Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt Urteil, 18. Feb. 2015 - 2 L 22/13

ECLI:ECLI:DE:OVGST:2015:0218.2L22.13.0A
bei uns veröffentlicht am18.02.2015

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt vom Beklagten ein bauaufsichtliches Einschreiten gegen die Beigeladenen.

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Er ist seit 1998 Eigentümer des Grundstücks R-Straße 24 im Ortsteil (...) der Stadt E. (Gemarkung D., Flur A, Flurstück 71). Die Beigeladenen sind Eigentümer des nordwestlich angrenzenden, mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks A-Straße 4a (Gemarkung D., Flur A, Flurstücke 31 und 67), das auf einem von Südwesten nach Nordosten ansteigenden Berghang gelegen ist. Das Grundstück grenzt im östlichen Teil in einer Länge von ca. 8 m an das im Eigentum des Klägers stehende Grundstück, auf dem sich etwa parallel zur Grundstücksgrenze Teile der Grundmauern eines ehemaligen Scheunengebäudes befinden.

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In den Jahren 2003/2004 errichteten die Beigeladenen eine u-förmig angeordnete Stützmauer mit Umwehrung im südlichen Teil ihres Grundstücks. Auf dem von der Mauer abgestützten Gelände befindet sich eine mit Rasen bewachsene Fläche. Der nach Südwesten errichtete Mauerteil verläuft parallel zum Nachbargrundstück R-Straße 23.

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Am 17.05.2006 beantragten die Beigeladenen für diesen (nach Südwesten zeigenden) Teil der Stützmauer beim Beklagten nachträglich die Erteilung einer Baugenehmigung zur Böschungssicherung. Die beiden anderen Mauerteilstücke nahmen sie von ihrem Baugenehmigungsantrag aus. Zur Begründung gaben sie an, die nach Südosten gegenüber dem (klägerischen) Grundstück R-Straße 24 auf einer Länge von 7,05 m zu errichtende Stützmauer habe aufgrund des Geländeverlaufs eine Höhe von 0,00 m bis 1,65 m und sei daher wie die nach Nordwesten gerichtete Stützmauer genehmigungsfrei. Die nach Südwesten gegenüber dem Grundstück R-Straße 23 gerichtete 1,65 m hohe Schwergewichtsmauer werde über einer bereits bestehenden 0,85 m hohen Stützmauer aus Bruchstein errichtet; damit betrage die Wandhöhe insgesamt 2,50 m und bedürfe deshalb einer Baugenehmigung. Nach der den Bauvorlagen beigefügten technischen Beschreibung der Baumaßnahme (Bl. 16 f. der Beiakte C) besteht die Mauer aus einer 0,60 m dicken konstruktiv bewehrten Betonwand im Verbund mit 0,25 m dicken Betonpflanzelementen, welche zur Gestaltung der Sichtflächen dienen. Die Gründung sollte auf tragfähigem Geschiebemergel mit einer Gründungstiefe zwischen 0,50 und 0,80 m erfolgen. Dem Bauantrag war eine statische Berechnung des Dipl.-Ing. W. vom 10.05.2006 beigefügt, die davon ausgeht, dass die Stützmauer entsprechend dem Bauantrag als homogener Körper (keine getrennten Schalen) hergestellt wird und die Gründung der Schwergewichtswände auf dem tragfähigen Geschiebemergel mit einer Gründungstiefe von 0,50 m erfolgt.

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Mit Bescheid vom 23.11.2006 ließ der Beklagte für dieses Vorhaben auf entsprechenden Antrag der Beigeladenen eine Abweichung von § 6 Abs. 2 BauO LSA zu. Zur Begründung führte er aus, die Abweichung werde erteilt, weil das vorhandene Gelände auf dem Baugrundstück selbst und zum Nachbargrundstück (Flurstück 70) sehr stark abfalle. Mit Bescheid vom 23.11.2006 erteilte der Beklagte den Beigeladenen die beantragte Baugenehmigung. Die dagegen vom Kläger erhobene Klage (2 A 76/07 HAL) wies das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 25.11.2008 ab. Zur Begründung führte es u. a. aus, der entlang der südöstlichen Grenze des Grundstücks der Beigeladenen parallel zur Grenze des klägerischen Grundstücks verlaufende Teil der Stützmauer sei von der Baugenehmigung nicht erfasst.

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Mit Schreiben vom 17.05.2009 beantragte der Kläger beim Beklagten, bauordnungsrechtliche Verfügungen zur Herstellung eines baurechtmäßigen Zustandes gegen die Beigeladenen zu erlassen. Die auf dem Grundstück der Beigeladenen errichtete Aussichtsterrasse sei ohne die erforderliche Baugenehmigung errichtet worden, verkörpere einen rechtswidrigen Zustand und führe durch Grenzüberbauung, Bodenerhöhung und Pressungen zu Einwirkungen auf sein Grundstück. Mit Schreiben vom 10.06.2009 forderte der Kläger den Beklagten nochmals zum Einschreiten auf, und mit weiterem Schreiben vom 03.09.2009 bat der Kläger um Bescheidung bis zum 10.09.2009. Daraufhin teilte der Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 07.09.2009 – ohne Rechtsbehelfsbelehrung – mit: Zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes sei er verpflichtet, bis zur Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Verfahren 2 A 159/08 HAL (Anfechtung einer Baugenehmigung zur Errichtung eines Nebengebäude) keine Vollstreckungsmaßnahmen zu treffen. Wegen der nach Auffassung des Klägers baurechtswidrig errichteten Aussichtsterrasse sei dem Kläger auf die von ihm eingereichte Dienstaufsichtsbeschwerde vom Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt mit Schreiben vom 12.08.2009 und 25.08.2009 mitgeteilt worden, dass es sich bei der „Aussichtsterrasse“ um eine zwischenzeitlich überwachsene, auf das Höhenniveau des Baugrundstücks eingeebnete Grundstücksfläche bis an die Stützmauer handele. Die Stützmauer einschließlich der aus Sicherheitsgründen erforderlichen Umwehrung sei mit Bescheid vom 23.11.2003 genehmigt worden und diene der Böschungs- und Absturzsicherung der Grundstücksfläche. Anlass für ein bauaufsichtliches Einschreiten seitens der Bauaufsichtsbehörde bestehe deshalb nicht. Aus den genannten Gründen lehne er den Antrag des Klägers „wegen fehlender Sachbescheidung“ ab.

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Nachdem der Kläger hiergegen Widerspruch erhoben hatte, teilte ihm der Beklagte mit Schreiben vom 15.09.2009 mit, dass das behördliche Schreiben vom 07.09.2009 objektiv kein Verwaltungsakt und demzufolge ein Widerspruch nicht statthaft sei. In Beantwortung der Schreiben des Klägers vom 17.05.2009 und 14.09.2009 verweise er auf die Ausführungen in dem behördlichen Schreiben vom 07.09.2009, da keine neue Sach- und Rechtslage entstanden sei.

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Am 28.07.2010 hat der Kläger (Untätigkeits-)Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen: Die Beigeladenen hätten ohne Genehmigung eine Aussichtsterrasse im Grenzbereich zu seinem Grundstück errichtet, die bis weit über 4 m über der Geländeoberkante seines Grundstücks liege. Das Bauwerk verfüge nicht über ein hinreichendes Fundament und übe seitlichen Druck auf die auf seinem Grundstück stehende Stützmauer eines ehemaligen Scheunengebäudes aus. Durch die Lastabtragung sei mit einem baldigen Einsturz der Scheunenmauer zu rechnen. Dieser Umstand sei auch nach Anordnung der Zwangsversteigerung seines Grundstücks zu berücksichtigen, weil er zu einer Wertminderung führe und potentielle Erwerber abschrecke. Ihm sei nicht zuzumuten, die Standsicherheit der Aussichtsterrasse auf dem Nachbargrundstück durch seine Scheunenmauer zu gewährleisten. Die bereits teilweise abgetragene und durch die zusätzliche Druckbelastung einsturzgefährdete Mauer müsse für eine dauerhafte Gewährleistung der Standsicherheit vollständig abgetragen und neu errichtet werden. Hierfür seien Aufwendungen in Höhe von weit über 13.000,00 € erforderlich, die er nicht aufbringen könne. Nach dem im Baugenehmigungsverfahren vorgelegten Standsicherheitsnachweis vom 10.05.2006 sei die Schwergewichtsmauer zur Gewährleistung der Standsicherheit als homogener Körper („keine getrennten Schalen“) herzustellen. Es sei aber erkennbar, dass sich die Mauer aus unterschiedlichen Baumaterialien (z.B. Bruchsteinen, Verblendsteinen, Beton) und mehreren einzelnen Bauteilen (Schalen) zusammensetze. Damit sei belegt, dass das Bauwerk der Beigeladenen keine eigene Standsicherheit aufweise. Bei Zugrundelegung der Auskünfte des Bauunternehmers E. könne ein Sicherheitsnachweis für die Aussichtsterrasse nicht erbracht werden. Die Standsicherheit könne nur bei einer sachgerechten Ausführung nach der statischen Berechnung des Dipl.-lng. W. angenommen werden. Die nachträglich angefertigte Statik entspreche aber nicht der tatsächlichen Ausführung. Insbesondere hätten die Beigeladenen auch nachträglich keine Gründungstiefe von 50 cm hergestellt. Durch die von den Beigeladenen vorgenommene erhebliche Erhöhung des ursprünglichen Geländeverlaufs und die von der Aussichtsterrasse ausgehenden Kräfte sei es für ihn nicht mehr möglich, seine Scheunenmauer abzutragen und danach zu erneuern. Inzwischen zeigten sich deutliche Ausbeulungen an seiner Mauer. Da die Beigeladenen Grenzmarkierungen entfernt hätten, sei der Grenzverlauf ungeklärt. Nach Augenschein sei das streitige Bauwerk zumindest teilweise auf seinem Grundstück errichtet worden.

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Der Kläger hat beantragt,

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den Beklagten zu verpflichten, in geeigneter Weise gegen die Beigeladenen bauaufsichtlich einzuschreiten,

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hilfsweise,

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erstmals über seinen Antrag vom 17.05.2009 zu entscheiden bzw. darüber zu entscheiden, ob und wie er gegen die Beigeladenen einschreitet.

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Der Beklagte hat beantragt,

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die Klage abzuweisen

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und zur Begründung ausgeführt: Anlass für ein bauaufsichtliches Einschreiten bestehe nicht. Da der Kläger kein schutzwürdiges Sachbescheidungsinteresse besitze, habe er den Antrag mit einfachem Schreiben abgelehnt, um dem Kläger die Kostenbelastung zu ersparen. In Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens und in Abwägung der Interessenlage bleibe er bei der Entscheidung, dass kein Anlass für ein bauaufsichtliches Einschreiten vorliege. Er habe im Rahmen seiner Ermessensentscheidung die Besonderheiten der örtlichen Situation berücksichtigt. Der Kläger habe notwendige Instandsetzungs- und Reparaturarbeiten auf seinem Grundstück nicht durchgeführt. Zwar könne es ausweislich der Beurteilung des Statikers W. vom 27.10.2011 durch nicht fachgerechte Tätigkeiten auf dem Grundstück des Klägers zu kritischen Bauzuständen und Teileinbrüchen kommen. Dies begründe aber keinen Anspruch auf Einschreiten gegen die Beigeladenen. Ein möglicher Verstoß gegen die Standsicherheit habe für den Kläger nur eine geringfügige Beeinträchtigung zur Folge, und schutzwürdige Rechtsgüter würden auf seinem Grundstück nicht verletzt. Mit einer Beseitigung der Stützmauer würde der baurechtswidrige Zustand nicht beseitigt, weil von der ehemaligen Scheunenmauer nur noch Reste vorhanden seien und diese Mauer stabilisiert werden müsse, was in der gemeinsamen Verantwortung des Klägers und der Beigeladenen liege und zivilrechtlich zu klären sei. Auch das im gerichtlichen Verfahren eingeholte Gutachten des Sachverständigen F. komme zu dem Ergebnis, dass die u-förmige Stützmauer für sich standsicher sei, jedoch im Zusammenspiel mit der Restmauer der Scheune unzulässige Beanspruchungen aufweise. Der Kläger müsse seine marode Wand sichern, weil diese auch ohne Belastung aus der „Aussichtsterrasse“ nicht standsicher sei. Eine akute Gefährdung oder spürbar nachteilige Beeinträchtigung des Klägers, die ein sofortiges bauaufsichtliches Einschreiten gebieten, lägen nicht vor.

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Die Beigeladenen haben beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie haben vorgetragen: Die Stützmauer sei für sich standsicher. Die Mauer auf dem Grundstück des Klägers werde den auf sie einwirkenden Kräften nicht standhalten und zwar unabhängig vom Vorhandensein der Stützmauer auf ihrem Grundstück. Die Forderung des Klägers sei rechtsmissbräuchlich. Für die frühere Bebauung seines Grundstücks sei in großem Umfang der Hang abgegraben worden. Die vom Hang ausgehenden Lasten seien dann von den Baulichkeiten auf dem Grundstück des Klägers abgefangen worden. Seitdem diese Baulichkeiten eingefallen seien, könnten sie diese Funktion nicht mehr wahrnehmen. Es sei daher Sache des Klägers, selbst für eine ausreichende anderweitige Befestigung, d.h. für Abstützungsmaßnahmen zu sorgen.

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Das Verwaltungsgericht hat zur Frage der Standsicherheit der Stützmauer Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens des Herrn Dipl.-lng. F. vom 19.11.2012.

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Mit dem angefochtenen Urteil hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt:

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Der Kläger habe gegen den Beklagten keinen Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten gegen die Beigeladenen. Die streitige Aussichtsterrasse genüge den Anforderungen des § 12 Abs. 1 BauO LSA, dass sie im Ganzen und in ihren Teilen für sich allein standsicher sein müsse und die Standsicherheit anderer baulicher Anlagen und die Tragfähigkeit des Baugrundes des Nachbargrundstücks nicht gefährden dürfe. Nach dem eingeholten Gutachten des Sachverständigen F. vom 19.11.2012 erfülle die u-förmige Stützmauer der Aussichtsterrasse diese Anforderungen, wenn sie sachgerecht nach den statischen Vorgaben zur Ausführung der Schwergewichtswand errichtet worden sei. Zwar habe der Sachverständige F. in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, unter Berücksichtigung der Angaben des Bauunternehmers, der die Mauer in den Jahren 2003/2004 errichtet habe, ergäben sich unzulässige Belastungszustände, so dass sich die Aussage über die eigene Standsicherheit der Stützmauer nicht aufrechterhalten lasse. Daraus ergäben sich aber keine Bedenken, weil der Sachverständige auch darauf hingewiesen habe, dass er nicht wisse, ob die Angaben des Bauunternehmers zuträfen. Zudem spreche der Umstand, dass die Mauer derzeit stehe, dafür, dass die statischen Vorgaben doch eingehalten worden seien, zumal der Bauunternehmer auf telefonische Nachfrage erklärt habe, dass er die Wand auf einem homogenen Baukörper errichtet habe, weil die darunter liegende Wand tragend sei. Auch bei fehlender eigener Standsicherheit der Stützmauer liege ein erheblich ins Gewicht fallender Verstoß gegen nachbarschützende Vorschriften zulasten des Klägers nicht vor, weil auf seinem Grundstück nur noch Gebäudereste vorhanden seien und er eigenen Angaben zufolge in absehbarer Zeit nicht in der Lage sei, das Grundstück neu zu bebauen. Die Entscheidung des Beklagten, nicht gegen die Aussichtsterrasse vorzugehen, lasse auch keinen Ermessensfehler erkennen, wenn er unter Berücksichtigung der besonderen örtlichen Situation, insbesondere im Hinblick auf den baulichen Zustand des ungenutzten klägerischen Grundstücks ein Einschreiten nicht als erforderlich ansehe.

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Der Kläger habe (auch) keinen Anspruch auf Bescheidung durch den Beklagten. Zwar habe der Beklagte bislang keinen Bescheid erlassen, mit dem über den vom Kläger gestellten Antrag auf bauaufsichtliches Einschreiten befunden worden sei. Den Stellungnahmen des Beklagten im gerichtlichen Verfahren lasse sich jedoch entnehmen, dass er Ermessen ausgeübt habe und auch unter Berücksichtigung des Sachverständigengutachtens vom 19.11.2012 bei seiner Entscheidung bleibe, nicht gegen die Beigeladenen einzuschreiten. Unabhängig davon sei der Kläger bei einem möglichen Verstoß gegen § 12 Abs. 1 BauO LSA jedenfalls deshalb gehindert, einen Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten des Beklagten gegen die Beigeladenen abzuleiten, weil dies einen Verstoß gegen Treu und Glauben und damit eine unzulässige Rechtsausübung darstelle. Er selbst erfülle die Anforderungen des § 12 Abs. 1 BauO LSA auf seinem Grundstück nicht, weil sich die übrig gebliebene Scheunenmauer nach dem Gutachten vom 19.11.2012 in einem statisch unzulässigen Zustand befinde. Dem entsprechend habe der Sachverständige Maßnahmen im Zusammenhang mit der Sicherung der maroden Scheunenrestwand vorgeschlagen. Die unzulässige Rechtsausübung werde auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass die Vorschrift des § 12 Abs. 1 BauO LSA der Gefahrenabwehr und damit dem Schutz bedeutender Rechtsgüter diene; denn eine konkrete Gefahr liege nicht vor. Von der Stützmauer gehe allenfalls für die Beigeladenen und sich dort aufhaltende Personen eine Gefahr aus, weil das Grundstück des Klägers ungenutzt und nur mit Teilen einer abgängigen Scheune bebaut sei.

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Die vom Senat zugelassene Berufung hat der Kläger wie folgt begründet:

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Mit der vom Sachverständigen F. vorgenommenen Modifizierung der Statik vom 10.05.2006 sei eine Standsicherheit des tatsächlich errichteten Bauwerks nicht belegt. Der Sachverständige setze bei seinen Berechnungen vielmehr die theoretische Bedingung voraus, dass der Stützkörper des Bauwerks homogen ausgeführt sein müsste, damit die statischen Berechnungen zutreffend seien. Eine tatsächliche homogene Ausführung des Bauwerkes habe der Sachverständige aber nicht bestätigt und könne dies auch nicht, da er Untersuchungen weder zur Zusammensetzung noch zum Gesamtquerschnitt des Stützkörpers vorgenommen habe. Auch den Querschnitt der Schwergewichtsmauer habe der Sachverständige nur an den aus dem Erdreich ragenden Teil der Schwergewichtsmauer mit einer Mauerstärke von 24 cm ermitteln können. Der im Erdreich liegende Querschnitt der Schwergewichtsmauer sei nicht aufgeklärt worden. Anhaltspunkte für die tatsächliche Ausführungsart könnten nur den Einlassungen des Bauunternehmers E. entnommen werden, der dargelegt habe, dass der Stützkörper aus Cerano-Steinen mit Betonfüllung und Stahleinlagen ausgeführt worden sei und auf eine darunter liegende Wand bzw. ein Fundament gesetzt sein solle. Die Stärke der mit Cerano-Steinen errichteten Wand betrage nur 24 cm und erreiche nicht die mit statischen Berechnungen angenommenen Wandstärken der Schwergewichtsmauer von 1,35 m, 0,85 m und 0,25 m. Das Verwaltungsgericht nehme fehlerhaft an, dass der Bauunternehmer die statischen Vorgaben doch eingehalten haben könnte, obwohl nach den telefonischen Angaben des Bauunternehmers davon eben gerade nicht ausgegangen werden könne. Der richterliche Aktenvermerk vom 13.12.2012 belege vielmehr, dass eine Statik zum damaligen Zeitpunkt der Errichtung der Schwergewichtswand überhaupt nicht vorgelegen habe, so dass es höchst unwahrscheinlich sei, dass die konkreten Vorgaben der statischen Berechnung zufällig eingehalten worden seien. Die fehlende eigene Standsicherheit des Bauwerks dürfe nicht mittels theoretischer Annahmen wegdiskutiert werden. Durch die heimliche ohne Bauaufsicht realisierte Errichtung des Bauwerkes seien die im Erdbereich liegenden Teile des Bauwerks bezüglich ihrer Beschaffenheit und Abmessungen nur noch mittels Schachtarbeiten, die bis in eine Tiefe von mindestens 3 Metern getrieben werden müssten, aufzuklären.

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Das Verwaltungsgericht stelle auch zu Unrecht darauf ab, dass der Kläger in absehbarer Zeit nicht in der Lage sei, sein Grundstück neu zu bebauen. Dies sei unerheblich. Es sei vielmehr auf die gegenwärtige Nutzung seines Grundstückes und die dringend erforderliche Sicherung / Instandsetzung seiner Scheunenmauer abzustellen. Er nutze das Grundstück unterhalb der Scheunenmauer als Lagerplatz für Baumaterialien. Oberhalb der Scheunenmauer und unterhalb der Aussichtsterrasse entlang der Stützmauer habe er persönlich Anpflanzungen von Kulturpflanzen (Brombeeren) vorgenommen. Im Übrigen sei der Aufenthalt bzw. die Tätigkeit von Personen auf seinem Grundstück gerade in dem Bereich, der bei einem Einsturz bzw. Abrutschen der Aussichtsterrasse erfasst werde, zur Instandsetzung bzw. Sicherung der ehemaligen Scheunenmauer unumgänglich. Vor solchen Maßnahmen müssten die von der Aussichtsterrasse ausgehenden Gefährdungen zwingend beseitigt werden. Das Verwaltungsgericht lasse zudem außer Acht, dass die Beigeladenen die Aussichtsterrasse und zumindest die parallel der gemeinsamen Grenze verlaufende Stützwand ohne jegliche Genehmigungen und somit unter Verletzung baurechtlicher Vorschriften und gesetzlicher Nachbarschaftsregelungen errichtet und nur für den parallel zum Grundstück R-Straße 23 verlaufenden Teil der Schwergewichtsmauer nach Errichtung des Bauwerks mit falschen Angaben im Bauantrag eine Teilgenehmigung erschlichen hätten. Darüber hinaus hätten die Beigeladenen Grenzmarkierungen beseitigt bzw. versetzt und so den tatsächlichen Grenzverlauf verschleiert. Die Teilgenehmigung könne die übrigen Teile der u-förmigen Stützmauer formell nicht legalisieren.

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Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, er sei nach Treu und Glauben gehindert, aus einem möglichen Verstoß gegen § 12 BauO LSA einen Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten abzuleiten, verstoße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. Die Scheunenrestmauer sei für eine Lastabtragung der Aussichtsterrasse nicht ausgelegt. Auch habe er darauf vertrauen dürfen, dass seine Mauer dafür nicht in Anspruch genommen werde. Die Beigeladenen hätten in Kenntnis der Sanierungsbedürftigkeit der Scheunenmauer ihr Bauwerk errichtet und unmittelbar danach die auf seinem Grundstück entstandenen Baumängel dem Beklagten angezeigt, um sich Kosten für die Herstellung der Standsicherheit ihres Bauwerks zu ersparen. Sie hätten damit ebenfalls nicht redlich gehandelt. Aus den Baugrunduntersuchungen des Sachverständigen Dr. S. gehe ferner hervor, dass Aufschüttungen über dem natürlichen Geländeverlauf bis zu einer Höhe von 2,60 m auf dem Grundstück der Beigeladenen vorgenommen worden seien. Zur Instandsetzung bzw. Sicherung der Scheunenmauer hätte er die Aufschüttung auf seinem Grundstück beseitigen und die ehemalige Scheunenmauer weitestgehend (im vorderen Bereich bis zu einer Resthöhe von 1 ‚05 m) abtragen und später wieder aufbauen können. Durch die von der streitgegenständlichen Aussichtsterrasse ausgehenden Gefährdungen würden aber sowohl die Instandsetzung der ehemaligen Scheunenmauer als auch ein zweckdienlicher Teilrückbau verhindert. Gerade durch die von der Terrasse auf die Scheunenmauer wirkenden Kräfte werde eine Abtragung und Neuerrichtung zur Sanierung des Bauwerks verhindert. Ob das Bauwerk gegenwärtig gerade noch stehe, sei unerheblich, da jederzeit der Einsturz zu befürchten sei und der Beklagte eben nicht erst nach Einsturz des Bauwerkes tätig werden müsse.

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Das Verwaltungsgericht nehme auch fehlerhaft an, dass der Beklagte durch seine allgemeinen Verfahrenseinlassungen eine ermessensfehlerfreie Entscheidung vorgenommen habe. Der Beklagte gebe selbst an, dass er den Anspruch des Klägers auf eine gebotene ermessensfehlerfreie Entscheidung in diesem Verwaltungsverfahren und den Antrag auf bauaufsichtliches Einschreiten bisher noch nicht beschieden, sondern seine Rechtsauffassung in behördlichen Schreiben dargelegt habe. Mit der bloßen Bekräftigung seiner Rechtsauffassung könne der Anspruch des Klägers auf ermessensfehlerfreie Entscheidung nicht erfüllt worden sein.

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Der Kläger beantragt,

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das angefochtene Urteil zu ändern und

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den Beklagten zu verpflichten, in geeigneter Weise gegen die Beigeladenen bauaufsichtlich einzuschreiten,

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hilfsweise,

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erstmals über seinen Antrag vom 17.05.2009 zu entscheiden bzw. darüber zu entscheiden, ob und wie er gegen die Beigeladenen einschreitet.

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Der Beklagte beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

35

Er macht geltend, es bestehe keine Ermessensreduzierung auf Null dahin gehend, dass er gegen die Beigeladenen einschreiten müsse. Nach dem Gutachten des Sachverständigen F. vom 19.11.2012 erschienen aus wirtschaftlicher Sicht lediglich Maßnahmen im Zusammenhang mit der Sicherung der maroden Scheunenmauer vernünftig. Auch der auf eine Bescheidung gerichtete Hilfsantrag könne keinen Erfolg haben. Eine reale Gefahr gehe von der Stützmauer nicht aus. Risse an dem bereits 2002/2003 errichteten Bauwerk seien nicht erkennbar. Hinzu komme, dass das Grundstück des Klägers im Wesentlichen ungenutzt sei. Luftbilder ließen erkennen, dass das Grundstück ohne weitere Bebauung immer mehr zuwachse. Ein Lagerplatz im eigentlichen Sinne sei nicht erkennbar. Die bloße Lagerung von Bauschutt der eingefallenen Scheune genüge hierfür nicht.

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Die Beigeladenen beantragen,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Sie tragen vor, der Kläger habe nicht plausibel dargelegt, was er in absehbarer Zeit mit den Resten des Scheunengebäudes vorhabe. Sie hätten in den vergangenen Jahren kein einziges Mal bemerkt, dass sich auf dem Grundstück des Klägers Personen aufhalten. Obwohl das Scheunengebäude in der Zwischenzeit weiter eingefallen sei, zeige die von ihnen errichtete Mauer keinerlei Risse. Zur Bebauung des klägerischen Grundstücks sei der Hang abgegraben worden. Es sei deshalb am Kläger, das höherliegende Gebäude auf den Nachbargrundstücken abzusichern, wenn die auf seinem Grundstück befindlichen Gebäude diese statische Absicherung nicht mehr gewährleisten könnten.

39

Der Senat hat den Bauunternehmer E. als Zeugen zu der Frage vernommen, wie die streitige Stützmauer errichtet wurde. Er hat ferner den Sachverständigen F. nochmals ergänzend zu seinem schriftlichen Gutachter vom 19.11.2012 befragt.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Berufung hat teilweise Erfolg.

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I. Die Verpflichtungsklage in Gestalt der Untätigkeitsklage ist zulässig. Gemäß § 75 Satz 1 VwGO ist die Klage, wenn über einen Widerspruch oder über einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden ist, abweichend von § 68 zulässig. Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Dabei kann in diesem Zusammenhang offen bleiben, ob im Schreiben des Beklagten vom 07.09.2009 ein mit Widerspruch angreifbarer Verwaltungsakt in Gestalt eines Ablehnungsbescheides zu sehen ist. Der Beklagte hat entweder über den Antrag des Klägers auf bauaufsichtliches Einschreiten oder über seinen Widerspruch vom 14.09.2009 innerhalb angemessener Frist nicht entschieden. Ein zureichender Grund für die Nichtbescheidung des Klägers ist nicht ersichtlich. Soweit der Beklagte zunächst darauf verwiesen hatte, dass er wegen eines noch anhängigen weiteren Verfahrens beim Verwaltungsgericht Halle (Anfechtung einer Baugenehmigung betreffend ein Nebengebäude auf dem Grundstück der Beigeladenen, Az: 2 A 159/08) keine Vollstreckungsmaßnahmen treffen könne, wäre dieser Grund für eine Nichtbescheidung des Klägers, wenn er „zureichend“ im Sinne von § 75 Satz 1 VwGO gewesen sein sollte, jedenfalls in dem Zeitpunkt entfallen, in dem über die Klage rechtskräftig entschieden war. Das Verwaltungsgericht wies diese Klage mit Urteil vom 22.12.2009 ab. Nachdem der Senat mit Beschluss vom 19.04.2010 (2 L 12/10) einen Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für ein Berufungs(zulassungs)verfahren abgelehnt hatte, wurde das Urteil rechtskräftig.

43

II. Die Klage ist unbegründet, soweit der Kläger mit seinem Hauptantrag die Verpflichtung des Beklagten zum bauaufsichtlichen Einschreiten gegen die Beigeladenen begehrt. Sie ist dagegen begründet, soweit der Kläger hilfsweise die (Neu-)Bescheidung seines Antrages vom 17.05.2009 verlangt.

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1. Der Kläger hat keinen Anspruch gegen den Beklagten auf bauaufsichtliches Einschreiten gegen die Beigeladenen.

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Als Rechtsgrundlage für ein bauaufsichtliches Einschreiten kommt § 79 Satz 1 BauO LSA in Betracht. Danach kann die Bauaufsichtsbehörde die teilweise oder vollständige Beseitigung von Anlagen anordnen, wenn diese im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet oder geändert werden und nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden können. Die von der Behörde zu ergreifenden Maßnahmen umfassen damit die vollständige oder teilsweise Beseitigung von (baulichen) Anlagen. Daneben kommt ein bauaufsichtliches Einschreiten auch auf der allgemeinen Ermächtigungsgrundlage des § 57 Abs. 2 BauO LSA in Frage. Danach haben die Bauaufsichtsbehörden bei der Errichtung, der Änderung, der Nutzung, der Nutzungsänderung, der Instandhaltung und der Beseitigung von Anlagen darüber zu wachen, dass die öffentlich-rechtlichen Vorschriften und die aufgrund dieser Vorschriften erlassenen Anordnungen eingehalten werden, soweit nicht andere Behörden zuständig sind. Sie können in Wahrnehmung dieser Aufgaben die erforderlichen Maßnahmen treffen. Die Regelung ermächtigt die Bauaufsichtsbehörde damit zu anderen Maßnahmen als Anordnungen zur vollständigen oder teilweisen Beseitigung von (baulichen) Anlagen. Ein Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften setzt bei einer genehmigungsbedürftigen Anlage regelmäßig die formelle und materielle Rechtswidrigkeit der Anlage und bei einer nicht genehmigungsbedürftigen Anlage deren materielle Rechtswidrigkeit voraus (vgl. Jäde, in: Jäde/Dirnberger, Bauordnungsrecht Sachsen-Anhalt, § 79 RdNr. 1 f., m.w.N.). Liegt eine Baugenehmigung vor und entspricht die errichtete Anlage dieser Baugenehmigung, so kann eine Beseitigungsanordnung nur ergehen, wenn zuvor die Baugenehmigung unanfechtbar oder sofort vollziehbar zurückgenommen oder widerrufen worden ist (vgl. Jäde, a.a.O., RdNr. 3 ff., m.w.N.).

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Ein Anspruch des Nachbarn auf bauordnungsbehördliches Einschreiten folgt aus den vorgenannten Eingriffsermächtigungen, wenn die bauliche Anlage nicht durch eine bestandskräftige Baugenehmigung gedeckt wird, die Anlage materiell rechtswidrig ist und den klagenden Nachbarn in seinen Rechten verletzt, dieser seine Abwehrrechte nicht verwirkt hat und das Ermessen der Behörde auf Null reduziert ist (vgl. OVG NW, Urt. v. 22.08.2005 – 10 A 3611/03 –, BauR 2006, 342 [343], RdNr. 35 in juris). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht sämtlich vor.

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1.1. Die „Aussichtsterrasse“ einschließlich der u-förmigen Stützmauer, insbesondere auch der entlang der klägerischen Grundstücksgrenze verlaufende Teil der Stützmauer, sind nicht durch die vom Beklagten erteilte Baugenehmigung vom 23.11.2006 formell legalisiert. Nach der entscheidungstragenden Auffassung des Verwaltungsgerichts in seinem rechtskräftigen Urteil vom 25.11.2008 im Verfahren 2 A 76/07 HAL umfasst diese Baugenehmigung nur den parallel zum südwestlich angrenzenden Grundstück (R-Straße 23, Flurstück 70) verlaufenden Teil der Stützmauer, weil die Beigeladenen ihren Bauantrag vom 17.05.2006 ausdrücklich auf diesen Teil beschränkten. Die Erteilung einer solchen Baugenehmigung erscheint zwar nicht unbedenklich, weil Baumaßnahmen, die nach objektiven Kriterien baulich und funktional zusammengehören, nicht willkürlich auf Grund einer Willensentscheidung des Bauantragstellers in Einzelteile zerlegt werden können (vgl. VGH BW, Beschl. v. 11.05.2011 – 8 S 93/11 –, Juris, RdNr. 23, m.w.N.). Mit der Rechtskraft der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung steht aber für die Beteiligten mit Bindungswirkung fest (§ 121 VwGO), dass sich die Baugenehmigung auf diesen Teil beschränkt. Wird eine Anfechtungsklage abgewiesen, erfasst die Rechtskraft des Urteils auch die Auslegung des Bescheids in dem Urteil (BVerwG, Urt. v. 07.08.2008 – BVerwG 7 C 7.08 –, BVerwGE 131, 346 [349 f.], RdNr. 16 ff.). Soweit der Beklagte die auf einen Teil der Stützmauer beschränkte Baugenehmigung nicht hätte erteilen dürfen, weil dieser Teil mit den übrigen Teilen der u-förmigen Mauer in einem untrennbaren funktionalen Zusammenhang steht, hat dies zwar möglicherweise die (objektive) Rechtswidrigkeit oder nach § 44 Abs. 1 VwVfG gar die Nichtigkeit (vgl. SaarlOVG, Beschl. v. 22.10.1996 – 2 W 30/96 –, BauR 1997, 283 [284]) der Genehmigung zur Folge. Aber auch und gerade dann wären die „Aussichtsterrasse“ und der zum Grundstück des Klägers zeigende Teil der Stützwand nicht formell legalisiert.

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1.2. Auch verstößt die von den Beigeladenen errichtete Stützmauer möglicherweise gegen die Regelungen in § 12 Abs. 1 BauO LSA, denen im konkreten Fall nachbarschützende Wirkung zukommt.

49

Nach § 12 Abs. 1 Satz 1 BauO LSA muss jede Anlage im Ganzen und in ihren einzelnen Teilen für sich allein standsicher sein. Die Forderung nach der Standsicherheit von baulichen Anlagen ist eine Grundforderung und stellt eine Konkretisierung der Generalklausel des § 3 BauO LSA dar. Gemäß § 3 Abs. 1 BauO LSA sind Anlagen so anzuordnen, zu errichten, zu ändern und instand zu halten, dass die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere Leben und Gesundheit und die natürlichen Lebensgrundlagen, nicht gefährdet werden. Als Standsicherheit bezeichnet werden kann die Eigenschaft einer baulichen Anlage, die die vorgesehene Beanspruchung der baulichen Anlage gewährleistet, ohne dass derart starke physische Veränderungen an der baulichen Anlage entstehen können, die eine Gefährdung bedeuten würden, insbesondere eine Einsturzgefahr hervorrufen könnte, die insbesondere Leben oder Gesundheit von Menschen und Tieren gefährden würde (Jäde, a.a.O., § 12 RdNr. 6). In den Begriff der Standsicherheit müssen außer dem Tragwerk selbst weitere Faktoren einbezogen werden, insbesondere ist der Baugrund für die Standsicherheit von Bedeutung (Jäde, a.a.O., § 12 RdNr. 9). Die Vorschrift des § 12 Abs. 1 BauO LSA korrespondiert mit der Regelung nach § 3 Abs. 2 BauO LSA, wonach Bauprodukte und Bauarten nur verwendet oder angewendet werden dürfen, wenn bei ihrer Verwendung oder Anwendung die Anlagen bei ordnungsgemäßer Instandhaltung während einer dem Zweck entsprechenden angemessenen Zeitdauer die Anforderungen dieses Gesetzes oder aufgrund dieses Gesetzes erlassener Vorschriften erfüllen und gebrauchstauglich sind. Für die Standsicherheit bedeutet dies, dass die geplante Standzeit des Tragwerkes bei zweckentsprechender Nutzung und bei ordnungsgemäßer Instandhaltung erreicht werden kann (Jäde, a.a.O., § 12 RdNr. 10).

50

§ 12 Abs. 1 Satz 2 BauO LSA bestimmt ferner, dass die Standsicherheit anderer baulicher Anlagen und die Tragfähigkeit des Baugrundes des Nachbargrundstücks nicht gefährdet werden darf. Beim Nachweis der Standsicherheit müssen alle baulichen Anlagen berücksichtigt werden, auf die durch die bauliche Maßnahme Einwirkungen ausgeübt werden, insbesondere auch Nachbargebäude (Jäde, a.a.O., § 12 RdNr. 21). Die Kräfte, die aufgrund der Last einer baulichen Anlage auf den Baugrund wirken, bewirken Verformungen, die abhängig von der Zusammendrückbarkeit und der Scherfestigkeit des Baugrundes unterschiedliche Auswirkungen haben; die als Setzungen bezeichneten lotrechten Verschiebungen beruhen vor allem aus den lotrecht wirkenden Fundamentlasten; wird die Last größer, treten auch seitliche Verformungen auf (vgl. Jäde, a.a.O., RdNr. 23).

51

Die Vorschrift des § 12 Abs. 1 Satz 2 BauO LSA hat nachbarschützende Wirkung (vgl. Beschl. d. Senats v. 23.08.2004 – 2 M 35/08 –, JMBl LSA 2006, 341; HambOVG, Beschl. v. 13.07.2012 – 2 Bs 142/12 –, BRS 79 Nr. 93, RdNr. 13 in juris; Beschl. v. 20.02.2012 – 2 Bs 14/12 –, BRS 79 Nr. 186, RdNr. 18 in juris; OVG NW, Urt. v. 09.06.2011 – 7 A 1494/09 –, juris, RdNr. 54; SaarlOVG, Beschl. v. 22.10.1996 – 2 W 34/96 –, BRS 58 Nr. 181; OVG Berlin, Beschl. v. 02.06.1998 – 2 S 4.98 –, BRS 60 Nr. 118; Große/Suchsdorf/Lindorf/Schmaltz/Wiechert, NBauO, 7 Aufl., § 18 RdNr.13, m.w.N.). Entsteht durch ein Bauvorhaben, das dieser Vorschrift nicht entspricht, eine Gefahr für geschützte Rechtsgüter eines Nachbarn, kann sich daraus für den Nachbarn ein Anspruch auf ordnungsrechtliches Einschreiten ergeben (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 10.10.2000 – 2 Bs 220/00 –, juris, RdNr. 4).

