Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt Beschluss, 29. Nov. 2017 - 3 M 326/17
Gericht
Gründe
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I. Die zulässige Beschwerde des Antragstellers, deren Prüfung gemäß § 146 Abs. 4 Satz 1 und 6 VwGO auf die dargelegten Gründe beschränkt ist, hat in der Sache keinen Erfolg.
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Mit Ziffer 1. des streitgegenständlichen Bescheides der Antragsgegnerin vom 9. März 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides des Landesverwaltungsamtes Sachsen-Anhalt vom 4. Mai 2017 wurde dem Antragsteller aufgegeben, seinen Hund „(E.)“, einen Anatolischen Hirtenhund, außerhalb ausbruchsicherer Grundstücke an einer Leine und mit Maulkorb zu führen. In Ziffer 2. des Bescheides vom 9. März 2017 - und nochmals ergänzend mit Schreiben der Antragsgegnerin vom 29. Juni 2017 - wurde die sofortige Vollziehung der getroffenen Verfügung angeordnet. Zur Begründung bezog sich die Antragsgegnerin auf zwei Beißvorfälle am (...). April 2014 sowie am (...). November 2014 und wies darauf hin, dass bereits mit (bestandskräftigem) Bescheid vom 3. Juli 2014 die Gefährlichkeit des Hundes festgestellt worden sei. Der mit dem vorliegend streitgegenständlichen Bescheid auf der Grundlage des § 14 Abs. 1 HundeG LSA i.V.m. § 13 SOG LSA zusätzlich angeordnete Leinen- und Maulkorbzwang sei gerechtfertigt, da von dem Hund mit Blick auf die dokumentierten Beißvorfälle eine konkrete Gefahr ausgehe.
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Das Verwaltungsgericht hat den Antrag des Antragstellers auf (teilweise) Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines hiergegen erhobenen Widerspruchs vom 19. März 2017 im Ergebnis zu Recht abgelehnt. Die durch ihn vorgebrachten Einwendungen, mit denen er sich lediglich gegen den angeordneten Maulkorbzwang wendet, rechtfertigen die Abänderung des angefochtenen Beschlusses nicht. Die Erfolgsaussichten der Klage lassen sich bei der im Eilverfahren lediglich möglichen summarischen Prüfung nicht abschätzen (1). Die im Hinblick auf die offenen Erfolgsaussichten erforderliche Folgenabwägung fällt zugunsten des Sofortvollzuges aus (2).
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1. Nach dem jetzigen Erkenntnisstand ist der Ausgang des Klageverfahrens offen.
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Der Antragsteller trägt vor, gegen das Vorliegen einer (konkreten) Gefahr i.S.d. § 13 SOG LSA spreche die Tatsache, dass die Antragsgegnerin trotz der zum 1. März 2016 erfolgten Streichung des § 11 Abs. 2 HundeG LSA bis zum Erlass des Bescheides keinerlei Veranlassung für ein Einschreiten gesehen habe. Denn der Beißvorfall, auf den das Verwaltungsgericht seine Einschätzung maßgeblich gestützt habe, habe sich bereits weit vor der eingetretenen Rechtsänderung - nämlich am (...) April 2014 - ereignet. Die Antragsgegnerin sei folglich zunächst selbst davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen für die Anordnung eines Maulkorbzwanges nicht gegeben gewesen seien. Er habe den Hund erst im Dezember 2014 von seinem Vorbesitzer erworben und Ende 2014 die Sachkundeprüfung gemäß § 9 HundeG LSA abgelegt. Am 29. März 2015 habe sein Hund den Wesenstest gemäß § 10 HundeG bestanden. Seit dieser Zeit habe es keinerlei Vorkommnisse mit seinem Hund gegeben. Aus welchen Gründen die Antragsgegnerin deshalb am 9. März 2017 gleichwohl Veranlassung für die streitgegenständliche Verfügung gesehen habe, erschließe sich nicht. Der angeordnete Maulkorbzwang widerspreche im Übrigen auch der aktuellen Rechtslage, die sich zum 1. März 2016 zugunsten der Hundehalter verbessert habe. Das zuvor geregelte Haltungsverbot mit Erlaubnisvorbehalt sei durch eine gesetzliche Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt ersetzt worden. Soweit ihn das Verwaltungsgericht zur Vermeidung eines Maulkorbzwanges auf die Vorlage eines aktuellen Wesenstestes für seinen Hund verwiesen habe, entspreche dies faktisch der alten Rechtslage.
