zugefügten Verletzung kommt es nach diesen Regelungen weder beim Menschen noch bei einem Hund an.
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Zwar verweisen die in der Gesetzesbegründung weiter aufgeführten Entscheidungen den OVG Niedersachsen (Beschlüsse vom 3. März 2015 - 11 LA 172/14 - und vom 30. Juni 2015 - 11 LA 250/14 -, beide: juris ) darauf, dass die Voraussetzungen der Gefährlichkeitsfeststellung des § 7 Abs. 1 Satz 2 NHundG grundsätzlich bereits dann erfüllt sind, wenn der betroffene Hund ein anderes Tier (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Alt. 1 NHundG) nicht nur ganz geringfügig verletzt hat. Gleiches gelte im Fall der Verletzung eines Menschen. Entscheidungserheblich war dies allerdings nur im Verfahren 11 LA 250/14, in dem ein Hund einen Menschen zweimal in die rechte Hüfte und den rechten Oberschenkel gebissen hatte. An der fehlenden Geringfügigkeit dieses Vorfalls bestanden danach keine Zweifel.
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Vorliegend kann für den Fall, dass auch Bissverletzungen an Menschen auf ihre Geringfügigkeit hin zu überprüfen wären, dahinstehen, ob - wofür einiges spricht - schon die aus dem zu dem Verfahren 3 M 246/16 vorgelegten Verwaltungsvorgang ersichtlichen Verletzungen der Zeugin A. (K.) als "nicht geringfügig" einzuschätzen sind. Die Zeugin hat ausweislich des "Notfall-/Vertretungsscheins" des vertragsärztlichen Notfalldienstes eine "Hundebissverletzung linker Kleinfinger und Daumen u OS, linke Hand" erlitten, die mit einem Antibiotikum "Doxy 100 (2x1)" behandelt werden musste. Daneben entstanden durch den Biss nach ihren eigenen wie nach den Angaben der Zeugin B. (K.) blaue Flecken. Geht man nach der Gesetzesbegründung (a. a. O. S. 19) davon aus, dass der Gesetzgeber in Anlehnung an die Entscheidungen des OVG Niedersachsen grundsätzlich jede Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit unabhängig von der Schwere als "nicht geringfügig" sehen wollte, wobei nur geringfügige Verletzungen wie etwa einzelne herausgerissene Haare oder sehr kleine oberflächliche Kratzer außer Betracht bleiben sollten (vgl. etwa OVG Niedersachsen, Beschluss vom 18. Januar 2012 - 11 ME 423/11 -, juris), dürfte jedenfalls die Notwendigkeit einer ärztlichen Behandlung mit Antibiotikum dafür sprechen, dass eine nur geringfügige, zu vernachlässigende Verletzung auch bei der Zeugin A. (K.) nicht vorlag.
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Jedenfalls hat der Hund des Antragstellers dem Hund der Zeugin B. (K.) "nicht nur geringfügige Verletzungen" zugefügt. Der Hund befand sich nach dem Vorfall ausweislich der Stellungnahme der Tierklinik A-Stadt vom 1. Juli 2016 in einem "mäßig reduzierten", mithin beeinträchtigten Allgemeinzustand. Er wies Bissspuren (kleine Einbisse und Kratzspuren) auf, die tierärztlich behandlungsbedürftig waren und antibiotisch sowie schmerzlindernd behandelt wurden. Auch wenn es nach den vorgelegten Quittungen offenbar nicht notwendig war, die Bisswunden zu nähen, ergibt sich doch daraus, dass der gebissene Hund dreimal dem Tierarzt vorgestellt werden musste, dass eine hinreichende Beeinträchtigung seiner körperlichen Unversehrtheit vorgelegen hat. Denn die Einfügung dieses Kriteriums soll lediglich Bagatellvorfälle ausscheiden, die jedenfalls dann, wenn eine objektiv nachvollziehbare tierärztliche Behandlung des gebissenen Hundes erfolgt ist, nicht mehr vorliegen.