52

Auch § 12 Abs. 1 Satz 1 BauO LSA kann im Einzelfall nachbarschützende Wirkung zukommen (vgl. OVG Berlin, Beschl. v. 02.06.1998 a.a.O.; Jäde. a.a.O., RdNr. 53; Franz, in: Simon BayBauO, Art. 13 RdNr. 1; Große/Suchsdorf/Lindorf/Schmaltz/Wiechert, NBauO, 7 Aufl., § 18 RdNr.8; a.A.: OVG NW, Urt. v. 09.06.2011, a.a.O.; HambOVG Hamburg, Beschl. v. 13.07.2012, a.a.O.). Die Frage, ob eine baurechtliche Vorschrift ausschließlich objektiv-rechtlichen Charakter hat oder ob sie (auch) dem Schutz individueller Interessen dient, ob sie also Rücksichtnahme auf Interessen Dritter gebietet, ist, wenn sich dies nicht unmittelbar aus dem Wortlaut der Norm ergibt, im Regelfall durch Auslegung der Norm nach Sinn und Zweck zu beantworten (vgl. BVerwG, Urt. v. 19.09.1986 – BVerwG 4 C 8.84 –, NVwZ 1987, 409, RdNr. 11 in juris). Da die Forderung nach der Standsicherheit von baulichen Anlagen nach § 12 Abs. 1 Satz 1 BauO LSA eine Konkretisierung der Generalklausel des § 3 Abs. 1 BauO LSA darstellt, wonach Anlagen so anzuordnen, zu errichten, zu ändern und instand zu halten sind, dass die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere auch Leben und Gesundheit nicht gefährdet werden, dient § 12 Abs. 1 Satz 1 BauO insoweit auch dem Nachbarschutz, als vermieden werden soll, dass Leben und Gesundheit von sich auf dem Nachbargrundstück regelmäßig aufhaltenden Menschen oder von Eigentum gefährdet werden. Dem entsprechend kommt § 12 Abs. 1 Satz 1 BauO LSA nachbarschützende Wirkung zu, soweit die fehlende eigene Standsicherheit der Anlage zu einer Gefährdung von Leben, Gesundheit oder Eigentum des Nachbarn führen können.

53

Es bestehen hier Anhaltspunkte dafür, dass die von den Beigeladenen errichtete Stützmauer den Anforderungen des § 12 Abs. 1 Satz 1 und 2 BauO LSA nicht genügt.

54

a) In Bezug auf die Anforderungen des § 12 Abs. 1 Satz 1 BauO LSA ist der vom Verwaltungsgericht beauftragte Sachverständige F. in seinem schriftlichen Gutachten vom 19.11.2012 (Beiakte D) zu dem Ergebnis gelangt, dass die Mauer bei sachgerechter Ausführung der statischen Vorgaben zur Ausführung der Schwergewichtswand des Dipl.-Ing. W. vom 03.05.2006 für sich standsicher sei. Allerdings hat der in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat als Zeuge vernommene Bauunternehmer E. erklärt, dass er bei Errichtung der Stützmauer keine Statik verwendet habe. Er habe die Mauer aus Cerano-Steinen mit Stahleinlagen auf der Seite zum Grundstück des Klägers auf einer alten Mauer, die als Fundament habe dienen können, errichtet. Die Stahlteile habe er sowohl senkrecht als auch waagerecht verbaut. Die (senkrechten) Stahlteile habe er in die vorhandene Mauer eingebohrt. Die Frage, ob die in dieser Weise errichtete Stützmauer standsicher ist, hat der in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nochmals befragte Sachverständige F. weder bejahen noch verneinen können, sondern darauf verwiesen, dass die Standsicherheit davon abhänge, wie die Mauer konkret gebaut wurde.

55

b) Zur Frage, inwieweit sich die Errichtung der „Aussichtsterrasse“ auf das Grundstück des Klägers und die darauf befindliche Scheunenrestwand auswirkt, ist der Sachverständige in seinem schriftlichen Gutachten zu dem Ergebnis gelangt, dass die Tragfähigkeit der Scheunenmauer durch das Bauwerk der Beigeladenen zusätzlich beansprucht werde. Die Vergleichsberechnungen mit den vor Ort vorhandenen Belastungen auf die Scheunenmauer wiesen einen statisch unzulässigen Zustand aus. Angestellte Vergleichsberechnungen ergäben jedoch bereits einen für die Restmauer unzulässigen Zustand auch ohne Belastungen aus der „Aussichtsterrasse“. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht hat er dies nochmals im Einzelnen erläutert.

56

1.3. Aber auch wenn die dauerhafte eigene Standsicherheit der Stützmauer gutachterlich nicht belegt ist, sondern weiterhin Zweifeln unterliegt, und die Aussichtsterrasse die Standsicherheit der Scheunenrestmauer beeinflusst, hat der Kläger – jedenfalls derzeit – keinen Anspruch darauf, dass der Beklagte gegen die Beigeladenen bauaufsichtlich einschreitet. Das dem Beklagten eingeräumte Ermessen ist nicht in der Weise „auf Null“ reduziert, dass (nur) Maßnahmen gegen die Beigeladenen zu ergreifen sind.

57

Eine Verpflichtung zum Einschreiten besteht, wenn eine unmittelbare Gefährdung besonders wichtiger Rechtsgüter (Leben, Gesundheit) vorliegt, gerade wenn eine bauliche Anlage nicht (mehr) standsicher ist (vgl. Jäde, a.a.O., § 12, RdNr. 52, m.w.N.).
Voraussetzung für einen bauaufsichtlichen Eingriff nach § 57 Abs. 2 Satz 2 BauO LSA ist das Vorliegen einer konkreten Gefahr im Sinne der Reglungen des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts (vgl. Beschl. d. Senats v. 22.07.2013 – 2 M 82/13 –, BauR 2014, 819, RdNr. 8 in juris; Jäde, a.a.O., § 3 RdNr. 4, m.w.N.). Eine konkrete Gefahr im ordnungsrechtlichen Sinne wird in § 3 Nr. 3a SOG LSA definiert als eine Sachlage, bei der im einzelnen Falle die hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass in absehbarer Zeit ein Schaden für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung eintreten wird.

58

a) Eine solche konkrete Gefahr für das Grundstück des Klägers und von sich dort aufhaltenden Personen aufgrund der nicht abschließend geklärten eigenen Standsicherheit der Stützmauer ist derzeit nicht erkennbar. Der Umstand, dass die bereits in den Jahren 2003/2004 errichtete Mauer sich bislang nicht verformt hat, spricht zunächst einmal dafür, dass sie so gebaut wurde, dass sie den auf sie wirkenden Kräften dauerhaft standhalten kann und damit standsicher ist. Der Sachverständige F. hat in der mündlichen Verhandlung auf Nachfrage erklärt, dass sich die Mauer im Falle ihrer Instabilität allmählich verformen würde, was man erkennen würde. Daraus folgt auch, dass selbst bei fehlender dauerhafter Standsicherheit der Stützmauer nicht mit einem plötzlichen Einsturz zu rechnen ist, sondern dass sich erst bei einer Verformung der Mauer eine konkrete Einsturzgefahr abzeichnen würde. Damit reicht es aus, wenn der Beklagte und die Beigeladenen den Zustand der Stützmauer im Auge behalten und der Beklagte erst dann einschreitet, wenn sich Verformungen zeigen. Zu einer anderen Beurteilung nötigt auch nicht der Umstand, dass sich nach den vom Kläger mit Schriftsatz vom 05.02.2015 vorgelegten Lichtbildern Risse an Teilen der Mauer zeigen. Der Sachverständige F. hat hierzu angegeben, dass es sich um Detailaufnahmen handele, aus denen er nicht schließen könne, dass die Mauer instabil ist. Augenscheinlich betreffen einige der Risse die vom Bauunternehmer E. zu einem späteren Zeitpunkt hergestellte Betonverblendungen.

59

b) Auch der Umstand, dass die Aussichtsterrasse Auswirkungen auf die Standsicherheit der Scheunenrestwand auf dem Grundstück des Klägers hat, führt nicht dazu, dass die Beklagte verpflichtet wäre, gegen die Beigeladenen bauaufsichtlich einzuschreiten. Wie sich dem Gutachten des Sachverständigen F. und seinen Erläuterungen in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht entnehmen lässt, kommen insbesondere Maßnahmen auf dem Grundstück des Klägers wie flächiges Absteifen der Scheunenrestwand, Sanierung und Rückverankern der Scheunenrestwand, Rückverankerungen der bodenseitigen Scheunenwandfläche in Betracht. Solche Maßnahmen sind auch wirtschaftlich betrachtet am vernünftigsten. Sie stellen eine mindestens ebenso gute, wenn nicht gar effektivere Maßnahme der Gefahrenbeseitigung dar, weil die Scheunenrestmauer nach den Ausführungen des Sachverständigen F. ohnehin nicht mehr selbständig standsicher ist. Der Umstand, dass der Kläger wirtschaftlich möglicherweise nicht in der Lage ist, die in Betracht kommenden Maßnahmen durchzuführen, führt nicht dazu, dass allein die Inanspruchnahme der Beigeladenen ermessensfehlerfrei wäre. Bei der Auswahl unter mehreren Störern ist zwar die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Verpflichteten ein wesentliches Entscheidungskriterium (vgl. Urt. d. Senats v. 21.08.2008 – 2 L 76/07 –, juris, RdNr. 41, m.w.N.). Zu beachten sind daneben aber auch die Grundsätze der Effektivität und der Zumutbarkeit sowie das Verursacherprinzip (vgl. NdsOVG, Beschl. v. 03.12.2009 – 7 ME 55/09 –, NJW 2010, 1546, RdNr. 8 in juris, m.w.N.). Im konkreten Fall darf der Beklagte insbesondere in Rechnung stellen, dass selbst im Fall der Beseitigung der Aussichtsterrasse durch die Beigeladenen die Gefahr des Einsturzes der Scheunenrestmauer auf dem Grundstück des Klägers fortbestünde und dort unabhängig vom Vorhandensein der Aussichtsterrasse Sicherungsmaßnahmen durchzuführen sind.

60

2. Der Kläger hat gegen den Beklagten aber einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Neubescheidung seines Antrages auf bauaufsichtliches Einschreiten.

61

Gemäß § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO spricht das Gericht die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden, soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

62

Macht ein Dritter gegenüber der Bauaufsichtsbehörde geltend, durch eine Anlage in seinen Rechten verletzt zu sein, so hat er einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über ein bauaufsichtliches Einschreiten der Bauaufsichtsbehörde sowie auf Art und Weise des Einschreitens; dabei gelten für die Ermessensausübung der Bauaufsichtsbehörde die allgemeinen Grundsätze (vgl. BayVGH, Urt. v. 04.12.2014 – 15 B 12.1450 –, juris, RdNr. 21, m.w.N.; vgl. auch Beschl. d. Senats v. 10.10.2006 – 2 L 680/04 –, juris, RdNr. 8). Besteht ein Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten nicht, muss die Behörde ihr Ermessen unterhalb der Schwelle der Ermessensreduzierung auf Null ordnungsgemäß ausüben (vgl. BVerwG, Urt. v. 04.06.1996 – BVerwG 4 C 15.95 –, NVwZ-RR 1997, 271 [273], RdNr. 31 in juris). Diesen Anspruch hat der Beklagte bislang nicht erfüllt.

63

2.1. Der Beklagte erließ zwar entgegen seiner Auffassung bereits vor Klageerhebung gegenüber dem Beklagten einen Verwaltungsakt, mit dem er ein bauaufsichtliches Einschreiten gegen die Beigeladenen ablehnte.

64

Nach § 35 Satz 1 VwVfG ist jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkungen nach außen gerichtet ist, ein Verwaltungsakt. Für die Frage, ob eine behördliche Äußerung die Rechtsnatur eines Verwaltungsaktes hat, insbesondere eine Verfügung, Entscheidung oder behördliche Maßnahme im Sinne von § 35 Satz 1 VwVfG darstellt, ist im Zweifel nicht das maßgeblich, was die Behörde gewollt oder gedacht hat, sondern der objektive Erklärungswert, d.h. wie der Bürger sie unter Berücksichtigung der ihm erkennbaren Umstände wie äußere Form, Abfassung, Begründung, Beifügung einer Rechtsbehelfsbelehrung usw. bei objektiver Würdigung verstehen muss (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.08.1995 – BVerwG 1 C 15.94 –, NJW 1996, 1073; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 15. Aufl., § 35 RdNr. 54 m.w.N.; U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl., § 35 RdNr. 71, m.w.N.). Unklarheiten gehen zu Lasten der Verwaltung (BVerwG, Urt. v. 20.11.1990 – BVerwG 1 C 8.89 –, Buchholz 402.24 § AuslG Nr. 7; Urt. v. 17.08.1995, a.a.O.). Die Ablehnung eines Antrages auf Erlass eines Verwaltungsakts stellt regelmäßig eine Regelung im Sinne des § 35 Satz 1 VwVfG dar (vgl. Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 35 RdNr. 90), auch wenn diese Ablehnung in Form eines (einfachen) Schreibens und ohne Rechtsbehelfsbelehrung ergeht.

65

Hiernach stellt das Schreiben des Beklagten vom 07.09.2009 einen Verwaltungsakt dar. Darin hat er im Betreff den Antrag des Klägers „auf Herstellung eines baurechtmäßigen Zustandes vom 17.05.2009“ aufgeführt und unmissverständlich erklärt, dass er den Antrag des Klägers ablehne. Objektiv konnte dies nur so verstanden werden, dass der Beklagte damit das Verwaltungsverfahren bezüglich des vom Kläger gestellten Antrags auf bauaufsichtliches Einschreiten abschließen wollte; zumal der Kläger mit dem zuvor an den Beklagten gerichteten Schreiben vom 03.09.2009 ausdrücklich eine Bescheidung seines Antrages bis zum 10.09.2009 gefordert hatte. Dass dem Schreiben vom 07.09.2009 keine Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt war, vermag an der Verwaltungsaktqualität nichts zu ändern. Auf die Eigenschaft des Schreibens vom 07.09.2009 als Verwaltungsakt hatte es auch keinen Einfluss, dass der Beklagte auf den vom Kläger erhobenen Widerspruch sowie später im verwaltungsgerichtlichen Verfahren erklärte, dass das Schreiben keinen Verwaltungsakt darstelle. Maßgeblicher Auslegungszeitpunkt ist der Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsakts (U. Stelkens, a.a.O., RdNr. 71). Das Schreiben des Beklagten vom 15.09.2009 gibt nur dessen Interpretation bzw. den Willen wieder, den der Beklagte bei Erstellung des Schreibens gehabt haben mag. Darauf kommt es aber nicht entscheidend an. Maßgeblich ist vielmehr der erklärte Wille, wie ihn der Kläger von seinem Standpunkt aus bei verständiger Würdigung verstehen konnte.

66

2.2. In diesem Bescheid stellte der Beklagte aber keine Ermessenserwägungen an. Die Ablehnung erfolgte „aus den oben genannten Gründen“, in denen der Beklagte auf die Ausführungen des Landesverwaltungsamts Sachsen-Anhalt in zwei Schreiben vom 12.08.2009 und 25.08.2009 verwies, wonach es sich bei der „Aussichtsterrasse“ um eine zwischenzeitlich überwachsene, auf das Höhenniveau des Baugrundstücks eingeebnete Grundstücksfläche bis an die Stützmauer handele, die Stützmauer einschließlich der aus Sicherheitsgründen erforderlichen Umwehrung mit Bescheid vom 23.11.2003 genehmigt worden sei und der Böschungs- und Absturzsicherung der Grundstücksfläche diene. Anlass für ein bauaufsichtliches Einschreiten bestehe nicht. Der Beklagte ist mithin davon ausgegangen, dass bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen für ein bauaufsichtliches Einschreiten fehlen, insbesondere weil die Stützmauer (insgesamt) baurechtlich genehmigt sei.

67

2.3. Mit den im gerichtlichen Verfahren nachgeschobenen Erwägungen hat der Beklagte die fehlende Ermessensausübung im Verwaltungsverfahren nicht geheilt.

68

2.3.1. Nach § 114 Satz 2 VwGO kann die Verwaltungsbehörde ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren „ergänzen“. Diese Vorschrift ist auch bei Verpflichtungs- bzw. Bescheidungsklagen anwendbar (vgl. Wolff, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl., § 114 RdNr. 206; Eyermann, VwGO, 14. Aufl., § 114 RdNr. 87; VGH BW, Urt. v. 22.07.2009 – 11 S 1622/07 –, juris, RdNr. 70; wohl auch BVerwG, Beschl. v. 16.07.2010 – BVerwG 5 B 2.10. 5 PKH 35 PKH 3.10 –, juris, RdNr. 13; Urt. v. 07.04.2009 – BVerwG 1 C 17.08 –, BVerwGE 133, 329 [347], RdNr. 42; VGH BW, Urt. v. 18.12.2006 – 12 S 2474/06 –, VBlBW 2007, 294 [301], RdNr. 82 in juris; a.A.: Kopp/Schenke, 20. Aufl., § 114 RdNr. 50; Gerhardt, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 114 RdNr. 12d und § 113 RdNr. 74; Schenke, DVBl. 2014, 285 [294]). Die Grenzen des § 114 Satz 2 VwGO sind indes dann überschritten, wenn die Behörde ihr Ermessen erstmals ausübt (vgl. BVerwG, Beschl. v. 16.07.2010, a.a.O., m.w.N.). Der Beklagte hat – wie oben bereits dargelegt – im Verwaltungsverfahren keine Ermessensentscheidung getroffen, die im gerichtlichen Verfahren ergänzt werden könnte. Eine erstmalige Ausübung von Ermessen im gerichtlichen Verfahren ist zwar zulässig, wenn sich aufgrund neuer Umstände die Notwendigkeit einer Ermessensausübung erst nach Klageerhebung ergibt (BVerwG, Urt. v. 13.12.2011 – BVerwG 1 C 14.10 –, BVerwGE 141, 253 [256], RdNr. 8). Dabei kann das Ermessen auch hilfsweise ausgeübt werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 22.10.2009 – BVerwG 1 C 26.08 –, juris, RdNr. 27). Neue Umstände sind hier aber im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht eingetreten. Der Beklagte hat eine Ermessensentscheidung deshalb nicht getroffen, weil er nach dem Schreiben vom 07.09.2009 (zu Unrecht) davon ausging, dass die Stützmauer (insgesamt) baurechtlich genehmigt sei, so dass schon „kein Anlass“ für ein bauaufsichtliches Einschreiten gegeben sei. Zudem hat er angenommen, mit dem im Baugenehmigungsverfahren beigefügten Standsicherheitsnachweis sei belegt, dass die Stützmauer den Anforderungen an die Standsicherheit nach § 12 Abs. 1 BauO LSA genüge, so dass auch aus diesem Grund ein bauaufsichtliches Einschreiten gegen die Beigeladenen nicht möglich wäre (vgl. die Stellungnahme des Beklagten vom 31.07.2009 zur Dienstaufsichtsbeschwerde des Klägers). § 114 Satz 2 VwGO lässt aber keine erstmalige Ermessensausübung zu, wenn es von vornherein einer Ermessensentscheidung bedurfte, die Behörde dies aber verkannt hat (vom BVerwG offen gelassen, vgl. Urt. v. 13.12.2011, a.a.O., RdNr. 13).

69

2.3.2. Selbst wenn auch in solchen Fällen ein Nachschieben von Ermessenserwägungen nach § 114 Satz 2 VwGO in Betracht kommen sollte, hätte der Beklagte dies im konkreten Fall nicht in genügender Form getan.

70

Ein solches Nachschieben muss genügend bestimmt geschehen. Die Behörde muss unmissverständlich deutlich machen, dass es sich nicht nur um prozessuales Verteidigungsvorbringen handelt, sondern um eine Änderung des Verwaltungsakts selbst. Außerdem muss deutlich werden, welche der bisherigen Erwägungen weiterhin aufrechterhalten und welche durch die neuen Erwägungen gegenstandslos werden (vgl. zum Ganzen: BVerwG, Urt. v. 20.06.2013 – BVerwG 8 C 46.12 –, BVerwGE 147, 81 [93], RdNr. 35). Es genügt nicht, dass die Behörde bei einer nachträglichen Änderung der Sachlage im gerichtlichen Verfahren neue Ermessenserwägungen geltend macht. Sie muss im gerichtlichen Verfahren erkennbar trennen zwischen neuen Begründungselementen, die den Inhalt ihrer Entscheidung betreffen, und Ausführungen, mit denen sie lediglich als Prozesspartei ihre Entscheidung verteidigt (BVerwG, Urt. v. 13.12.2011, a.a.O., RdNr. 18).

71

Diesen Anforderungen genügt das Vorbringen des Beklagten im gerichtlichen Verfahren nicht. Die eingereichten Schriftsätze lassen nicht mit hinreichender Deutlichkeit erkennen, dass sich der Beklagte nicht auf prozessuales Verteidigungsvorbringen beschränken, sondern einen (geänderten) Ablehnungsbescheid erlassen und hierzu Ermessenserwägungen hat anstellen wollen.

72

In der Klageerwiderung (Bl. 16 ff. GA) hat der Beklagte im Wesentlichen den Sachverhalt dargestellt und seine Rechtsauffassung wiederholt, dass sein Schreiben vom 15.09.2009 kein Verwaltungsakt sei.

73

Im Schriftsatz vom 11.11.2011 (Bl. 127 GA) hat er erklärt, „in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens und in Abwägung der Interessenlage“ bleibe er bei der Entscheidung, dass ein Anlass für ein bauaufsichtliches Einschreiten nicht vorliege, weil keine Ermächtigungsgrundlage für ein Einschreiten gegeben sei. Ein bauaufsichtliches Einschreiten wäre geboten, wenn die „Aussichtsterrasse“ und die Stützmauer rechtswidrig errichtet worden wären bzw. der bauliche Zustand der Stützmauer eine konkrete, akute Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellen würde; beides sei aber nicht der Fall. Der im verwaltungsgerichtlichen Verfahren hinsichtlich der Stützmauer vorgelegte Standsicherheitsnachweis belege, dass die Stützmauer für sich betrachtet nicht geeignet sei, auf das Grundstück des Klägers einen Druck auszuüben. Daraus ergibt sich, dass der Beklagte weiterhin die Voraussetzungen für ein bauaufsichtliches Einschreiten verneint hat, auch wenn er von der „Ausübung pflichtgemäßen Ermessens“ gesprochen hat. Zudem hat der Beklagte im Schriftsatz vom 16.01.2012 (letzter Bl. 164 GA) erklärt, dass er den Antrag des Klägers auf bauaufsichtliches Einschreiten bisher noch nicht beschieden, sondern lediglich seine Rechtsauffassung in behördlichen Schreiben dargelegt habe.

74

Im Schriftsatz vom 28.11.2012 (Bl. 247 f. GA), der nach Vorliegen des Sachverständigengutachtens vom 19.11.2012 gefertigt wurde, hat der Beklagte ausgeführt, er schätze ein, dass dem Kläger in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens und in Abwägung der Interessenlage der Betroffenen kein Anspruch auf ein bauaufsichtliches Einschreiten zustehe, weil in diesem konkreten Fall derzeit keine akute Gefährdung bzw. eine spürbar nachteilige Beeinträchtigung des Klägers vorliege, die ein sofortiges bauaufsichtliches Einschreiten seitens des Beklagten rechtfertigen würde. Auch dies lässt nicht mit der gebotenen Klarheit erkennen, dass der Beklagte damit einen – neuen
oder geänderten – Ablehnungsbescheid erlassen und die erforderlichen Ermessenserwägungen nachschieben wollte. Zudem ist er wie zuvor davon ausgegangen, dass nach diesem Sachverständigengutachten die Stützmauer die erforderliche eigene Standsicherheit besitze, was aber weiterhin nicht abschließend geklärt ist.

75

Die im Berufungsverfahren eingereichte Erwiderung vom 03.09.2014 (Bl. 473 GA) enthält wiederum nur prozessuales Vorbringen. Darin hat der Beklagte zunächst unter Bezugnahme auf die Ausführungen des Senats im PKH-Verfahren vorgetragen, dass keine Ermessensreduzierung auf Null und damit kein Anspruch des Klägers auf bauaufsichtliches Einschreiten bestehe. Im Folgenden hat er sich mit den Erfolgsaussichten des Hilfsantrages befasst.

76

II. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 155 Abs. 1 Satz 1, 154 Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO. Da die Beigeladenen in beiden Rechtszügen Sachanträge gestellt haben, sind ihnen neben dem Beklagten im Umfang ihres Unterliegens anteilig die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 20. Aufl., § 154 RdNr. 8). Ferner entspricht es der Billigkeit im Sinne von § 162 Abs. 3 VwGO, die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen nur im Umfang ihres Obsiegens für erstattungsfähig zu erklären.

77

III. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

78

IV. Die Revision wird nicht zugelassen, da die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht gegeben sind.


Urteilsbesprechung zu Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt Urteil, 18. Feb. 2015 - 2 L 22/13

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(1) Wenn ein Beteiligter teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jedem Teil zur Hälfte zur Last. Einem Beteili

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 114


Soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht auch, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens übersch

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 75


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Verwaltungsakt ist jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Allgemein

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(1) Ein Verwaltungsakt ist nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist. (2) Ohne Rücksicht auf das Vorliegen der Voraussetzungen d

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 121


Rechtskräftige Urteile binden, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist,1.die Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger und2.im Fall des § 65 Abs. 3 die Personen, die einen Antrag auf Beiladung nicht oder nicht fristgemäß gestellt haben.

Referenzen - Urteile

Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt Urteil, 18. Feb. 2015 - 2 L 22/13 zitiert oder wird zitiert von 7 Urteil(en).

Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt Urteil, 18. Feb. 2015 - 2 L 22/13 zitiert 4 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt Beschluss, 22. Juli 2013 - 2 M 82/13

bei uns veröffentlicht am 22.07.2013

Gründe I. 1 Der Antragsteller wendet sich gegen eine für sofort vollziehbar erklärte Anordnung des Antragsgegners vom 09.01.2013 zur Beseitigung eines Nebengebäudes auf dem Grundstück der Gemarkung A-Stadt, Flur A, Flurstücke 38/60 und 38/61 (B

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Beschluss, 11. Mai 2011 - 8 S 93/11

bei uns veröffentlicht am 11.05.2011

Tenor Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 9. Dezember 2010 - 13 K 4360/10 - geändert. Der Antrag wird abgelehnt Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen. De

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 22. Juli 2009 - 11 S 1622/07

bei uns veröffentlicht am 22.07.2009

Tenor Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 23. Juni 2006 – 11 K 434/06 – wird zurückgewiesen. Die Kläger tragen die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der außergerich

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 18. Dez. 2006 - 12 S 2474/06

bei uns veröffentlicht am 18.12.2006

Tenor Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 20. April 2005 - 16 K 3626/04 - wird zurückgewiesen. Die Kosten des gerichtskostenfreien Berufungsverfahrens trägt der Beklagte. Die Revision wird nicht
3 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt Urteil, 18. Feb. 2015 - 2 L 22/13.

Verwaltungsgericht München Urteil, 03. Apr. 2019 - M 9 K 16.3579

bei uns veröffentlicht am 03.04.2019

Tenor I. Die Klage wird abgewiesen. II. Die Kläger haben als Gesamtschuldner die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen. III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollst

Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt Beschluss, 15. Aug. 2018 - 2 M 65/18

bei uns veröffentlicht am 15.08.2018

Gründe I. 1 Die Antragsteller begehren vom Antragsgegner ein bauaufsichtliches Einschreiten gegen die Errichtung eines Carports auf dem Grundstück des Beigeladenen in Form einer Baueinstellungsverfügung. 2 Mit Bescheid vom 05.04.2013 erteilte

Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt Beschluss, 21. Juni 2016 - 2 L 53/14

bei uns veröffentlicht am 21.06.2016

Gründe I. 1 Die Kläger begehren ein Einschreiten des Beklagten gegen eine Schießsportanlage. 2 Mit Bescheid vom 04.03.2009 erteilte der Beklagte der Gemeinde E. eine Genehmigung nach § 4 BImSchG für die Errichtung und den Betrieb einer Schieß

Referenzen

Ist über einen Widerspruch oder über einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden, so ist die Klage abweichend von § 68 zulässig. Die Klage kann nicht vor Ablauf von drei Monaten seit der Einlegung des Widerspruchs oder seit dem Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts erhoben werden, außer wenn wegen besonderer Umstände des Falles eine kürzere Frist geboten ist. Liegt ein zureichender Grund dafür vor, daß über den Widerspruch noch nicht entschieden oder der beantragte Verwaltungsakt noch nicht erlassen ist, so setzt das Gericht das Verfahren bis zum Ablauf einer von ihm bestimmten Frist, die verlängert werden kann, aus. Wird dem Widerspruch innerhalb der vom Gericht gesetzten Frist stattgegeben oder der Verwaltungsakt innerhalb dieser Frist erlassen, so ist die Hauptsache für erledigt zu erklären.

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 9. Dezember 2010 - 13 K 4360/10 - geändert. Der Antrag wird abgelehnt

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 5.000,-- EUR festgesetzt.