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Nach § 14 Abs. 1 des Gesetzes zur Vorsorge gegen die von Hunden ausgehenden Gefahren (Hundegesetz - HundeG LSA) vom 23. Januar 2009 (GVBl. LSA S. 22) in der seit dem 1. März 2016 Geltung beanspruchenden Fassung vom 27. Oktober 2015 (GVBl. LSA S. 560) kann die Behörde unbeschadet der Vorschriften des HundeG LSA nach Maßgabe des Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung des Landes Sachsen-Anhalt die erforderlichen Maßnahmen treffen, um eine von einem Hund oder der Haltung und Führung eines Hundes ausgehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit abzuwehren.Nach § 13 SOG LSA können die Sicherheitsbehörden die erforderlichen Maßnahmen treffen, um eine Gefahr abzuwehren. Eine Gefahr ist gemäß § 3 Nr. 3 lit. a) SOG LSA eine konkrete Gefahr, das heißt eine Sachlage, bei der im einzelnen Falle die hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass in absehbarer Zeit ein Schaden für die öffentliche Sicherheit eintreten wird.
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Ob bei der insoweit anzustellenden Gefahrenprognose auf den Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung abzustellen ist, hier also auf den 4. Mai 2017, oder ob es sich bei der betreffenden Anordnung um einen Dauerverwaltungsakt handelt, für dessen gerichtliche Überprüfung auch hinsichtlich der Gefahrenprognose der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgeblich ist (vgl. hierzu auch Bay. VGH, Urteil vom 26. November 2014 - 10 B 14.1235 -, juris Rn. 20 m.w.N.; für tierschutzrechtliche Anordnungen vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. Juli 2013 - 3 B 100.12 -, juris; für Anordnungen zum Leinen- und Maulkorbzwang vgl. OVG NRW, Beschluss vom 30. April 2004 - 5 A 1890/03 -, juris Rn. 24), kann vorliegend dahinstehen. Denn in beiden Fällen lässt sich nicht mit der für das Eilverfahren erforderlichen Gewissheit feststellen, ob vom betreffenden Hund eine konkrete Gefahr i. S. v. §§ 13, 3 Nr. 3 lit. a) SOG LSA ausgeht und die Behörde ermessensfehlerfrei den Maulkorbzwang angeordnet hat.
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a) Für den Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides vom 4. Mai 2017 ist nicht ohne weiteres erkennbar, ob eine vom Hund „(E.)“ ausgehende konkrete Gefahr vorgelegen hat.
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aa) Zwar steht vorliegend fest, dass der Hund „(E.)“ in einen Beißvorfall verwickelt war, bei dem er am (...) April 2014 im Ort (F.) frei herumgelaufen und Frau (K.) gebissen hat. Deshalb hat die Antragsgegnerin bereits mit (bestandskräftigem) Bescheid vom 3. Juli 2014 gegenüber dem vormaligen Hundehalter u.a. festgestellt, dass es sich um einen gefährlichen Hund i. S. d. § 3 Abs. 3 Nr. 2 HundeG LSA in der bis zum 29. Februar 2016 geltenden Fassung handelt, weil er sich in der Vergangenheit als bissig erwiesen hat (zur Definition der „Bissigkeit“, an der sich auch durch die Neufassung des § 3 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 HundeG LSA nichts geändert hat, siehe im Übrigen OVG LSA, Beschluss vom 6. März 2017 - 3 M 245/16 -, juris). Der Senat hat zudem bereits entschieden, dass ein im Einzelfall festgestellter gefährlicher Hund auch „ein Leben lang“ ein im Rechtssinne gefährlicher Hund bleibt. Selbst ein (ggf. nachträglich eingeholter) positiver Wesenstest vermittelt lediglich den Anspruch auf Erteilung einer Erlaubnis zur Haltung des Hundes (vgl. OVG LSA, Beschluss vom 20. April 2015 - 3 L 210/13 -, n. v.).