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Genügen die hier dokumentierten Verletzungen des gebissenen Hundes, um von einer fehlenden Geringfügigkeit auszugehen, kommt es nicht darauf an, dass die Antragsgegnerin auch aus dem Gesamtbild des Vorfalls auf die Gefährlichkeit eines Hundes des Antragstellers geschlossen hat. Dem Verwaltungsgericht ist insofern jedoch zuzustimmen, dass "das Gesamtbild" eines Vorfalls nicht - etwa in Ermangelung einer irgend gearteten Verletzung - zur Grundlage einer Gefährlichkeitsfeststellung nach § 3 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Alt. 1 HundeG LSA herangezogen werden kann. Denn die Schwere der Verletzung ist ein isoliert festzustellendes Tatbestandsmerkmal.
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Hat danach der Hund des Antragstellers bei der Beißerei am 23. Januar 2016 sowohl einen Menschen als auch einen Hund nicht nur geringfügig verletzt, kann der Antragsteller auch nicht mit Erfolg geltend machen, der Hund sei selbst angegriffen worden. Zwar sieht § 3 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 HundeG LSA nunmehr vor, dass nur Hunde, die gebissen und eine nicht nur geringfügige Verletzung verursacht haben, ohne selbst angegriffen worden zu sein, im Einzelfall gefährlich sind. Der Antragsteller vermag indes daraus für sich nichts abzuleiten.
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Der Gesetzgeber wollte mit den Neuregelungen des § 3 Abs. 3 HundeG LSA die Gefährlichkeitsfeststellungen nach § 4 Abs. 4 Satz 2 HundeG LSA "neu akzentuieren" (Begründung zum Gesetzentwurf a. a. O., S. 17) und als unverhältnismäßig angesehenen Verwaltungsaufwand bei "kleineren Vorfällen" oder "bestimmungsgemäßem Gebrauch" vermeiden. Es sollte der Wertungsspielraum bei der Auslegung der Regelbeispiele des § 3 Abs. 3 HundeG LSA "deutlich erweitert" werden, ohne jedoch den Gesetzeszweck der Gefahrenvorsorge aus dem Blick zu nehmen und deshalb der Bedeutung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Bereich der Feststellung der Gefährlichkeit auch weiterhin einen nur relativ geringen Umfang beizumessen (a. a. O., S. 17). Dem sollte die "Ausnahme von der Pflicht zur Gefährlichkeitsfeststellung" dienen, wenn es sich "bei der Verletzung eines anderen (Haus-)Tieres offensichtlich um ein artgerechtes Abwehrverhalten handelt" (a. a. O., S. 19).
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Nach dem dem Änderungsgesetz zugrundeliegenden Bericht der Landesregierung zur Überprüfung der Auswirkungen des Gesetzes zur Vorsorge gegen die von Hunden ausgehenden Gefahren (Stand 28. Oktober 2014; https://mi.sachsen-ahalt.de/fileadmin/Bibliothek/Politik_und_Verwaltung/MI/MI/3._Themen/Gefahrenabwehr/Hundegesetz/141028_Evaluationsbericht_Hundegesetz.pdf.) sollte "den Behörden ein Ermessensspielraum bei der Beurteilung von konkreten Vorfällen im jeweiligen Einzelfall eröffnet werden", um so zu ermöglichen, dass ggf. nach Sachverhaltsermittlung und vor abschließender behördlicher Feststellung durch eine "Zweitprüfung" mit hinreichender (ethologischer, kynologischer und veterinärmedizinischer) Fachkenntnis solche Fälle ausgenommen werden können, bei denen der "Ausnahmefall eines eindeutig artgerechten Verteidigungs- oder Abwehrverhaltens vorliegt" (a. a. O., S. 124 f.).