Gründe

 
I.
Der Antragsteller ist Eigentümer eines Grundstücks, das im Geltungsbereich der Ortsbausatzung der Antragsgegnerin vom 25.06.1935 (Baustaffel 8) sowie einer Erhaltungssatzung für Gebiete der Städtebaulichen Gesamtanlagen vom 16.06.1988 liegt. Es ist mit einer 2½ geschossigen “Stadtvilla“ bebaut, deren Errichtung eine Baugenehmigung vom 04.08.1908 mit Nachtragsbaugenehmigung vom 22.01.1909 zugrunde liegt. In den damals genehmigten Bauzeichnungen reicht das Erdgeschoss an der Rückseite des Gebäudes teilweise über das Obergeschoss hinaus (Anbau); daneben sind eine überdachte Veranda und eine Terrasse eingezeichnet. Am 02.11.1992 erteilte die Antragsgegnerin unter Befreiung von Vorschriften der Ortsbausatzung über Flächenausnützung, Gebäudetiefe und Nutzungsart eine Baugenehmigung zur Nutzung und zum Umbau als städtisches Chemisches Institut einschließlich einer Erweiterung des Anbaus auf den Flächen der ehemals genehmigten Veranda und Terrasse. Am 03.07.2001 erteilte sie ihre Zustimmung und eine Genehmigung nach der Erhaltungssatzung zur Erweiterung und zum Umbau des Gebäudes im ersten Obergeschoss, insbesondere durch Aufstockung des Anbaus mit einem verglasten “Pausenraum“ nebst Balkon.
Der Antragsteller hat das Grundstück 2008 von der Antragsgegnerin erworben und möchte das Gebäude als Rechtsanwaltskanzlei nutzen. Auf seinen Bauantrag vom 25.02.2009 erteilt die Antragsgegnerin ihm am 21.07.2009 unter Abweichung von § 5 Abs. 1 LBO sowie Befreiung von Vorschriften der Ortsbausatzung über Flächenausnützung, Gebäudetiefe und -höhe und Summe der Seitenabstände sowie unter verschiedenen Auflagen und Bedingungen für den Baubeginn eine Baugenehmigung sowie eine Genehmigung nach der Erhaltungssatzung für Umbau und Nutzungsänderung in ein Wohn-/Bürogebäude mit zehn Kfz-Stellplätzen. Im genehmigten Grundriss des Erdgeschosses sind eine Innenwand und die drei Außenwände des Anbaus, soweit sie nicht durch Fenster und Türen unterbrochen werden, grau und rot dargestellt. In den Grundrissen für das Ober- und Dachgeschoss sind im Anbau ein vergrößerter “Pausenraum“ nebst Balkon und darüber ein weiterer Balkon vorgesehen. Durch Wegfall von Dachschrägen soll der Anbau außerdem erhöht werden. Nachdem der von der Antragsgegnerin mit der bautechnischen Prüfung beauftragte Ingenieur am 11.03.2010 u.a. bestätigt hatte, dass die vom Bauherrn vorgelegte Ausführungsplanung der Baugenehmigung entspreche, erteilte die Antragsgegnerin am 12.03.2010 den Baufreigabeschein.
In einem Aktenvermerk über eine Ortsbesichtigung am 13.04.2010 stellte die Antragsgegnerin fest, der Anbau sei komplett abgerissen und teilweise seien neue Außenwände errichtet worden. Mit Bescheid vom selben Tag verfügte sie daraufhin gegenüber dem Antragsteller die Einstellung der Bauarbeiten im Bereich des Anbaus auf der Ostseite des Gebäudes. Ferner drohte sie dem Antragsteller für den Fall der Fortsetzung der Bauarbeiten die Versiegelung der Baustelle an und gab ihm auf, die zur Beurteilung des begonnenen Vorhabens notwendigen Bauvorlagen vorzulegen. Der Abbruch des Anbaus weiche von der Baugenehmigung ab. Die Abweichung sei nicht nach § 50 LBO verfahrensfrei und verstoße nach vorläufiger Prüfung gegen Vorschriften der Ortsbausatzung über Flächenausnützung, Gebäudetiefe sowie Summe der Seitenabstände und gegen § 5 LBO. Mit seinem Widerspruch, über den noch nicht entschieden ist, macht der Antragsteller unter Hinweis auf Schreiben seines Architekten vom 28.04. und 23.06.2010 sowie eine gutachtliche Stellungnahme eines anderen Architekten vom 16.09.2010 geltend, der Anbau sei nicht vollständig abgebrochen worden. Sein Unterbau mit Fundament, Bodenplatte und Sockelmauerwerk sei weiterhin vorhanden und lediglich saniert worden. Nur aufsteigende Außenwände seien erneuert worden, weil sie infolge Durchfeuchtung und Alterung ihrer Bauteile keine ausreichende Tragfähigkeit für die genehmigte Aufstockung des Anbaus hätten. Die Erneuerung der Außenwände sei in den Plänen dargestellt, die dem Prüfingenieur vorgelegen hätten.
Auf Antrag des Antragstellers hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 07.12.2010 die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs angeordnet. Der Antrag sei zulässig und begründet. Es bestünden erhebliche Bedenken an der Rechtmäßigkeit der Baueinstellung. Zwar sei der Antragsteller von der erteilten Baugenehmigung insoweit abgewichen, als die in den Planunterlagen als Bestand eingetragenen Wände des Anbaus mit der Decke abgebrochen und die Wände fast vollständig neu errichtet worden seien. Diese Abweichung sei bei summarischer Prüfung aber verfahrensfrei, weil es sich um Instandhaltungsarbeiten i. S. des § 50 Abs. 4 LBO handele. Damit entfalle auch die Grundlage für die Androhung der Versiegelung der Baustelle.
Mit ihrer Beschwerde beantragt die Antragsgegnerin,
den Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 09.12.2010 - 13 K 4360/10 - zu ändern und den Antrag abzulehnen.
Abbruch und Erneuerung der Außenwände seien nicht verfahrensfrei, insbesondere keine Instandhaltungsarbeiten i. S. des § 50 Abs. 4 LBO. Dagegen spreche schon, dass mit dem Abbruch des Anbaus der Bestandsschutz dieses selbständigen Gebäudeteils entfallen sei.
Der Antragsteller beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
10 
Er verteidigt den angefochtenen Beschluss. Der Anbau könne nicht isoliert betrachtet werden, da er in den Umbau des Gesamtgebäudes einbezogen sei und für sich allein baulich nicht bestehen könnte.
11 
Wegen der Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze, die beigezogenen Akten der Antragsgegnerin und die Gerichtsakten verwiesen.
II.
12 
A. Die Beschwerde ist zulässig (§§ 146, 147 VwGO) und begründet. Die in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe zwingen zur Änderung des angegriffenen Beschlusses und zur Ablehnung des Antrags auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der angefochtenen Verfügung, soweit sie Gegenstand des Eilverfahrens ist (1.), das entgegenstehende Aufschubinteresse des Antragstellers, weil diese Verfügung insoweit mit hoher Wahrscheinlichkeit rechtmäßig ist (2.).
13 
1. Die Verfügung vom 13.04.2010 ist bei sachdienlicher Auslegung des Antragsbegehrens (§ 122 Abs. 1 i.V.m. § 88 VwGO) nur insoweit Gegenstand des Antrags auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO, als sie die Einstellung der Bauarbeiten anordnet und für den Fall der Fortsetzung dieser Arbeiten die Versiegelung der Baustelle androht. Denn nur insoweit entfällt kraft Gesetzes nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 64 Abs. 1 Satz 3 LBO, § 12 LVwVG die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs. In Bezug auf die - nicht schon kraft Gesetzes vollziehbare - weitere Anordnung, die zur Beurteilung des begonnenen Vorhabens notwendigen Bauvorlagen vorzulegen, ist die sofortige Vollziehung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO) nicht angeordnet. Der Antragsteller hat insoweit auch keinen faktischen Vollzug geltend gemacht.
14 
2. Die Einstellung der Bauarbeiten (a)) und die Androhung der Versiegelung (b)) sind mit hoher Wahrscheinlichkeit rechtmäßig.
15 
a) Nach § 64 Abs. 1 Satz 1 LBO kann die Baurechtsbehörde die Einstellung von Arbeiten anordnen, wenn Anlagen im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet oder abgebrochen werden. Dies gilt nach § 64 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 a) LBO insbesondere, wenn bei der Ausführung eines Vorhabens von der erteilten Baugenehmigung abgewichen wird, es sei denn die Abweichung ist nach § 50 verfahrensfrei. In diesem Fall sichert die Baueinstellung die strikte Durchsetzung der formellen Genehmigungspflicht nach § 49 LBO und die damit bezweckte Ordnungsfunktion des Genehmigungsverfahrens. Zugleich beugt sie der Schaffung vollendeter Tatsachen vor. Anlass für ihre Anordnung kann mithin der bloße Verstoß gegen die formelle Genehmigungspflicht sein, ohne dass die Baurechtsbehörde verpflichtet ist, auch die materielle Rechtmäßigkeit des Bauens zu prüfen (VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 01.07.1970 - II 274/67 - BRS 23 Nr. 203; Sauter, Landesbauordnung für Baden-Württemberg, 3. Auflage, § 64 Rn. 1 m.w.N.). Ausreichend ist ein durch Tatsachen belegter "Anfangsverdacht". Es genügt, dass objektiv konkrete Anhaltspunkte vorliegen, die es als wahrscheinlich erscheinen lassen, dass ein mit der Rechtsordnung unvereinbarer Zustand geschaffen wird. Die Errichtung einer formell baurechtswidrigen (ungenehmigten) Anlage darf demgemäß vorbeugend gestoppt werden, wenn ihre Genehmigungsbedürftigkeit jedenfalls ernstlich zweifelhaft ist (VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 10.12.1993 - 3 S 507/93 - VBlBW 1994, 196; vgl. auch Senatsbeschlüsse vom 20.09.1988 - 8 S 2171/88 - juris und vom 28.06.2010 - 8 S 708/10 - ESVGH 61, 34 ). Die Anordnung der Baueinstellung steht im Entschließungs- und Auswahlermessen der Baurechtsbehörde, das sie pflichtgemäß (§ 40 LVwVfG) auszuüben hat.
16 
aa) Die Tatbestandsvoraussetzungen nach § 64 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 a) LBO sind erfüllt. Der Antragsteller ist bei der Ausführung seines Vorhabens von der am 21.07.2009 erteilten Baugenehmigung abgewichen und diese abweichende Bauausführung ist nicht nach § 50 LBO verfahrensfrei.
17 
aaa) Die Abweichung liegt darin, dass der Antragsteller eine Innenwand, die drei Außenwände und die Decke des Anbaus abgebrochen und damit begonnen hat, neue Wände zu errichten. Diese Baumaßnahmen sind weder Gegenstand des Bauantrags vom 25.02.2009 noch der Baugenehmigung vom 21.07.2009. Im genehmigten Grundriss des Erdgeschosses vom 18.02.2009 sind eine Innenwand und die drei Außenwände des Anbaus, soweit sie nicht durch Fenster und Türen unterbrochen werden, grau und rot dargestellt, also als vorhandene (bleibende) Bauteile sowie als neues Mauerwerk (§ 6 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 und 3 LBOVVO in der bei Einreichung und Genehmigung des Bauantrags noch geltenden a.F.). Lediglich das durch Vergrößerung alter oder Einbau neuer Fenster wegfallende Mauerwerk der alten Außenwände und eine weitere Innenwand (zwischen “Spülküche“ und “Chemielager“ des ehemaligen Chemischen Instituts) sind als zu beseitigende Bauteile gelb dargestellt (§ 6 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 LBOVVO). Der Einwand des Antragstellers, die Erneuerung der Außenwände sei in den Konstruktionsplänen dargestellt, die nach Erteilung der Baugenehmigung zur Erteilung des Baufreigabescheins eingereicht worden seien und dem Prüfingenieur vorgelegen hätten, greift schon deshalb nicht durch, weil für diese abweichende Ausführung des Bauvorhabens keine (Nachtrags-/Änderungs-) Baugenehmigung erteilt worden ist. Eine solche Genehmigung liegt insbesondere nicht in der Erteilung des Baufreigabescheins (§ 59 Abs. 1 LBO). Denn damit wird lediglich festgestellt, dass die in der Baugenehmigung für den Baubeginn enthaltenen Auflagen und Bedingungen erfüllt sind (§ 59 Abs. 1 Satz 2 LBO), und die Ausführung des Bauvorhabens - durch Aufhebung des mit der Genehmigungspflicht verbundenen präventiven Bauverbots - nur im Umfang der zuvor erteilten Baugenehmigung freigegeben. Dementsprechend hat die Antragsgegnerin den Baufreigabeschein erteilt, nachdem der beauftragte Prüfingenieur am 11.03.2010 u.a. bestätigt hatte, dass die Ausführungsplanung der Baugenehmigung entspricht. Ob diese Bestätigung unzutreffend war - darauf könnte evtl. die Telefonnotiz über ein Gespräch mit dem Büro des Prüfingenieurs (Bauakte, Blatt 56) hindeuten, in der es heißt “In Schalplan sind neue Wände eingetragen als KSV-Wände“ - kann deshalb offen bleiben.
18 
bbb) Die abweichende Bauausführung ist, wie die Beschwerdebegründung im Ansatz zutreffend einwendet, nicht nach § 50 LBO verfahrensfrei, insbesondere nicht als Instandhaltungsarbeiten i. S. des § 50 Abs. 4 LBO.
19 
(1) Fraglich erscheint bereits, ob die mit der abweichenden Bauausführung verbundenen Baumaßnahmen überhaupt als Instandhaltungsarbeiten i.S. des § 50 Abs. 4 LBO angesehen werden können, wie der Antragsteller und ihm folgend das Verwaltungsgericht annehmen.
20 
Der mit der LBO-Novelle 1995 in Anlehnung an die Musterbauordnung, die Bauproduktenrichtlinie sowie § 5 BauPG übernommene Begriff “Instandhalten“ (§ 2 Abs. 12 Nr. 1 LBO) umfasst die bis dahin in der Landesbauordnung verwendeten Begriffe Instandsetzung und Unterhaltung (LT-Drucks. 11/5337 S. 78). Dies sind bauliche Maßnahmen zur Erhaltung des bestimmungsgemäßen Gebrauchs einer Anlage oder ihrer baulichen Substanz, um die durch Abnutzung, Alterung oder Witterungseinflüsse entstandenen baulichen und sonstigen Mängel ordnungsgemäß zu beseitigen, ohne die Identität der Anlage einschließlich ihres Nutzungszwecks zu ändern (Senatsurteil vom 27.01.1987 - 8 S 3427/86 - juris sowie VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 07.12.1983 - 3 S 2040/83 - juris; Sauter, a.a.O. § 2 Rn. 130 sowie § 50 Rn. 227; vgl. auch OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 15.01.2009 - 3 L 124/08 - NordÖR 2009, 134 und 179). Daran fehlt es, wenn die Baumaßnahmen ihrer Qualität nach so intensiv sind, dass sie die Standfestigkeit der Anlage berühren, so dass eine statische Nachberechnung der gesamten Anlage erforderlich wird, oder wenn der Arbeitsaufwand seiner Quantität nach den für eine neue Anlage erreicht oder gar übersteigt. Dabei kann auch das teilweise Auswechseln tragender Gebäudeteile im Einzelfall eine Instandsetzungs- oder Unterhaltungsmaßnahme sein, etwa wenn beschädigte Mauerteile eines Gebäudes nur zu einem Viertel bis einem Drittel der alten Bausubstanz erneuert werden (Senatsurteil vom 27.01.1987, a.a.O.). Instandhaltungsarbeiten sind zudem von der “Errichtung“ und dem “Ändern“ (§ 2 Abs. 12 Nr. 1 LBO) einer baulichen Anlage abzugrenzen, also insbesondere vom Wiederaufbau nach Zerstörung sowie von An- und Umbauten oder Abweichungen im äußeren Erscheinungsbild (vgl. Sauter, a.a.O. § 2 Rn. 126, 128).
21 
Gemessen daran erscheint zweifelhaft, ob Abriss und Wiederaufbau der aufsteigenden Wände des Anbaus sowie von dessen Decke noch als Instandhaltungsarbeiten angesehen werden können. Zwar mag es sein, dass das Mauerwerk der Wände wegen Durchfeuchtung und Alterung zur Erhaltung des bestimmungsgemäßen Gebrauchs des Anbaus und seiner baulichen Substanz erneuerungsbedürftig war, wie dies in den Stellungnahmen des Architekten des Antragstellers beschrieben wird. Auch könnte sich der Umfang des erneuerten Mauerwerks möglicherweise noch in dem vom Senat im Urteil vom 27.01.1987 (a.a.O.) bezeichneten Rahmen von einem Viertel bis zu einem Drittel alter Bausubstanz halten. Bezugsanlage dürfte insoweit nicht nur - wie die Antragsgegnerin meint - der Anbau, sondern das Hauptgebäude zusammen mit dem Anbau sein, da die Räume des Anbaus nach den in der Vergangenheit erteilten Baugenehmigungen funktional in das Hauptgebäude integriert waren, der Anbau also gerade kein selbständiges Gebäude (§ 2 Abs. 2 LBO) war (vgl. Sauter, a.a.O. § 2 Rn. 37). Zudem hat die Antragsgegnerin eingeräumt, dass die Erneuerung der Außenwände des Anbaus keine statische Neuberechnung des Gesamtgebäudes erfordert. Gleichwohl dürfte die Identität des Gesamtgebäudes nicht mehr gewahrt sein. Zum einen führt der vollständige Abriss und Wiederaufbau der aufsteigenden Außenwände des Anbaus zu Abweichungen im äußeren Erscheinungsbild. Zum anderen spricht gegen eine bloße Instandhaltung der in den Stellungnahmen des Architekten des Antragstellers angedeutete Umstand, dass die Erneuerung der Außenwände gerade auch durch die genehmigten Änderungen und Umbauten im Ober- und Dachgeschoss und die damit einhergehende, jedoch offenbar erst nachträglich erkannte Notwendigkeit bedingt ist, die Tragfähigkeit der Außenwände des Anbaus im Erdgeschoss zu erhöhen. Denn damit bezweckt die Erneuerung der Außenwände qualitativ wohl mehr als nur den Erhalt der baulichen Substanz des Anbaus in seiner bisherigen Bestimmung.
22 
(2) Aber selbst wenn es sich um Instandhaltungsarbeiten i. S. des § 50 Abs. 4 LBO handeln sollte, wären sie hier jedenfalls deshalb nicht i. S. des § 64 Abs. 1 Nr. 3 a) LBO “nach § 50 verfahrensfrei“, weil sie als unselbständiger Teil einer gleichzeitig ausgeführten genehmigungspflichtigen Änderung des gesamten Gebäudes und nicht als selbständiges Vorhaben ausgeführt werden sollen, das auch noch nach Fertigstellung des genehmigten Bauvorhabens jederzeit verfahrensfrei vorgenommen werden könnte (vgl. Sauter, a.a.O: § 64 Rn. 12).
23 
Die Genehmigungsplicht eines Vorhabens nach § 49 Abs. 1 LBO erstreckt sich auch auf verfahrensfreie Anlagen oder Einrichtungen, soweit sie unselbständige Teile dieses Vorhabens sind. Denn handelt es sich tatsächlich um ein einheitliches Vorhaben, dann ist auch in rechtlicher Hinsicht nur eine einheitliche Behandlung und Entscheidung möglich (VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 24.09.1979 - III 1553/79 - juris; Sauter, a.a.O. § 49 Rn. 21). Dementsprechend erfasst die Verfahrensfreiheit nach § 50 Abs. 1 LBO nur selbständige Einzelvorhaben (Sauter, a.a.O. § 50 Rn. 4 m.w.N.). Für Instandhaltungsarbeiten i. S. des § 50 Abs. 4 LBO kann grundsätzlich nichts Anderes gelten, da auch insoweit nur eine einheitliche Behandlung und Entscheidung möglich ist. Sie sind deshalb ebenfalls genehmigungspflichtig, wenn sie unselbständiger Teil eines einheitlichen genehmigungspflichtigen Gesamtvorhabens sind (so auch schon Senatsurteil vom 27.01.1987, a.a.O.). Zwar ist es an sich Sache des Bauherrn, durch seinen Bauantrag festzulegen, was das Vorhaben und damit der zu beurteilende Verfahrensgegenstand sein soll (vgl. § 29 baugb> BVerwG, Urteil vom 04.07.1980 - 4 C 99.77 - DÖV 1980, 921; im Anschluss daran auch OVG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 29.06.2007 - 3 L 368/04 - NordÖR 2007, 458). Unter diesem Blickwinkel könnte man die Äußerungen des Antragstellers im Widerspruchs- und Eilverfahren möglicherweise so verstehen, dass er Abriss und Wiederaufbau der aufsteigenden Wände des Anbaus sowie von dessen Decke als gesondertes eigenständiges Vorhaben abtrennen möchte. Eine derartige subjektive Trennung ist materiell-rechtlich jedoch nur erheblich, wenn ihr objektive Gegebenheiten nicht entgegenstehen (vgl. BVerwG, Urteil vom 04.07.1980, a. a. O.). Mit anderen Worten, was nach objektiven Kriterien baulich und funktional zusammengehört, kann nicht willkürlich auf Grund einer Willensentscheidung des Bauantragstellers in Einzelteile zerlegt werden (Senatsurteil vom 25.11.2009 - 8 S 2038/08 -; vgl. auch VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 27.07.1998 - 3 S 1935/98 - juris). So liegt es hier. Abriss und Wiederaufbau der aufsteigenden Wände des Anbaus sowie von dessen Decke sind objektiv sowohl baulich als auch funktional Teil der genehmigungspflichtigen (Nutzungs-)Änderung des gesamten Gebäudes, insbesondere der beabsichtigten Aufstockung des Anbaus. Sie sollen und können nicht unabhängig von der Fertigstellung des genehmigten Gesamtvorhabens ausgeführt werden.
24 
Die Frage, ob die abweichend von der Baugenehmigung ausgeführten und noch auszuführenden Baumaßnahmen aus Gründen des Bestandsschutzes als Reparatur-, Instandhaltungs- oder Modernisierungsmaßnahmen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 20.03.1981 - 4 B 195.80 - NVwZ 1982, 38 m.w.N.; siehe auch BVerwG, Urteil vom 17.01.1986 - 4 C 80.82 - BVerwGE 72, 362 <363> m.w.N.) rechtmäßig sind, ist in diesem Zusammenhang unerheblich. Denn sie ist eine solche des materiellen und nicht auch des formellen (Bau-)Rechts. Insbesondere gebietet Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG nicht, solche noch vom Bestandsschutz umfassten Baumaßnahmen von vornherein verfahrensfrei zu stellen (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 07.12.1983, a.a.O.).
25 
bb) Die Baueinstellung dürfte auch ermessensfehlerfrei, insbesondere nicht unverhältnismäßig sein. Sie stützt sich tragend auf den Gesichtspunkt der formellen Illegalität sowie die Erwägung, dass die abweichende Bauausführung nach vorläufiger Prüfung zu Verstößen gegen Vorschriften der Ortsbausatzung sowie § 5 LBO führe, so dass die Fortsetzung der Bauarbeiten einen rechtswidrigen Zustand verfestigen und Rechtsschutzmöglichkeiten des Angrenzers verkürzen könnte. Dies alles entspricht dem Zweck von § 64 LBO und erscheint auch sonst sachgerecht. Zwar ist derzeit nicht völlig auszuschließen, dass sich die abweichende Bauausführung bei weiterer Überprüfung doch noch als Reparatur-, Instandhaltungs- oder Modernisierungsmaßnahme herausstellt, auch wenn dafür aus den oben genannten Gründen derzeit wenig spricht. In diesem Fall könnte sie sich trotz der von der Antragsgegnerin bezeichneten Rechtsverstöße aus Gründen des Bestandsschutzes möglicherweise als genehmigungsfähig erweisen. Zu einer solchen abschließenden Prüfung der materiellen Rechtslage ist die Antragsgegnerin vor Erlass der Baueinstellung aber nicht verpflichtet. Dem ist - ebenso wie der zugleich aufgeworfenen Frage, ob die erteilte Baugenehmigung, soweit sie (nur) Umbau und Aufstockung des alten Anbaus zulässt, durch den Abbruch der aufsteigenden Außenwände und der Decke des Anbaus möglicherweise gegenstandslos geworden ist (vgl. Sauter, a.a.O. § 64 Rn. 13) - im Verfahren zur Erteilung einer (Änderungs-/Nachtrags-) Baugenehmigung nachzugehen.
26 
b) Die Androhung der Versiegelung der Baustelle nach § 64 Abs. 2 LBO als spezialgesetzlich geregelter Fall der Anwendung unmittelbaren Zwangs (VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 07.09.1981 - 3 S 1274/81 - juris) findet ihre Rechtsgrundlage in § 20 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 und Abs. 3 Satz 1 i. V. m. § 2 Nr. 2 LVwVG sowie § 64 Abs. 1 Satz 3 LBO. Rechtliche Bedenken sind insoweit weder geltend gemacht noch ersichtlich.
27 
B. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG (entsprechend der Wertfestsetzung in erster Instanz).
28 
Der Beschluss ist unanfechtbar.

Rechtskräftige Urteile binden, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist,

1.
die Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger und
2.
im Fall des § 65 Abs. 3 die Personen, die einen Antrag auf Beiladung nicht oder nicht fristgemäß gestellt haben.

(1) Ein Verwaltungsakt ist nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist.

(2) Ohne Rücksicht auf das Vorliegen der Voraussetzungen des Absatzes 1 ist ein Verwaltungsakt nichtig,

1.
der schriftlich oder elektronisch erlassen worden ist, die erlassende Behörde aber nicht erkennen lässt;
2.
der nach einer Rechtsvorschrift nur durch die Aushändigung einer Urkunde erlassen werden kann, aber dieser Form nicht genügt;
3.
den eine Behörde außerhalb ihrer durch § 3 Abs. 1 Nr. 1 begründeten Zuständigkeit erlassen hat, ohne dazu ermächtigt zu sein;
4.
den aus tatsächlichen Gründen niemand ausführen kann;
5.
der die Begehung einer rechtswidrigen Tat verlangt, die einen Straf- oder Bußgeldtatbestand verwirklicht;
6.
der gegen die guten Sitten verstößt.

(3) Ein Verwaltungsakt ist nicht schon deshalb nichtig, weil

1.
Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit nicht eingehalten worden sind, außer wenn ein Fall des Absatzes 2 Nr. 3 vorliegt;
2.
eine nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bis 6 ausgeschlossene Person mitgewirkt hat;
3.
ein durch Rechtsvorschrift zur Mitwirkung berufener Ausschuss den für den Erlass des Verwaltungsaktes vorgeschriebenen Beschluss nicht gefasst hat oder nicht beschlussfähig war;
4.
die nach einer Rechtsvorschrift erforderliche Mitwirkung einer anderen Behörde unterblieben ist.

(4) Betrifft die Nichtigkeit nur einen Teil des Verwaltungsaktes, so ist er im Ganzen nichtig, wenn der nichtige Teil so wesentlich ist, dass die Behörde den Verwaltungsakt ohne den nichtigen Teil nicht erlassen hätte.

(5) Die Behörde kann die Nichtigkeit jederzeit von Amts wegen feststellen; auf Antrag ist sie festzustellen, wenn der Antragsteller hieran ein berechtigtes Interesse hat.

Gründe

I.

1

Der Antragsteller wendet sich gegen eine für sofort vollziehbar erklärte Anordnung des Antragsgegners vom 09.01.2013 zur Beseitigung eines Nebengebäudes auf dem Grundstück der Gemarkung A-Stadt, Flur A, Flurstücke 38/60 und 38/61 (Breiteweg 63) und zur Entsorgung des dadurch anfallenden Bauschutts. Der Antragsgegner begründete die Anordnung u.a. damit, dass das grenzständige Gebäude einsturzgefährdet sei. Eigentümer dieses Grundstücks ist Herr T., der das Grundstück mit notariellem Kaufvertrag vom 19.06.2012 an Herrn D. veräußerte. Dieser wiederum verkaufte das Grundstück mit notariellem Vertrag vom 06.07.2012 an den Antragsteller weiter. Nach beiden Kaufverträgen geht der Besitz am Kaufgegenstand jeweils Zug um Zug mit der Kaufpreiszahlung auf den Käufer über. Der Antragsgegner hatte inhaltsgleiche Beseitigungsanordnungen mit Bescheid vom 09.11.2012 an den Eigentümer und mit Bescheid vom 08.01.2013 an den Zwischenerwerber gerichtet, die dagegen jeweils Widerspruch erhoben.

2

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung des vom Antragsteller erhobenen Widerspruchs wiederhergestellt und zur Begründung ausgeführt:

3

Der Antragsteller sei für den Zustand des in Rede stehenden Gebäudes voraussichtlich nicht verantwortlich. Nach summarischer Prüfung scheide insbesondere eine Inanspruchnahme als Inhaber der tatsächlichen Gewalt aus. Vom Inhaber der tatsächlichen Gewalt dürfe keine Einwirkung auf die Sache gefordert werden, zu der er dem Eigentümer gegenüber nicht berechtigt sei. Da der Antragsteller den Kaufpreis noch nicht gezahlt habe, sei der Besitz an dem Grundstück nach dem Inhalt des Kaufvertrages noch nicht auf ihn übergegangen. Es bestünden auch keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass er unabhängig vom Kaufvertrag Inhaber der tatsächlichen Sachherrschaft über das fragliche Gebäude geworden sei. Er sei lediglich Mieter eines Raumes in einem Nebengebäude. Der Umstand, dass er auf dem Grundstück zeitweise ein Wohnmobil abgestellt habe und über einen Schlüssel verfüge, der ihm einen Zugang zum Grundstück ermögliche, genüge nicht. Selbst wenn der Verkäufer dem Antragsteller das Recht eingeräumt haben sollte, das Grundstück bereits vor dem vertraglich geregelten Besitzübergang zu betreten, sei damit nicht das Recht verbunden, in die Gebäudesubstanz einzugreifen oder das Gebäude vollständig abzureißen.

II.

4

A. Die zulässige Beschwerde des Antragsgegners ist begründet. Die von ihm dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, gebieten die Änderung der erstinstanzlichen Entscheidung.

5

Das Verwaltungsgericht hat zu Unrecht die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Beseitigungsanordnung wiederhergestellt. Anders als die Vorinstanz hält der Senat die Anordnung nach summarischer Prüfung nicht für offensichtlich rechtswidrig; vielmehr ist offen, ob sich die Anordnung im Widerspruchs- und in einem ggf. nachfolgenden verwaltungsgerichtlichen Hauptsacheverfahren als rechtsmäßig erweisen wird (1.). Die danach vorzunehmende Abwägungsentscheidung fällt zulasten des Antragstellers aus (2.).

6

1. Der Widerspruch des Antragstellers und eine ggf. nachfolgende Anfechtungsklage werden aller Voraussicht nach nicht schon deshalb Erfolg haben, weil der Antragsgegner den Antragsteller vor Erlass der angefochtenen Verfügung voraussichtlich nicht den Anforderungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 VwVfG LSA i.V.m. § 28 Abs. 1 VwVfG entsprechend anhörte. Ein solcher Mangel kann gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 VwVfG LSA i.V.m. § 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 VwVfG bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden. Die nachgeholte Anhörung besteht darin, dass der Adressat durch die angefochtene Verfügung von den entscheidungserheblichen Tatsachen Kenntnis erlangt und zugleich durch die Belehrung darüber, dass gegen die Verfügung Widerspruch erhoben werden kann, Gelegenheit erhalten hat, sich zu diesen Tatsachen zu äußern; ein besonderer Hinweis der Behörde auf die Äußerungsmöglichkeit ist dabei nicht erforderlich (vgl. BVerwG, Beschl. v. 17.07.1986 – 7 B 6.86 –, NJW 1987, 143, RdNr. 3 in Juris, m.w.N.)

7

Ob die Beseitigungsanordnung materiell rechtmäßig ist, lässt sich hingegen im Rahmen der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nur möglichen summarischen Prüfung nicht zuverlässig beurteilen.

8

Nach § 57 Abs. 2 BauO LSA haben die Bauaufsichtsbehörden u.a. bei der Instandhaltung von Anlagen darüber zu wachen, dass die öffentlich-rechtlichen Vorschriften und die aufgrund dieser Vorschriften erlassenen Anordnungen eingehalten werden, soweit nicht andere Behörden zuständig sind. Sie können in Wahrnehmung dieser Aufgaben die erforderlichen Maßnahmen treffen. Gemäß § 3 Abs. 1 BauO LSA sind Anlagen so instand zu halten, dass die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere Leben, Gesundheit und die natürlichen Lebensgrundlagen, nicht gefährdet werden. Voraussetzung für einen bauaufsichtlichen Eingriff nach § 57 Abs. 2 Satz 2 BauO LSA ist das Vorliegen einer konkreten Gefahr im Sinne der Reglungen des allgemeinen Polizei und Ordnungsrechts (vgl. Jäde, in: Jäde/Dirnberger, Bauordnungsrecht Sachsen-Anhalt, § 3 RdNr. 4, mw.N.). Eine konkrete Gefahr im ordnungsrechtlichen Sinne wird in § 3 Nr. 3 a) SOG LSA definiert als eine Sachlage, bei der im einzelnen Falle die hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass in absehbarer Zeit ein Schaden für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung eintreten wird. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.

9

Insbesondere entspricht das in Rede stehende Nebengebäude nicht mehr den Anforderungen des § 3 Abs. 1 Satz 1 BauO LSA, wodurch eine konkrete Gefahrenlage entstanden ist. Nach der vom Antragsgegner eingeholten gutachterlichen Stellungnahme vom 17.11.2012 ist nach dem Einsturz der Dachkonstruktion, von Teilen der der Wand im Dachgeschoss und der Geschossdecken die Standsicherheit des Gebäudes nicht mehr gegeben. Eine Sanierung sei nicht möglich, so dass empfohlen werde, das Gebäude sofort abzureißen.

10

Die Gefahr des (weiteren) Einsturzes des Gebäudes bzw. von Gebäudeteilen und die damit einhergehende Gefahr für Leben und Gesundheit der sich auf dem Grundstück und dem Nachbargrundstück aufhaltenden Menschen sowie die Gefährdung auf dem Nachbargrundstück errichteter Anlagen dürfte auch nicht dadurch entfallen sein, dass der Antragsgegner Ende November 2012 im Wege der unmittelbaren Ausführung einen Teil der zum Nachbargrundstück zeigenden einsturzgefährdeten Außenwand abtragen ließ. Mit dieser Maßnahme sollte damit nur die seinerzeit unmittelbar drohende Gefahr, dass Teile dieser Wand auf den auf dem Nachbargrundstück vorhandenen Wintergarten herabstürzen, abgewendet werden. Nach der Aktennotiz vom 19.11.2012 (Bl. 133 des Verwaltungsvorgangs) wurde in Absprache mit dem Statiker entschieden, den akut einsturzgefährdeten Teil der Außenwand und ggf. weitere Teile des Gebäudes abzubrechen. Da die gutachterliche Stellungnahme das gesamte Gebäude als nicht mehr standsicher einschätze, ist davon auszugehen, dass auch nach dem Teilabtrag weiterhin eine Einsturzgefahr für das gesamte Gebäude besteht. Wie bereits erörtert, genügt für ein bauaufsichtliches Einschreiten nach § 57 Abs. 2 Satz 2 BauO LSA eine konkrete Gefahr. Eine gegenwärtige Gefahr im Sinne von § 3 Nr. 3 c) SOG LSA, bei der das schädigende Ereignis bereits begonnen hat oder unmittelbar oder in allernächster Zeit mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit bevorsteht, muss nicht bestehen.

11

Ob der Antragsgegner den Antragsteller gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 SOG LSA zu Recht als Inhaber der tatsächlichen Gewalt herangezogen hat, ist indes nach gegenwärtigem Sach- und Streitstand offen.

12

Tatsächliche Gewalt über eine Sache umfasst den unmittelbaren Besitz im Sinne des § 854 BGB einschließlich der Gewalthabe des Besitzdieners nach § 855 BGB. Ein Besitzerwerbswille ist nicht erforderlich. Tatsächliche Gewalt an einer Sache setzt eine gewisse Dauer der Beziehung, räumliche Zugänglichkeit und die Möglichkeit voraus, zu jeder Zeit und beliebig auf die Sache einzuwirken. Maßgeblich sind die Verkehrsauffassung und eine zusammenfassende Würdigung aller Umstände (vgl. zum Ganzen: NdsOVG, Beschl. v. 26.02.2008 – 1 ME 4/08 –, Juris, RdNr. 15, m.w.N.). Daher kommt es nicht (allein) auf die Rechtsbeziehungen an, sondern maßgeblich auf die tatsächliche Beziehung einer Person zu einer Sache (vgl. OVG NW, Urt. v. 13.05.1976 – X A 1076/74 –, OVGE MüLü 32, 44).

13

Ob der Antragsteller zu dem abzubrechenden Gebäude eine die tatsächliche Sachherrschaft begründende Beziehung hat, lässt sich nach Aktenlage nicht zuverlässig einschätzen.

14

Dem Verwaltungsgericht dürfte darin beizupflichten sein, dass allein der Besitz von Schlüsseln zu dem zum Grundstück führenden Tor nicht ausreichen dürfte. Anders läge der Fall, wenn der Grundstückseigentümer dem Antragsteller die Schlüssel zu dem Zweck übergeben haben sollte, das Grundstück bereits vor dem im Kaufvertrag bestimmten Zeitpunkt in Besitz zu nehmen. Dafür bestehen aber bislang keine genügenden Anhaltpunkte. Der Antragsteller hat vielmehr erstinstanzlich vorgetragen, dass ihm die Nachbarin die Schlüssel übergeben habe, um Erschließungsarbeiten an dem von ihm genutzten Gebäudeteil durchführen zu können.

15

Eine tatsächliche Sachherrschaft über das Grundstück könnte sich allerdings aus weiteren Umständen ergeben, etwa wenn der Antragsteller über einen längeren Zeitraum nach außen als derjenige aufgetreten sein sollte, der die Sachherrschaft über das Grundstück insgesamt ausübt (vgl. NdsOVG, Beschl. v. 26.02.2008, a.a.O., RdNr. 16). Zwar hat der Antragsgegner vorgetragen, dass der Antragsteller während mehrerer Ortstermine Bediensteten der Bauaufsichtsbehörde und Mitarbeitern von Baufirmen sowie Statikern Zutritt zum Grundstück verschafft und ein Kamerateam der Sendung „Escher – Der MDR-Ratgeber“ auf das Grundstück geleitet habe. Zudem habe er Mitarbeitern der mit dem Teilabbruch beauftragen Baufirma die umfassende Nutzung des Hofbereichs zum Abstellen von Geräten nicht gestattet. Den vom Antragsgegner vorgelegten Verwaltungsvorgängen lässt sich aber nur entnehmen, dass der Antragsteller an dem Ortstermin vom 01.10.2012 teilnahm. Auch hat der Antragsteller im erstinstanzlichen Verfahren bestritten, der vom Antragsgegner beauftragten Baufirma das Abstellen von Geräten untersagt zu haben. All diese Umstände bedürfen der näheren Aufklärung im Hauptsacheverfahren, ggf. durch Befragen der beteiligten Personen als Zeugen.

16

Seiner Inanspruchnahme als Inhaber der tatsächlichen Gewalt wird der Antragsteller voraussichtlich nicht entgegenhalten können, ihm werde mit der Beseitigung der Bausubstanz etwas rechtlich Unmögliches abverlangt, weil er dazu dem Eigentümer gegenüber nicht berechtigt sei.

17

Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Beschl. v. 24.07.1998 – 4 B 69.98 –, NVwZ-RR 1999, 147 [148], RdNr. 3 in Juris; Beschl. v. 25.01.2000 – 3 B 1.00 –, Buchholz 451.221 § 36 KrW/AbfG Nr. 2, RdNr. 9 in Juris; Urt. v. 28.04.1972 – IV C 42.69 –, BVerwGE 40, 101 [103), RdNr. 31 in Juris), dass Miteigentum oder die sonstige Nebenberechtigung eines Dritten nicht die Rechtmäßigkeit der nicht auch an ihn gerichteten Beseitigungs- oder Ordnungsverfügung berührt, sondern nur ein Vollzugshindernis bildet, das nachträglich durch eine gegen den Dritten gerichtete Verfügung ausgeräumt werden kann, wenn dieser mit der angeordneten Maßnahme nicht einverstanden ist. Nichts anderes gilt, wenn der Inhaber der tatsächlichen Gewalt in Anspruch genommen wird (vgl. OVG RP, Beschl. v. 19.05.2010 – 8 A 10162/10 –, Juris). Dafür spricht insbesondere auch, dass nach der systematischen Anordnung der Absätze 1 und 2 des § 8 SOG LSA und nach seinem Wortlaut eine vorrangige Verantwortlichkeit des Inhabers der tatsächlichen Gewalt gegenüber dem Eigentümer nahe liegt (vgl. Beschl. d. Senats v. 11.02.2008 – 2 M 4/08 –, NVwZ-RR 2008, 615, RdNr. 9 in Juris). Eine Inanspruchnahme des Inhabers der tatsächlichen Gewalt und eine damit verbundene effektive Gefahrenabwehr würden in vielen Fällen scheitern, wenn Voraussetzung dafür wäre, dass dem Ordnungspflichtigen mit der Beseitigungs- oder Ordnungsverfügung keine Maßnahmen aufgegeben werden dürfen, die in Rechte des Eigentümers eingreifen. Diese Rechte sind dadurch geschützt, dass auch eine solche Anordnung nur vollzogen werden kann, wenn der Eigentümer sein Einverständnis zu dem beabsichtigten Eingriff erklärt hat oder ihm gegenüber eine Duldungsanordnung ergangen ist. Dabei reicht es aus, wenn sich das Einverständnis aus den Umständen ergibt (vgl. BayVGH, Beschl. v. 14.08.2003 – 22 ZB 03.1661 –, Juris, RdNr. 27 f.). Im konkreten Fall dürfte genügen, dass der Antragsgegner auch gegenüber dem Eigentümer als nach § 8 Abs. 2 SOG LSA Verantwortlichem eine für sofort vollziehbar erklärte Beseitigungsanordnung erließ, die dieser im Wesentlichen mit der Begründung angefochten hat, es sei ihm aufgrund des Verkaufs rechtlich verwehrt, der Verfügung nachzukommen (vgl. den Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 20.12.2012, Bl. 272 f. des Verwaltungsvorgangs). Entsprechendes gilt für mögliche Eingriffe in Rechte des Zwischenerwerbers. Auch bestehen gegen die Inanspruchnahme sowohl des Eigentümers als auch des Inhabers der tatsächlichen Gewalt keine durchgreifenden Bedenken (vgl. hierzu Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, S. 303).

18

Die Beseitigungsanordnung dürfte entgegen dem Vorbringen des Antragstellers im erstinstanzlichen Verfahren auch nicht deshalb (ermessens-)fehlerhaft sein, weil der Antragsgegner im Wege der unmittelbaren Ausführung lediglich einen Teil der zum Nachbargrundstück zeigenden Außenwand, nicht aber das Gebäude insgesamt beseitigen ließ. Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 SOG LSA können die Sicherheitsbehörden eine Maßnahme selbst oder durch einen beauftragten Dritten unmittelbar ausführen, wenn der Zweck der Maßnahme durch Inanspruchnahme der nach den §§ 7 oder 8 Verantwortlichen nicht oder nicht rechtzeitig erreicht werden kann. Mit dem Teilabriss sollte – wie bereits dargelegt – die akute, also seinerzeit gegenwärtige Gefahr des Herabstürzens von Gebäudeteilen auf das Nachbargrundstück beseitigt werden. Dieser Zweck konnte durch eine Inanspruchnahme des oder der Verantwortlichen nicht rechtzeitig erreicht werden. Dagegen war zumindest zweifelhaft, ob die Voraussetzungen einer unmittelbaren Ausführung bezüglich des Gebäudeabrisses insgesamt vorlagen. Für die unmittelbare Ausführung einer Maßnahme ohne vorherigen Erlass einer – ggf. für sofort vollziehbar erklärten – Grundverfügung muss aufgrund eines akuten Gefahrenzustands bzw. einer unmittelbar bevorstehenden Gefahr eine sofortige Abhilfe derart geboten sein, dass mit der Anordnung und Durchführung von Maßnahmen zur Gefahrenabwehr im gestreckten Vollzug nicht zugewartet werden kann; dabei ist insbesondere eine sofort vollziehbare Verfügung in Betracht zu ziehen, die je nach Gefahrenintensität und Eilbedürftigkeit inhaltlich entsprechend dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit abzustufen ist (vgl. OVG RP, Urt. v. 25.03.2009 – 1 A 10632/08 –, NVwZ-RR 2009, 746 [747], RdNr. 24 in Juris). Um dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu entsprechen, durfte deshalb der Antragsgegner die unmittelbare Ausführung auf die oberen Wandteile beschränken, von denen eine gegenwärtige (akute) Gefahr ausging, und die Beseitigung des insgesamt nicht mehr standsicheren Gebäudes im Übrigen dem bzw. den Zustandsverantwortlichen aufgeben.

19

Der Antragsgegner war voraussichtlich auch nicht gehalten, die Verpflichtung zur Beseitigung des Gebäudes dergestalt zu beschränken, dass die Mauer bis auf eine Höhe von 2 m als Grenzmauer bestehen bleiben kann. Schlüssig erscheint der diesbezügliche Vortrag des Antragsgegners, dass wegen des Gebäudezustands ein geordneter Abtrag nicht möglich wäre, ein Stehenlassen der Außenwand in Höhe von 2 m aufgrund des technologisch notwendigen Vorgehens mit einem erhöhten Aufwand verbunden wäre und die Beseitigung der gesamten Wand, verbunden mit der Errichtung einer neuen Einfriedung, wesentlich kostengünstiger wäre.

20

Schließlich dürfte nicht zu beanstanden sein, dass der Antragsgegner dem Antragsteller auch die Beseitigung der beim Abbruch anfallenden Schuttmassen aufgab. Es spricht Überwiegendes dafür, dass auch diese Maßnahme nach § 57 Abs. 2 Satz 2 BauO LSA erforderlich ist, weil der Zustand eines Grundstücks nach Abbruch eines Gebäudes regelmäßig gegen die Anforderungen des § 3 Abs. 1 Satz 1 BauO LSA verstößt, der für die Beseitigung baulicher Anlagen nach § 3 Abs. 4 BauO LSA sinngemäß gilt (vgl. Beschl. d. Senats v. 20.10.2004 – 2 M 483/04 –, JMBl LSA 2006, 366; vgl. auch OVG NW, Urt. v. 03.02.1994 – 10 A 1149/91 –, NVwZ-RR 1995, 247 [249]; SächsOVG, Urt. v. 20.08.2008 – 1 B 186/07 –, BauR 2009, 970, RdNr. 28 in Juris). Damit soll verhindert werden, dass im Rahmen der Befolgung des Abbruchgebots ein neuer ordnungswidriger Zustand entsteht (vgl. Hess. VGH, Beschluss vom 22.03.2000 – 4 TG 4287/99 –, DÖV 2001, 565, RdNr. 14 in Juris; OVG Bremen, Beschl. v. 13.01.1995 – 1 B 140/94 –, Juris; VG Dessau, Beschl. v. 29.07.2005 – 1 B 163/05 –, Juris, RdNr. 18). Dem kann der Antragsteller wiederum nicht entgegenhalten, er sei nicht Eigentümer des anfallenden Bauschutts und damit zivilrechtlich nicht befugt, die Materialien zu entsorgen. Wie oben bereits dargelegt, können Rechte des Grundstückseigentümers lediglich ein Vollzugshindernis darstellen, das die Rechtmäßigkeit der an den Inhaber der tatsächlichen Gewalt gerichteten Beseitigungsanordnung nicht in Frage stellt.

21

2. Bei der danach gemäß § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmenden Abwägung überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Beseitigungsanordnung das private Interesse des Antragstellers, die Anordnung bis zu einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht befolgen zu müssen. Die Gefahr, dass weitere Gebäudeteile einstürzen und möglicherweise auf das Nachbargrundstück fallen, kann nicht bis zu einer Klärung der Verantwortlichkeit für das Gebäude in einer (rechtskräftigen) Entscheidung in der Hauptsache hingenommen werden. Dem kann der Antragsteller nicht mit Erfolg entgegenhalten, dass durch den Teilabriss einer Außenwand die Gefahr für Leib und Leben Dritter bis auf weiteres beseitigt sei, so dass auch die Anordnung des Sofortvollzuges nicht erforderlich gewesen sei. Wie oben bereits erörtert, ist das Gebäude nach der gutachterlichen Stellungnahme vom 17.11.2012 insgesamt nicht mehr standsicher. Angesichts des instabilen Zustands des Gebäudes insgesamt kann vom Antragsgegner nicht verlangt werden, eine Hauptsacheentscheidung abzuwarten oder mit dem Sofortvollzug zuzuwarten, bis die festgestellte konkrete Gefahr erneut in eine gegenwärtige (akute) Gefahr umschlägt.

22

Auch ist nicht ersichtlich, dass der Antragsteller oder der bisherige Eigentümer das einsturzgefährdete Gebäude erhalten möchten, um es später ggf. zu sanieren. Es geht ihnen in erster Linie oder sogar ausschließlich darum, nicht als Verantwortliche in Anspruch genommen zu werden.

23

Angesichts der konkreten Gefahrenlage und des fehlenden Erhaltungsinteresses des Antragstellers und des Eigentümers steht der hier vorgenommenen Interessenabwägung auch nicht entgegen, dass mit der dem Antragsteller aufgegebenen Beseitigung vollendete Tatsachen geschaffen werden, die im Falle eines Obsiegens im Hauptsacheverfahren nicht mehr rückgängig gemacht werden können.

24

B. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.


(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

Verwaltungsakt ist jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Allgemeinverfügung ist ein Verwaltungsakt, der sich an einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis richtet oder die öffentlich-rechtliche Eigenschaft einer Sache oder ihre Benutzung durch die Allgemeinheit betrifft.

Soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht auch, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Die Verwaltungsbehörde kann ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen.

Tenor

Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 23. Juni 2006 – 11 K 434/06 – wird zurückgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Die Kläger, abgelehnte Asylbewerber ungeklärter Staatsangehörigkeit aus dem früheren Jugoslawien, begehren die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen aus humanitären Gründen und die Ausstellung von Reiseausweisen für Ausländer.
Die am … 1969 in Skopje geborene Klägerin zu 1 reiste am 19.11.1991 mit ihren am … 1989 bzw. … 1991 in Rijeka geborenen Söhnen, den Klägern zu 2 und zu 3, in das Bundesgebiet ein und beantragte am 21.11.1991 für sich und ihre Kinder die Anerkennung als Asylberechtigte. Der damalige Lebensgefährte der Klägerin zu 1 und Vater der Kinder war bereits zuvor nach Deutschland eingereist. Der am ... 1992 in Mannheim geborene Kläger zu 4 wurde in das Asylverfahren seiner Mutter mit einbezogen.
Mit Bescheid vom 04.11.1994 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) - Bundesamt - die Asylanträge der Kläger ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG nicht vorliegen und das bezüglich der Kläger zu 1, 3 und 4 keine Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG vorliegen. Bezüglich des Klägers zu 2 stellte es fest, dass die Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 AuslG hinsichtlich Kroatiens und allen Ländern vorliegen, die keinen mit Deutschland vergleichbaren medizinischen Standard besitzen, um die Therapierung seiner Hemmkörperhämophilie zu gewährleisten. Im Übrigen wurden Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG auch bezüglich des Klägers zu 2 verneint. Allen Klägern wurde die Abschiebung nach Kroatien angedroht. Die Feststellung zu § 53 Abs. 6 AuslG wurde am 23.11.1994 bestandskräftig.
Auf die Klagen der Kläger zu 1, 3 und 4 hat das Verwaltungsgericht Karlsruhe mit Urteil vom 18.06.1996 - A 6 K 14843/94 - die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet, hinsichtlich dieser Kläger das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 4 AuslG festzustellen. Im Übrigen hat es die Klagen abgewiesen. Auf die Berufung des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten hat der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg mit Beschluss vom 11.02.1998 - 14 S 1679/97 - das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und die Klagen insgesamt abgewiesen.
Der Aufenthalt der Kläger wurde in der Folgezeit geduldet. Der Lebensgefährte der Klägerin zu 1 und Vater der Kläger zu 2 - 4 wurde 1997 nach Makedonien abgeschoben. Die Kläger haben zu ihm keinen Kontakt mehr.
Mit Schreiben vom 10.09.2001 und vom 29.08.2002 wurden die Kläger aufgefordert, sich in das Staatsangehörigkeitsregister „ihres Heimatlandes“ eintragen zu lassen. Die Klägerin zu 1 übersandte daraufhin eine Bestätigung der Botschaft der Republik Makedonien vom 05.09.2002, dass sie einen Antrag auf Festlegung der makedonischen Staatsangehörigkeit gestellt habe. Mit weiterem Schreiben legte sie eine Bestätigung der Botschaft der Republik Makedonien vom 05.12.2003 vor, wonach sie keine Staatsbürgerin der Republik Makedonien ist. Mit Schreiben vom 15.06.2004 teilten die makedonischen Behörden dem Regierungspräsidium Karlsruhe auf dessen Ersuchen vom 27.05.2004 mit, dass einer Rückübernahme der Klägerin zu 1 nicht zugestimmt werde, da diese keine makedonische Staatsangehörige sei und sich bereits 1988 nach Kroatien abgemeldet habe.
Das Generalkonsulat der Republik Kroatien in Stuttgart teilte dem Regierungspräsidium Karlsruhe am 12.07.2004 mit, dass es über keinerlei Angaben verfüge, ob die Kläger kroatische Staatsbürger seien.
Am 11.08.2004 beantragten die Kläger die Erteilung von Aufenthaltsbefugnissen und mit Schreiben vom 17.12.2004 die Ausstellung von Reisedokumenten, hilfsweise von Ausweisersatzpapieren. Zur Begründung trugen sie vor, hinsichtlich des Klägers zu 2 lägen die Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 AuslG vor. Bei den übrigen Klägern ergebe sich ein Abschiebungshindernis aus Art. 8 EMRK, da sie mit dem Kläger zu 2 in familiärer Gemeinschaft lebten. Weder Makedonien noch ein anderer Nachfolgestaat des früheren Jugoslawien sei bereit, ihnen Reisepässe auszustellen. Ihre Passbeschaffungsbemühungen seien erfolglos geblieben.
Mit Bescheid vom 27.06.2005 lehnte die Beklagte die Anträge auf Erteilung von Aufenthaltsbefugnissen gemäß § 30 AuslG bzw. Aufenthaltserlaubnissen gemäß § 25 AufenthG und Reisedokumenten, hilfsweise von Ausweispapieren, ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Kläger hätten sich nicht hinreichend um Eintragung in ein Staatsangehörigkeitsregister bemüht. Da ihre Staatsangehörigkeit nicht geklärt sei, sei auch ihre Identität ungeklärt (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 a AufenthG).
10 
Am 15.05.2005 legten die Kläger Widerspruch ein und führten zur Begründung aus, sie hätten hinreichende Passbeschaffungsbemühungen unternommen. Außer zu Makedonien und zu Kroatien hätten sie keine Beziehungen zu Nachfolgestaaten Jugoslawiens. Ihre Identität sei durch den früheren jugoslawischen Reisepass der Klägerin zu 1 und durch die Geburtsurkunden der Kläger zu 2 - 4 geklärt. Eine Abschiebung aller Kläger sei nach Art. 8 EMRK unzulässig, da in der Person des Klägers zu 2 ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 AuslG bestehe.
11 
Am 17.07.2005 teilten die makedonischen Behörden dem Regierungspräsidium Karlsruhe auf dessen Ersuchen mit, dass einer Rückübernahme der Klägerin zu 1 - als in Makedonien geborene Drittstaatsangehörige -, nicht hingegen einer Rückübernahme der übrigen Kläger zugestimmt werde.
12 
Mit Schreiben vom 03.08.2005 forderte die Beklagte die Klägerin zu 1 auf, sich beim Generalkonsulat von Serbien und Montenegro in Stuttgart einen Pass zu besorgen und ihre Kinder in das Staatsangehörigkeitsregister eintragen zu lassen. Das Generalkonsulat bestätigte mit Schreiben vom 13.10.2005, dass die Klägerin zu 1 am 13.10.2005 einen Antrag auf Beschaffung der Dokumente von den zuständigen Behörden in Serbien und Montenegro /Rekonstruktion der Eintragung in das Staatsbürgerregister gestellt habe. Mit Schreiben vom 25.11.2005 teilte das Generalkonsulat der Klägerin zu 1 mit, dass sie ausweislich der Auskunft des zuständigen Registerstandesamts Nis nicht im Staatsangehörigkeitsregister eingetragen sei.
13 
Mit Widerspruchsbescheid vom 25.01.2006 wies das Regierungspräsidium Karlsruhe die Widersprüche der Kläger mit der Begründung zurück, die Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 AufenthG lägen nicht vor. Die Feststellung zu § 53 Abs. 6 AuslG stehe zwar derzeit formal einer Aufenthaltsbeendigung entgegen. Fraglich sei jedoch, ob dies auch bei einer freiwilligen Ausreise der Fall sei. Jedenfalls könne nicht ausgeschlossen werden, dass mit dem Wegfall möglicherweise jetzt bestehender Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit zu rechnen sei. Die medizinische Versorgung in Kroatien habe sich gegenüber 1994 verbessert und es erscheine möglich, dass der Kläger zu 2 in Kroatien eine angemessene Versorgung erhalten könne.
14 
Am 10.02.2006 haben die Kläger beim Verwaltungsgericht Karlsruhe Klage erhoben mit den Anträgen, die Verfügung der Beklagten vom 27.06.2005 und den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 25.01.2006 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihnen Aufenthaltserlaubnisse zu erteilen und Reisedokumente, hilfsweise Ausweisersatze auszustellen. Zur Begründung machen sie geltend, sie hätten ihre Passlosigkeit nicht zu vertreten. Ein aufnahmebereiter Staat stehe nicht zur Verfügung. Eine Behandlung der schweren Hemmkörperhämophilie sowie der chronischen Hepatitis B und C des Klägers zu 2 sei weder in Kroatien noch in einem der anderen Nachfolgestaaten Jugoslawiens möglich.
15 
Das Regierungspräsidium Karlsruhe teilte dem Gericht mit Schreiben vom 13.06.2006 mit, dass die kroatischen Behörden entgegen den Vereinbarungen im Rückübernahmeabkommen der Rückübernahme der Kläger nicht zugestimmt hätten. Die Klägerin zu 1 habe aber, wie aus einem Schreiben des Generalkonsulats der Republik Serbien vom 16.06.2006 hervorgehe, die Möglichkeit, einen Antrag auf Feststellung der serbischen Staatsangehörigkeit zu stellen, weil ihre Mutter aus Serbien stamme.
16 
Die Beklagte legte mit Schreiben vom 29.06.2006 eine beglaubigte Übersetzung der Bestätigung der Republik Serbien 04.04.2006 vor, wonach die Mutter der Klägerin zu 1 Staatsbürgerin der Republik Serbien sei. Außerdem wurde ein Auszug aus dem Geburtsregister vorgelegt, wonach die Mutter der Klägerin zu 1 am 01.10.1953 in Pristina geboren sei und am 16.12.1971 die Ehe mit M. M. in der Gemeinde Skopje geschlossen habe.
17 
Mit Urteil vom 23.06.2006 - 11 K 434/06 - hat das Verwaltungsgericht die Klagen als unbegründet abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Als Anspruchsgrundlage komme allein § 25 Abs. 5 AufenthG in Betracht, dessen Voraussetzungen nicht vorlägen, weil die Klägerin zu 1 für sich und ihre Kinder einen Antrag auf Feststellung der Staatsbürgerschaft beim Generalkonsulat der Republik Serbien stellen könne und diesem Antrag voraussichtlich auch stattgegeben werde, da die Republik Serbien die Staatsbürgerschaft der Mutter der Klägerin zu 1 bestätigt habe. Auch wenn die Kläger bislang nicht im jetzigen serbischen Staatsgebiet gelebt hätten, sei ihnen ein Zuzug dorthin zumutbar. Abschiebungshindernisse in Bezug auf Serbien seien nicht festgestellt und lägen auch nicht vor, da die Krankheit des Klägers zu 2 nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 29.03.2005 dort behandelbar sei und kostenfrei behandelt werde. Die Kläger hätten auch keinen Anspruch auf Ausstellung von Reisedokumenten oder Ausweisersatzpapieren.
18 
Am 05.03.2007 haben die Kläger bei der Ausländerbehörde der Beklagten die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen aufgrund der Bleiberechtsregelung der Innenministerkonferenz vom 17.11.2006 beantragt. Diese Anträge wurden nicht beschieden.
19 
Auf Antrag der Kläger hat der Senat mit Beschluss vom 11.07.2007 - 11 S 1892/06 - die Berufung zugelassen und den Klägern Prozesskostenhilfe für den zweiten Rechtszug bewilligt. Zur Begründung der Berufung tragen die Kläger im Wesentlichen vor: Die Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 AufenthG lägen vor. Sie hätten ihre Passlosigkeit nicht zu vertreten. Die Mutmaßung des Verwaltungsgerichts, sie könnten beim Generalkonsulat der Republik Serbien mit Aussicht auf Erfolg einen Antrag auf Feststellung der Staatsbürgerschaft stellen, sei unzutreffend. Zwar sei die Mutter der Klägerin zu 1 in Pristina geboren worden, sie sei jedoch nicht serbische Staatsangehörige gewesen. In dem Geburtsregister enthalte die Rubrik „Staatsangehörigkeit“ lediglich sechs Querstriche. Die Mutter sei am 17.03.2003 verstorben. In der am 24.03.2003 in Makedonien ausgestellten Sterbeurkunde werde als Staatsangehörigkeit der Mutter ein Eintrag in Form von drei Querstrichen vorgenommen. Die von der Beklagten vorgelegten Unterlagen seien widersprüchlich. Das Schreiben der Stadt Nis vom 04.04.2006 bestätige, dass die Mutter der Klägerin zu 1 aufgrund des Geburtenbuches als Staatsbürgerin eingetragen sei; das Geburtenbuch selbst weise jedoch ausdrücklich keine Staatsangehörigkeit aus. Die Kläger zu 2 - 4 seien zudem faktische Inländer, sie beherrschten die serbokroatische Sprache nicht. Eine Ausreise nach Serbien sei ihnen nicht zumutbar. Die Behandlung der Hemmkörperhämophilie des Klägers zu 2 sei in keinem der Nachfolgestaaten Jugoslawiens kostenfrei möglich; zudem fehle es an einem mit Deutschland vergleichbaren medizinischen Standard. Die jährlichen Behandlungskosten beliefen sich auf knapp 180.000 EUR. Der Kläger zu 2 habe zwischenzeitlich zudem einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG. Er sei Vater des am 31.10.2007 in Mannheim geborenen deutschen Kindes N. S..
20 
Die Kläger beantragen,
21 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 23. Juni 2006 - 11 K 434/06 - zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheids vom 27. Juni 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 25. Januar 2006 zu verpflichten, ihnen Aufenthaltserlaubnisse aus humanitären Gründen zu erteilen und Reiseausweise für Ausländer, hilfsweise Ausweisersatze auszustellen, sowie ferner, die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.
22 
Die Beklagte beantragt,
23 
die Berufung zurückzuweisen.
24 
Sie erwidert, der Kläger zu 2 sei nunmehr volljährig und nicht mehr auf die Fürsorge seiner Mutter angewiesen. Er sei zudem zwischenzeitlich mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten. Mit Urteil des Amtsgerichts Mannheim vom 03.05.2007 sei er wegen einer gemeinschaftlichen schweren Körperverletzung unter Einbeziehung einer vorangegangenen Verurteilung wegen gemeinschaftlichen Raubes u.a. zu einer Jugendstrafe von 20 Monaten verurteilt worden. Er erfülle damit den Ausweisungstatbestand des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG. Die bisherigen strafrechtlichen Verfehlungen rechtfertigten gemäß § 5 Abs. 3 AufenthG nicht ein Absehen von § 5 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG. Der Kläger zu 2 habe keinen Schulabschluss und sei keiner Beschäftigung nachgegangen. Er lebe nach dem Lustprinzip und vertraue auf die regelmäßige Sozialhilfe. Aufgrund dieser Lebenseinstellung komme ein Absehen von der Regelerteilungsvoraussetzung der Sicherung des Lebensunterhalts nicht in Betracht. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 AufenthG lägen bei allen Klägern nicht vor. Sie könnten abgeleitet von der Mutter der Klägerin zu 1 die serbische Staatsangehörigkeit erwerben und in den Besitz serbischer Pässe gelangen. Entsprechende Bemühungen seien ihnen zumutbar.
25 
Mit Beschluss vom 03.06.2009 hat der Senat das Land Baden-Württemberg, vertreten durch das Regierungspräsidium Karlsruhe, zum Verfahren beigeladen. Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt. Er trägt vor, die Identität und die Staatsangehörigkeit der Kläger seien bislang nicht geklärt. Die Klägerin zu 1 habe keine Bemühungen um Feststellung der serbischen Staatsbürgerschaft nachgewiesen. Zwischenzeitlich sei den Klägern auch die Eintragung in das kosovarische Staatsangehörigkeitsregister möglich. Die Kläger zu 2 - 4 erfüllten Ausweisungstatbestände, die der Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nach § 25 Abs. 5 AufenthG entgegenstünden.
26 
Die bezüglich der Klägerin zu 1 sowie der Kläger zu 3 und zu 4 eingeholten Auskünfte aus dem Bundeszentralregister enthalten keine Eintragung. Der Kläger zu 2 ist ausweislich der Auskunft aus dem Zentralregister vom 16.06.2009 strafrechtlich wie folgt in Erscheinung getreten:
27 
1. AG Mannheim, Urt. v. 07.11.2006: Gemeinschaftlicher Raub, Leistungserschleichung in zwei Fällen, versuchter Diebstahl in Tateinheit mit Unterschlagung, Diebstahl. Ein Jahr Jugendstrafe auf Bewährung.
28 
2. AG Mannheim, Urt. v. 03.05.2007: Gemeinschaftliche gefährliche Körperverletzung. 20 Monate Jugendstrafe unter Einbeziehung von Nr. 1. Dem lag folgender Sachverhalt zugrunde: Am 17.08.2006 gegen 6.00 Uhr morgens trafen der Kläger zu 2 und sein Mittäter nach einem Discothekenbesuch an einer Straßenbahnhaltestelle auf den Geschädigten T. N., der auf dem Weg zur Arbeit umsteigen wollte. Der Mittäter provozierte den Geschädigten, indem er mit einer brennenden Zigarette vor seinem Gesicht herumfummelte. Als der Geschädigte ihm die Zigarette wegnahm, fing der Mittäter an, diesen herumzuschubsen. Der Kläger zu 2 kam hinzu und stieß den Geschädigten mehrfach. Der Geschädigte fiel zu Boden; konnte sich aber wieder aufrappeln und versuchte, sich zu wehren. Der Kläger zu 2 und sein Mittäter schlugen nun gemeinsam auf den Geschädigten ein, bis dieser wieder zu Boden ging. Dann trat der Mittäter einmal mit den Füßen gegen den Kopf des Geschädigten, wodurch er ihn am Auge verletzte. Der Geschädigte trug ein Hämatom am Auge davon und seine Netzhaut wurde in Mitleidenschaft gezogen. Er war zwei Tage arbeitsunfähig. Bei der Strafzumessung wurde zugunsten des Klägers zu 2 sein Geständnis berücksichtigt. Er habe sich geständig, einsichtig und reumütig gezeigt. Auf der anderen Seite lägen schädliche Neigungen vor. Im Hinblick auf den schlechten Bewährungsverlauf habe die Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt werden können. Unter erheblichen Bedenken wurde die Entscheidung über die Aussetzung zur Bewährung für sechs Monate zurückgestellt.
29 
3. AG Mannheim, Strafbefehl vom 05.05.2008: Vorsätzliche Körperverletzung. 20 Tagessätze zu 10 EUR Geldstrafe. Dem lag folgender Sachverhalt zugrunde: Am 31.10.2007 kam es im Flur eines Krankenhauses zu Streitigkeiten zwischen dem Kläger zu 2 und der Geschädigten, in deren Verlauf er diese mit der flachen Hand ins Gesicht schlug und sie mit den Worten „Du Hure“ beleidigte.
30 
Der Kläger zu 2 verbüßt seit dem 16.06.2008 die mit Urteil vom 03.05.2007 verhängte Jugendstrafe. Zweidritteltermin war am 04.07.2009, Haftende ist der 25.01.2010.
31 
Die Kläger zu 3 und zu 4 wurden mit Urteil des Amtsgerichts Mannheim - Jugendgericht - vom 17.09.2008 wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung in zwei tateinheitlichen Fällen, der Kläger zu 4 darüber hinaus wegen Beleidigung in zwei Fällen, der Kläger zu 3 zusätzlich wegen Diebstahls verwarnt. Dem Kläger zu 4 wurde aufgegeben, an 24 Stunden nach Weisung des Stadtjugendamts unentgeltlich gemeinnützig zu arbeiten. Dem Kläger zu 3 wurde auferlegt, nach Weisung des Stadtjugendamts an einem kleinen sozialen Trainingskurs teilzunehmen. Beiden Klägern wurde aufgegeben, mit den Geschädigten einen Täter-Opfer-Ausgleich durchzuführen. Gegen beide Kläger wurde zudem ein Freizeitarrest verhängt.
32 
Die Klägerin zu 1 hat, nachdem ihr seit dem 09.06.2009 die Ausübung einer Erwerbstätigkeit allgemein gestattet ist, eine befristete Teilzeitanstellung als Reinigungskraft gefunden. Sie verdient ca. 700,-- EUR netto monatlich.
33 
Der Kläger zu 2 hat - für den Fall der Haftentlassung - für September 2009 einen Platz in der 9. Klasse in Aussicht, um den Hauptschulabschluss nachzuholen.
34 
Der Kläger zu 3 verließ die Hauptschule 2006 ohne Abschluss. Daran schloss sich ein Berufsvorbereitungsjahr an. Seit dem 02.04.2009 nimmt er am Bundesprojekt Kompetenzagentur mit dem Ziel der Reintegration in das Unterstützungssystem zur Erreichung eines Abschlusses bzw. einer Ausbildung teil.
35 
Der Kläger zu 4 erlangte 2007 den Hauptschulabschluss, absolvierte im Anschluss ein Berufsvorbereitungsjahr und strebt für das nächste Schuljahr den Besuch einer Realschule zur Erlangung des Realschulabschlusses an.
36 
Bereits mit Bescheid vom 19.03.2007 hat das Bundesamt die mit Bescheid vom 04.11.1994 bezüglich des Klägers zu 2 getroffene Feststellung, dass ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 AuslG vorliegt, widerrufen und festgestellt, dass keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 - 7 AufenthG vorliegen. Zur Begründung wurde ausgeführt, es müsse davon ausgegangen werden, dass der Kläger zu 2 staatenlos sei. Trotzdem könne er nach Kroatien zurückkehren. Eine adäquate Behandlung seiner Erkrankung in Kroatien sei nach der beim Auswärtigen Amt eingeholten Auskunft vom 10.11.2006 möglich. Die Kosten würden von der Krankenversicherung übernommen. Die hiergegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht Karlsruhe mit Urteil vom 13.02.2008 - A 4 K 343/07 - abgewiesen. Der erkennende Gerichtshof hat mit Beschluss vom 28.04.2008 - A 6 S 915/08 - die Berufung zugelassen, über die noch nicht entschieden wurde (- A 6 S 1160/08 -).
37 
In der Berufungsverhandlung ist dem Vertreter der Beklagten Gelegenheit gegeben worden, sein in § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG eingeräumtes Ermessen hinsichtlich des Absehens von den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen bezogen auf § 25 Abs. 5 AufenthG zu ergänzen und bezogen auf § 104 a AufenthG erstmals auszuüben. Hierzu wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
38 
Dem Senat liegen die einschlägigen Akten der Beklagten, des Regierungspräsidiums Karlsruhe und des Verwaltungsgerichts Karlsruhe sowie die Akten des 6. Senats im Berufungsverfahren A 6 S 1160/08 nebst Beiakten vor. Hierauf sowie auf die Gerichtsakten wird wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
I.
39 
Die Berufung ist nach Zulassung durch den Senat statthaft und auch sonst zulässig. Die Berufungsbegründungsschrift wurde form- und fristgemäß beim Verwaltungsgerichtshof eingereicht (vgl. § 124 a Abs. 6 Satz 1 und 2 VwGO) und entspricht auch inhaltlich den gesetzlichen Anforderungen (bestimmter Antrag, ausreichende Begründung; vgl. § 124 a Abs. 6 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 Satz 4 VwGO).
40 
Gegenstand der uneingeschränkt zugelassenen Berufung ist das gesamte Klagebegehren erster Instanz. Dies umfasst zunächst die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen aus humanitären Gründen nach § 25 AufenthG. Streitgegenstand des Berufungsverfahrens sind aber auch die erst nach Ergehen des erstinstanzlichen Urteils bei der Beklagten gestellten Anträge auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nach der Bleiberechtsregelung, da insoweit der Streitstoff identisch ist und ebenfalls ein humanitärer Aufenthaltszweck verfolgt wird. Der Streitgegenstand einer Klage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis wird bestimmt und begrenzt durch den Aufenthaltszweck, aus dem der Ausländer seinen Anspruch herleitet. Im vorliegenden Verfahren stützen die Kläger ihr Klagebegehren in tatsächlicher Hinsicht auf humanitäre Gründe, wie sie in Abschnitt 5 des Kapitels 2 des Aufenthaltsgesetzes normiert sind. Das Klagebegehren erfasst damit nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 43.06 - BVerwGE 129, 226 und Urt. v. 27.01.2009 - 1 C 40.07 - DVBl 2009, 650) auch die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nach der durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl I S. 1970) eingeführten und am 28. August 2007 in Kraft getretenen Altfallregelung des § 104 a AufenthG. Denn auch eine nach dieser Vorschrift erteilte Aufenthaltserlaubnis wird entweder als Aufenthaltserlaubnis nach § 23 AufenthG erteilt (§ 104 a Abs. 1 Satz 2 AufenthG) oder gilt zumindest als Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes104 a Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 2 AufenthG). Die Anträge auf Ausstellung von Reiseausweisen für Ausländer (vgl. § 5 AufenthV), hilfsweise Ausweisersatzpapieren (vgl. § 48 Abs. 4 AufenthG) werden von den Klägern, wie diese in der mündlichen Verhandlung klargestellt haben, ebenfalls weiterverfolgt. Nicht Streitgegenstand ist demgegenüber das Begehren des Klägers zu 2 auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG. Insoweit wird ein familiärer Aufenthaltszweck nach Abschnitt 6 des Kapitels 2 des Aufenthaltsgesetzes verfolgt; nach dem Trennungsprinzip (BVerwG, Urt. v. 04.09.2007, a.a.O.) handelt es sich um einen anderen Streitgegenstand. Der Vertreter des Klägers zu 2 hat in der Berufungsverhandlung zudem erklärt, dieses Begehren im vorliegenden Verfahren nicht zu verfolgen.
II.
41 
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klagen zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 27.06.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 25.01.2006 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger daher nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die Beklagte hat die Anträge der Kläger auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen aus humanitären Gründen sowie auf Ausstellung von Reiseausweisen für Ausländer, hilfsweise Ausweisersatzen, im Ergebnis zu Recht abgelehnt. Über die geltend gemachten Ansprüche ist unter Zugrundelegung der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Senat zu entscheiden (unten 1.). Der Kläger zu 2 hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach dem bei ihm vorrangig zu prüfenden § 25 Abs. 3 AufenthG (unten 2.) oder nach anderen Anspruchsgrundlagen (unten 3.). Die übrigen Kläger können die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen aus humanitären Gründen nach § 25 AufenthG ebenfalls nicht beanspruchen. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des bei ihnen allein in Betracht kommenden § 25 Abs. 5 AufenthG liegen nicht vor (unten 4). Die Kläger zu 1, zu 3 und zu 4 haben auch keinen Anspruch nach der Anordnung des Innenministeriums nach § 23 AufenthG über ein Bleiberecht für im Bundesgebiet wirtschaftlich und sozial integrierte ausländische Staatsangehörige vom 20. November 2006 (unten 5). Möglichen Ansprüchen nach § 104 a AufenthG steht jedenfalls entgegen, dass sie die allgemeine Erteilungsvoraussetzung der Passpflicht (§ 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG) nicht erfüllen (unten 6.). Schließlich steht sämtlichen Klägern kein Anspruch auf Ausstellung eines Reiseausweises oder Ausweisersatzes zu (unten 7.).
42 
1. Maßgeblich für die Beurteilung der von den Klägern verfolgten Verpflichtungsbegehren in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht ist insgesamt der Zeitpunkt der Berufungsverhandlung. Nach ständiger Rechtsprechung ist bei Verpflichtungsklagen auf Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels bei der Frage, ob eine Aufenthaltserlaubnis aus Rechtsgründen erteilt oder versagt werden muss, auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz abzustellen, soweit sich nicht aus dem materiellen Recht im Einzelfall Abweichendes ergibt (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.06.2004 - 1 C 20.03 - BVerwGE 121, 86 <88>; Senatsurteil vom 18.04.2007 - 11 S 1035/06 - AuAS 2007, 219). Gleiches gilt nach der jüngsten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 07.04.2009 - 1 C 17.08 - juris), der sich der Senat unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung (vgl. Urt. v. 18.04.2007, a.a.O.) anschließt, auch für die Überprüfung einer Ermessensentscheidung: In Anlehnung an seine Rechtsprechung zum maßgeblichen Zeitpunkt bei der Überprüfung einer Ermessensentscheidung im Falle der gerichtlichen Anfechtung einer Ausweisung (vgl. BVerwG, Urt. v. 15.11.2007 - 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20 <22 ff.>) geht das Bundesverwaltungsgericht nunmehr unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung davon aus, dass auch bei Klagen auf Erteilung bzw. Verlängerung eines Aufenthaltstitels für die Überprüfung der behördlichen Ermessensentscheidung auf den Zeitpunkt abzustellen ist, der für die gerichtliche Beurteilung der Anspruchsvoraussetzungen maßgeblich ist. Dies ist hier der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz.
43 
Nichts anderes ergibt sich vorliegend daraus, dass die Kläger noch unter Geltung des Ausländergesetzes die Erteilung von Aufenthaltsbefugnissen beantragt hatten. Die im Aufenthaltsgesetz getroffenen materiellen Übergangsregelungen (vgl. §§ 103 und 104), wonach das Ausländergesetz in bestimmten Fallkonstellationen über den 01.01.2005 hinaus auf Aufenthaltsansprüche Anwendung findet, erfassen den Fall von vor diesem Zeitpunkt geltend gemachten Ansprüchen auf Erteilung von Aufenthaltsbefugnissen nicht.
44 
2. Der Kläger zu 2 hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG.
45 
a) Nach § 25 Abs. 3 Satz 1 AufenthG soll einem Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 AufenthG vorliegt. Die Ausländerbehörde ist nach § 42 AsylVfG an eine positive oder negative Entscheidung des Bundesamts über das Vorliegen eines Abschiebungsverbots gebunden. Die Bindungswirkung erstreckt sich auch auf Feststellungen zu § 53 Abs. 6 AuslG, obwohl insoweit keine ausdrückliche Übergangsregelung erlassen worden ist (BVerwG, Urt. v. 27.06.2006 - 1 C 14.05 - BVerwGE 126, 192; Senatsurteil vom 06.04.2005 - 11 S 2779/04 - VBlBW 2005, 356; Burr in GK-AufenthG, § 25 Rn. 27; Hailbronner, AuslR, Kommentar, A 1 § 25 Rn. 49).
46 
Danach ist die Beklagte vorliegend an die im Bundesamtsbescheid vom 04.11.1994 getroffene Feststellung zu § 53 Abs. 6 AuslG gebunden. Dieser Bescheid ist nicht etwa mangels Bestimmtheit (vgl. § 37 Abs. 1 VwVfG) gemäß § 44 Abs. 1 VwVfG insgesamt nichtig. Allerdings erstreckt sich die Bindungswirkung der positiven Feststellung zu § 53 Abs. 6 AuslG nur auf Kroatien, nicht hingegen auf weitere Staaten, da der Bescheid insoweit teilnichtig ist (vgl. § 44 Abs. 4 VwVfG). Nach dem Tenor des Bundesamtsbescheides vom 04.11.1994 bezieht sich die Feststellung zu § 53 Abs. 6 AuslG auf Kroatien und alle Länder, die keinen mit Deutschland vergleichbaren medizinischen Standard besitzen, um die Therapierung der Hemmkörperhämophilie des Klägers zu 2 zu gewährleisten. Nähere Feststellungen zum medizinischen Standard in Deutschland, in Kroatien oder in weiteren Ländern finden sich in der Begründung nicht. Auf welche weiteren Länder sich die Feststellung konkret erstrecken soll, ist für den Adressaten nicht erkennbar. Insoweit fehlt es an der hinreichenden inhaltlichen Bestimmtheit des Bescheides (§ 37 Abs. 1 VwVfG). Hinsichtlich des Regelungsinhalts erfordert das Bestimmtheitsgebot, dass dieser für die Adressaten nach Art und Umfang aus sich heraus verständlich ist (BVerwG, Urt. v. 15.02.1990 - 4 C 41.87 - BVerwGE 84, 335; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 10. Aufl., § 37 Rn. 12). Demgegenüber genügt es nicht, dass er für die Behörde - möglicherweise unter Hinzuziehung von Erkenntnisquellen zu weiteren Ländern - bestimmbar ist. Hier ist der Bescheid aus sich heraus nicht verständlich. Der Bescheid ist vielmehr in einem wesentlichen Punkt unklar; die bestehende Unbestimmtheit ist offensichtlich und kann auch nicht durch Auslegung behoben werden. Dies führt zur Nichtigkeit (Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 44 Rn. 26 m.w.N.). Der nichtige Teil ist indes nicht so wesentlich, dass das Bundesamt die Feststellung in Bezug auf Kroatien ohne diesen Teil nicht erlassen hätte. Es liegt demnach eine Teilnichtigkeit i.S.d. § 44 Abs. 4 VwVfG vor.
47 
Die Bindungswirkung des wirksamen Teils des Bescheids ist nicht deshalb entfallen, weil das Bundesamt zwischenzeitlich die Feststellung widerrufen hat. Der Widerruf wirkt sich, solange er nicht bestandskräftig ist, nur insoweit aus, als er eine Atypik begründet. Rechtsfolge ist, dass der Regelerteilungsanspruch entfällt und über die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach Ermessen zu entscheiden ist (BVerwG, Urt. v. 22.11.2005 - 1 C 18.04 - BVerwGE 124, 326; Burr in GK-AufenthG, § 25 Rn. 56).
48 
b) Der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG steht jedoch der Ausschlussgrund des § 25 Abs. 3 Satz 2 lit. b AufenthG entgegen. Die beantragte Aufenthaltserlaubnis ist zwingend zu versagen, wenn ein in § 25 Abs. 3 Satz 2 AufenthG aufgeführter Ausschlussgrund vorliegt. Dann ist auch eine Ermessensentscheidung nicht eröffnet (BVerwG, Urt. v. 22.11.2005 - 1 C 18.04 - a.a.O.).
49 
Nach § 25 Abs. 3 Satz 2 lit. b AufenthG wird die Aufenthaltserlaubnis nicht erteilt, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass der Ausländer eine „Straftat von erheblicher Bedeutung“ begangen hat. Dieser Ausschlussgrund ist weiter gefasst als die Ausschlussgründe des Art. 1 F des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge - GFK -, des Art. 17 Abs. 1 RL 2004/83/EG - Qualifikationsrichtlinie - und des § 60 Abs. 8 AufenthG. Nach Art. 1 F GFK finden die Bestimmungen dieses Abkommens keine Anwendung auf Personen, in Bezug auf die aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist,
50 
a) dass sie ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen haben, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen;
51 
b) dass sie ein schweres nichtpolitisches Verbrechen außerhalb des Aufnahmelandes begangen haben, bevor sie dort als Flüchtling aufgenommen wurden;
52 
c) dass sie sich Handlungen zuschulden kommen ließen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwider laufen.
53 
Nach Art. 17 Abs. 1 RL 2004/83/EG ist ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser von der Gewährung subsidiären Schutzes ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er
54 
a) ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen;
55 
b) eine schwere Straftat begangen hat;
56 
c) sich Handlungen zuschulden kommen ließ, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen verankert sind, zuwider laufen;
57 
d) eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit des Landes darstellt, in dem er sich aufhält.
58 
Nach § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG findet Absatz 1 dieser Norm keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Nach Satz 2 gilt das Gleiche, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des - dem Art. 1 F GFK entsprechenden - § 3 Abs. 2 AsylVfG erfüllt.
59 
Entgegen einer in der Literatur vertretenen Auffassung (HK-AuslR/Fränkel, § 25 AufenthG Rn. 31) ist es nicht geboten, den Ausschlussgrund des § 25 Abs. 3 Satz 2 lit. b AufenthG in Anlehnung an die angeführten Vorschriften eng auszulegen. Dagegen spricht zunächst die Entstehungsgeschichte der Vorschrift: Der ursprüngliche Regierungsentwurf sah eine vollständige Abschaffung der Duldung vor. Eine Aufenthaltserlaubnis sollte erteilt werden, wenn die Voraussetzungen für die Aussetzung der Abschiebung nach § 60 Abs. 2 bis 7 vorliegen. Einziger Ausschlussgrund sollte nach Satz 2 des Entwurfs die Möglichkeit und Zumutbarkeit der Ausreise in einen anderen Staat sein. Ein von der CDU/CSU-Fraktion eingebrachter Änderungsantrag sah demgegenüber eine restriktive Neufassung des § 25 Abs. 3 vor:
60 
„Einem Ausländer kann eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 vorliegen. Eine Aufenthaltserlaubnis darf nur erteilt werden, wenn eine Ausreise in einen anderen Staat aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht möglich ist. Eine Aufenthaltserlaubnis wird nicht erteilt, wenn der Ausländer die Gründe für das Verbot der Abschiebung selbst zu vertreten hat, weil er im Bundesgebiet nicht nur vereinzelte oder geringfügige Straftaten begangen hat oder nach seiner Einreise die Gründe für das Verbot der Abschiebung selbst herbeigeführt, die Aufenthaltsbeendigung in vorwerfbarer Weise hinausgezögert oder vereitelt hat oder sein Handeln in sonstiger Weise rechtsmissbräuchlich ist.“