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Ein gefährlicher Hund nach § 3 Abs. 3 HundeG LSA darf gemäß § 5 HundeG LSA nur mit einer Erlaubnis gehalten werden, was u.a. voraussetzt, dass der Hundehalter durch einen Wesenstest nach § 10 HundeG LSA gegenüber der zuständigen Behörde nachgewiesen hat, dass der Hund zu sozialverträglichem Verhalten in der Lage ist (§ 4 Abs. 2 i. V. m. § 6 Abs. 1 Nr. 2 HundeG LSA). Das Ergebnis des Wesenstestes nach § 10 HundeG LSA wird durch eine Bescheinigung nach § 8 Abs. 4 und Abs. 5 HundeVO LSA i.V.m. Anlage 5 dokumentiert. Vorliegend wurde mit Bescheinigung vom 29. März 2015 festgestellt, dass der Hund „(E.)“ zu sozialverträglichem Verhalten in der Lage ist, weshalb dem Antragsteller mit Bescheid der Antragsgegnerin vom 30. März 2015 die Erlaubnis zur Haltung dieses Hundes erteilt wurde.
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bb) Von der festgestellten Gefährlichkeit eines Hundes nach § 3 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 HundeG LSA zu unterscheiden ist das Vorliegen einer konkreten Gefahr i. S. v. § 14 Abs. 1 HundeG LSA i.V.m. §§ 13, 3 Nr. 3 lit. a) SOG LSA.
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Nach § 11 Abs. 2 HundeG LSA in der bis zum 29. Februar 2016 geltenden Fassung galt die Leinen- und Maulkorbpflicht für das Führen des Hundes grundsätzlich auch dann, wenn für einen als „gefährlich“ eingestuften Hund die Fähigkeit zum sozialverträglichen Verhalten durch einen Wesenstest nachgewiesen war. Hiervon konnte die zuständige Behörde lediglich auf Antrag des betroffenen Hundehalters eine Ausnahme erteilen, wenn eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit ausgeschlossen erschien. Diese Bestimmung ist mit der Gesetzesänderung ersatzlos aufgehoben worden. Deshalb vermag ein Beißvorfall, der zur Feststellung der Gefährlichkeit des Hundes nach § 3 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 HundeG LSA geführt hat, nicht (mehr) ohne weiteres die Anordnung eines Leinen- oder Maulkorbzwanges zu rechtfertigen.
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Dies bedeutet allerdings nicht, dass die Behörde untätig bleiben darf, wenn sie - ggf. durch einen Hinweis - Kenntnis davon erhält, dass ein Hund eine gesteigerte Aggressivität aufweist, insbesondere Menschen oder Tiere gebissen oder sonst eine über das natürliche Maß hinausgehende Kampfbereitschaft, Angriffslust oder Aggressivität gezeigt hat (vgl. § 4 Abs. 4 Satz 1 HundeG LSA). Vielmehr ist sie nach dem Willen des Gesetzgebers nunmehr gehalten, die vormals in § 11 Abs. 2 HundeG LSA in der bis zum 29. Februar 2016 geltenden Fassung gesetzlich festgelegten Verhaltenspflichten (den Hund an der Leine zu führen und einen Maulkorb zu tragen) aktiv behördlich über Nebenbestimmungen nach § 6 Abs. 3 HundeG LSA oder auf Grundlage des § 14 Abs. 1 HundeG LSA anzuordnen. Dies gilt namentlich dann, wenn eine entsprechende Empfehlung des anerkannten Wesenstesters vorliegt (vgl. LT-Drs. 6/4359, Begründung des Gesetzentwurfs, S. 21). Durch die zum 1. März 2016 erfolgte Aufhebung des § 11 Abs. 2 HundeG LSA in der bis zum 29. Februar 2016 geltenden Fassung sollte nach dem Willen des Gesetzgebers ermöglicht werden, dass von Seiten der Behörde der Empfehlung des (den Wesenstest durchführenden) Sachverständigen gefolgt werden kann, ohne dass dafür wie bisher ein Antrag bei der zuständigen Behörde erforderlich ist (vgl. LT-Drs. 6/4359, S. 23). Insofern hat die Behörde auch nach „bestandenem“ Wesenstest von Amts wegen zu prüfen, ob vom betreffenden Hund eine konkrete Gefahr i. S. v. §§ 13, 3 Nr. 3 lit. a) SOG LSA ausgeht und bei der diesbezüglichen, im Ermessen der Behörde stehenden Entscheidung nicht nur das Ergebnis des Wesenstests, sondern auch das bisherige aktenkundige Verhalten des Hundes zu berücksichtigen und zu würdigen (vgl. LT-Drs. 6/4359, S. 21 f.).