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In der Gesetzesbegründung wird ausgeführt, die Änderung in § 3 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 (mit den Auswirkungen auf § 4 Abs. 4) werde zwar "- anders als nach geltender Rechtslage - dazu führen, dass die Behörde im Rahmen der Sachverhaltsermittlung auch die mögliche Ursache einer Beißerei zu erforschen hat und sich ggf. selbst ein Bild von dem einzuschätzenden Hund machen muss (vgl. auch S. 125 f. und Anlage 4 des EB)". Bei Zweifelsfällen sei zur Begutachtung des Vorfalls die Hinzuziehung praktizierender Tierärzte mit ethologischen bzw. kynologischen Kenntnissen zielführend. "Eine solche Hinzuziehung von Sachverständigen ist den zuständigen Behörden auch ohne spezielle neue gesetzliche Regelung im Rahmen ihrer Sachverhaltsermittlungspflicht möglich und die Kosten sind über § 14 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 4 VwKostG LSA als Auslagen gegenüber dem Halter bzw. Kostenschuldner wieder umlegbar und geltend zu machen" (a. a. O., S. 19).
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Demnach gehen weder die Gesetzesbegründung noch der dort in Bezug genommene Evaluationsbericht davon aus, dass jeder Beißvorfall zwingend sachverständig zu begutachten wäre. Lediglich in Zweifelsfällen, ob ein Ausnahmefall eines eindeutig artgerechten Verteidigungs- oder Abwehrverhaltens vorliegt, ist eine eingehende Untersuchung des Vorfalls, gegebenenfalls unter Hinzuziehung externen Fachverstandes, vorzunehmen. Liegen hingegen greifbare Anhaltspunkte für eine Abwehrhandlung des beißenden Hundes schon nicht vor, kommt eine "Exkulpation" des Hundes nicht in Betracht. Denn als Ausnahme von der grundsätzlichen Pflicht zur Gefährlichkeitsfeststellung ist die Regelung eng auszulegen und setzt voraus, dass greifbare Anhaltspunkte für Zweifel an der Motivationslage des beißenden Hundes bestehen.
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Gemessen daran hat das Verwaltungsgericht zu Unrecht angenommen, die Antragsgegnerin habe eine weitergehende Aufklärungspflicht getroffen, der sie nicht nachgekommen sei. Die Antragsgegnerin hat dem angefochtenen Bescheid eine noch hinreichende Sachverhaltsermittlung zugrunde gelegt und die eingeholten Zeugenaussagen der bei dem Beißvorfall anwesenden Zeuginnen A. und B. (K.) ebenso bewertet wie die Aussage des Antragstellers. Allein dieser konnte keine Angaben aus eigener Beobachtung zu dem Hergang des Vorfalls machen, sondern beschränkte seine Aussagen in dem Schreiben vom 21. Februar 2016 ebenso wie im Widerspruchs- und erstinstanzlichen Verfahren auf Mutmaßungen dazu, wie es zu dem Beißen gekommen sein könnte. Die Aussagen der Zeuginnen seien, so die Begründung des Widerspruchs, "von vornherein als subjektiv gefärbt bzw. parteiisch" anzusehen und daher kritisch zu hinterfragen. Die Antragsgegnerin aber habe es unterlassen, die Zeuginnen A. und B. (K.) sowie weitere Personen zu befragen.
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Mit diesem Vorbringen dringt der Antragsteller nicht durch. Denn die Antragsgegnerin traf eine solche Pflicht zur Klärung der Frage, ob der Hund des Antragstellers angegriffen worden sei und deshalb zugebissen habe, vorliegend nicht. Der Antragsteller trägt selbst nicht vor, dass sein Hund tatsächlich angegriffen worden sei. Nach seinen Vermutungen könnte der Hund lediglich "auf ein Verhalten, bspw. Anbellen, Aufbäumen an der Leine oder gar einen Angriff" reagiert haben. Tatsächliche Anhaltspunkte liegen dafür jedoch in keinster Weise vor. Es ist auch - entgegen der Auffassung des Antragstellers - nicht davon auszugehen, dass die von der Antragsgegnerin schriftlich befragten Zeuginnen die Unwahrheit gesagt oder wesentliche Tatsachen unterschlagen hätten. Eine irgendwie geartete Belastungstendenz ist den Aussagen nicht zu entnehmen. Im Gegenteil relativierten die Zeuginnen sogar die zuvor ärztlich bescheinigte Verletzung des Zeugin A. (K.), indem sie angaben, es seien "eher nur blaue Flecken" zu sehen gewesen.