61 
Begründet wurde der Änderungsantrag u.a. damit, dass Straftätern grundsätzlich keine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden solle (BT-Drs. 15/955, S. 14). Diese Einwände haben sich in der vom Vermittlungsausschuss akzeptierten Fassung in der Weise niedergeschlagen, dass die Ausschlussgründe gegenüber dem Regierungsentwurf wesentlich erweitert wurden. Während der Regierungsentwurf einen Ausschluss nur in den Fällen vorsah, in denen die Ausreise in einen anderen Staat möglich und zumutbar ist, wurden zusätzlich die Fälle des gröblichen Verstoßes gegen Mitwirkungspflichten und die Begehung von Verbrechen, Straftaten oder Handlungen nach Abs. 3 Satz 2 lit. a - d eingefügt (BT-Drs. 15/3479, S. 5).
62 
Die Ausschlussgründe des § 25 Abs. 3 Satz 2 lit. a - d regeln lediglich die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, sagen aber nichts darüber aus, ob Ausländer, bei denen Abschiebungsverbote nach Abs. 3 Satz 1 vorliegen, in ihre Heimatstaaten abgeschoben werden können. Rechtsgrundsätzliche Bedenken dagegen, dass die Ausschlussgründe weiter gefasst sind als in Art. 1 F GFK und in Art. 17 RL 2004/83/EG, bestehen daher nicht. Steht der Ausschlussgrund der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis entgegen, ist eine Duldung nach § 60 a Abs. 2 AufenthG zu erteilen (Burr in GK-AufenthG, § 25 AufenthG Rn. 48; Hailbronner, AuslR, Kommentar, A 1 § 25 Rn. 72). In der Person des Klägers zu 2 liegt ohnehin lediglich ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor, so dass er sich auf die Bestimmungen der GFK und der Qualifikationsrichtlinie nicht berufen kann.
63 
Bei dem Begriff der Straftaten von erheblicher Bedeutung handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, den der Gesetzgeber in einer Vielzahl von Gesetzen verwendet (vgl. etwa §§ 81 g, 98 a, 100 g, 100 h, 110 a, 131 StPO, § 28 BDSG, § 23 BPolG, §§ 8, 14, 15 BKAG, §§ 25, 30 PolG BW). Dazu zählen alle Verbrechen, aber auch schwerwiegende Vergehen (etwa §§ 224, 243, 253 StGB; schwerwiegende Straftaten nach dem BtMG). Man versteht darunter solche Taten, die den Rechtsfrieden empfindlich stören und geeignet sind, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen. Es muss sich bei den zu beurteilenden Taten um Delikte handeln, die mindestens der mittleren Kriminalität zuzurechnen sind (BVerfG, Beschl. v. 14.12.2000 - 1 BvR 1741/99 u.a. - BVerfGE 103, 21 <34> und Beschl. v. 16.06.2009 - 2 BvR 902/06 - juris; NdsOVG, Beschl. v. 06.03.2009 - 7 LA 231/07 - juris; Meyer-Goßner, StPO, 50. Aufl., § 81 g Rn. 7 a m.w.N.; Burr in GK-AufenthG, § 25 AufenthG Rn. 50; Hailbronner, AuslR, Kommentar, § 25 Rn. 69). In den Fällen der mittleren Kriminalität ist dabei das besondere Maß des Unrechts nach Lage des konkreten Einzelfalles entscheidend, wobei es nicht so sehr auf den abstrakten Charakter des Straftatbestandes, sondern auf Art und Schwere der jeweiligen konkreten Tat ankommt. Die Beeinträchtigung des Rechtsfriedens oder der Rechtssicherheit kann sich etwa daraus ergeben, dass durch die Straftat bedeutsame Rechtsgüter wie z.B. Leib, Leben, Gesundheit oder fremde Sachen von bedeutendem Wert verletzt wurden. Nach Lage des Falles können auch Eigentums- oder Vermögensdelikte mittlerer Qualität die genannten Voraussetzungen erfüllen, insbesondere wenn es sich um Straftaten mit Seriencharakter und entsprechendem (Gesamt-)Schaden für die Allgemeinheit handelt (BT-Drs. 11/7663 S. 35). Die Straftat muss ein Gewicht aufweisen, das es gerechtfertigt erscheinen lässt, den gesetzgeberischen Zweck der Legalisierung des Aufenthalts zurücktreten zu lassen (Burr, a.a.O. Rn. 50; Hailbronner, a.a.O. Rn. 69; VG Stuttgart, Urt. v. 07.10.2005 - 9 K 2107/04 - InfAuslR 2006, 78).
64 
Daran gemessen liegt der Ausschlussgrund des § 25 Abs. 3 Satz 2 lit. b AufenthG hier vor. Der Kläger zu 2 wurde mehrfach nicht nur wegen Eigentums-, sondern auch wegen Gewaltdelikten (gemeinschaftlicher Raub, gemeinschaftliche gefährliche Körperverletzung) verurteilt. Er ist hierbei vor massiven Verletzungen der körperlichen Integrität unbeteiligter Dritter nicht zurückschreckt. Hinzu kommt, dass er die ihm mehrfach eingeräumten Gelegenheiten zur Bewährung ausweislich des Berichts der Bewährungshelferin vom 26.04.2007 und des Urteils des Amtsgerichts Mannheim vom 03.05.2007 nicht genutzt hat. Nichts anderes folgt angesichts des Umstandes, dass gegen den Kläger zu 2 eine Jugendstrafe verhängt wurde, die letztendlich nicht zur Bewährung ausgesetzt werden konnte, daraus, dass der Kläger zu 2 nach Jugendstrafrecht verurteilt wurde.
65 
Unschädlich ist, dass die in § 72 Abs. 2 AufenthG vorgesehene Beteiligung des Bundesamtes unterbleiben ist. Nach dieser Vorschrift hätte das Vorliegen des Ausschlussgrundes unter Beteiligung des Bundesamtes geprüft werden müssen. Dieses Beteiligungserfordernis verfolgt jedoch nicht das Ziel, Rechte des Ausländers zu wahren. Es ist nicht als verfahrensrechtliche Schutznorm anzusehen. Der betroffene Ausländer kann sich daher in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht mit Erfolg auf die unterbliebene Beteiligung berufen (Gutmann in GK-AufenthG, § 72 AufenthG Rn. 55 m.w.N.).
66 
Ob weitere Ausschlussgründe nach § 25 Abs. 3 Satz 2 AufenthG vorliegen, kann danach offenbleiben.
67 
3. Der Kläger zu 2 hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach anderen Anspruchsgrundlagen.
68 
a) Es bedarf keiner Entscheidung, ob der Kläger zu 2 die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 AufenthG erfüllt. Insoweit erscheint offen, ob seine Ausreise nach Serbien oder Kosovo möglicherweise im Hinblick auf eine drohende Verschlechterung seines Gesundheitszustandes wegen eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbots rechtlich unmöglich ist. Bezüglich dieser Staaten liegt keine Bundesamtsentscheidung vor, die die Anwendung des § 25 Abs. 5 AufenthG insoweit sperren würde (vgl. § 42 Satz 1 AsylVfG). In der Rechtsprechung ist auch geklärt, dass zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote nicht ausschließlich im Rahmen des § 25 Abs. 3, sondern auch im Rahmen des § 25 Abs. 5 AufenthG berücksichtigungsfähig sind, soweit keine Prüfungszuständigkeit des Bundesamtes gegeben ist (BVerwG, Urt. v. 27.06.2006 - 1 C 14.05 - a.a.O.; Hailbronner, AuslR, Kommentar, A 1 § 25 Rn. 119).
69 
Einem möglichen Anspruch steht aber jedenfalls das Fehlen der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG entgegen. Danach setzt die Erteilung eines Aufenthaltstitels in der Regel voraus, dass kein Ausweisungsgrund vorliegt. Mit den von ihm begangenen vorsätzlichen Straftaten, die nicht vereinzelt und geringfügig sind, hat der Kläger zu 2 den Ausweisungsgrund des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG verwirklicht. Atypische Umstände, die das Gewicht des Regelerteilungsgrunds beseitigen würden, sind nicht ersichtlich. Anders als im Rahmen des § 25 Abs. 3 AufenthG - insoweit kommen gemäß § 5 Abs. 3 Satz 1 AufenthG die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nicht zur Anwendung - ist im Rahmen des § 25 Abs. 5 AufenthG auch nicht von der Anwendung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG abzusehen. Vielmehr kann die Ausländerbehörde gemäß § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG nach pflichtgemäßem Ermessen von der Anwendung der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen absehen. Vorliegend hat die Beklagte im Berufungsverfahren mit Schriftsatz vom 08.08.2007 ausdrücklich erklärt, dass sie bei dem Kläger zu 2 nicht von der allgemeinen Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG absieht. Die bisherigen strafrechtlichen Verfehlungen des Klägers zu 2 rechtfertigten eine solche Entscheidung nicht. Ermessensfehler sind insoweit nicht erkennbar. Die Ermessensbetätigung steht im Einklang mit der Entscheidung des Gesetzgebers, der im Rahmen des § 25 Abs. 3 AufenthG das Vorliegen einer Straftat von erheblicher Bedeutung als zwingenden Ausschlussgrund ausgestaltet hat. Es kann nicht beanstandet werden, dass die Beklagte unter Berufung auf die Schwere der strafrechtlichen Verfehlungen dieser gesetzgeberischen Entscheidung auch im Rahmen des § 25 Abs. 5 AufenthG Rechnung trägt.
70 
§ 114 Satz 2 VwGO steht vorliegend der erstmaligen Ermessensbetätigung im gerichtlichen Verfahren nicht entgegen. Zwar erlaubt diese Vorschrift nur die Ergänzung bereits vorhandener Ermessenserwägungen. An solchen fehlt es vorliegend. Der Konzeption des § 114 Satz 2 VwGO liegt indes zugrunde, dass bei Ermessensentscheidungen der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung der maßgebliche Zeitpunkt ist (vgl. Kuntze in Bader u.a., VwGO, § 114 Rn. 5 m.w.N.). Ist aber - wie hier (vgl. oben II. 1.) - der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz der maßgebliche Zeitpunkt auch für die Überprüfung der Ermessensentscheidung und ergibt sich erstmals während des gerichtlichen Verfahrens die Notwendigkeit der Ermessensbetätigung, so ist eine teleologische Reduktion des Anwendungsbereichs des § 114 Satz 2 VwGO geboten. In dieser Situation kann es der Behörde, die die Pflicht zur ständigen verfahrensbegleitenden Kontrolle der Rechtmäßigkeit ihrer Verfügung trifft, nicht verwehrt sein, bezüglich nachträglich entstandener Umstände, die erstmals eine Ermessensentscheidung erfordern, ihr Ermessen insgesamt nachträglich erstmals zu betätigen. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht bislang zum Ausweisungsrecht so entschieden. Es hat seine frühere Rechtsprechung, wonach Ermessenserwägungen bei Ausweisungsentscheidungen nur insoweit ergänzt werden können, als die nachträglich von der Behörde angegebenen Gründe schon bei Erlass des Verwaltungsaktes vorlagen (vgl. Urt. v. 05.05.1998 - 1 C 17.97 - BVerwGE 106, 351 <363>), mit der Erwägung aufgegeben, dass diese Rechtsprechung sich nicht auf Sachverhalte bezieht, in denen es aus Gründen des materiellen Rechts erforderlich ist, in eine Ermessensentscheidung auch Umstände einzubeziehen, die erst nach Erlass der Ausweisungsverfügung entstanden sind (Urt. v. 15.11.2007 - 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20 und Urt. v. 13.01.2009 - 1 C 2.08 - NVwZ 2009, 727). Dies betrifft nicht nur Situationen, in denen die Ergänzung einer bereits getroffenen Ermessensentscheidung geboten ist, sondern auch Fälle, in denen eine ursprünglich gebundene Ausweisung aufgrund nachträglicher Änderungen erstmals einer Ermessensentscheidung bedarf (BVerwG, Urt. v. 15.11.2007, a.a.O. Rn. 19). Der Einbeziehung nachträglicher Ermessenserwägungen könne in dieser Sondersituation nicht entgegengehalten werden, dass diese sich auf nach Erlass der Ausweisung entstandene Umstände beziehen (zustimmend Decker in Posser/Wolff, VwGO, § 114 Rn. 45). Diese Rechtsprechung ist nach Auffassung des Senats auf Verpflichtungsklagen auf Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels zu übertragen, nachdem das Bundesverwaltungsgericht auch in diesem Bereich seine Rechtsprechung zum maßgeblichen Zeitpunkt geändert hat (Urt. v. 07.04.2009 - 1 C 17.08 - a.a.O.). In diesem Urteil hat das Bundesverwaltungsgericht unter Bezugnahme auf seine neuere Rechtsprechung zum Ausweisungsrecht ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Ausländerbehörde die Möglichkeit habe, in Erfüllung ihrer Obliegenheit zur ständigen verfahrensbegleitenden Kontrolle die Ermessenserwägungen in Anwendung der prozessualen Möglichkeit des § 114 Satz 2 VwGO im laufenden Verfahren zu aktualisieren (a.a.O. Rn. 42). Soweit danach eine Aktualisierung „in Anwendung der prozessualen Möglichkeit des § 114 Satz 2 VwGO“ erfolgen soll, lässt sich dem nicht entnehmen, dass anders als im Ausweisungsrecht eine gegebenenfalls notwendige erstmalige Ermessensbetätigung während des gerichtlichen Verfahrens ausgeschlossen sein soll. Diese Formulierung dürfte vielmehr dem Umstand geschuldet sein, dass in dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall eine Ermessensentscheidung getroffen worden war und daher von vornherein nur eine Ergänzung der bereits getroffenen Ermessensentscheidung im Raume stand.
71 
Hier ist die Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG erst infolge der vom Kläger zu 2 nach Erlass des Widerspruchsbescheides vom 25.01.2006 begangenen Straftaten entfallen, so dass der Beklagten die erstmalige Ermessensausübung gemäß § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG im gerichtlichen Verfahren nicht verwehrt werden kann. Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, dass dadurch der Verwaltungsakt in seinem Wesen geändert würde, was nach der bisherigen Rechtsprechung (vgl. etwa BVerwG, Urt. v. 27.01.1982 - 8 C 12.81 - BVerwGE 64, 356 <360>) dem Nachschieben von Gründen entgegenstünde. Sinn und Zweck der Schranke der Wesensänderung sind Überlegungen prozessualer Waffengleichheit, damit insbesondere belastende Ermessensverwaltungsakte nicht frühzeitig auf schwacher Grundlage erlassen und von der Verwaltung auch noch im Prozess zur nachträglichen Legitimation der Anordnung nach Belieben nachgebessert werden können. Dieser Zweck trifft aber die infolge der Verschiebung des maßgeblichen Zeitpunkts zu bewältigenden Fälle nachträglicher Änderungen der Sach- und Rechtslage gerade nicht (ebenso Kraft, ZAR 2009, 41 <46>). Sind nachträgliche Änderungen der Sach- und Rechtslage zugunsten wie zulasten des Ausländers zu berücksichtigen, erscheint es auch unter dem Gesichtspunkt der prozessualen Waffengleichheit gerechtfertigt, der Ausländerbehörde das Recht zur erstmaligen Ermessensentscheidung während des gerichtlichen Verfahrens einzuräumen.
72 
b) Der Kläger zu 2 hat keinen Anspruch gemäß der Anordnung des Innenministeriums nach § 23 AufenthG über ein Bleiberecht für im Bundesgebiet wirtschaftlich und sozial integrierte ausländische Staatsangehörige vom 20. November 2006 (Az.: 4-1340/29). Zum einen fehlt es an der Sicherung des Lebensunterhalts zum Stichtag 17.11.2006. Nach I. 1.2 der Anordnung muss der Lebensunterhalt des ausländischen Staatsangehörigen und seiner einbezogenen Familienangehörigen am 17. November 2006 und in Zukunft durch eigene legale Erwerbstätigkeit ohne zusätzliche Sozialleistungen gesichert sein. Zum anderen steht der Ausschlussgrund nach Nr. I. 3.3 der Anordnung der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis entgegen. Nach Nr. I 3.3 dürfen keine Ausweisungsgründe nach §§ 53, 54, 55 Abs. 2 Nrn. 1 bis 5, 8 AufenthG vorliegen.
73 
c) Einem möglichen Anspruch des Klägers zu 2 nach § 104 a AufenthG steht der Ausschlussgrund gemäß Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 dieser Vorschrift entgegen. Mit der Verurteilung zu einer Jugendstrafe von 20 Monaten ist dieser Ausschlussgrund verwirklicht (vgl. Funke-Kaiser in GK-AufenthG, § 104 a AufenthG Rn. 52).
74 
4. Die Kläger zu 1, zu 3 und zu 4 können die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen aus humanitären Gründen nach § 25 AufenthG ebenfalls nicht beanspruchen. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des allein in Betracht kommenden § 25 Abs. 5 AufenthG liegen nicht vor.
75 
Nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG kann einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, abweichend von § 11 Abs. 1 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist.
76 
a) Zwar sind alle Kläger aufgrund der in den Asylverfahren ergangenen Abschiebungsandrohungen nach § 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG vollziehbar ausreisepflichtig.
77 
b) Es fehlt jedoch an der Unmöglichkeit der Ausreise. Die Ausreise der Kläger zu 1, zu 3 und zu 4 ist weder aus tatsächlichen noch aus rechtlichen Gründen unmöglich. Der Begriff der Ausreise umfasst die (zwangsweise) Abschiebung und die freiwillige Ausreise (BVerwG, Urt. v. 27.06.2006 - 1 C 14.05 - a.a.O.). Die Ausreise ist unmöglich, wenn sie aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht erfolgen kann. Da die Ausreise eine unvertretbare Handlung darstellt, ist die Unmöglichkeit im Hinblick auf den betroffenen Ausländer zu prüfen. Von der Unmöglichkeit der Abschiebung kann nicht ohne weiteres auf die Unmöglichkeit der Ausreise geschlossen werden. Grundsätzlich ist von der Möglichkeit einer (freiwilligen) Ausreise auszugehen, solange der Ausländer nicht durch einen gescheiterten Ausreiseversuch das Gegenteil nachweist. Es bedarf jedoch dann keines Versuchs der freiwilligen Ausreise in den Heimatstaat, wenn von vornherein feststeht, dass dieser Versuch erfolglos bleiben wird (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 25.06.2003 - 13 S 2767/02 - juris).
78 
aa) Ein tatsächliches Ausreisehindernis kann vorliegen, wenn ein Ausländer staatenlos ist und kein aufnahmebereiter Staat vorhanden ist. Auch der fehlende Besitz eines Passes oder sonstigen Reisedokuments kann die tatsächliche Unmöglichkeit begründen (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 06.04.2005 - 11 S 2779/04 - VBlBW 2005, 356).
79 
bb) Die freiwillige Ausreise ist rechtlich unmöglich, wenn dem Ausländer aus Rechtsgründen nicht zuzumuten ist, Deutschland zu verlassen. Allgemeine Widrigkeiten, oder Überlegungen humanitärer Art, die aber keine Abschiebungshindernisse zur Folge haben, bleiben jedoch unberücksichtigt (BVerwG, Urt. v. 27.06.2006 - 1 C 14.05 - a.a.O.). Danach ist die Ausreise unzumutbar und damit unmöglich, wenn rechtliche zielstaats- und/oder inlandsbezogene Abschiebungshindernisse bestehen. Zu den inlandsbezogenen Abschiebungsverboten zählen auch die Verbote, die aus Verfassungsrecht (etwa mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 GG) oder aus Völkervertragsrecht (etwa aus Art. 8 EMRK) in Bezug auf das Inland herzuleiten sind (BVerwG, Urt. v. 27.06.2006, a.a.O.). Eine rechtliche Unmöglichkeit der freiwilligen Ausreise wäre danach gegeben, wenn die Versagung der Aufenthaltserlaubnis einen unverhältnismäßigen Eingriff in das Recht auf Familien- und Privatleben darstellte.
80 
Ein unverhältnismäßiger Eingriff - und demzufolge eine rechtliche Unmöglichkeit der Ausreise - kann angenommen werden, wenn die „Verwurzelung“ des Ausländers in Deutschland infolge fortgeschrittener beruflicher und sozialer Integration bei gleichzeitiger Unmöglichkeit einer Reintegration im Herkunftsstaat dazu führt, dass das geschützte Privatleben nur noch hier geführt werden kann (sog. faktischer Inländer). Die Annahme einer Unzumutbarkeit der Ausreise im Sinne des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG unter dem Aspekt des nach Art. 8 EMRK geschützten „Privatlebens“ setzt eine abgeschlossene und „gelungene“ Integration des Ausländers in die Lebensverhältnisse in Deutschland voraus. Eine derartige Konstellation ist insbesondere denkbar bei Ausländern der zweiten Generation, die in Deutschland aufgewachsen sind und keinerlei Beziehung zum Herkunftsstaat der Eltern besitzen. Wie sich hinreichend etwa aus den neueren Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in den Sachen „Sisojeva I und II“ (EGMR, Urteile vom 16.06.2005 und 15.01.2007, EuGRZ 2006, 554 und InfAuslR 2007, 140) sowie „Rodrigues da Silva und Hoogkamer“ (EGMR, Urteil vom 31.01.2006, EuGRZ 2006, 562) ergibt, kommt es im Rahmen des Schutzbereichs von Art. 8 Abs. 1 EMRK wohl nicht entscheidungserheblich darauf an, ob der Ausländer über einen zumindest vorübergehenden legalen Aufenthalt verfügte (offen gelassen im Urteil vom 08.04.2008 - Nr. 21878/06 - „Nnyanzi“); der Schutzbereich dieses Menschenrechts dürfte vielmehr auch bei nur Geduldeten eröffnet sein können (Senatsbeschlüsse vom 25.10.2007 - 11 S 2091/07 - InfAuslR 2008, 29 = VBlBW 2008, 114 = NVwZ 2008, 344, vom 03.11.2008 - 11 S 2235/08 -InfAuslR 2009, 72 und vom 05.02.2009 - 11 S 3244/08 - InfAuslR 2009, 178; ebenso Burr in GK-AufenthG, § 25 AufenthG Rn. 150; HK-AuslR/Fränkel, § 25 AufenthG Rn. 56; Benassi, InfAuslR 2006, 397 <401 f.>; Hoppe, ZAR 2006, 125; Marx, ZAR 2006, 261 <266>; a.A. wohl Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 17.07.2008 - 8 ME 42/08 - juris und Storr in Storr u.a., ZuwG, 2. Aufl., § 25 AufenthG Rn. 31; unklar insoweit BVerwG, Urt. v. 30.04.2009 - 1 C 3.08 - juris).
81 
Zu berücksichtigen ist auch, dass minderjährige Kinder grundsätzlich aufenthaltsrechtlich das Schicksal ihrer Eltern teilen (sog. familienbezogene Gesamtbetrachtung; vgl. dazu Senatsurteil vom 26.07.2006 - 11 S 951/06 -VBlBW 2006, 442). Steht den Eltern wegen deren mangelnder Integration in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland über Art. 8 EMRK in Verbindung mit § 25 AufenthG kein Aufenthaltsrecht zu, so ist davon auszugehen, dass auch ein Minderjähriger, der im Bundesgebiet geboren wurde oder dort lange Zeit gelebt hatte und vollständig integriert ist, auf die von den Eltern nach der Rückkehr im Familienverband zu leistenden Integrationshilfen im Heimatland verwiesen werden kann. Ausnahmsweise kann etwas anderes gelten, wenn kein Elternteil in der Lage sein wird, diese Hilfen zu erbringen.
82 
cc) Daran gemessen folgt hier weder aus der Passlosigkeit der Kläger (aaa) noch aus Art. 8 EMRK (bbb) eine Unmöglichkeit der Ausreise. Wollte man dies hinsichtlich der Passlosigkeit anders sehen, stünden jedenfalls die Regelungen des § 25 Abs. 5 Satz 3 und 4 AufenthG dem geltend gemachten Anspruch entgegen (ccc).
83 
aaa) Zwar erscheint eine Ausreise nach Kroatien bezüglich aller Kläger ausgeschlossen, nachdem die kroatischen Behörden die Rückübernahme endgültig abgelehnt haben. Gleiches gilt in Bezug auf Makedonien für die Kläger zu 3 und zu 4. Dass eine Ausreise der Kläger zu 1, zu 3 und zu 4 nach Serbien oder in die Republik Kosovo nicht möglich ist, steht demgegenüber nicht fest. Nachdem insoweit keine eindeutigen Erklärungen der zuständigen Stellen der betreffenden Staaten vorliegen, dass die Kläger nicht übernommen werden, und sie auch keinen - gescheiterten - Ausreiseversuch unternommen haben, ist von der Möglichkeit der freiwilligen Ausreise auszugehen.
84 
bbb) Aus Art. 8 EMRK ergibt sich vorliegend keine rechtliche Unmöglichkeit der Ausreise der Kläger zu 1, zu 3 und zu 4.
85 
Soweit keine Abschiebung der Klägerin zu 1 nach Makedonien durchgeführt werden soll, ist vorliegend nicht der Schutzbereich des Rechts auf Familienleben (vgl. dazu Senatsbeschluss vom 05.02.2009 – 11 S 3244/08 – InfAuslR 2009, 178), sondern lediglich der des Rechts auf Achtung des Privatlebens eröffnet. Die Klägerin zu 1 und der minderjährige Kläger zu 4 können nach dem oben Ausgeführten darauf verwiesen werden, gemeinsam nach Serbien bzw. Kosovo auszureisen. Gleiches gilt für den volljährigen Kläger zu 3, der im Übrigen nicht in gesteigertem Maße auf familiären Beistand angewiesen ist. Die Ausreise ist für keinen der Kläger unzumutbar. Der Eingriff in das geschützte Privatleben der Kläger ist im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMRK nicht unverhältnismäßig.
86 
Bei der als Erwachsene eingereisten Klägerin zu 1, die in Makedonien aufgewachsen ist und später im heutigen Kroatien gelebt hat, fehlt es bereits an der erforderlichen Entwurzelung. Zudem ist sie nicht hinreichend verwurzelt, da sie über viele Jahre ausschließlich von Sozialleistungen gelebt und erst vor kurzem eine Arbeitsstelle gefunden hat. Weitere besondere Integrationsleistungen sind nicht ersichtlich. Es fehlt auch an einer Handreichung des Staates, da ihr Aufenthalt nach negativem Abschluss des Asylverfahrens durchgehend nur geduldet war. Sie konnte daher kein schutzwürdiges Vertrauen in den Fortbestand ihres Aufenthalts im Bundesgebiet entwickeln (vgl. zu diesem Aspekt BVerwG, Urt. v. 30.04.2009 - 1 C 3.08 - juris). Der jetzt 17jährige Kläger zu 4 ist zwar hier geboren und aufgewachsen, so dass ohne weiteres von einer Entwurzelung ausgegangen werden kann. Er hat indes nach Abschluss der Hauptschule keine Ausbildung begonnen und auch beruflich nicht Fuß gefasst. Besondere Integrationsleistungen sind ebenfalls nicht ersichtlich. Negativ ins Gewicht fällt auch seine Verurteilung vom 17.09.2008. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass der Kläger zu 4 als Minderjähriger grundsätzlich das aufenthaltsrechtliche Schicksal seiner Mutter teilt (familienbezogene Gesamtbetrachtung). Bei dem als Kleinkind eingereisten, jetzt 18jährigen Kläger zu 3 fehlt es ebenfalls an einer abgeschlossenen Integration. Er hat keinen Schulabschluss erlangt und ist beruflich nicht integriert. Zudem ist er ebenfalls straffällig geworden. Von einer fortgeschrittenen beruflichen und sozialen Integration kann daher auch bei ihm keine Rede sein.
87 
ccc) Nach § 25 Abs. 5 Satz 3 und 4 AufenthG darf die Aufenthaltserlaubnis nur erteilt werden, „wenn der Ausländer unverschuldet an der Ausreise gehindert ist“ (§ 25 Abs. 5 Satz 3 AufenthG), und ein Verschulden liegt insbesondere dann vor (die anderen Verschuldenstatbestände sind hier nicht einschlägig), wenn der Ausländer „zumutbare Anforderungen zur Beseitigung der Ausreisehindernisse nicht erfüllt“ (§ 25 Abs. 5 Satz 4 AufenthG). Grundsätzlich ist der Ausländer verpflichtet, von sich aus zumutbare Anforderungen zur Beseitigung von Ausreisehindernissen zu erfüllen; er hat zudem unter Angabe nachprüfbarer Umstände darzulegen und durch Vorlage geeigneter Dokumente nachzuweisen, dass er das ihm Zumutbare zur Erlangung eines Passes oder eines anderen Rückreisedokuments getan hat (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 03.12.2008 - 13 S 2483/07 - InfAuslR 2009, 109; Senatsurteil vom 22.03.2006 - 11 S 1924/05 - je m.w.N.). Bei der Frage, welche Mitwirkungshandlungen konkret zumutbar sind, sind alle Umstände und Besonderheiten des Einzelfalls zu berücksichtigen (siehe BVerwG, Beschl. v. 15.06.2006 - 1 B 54.06 - Buchholz 402.242 § 25 AufenthG Nr. 4 und VGH Bad.-Württ., Urt. v. 03.12.2008 - 13 S 2483/07 - a.a.O. m.w.N.), wobei der Begriff der Zumutbarkeit es ausschließt, einem Ausländer solche Handlungen abzuverlangen, die von vornherein erkennbar aussichtslos sind (BVerwG, Beschluss vom 15.06.2006, a.a.O.; OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 14.06.2007 - 3 B 34.05 - juris). Auch dem Verhalten der Behörde als Mitbeteiligter kommt bei der Festlegung der einzelnen Verantwortungsbereiche Bedeutung zu (Burr in GK-AufenthG, § 25 AufenthG Rn. 180; BayVGH, Beschl. v. 19.12.2005 - 24 C 05.2856 - InfAuslR 2006, 189). Erfolglos gebliebene behördliche Bemühungen können zwar dem Betroffenen selbst nicht als Verschulden angelastet werden; andererseits entlasten sie jedoch den Ausländer nicht von (sonst) zumutbaren eigenen Anstrengungen. Dies ergibt sich bereits daraus, dass im Rahmen des § 25 Abs. 5 Satz 3 und 4 AufenthG eigenständige Verantwortungsbereiche von Behörde und Betroffenem anzunehmen sind (siehe dazu BayVGH, Urteil vom 19.12.2005, a.a.O.) und dass Behördenbemühungen unter Umständen schon deswegen, weil sie von einer Behörde ausgehen, zum Scheitern verurteilt sein können. Die dem Ausländer obliegende Initiativpflicht erstreckt sich auf alle Handlungsmöglichkeiten, die ihm bei objektiver Betrachtungsweise bekannt sein können; nur insoweit kann ihm subjektive Verantwortlichkeit angelastet werden (siehe dazu BayVGH, Urteil vom 19.12.2005 a.a.O.). Daher hat die zuständige Behörde, wie dies auch § 82 Abs. 3 Satz 1 AufenthG vorgibt, den Betroffenen auf seine Pflichten hinzuweisen und ihm mitzuteilen, dass und in welchem Umfang er zur Erbringung bestimmter Handlungen verpflichtet ist; wenn sich ihm ein bestimmtes Verhalten nicht bereits aufdrängen muss, muss ihm wenigstens hinreichend erkennbar sein, was er konkret zu unternehmen hat. Die Behörde ist regelmäßig angesichts ihrer organisatorischen Überlegenheit und Sachnähe besser in der Lage, die bestehenden Möglichkeiten zu erkennen und die erforderlichen Schritte in die Wege zu leiten (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 03.12.2008 - 13 S 2483/07 - a.a.O.).
88 
Daran gemessen ist ein Verschulden der Kläger hier zu bejahen. Die Klägerin zu 1 ist nie von sich aus tätig geworden, um nach Ungültigwerden ihres alten jugoslawischen Passes neue Pässe für sich und ihre Kinder zu erlangen. Aufforderungen zur Passbeschaffung ist sie bezogen auf Kroatien und Makedonien zunächst nachgekommen. Auch auf dem serbischen Konsulat hat sie vorgesprochen. Nachdem jedoch klar war, dass sie abgeleitet von ihrer Mutter möglicherweise ihre Registrierung und Einbürgerung in Serbien erreichen könnte, hat sie trotz ausdrücklicher Aufforderung seitens der Beklagten keine weiteren Bemühungen in dieser Richtung unternommen. Der Kläger zu 3, der nach Erreichen der Volljährigkeit ebenfalls keine eigenen Bemühungen unternommen hat, muss sich das Verhalten der Klägerin zu 1 ebenso zurechnen lassen wie der noch minderjährige Kläger zu 4.
89 
Auf das Vorliegen der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen kommt es nach alledem im Hinblick auf die Ansprüche nach § 25 Abs. 5 AufenthG nicht an.
90 
5. Die Kläger zu 1, zu 3 und zu 4 haben auch keinen Anspruch nach der Anordnung des Innenministeriums nach § 23 AufenthG über ein Bleiberecht für im Bundesgebiet wirtschaftlich und sozial integrierte ausländische Staatsangehörige vom 20. November 2006 (Az.: 4-1340/29). Zum einen fehlt es an der Sicherung des Lebensunterhalts zum Stichtag 17.11.2006. Nach I. 1.2 der Anordnung muss der Lebensunterhalt des ausländischen Staatsangehörigen und seiner einbezogenen Familienangehörigen am 17.11.2006 und in Zukunft durch eigene legale Erwerbstätigkeit ohne zusätzliche Sozialleistungen gesichert sein. Dies war hier nicht der Fall. Zum anderen steht der Ausschlussgrund nach Nr. I. 3.3 der Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen entgegen. Nach Nr. I 3.3 der Anordnung dürfen keine Ausweisungsgründe nach §§ 53, 54, 55 Abs. 2 Nrn. 1 bis 5, 8 AufenthG vorliegen. Liegt für einen Elternteil oder für ein im Familienverband lebendes minderjähriges Kind ein Ausschlussgrund vor, so scheidet nach I. 3.5 der Anordnung zur Wahrung der Familieneinheit die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis grundsätzlich auch für die übrigen Familienmitglieder aus. Hier liegt nicht nur bei dem Kläger zu 2, sondern auch bei den Klägern zu 3 und zu 4 der anspruchsvernichtende Ausweisungsgrund des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG vor. Damit scheidet die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis auch für die Klägerin zu 1 aus.
91 
6. Möglichen Ansprüchen nach § 104 a AufenthG steht jedenfalls entgegen, dass die Kläger zu 1, zu 3 und zu 4 die allgemeine Erteilungsvoraussetzung der Passpflicht (§ 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG) nicht erfüllen. Lockerungen in Bezug auf die Erfüllung der Passpflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG bestehen im Rahmen des § 104 a AufenthG nicht (Funke-Kaiser in GK-AufenthG, § 104 a AufenthG Rn. 71). Atypische Umstände, die das Gewicht des Regelerteilungsgrundes beseitigen könnten, sind nicht ersichtlich. Insbesondere bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass den Klägern die Erlangung eines Passes unzumutbar sein könnte.
92 
Die von der Beklagten in der Berufungsverhandlung getroffene Entscheidung, nicht nach § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG von der Erfüllung der Passpflicht abzusehen, ist nicht zu beanstanden. Diese Entscheidung wurde tragend mit der Erwägung begründet, die Klägerin zu 1 habe über Jahre hinweg keine Passbeschaffungsbemühungen entfaltet. Sie sei offensichtlich nicht gewillt, sich um einen Pass zu bemühen. Der Kläger zu 4 müsse sich die mangelnden Passbeschaffungsbemühungen seiner Mutter zurechnen lassen. Der Kläger zu 3 hätte sich nach Erreichen der Volljährigkeit auch selbstständig an das serbische Konsulat wenden und Passbeschaffungsbemühungen entfalten können. Diese Erwägungen lassen keine Ermessensfehler erkennen.
93 
§ 114 Satz 2 VwGO steht der erstmaligen Ermessensbetätigung in der Berufungsverhandlung nicht entgegen, weil mit Blick auf den maßgeblichen Zeitpunkt insgesamt erstmals über einen möglichen Anspruch auf der Grundlage des erst während des Berufungsverfahrens in Kraft getretenen § 104 a AufenthG zu entscheiden war. Insoweit gilt das oben unter II. 3. a) Ausgeführte entsprechend.
94 
7. Schließlich können die Kläger weder die Ausstellung von Reiseausweisen für Ausländer noch von Ausweisersatzen beanspruchen. Die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 AufenthV liegen nicht vor, da die Kläger, wie oben ausgeführt, auf zumutbare Weise Pässe erlangen können. Die Voraussetzungen des § 48 Abs. 4 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor, da die Beklagte nicht nach § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG von der Erfüllung der Passpflicht abgesehen hat.
III.
95 
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO, § 162 Abs. 3 VwGO. Es besteht keine Veranlassung, die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen für erstattungsfähig zu erklären. Der Antrag, die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären, ist gegenstandslos, nachdem die Kläger die Verfahrenskosten zu tragen haben.
96 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO erfüllt ist.
97 
Beschluss vom 22. Juli 2009
98 
Der Streitwert des Verfahrens in beiden Rechtszügen wird - unter Abänderung der Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts von Amts wegen - nach §§ 63 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1, 47 Abs. 1, 52 Abs. 2, 39 Abs. 1, 45 Abs. 1 Satz 2 GKG auf jeweils40.000,-- EUR festgesetzt.
99 
Gründe
100 
Mit den Anträgen auf Verpflichtung zur Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen und zur Ausstellung von Reiseausweisen machen die Kläger zwei verschiedene prozessuale Ansprüche geltend, für die jeweils - je Kläger - der Auffangstreitwert nach § 52 Abs. 2 GKG von 5.000,-- EUR anzusetzen ist (Senatsbeschluss vom 13.03.2007 - 11 S 150/07- NVwZ-RR 2007, 429). Dies ergibt einen Streitwert von 40.000,-- EUR. Die erstinstanzliche Streitwertfestsetzung ist entsprechend zu ändern.
101 
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Gründe