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cc) Von dieser Möglichkeit hat die Antragsgegnerin vorliegend Gebrauch gemacht. Ausweislich des Widerspruchsbescheides vom 4. Mai 2017 ist sie nach nochmaliger vorheriger Rücksprache mit dem Tierarzt dessen Empfehlung gefolgt, die Teil der Bescheinigung vom 29. März 2015 gewesen ist. Mit dieser Bescheinigung hatte der Tierarzt mitgeteilt, dass auf Grund des beim Wesenstest gezeigten Verhaltens „Bedenken gegen die Erteilung einer Ausnahme nach § 11 Abs. 2 Satz 2 des Gesetzes zur Vorsorge gegen die von Hunden ausgehenden Gefahren“ (in der am 29. Februar 2016 geltenden Fassung) bestünden.
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Ob allerdings allein die am 29. März 2015 durch den Tierarzt getroffenen „Feststellungen“ geeignet waren, die Anordnung eines Maulkorbzwanges zu rechtfertigen, erscheint zweifelhaft. Denn diese Bescheinigung lässt nicht erkennen, welche konkreten Umstände den Tierarzt zu dieser Feststellung veranlasst haben. Auch dem Widerspruchsbescheid vom 4. Mai 2017 lässt sich hierzu nichts Substantielles entnehmen. Zwar wird dort auf eine „Rücksprache“ mit dem die Bescheinigung ausstellenden Tierarzt Bezug genommen, die vor Erlass des Bescheides vom 9. März 2017 stattgefunden haben soll. Allerdings lässt sich weder dem Widerspruchsbescheid noch dem Verwaltungsvorgang entnehmen, was Gegenstand dieser Unterredung gewesen sein soll.
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Die Bescheinigung vom 29. März 2015 entsprach im Übrigen dem Muster, das in der Anlage 5 zur HundeVO LSA in der bis zum 29. Februar 2016 geltenden Fassung vorgesehen war. Dort konnte der Sachverständige lediglich durch das „Ankreuzen“ bestimmter Textfelder dokumentieren, ob Bedenken gegen die Erteilung einer Ausnahme nach § 11 Abs. 2 Satz 2 HundeG LSA in der bis zum 29. Februar 2016 geltenden Fassung bestehen; eine Begründung hierfür musste nicht erfolgen. Mit der zum 1. März 2016 eingetretenen Rechtsänderung hat der anerkannte Sachverständige auf der Bescheinigung nach Anlage 5 zur HundeVO LSA auch die Gründe für seine Empfehlung (zur Anlein- und/oder Maulkorbpflicht) anzugeben. Ausweislich Ziffer 10.3 Buchst. d der vom Ministerium für Inneres und Sport des Landes Sachsen-Anhalt erlassenen Verwaltungsvorschrift zum Hundegesetz, VwV-HundeG LSA (MBl. LSA 2016, S. 210, ber. S. 246) ist diese Empfehlung für die zuständige Behörde eine Grundlage dafür, dass eine rechtmäßige (gegebenenfalls auch belastende) Entscheidung gegenüber dem Hundehalter ergehen kann. Zugleich wird in Ziffer 10.3 VwV-HundeG LSA darauf hingewiesen, dass an die Begründung der Ermessensausübung seitens der zuständigen Behörde hohe Maßstäbe zu stellen seien, weshalb auch der Begründung der Empfehlung des Sachverständigen eine hohe Gewichtung zukomme.
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Darüber hinaus bezieht sich das in der Anlage 5 zur HundeVO dokumentierte Ergebnis des Sachverständigen (nur) auf die zum Zeitpunkt der Verhaltensbeurteilung bestehende Hund-Halter-Konstellation. Im Ergebnis eines Wesenstests soll abgewogen werden, ob die dem Hund eigene individuelle Qualität und Quantität aggressiver Reaktionen auf entsprechende Situationen zukünftig eine Gefahr für Mensch und Tier darstellt oder nicht. Denn gerade bei Veränderungen im Umfeld des Tieres oder mit der Entwicklung des Tieres selbst kann sich das Aggressionspotential sowohl zum Guten als auch zum Schlechten verschieben (vgl. Ziffer 10.4 VwV-HundeG LSA).