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Dem Antragsteller ist auch nicht darin zuzustimmen, dass die Antragsgegnerin eine erhöhte Aufklärungspflicht hinsichtlich des Tathergangs treffe, weil er (aufgrund der Vernachlässigung seiner Aufsichtspflicht) nicht in der Lage sei, Angaben dazu zu machen. Denn jedenfalls dann, wenn sich aus den Zeugenaussagen der den Vorfall unmittelbar beobachtenden Personen ein schlüssiges Gesamtbild ergibt und Zweifel am Wahrheitsgehalt dieser Aussagen - etwa durch erkennbare Belastungstendenzen oder gesteigertes Vorbringen im Verfahren - sich nicht aufdrängen, ist es der Behörde nicht aufgegeben, jeder bloß denkbaren Entlastungsmöglichkeit für den als gefährlich festzustellenden Hund nachzugehen. Diese Ausnahme soll - siehe oben - auf offensichtliches Abwehrverhalten beschränkt bleiben.
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Hat die Antragsgegnerin danach ihrer Aufklärungspflicht genügt, indem sie die anwesenden Zeuginnen ebenso wie den betroffenen Hundehalter befragt und (tier-)ärztliche Unterlagen beigezogen hat, und im Ergebnis festgestellt, dass die nicht unerheblichen Verletzungen, die der Hund des Antragstellers dem Hund der Zeugin B. (K.) sowie der Zeugin A. (K.) selbst zugefügt hat, nicht durch ein offensichtliches Abwehrverhalten bedingt waren, hat sie die Gefährlichkeit dieses Hundes zu Recht festgestellt.
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b.) Sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache bei summarischer Prüfung als gering einzuschätzen, ist die Entscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen einen kraft Gesetzes vollziehbaren Bescheid aufgrund einer Güterabwägung zwischen den betroffenen Interessen des Antragstellers an der vorläufigen Suspendierung des Verwaltungsaktes und dem öffentlichen und privaten Interesse an der sofortigen Vollziehung vorzunehmen. Schon der mit dem HundeG LSA verfolgte Schutzzweck, Gefahren für die öffentliche Sicherheit vorzubeugen und abzuwehren, die mit dem Halten und Führen von Hunden verbunden sind, legt nahe, dass dem öffentlichen Interesse, vor gefährlichen Hunden bewahrt zu bleiben, Vorrang vor dem privaten Interesse einzelner an der Haltung solcher Hunde eingeräumt ist. An dieser Einschätzung ändern auch die mit dem Ersten Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Vorsorge gegen die von Hunden ausgehenden Gefahren erfolgten Rechtsänderungen nichts. Denn diese Änderungen - etwa die Einführung weiterer Kriterien für die Bissigkeit eines Hundes oder die Ausnahmeregelungen für Jagd- oder Diensthunde - erfolgten nicht, um den gefahrenabwehrrechtlichen Anspruch des Gesetzes zu senken, sondern um den Beurteilungs- und Wertungsspielraum der zuständigen Behörden zu erweitern (Begründung des Gesetzentwurfs, S. 12). Die niedrige ordnungsrechtliche Eingriffsschwelle sollte damit nicht angehoben werden (a. a. O., S. 18).
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Sind die Anhaltspunkte für die Gefährlichkeit des Hundes - wie hier - nicht gering, tritt danach das private Interesse des Hundehalters, bis zur rechtskräftigen Klärung der Frage der Gefährlichkeit von den damit verbundenen Folgen verschont zu bleiben, hinter dem Interesse der Öffentlichkeit, vor den von dem Hund möglicherweise ausgehenden Gefahren verschont zu bleiben, zurück (vgl. OVG LSA, Beschluss vom 20. Juni 2012 - 3 M 531/11 -, juris Rdnr. 8).