 
I.
39 
Die Berufung ist nach Zulassung durch den Senat statthaft und auch sonst zulässig. Die Berufungsbegründungsschrift wurde form- und fristgemäß beim Verwaltungsgerichtshof eingereicht (vgl. § 124 a Abs. 6 Satz 1 und 2 VwGO) und entspricht auch inhaltlich den gesetzlichen Anforderungen (bestimmter Antrag, ausreichende Begründung; vgl. § 124 a Abs. 6 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 Satz 4 VwGO).
40 
Gegenstand der uneingeschränkt zugelassenen Berufung ist das gesamte Klagebegehren erster Instanz. Dies umfasst zunächst die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen aus humanitären Gründen nach § 25 AufenthG. Streitgegenstand des Berufungsverfahrens sind aber auch die erst nach Ergehen des erstinstanzlichen Urteils bei der Beklagten gestellten Anträge auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nach der Bleiberechtsregelung, da insoweit der Streitstoff identisch ist und ebenfalls ein humanitärer Aufenthaltszweck verfolgt wird. Der Streitgegenstand einer Klage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis wird bestimmt und begrenzt durch den Aufenthaltszweck, aus dem der Ausländer seinen Anspruch herleitet. Im vorliegenden Verfahren stützen die Kläger ihr Klagebegehren in tatsächlicher Hinsicht auf humanitäre Gründe, wie sie in Abschnitt 5 des Kapitels 2 des Aufenthaltsgesetzes normiert sind. Das Klagebegehren erfasst damit nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 43.06 - BVerwGE 129, 226 und Urt. v. 27.01.2009 - 1 C 40.07 - DVBl 2009, 650) auch die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nach der durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl I S. 1970) eingeführten und am 28. August 2007 in Kraft getretenen Altfallregelung des § 104 a AufenthG. Denn auch eine nach dieser Vorschrift erteilte Aufenthaltserlaubnis wird entweder als Aufenthaltserlaubnis nach § 23 AufenthG erteilt (§ 104 a Abs. 1 Satz 2 AufenthG) oder gilt zumindest als Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes104 a Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 2 AufenthG). Die Anträge auf Ausstellung von Reiseausweisen für Ausländer (vgl. § 5 AufenthV), hilfsweise Ausweisersatzpapieren (vgl. § 48 Abs. 4 AufenthG) werden von den Klägern, wie diese in der mündlichen Verhandlung klargestellt haben, ebenfalls weiterverfolgt. Nicht Streitgegenstand ist demgegenüber das Begehren des Klägers zu 2 auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG. Insoweit wird ein familiärer Aufenthaltszweck nach Abschnitt 6 des Kapitels 2 des Aufenthaltsgesetzes verfolgt; nach dem Trennungsprinzip (BVerwG, Urt. v. 04.09.2007, a.a.O.) handelt es sich um einen anderen Streitgegenstand. Der Vertreter des Klägers zu 2 hat in der Berufungsverhandlung zudem erklärt, dieses Begehren im vorliegenden Verfahren nicht zu verfolgen.
II.
41 
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klagen zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 27.06.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 25.01.2006 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger daher nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die Beklagte hat die Anträge der Kläger auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen aus humanitären Gründen sowie auf Ausstellung von Reiseausweisen für Ausländer, hilfsweise Ausweisersatzen, im Ergebnis zu Recht abgelehnt. Über die geltend gemachten Ansprüche ist unter Zugrundelegung der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Senat zu entscheiden (unten 1.). Der Kläger zu 2 hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach dem bei ihm vorrangig zu prüfenden § 25 Abs. 3 AufenthG (unten 2.) oder nach anderen Anspruchsgrundlagen (unten 3.). Die übrigen Kläger können die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen aus humanitären Gründen nach § 25 AufenthG ebenfalls nicht beanspruchen. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des bei ihnen allein in Betracht kommenden § 25 Abs. 5 AufenthG liegen nicht vor (unten 4). Die Kläger zu 1, zu 3 und zu 4 haben auch keinen Anspruch nach der Anordnung des Innenministeriums nach § 23 AufenthG über ein Bleiberecht für im Bundesgebiet wirtschaftlich und sozial integrierte ausländische Staatsangehörige vom 20. November 2006 (unten 5). Möglichen Ansprüchen nach § 104 a AufenthG steht jedenfalls entgegen, dass sie die allgemeine Erteilungsvoraussetzung der Passpflicht (§ 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG) nicht erfüllen (unten 6.). Schließlich steht sämtlichen Klägern kein Anspruch auf Ausstellung eines Reiseausweises oder Ausweisersatzes zu (unten 7.).
42 
1. Maßgeblich für die Beurteilung der von den Klägern verfolgten Verpflichtungsbegehren in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht ist insgesamt der Zeitpunkt der Berufungsverhandlung. Nach ständiger Rechtsprechung ist bei Verpflichtungsklagen auf Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels bei der Frage, ob eine Aufenthaltserlaubnis aus Rechtsgründen erteilt oder versagt werden muss, auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz abzustellen, soweit sich nicht aus dem materiellen Recht im Einzelfall Abweichendes ergibt (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.06.2004 - 1 C 20.03 - BVerwGE 121, 86 <88>; Senatsurteil vom 18.04.2007 - 11 S 1035/06 - AuAS 2007, 219). Gleiches gilt nach der jüngsten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 07.04.2009 - 1 C 17.08 - juris), der sich der Senat unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung (vgl. Urt. v. 18.04.2007, a.a.O.) anschließt, auch für die Überprüfung einer Ermessensentscheidung: In Anlehnung an seine Rechtsprechung zum maßgeblichen Zeitpunkt bei der Überprüfung einer Ermessensentscheidung im Falle der gerichtlichen Anfechtung einer Ausweisung (vgl. BVerwG, Urt. v. 15.11.2007 - 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20 <22 ff.>) geht das Bundesverwaltungsgericht nunmehr unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung davon aus, dass auch bei Klagen auf Erteilung bzw. Verlängerung eines Aufenthaltstitels für die Überprüfung der behördlichen Ermessensentscheidung auf den Zeitpunkt abzustellen ist, der für die gerichtliche Beurteilung der Anspruchsvoraussetzungen maßgeblich ist. Dies ist hier der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz.
43 
Nichts anderes ergibt sich vorliegend daraus, dass die Kläger noch unter Geltung des Ausländergesetzes die Erteilung von Aufenthaltsbefugnissen beantragt hatten. Die im Aufenthaltsgesetz getroffenen materiellen Übergangsregelungen (vgl. §§ 103 und 104), wonach das Ausländergesetz in bestimmten Fallkonstellationen über den 01.01.2005 hinaus auf Aufenthaltsansprüche Anwendung findet, erfassen den Fall von vor diesem Zeitpunkt geltend gemachten Ansprüchen auf Erteilung von Aufenthaltsbefugnissen nicht.
44 
2. Der Kläger zu 2 hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG.
45 
a) Nach § 25 Abs. 3 Satz 1 AufenthG soll einem Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 AufenthG vorliegt. Die Ausländerbehörde ist nach § 42 AsylVfG an eine positive oder negative Entscheidung des Bundesamts über das Vorliegen eines Abschiebungsverbots gebunden. Die Bindungswirkung erstreckt sich auch auf Feststellungen zu § 53 Abs. 6 AuslG, obwohl insoweit keine ausdrückliche Übergangsregelung erlassen worden ist (BVerwG, Urt. v. 27.06.2006 - 1 C 14.05 - BVerwGE 126, 192; Senatsurteil vom 06.04.2005 - 11 S 2779/04 - VBlBW 2005, 356; Burr in GK-AufenthG, § 25 Rn. 27; Hailbronner, AuslR, Kommentar, A 1 § 25 Rn. 49).
46 
Danach ist die Beklagte vorliegend an die im Bundesamtsbescheid vom 04.11.1994 getroffene Feststellung zu § 53 Abs. 6 AuslG gebunden. Dieser Bescheid ist nicht etwa mangels Bestimmtheit (vgl. § 37 Abs. 1 VwVfG) gemäß § 44 Abs. 1 VwVfG insgesamt nichtig. Allerdings erstreckt sich die Bindungswirkung der positiven Feststellung zu § 53 Abs. 6 AuslG nur auf Kroatien, nicht hingegen auf weitere Staaten, da der Bescheid insoweit teilnichtig ist (vgl. § 44 Abs. 4 VwVfG). Nach dem Tenor des Bundesamtsbescheides vom 04.11.1994 bezieht sich die Feststellung zu § 53 Abs. 6 AuslG auf Kroatien und alle Länder, die keinen mit Deutschland vergleichbaren medizinischen Standard besitzen, um die Therapierung der Hemmkörperhämophilie des Klägers zu 2 zu gewährleisten. Nähere Feststellungen zum medizinischen Standard in Deutschland, in Kroatien oder in weiteren Ländern finden sich in der Begründung nicht. Auf welche weiteren Länder sich die Feststellung konkret erstrecken soll, ist für den Adressaten nicht erkennbar. Insoweit fehlt es an der hinreichenden inhaltlichen Bestimmtheit des Bescheides (§ 37 Abs. 1 VwVfG). Hinsichtlich des Regelungsinhalts erfordert das Bestimmtheitsgebot, dass dieser für die Adressaten nach Art und Umfang aus sich heraus verständlich ist (BVerwG, Urt. v. 15.02.1990 - 4 C 41.87 - BVerwGE 84, 335; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 10. Aufl., § 37 Rn. 12). Demgegenüber genügt es nicht, dass er für die Behörde - möglicherweise unter Hinzuziehung von Erkenntnisquellen zu weiteren Ländern - bestimmbar ist. Hier ist der Bescheid aus sich heraus nicht verständlich. Der Bescheid ist vielmehr in einem wesentlichen Punkt unklar; die bestehende Unbestimmtheit ist offensichtlich und kann auch nicht durch Auslegung behoben werden. Dies führt zur Nichtigkeit (Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 44 Rn. 26 m.w.N.). Der nichtige Teil ist indes nicht so wesentlich, dass das Bundesamt die Feststellung in Bezug auf Kroatien ohne diesen Teil nicht erlassen hätte. Es liegt demnach eine Teilnichtigkeit i.S.d. § 44 Abs. 4 VwVfG vor.
47 
Die Bindungswirkung des wirksamen Teils des Bescheids ist nicht deshalb entfallen, weil das Bundesamt zwischenzeitlich die Feststellung widerrufen hat. Der Widerruf wirkt sich, solange er nicht bestandskräftig ist, nur insoweit aus, als er eine Atypik begründet. Rechtsfolge ist, dass der Regelerteilungsanspruch entfällt und über die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach Ermessen zu entscheiden ist (BVerwG, Urt. v. 22.11.2005 - 1 C 18.04 - BVerwGE 124, 326; Burr in GK-AufenthG, § 25 Rn. 56).
48 
b) Der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG steht jedoch der Ausschlussgrund des § 25 Abs. 3 Satz 2 lit. b AufenthG entgegen. Die beantragte Aufenthaltserlaubnis ist zwingend zu versagen, wenn ein in § 25 Abs. 3 Satz 2 AufenthG aufgeführter Ausschlussgrund vorliegt. Dann ist auch eine Ermessensentscheidung nicht eröffnet (BVerwG, Urt. v. 22.11.2005 - 1 C 18.04 - a.a.O.).
49 
Nach § 25 Abs. 3 Satz 2 lit. b AufenthG wird die Aufenthaltserlaubnis nicht erteilt, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass der Ausländer eine „Straftat von erheblicher Bedeutung“ begangen hat. Dieser Ausschlussgrund ist weiter gefasst als die Ausschlussgründe des Art. 1 F des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge - GFK -, des Art. 17 Abs. 1 RL 2004/83/EG - Qualifikationsrichtlinie - und des § 60 Abs. 8 AufenthG. Nach Art. 1 F GFK finden die Bestimmungen dieses Abkommens keine Anwendung auf Personen, in Bezug auf die aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist,
50 
a) dass sie ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen haben, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen;
51 
b) dass sie ein schweres nichtpolitisches Verbrechen außerhalb des Aufnahmelandes begangen haben, bevor sie dort als Flüchtling aufgenommen wurden;
52 
c) dass sie sich Handlungen zuschulden kommen ließen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwider laufen.
53 
Nach Art. 17 Abs. 1 RL 2004/83/EG ist ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser von der Gewährung subsidiären Schutzes ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er
54 
a) ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen;
55 
b) eine schwere Straftat begangen hat;
56 
c) sich Handlungen zuschulden kommen ließ, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen verankert sind, zuwider laufen;
57 
d) eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit des Landes darstellt, in dem er sich aufhält.
58 
Nach § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG findet Absatz 1 dieser Norm keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Nach Satz 2 gilt das Gleiche, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des - dem Art. 1 F GFK entsprechenden - § 3 Abs. 2 AsylVfG erfüllt.
59 
Entgegen einer in der Literatur vertretenen Auffassung (HK-AuslR/Fränkel, § 25 AufenthG Rn. 31) ist es nicht geboten, den Ausschlussgrund des § 25 Abs. 3 Satz 2 lit. b AufenthG in Anlehnung an die angeführten Vorschriften eng auszulegen. Dagegen spricht zunächst die Entstehungsgeschichte der Vorschrift: Der ursprüngliche Regierungsentwurf sah eine vollständige Abschaffung der Duldung vor. Eine Aufenthaltserlaubnis sollte erteilt werden, wenn die Voraussetzungen für die Aussetzung der Abschiebung nach § 60 Abs. 2 bis 7 vorliegen. Einziger Ausschlussgrund sollte nach Satz 2 des Entwurfs die Möglichkeit und Zumutbarkeit der Ausreise in einen anderen Staat sein. Ein von der CDU/CSU-Fraktion eingebrachter Änderungsantrag sah demgegenüber eine restriktive Neufassung des § 25 Abs. 3 vor:
60 
„Einem Ausländer kann eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 vorliegen. Eine Aufenthaltserlaubnis darf nur erteilt werden, wenn eine Ausreise in einen anderen Staat aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht möglich ist. Eine Aufenthaltserlaubnis wird nicht erteilt, wenn der Ausländer die Gründe für das Verbot der Abschiebung selbst zu vertreten hat, weil er im Bundesgebiet nicht nur vereinzelte oder geringfügige Straftaten begangen hat oder nach seiner Einreise die Gründe für das Verbot der Abschiebung selbst herbeigeführt, die Aufenthaltsbeendigung in vorwerfbarer Weise hinausgezögert oder vereitelt hat oder sein Handeln in sonstiger Weise rechtsmissbräuchlich ist.“
61 
Begründet wurde der Änderungsantrag u.a. damit, dass Straftätern grundsätzlich keine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden solle (BT-Drs. 15/955, S. 14). Diese Einwände haben sich in der vom Vermittlungsausschuss akzeptierten Fassung in der Weise niedergeschlagen, dass die Ausschlussgründe gegenüber dem Regierungsentwurf wesentlich erweitert wurden. Während der Regierungsentwurf einen Ausschluss nur in den Fällen vorsah, in denen die Ausreise in einen anderen Staat möglich und zumutbar ist, wurden zusätzlich die Fälle des gröblichen Verstoßes gegen Mitwirkungspflichten und die Begehung von Verbrechen, Straftaten oder Handlungen nach Abs. 3 Satz 2 lit. a - d eingefügt (BT-Drs. 15/3479, S. 5).
62 
Die Ausschlussgründe des § 25 Abs. 3 Satz 2 lit. a - d regeln lediglich die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, sagen aber nichts darüber aus, ob Ausländer, bei denen Abschiebungsverbote nach Abs. 3 Satz 1 vorliegen, in ihre Heimatstaaten abgeschoben werden können. Rechtsgrundsätzliche Bedenken dagegen, dass die Ausschlussgründe weiter gefasst sind als in Art. 1 F GFK und in Art. 17 RL 2004/83/EG, bestehen daher nicht. Steht der Ausschlussgrund der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis entgegen, ist eine Duldung nach § 60 a Abs. 2 AufenthG zu erteilen (Burr in GK-AufenthG, § 25 AufenthG Rn. 48; Hailbronner, AuslR, Kommentar, A 1 § 25 Rn. 72). In der Person des Klägers zu 2 liegt ohnehin lediglich ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor, so dass er sich auf die Bestimmungen der GFK und der Qualifikationsrichtlinie nicht berufen kann.
63 
Bei dem Begriff der Straftaten von erheblicher Bedeutung handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, den der Gesetzgeber in einer Vielzahl von Gesetzen verwendet (vgl. etwa §§ 81 g, 98 a, 100 g, 100 h, 110 a, 131 StPO, § 28 BDSG, § 23 BPolG, §§ 8, 14, 15 BKAG, §§ 25, 30 PolG BW). Dazu zählen alle Verbrechen, aber auch schwerwiegende Vergehen (etwa §§ 224, 243, 253 StGB; schwerwiegende Straftaten nach dem BtMG). Man versteht darunter solche Taten, die den Rechtsfrieden empfindlich stören und geeignet sind, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen. Es muss sich bei den zu beurteilenden Taten um Delikte handeln, die mindestens der mittleren Kriminalität zuzurechnen sind (BVerfG, Beschl. v. 14.12.2000 - 1 BvR 1741/99 u.a. - BVerfGE 103, 21 <34> und Beschl. v. 16.06.2009 - 2 BvR 902/06 - juris; NdsOVG, Beschl. v. 06.03.2009 - 7 LA 231/07 - juris; Meyer-Goßner, StPO, 50. Aufl., § 81 g Rn. 7 a m.w.N.; Burr in GK-AufenthG, § 25 AufenthG Rn. 50; Hailbronner, AuslR, Kommentar, § 25 Rn. 69). In den Fällen der mittleren Kriminalität ist dabei das besondere Maß des Unrechts nach Lage des konkreten Einzelfalles entscheidend, wobei es nicht so sehr auf den abstrakten Charakter des Straftatbestandes, sondern auf Art und Schwere der jeweiligen konkreten Tat ankommt. Die Beeinträchtigung des Rechtsfriedens oder der Rechtssicherheit kann sich etwa daraus ergeben, dass durch die Straftat bedeutsame Rechtsgüter wie z.B. Leib, Leben, Gesundheit oder fremde Sachen von bedeutendem Wert verletzt wurden. Nach Lage des Falles können auch Eigentums- oder Vermögensdelikte mittlerer Qualität die genannten Voraussetzungen erfüllen, insbesondere wenn es sich um Straftaten mit Seriencharakter und entsprechendem (Gesamt-)Schaden für die Allgemeinheit handelt (BT-Drs. 11/7663 S. 35). Die Straftat muss ein Gewicht aufweisen, das es gerechtfertigt erscheinen lässt, den gesetzgeberischen Zweck der Legalisierung des Aufenthalts zurücktreten zu lassen (Burr, a.a.O. Rn. 50; Hailbronner, a.a.O. Rn. 69; VG Stuttgart, Urt. v. 07.10.2005 - 9 K 2107/04 - InfAuslR 2006, 78).
64 
Daran gemessen liegt der Ausschlussgrund des § 25 Abs. 3 Satz 2 lit. b AufenthG hier vor. Der Kläger zu 2 wurde mehrfach nicht nur wegen Eigentums-, sondern auch wegen Gewaltdelikten (gemeinschaftlicher Raub, gemeinschaftliche gefährliche Körperverletzung) verurteilt. Er ist hierbei vor massiven Verletzungen der körperlichen Integrität unbeteiligter Dritter nicht zurückschreckt. Hinzu kommt, dass er die ihm mehrfach eingeräumten Gelegenheiten zur Bewährung ausweislich des Berichts der Bewährungshelferin vom 26.04.2007 und des Urteils des Amtsgerichts Mannheim vom 03.05.2007 nicht genutzt hat. Nichts anderes folgt angesichts des Umstandes, dass gegen den Kläger zu 2 eine Jugendstrafe verhängt wurde, die letztendlich nicht zur Bewährung ausgesetzt werden konnte, daraus, dass der Kläger zu 2 nach Jugendstrafrecht verurteilt wurde.
65 
Unschädlich ist, dass die in § 72 Abs. 2 AufenthG vorgesehene Beteiligung des Bundesamtes unterbleiben ist. Nach dieser Vorschrift hätte das Vorliegen des Ausschlussgrundes unter Beteiligung des Bundesamtes geprüft werden müssen. Dieses Beteiligungserfordernis verfolgt jedoch nicht das Ziel, Rechte des Ausländers zu wahren. Es ist nicht als verfahrensrechtliche Schutznorm anzusehen. Der betroffene Ausländer kann sich daher in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht mit Erfolg auf die unterbliebene Beteiligung berufen (Gutmann in GK-AufenthG, § 72 AufenthG Rn. 55 m.w.N.).
66 
Ob weitere Ausschlussgründe nach § 25 Abs. 3 Satz 2 AufenthG vorliegen, kann danach offenbleiben.
67 
3. Der Kläger zu 2 hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach anderen Anspruchsgrundlagen.
68 
a) Es bedarf keiner Entscheidung, ob der Kläger zu 2 die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 AufenthG erfüllt. Insoweit erscheint offen, ob seine Ausreise nach Serbien oder Kosovo möglicherweise im Hinblick auf eine drohende Verschlechterung seines Gesundheitszustandes wegen eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbots rechtlich unmöglich ist. Bezüglich dieser Staaten liegt keine Bundesamtsentscheidung vor, die die Anwendung des § 25 Abs. 5 AufenthG insoweit sperren würde (vgl. § 42 Satz 1 AsylVfG). In der Rechtsprechung ist auch geklärt, dass zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote nicht ausschließlich im Rahmen des § 25 Abs. 3, sondern auch im Rahmen des § 25 Abs. 5 AufenthG berücksichtigungsfähig sind, soweit keine Prüfungszuständigkeit des Bundesamtes gegeben ist (BVerwG, Urt. v. 27.06.2006 - 1 C 14.05 - a.a.O.; Hailbronner, AuslR, Kommentar, A 1 § 25 Rn. 119).
69 
Einem möglichen Anspruch steht aber jedenfalls das Fehlen der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG entgegen. Danach setzt die Erteilung eines Aufenthaltstitels in der Regel voraus, dass kein Ausweisungsgrund vorliegt. Mit den von ihm begangenen vorsätzlichen Straftaten, die nicht vereinzelt und geringfügig sind, hat der Kläger zu 2 den Ausweisungsgrund des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG verwirklicht. Atypische Umstände, die das Gewicht des Regelerteilungsgrunds beseitigen würden, sind nicht ersichtlich. Anders als im Rahmen des § 25 Abs. 3 AufenthG - insoweit kommen gemäß § 5 Abs. 3 Satz 1 AufenthG die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nicht zur Anwendung - ist im Rahmen des § 25 Abs. 5 AufenthG auch nicht von der Anwendung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG abzusehen. Vielmehr kann die Ausländerbehörde gemäß § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG nach pflichtgemäßem Ermessen von der Anwendung der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen absehen. Vorliegend hat die Beklagte im Berufungsverfahren mit Schriftsatz vom 08.08.2007 ausdrücklich erklärt, dass sie bei dem Kläger zu 2 nicht von der allgemeinen Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG absieht. Die bisherigen strafrechtlichen Verfehlungen des Klägers zu 2 rechtfertigten eine solche Entscheidung nicht. Ermessensfehler sind insoweit nicht erkennbar. Die Ermessensbetätigung steht im Einklang mit der Entscheidung des Gesetzgebers, der im Rahmen des § 25 Abs. 3 AufenthG das Vorliegen einer Straftat von erheblicher Bedeutung als zwingenden Ausschlussgrund ausgestaltet hat. Es kann nicht beanstandet werden, dass die Beklagte unter Berufung auf die Schwere der strafrechtlichen Verfehlungen dieser gesetzgeberischen Entscheidung auch im Rahmen des § 25 Abs. 5 AufenthG Rechnung trägt.
70 
§ 114 Satz 2 VwGO steht vorliegend der erstmaligen Ermessensbetätigung im gerichtlichen Verfahren nicht entgegen. Zwar erlaubt diese Vorschrift nur die Ergänzung bereits vorhandener Ermessenserwägungen. An solchen fehlt es vorliegend. Der Konzeption des § 114 Satz 2 VwGO liegt indes zugrunde, dass bei Ermessensentscheidungen der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung der maßgebliche Zeitpunkt ist (vgl. Kuntze in Bader u.a., VwGO, § 114 Rn. 5 m.w.N.). Ist aber - wie hier (vgl. oben II. 1.) - der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz der maßgebliche Zeitpunkt auch für die Überprüfung der Ermessensentscheidung und ergibt sich erstmals während des gerichtlichen Verfahrens die Notwendigkeit der Ermessensbetätigung, so ist eine teleologische Reduktion des Anwendungsbereichs des § 114 Satz 2 VwGO geboten. In dieser Situation kann es der Behörde, die die Pflicht zur ständigen verfahrensbegleitenden Kontrolle der Rechtmäßigkeit ihrer Verfügung trifft, nicht verwehrt sein, bezüglich nachträglich entstandener Umstände, die erstmals eine Ermessensentscheidung erfordern, ihr Ermessen insgesamt nachträglich erstmals zu betätigen. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht bislang zum Ausweisungsrecht so entschieden. Es hat seine frühere Rechtsprechung, wonach Ermessenserwägungen bei Ausweisungsentscheidungen nur insoweit ergänzt werden können, als die nachträglich von der Behörde angegebenen Gründe schon bei Erlass des Verwaltungsaktes vorlagen (vgl. Urt. v. 05.05.1998 - 1 C 17.97 - BVerwGE 106, 351 <363>), mit der Erwägung aufgegeben, dass diese Rechtsprechung sich nicht auf Sachverhalte bezieht, in denen es aus Gründen des materiellen Rechts erforderlich ist, in eine Ermessensentscheidung auch Umstände einzubeziehen, die erst nach Erlass der Ausweisungsverfügung entstanden sind (Urt. v. 15.11.2007 - 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20 und Urt. v. 13.01.2009 - 1 C 2.08 - NVwZ 2009, 727). Dies betrifft nicht nur Situationen, in denen die Ergänzung einer bereits getroffenen Ermessensentscheidung geboten ist, sondern auch Fälle, in denen eine ursprünglich gebundene Ausweisung aufgrund nachträglicher Änderungen erstmals einer Ermessensentscheidung bedarf (BVerwG, Urt. v. 15.11.2007, a.a.O. Rn. 19). Der Einbeziehung nachträglicher Ermessenserwägungen könne in dieser Sondersituation nicht entgegengehalten werden, dass diese sich auf nach Erlass der Ausweisung entstandene Umstände beziehen (zustimmend Decker in Posser/Wolff, VwGO, § 114 Rn. 45). Diese Rechtsprechung ist nach Auffassung des Senats auf Verpflichtungsklagen auf Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels zu übertragen, nachdem das Bundesverwaltungsgericht auch in diesem Bereich seine Rechtsprechung zum maßgeblichen Zeitpunkt geändert hat (Urt. v. 07.04.2009 - 1 C 17.08 - a.a.O.). In diesem Urteil hat das Bundesverwaltungsgericht unter Bezugnahme auf seine neuere Rechtsprechung zum Ausweisungsrecht ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Ausländerbehörde die Möglichkeit habe, in Erfüllung ihrer Obliegenheit zur ständigen verfahrensbegleitenden Kontrolle die Ermessenserwägungen in Anwendung der prozessualen Möglichkeit des § 114 Satz 2 VwGO im laufenden Verfahren zu aktualisieren (a.a.O. Rn. 42). Soweit danach eine Aktualisierung „in Anwendung der prozessualen Möglichkeit des § 114 Satz 2 VwGO“ erfolgen soll, lässt sich dem nicht entnehmen, dass anders als im Ausweisungsrecht eine gegebenenfalls notwendige erstmalige Ermessensbetätigung während des gerichtlichen Verfahrens ausgeschlossen sein soll. Diese Formulierung dürfte vielmehr dem Umstand geschuldet sein, dass in dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall eine Ermessensentscheidung getroffen worden war und daher von vornherein nur eine Ergänzung der bereits getroffenen Ermessensentscheidung im Raume stand.
71 
Hier ist die Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG erst infolge der vom Kläger zu 2 nach Erlass des Widerspruchsbescheides vom 25.01.2006 begangenen Straftaten entfallen, so dass der Beklagten die erstmalige Ermessensausübung gemäß § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG im gerichtlichen Verfahren nicht verwehrt werden kann. Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, dass dadurch der Verwaltungsakt in seinem Wesen geändert würde, was nach der bisherigen Rechtsprechung (vgl. etwa BVerwG, Urt. v. 27.01.1982 - 8 C 12.81 - BVerwGE 64, 356 <360>) dem Nachschieben von Gründen entgegenstünde. Sinn und Zweck der Schranke der Wesensänderung sind Überlegungen prozessualer Waffengleichheit, damit insbesondere belastende Ermessensverwaltungsakte nicht frühzeitig auf schwacher Grundlage erlassen und von der Verwaltung auch noch im Prozess zur nachträglichen Legitimation der Anordnung nach Belieben nachgebessert werden können. Dieser Zweck trifft aber die infolge der Verschiebung des maßgeblichen Zeitpunkts zu bewältigenden Fälle nachträglicher Änderungen der Sach- und Rechtslage gerade nicht (ebenso Kraft, ZAR 2009, 41 <46>). Sind nachträgliche Änderungen der Sach- und Rechtslage zugunsten wie zulasten des Ausländers zu berücksichtigen, erscheint es auch unter dem Gesichtspunkt der prozessualen Waffengleichheit gerechtfertigt, der Ausländerbehörde das Recht zur erstmaligen Ermessensentscheidung während des gerichtlichen Verfahrens einzuräumen.
72 
b) Der Kläger zu 2 hat keinen Anspruch gemäß der Anordnung des Innenministeriums nach § 23 AufenthG über ein Bleiberecht für im Bundesgebiet wirtschaftlich und sozial integrierte ausländische Staatsangehörige vom 20. November 2006 (Az.: 4-1340/29). Zum einen fehlt es an der Sicherung des Lebensunterhalts zum Stichtag 17.11.2006. Nach I. 1.2 der Anordnung muss der Lebensunterhalt des ausländischen Staatsangehörigen und seiner einbezogenen Familienangehörigen am 17. November 2006 und in Zukunft durch eigene legale Erwerbstätigkeit ohne zusätzliche Sozialleistungen gesichert sein. Zum anderen steht der Ausschlussgrund nach Nr. I. 3.3 der Anordnung der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis entgegen. Nach Nr. I 3.3 dürfen keine Ausweisungsgründe nach §§ 53, 54, 55 Abs. 2 Nrn. 1 bis 5, 8 AufenthG vorliegen.
73 
c) Einem möglichen Anspruch des Klägers zu 2 nach § 104 a AufenthG steht der Ausschlussgrund gemäß Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 dieser Vorschrift entgegen. Mit der Verurteilung zu einer Jugendstrafe von 20 Monaten ist dieser Ausschlussgrund verwirklicht (vgl. Funke-Kaiser in GK-AufenthG, § 104 a AufenthG Rn. 52).
74 
4. Die Kläger zu 1, zu 3 und zu 4 können die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen aus humanitären Gründen nach § 25 AufenthG ebenfalls nicht beanspruchen. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des allein in Betracht kommenden § 25 Abs. 5 AufenthG liegen nicht vor.
75 
Nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG kann einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, abweichend von § 11 Abs. 1 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist.
76 
a) Zwar sind alle Kläger aufgrund der in den Asylverfahren ergangenen Abschiebungsandrohungen nach § 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG vollziehbar ausreisepflichtig.
77 
b) Es fehlt jedoch an der Unmöglichkeit der Ausreise. Die Ausreise der Kläger zu 1, zu 3 und zu 4 ist weder aus tatsächlichen noch aus rechtlichen Gründen unmöglich. Der Begriff der Ausreise umfasst die (zwangsweise) Abschiebung und die freiwillige Ausreise (BVerwG, Urt. v. 27.06.2006 - 1 C 14.05 - a.a.O.). Die Ausreise ist unmöglich, wenn sie aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht erfolgen kann. Da die Ausreise eine unvertretbare Handlung darstellt, ist die Unmöglichkeit im Hinblick auf den betroffenen Ausländer zu prüfen. Von der Unmöglichkeit der Abschiebung kann nicht ohne weiteres auf die Unmöglichkeit der Ausreise geschlossen werden. Grundsätzlich ist von der Möglichkeit einer (freiwilligen) Ausreise auszugehen, solange der Ausländer nicht durch einen gescheiterten Ausreiseversuch das Gegenteil nachweist. Es bedarf jedoch dann keines Versuchs der freiwilligen Ausreise in den Heimatstaat, wenn von vornherein feststeht, dass dieser Versuch erfolglos bleiben wird (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 25.06.2003 - 13 S 2767/02 - juris).
78 
aa) Ein tatsächliches Ausreisehindernis kann vorliegen, wenn ein Ausländer staatenlos ist und kein aufnahmebereiter Staat vorhanden ist. Auch der fehlende Besitz eines Passes oder sonstigen Reisedokuments kann die tatsächliche Unmöglichkeit begründen (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 06.04.2005 - 11 S 2779/04 - VBlBW 2005, 356).
79 
bb) Die freiwillige Ausreise ist rechtlich unmöglich, wenn dem Ausländer aus Rechtsgründen nicht zuzumuten ist, Deutschland zu verlassen. Allgemeine Widrigkeiten, oder Überlegungen humanitärer Art, die aber keine Abschiebungshindernisse zur Folge haben, bleiben jedoch unberücksichtigt (BVerwG, Urt. v. 27.06.2006 - 1 C 14.05 - a.a.O.). Danach ist die Ausreise unzumutbar und damit unmöglich, wenn rechtliche zielstaats- und/oder inlandsbezogene Abschiebungshindernisse bestehen. Zu den inlandsbezogenen Abschiebungsverboten zählen auch die Verbote, die aus Verfassungsrecht (etwa mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 GG) oder aus Völkervertragsrecht (etwa aus Art. 8 EMRK) in Bezug auf das Inland herzuleiten sind (BVerwG, Urt. v. 27.06.2006, a.a.O.). Eine rechtliche Unmöglichkeit der freiwilligen Ausreise wäre danach gegeben, wenn die Versagung der Aufenthaltserlaubnis einen unverhältnismäßigen Eingriff in das Recht auf Familien- und Privatleben darstellte.
80 
Ein unverhältnismäßiger Eingriff - und demzufolge eine rechtliche Unmöglichkeit der Ausreise - kann angenommen werden, wenn die „Verwurzelung“ des Ausländers in Deutschland infolge fortgeschrittener beruflicher und sozialer Integration bei gleichzeitiger Unmöglichkeit einer Reintegration im Herkunftsstaat dazu führt, dass das geschützte Privatleben nur noch hier geführt werden kann (sog. faktischer Inländer). Die Annahme einer Unzumutbarkeit der Ausreise im Sinne des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG unter dem Aspekt des nach Art. 8 EMRK geschützten „Privatlebens“ setzt eine abgeschlossene und „gelungene“ Integration des Ausländers in die Lebensverhältnisse in Deutschland voraus. Eine derartige Konstellation ist insbesondere denkbar bei Ausländern der zweiten Generation, die in Deutschland aufgewachsen sind und keinerlei Beziehung zum Herkunftsstaat der Eltern besitzen. Wie sich hinreichend etwa aus den neueren Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in den Sachen „Sisojeva I und II“ (EGMR, Urteile vom 16.06.2005 und 15.01.2007, EuGRZ 2006, 554 und InfAuslR 2007, 140) sowie „Rodrigues da Silva und Hoogkamer“ (EGMR, Urteil vom 31.01.2006, EuGRZ 2006, 562) ergibt, kommt es im Rahmen des Schutzbereichs von Art. 8 Abs. 1 EMRK wohl nicht entscheidungserheblich darauf an, ob der Ausländer über einen zumindest vorübergehenden legalen Aufenthalt verfügte (offen gelassen im Urteil vom 08.04.2008 - Nr. 21878/06 - „Nnyanzi“); der Schutzbereich dieses Menschenrechts dürfte vielmehr auch bei nur Geduldeten eröffnet sein können (Senatsbeschlüsse vom 25.10.2007 - 11 S 2091/07 - InfAuslR 2008, 29 = VBlBW 2008, 114 = NVwZ 2008, 344, vom 03.11.2008 - 11 S 2235/08 -InfAuslR 2009, 72 und vom 05.02.2009 - 11 S 3244/08 - InfAuslR 2009, 178; ebenso Burr in GK-AufenthG, § 25 AufenthG Rn. 150; HK-AuslR/Fränkel, § 25 AufenthG Rn. 56; Benassi, InfAuslR 2006, 397 <401 f.>; Hoppe, ZAR 2006, 125; Marx, ZAR 2006, 261 <266>; a.A. wohl Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 17.07.2008 - 8 ME 42/08 - juris und Storr in Storr u.a., ZuwG, 2. Aufl., § 25 AufenthG Rn. 31; unklar insoweit BVerwG, Urt. v. 30.04.2009 - 1 C 3.08 - juris).
81 
Zu berücksichtigen ist auch, dass minderjährige Kinder grundsätzlich aufenthaltsrechtlich das Schicksal ihrer Eltern teilen (sog. familienbezogene Gesamtbetrachtung; vgl. dazu Senatsurteil vom 26.07.2006 - 11 S 951/06 -VBlBW 2006, 442). Steht den Eltern wegen deren mangelnder Integration in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland über Art. 8 EMRK in Verbindung mit § 25 AufenthG kein Aufenthaltsrecht zu, so ist davon auszugehen, dass auch ein Minderjähriger, der im Bundesgebiet geboren wurde oder dort lange Zeit gelebt hatte und vollständig integriert ist, auf die von den Eltern nach der Rückkehr im Familienverband zu leistenden Integrationshilfen im Heimatland verwiesen werden kann. Ausnahmsweise kann etwas anderes gelten, wenn kein Elternteil in der Lage sein wird, diese Hilfen zu erbringen.
82 
cc) Daran gemessen folgt hier weder aus der Passlosigkeit der Kläger (aaa) noch aus Art. 8 EMRK (bbb) eine Unmöglichkeit der Ausreise. Wollte man dies hinsichtlich der Passlosigkeit anders sehen, stünden jedenfalls die Regelungen des § 25 Abs. 5 Satz 3 und 4 AufenthG dem geltend gemachten Anspruch entgegen (ccc).
83 
aaa) Zwar erscheint eine Ausreise nach Kroatien bezüglich aller Kläger ausgeschlossen, nachdem die kroatischen Behörden die Rückübernahme endgültig abgelehnt haben. Gleiches gilt in Bezug auf Makedonien für die Kläger zu 3 und zu 4. Dass eine Ausreise der Kläger zu 1, zu 3 und zu 4 nach Serbien oder in die Republik Kosovo nicht möglich ist, steht demgegenüber nicht fest. Nachdem insoweit keine eindeutigen Erklärungen der zuständigen Stellen der betreffenden Staaten vorliegen, dass die Kläger nicht übernommen werden, und sie auch keinen - gescheiterten - Ausreiseversuch unternommen haben, ist von der Möglichkeit der freiwilligen Ausreise auszugehen.
84 
bbb) Aus Art. 8 EMRK ergibt sich vorliegend keine rechtliche Unmöglichkeit der Ausreise der Kläger zu 1, zu 3 und zu 4.
85 
Soweit keine Abschiebung der Klägerin zu 1 nach Makedonien durchgeführt werden soll, ist vorliegend nicht der Schutzbereich des Rechts auf Familienleben (vgl. dazu Senatsbeschluss vom 05.02.2009 – 11 S 3244/08 – InfAuslR 2009, 178), sondern lediglich der des Rechts auf Achtung des Privatlebens eröffnet. Die Klägerin zu 1 und der minderjährige Kläger zu 4 können nach dem oben Ausgeführten darauf verwiesen werden, gemeinsam nach Serbien bzw. Kosovo auszureisen. Gleiches gilt für den volljährigen Kläger zu 3, der im Übrigen nicht in gesteigertem Maße auf familiären Beistand angewiesen ist. Die Ausreise ist für keinen der Kläger unzumutbar. Der Eingriff in das geschützte Privatleben der Kläger ist im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMRK nicht unverhältnismäßig.
86 