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Auch nach dem dem Änderungsgesetz zugrundeliegenden Bericht der Landesregierung zur Überprüfung der Auswirkungen des Gesetzes zur Vorsorge gegen die von Hunden ausgehenden Gefahren (Stand 28. Oktober 2014; https://mi.sachsen-ahalt.de/fileadmin/Bibliothek/Politik_und_Verwaltung/MI/MI/3._Themen/Gefahrenabwehr/Hundegesetz/141028_Evaluationsbericht_Hundegesetz.pdf.) ist hinsichtlich des Wesenstests und dessen Ausgestaltung zu berücksichtigen, dass das Aggressionsverhalten eines Hundes keine Konstante ist und auch ein Wesenstest nur eine Momentaufnahme vom Verhalten des überprüften Hundes in einer bestimmten „Krisensituation“ sein kann.
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Vor diesem Hintergrund kommt dem Inhalt der Bescheinigung vom 29. März 2015 im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides vom 4. Mai 2017 nur eingeschränkte Aussagekraft zu. Die von der Antragsgegnerin auf der Basis dieser Bescheinigung getroffene Einschätzung hinsichtlich der Gefahrenprognose unterliegt nicht nur in vollem Umfang der gerichtlichen Kontrolle, sondern es ist im gerichtlichen Verfahren auch von Amts wegen zu prüfen, ob vom betreffenden Hund eine konkrete Gefahr nach § 14 Abs. 1 HundeG LSA i.V.m. §§ 13, 3 Nr. 3 lit. a) SOG LSA ausgeht. Lagen im Zeitpunkt der Entscheidung der Antragsgegnerin Tatsachen vor, die eine von ihr getroffene Gefahrenprognose hinreichend stützen, sind die Tatbestandsvoraussetzungen des nach § 14 Abs. 1 HundeG LSA i.V.m. §§ 13, 3 Nr. 3 lit. a) SOG LSA gegeben, auch wenn die anordnende Behörde die Gefahrenprognose (bisher) unzureichend begründet hat (zur möglichen Nachholung der Begründung siehe auch § 45 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 VwVfG i. V. m. § 1 Abs. 1 Satz 1 VwVfG LSA).
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b) Auch zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, also am 25. Oktober 2017, lagen keine weiteren Umstände vor, die bereits den Schluss mit hinreichender Klarheit zuließen, dass von dem betreffenden Hund eine konkrete Gefahr ausgeht.
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c) Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides, die den Ausgang des Verfahrens als offen erscheinen lassen, bestehen auch insoweit, als dass dieser gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen könnte.
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Der Antragsteller hat mit der Beschwerde geltend gemacht, dass er den Hund außerhalb geschlossener Grundstücke stets an der Leine führe. Die Gefahr eines Beißvorfalls sei in diesem Fall nahezu ausgeschlossen. Etwas anderes könne allenfalls dann gelten, wenn es bereits in der Vergangenheit zu Beißvorfällen gekommen wäre, obwohl der Hund angeleint gewesen sei. Dies sei allerdings nicht der Fall gewesen.
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Jedenfalls nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs reicht es zur Vermeidung der von (großen) Hunden ausgehenden Gefahren regelmäßig aus, dass innerhalb bebauter Ortsteile ein Leinenzwang für den jeweiligen Hund angeordnet wird. Ein zusätzlicher Maulkorbzwang könne nur verfügt werden, wenn es im Einzelfall zur effektiven Gefahrenabwehr unabdingbar sei, einen kombinierten Leinen- und Maulkorbzwang zu verhängen (vgl. etwa Beschluss vom 17. April 2013 - 10 ZB 12.2706 -, juris). Den angegriffenen Bescheiden und den dort angeführten Vorfällen lässt sich nicht entnehmen, dass der Hund des Antragstellers auch angeleint zubeißen würde. Tatsächlich ist der streitgegenständliche Hund während der dokumentierten Beißvorfälle im Jahr 2014 nicht angeleint gewesen. Es ist auch nichts dafür ersichtlich bzw. vorgetragen, dass sich der Hund des Antragstellers zu irgendeinem Zeitpunkt von der Leine losgerissen hätte oder dies drohe. Dass der Hund in Gefahrensituationen nicht auf Kommandos des Hundeführers hört, ist ebenfalls nicht durch Fakten belegt.