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Erfolgte die Feststellung der Gefährlichkeit des Hundes des Antragstellers zu Recht, bestehen gegen die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Verfügung zu 2. (Leinen- und Maulkorbzwang) unter Ziffer 3. keine Bedenken. Denn die Anordnung wiederholt lediglich die bereits gesetzlich geregelten Pflichten des Hundehalters, der eine Erlaubnis zur Haltung eines im Einzelfall gefährlichen Hundes beantragt, § 5 Abs. 2 HundeG LSA.
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2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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3. Die Entscheidung über die Festsetzung der Höhe des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf den §§ 40, 47, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 und 2 GKG und entspricht der Streitwertfestsetzung der erstinstanzlichen Entscheidung.
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4. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 in Verbindung mit § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
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Annotations
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
Für die Wertberechnung ist der Zeitpunkt der den jeweiligen Streitgegenstand betreffenden Antragstellung maßgebend, die den Rechtszug einleitet.
(1) Im Rechtsmittelverfahren bestimmt sich der Streitwert nach den Anträgen des Rechtsmittelführers. Endet das Verfahren, ohne dass solche Anträge eingereicht werden, oder werden, wenn eine Frist für die Rechtsmittelbegründung vorgeschrieben ist, innerhalb dieser Frist Rechtsmittelanträge nicht eingereicht, ist die Beschwer maßgebend.
(2) Der Streitwert ist durch den Wert des Streitgegenstands des ersten Rechtszugs begrenzt. Das gilt nicht, soweit der Streitgegenstand erweitert wird.
(3) Im Verfahren über den Antrag auf Zulassung des Rechtsmittels und im Verfahren über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung des Rechtsmittels ist Streitwert der für das Rechtsmittelverfahren maßgebende Wert.
(1) In folgenden Verfahren bestimmt sich der Wert nach § 3 der Zivilprozessordnung:
- 1.
über die Anordnung eines Arrests, zur Erwirkung eines Europäischen Beschlusses zur vorläufigen Kontenpfändung, wenn keine Festgebühren bestimmt sind, und auf Erlass einer einstweiligen Verfügung sowie im Verfahren über die Aufhebung, den Widerruf oder die Abänderung der genannten Entscheidungen, - 2.
über den Antrag auf Zulassung der Vollziehung einer vorläufigen oder sichernden Maßnahme des Schiedsgerichts, - 3.
auf Aufhebung oder Abänderung einer Entscheidung auf Zulassung der Vollziehung (§ 1041 der Zivilprozessordnung), - 4.
nach § 47 Absatz 5 des Energiewirtschaftsgesetzes über gerügte Rechtsverletzungen, der Wert beträgt höchstens 100 000 Euro, und - 5.
nach § 148 Absatz 1 und 2 des Aktiengesetzes; er darf jedoch ein Zehntel des Grundkapitals oder Stammkapitals des übertragenden oder formwechselnden Rechtsträgers oder, falls der übertragende oder formwechselnde Rechtsträger ein Grundkapital oder Stammkapital nicht hat, ein Zehntel des Vermögens dieses Rechtsträgers, höchstens jedoch 500 000 Euro, nur insoweit übersteigen, als die Bedeutung der Sache für die Parteien höher zu bewerten ist.
(2) In folgenden Verfahren bestimmt sich der Wert nach § 52 Absatz 1 und 2:
- 1.
über einen Antrag auf Erlass, Abänderung oder Aufhebung einer einstweiligen Anordnung nach § 123 der Verwaltungsgerichtsordnung oder § 114 der Finanzgerichtsordnung, - 2.
nach § 47 Absatz 6, § 80 Absatz 5 bis 8, § 80a Absatz 3 oder § 80b Absatz 2 und 3 der Verwaltungsgerichtsordnung, - 3.
nach § 69 Absatz 3, 5 der Finanzgerichtsordnung, - 4.
nach § 86b des Sozialgerichtsgesetzes und - 5.
nach § 50 Absatz 3 bis 5 des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes.