Bei der als Erwachsene eingereisten Klägerin zu 1, die in Makedonien aufgewachsen ist und später im heutigen Kroatien gelebt hat, fehlt es bereits an der erforderlichen Entwurzelung. Zudem ist sie nicht hinreichend verwurzelt, da sie über viele Jahre ausschließlich von Sozialleistungen gelebt und erst vor kurzem eine Arbeitsstelle gefunden hat. Weitere besondere Integrationsleistungen sind nicht ersichtlich. Es fehlt auch an einer Handreichung des Staates, da ihr Aufenthalt nach negativem Abschluss des Asylverfahrens durchgehend nur geduldet war. Sie konnte daher kein schutzwürdiges Vertrauen in den Fortbestand ihres Aufenthalts im Bundesgebiet entwickeln (vgl. zu diesem Aspekt BVerwG, Urt. v. 30.04.2009 - 1 C 3.08 - juris). Der jetzt 17jährige Kläger zu 4 ist zwar hier geboren und aufgewachsen, so dass ohne weiteres von einer Entwurzelung ausgegangen werden kann. Er hat indes nach Abschluss der Hauptschule keine Ausbildung begonnen und auch beruflich nicht Fuß gefasst. Besondere Integrationsleistungen sind ebenfalls nicht ersichtlich. Negativ ins Gewicht fällt auch seine Verurteilung vom 17.09.2008. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass der Kläger zu 4 als Minderjähriger grundsätzlich das aufenthaltsrechtliche Schicksal seiner Mutter teilt (familienbezogene Gesamtbetrachtung). Bei dem als Kleinkind eingereisten, jetzt 18jährigen Kläger zu 3 fehlt es ebenfalls an einer abgeschlossenen Integration. Er hat keinen Schulabschluss erlangt und ist beruflich nicht integriert. Zudem ist er ebenfalls straffällig geworden. Von einer fortgeschrittenen beruflichen und sozialen Integration kann daher auch bei ihm keine Rede sein.
87 
ccc) Nach § 25 Abs. 5 Satz 3 und 4 AufenthG darf die Aufenthaltserlaubnis nur erteilt werden, „wenn der Ausländer unverschuldet an der Ausreise gehindert ist“ (§ 25 Abs. 5 Satz 3 AufenthG), und ein Verschulden liegt insbesondere dann vor (die anderen Verschuldenstatbestände sind hier nicht einschlägig), wenn der Ausländer „zumutbare Anforderungen zur Beseitigung der Ausreisehindernisse nicht erfüllt“ (§ 25 Abs. 5 Satz 4 AufenthG). Grundsätzlich ist der Ausländer verpflichtet, von sich aus zumutbare Anforderungen zur Beseitigung von Ausreisehindernissen zu erfüllen; er hat zudem unter Angabe nachprüfbarer Umstände darzulegen und durch Vorlage geeigneter Dokumente nachzuweisen, dass er das ihm Zumutbare zur Erlangung eines Passes oder eines anderen Rückreisedokuments getan hat (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 03.12.2008 - 13 S 2483/07 - InfAuslR 2009, 109; Senatsurteil vom 22.03.2006 - 11 S 1924/05 - je m.w.N.). Bei der Frage, welche Mitwirkungshandlungen konkret zumutbar sind, sind alle Umstände und Besonderheiten des Einzelfalls zu berücksichtigen (siehe BVerwG, Beschl. v. 15.06.2006 - 1 B 54.06 - Buchholz 402.242 § 25 AufenthG Nr. 4 und VGH Bad.-Württ., Urt. v. 03.12.2008 - 13 S 2483/07 - a.a.O. m.w.N.), wobei der Begriff der Zumutbarkeit es ausschließt, einem Ausländer solche Handlungen abzuverlangen, die von vornherein erkennbar aussichtslos sind (BVerwG, Beschluss vom 15.06.2006, a.a.O.; OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 14.06.2007 - 3 B 34.05 - juris). Auch dem Verhalten der Behörde als Mitbeteiligter kommt bei der Festlegung der einzelnen Verantwortungsbereiche Bedeutung zu (Burr in GK-AufenthG, § 25 AufenthG Rn. 180; BayVGH, Beschl. v. 19.12.2005 - 24 C 05.2856 - InfAuslR 2006, 189). Erfolglos gebliebene behördliche Bemühungen können zwar dem Betroffenen selbst nicht als Verschulden angelastet werden; andererseits entlasten sie jedoch den Ausländer nicht von (sonst) zumutbaren eigenen Anstrengungen. Dies ergibt sich bereits daraus, dass im Rahmen des § 25 Abs. 5 Satz 3 und 4 AufenthG eigenständige Verantwortungsbereiche von Behörde und Betroffenem anzunehmen sind (siehe dazu BayVGH, Urteil vom 19.12.2005, a.a.O.) und dass Behördenbemühungen unter Umständen schon deswegen, weil sie von einer Behörde ausgehen, zum Scheitern verurteilt sein können. Die dem Ausländer obliegende Initiativpflicht erstreckt sich auf alle Handlungsmöglichkeiten, die ihm bei objektiver Betrachtungsweise bekannt sein können; nur insoweit kann ihm subjektive Verantwortlichkeit angelastet werden (siehe dazu BayVGH, Urteil vom 19.12.2005 a.a.O.). Daher hat die zuständige Behörde, wie dies auch § 82 Abs. 3 Satz 1 AufenthG vorgibt, den Betroffenen auf seine Pflichten hinzuweisen und ihm mitzuteilen, dass und in welchem Umfang er zur Erbringung bestimmter Handlungen verpflichtet ist; wenn sich ihm ein bestimmtes Verhalten nicht bereits aufdrängen muss, muss ihm wenigstens hinreichend erkennbar sein, was er konkret zu unternehmen hat. Die Behörde ist regelmäßig angesichts ihrer organisatorischen Überlegenheit und Sachnähe besser in der Lage, die bestehenden Möglichkeiten zu erkennen und die erforderlichen Schritte in die Wege zu leiten (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 03.12.2008 - 13 S 2483/07 - a.a.O.).
88 
Daran gemessen ist ein Verschulden der Kläger hier zu bejahen. Die Klägerin zu 1 ist nie von sich aus tätig geworden, um nach Ungültigwerden ihres alten jugoslawischen Passes neue Pässe für sich und ihre Kinder zu erlangen. Aufforderungen zur Passbeschaffung ist sie bezogen auf Kroatien und Makedonien zunächst nachgekommen. Auch auf dem serbischen Konsulat hat sie vorgesprochen. Nachdem jedoch klar war, dass sie abgeleitet von ihrer Mutter möglicherweise ihre Registrierung und Einbürgerung in Serbien erreichen könnte, hat sie trotz ausdrücklicher Aufforderung seitens der Beklagten keine weiteren Bemühungen in dieser Richtung unternommen. Der Kläger zu 3, der nach Erreichen der Volljährigkeit ebenfalls keine eigenen Bemühungen unternommen hat, muss sich das Verhalten der Klägerin zu 1 ebenso zurechnen lassen wie der noch minderjährige Kläger zu 4.
89 
Auf das Vorliegen der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen kommt es nach alledem im Hinblick auf die Ansprüche nach § 25 Abs. 5 AufenthG nicht an.
90 
5. Die Kläger zu 1, zu 3 und zu 4 haben auch keinen Anspruch nach der Anordnung des Innenministeriums nach § 23 AufenthG über ein Bleiberecht für im Bundesgebiet wirtschaftlich und sozial integrierte ausländische Staatsangehörige vom 20. November 2006 (Az.: 4-1340/29). Zum einen fehlt es an der Sicherung des Lebensunterhalts zum Stichtag 17.11.2006. Nach I. 1.2 der Anordnung muss der Lebensunterhalt des ausländischen Staatsangehörigen und seiner einbezogenen Familienangehörigen am 17.11.2006 und in Zukunft durch eigene legale Erwerbstätigkeit ohne zusätzliche Sozialleistungen gesichert sein. Dies war hier nicht der Fall. Zum anderen steht der Ausschlussgrund nach Nr. I. 3.3 der Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen entgegen. Nach Nr. I 3.3 der Anordnung dürfen keine Ausweisungsgründe nach §§ 53, 54, 55 Abs. 2 Nrn. 1 bis 5, 8 AufenthG vorliegen. Liegt für einen Elternteil oder für ein im Familienverband lebendes minderjähriges Kind ein Ausschlussgrund vor, so scheidet nach I. 3.5 der Anordnung zur Wahrung der Familieneinheit die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis grundsätzlich auch für die übrigen Familienmitglieder aus. Hier liegt nicht nur bei dem Kläger zu 2, sondern auch bei den Klägern zu 3 und zu 4 der anspruchsvernichtende Ausweisungsgrund des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG vor. Damit scheidet die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis auch für die Klägerin zu 1 aus.
91 
6. Möglichen Ansprüchen nach § 104 a AufenthG steht jedenfalls entgegen, dass die Kläger zu 1, zu 3 und zu 4 die allgemeine Erteilungsvoraussetzung der Passpflicht (§ 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG) nicht erfüllen. Lockerungen in Bezug auf die Erfüllung der Passpflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG bestehen im Rahmen des § 104 a AufenthG nicht (Funke-Kaiser in GK-AufenthG, § 104 a AufenthG Rn. 71). Atypische Umstände, die das Gewicht des Regelerteilungsgrundes beseitigen könnten, sind nicht ersichtlich. Insbesondere bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass den Klägern die Erlangung eines Passes unzumutbar sein könnte.
92 
Die von der Beklagten in der Berufungsverhandlung getroffene Entscheidung, nicht nach § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG von der Erfüllung der Passpflicht abzusehen, ist nicht zu beanstanden. Diese Entscheidung wurde tragend mit der Erwägung begründet, die Klägerin zu 1 habe über Jahre hinweg keine Passbeschaffungsbemühungen entfaltet. Sie sei offensichtlich nicht gewillt, sich um einen Pass zu bemühen. Der Kläger zu 4 müsse sich die mangelnden Passbeschaffungsbemühungen seiner Mutter zurechnen lassen. Der Kläger zu 3 hätte sich nach Erreichen der Volljährigkeit auch selbstständig an das serbische Konsulat wenden und Passbeschaffungsbemühungen entfalten können. Diese Erwägungen lassen keine Ermessensfehler erkennen.
93 
§ 114 Satz 2 VwGO steht der erstmaligen Ermessensbetätigung in der Berufungsverhandlung nicht entgegen, weil mit Blick auf den maßgeblichen Zeitpunkt insgesamt erstmals über einen möglichen Anspruch auf der Grundlage des erst während des Berufungsverfahrens in Kraft getretenen § 104 a AufenthG zu entscheiden war. Insoweit gilt das oben unter II. 3. a) Ausgeführte entsprechend.
94 
7. Schließlich können die Kläger weder die Ausstellung von Reiseausweisen für Ausländer noch von Ausweisersatzen beanspruchen. Die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 AufenthV liegen nicht vor, da die Kläger, wie oben ausgeführt, auf zumutbare Weise Pässe erlangen können. Die Voraussetzungen des § 48 Abs. 4 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor, da die Beklagte nicht nach § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG von der Erfüllung der Passpflicht abgesehen hat.
III.
95 
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO, § 162 Abs. 3 VwGO. Es besteht keine Veranlassung, die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen für erstattungsfähig zu erklären. Der Antrag, die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären, ist gegenstandslos, nachdem die Kläger die Verfahrenskosten zu tragen haben.
96 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO erfüllt ist.
97 
Beschluss vom 22. Juli 2009
98 
Der Streitwert des Verfahrens in beiden Rechtszügen wird - unter Abänderung der Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts von Amts wegen - nach §§ 63 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1, 47 Abs. 1, 52 Abs. 2, 39 Abs. 1, 45 Abs. 1 Satz 2 GKG auf jeweils40.000,-- EUR festgesetzt.
99 
Gründe
100 
Mit den Anträgen auf Verpflichtung zur Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen und zur Ausstellung von Reiseausweisen machen die Kläger zwei verschiedene prozessuale Ansprüche geltend, für die jeweils - je Kläger - der Auffangstreitwert nach § 52 Abs. 2 GKG von 5.000,-- EUR anzusetzen ist (Senatsbeschluss vom 13.03.2007 - 11 S 150/07- NVwZ-RR 2007, 429). Dies ergibt einen Streitwert von 40.000,-- EUR. Die erstinstanzliche Streitwertfestsetzung ist entsprechend zu ändern.
101 
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 20. April 2005 - 16 K 3626/04 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des gerichtskostenfreien Berufungsverfahrens trägt der Beklagte.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger ist ein eingetragener Verein zur Förderung der Waldorfpädagogik, der einen Waldorfkindergarten in Künzelsau betreibt. Der Kläger begehrt vom Beklagten die Bewilligung eines Betriebskostenzuschusses für diesen Kindergarten für das Rechnungsjahr 2004.
Mit Schreiben vom 13.02.2004 wandte sich der Kläger an den Beklagten und beantragte die Aufnahme des Waldorfkindergartens Künzelsau in die Jugendhilfeplanung des Landkreises sowie eine angemessene finanzielle Förderung. Zur Begründung machte er geltend, dass die Stadt Künzelsau die Aufnahme des Waldorfkindergartens in die Bedarfsplanung der Stadt abgelehnt habe und auch nur bereit sei, den um 10 % verminderten Gruppenzuschuss nach dem Kindergartengesetz 2002 als Freiwilligkeitsleistung zu gewähren (ca. 14.000 EUR). Ein solcher Betrag sei für den Betrieb des Kindergartens völlig unzureichend. Nach den Regelungen des neuen Kindergartengesetzes werde ein Zuschuss von mindestens 63 % der Betriebskosten vorgeschrieben. Die Einstandspflicht des Beklagten sei auch nicht durch die zum 01.01.2004 erfolgte Änderung des Kindergartengesetzes entfallen. Als Grundlage für die Kostenberechnung legte der Kläger seinen Haushaltsplanentwurf Nr. 2 für das Jahr 2004 vor. Hierin wurden die voraussichtlichen Gesamtausgaben für das Jahr 2004 mit 95.000 EUR veranschlagt. Als voraussichtliche Einnahmen hatte der Kläger Kindergartengebühren in Höhe von 13.200 EUR, einen Trägerzuschuss von 21.950 EUR sowie Zuschüsse der Gemeinde und des Kreises von jeweils 29.925 EUR (= jeweils 31,5 %) zu Grunde gelegt.
Mit Schreiben vom 20.04.2004 lehnte der Beklagte eine Förderung des Kindergartens des Klägers ab. Nach den Regelungen des am 01.01.2004 in Kraft getretenen neuen Kindergartengesetzes sei die Planungs- und Finanzierungsverantwortung auf die Kommunen übergegangen, die somit für eine Förderung ausschließlich zuständig seien. Eine Rechtsbehelfsbelehrung war dem Schreiben vom 20.04.2004 nicht beigefügt.
Mit Schreiben vom 10.05.2004 legte der Kläger Widerspruch gegen den Bescheid vom 20.04.2004 ein. In der Begründung wies der Kläger auf die fortbestehende Gesamtverantwortung des Beklagten hin. Die Änderung des Landesrechts könne nicht die fortbestehende bundesrechtliche Regelung unterlaufen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 16.08.2004 wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Im Kreisgebiet erfüllten die Gemeinden seit vielen Jahren absprachegemäß die Aufgaben der Kinderbetreuung für den Träger der öffentlichen Jugendhilfe. Hierdurch erfüllten die Gemeinden auch den Anspruch der Leistungsberechtigten auf einen Kindergartenplatz in eigener Zuständigkeit. Diese Praxis sei durch das seit 01.01.2004 geltende Kindergartengesetz nun ausdrücklich normiert worden. Eine Erhebung zu Beginn des Jahres 2004 habe ergeben, dass bei allen Gemeinden im Kreisgebiet ein ausreichendes und hinreichend differenziertes Kindergartenplatzangebot bestehe. So stünden für insgesamt 4.343 Kinder (ab vollendetem 3. Lebensjahr bis zum Schuleintritt) insgesamt 4.787 Kindergartenplätze zur Verfügung. Damit ergebe sich für das Betriebsjahr 2004 eine Überdeckung von 110,2 %; in der Stadt Künzelsau von 107,4 %, wobei die Plätze im Waldorfkindergarten nicht mitgerechnet seien. Wegen der Bedarfsdeckung durch die Kreisgemeinden sei auch eine eigene Kindergartenbedarfsplanung durch den Beklagten entbehrlich. Auch sei eine Förderung weiterer Kindergartenplätze oder weiterer Gruppen nicht notwendig. Angesichts des hohen Investitionskostenaufwands für die bereits bestehenden Kindergartenplätze könne die Schaffung weiterer Überkapazitäten nicht verlangt werden, zumal die Betreuung von Kindern in Tageseinrichtungen ihres Lebensumfeldes wie in den kommunalen und kirchlichen Kindergärten gegenüber einem Waldorfkindergarten mit sonderpädagogischer Ausrichtung vorzugswürdig sei. Für den Betrieb des Waldorfkindergartens werde gleichwohl von der Stadt Künzelsau auf freiwilliger Basis ab Januar 2004 ein Zuschuss von monatlich über 1.800 EUR gewährt, obwohl dieser Kindergarten nicht in die örtliche Bedarfsplanung aufgenommen worden sei. Eine weitere Bezuschussung durch den Kreis komme auch nicht im Hinblick auf das Wunsch- und Wahlrecht der Leistungsberechtigten in Betracht. Zudem seien im Haushaltsplan des Beklagten für eine solche Förderung keine Mittel eingestellt.
Der Kläger hat am 13.09.2004 Klage beim Verwaltungsgericht Stuttgart erhoben. Zur Begründung hat er geltend gemacht: Der Beklagte habe seinen Förderungsanspruch ermessensfehlerhaft abgelehnt. Denn er habe das ihm eingeräumte Ermessen überhaupt nicht gebraucht, jedenfalls aber nicht am Zweck der Ermächtigung ausgerichtet. Der Beklagte habe die Sperrwirkung des § 8 Abs. 2 Satz 1 KGaG verkannt und übersehen, dass nach § 8 Abs. 2 Satz 2 KGaG für Einrichtungen mit gemeindeübergreifendem Einzugsbereich eine Ausnahmeentscheidung zu treffen gewesen sei. Diese Ausnahmeregelung beziehe sich nicht nur auf die gemeindliche Förderung. § 8 KGaG müsse bundesrechtskonform dahin ausgelegt werden, dass die Gesamtverantwortung des Kreises nach §§ 69 Abs. 2 Satz 2, 79 SGB VIII beachtet werde. Die gemeindliche Förderung nach § 8 KGaG lasse die übergemeindliche Förderung nach § 74 SGB VIII unberührt. Wegen der weiteren Einzelheiten seines Vorbringens wird auf die Klagebegründung vom 11.11.2004 sowie den Schriftsatz vom 11.02.2005 Bezug genommen.
Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 20.04.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.08.2004 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, den Antrag des Klägers auf Gewährung eines Betriebskostenzuschusses unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden.
Der Beklagte ist der Klage entgegen getreten und hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er hat geltend gemacht, dass der Kläger weder einen Anspruch auf Förderung noch auf ermessensfehlerfreie Neubescheidung besitze. Nach § 8 KGaG komme allein den Gemeinden die Finanzierungsverantwortung zu und seien allein diese für die Entscheidung über die Bezuschussung von Kindertagesstätten zuständig. Die Regelungen des KGaG seien abschließend. Ein Ermessensfehler könne nicht vorliegen, weil ihm überhaupt kein Ermessen eröffnet sei. Wegen weiterer Einzelheiten der Klageerwiderung wird auf den Schriftsatz vom 12.01.2005 Bezug genommen.
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Mit Urteil vom 20.04.2005 hat das Verwaltungsgericht der Klage entsprochen. In den Entscheidungsgründen heißt es unter anderem: Die Klage sei als Verpflichtungsklage in Form der Bescheidungsklage zulässig. Die Klage habe auch in der Sache Erfolg, weil die ablehnenden Bescheide des Beklagten rechtswidrig seien und der Kläger einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Bescheidung seines Antrags habe. Dieser Anspruch folge aus § 74 SGB VIII. Hiernach solle der Träger der öffentlichen Jugendhilfe die freiwillige Tätigkeit auf dem Gebiet der Jugendhilfe fördern, wenn die dort genannten Voraussetzungen gegeben seien. Für eine solche Förderung sei der Beklagte als örtlicher Träger der öffentlichen Jugendhilfe auch sachlich und örtlich zuständig, da der Einzugsbereich des vom Kläger betriebenen Waldorfkindergartens auf das Kreisgebiet beschränkt sei. Das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen von § 74 Abs. 1 SGB VIII für die geplante Maßnahme sei unstreitig. Dies folge im Übrigen auch daraus, dass in der vergangenen Zeit nach Maßgabe der Landesrichtlinien Zuschüsse gewährt worden seien. Der Kläger erbringe auch eine angemessene Eigenleistung. Aus dem Finanzplan 2004 gehe hervor, dass ca. 30 % der Gesamtkosten als Eigenleistung erbracht würden. Dies sei in jedem Fall ausreichend. Der Kläger sei schließlich auch unstreitig als Träger der freien Jugendhilfe anerkannt und erfülle somit die Voraussetzung für eine auf Dauer angelegte Förderung gemäß § 74 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII. Einer Förderung stehe auch nicht § 74 Abs. 2 SGB VIII entgegen, wonach die Förderung von der Bereitschaft abhängig gemacht werden könne, seine Leistungen nach Maßgabe der Jugendhilfeplanung anzubieten. Der Kläger habe nie erklärt, dass er sein Angebot unabhängig von der Bedarfsplanung betreiben wolle. Die von Klägerseite erklärte Bereitschaft zur Aufnahme in die Bedarfsplanung sei ausreichend. Da alle in § 74 Abs. 1 und 2 SGB VIII genannten Voraussetzungen gegeben seien, gehe das Gesetz davon aus, dass die Maßnahme gefördert werden solle. Damit stehe dem Kläger ein Anspruch auf Förderung dem Grunde nach zu. Der Beklagte habe auch nicht geltend gemacht, dass ein atypischer Ausnahmefall vorliege, der ein Absehen von der Förderung rechtfertigen könne. Eine solche atypische Konstellation, die den klägerischen Anspruch in Frage stellen könnte, sei auch nicht ersichtlich. Der Anspruch des Klägers entfalle auch nicht deshalb, weil das Landesrecht abweichende Regelungen getroffen habe. Die Öffnungsklausel des § 26 Satz 1 SGB VIII betreffe allein die Ausgestaltung von Aufgaben und Leistungen, nicht aber die Frage, wer diese Leistungen zu erbringen habe. Nach § 69 Abs. 2 SGB VIII könne Landesrecht regeln, dass auch kreisangehörige Gemeinden auf Antrag zu örtlichen Trägern der Jugendhilfe bestimmt werden könnten. Von dieser Möglichkeit habe das Land Baden-Württemberg zwar in § 5 LKJHG Gebrauch gemacht. Die Stadt Künzelsau sei aber nicht gemäß § 5 Abs. 1 LKJHG zum örtlichen Träger der Jugendhilfe bestimmt worden. Schließlich eröffne § 69 Abs. 5 Satz 4 SGB VIII Regelungsmöglichkeiten für das Landesrecht. Bei einer Aufgabenübertragung im Einzelfall bleibe die Gesamtverantwortung des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe aber unberührt. Auch habe der Beklagte mit der Stadt Künzelsau keine solche Vereinbarung getroffen. Der Anspruch des Klägers werde auch nicht durch die Neufassung von § 8 KGaG in Frage gestellt. Diese Vorschrift sehe in der ab 01.01.2004 geltenden Fassung zwar nur mehr eine Förderung durch die Gemeinden vor. Eine solche Aufgabenübertragung auf die Gemeinden entspreche auch dem ausdrücklichen Willen des Landesgesetzgebers, der allerdings das Verhältnis zu § 74 SGB VIII nirgends angesprochen habe. Trotz dieser Neuregelung könne nicht angenommen werden, dass der Anspruch aus § 74 SGB VIII habe beseitigt werden sollen. Dies folge daraus, dass die Land- und Stadtkreise unverändert örtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe seien und diesen auch die im Kindergartengesetz bestimmten planerischen und koordinierenden Aufgaben übertragen worden seien. § 8 KGaG müsse im Hinblick auf Art. 31 GG auch bundesrechtsfreundlich ausgelegt werden, woraus folge, dass jedenfalls dann, wenn eine Einrichtung einen gemeindeübergreifenden Einzugsbereich aufweise, der freie Träger nicht gehindert sei, den unabhängig von der Gemeindeförderung bestehenden Anspruch aus § 74 SGB VIII geltend zu machen. Über die Art und die Höhe der Förderung entscheide der örtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe nach pflichtgemäßem Ermessen. Dieser Verpflichtung könne sich der Beklagte nicht dadurch entziehen, dass er keine Mittel in seinen Haushalt einstelle. Vielmehr seien die Haushaltsmittel so zu bemessen, dass der örtliche Träger in die Lage versetzt werde, seiner Gesamtverantwortung nach § 79 Abs. 1 und 2 SGB VIII zu genügen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts komme auch der Ortsnähe kein grundsätzlich überwiegendes Gewicht zu. Der Beklagte könne sich mithin nicht erfolgreich darauf berufen, dass der Bedarf an Kindergartenplätzen in Künzelsau bereits gedeckt sei. Hinsichtlich der Höhe der Förderung sei für die vom Beklagten zu treffende Ermessensbetätigung die durch den Landkreistag abgeschlossene Rahmenvereinbarung vom 27.07.2003 maßgeblich. Diese Rahmenvereinbarung solle nach § 8 Abs. 5 Satz 2 KGaG die Grundlage für Verträge nach dessen Abs. 4 und damit die Basis für eine über das gesetzliche Minimum hinausgehende Förderung auch für Einrichtungen mit gemeindeübergreifendem Einzugsgebiet bilden. Nach Ziffer 3.3. Abs. 3 der Rahmenvereinbarung müsse der neue Zuschuss nach § 8 Abs. 4 KGaG oder ein neuer Gesamtzuschuss nach § 8 Abs. 3 und 4 KGaG bei gleich bleibenden Verhältnissen mindestens der bisherigen Gesamtförderung (Landeszuschuss und kommunale Förderung) entsprechen. Auch wenn die Rahmenvereinbarung allein Verträge zwischen freien Trägern und Gemeinden betreffe, sei der darin niedergelegte Gedanke, dass die Neuregelung der Kindergartenförderung für die freien Träger keine finanziellen Nachteile bringen solle, auch vom Beklagten zu berücksichtigen. Dem Kläger könne auch nicht entgegen gehalten werden, er müsse zunächst eine vertragliche Regelung mit der Standortgemeinde erstreiten, bevor eine Förderung nach § 74 SGB VIII in Betracht komme, weil dem der Vorrang der bundesrechtlichen Regelung entgegenstehe.
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Das Urteil wurde dem Beklagten am 20.05.2005 zugestellt.
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Der Beklagte hat am 10.06.2005 die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung eingelegt.
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Mit Schriftsatz vom 19.07.2005, beim Verwaltungsgerichtshof eingegangen am 19.07.2005, hat der Beklagte die Berufung begründet. Er macht geltend, dass die landesrechtliche Regelung des § 8 KGaG ausschließlich den Gemeinden eine Förderzuständigkeit zuweise. Diese Regelung widerspreche auch nicht Art. 72 GG. Im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung hätten die Länder die Gesetzgebungsbefugnis solange und soweit der Bund von seiner Gesetzgebungskompetenz keinen Gebrauch mache. Hierdurch werde klargestellt, dass die Länder von eigenen Regelungen nur dann ausgeschlossen seien, wenn der Bundesgesetzgeber seine Kompetenz ausgeschöpft habe. Eine solche erschöpfende Regelung habe der Bundesgesetzgeber mit § 74 SGB VIII aber nicht getroffen. Ein Verstoß gegen Art. 72 GG könne nur festgestellt werden, wenn die landesrechtliche Regelung im Widerspruch zur bundesrechtlichen Regelung stünde. Dies sei indes nicht der Fall. Das Landesrecht konkretisiere in §§ 3 und 8 KGaG nur, wer die Bedarfsplanung durchzuführen habe und übertrage die Förderung auf die Gemeinden, ohne die grundsätzliche Kompetenz des örtlichen Jugendhilfeträgers anzutasten. So betone § 3 KGaG ausdrücklich die fortbestehende Verpflichtung des örtlichen Trägers der öffentlichen Jugendhilfe. In § 2 Abs. 2 KGaG sei ein Abstimmungsgebot mit dem örtlichen Träger ausdrücklich festgeschrieben. Hieraus folge, dass sich der Landesgesetzgeber der grundsätzlichen bundesrechtlichen Kompetenzzuweisung bewusst gewesen sei und diese unangetastet gelassen habe. Dies gelange auch in der aufgrund § 8 Abs. 5 KGaG geschlossenen Rahmenvereinbarung zwischen den kommunalen Landesverbänden, den Kirchen und den Verbänden der sonstigen freien Träger der Jugendhilfe vom 25.07.2003 zum Ausdruck. Die Regelungen des KGaG seien auch nicht mit denen des Brandenburgischen Kindertagesstättengesetzes vergleichbar, das vom Verfassungsgericht des Landes Brandenburg mit Urteil vom 20.03.2003 für verfassungswidrig erachtet worden sei. Durch jene landesrechtlichen Regelungen seien die dortigen Gemeinden verpflichtet worden, den Rechtsanspruch auf einen Kindertagesstättenplatz sicherzustellen, obwohl diese Aufgabe dem örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe zugewiesen sei. In Baden-Württemberg lasse die Neuregelung des Kindergartenrechts die Rechtsstellung der Landkreise unangetastet, wie sich auch aus der Gesetzgebungsgeschichte ergebe. Das Verwaltungsgericht habe auch nicht die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts berücksichtigt, wonach Gemeinden zur Wahrnehmung bestimmter Aufgaben der Jugendhilfe herangezogen werden dürften. Hiernach sei es als zulässig erachtet worden, dass kreisangehörige Gemeinden verpflichtet worden seien, zu einer bedarfsgerechten Versorgung mit Plätzen der Kindertagesbetreuung beizutragen, solange die Gesamt-/Letztverantwortung des örtlichen Trägers der öffentlichen Jugendhilfe unberührt bleiben würde. Nach der in Baden-Württemberg verfassungsrechtlich unbedenklich erfolgten Übertragung der Förderungszuständigkeit auf die Gemeinden seien diese vorrangig in Anspruch zu nehmen. Diese grundsätzliche Entscheidung des Landesgesetzgebers differenziere nicht zwischen einer Förderung von Kindergärten mit örtlichem oder überörtlichem Einzugsbereich. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts könne § 8 KGaG auch nicht bundesrechtsfreundlich ausgelegt werden. Diese Auffassung stehe in Widerspruch dazu, dass der Landesgesetzgeber über § 69 Abs. 5 Satz 4 SGB VIII „Näheres“ geregelt habe. Dies gelte ausdrücklich auch für Einrichtungen mit überörtlichem Einzugsbereich, weil § 8 Abs. 2 Satz 2 KGaG hierzu ausdrücklich die Möglichkeit einer Ausnahme und damit einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung zuerkenne. Zum anderen führe die Auffassung des Verwaltungsgerichts dazu, dass vom Beklagten alle die Einrichtungen zu fördern wären, die nicht in den Bedarfsplan der Gemeinden aufgenommen worden seien. Dies widerspreche aber dem aus § 74 Abs. 3 SGB VIII folgenden Grundsatz, wonach eine Förderung nur in Betracht komme, wenn hierfür ein Bedarf bestehe. Durch das KGaG werde die Bedarfsplanung den Gemeinden ausdrücklich zugewiesen. Der Beklagte habe von daher nicht die Möglichkeit, die Förderung einer Einrichtung über die Bedarfsplanung auszuschließen. Von daher sei es primär Sache des Klägers, sich um eine Aufnahme in die Bedarfsplanung zu bemühen. Insoweit müsse er vorrangig die Standortgemeinde in Anspruch nehmen. Eine solche Aufnahme in die Bedarfsplanung hätte für den Kläger auch zusätzliche Vorteile, weil das KGaG im Gegensatz zu § 74 SGB VIII konkrete Regelungen über die Höhe der Förderung enthalte. Jedenfalls aber stünde dem Kläger ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Ausnahme nach § 8 Abs. 2 Satz 2 KGaG zu. Im Übrigen lägen die Fördervoraussetzungen nach § 74 SGB VIII auch nicht vor. Denn der Kläger betreibe eine Einrichtung losgelöst von der Bedarfsplanung. Der Kindergarten des Klägers sei unstreitig nicht in den Bedarfsplan der kreisangehörigen Gemeinde aufgenommen. Der Kläger habe sich auch nicht ernsthaft darum bemüht, in den Bedarfsplan aufgenommen zu werden. Würde man allein die Bereitschaft zur Aufnahme genügen lassen, würde dies dazu führen, dass die Landkreise alle Einrichtungen fördern müssten, die nicht dem Bedarf entsprechen würden. Dies widerspräche § 74 SGB VIII. Hinsichtlich der Höhe einer Förderung könne nur auf § 74 Abs. 3 SGB VIII abgestellt werden. Es sei widersprüchlich, wenn das Verwaltungsgericht einerseits das KGaG für nicht anwendbar halte, andererseits aber die Höhe der Förderung an dessen Regelungen orientieren wolle. Von daher könnten weder § 8 Abs. 3 KGaG noch die auf der Grundlage des § 8 Abs. 5 KGaG geschlossene Rahmenvereinbarung Maßstab für eine Ermessensentscheidung des Beklagten sein.
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Der Beklagte beantragt,
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das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 20.04.2005 zu ändern und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
20 
Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil und trägt ergänzend vor: Durch die Neuregelung des Kindergartenrechts sei den Gemeinden nicht die alleinige Förderzuständigkeit, sondern nur eine zusätzliche Förderzuständigkeit zugestanden worden. Der Landesgesetzgeber habe zwar eine solche Übertragung der Zuständigkeit auf die Gemeinden beabsichtigt, er habe dies in der gesetzlichen Neuregelung aber nicht umgesetzt und hätte dies im Übrigen auch nicht gedurft. Das Landesrecht habe den Gemeinden in § 3 KGaG nur eine zusätzliche Mitwirkung bei gemeinderelevanten Teilaufgaben der öffentlichen Jugendhilfe übertragen. Die zulässige Übertragung zusätzlicher Aufgaben auf die Gemeinden hebe aber die gesetzliche Verpflichtung der Kreise nicht auf. § 3 Abs. 1 KGaG stelle auch ausdrücklich klar, dass die grundlegende, aus § 24 SGB VIII folgende Verpflichtung der Kreise unberührt bleibe. Auch erfasse die Mitwirkung der Gemeinden bei der Bedarfsplanung nicht die übergemeindliche Bedarfsplanung, die ausschließlich den Kreisen nach § 85 SGB VIII obliege. Eine solche übergemeindliche Bedarfsplanung könne auch nicht durch die Summe gemeindlicher Planungen ersetzt werden. Dem Landesgesetzgeber sei auch bewusst gewesen, dass das KGaG die übergemeindlichen Aspekte der Bedarfsplanung und Förderung jedenfalls nicht abschließend regele. Nach alledem lasse das KGaG die Zuständigkeit der Kreise als örtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe unberührt. Die Kreise würden im Übrigen durch eine tatsächlich erfolgende gemeindliche Förderung entlastet, weil eine Förderung nach § 74 SGB VIII auf den verbleibenden Abmangel ziele. Eine die Kreise befreiende Übertragung der Förderzuständigkeit nach § 69 Abs. 5 SGB VIII a.F. liege aber nicht vor. Gerade durch exakt definierte Öffnungsklauseln habe das Bundesrecht abschließend bestimmt, welche Regelungen das Landesrecht treffen dürfe. Hierbei könne Landesrecht nur „Näheres“, nicht aber „Abweichendes“ regeln. Erst mit dem Tagesbetreuungsausbaugesetz vom 27.12.2004 (BGBl. I S. 3852) sei - ohne Rückwirkung - eine zusätzliche Öffnungsklausel in § 69 Abs. 5 SGB VIII aufgenommen worden. Nach dieser Neufassung könne Landesrecht auch bestimmen, dass kreisangehörige Gemeinden, die nicht örtliche Träger seien, zur Durchführung von Aufgaben der Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und in Kindertagespflege herangezogen werden könnten. Diese Neuregelung des § 69 SGB VIII wäre überflüssig gewesen, wenn die Rechtsauffassung des Beklagten zutreffend wäre. Auch aus dem vom Beklagten in Bezug genommenen Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts folge nichts anderes. Aber selbst eine Übertragung der Wahrnehmung von Aufgaben nach Maßgabe des § 69 Abs. 5 SGB VIII würde die Zuständigkeit der Kreise und deren Gesamtverantwortung für die Planung und Durchführung unberührt lassen. Eine Abstimmung der Bedarfsplanung nach § 3 Abs. 2 KGaG genüge nicht. Die Kreise könnten weiterhin Jugendhilfeplanungen nach § 80 SGB VIII erstellen und seien hinsichtlich der überörtlichen Einrichtungen hierzu sogar verpflichtet. Eine entgegenstehende Sperrwirkung lasse sich dem KGaG nicht entnehmen; eine solche würde auch dem SGB VIII widersprechen. Die Regelung des KGaG, wonach übergemeindliche Bedarfe ungeplant nur durch bloße Ausnahmeförderungen nach § 8 Abs. 2 Satz 2 KGaG möglich seien, sei nur als Ergänzung des SGB VIII bundesrechtskonform. Der Kläger müsse auch nicht vorrangig mit der Standortgemeinde um die Aufnahme in die Bedarfsplanung bzw. die Erteilung einer Ausnahme streiten. Der Kläger habe sich auch erfolglos um eine gemeindliche Förderung bemüht. Vor diesem Hintergrund sei es Aufgabe des Beklagten, durch seine Planung und Abstimmung mit förderunwilligen Gemeinden eine Lösung für die übergemeindliche Einrichtung herbeizuführen. Dies folge auch aus der auf § 8 Abs. 5 KGaG beruhenden Rahmenvereinbarung vom 25.07.2003. Auch sei absehbar, dass jedenfalls hinsichtlich des übergemeindlichen Bedarfs nur eine unzureichende Förderung durch die Gemeinde erreicht werden könne. Von daher sei es ermessensfehlerhaft, den Kläger von vornherein auf eine solche Förderung zu verweisen. Die Voraussetzungen für eine Förderung nach § 74 Abs. 2 SGB VIII seien erfüllt. Der Kläger sei auch bereit, seinen Kindergarten in die Jugendhilfeplanung einbeziehen zu lassen. Ein Planvorbehalt würde auch dem SGB VIII widersprechen, wie sich aus dem klaren Wortlaut des § 74 Abs. 2 SGB VIII ergebe. Unabhängig hiervon sei der Kläger nicht nur bereit, sich in die Jugendhilfeplanung des Kreises aufnehmen zu lassen, er habe dies auch erfolglos beantragt. Auch der Antrag auf die Aufnahme in die gemeindliche Planung sei erfolglos geblieben. Für die Einrichtung des Klägers gebe es auch einen Bedarf. Dieser könne entgegen der Auffassung des Beklagten nicht allein nach quantitativen Gesichtspunkten bestimmt werden, sondern müsse die qualitative Dimension der Waldorfpädagogik als besonderer Grundrichtung im Sinne des § 9 SGB VIII berücksichtigen. Hinsichtlich der Höhe der Förderung sei auf die vom Verwaltungsgericht herangezogene Rahmenvereinbarung abzustellen. Da sich der Beklagte und die anderen Kreise zu ihrer Entlastung auf diese Regelung berufen würden, sei ihnen diese Förderpraxis unter dem Aspekt der Gleichbehandlung auch zuzurechnen. Klarzustellen sei aber, dass durch diese Förderung nur ein Mindestniveau bezeichnet werde. Der vom Landesgesetzgeber selbst als unzureichend angesehene Mindeststandard der Kann-Förderung sollte durch Nr. 3.3 der Rahmenvereinbarung vom 25.07.2003 auf das Mindestniveau der bisherigen Gesamtförderung erhöht werden. Bei der Sollförderung nach § 74 SGB VIII bleibe unberührt, ob dieses Mindestniveau überschritten werden müsse, um eine angemessene Höhe zu erzielen.
21 
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die in der Sache angefallenen Gerichtsakten sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
22 
Der Senat konnte über die Berufung mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§§ 125 Abs. 1 Satz 1, 101 Abs. 2 VwGO).
23 
Die Berufung des Beklagten ist statthaft und auch ansonsten zulässig, insbesondere fristgerecht begründet worden.