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Allerdings lässt sich auch diese Frage im vorliegenden Eilverfahren nicht mit letzter Gewissheit klären. Auch insoweit erscheint es nicht ausgeschlossen, dass der die Bescheinigung vom 29. März 2015 ausstellende Tierarzt im Hauptsacheverfahren weitere Angaben machen und die Antragsgegnerin ihre (Ermessens-)Entscheidung im gerichtlichen Verfahren noch in gemäß § 114 Satz 2 VwGO zulässiger Weise ergänzen kann.
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2. Angesichts insoweit offener Erfolgsaussichten des durch den Antragsteller erhobenen Widerspruchs ist dessen privates Interesse am Führen seines Hundes ohne Maulkorb gegen das gegenläufige staatliche, auch in der gesetzlichen Wertung des § 1 HundeG LSA zum Ausdruck kommende Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheides unter Berücksichtigung der jeweiligen Folgen der Entscheidung abzuwägen. Danach vermag das nicht näher durch den Antragsteller dargelegte private Interesse mit Blick auf das hier bestehende öffentliche Interesse der Allgemeinheit, vor den schweren Folgen des Zubeißens eines - wie hier festgestellt - gefährlichen Hundes bewahrt zu werden, die begehrte Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruches nicht zu rechtfertigen. Der Bescheid der Antragsgegnerin dient dem Schutz überragender Gemeinschaftsgüter, nämlich von Leben und Gesundheit der Bevölkerung. Dass demgegenüber der Maulkorbzwang mit erheblichen nachteiligen Folgen für den Antragsteller oder dessen Hund verbunden wäre, hat dieser im Beschwerdeverfahren schon nicht vorgetragen; hierfür ist auch sonst nichts ersichtlich.
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II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
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III. Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf den §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1, 40, 47 GKG i. V. m. Ziffer 1.5 und 35.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Im Hinblick auf das vorliegende vorläufige Rechtsschutzverfahren erachtet der Senat eine Halbierung als angemessen.
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IV. Dieser Beschluss ist u n a n f e c h t b a r (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
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Annotations
(1) Gegen die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts, des Vorsitzenden oder des Berichterstatters, die nicht Urteile oder Gerichtsbescheide sind, steht den Beteiligten und den sonst von der Entscheidung Betroffenen die Beschwerde an das Oberverwaltungsgericht zu, soweit nicht in diesem Gesetz etwas anderes bestimmt ist.
(2) Prozeßleitende Verfügungen, Aufklärungsanordnungen, Beschlüsse über eine Vertagung oder die Bestimmung einer Frist, Beweisbeschlüsse, Beschlüsse über Ablehnung von Beweisanträgen, über Verbindung und Trennung von Verfahren und Ansprüchen und über die Ablehnung von Gerichtspersonen sowie Beschlüsse über die Ablehnung der Prozesskostenhilfe, wenn das Gericht ausschließlich die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen der Prozesskostenhilfe verneint, können nicht mit der Beschwerde angefochten werden.
(3) Außerdem ist vorbehaltlich einer gesetzlich vorgesehenen Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision die Beschwerde nicht gegeben in Streitigkeiten über Kosten, Gebühren und Auslagen, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands zweihundert Euro nicht übersteigt.
(4) Die Beschwerde gegen Beschlüsse des Verwaltungsgerichts in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (§§ 80, 80a und 123) ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen. Das Verwaltungsgericht legt die Beschwerde unverzüglich vor; § 148 Abs. 1 findet keine Anwendung. Das Oberverwaltungsgericht prüft nur die dargelegten Gründe.
(5) u. (6) (weggefallen)
(1) Eine Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften, die nicht den Verwaltungsakt nach § 44 nichtig macht, ist unbeachtlich, wenn
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der für den Erlass des Verwaltungsaktes erforderliche Antrag nachträglich gestellt wird; - 2.
die erforderliche Begründung nachträglich gegeben wird; - 3.
die erforderliche Anhörung eines Beteiligten nachgeholt wird; - 4.
der Beschluss eines Ausschusses, dessen Mitwirkung für den Erlass des Verwaltungsaktes erforderlich ist, nachträglich gefasst wird; - 5.
die erforderliche Mitwirkung einer anderen Behörde nachgeholt wird.
(2) Handlungen nach Absatz 1 können bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden.