(1) Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts können vorbehaltlich des § 99 Abs. 2 und des § 133 Abs. 1 dieses Gesetzes sowie des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht angefochten werden.
(2) Im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gilt für Entscheidungen des beauftragten oder ersuchten Richters oder des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle § 151 entsprechend.
(1) Über Erinnerungen des Kostenschuldners und der Staatskasse gegen den Kostenansatz entscheidet das Gericht, bei dem die Kosten angesetzt sind. Sind die Kosten bei der Staatsanwaltschaft angesetzt, ist das Gericht des ersten Rechtszugs zuständig. War das Verfahren im ersten Rechtszug bei mehreren Gerichten anhängig, ist das Gericht, bei dem es zuletzt anhängig war, auch insoweit zuständig, als Kosten bei den anderen Gerichten angesetzt worden sind. Soweit sich die Erinnerung gegen den Ansatz der Auslagen des erstinstanzlichen Musterverfahrens nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz richtet, entscheidet hierüber das für die Durchführung des Musterverfahrens zuständige Oberlandesgericht.
(2) Gegen die Entscheidung über die Erinnerung findet die Beschwerde statt, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200 Euro übersteigt. Die Beschwerde ist auch zulässig, wenn sie das Gericht, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat, wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage in dem Beschluss zulässt.
(3) Soweit das Gericht die Beschwerde für zulässig und begründet hält, hat es ihr abzuhelfen; im Übrigen ist die Beschwerde unverzüglich dem Beschwerdegericht vorzulegen. Beschwerdegericht ist das nächsthöhere Gericht. Eine Beschwerde an einen obersten Gerichtshof des Bundes findet nicht statt. Das Beschwerdegericht ist an die Zulassung der Beschwerde gebunden; die Nichtzulassung ist unanfechtbar.
(4) Die weitere Beschwerde ist nur zulässig, wenn das Landgericht als Beschwerdegericht entschieden und sie wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage in dem Beschluss zugelassen hat. Sie kann nur darauf gestützt werden, dass die Entscheidung auf einer Verletzung des Rechts beruht; die §§ 546 und 547 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend. Über die weitere Beschwerde entscheidet das Oberlandesgericht. Absatz 3 Satz 1 und 4 gilt entsprechend.
(5) Anträge und Erklärungen können ohne Mitwirkung eines Bevollmächtigten schriftlich eingereicht oder zu Protokoll der Geschäftsstelle abgegeben werden; § 129a der Zivilprozessordnung gilt entsprechend. Für die Bevollmächtigung gelten die Regelungen der für das zugrunde liegende Verfahren geltenden Verfahrensordnung entsprechend. Die Erinnerung ist bei dem Gericht einzulegen, das für die Entscheidung über die Erinnerung zuständig ist. Die Erinnerung kann auch bei der Staatsanwaltschaft eingelegt werden, wenn die Kosten bei dieser angesetzt worden sind. Die Beschwerde ist bei dem Gericht einzulegen, dessen Entscheidung angefochten wird.
(6) Das Gericht entscheidet über die Erinnerung durch eines seiner Mitglieder als Einzelrichter; dies gilt auch für die Beschwerde, wenn die angefochtene Entscheidung von einem Einzelrichter oder einem Rechtspfleger erlassen wurde. Der Einzelrichter überträgt das Verfahren der Kammer oder dem Senat, wenn die Sache besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist oder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Das Gericht entscheidet jedoch immer ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter. Auf eine erfolgte oder unterlassene Übertragung kann ein Rechtsmittel nicht gestützt werden.
(7) Erinnerung und Beschwerde haben keine aufschiebende Wirkung. Das Gericht oder das Beschwerdegericht kann auf Antrag oder von Amts wegen die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen; ist nicht der Einzelrichter zur Entscheidung berufen, entscheidet der Vorsitzende des Gerichts.
(8) Die Verfahren sind gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.