(3) Fehlt einem Verwaltungsakt die erforderliche Begründung oder ist die erforderliche Anhörung eines Beteiligten vor Erlass des Verwaltungsaktes unterblieben und ist dadurch die rechtzeitige Anfechtung des Verwaltungsaktes versäumt worden, so gilt die Versäumung der Rechtsbehelfsfrist als nicht verschuldet. Das für die Wiedereinsetzungsfrist nach § 32 Abs. 2 maßgebende Ereignis tritt im Zeitpunkt der Nachholung der unterlassenen Verfahrenshandlung ein.
(1) Dieses Gesetz gilt für die öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit der Behörden
- 1.
des Bundes, der bundesunmittelbaren Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts, - 2.
der Länder, der Gemeinden und Gemeindeverbände, der sonstigen der Aufsicht des Landes unterstehenden juristischen Personen des öffentlichen Rechts, wenn sie Bundesrecht im Auftrag des Bundes ausführen,
(2) Dieses Gesetz gilt auch für die öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit der in Absatz 1 Nr. 2 bezeichneten Behörden, wenn die Länder Bundesrecht, das Gegenstände der ausschließlichen oder konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes betrifft, als eigene Angelegenheit ausführen, soweit nicht Rechtsvorschriften des Bundes inhaltsgleiche oder entgegenstehende Bestimmungen enthalten. Für die Ausführung von Bundesgesetzen, die nach Inkrafttreten dieses Gesetzes erlassen werden, gilt dies nur, soweit die Bundesgesetze mit Zustimmung des Bundesrates dieses Gesetz für anwendbar erklären.
(3) Für die Ausführung von Bundesrecht durch die Länder gilt dieses Gesetz nicht, soweit die öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit der Behörden landesrechtlich durch ein Verwaltungsverfahrensgesetz geregelt ist.
(4) Behörde im Sinne dieses Gesetzes ist jede Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt.
Soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht auch, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Die Verwaltungsbehörde kann ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) In folgenden Verfahren bestimmt sich der Wert nach § 3 der Zivilprozessordnung:
- 1.
über die Anordnung eines Arrests, zur Erwirkung eines Europäischen Beschlusses zur vorläufigen Kontenpfändung, wenn keine Festgebühren bestimmt sind, und auf Erlass einer einstweiligen Verfügung sowie im Verfahren über die Aufhebung, den Widerruf oder die Abänderung der genannten Entscheidungen, - 2.
über den Antrag auf Zulassung der Vollziehung einer vorläufigen oder sichernden Maßnahme des Schiedsgerichts, - 3.
auf Aufhebung oder Abänderung einer Entscheidung auf Zulassung der Vollziehung (§ 1041 der Zivilprozessordnung), - 4.
nach § 47 Absatz 5 des Energiewirtschaftsgesetzes über gerügte Rechtsverletzungen, der Wert beträgt höchstens 100 000 Euro, und - 5.
nach § 148 Absatz 1 und 2 des Aktiengesetzes; er darf jedoch ein Zehntel des Grundkapitals oder Stammkapitals des übertragenden oder formwechselnden Rechtsträgers oder, falls der übertragende oder formwechselnde Rechtsträger ein Grundkapital oder Stammkapital nicht hat, ein Zehntel des Vermögens dieses Rechtsträgers, höchstens jedoch 500 000 Euro, nur insoweit übersteigen, als die Bedeutung der Sache für die Parteien höher zu bewerten ist.
(2) In folgenden Verfahren bestimmt sich der Wert nach § 52 Absatz 1 und 2:
- 1.
über einen Antrag auf Erlass, Abänderung oder Aufhebung einer einstweiligen Anordnung nach § 123 der Verwaltungsgerichtsordnung oder § 114 der Finanzgerichtsordnung, - 2.
nach § 47 Absatz 6, § 80 Absatz 5 bis 8, § 80a Absatz 3 oder § 80b Absatz 2 und 3 der Verwaltungsgerichtsordnung, - 3.
nach § 69 Absatz 3, 5 der Finanzgerichtsordnung, - 4.
nach § 86b des Sozialgerichtsgesetzes und - 5.
nach § 50 Absatz 3 bis 5 des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes.
(1) Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts können vorbehaltlich des § 99 Abs. 2 und des § 133 Abs. 1 dieses Gesetzes sowie des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht angefochten werden.
(2) Im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gilt für Entscheidungen des beauftragten oder ersuchten Richters oder des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle § 151 entsprechend.