24 
Die Berufung ist aber nicht begründet.
25 
Das Verwaltungsgericht hat die angefochtenen Bescheide des Beklagten vom 20.04.2004 und vom 16.08.2004 zu Recht aufgehoben, weil diese rechtswidrig sind und den Kläger in seinen Rechten verletzen (§§ 113 Abs. 1 Satz 1, 114 Satz 1 VwGO). Entgegen der Ansicht des Beklagten hat der Kläger dem Grunde nach einen Anspruch auf Gewährung eines Betriebskostenzuschusses für den von ihm betriebenen Kindergarten für das Jahr 2004 (unten I.). Hinsichtlich der Art und der Höhe der gebotenen Förderung hat der Beklagte die von § 74 Abs. 3 SGB VIII vorgesehene Ermessensentscheidung rechtswidrigerweise unterlassen, weil er den Förderungsanspruch dem Grunde nach zu Unrecht verneint hat. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht insoweit die Verpflichtung des Beklagten ausgesprochen, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO). Denn die Sache ist nicht spruchreif, weil das Gericht nicht sein Ermessen an die Stelle des behördlichen Ermessens setzen kann. Von daher hat der Kläger einen Anspruch auf ermessenfehlerfreie Neubescheidung seines Antrags hinsichtlich der Art und der Höhe der Förderung durch den Beklagten (unten II).
I.
26 
Der Kläger hat dem Grunde nach einen Anspruch auf Gewährung eines Betriebskostenzuschusses für das Rechnungsjahr 2004. Dieser Anspruch ergibt sich aus der für das Betriebsjahr 2004 geltenden Fassung des § 74 SGB VIII (Fassung der Bekanntmachung vom 08.12.1998 , zuletzt geändert durch Art. 7 des Gesetzes vom 30.07.2004 ) - (unten 1). Dieser Anspruch auf Förderung richtet sich gegen den örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe, also den Beklagten (unten 2). Die Förderungsverpflichtung des Beklagten entfällt auch nicht wegen einer Zuständigkeitsübertragung bzw. vorrangiger Einstandspflichten der kreisangehörigen Gemeinden (unten 3).
27 
1. Nach § 74 Abs. 1 und 2 SGB VIII sollen die Träger der öffentlichen Jugendhilfe die freiwillige Tätigkeit auf dem Gebiet der Jugendhilfe fördern, wenn die dort aufgeführten Voraussetzungen im Einzelfall gegeben sind. Diese Voraussetzungen erfüllt der Kläger. Denn er ist insoweit aktivlegitimiert (unten a). Er erfüllt die in § 74 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB VIII genannten tatbestandlichen Voraussetzungen (unten b). Ebenso erfüllt der Kläger die in § 74 Abs. 2 SGB VIII genannten besonderen Voraussetzungen (unten c); insbesondere besteht für den vom Kläger betriebenen Kindergarten auch ein Bedarf (unten d).
28 
a) Der Kläger ist aktivlegitimiert. Denn § 74 Abs. 1 SGB VIII regelt nicht nur eine objektivrechtliche Verpflichtung des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe zur Förderung der freien Jugendhilfe, sondern begründet klagbare subjektive Leistungsansprüche der Träger der freien Jugendhilfe gegen die Träger der öffentlichen Jugendhilfe. Dies folgt ohne weiteres aus dem Wortlaut und dem Regelungszusammenhang des § 74 SGB VIII, der erkennbar von einem Zahlungsanspruch des freien Trägers der Jugendhilfe ausgeht (in diesem Sinne auch: BVerwG, Urteil vom 25.11.2004 - 5 C 66.03 - DVBl 2005, 772; Hessischer VGH, Urteil vom 06.09.2005 - 10 UE 3025/04 - NVwZ-RR 2006, 475; OVG Lüneburg, Urteil vom 07.02.2006 - 4 LB 389/02 - NVwZ-RR 2006, 483). Dieser Anspruch auf Förderung ist auf eine Verpflichtung des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe zur Bereitstellung von Geldmitteln aus den öffentlichen Haushalten gerichtet (Wiesner, Kommentar zum SGB VIII, 3. Aufl., 2006, § 74 Rdnr. 9; Kunkel/Steffan in LPK-SGB VIII, 3. Aufl., 2006, § 74 Rdnr. 3). Der Kläger ist ein freier Träger im Sinne von § 74 SGB VIII, weshalb ihm ein Anspruch auf (institutionelle oder projektbezogene) Förderung zustehen kann.
29 
b) Nach § 74 Abs. 1 SGB VIIIsoll der Träger der öffentlichen Jugendhilfe Maßnahmen des freien Trägers der Jugendhilfe fördern, wenn die dort aufgeführten tatbestandlichen Voraussetzungen erfüllt sind.
30 
aa) Der Kläger erfüllt zunächst die Voraussetzungen des § 74 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII. Hiernach muss der freie Träger der Jugendhilfe die fachlichen Voraussetzungen für die geplante Maßnahme besitzen (dortige Nr. 1), die Gewähr für die zweckentsprechende und wirtschaftliche Mittelverwendung bieten (Nr. 2), gemeinnützige Zwecke verfolgen (Nr. 3), eine angemessene Eigenleistung erbringen (Nr. 4) und die Gewähr für eine den Zielen des Grundgesetzes förderliche Arbeit bieten (Nr. 5). Zu Recht ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass der Kläger diese Voraussetzungen durchweg erfüllt. Der Senat verweist insoweit auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichts (Urteilsabdruck S. 7 f.). Das Vorliegen dieser Voraussetzungen wird auch mit der Berufungsbegründung nicht in Abrede gestellt; dort wird lediglich ein Fehlen der Fördervoraussetzungen nach § 74 Abs. 2 SGB VIII geltend macht (siehe unten).
31 
bb) Der Kläger erfüllt auch die Voraussetzungen des § 74 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII. Die vom Kläger begehrte Förderung ist auf Dauer angelegt. Deshalb setzt eine Förderung nach § 74 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII zusätzlich voraus, dass der zu fördernde Träger in der Regel als Träger der freien Jugendhilfe nach § 75 SGB VIII anerkannt ist. Auch diese Voraussetzung erfüllt der Kläger unstreitig.
32 
cc) Da die Förderung nach § 74 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII geleistet werdensoll , hat der freie Träger der Jugendhilfe grundsätzlich einen Anspruch auf Leistung, wenn nicht ausnahmsweise eine atypische Konstellation gegeben ist, die den Träger der öffentlichen Jugendhilfe zur Ablehnung der Förderung berechtigen kann. Das Vorliegen einer solchen Ausnahmesituation hat der Beklagte nicht geltend gemacht; eine solche ist auch sonst nicht ersichtlich.
33 
c) Entgegen der Auffassung des Beklagten erfüllt der Kläger auch die Voraussetzungen des § 74 Abs. 2 SGB VIII. Nach § 74 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII kann die Förderung von der Bereitschaft des freien Trägers abhängig gemacht werden, seine Einrichtungen, Dienste und Veranstaltungen nach Maßgabe der Jugendhilfeplanung und unter Beachtung der in § 9 SGB VIII genannten Grundsätze anzubieten, wobei unstreitig ist, dass die Einrichtung des Klägers den in § 9 SGB VIII genannten Grundsätzen genügt. Hinsichtlich der von der Norm angesprochenen Bedarfsplanung kann vorliegend dahin stehen, ob § 74 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII nur auf die Jugendhilfeplanung des zuständigen örtlichen Trägers der öffentlichen Jugendhilfe abstellt - eine solche existiert im vorliegenden Fall für Kindergärten nicht - oder ob, wovon der Beklagte ausgeht, das Gesetz auch auf die gemeindliche Bedarfsplanung abstellt. Denn nach dem klaren Wortlaut der Norm könnte nach § 74 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII jedenfalls nicht verlangt werden, dass die Einrichtung des Klägers tatsächlich in die gemeindliche Jugendhilfeplanung aufgenommen worden ist. Die Bereitschaft des freien Trägers zur Aufnahme in die Jugendhilfeplanung und zum Angebot seiner Leistungen im Rahmen der Bedarfsplanung genügt. Ein hierüber hinausgehendes Verlangen wäre auch nicht sachgerecht, denn der freie Träger der Jugendhilfe kann nur seine Mitwirkung anbieten und seine Berücksichtigung in der Jugendhilfeplanung beantragen. Ob die betriebene Einrichtung in der Bedarfsplanung der Gemeinde berücksichtigt wird oder nicht, ist der Entscheidungsmöglichkeit des Klägers entzogen und ausschließlich der Entscheidung der Gemeinde überantwortet. Das BVerwG (Urteil vom 25.04.2002 - 5 C 18.01 - BVerwGE 116, 226 <230> m.w.N.) hat mehrfach betont, dass es zur Förderung nach § 74 SGB VIII einer Jugendhilfeplanung nach § 80 SGB VIII nicht zwingend bedarf. Wenn eine solche Planung vorliegt, ist sie bei der Förderung nach § 74 SGB VIII zu beachten, fehlt eine solche, hindert dies die Förderung nach § 74 SGB VIII nicht, die Förderungsentscheidung ist dann einzelfallbezogen zu treffen (BVerwG, a.a.O.). Wenn die Förderung nach § 74 SGB VIII aber nicht von der Jugendhilfeplanung des zuständigen Trägers abhängig gemacht werden kann, gibt es keinen einleuchtenden Grund, weshalb eine solche Förderung von der Planung einer kreisangehörigen Gemeinde, auf die der örtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe nur indirekt Einfluss nehmen kann, abhängen soll.
34 
d) Entgegen der Ansicht des Beklagten scheitert der Anspruch des Klägers auf Förderung dem Grunde nach auch nicht deshalb, weil es für die vom Kläger betriebene Einrichtung keinen Bedarf gibt.
35 
aa) Bedarf und Bedarfsdeckung im Sinne des SGB VIII lassen sich nicht abstrakt quantitativ definieren. Deshalb ist auch die schlichte Gegenüberstellung der im Kreisgebiet vorhandenen Kindergartenplätze und der Anzahl der in Frage kommenden Kinder zwischen der Vollendung des 3. Lebensjahres und dem Einschulungsalter verfehlt. Maßgeblich für die Jugendhilfeplanung im Sinne von § 74 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII kann nur der in quantitativerund qualitativer Hinsicht bestehende Bedarf sein, der sich insbesondere auch an den Erfordernissen der §§ 3 bis 5 SGB VIII auszurichten hat. Dies wird durch die in § 74 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII erfolgende Bezugnahme auf § 4 Abs. 1 SGB VIII auch ausdrücklich unterstrichen. Auch § 79 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII umschreibt die Gesamtverantwortung der Träger der öffentlichen Jugendhilfe dahin, dass diese die erforderlichen und geeigneten Einrichtungen, Dienste und Veranstaltungen „den verschiedenen Grundrichtungen der Erziehung entsprechend“ rechtzeitig und ausreichend zu gewährleisten haben. Bedarfsgerecht ist eine Jugendhilfeplanung von daher nur dann, wenn sie die Vielzahl von Wertorientierungen, Inhalten, Methoden und Arbeitsformen (§ 3 Abs. 1 SGB VIII) berücksichtigt, dem grundsätzlichen Vorrang der freien Jugendhilfe genügt (§ 4 SGB VIII) und insbesondere auch dem Wunsch- und Wahlrecht der Leistungsberechtigten (§ 5 SGB VIII) ausreichend Rechnung trägt.
36 
aaa) Nach § 3 Abs. 1 SGB VIII ist die Jugendhilfe gekennzeichnet durch die Vielfalt von Trägern unterschiedlicher Wertorientierungen und die Vielfalt von Inhalten, Methoden und Arbeitsformen. Diese Grundsätze waren auch im Gesetzgebungsverfahren, das zur streitgegenständlichen Änderung des KGaG geführt hat, unumstritten. Dort wurde ausdrücklich betont, dass die Landesregierung Trägerpluralität wünsche und positiv bewerte und dass diese auch durch das SGB VIII garantiert sei; die Wahrung der Trägervielfalt sei gemeinsamer gesetzlicher Wille (LT-Drucks. 13/1884, S. 8). Die Notwendigkeit eines pluralen Angebots wird auch von der Rahmenvereinbarung der Spitzenverbände vom 25.07.2003 als zentrales Erfordernis der Bedarfsplanung betont (dortige Ziffer 1.3). Dieser Grundsatz muss sich dann aber auch in der konkreten Förderpraxis niederschlagen. Von daher können weder der örtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe noch kreisangehörige Gemeinden bestehende Strukturen einfach fortschreiben und alternative Anbieter auf den bereits „gedeckten“ Bedarf verweisen; kommunale und kirchliche Kindergärten dürfen nicht als „closed shop“ verstanden werden (BVerwG, Urteil vom 25.11.2004 - 5 C 66/03 - DVBl 2005, 772 <773>). Ebenso wenig können sie sich dem gesellschaftlichen Wandel oder der Änderung von Erziehungsvorstellungen entziehen. Zwar ist auch der Wunsch von Gemeinden und Landkreisen an langjährig bewährten Strukturen festzuhalten, grundsätzlich nachvollziehbar. Der Gesetzgeber des SGB VIII hat aber erkennbar der Pluralität der Wert- und Erziehungsvorstellungen Vorrang eingeräumt. Die Berücksichtigung dieser unterschiedlichen Vorstellungen und deren Einbeziehung in die Bedarfsplanung kann zwar für die Träger der öffentlichen Jugendhilfe und für die Gemeinden erhebliche organisatorische, finanzielle und planerische Anforderungen mit sich bringen. Diese Erschwernisse können aber keine Relativierung der durch das SGB VIII auferlegten Pflichten rechtfertigen.
37 
Hinzu kommt, dass das Angebot an schulischen und vorschulischen Waldorfeinrichtungen seit langem besteht und deshalb auch unschwer durch die Träger der öffentlichen Jugendhilfe eingeschätzt und berücksichtigt werden kann (vgl. insoweit auch OVG Lüneburg, Urteil vom 07.02.2006 - 4 LB 389/02 - NVwZ-RR 2006, 483). Diesem Angebot kommt erkennbar auch zunehmende Bedeutung zu. Während die staatlichen Schulen einen Rückgang an Schülern zu verzeichnen haben, besuchen in Baden-Württemberg immer mehr Schüler eine Waldorfschule. Nach der Mitteilung des Statistischen Landesamts (vgl. Stuttgarter Zeitung vom 24.03.2006) stieg die Schülerzahl bezogen auf das Schuljahr 2004/05 im letzten Schuljahr um 2,8 % auf ca. 22.700 Schüler. Nach aller Erfahrung besuchen viele dieser Schüler typischerweise zuvor auch einen Waldorfkindergarten, falls dies organisatorisch möglich ist. Diese Entwicklung ist den Trägern der öffentlichen Jugendhilfe und den Gemeinden seit langem bekannt, wie nicht nur die seit Jahren anhängigen Klageverfahren um die Förderung solcher Einrichtungen belegen. Nach den bisherigen Erfahrungen ist typischerweise auch von dem Fortbestand solcher Einrichtungen auszugehen, was ebenfalls bei den erforderlichen planerischen Entscheidungen zu berücksichtigen ist und diese auch erleichtert. Veränderungen des Erziehungsangebots werden auch nicht immer nur als Belastung empfunden; so fördert die Gemeinde Illingen sogar kreisübergreifend den Waldorfkindergarten in Vaihingen/Enz, weil sie dieses stark nachgefragte Erziehungsangebot als Bereicherung und als Standortvorteil wertet (vgl. BWGZ 2004, S. 924).
38 
bbb) Besondere Bedeutung kommt im Bereich der Jugendhilfe dem Wunsch- und Wahlrecht der Leistungsberechtigten zu. Diese haben nach § 5 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII grundsätzlich das Recht, zwischen Einrichtungen und Diensten verschiedener Träger zu wählen und Wünsche hinsichtlich der Gestaltung der Hilfe zu äußern; solchen Wünschen soll der Leistungsträger nach Maßgabe von § 5 Abs. 2 SGB VIII grundsätzlich entsprechen. Versuche zur Einschränkung dieses Wunschrechts (vgl. den Entwurf des Bundesrates eines Gesetzes zur Entlastung der Kommunen im sozialen Bereich < KEG > vom 15.12.2004 ) sind vom Bundestag - nahezu einstimmig - abgelehnt worden (Pl.-Prot. 15/179, S. 16897). Große Bedeutung kommt § 5 SGB VIII insbesondere im Bereich der vorschulischen Erziehung zu, die in den alleinigen Verantwortungs- und Entscheidungsbereich der Eltern fällt (siehe unten). Vor allem im Bereich der weltanschaulich-religiösen Erziehung entscheiden allein die Eltern, welchen Einflüssen das Kind ausgesetzt sein und von welchen es ferngehalten werden soll. So wäre beispielsweise eine Bedarfsplanung unzureichend, wenn dem Wunsch der Eltern nach religiöser Erziehung nicht Rechnung getragen würde. Ebenso wenig dürften ausschließlich kirchliche Kindergartenplätze bereit gestellt werden, wenn es eine hinreichend große Zahl von Eltern gibt, die eine religiöse Erziehung ablehnen. Eine rein quantitative Betrachtung könnte letztlich dazu führen, dass den Eltern Kindergartenplätze angeboten werden dürften, die deren Erziehungsvorstellungen völlig widersprechen würden. Mit einem solchen - unzumutbaren - Angebot würde aber weder dem grundsätzlichen Anspruch der Leistungsberechtigten auf einen Kindergartenplatz (§ 24 Satz 1 SGB VIII) noch dem Bereitstellungsauftrag des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe genügt.
39 
Einschränkungen des Anspruchs auf einen den elterlichen Vorstellungen entsprechenden Kindergartenplatz folgen dabei aus dem Umstand, dass dem einzelnen Anspruch nicht individuell Rechnung getragen werden kann, sondern immer nur im Rahmen einer Einrichtung, die jeweils eine Gruppe von Leistungsberechtigten zusammenfasst. Von daher gibt es keinen Anspruch auf einen bestimmten Kindergartenplatz oder einen bestimmten Kindergarten (BVerwG, Urteil vom 25.04.2002 - 5 C 18.01 - BVerwGE 116, 226 <231>). Eltern können zunächst nur zwischen den vorhandenen Kindergärten, in denen freie Plätze zur Verfügung stehen, auswählen. Wenn sie sich für einen bestimmten Kindergarten entscheiden, folgt hieraus typischerweise, dass sie Rücksicht nehmen und ihre eigenen Erziehungsvorstellungen teilweise zurücknehmen müssen, soweit diese mit den Vorstellungen anderer Eltern bzw. den inhaltlichen oder organisatorischen Anforderungen der Einrichtung kollidieren. Denn der einzelne Kindergarten kann nicht allen individuellen Erziehungsvorstellungen Rechnung tragen bzw. ist – insbesondere bei weltanschaulich-religiös ausgerichteten Trägern – eigenen Wertvorstellungen verpflichtet. Von daher kommt dem Wunsch- und Wahlrecht der Leistungsberechtigten im Bereich der Kindergartenauswahl zentrale Bedeutung zu. Nur durch die Wahl eines Kindergartens, der ihren Vorstellungen weitgehend entspricht, können die Eltern erreichen, dass ihre Erziehungsvorstellungen möglichst einschränkungsfrei umgesetzt werden. Der Träger der öffentlichen Jugendhilfe muss diese Auswahlentscheidungen der Eltern grundsätzlich akzeptieren und seiner eigenen Bedarfsplanung zu Grunde legen. Er muss grundsätzlich auch akzeptieren, dass sich Eltern mit gleichen Vorstellungen zusammenfinden und ihre gemeinsamen Vorstellungen kollektiv umsetzen. Soll den elterlichen Erziehungsvorstellungen aber möglichst entsprochen werden, kann die Entscheidung über die Förderung von Einrichtungen nach § 74 SGB VIII nicht unabhängig von der hierdurch geformten konkreten Bedarfslage getroffen werden. Dies gilt insbesondere hinsichtlich der weltanschaulich-religiösen Ausrichtung von Einrichtungen, die nicht Ansatzpunkt für eine gleichheitswidrige Förderungspraxis sein darf.
40 
bb) Ein solches Normverständnis ist auch verfassungsrechtlich geboten, weil nur eine Bedarfsdeckung, die den konkreten Erziehungsvorstellungen der Eltern ausreichend Rechnung trägt, den Anforderungen des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG genügt. Nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG ist die Pflege und Erziehung der Kinder das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Dieses Elternrecht umfasst die Sorge für die seelische und geistige Entwicklung sowie die Bildung und Ausbildung des Kindes.
41 
aaa) Aus dem Elternrecht folgt - insbesondere für den vorschulischen Bereich - auch, dass allein die Eltern darüber zu befinden haben, in welchem Ausmaß und mit welcher Intensität sie selbst die Pflege und Erziehung leisten oder ob sie diese Dritten überlassen wollen (BVerfG, Beschluss vom 10.11.1998 - 2 BvR 1057, 1226, 980/91 - BVerfGE 99, 216 <234>). Weiterhin entscheiden allein die Eltern, wem sie Einfluss auf die Erziehung eines Kindes zugestehen wollen und wem nicht (BVerfG, Urteil vom 17.07.2002 - 1 BvF 1, 2/01 - BVerfGE 105, 313 <354>) und wie die konkrete Einflussnahme ausgestaltet sein soll (BVerfG, Beschluss vom 27.11.1990 - 1 BvR 402/87 - BVerfGE 83, 130 <139> m.w.N.). Das Elternrecht erstreckt sich hierbei insbesondere auch auf die religiöse und weltanschauliche Erziehung. Es ist allein Sache der Eltern, ihren Kindern diejenigen Überzeugungen in Glaubens- und Weltanschauungsfragen zu vermitteln, die sie für richtig halten, was mit dem Recht korrespondiert, die Kinder von solchen Einflüssen fern zu halten, die die Eltern für falsch oder schädlich halten (BVerfG, Beschluss vom 17.12.1975 - 1 BvR 63/68 - BVerfGE 41, 29 <47>; Beschluss vom 16.05.1995 - 1 BvR 1087/91 - BVerfGE 93, 1 <17>).
42 
bbb) Diese Grundentscheidung der Verfassung wirkt nicht nur als Abwehrrecht gegen staatliche Eingriffe und fordert Respektierung der von den Eltern getroffenen Entscheidungen, sondern erfasst die gesamte Rechtsordnung; sie hat deshalb auch Auswirkungen auf die Förderungspraxis der Träger der öffentlichen Jugendhilfe. Aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG können zwar keine direkten Leistungsansprüche des Bürgers gegen den Staat abgeleitet werden. Allerdings ist der Gesetzgeber durch der Art. 6 GG innewohnenden Schutzpflicht zur einfach-rechtlichen Regelung von Förderungsleistungen ausdrücklich verpflichtet. Im Beschluss des BVerfG vom 10.11.1998 (- 2 BvR 1057 u.a./91 - BVerfGE 99, 216 <234>) heißt es insoweit wörtlich:
43 
„Neben der Pflicht, die von den Eltern im Dienst des Kindeswohls getroffenen Entscheidungen anzuerkennen und daran keine benachteiligenden Rechtsfolgen zu knüpfen, ergibt sich aus der Schutzpflicht des Art. 6 Abs. 1 GG auch die Aufgabe des Staates, die Kinderbetreuung in der jeweils von den Eltern gewählten Form in ihren tatsächlichen Voraussetzungen zu ermöglichen und zu fördern. Die Kinderbetreuung ist eine Leistung, die auch im Interesse der Gemeinschaft liegt und deren Anerkennung verlangt (BVerfGE 87, 1 <38 f.>; 88, 203 <258 f.>).“
44 
Dieser Schutzpflicht ist der Gesetzgeber beispielsweise mit den im SGB VIII getroffenen Regelungen nachgekommen. Der Bedeutung und der Tragweite der verfassungsrechtlichen Vorgaben ist zudem bei der Auslegung und Anwendung der Regelungen des SGB VIII Rechnung zu tragen. Der Anspruch auf einen Kindergartenplatz gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII bzw. die hiermit korrespondierende Verpflichtung des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe auf Bereitstellung eines bedarfsgerechten Angebots können von daher nicht auf die Bereitstellung irgendwelcher Kindergartenplätze gerichtet sein, sondern nur auf die Bereitstellung von solchen Plätzen, die den konkreten („in der jeweils von den Eltern gewählten Form“), verfassungsrechtlich geschützten Anforderungen der Eltern möglichst weitgehend genügen. Eine Verweisung der Eltern auf Kindergartenplätze, die den individuellen Erziehungsvorstellungen nicht entsprechen, würde eine nicht gerechtfertigte Beschränkung des elterlichen Erziehungsrechts darstellen, wenn bei geänderter Förderpraxis unschwer ein geeignetes Angebot zur Verfügung stünde. Dies gilt insbesondere hinsichtlich der weltanschaulich-religiösen Ausrichtung von Kindergärten. Diese grundsätzliche Verpflichtung hat auch die Förderentscheidung des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe zu Grunde zu legen.
45 
ccc) Den obigen Erwägungen kommt auch deshalb zunehmende Bedeutung zu, weil die Förderung nach § 74 SGB VIII nicht nur individuellen Interessen der betroffenen Kinder und Eltern Rechnung tragen soll, sondern weil in verstärktem Maße das besondere Interesse der Gemeinschaft an einer funktionsfähigen Kinderbetreuung erkannt und betont wird. Der vorschulischen Erziehung wird hierbei zunehmend eine besondere integrative Bedeutung zugemessen (vgl. z. B. § 2 Abs. 2 KGaG; §§ 9, 22 Abs. 1 und 2 SGB VIII; vgl. insoweit auch die Begründung des Gesetzentwurfs des Bundesrates vom 10.11.2004 sowie die hierzu abgegebene Stellungnahme der Bundesregierung und Pl.Prot. 15/179, S. 16883 - 16897). Auch erlangt die vorschulische Bildung immer größere Bedeutung. Je stärker der Staat aber an vorschulischer Erziehung und Bildung und damit an einem Kindergartenbesuch möglichst vieler Kinder interessiert ist, den Eltern einen solchen Besuch empfiehlt oder gar Druck im Hinblick auf einen Kindergartenbesuch ausübt (z. B. Kürzung oder Versagung von Sozialleistungen), um beispielsweise die Sprachkenntnisse von Kindern mit Migrationshintergrund zu verbessern, um so stärker muss andererseits auf die Erziehungsvorstellungen der Eltern Rücksicht genommen werden. Denn anders als bei der schulischen Erziehung, hinsichtlich derer Art. 7 Abs. 1 GG dem Staat einen eigenständigen - wenn auch beschränkten - Erziehungsauftrag zuweist, besitzt der Staat im Bereich der vorschulischen Erziehung keinerlei Befugnisse außerhalb des Wächteramts (Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG), durch welches er nur bei einem Missbrauch des elterlichen Erziehungsrechts zum Eingriff befugt ist (BVerfG, Beschluss vom 10.03.1958 - 1 BvL 42/56 - BVerfGE 7, 320 <323>).
46 
cc) Schließlich ist auch aus § 74 Abs. 3 SGB VIII der Schluss zu ziehen, dass die Problematik alternativer Bedarfsdeckung durch unterschiedliche Anbieter nicht den Förderungsanspruch dem Grunde nach in Frage stellt, sondern nur im Rahmen der zu treffenden Ermessensentscheidung bei der Frage nach Art und Höhe der Förderung Bedeutung erlangen kann. Denn die Beschränktheit der verfügbaren Haushaltsmittel rechtfertigt ggf. eine ermessensfehlerfreie Auswahlentscheidung zwischen verschiedenen geeigneten Angeboten, nicht aber den völligen Ausschluss einzelner freier Träger wegen bereits „gedeckten Bedarfs“.
47 
dd) Für das Angebot des Klägers besteht offenkundig ein konkreter Bedarf, weil es genügend Eltern gibt, die ihre Kinder in einem Waldorfkindergarten erzogen wissen wollen. Qualitativ vergleichbare Angebote, auf die diese Eltern verwiesen werden könnten, gibt es im Gebiet des Beklagten erkennbar nicht. Deshalb ist nicht die Einrichtung des Klägers nicht bedarfsgerecht, sondern die zu Grunde liegende Bedarfsplanung. Die insoweit geltend gemachten Einwände des Beklagten greifen nicht durch.
48 
Soweit der Beklagte geltend macht, die Landkreise würden dazu verpflichtet, nicht bedarfsgerechte Einrichtungen zu finanzieren, wenn es lediglich auf die Bereitschaft des freien Trägers zum Angebot innerhalb der Bedarfsplanung ankommen sollte, trifft diese Schlussfolgerung so nicht zu. Zum einen bedeutet die Nichtaufnahme in den gemeindlichen Bedarfsplan nicht, dass kein Bedarf besteht (siehe oben). Zum anderen ist es gerade Ausdruck der Gesamtverantwortung (§ 79 Abs. 1 und 2 SGB VIII) des örtlichen Trägers der öffentlichen Jugendhilfe, dass er den Bedarf, der durch die Gemeinden nicht gedeckt wird, in eigener Verantwortung sichert (vgl. BVerwG, Urteil vom 25.11.2004 - 5 C 66/03 - DVBl 2005, 772 <773>). Der Beklagte weist zwar zu Recht darauf hin, dass die Finanzierung von Überkapazitäten tunlichst vermieden werden soll. Dies kann aber schon dadurch erreicht werden, dass das Angebot des Klägers bei der Jugendhilfeplanung berücksichtigt wird. Den damit verbundenen Problemen kann der Träger der öffentlichen Jugendhilfe durch eine Intensivierung der Zusammenarbeit mit den freien Trägern zu begegnen suchen. Zudem liegt es nicht am Kläger, wenn Überkapazitäten dadurch entstehen würden, dass die Bedarfslage ohne Berücksichtigung der gesetzlichen Erfordernisse festgestellt wird. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund der oben zitierten Rechtsprechung des BVerfG.
49 
2. Der Anspruch des Klägers auf Förderung nach § 74 SGB VIII richtet sich gegen den Beklagten.
50 
a) Gemäß § 3 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII richten sich Leistungsverpflichtungen, die durch das SGB VIII begründet werden, gegen die Träger der öffentlichen Jugendhilfe. Soweit § 74 SGB VIII mithin Leistungsansprüche von freien Trägern der Jugendhilfe begründet, können sich diese nur gegen einen Träger der öffentlichen Jugendhilfe richten (BVerwG, Urteil vom 25.04.2002 - 5 C 18.01 - BVerwGE 116, 227 <228>; Hessischer VGH, Urteil vom 06.09.2005 - 10 UE 3025/04 - NVwZ-RR 2006, 475; OVG Lüneburg, Beschluss vom 16.06.1997 - 4 M 1219/97 - FEVS 48, 213).
51 
aa) Träger der öffentlichen Jugendhilfe sind gemäß § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII die örtlichen und die überörtlichen Träger, wobei das Landesrecht gemäß § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB VIII bestimmt, wer überörtlicher Träger der Jugendhilfe ist. Nach § 69 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII sind die Kreise und kreisfreien Städte örtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe. Hierbei kann nach der Rechtsprechung des BVerwG (Urteil vom 25.11.2004 - 5 C 66.03 - DVBl 2005, 772) dahin stehen, ob diese Zuständigkeitsbestimmung durch Bundesrecht (im Hinblick auf das Urteil des BVerfG vom 18.07.1967 - BVerfGE 22, 180) verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet, weil auch § 1 Abs. 1 des Kinder- und Jugendhilfegesetzes für Baden-Württemberg (LKJHG) in der für den umstrittenen Bewilligungszeitraum maßgeblichen Fassung vom 19.04.1996 (GBl. S. 457), geändert durch Art. 6 des Haushaltsstrukturgesetzes 1997 vom 16.12.1996 (GBl. S. 776) und Art. 6 der 5. AnpassungsVO vom 17.06.1997 (GBl. S. 278) die Land- und Stadtkreise - vorbehaltlich einer Aufgabenübertragung nach § 5 LKJHG - als örtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe bestimmt.
52 
bb) In sachlicher Hinsicht ist für die streitgegenständliche Förderung nach § 74 SGB VIII der örtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe zuständig. Dies ergibt sich zunächst aus § 85 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII, der für die Gewährung von Leistungen und die Erfüllung anderer Aufgaben grundsätzlich die sachliche Zuständigkeit des örtlichen Trägers festlegt, soweit nicht ausdrücklich die Zuständigkeit des überörtlichen Trägers geregelt ist. Eine solche ausdrückliche Zuständigkeit des überörtlichen Trägers folgt vorliegend nicht aus § 85 Abs. 2 Nr. 3 SGB VIII, weil nicht die Förderung einer Einrichtung begehrt wird, die den örtlichen Bedarf - bezogen auf das Kreisgebiet - übersteigt. Die grundsätzliche Zuständigkeit der Kreise und kreisfreien Städte für diesen Aufgabenbereich ergibt sich im Übrigen schon aus § 27 Abs. 2 SGB I. Von der sachlichen Zuständigkeit der örtlichen Träger für die Förderung von Kindergärten freier Träger nach § 74 SGB VIII geht auch das BVerwG (Urteil vom 25.11.2004 - 5 C 66.03 - DVBl 2005, 772) aus (so im Ergebnis wohl auch schon BVerwG, Urteil vom 25.04.2002 - 5 C 18.01 - BVerwGE 116, 226 <228>).
53 
cc) Der Beklagte ist für den streitgegenständlichen Förderungsanspruch auch örtlich zuständig. Denn der Kläger betreibt seinen Kindergarten in Künzelsau, also im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Beklagten.
54 
3. Die Zuständigkeit des Beklagten zur Förderung freier Träger nach § 74 SGB VIII ist nicht auf kreisangehörige Gemeinden übergegangen (unten a); ebenso wenig wird diese Zuständigkeit durch landesrechtliche Regelungen verdrängt (unten b). Der Beklagte kann sich auch nicht erfolgreich auf die vorrangige Einstandspflicht der kreisangehörigen Gemeinden berufen (unten c).
55 
a) Zu Recht ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass die Zuständigkeit des Beklagten weder gemäß § 26 SGB VIII (unten aa) noch nach § 69 Abs. 2 Satz 1 (unten bb) oder Abs. 5 Satz 1 SGB VIII (unten cc) auf kreisangehörige Gemeinden übergegangen ist. Die durch das Gesetz zum qualitätsorientierten und bedarfsgerechten Ausbau der Tagesbetreuung für Kinder (Tagesbetreuungsausbaugesetz vom 27.12.2004 ) erfolgte Änderung von § 69 SGB VIII findet für den streitgegenständlichen Bewilligungszeitraum keine Anwendung (unten dd).
56 
aa) § 26 Satz 1 SGB VIII erlaubt dem Landesgesetzgeber keine abweichende Zuständigkeitsbestimmung für die Förderung nach § 74 SGB VIII. § 26 SGB VIII steht am Ende des Dritten Abschnitts (Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und in Tagespflege) des zweiten Kapitels des SGB VIII. Dieser Abschnitt behandelt Grundsätze der Förderung (§§ 22, 23 SGB VIII), den Anspruch des Kindes auf einen Kindergartenplatz bzw. die Verpflichtung zur Bereitstellung von Plätzen in Tageseinrichtungen (§§ 24, 24a SGB VIII) sowie die Verpflichtung zur Beratung und Unterstützung von selbst organisierter Förderung von Kindern (§ 25 SGB VIII). Regelungen hinsichtlich des Verhältnisses von freien Trägern und den Trägern der öffentlichen Jugendhilfe enthält dieser Abschnitt nicht. Soweit die Regelungen des dritten Abschnitts auch Zuständigkeitsbestimmungen enthalten (§§ 24 Satz 3, 24 a Abs. 5 SGB VIII), sind diese im vorliegenden Zusammenhang nicht von tragender Bedeutung. Von daher liegt schon vom Ansatz her fern, dass § 26 Satz 1 SGB VIII den Landesgesetzgeber hat ermächtigen wollen, vom SGB VIII abweichende Zuständigkeiten für die Förderung freier Träger zu normieren. Hinzu kommt, dass § 74 SGB VIII nicht speziell die Förderung von Trägern von Kindergärten regelt, sondern allgemein die Förderung der freien Träger der Jugendhilfe. Das Bestimmungsrecht der Länder nach § 26 Satz 1 SGB VIII bezieht sich nur auf Inhalt und Umfang der in diesem Abschnitt geregelten Aufgaben und Leistungen. Des weiteren weist die Klägerseite zu Recht darauf hin, dass der Landesgesetzgeber nach § 26 Satz 1 SGB VIII nur „Näheres“, nicht aber Abweichendes bestimmen dürfte. Eine landesrechtliche Regelung, die einem freien Träger aber einen Anspruch auf Förderung gegen den örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe nehmen würde, den das Bundesrecht ausdrücklich verleiht, regelt nichts „Näheres“, sondern Abweichendes. Zur Zulässigkeit einer solchen abweichenden Regelung bedürfte es einer ausdrücklichen bundesrechtlichen Ermächtigung, die jedenfalls nicht in § 26 Satz 1 SGB VIII zu sehen ist.
57 
bb) Der Beklagte hat seine Förderzuständigkeit nicht nach § 69 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII verloren. Hiernach kann das Landesrecht bestimmen, dass auch leistungsfähige kreisangehörige Gemeinden auf ihren Antrag zu örtlichen Trägern der öffentlichen Jugendhilfe bestimmt werden können. Von dieser Regelungsbefugnis hat das Landesrecht auch Gebrauch gemacht (vgl. § 5 LKJHG). Allerdings hat der Beklagte von der Möglichkeit der Zuständigkeitsübertragung nach § 5 LKJHG keinen Gebrauch gemacht, weshalb es bei seiner Zuständigkeit verbleibt.
58 
cc) Schließlich können nach § 69 Abs. 5 Satz 1 SGB VIII kreisangehörige Gemeinden, die nicht örtliche Träger sind, Aufgaben der Jugendhilfe wahrnehmen. Auch von dieser Regelungsmöglichkeit hat das Land Gebrauch gemacht (§ 6 LKJHG). Gemäß § 6 LKJHG bedürfte es für eine solche Heranziehung im Einzelfall eines öffentlich-rechtlichen Vertrages zwischen dem Beklagten und der kreisangehörigen Gemeinde, der die einzelnen Aufgaben bezeichnet und Näheres hinsichtlich Umfang, Ausgestaltung, Finanzierung sowie Sicherstellung der Leistungen und Angebote regelt. Auch von dieser Möglichkeit der Heranziehung hat der Beklagte unstreitig keinen Gebrauch gemacht, weshalb dahinstehen kann, welche Auswirkungen eine Aufgabenübertragung an eine Gemeinde im Einzelfall haben würde. Im Übrigen verbliebe es bei der Heranziehung einer Gemeinde in jedem Fall bei der Letzt- und Gesamtverantwortung des örtlichen Trägers der öffentlichen Jugendhilfe (§ 69 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII). Würde eine nach § 69 Abs. 5 Satz 1 SGB VIII i.V.m. § 6 LKJHG herangezogene Gemeinde einer Leistungsverpflichtung nicht nachkommen, würde die Leistungsverpflichtung des örtlichen Trägers der öffentlichen Jugendhilfe fortbestehen; ein nicht erfüllter Leistungsanspruch könnte jedenfalls dann auch klageweise gegen diesen geltend gemacht werden.
59 
dd) Im vorliegenden Fall kann offen bleiben, welche Auswirkungen sich aus der Änderung von § 69 SGB VIII durch das Gesetz zum qualitätsorientierten und bedarfsgerechten Ausbau der Tagesbetreuung für Kinder (Tagesbetreuungsausbaugesetz vom 27.12.2004 ) ergeben (vgl. hierzu BT-Drucks. 15/3676, 15/3986 und 15/4045). Denn dieses Gesetz ist erst am 01.01.2005 in Kraft getreten (vgl. Art. 4 des Gesetzes). Für die rechtliche Beurteilung des streitgegenständlichen Betriebsjahres 2004 verbleibt es bei der bis zum 31.12.2004 geltenden Fassung des SGB VIII (Fassung vom 08.12.1998 , zuletzt geändert durch Art. 7 des Gesetzes vom 30.07.2004 ). Dies ist erkennbar auch vom Landesgesetzgeber so gesehen worden, der auf die ab 01.01.2005 geltende Neufassung von § 69 Abs. 5 SGB VIII mit dem Gesetz zur Änderung des Kindergartengesetzes vom 14.02.2006 (GBl. S. 30) reagiert und durch Art. 1 Nr. 5 dieses Änderungsgesetzes eine Anpassung der §§ 3 und 8 KGaG vorgenommen hat.
60 
b) Der Beklagte kann nicht erfolgreich geltend machen, dass § 8 des Kindergartengesetzes in der hier maßgeblichen Fassung vom 09.04.2003 (GBl. S.164) die Leistungspflicht des Beklagten beseitigt hat.
61 
aa) Mit dem Gesetz zur Änderung des Kindergartengesetzes und des Finanzausgleichgesetzes vom 08.04.2003 (GBl. S. 161) wurde § 8 KGaG neu gefasst. Gemäß Art. 4 Satz 2 des Änderungsgesetzes trat dieses am 01.01.2004 in Kraft; für die Zuschussgewährung im Jahr 2003 verblieb es bei der früheren Fassung des § 8 KGaG (vgl. Art. 1 Nr. 6, Art. 4 Satz 1 Änderungsgesetz). Der neu gefasste § 8 KGaG setzt für eine Zuschussgewährung durch die Gemeinde zwingend voraus, dass der freie Träger der Einrichtung nach § 75 SGB VIII anerkannt ist (§ 8 Abs. 1 KGaG) und dass die Einrichtung in den Bedarfsplan nach § 3 Abs. 2 KGaG aufgenommen worden ist (§ 8 Abs. 2 Satz 1 KGaG). Nach dem ebenfalls neu gefassten § 3 Abs. 1 Satz 1 KGaG haben die Gemeinden unbeschadet der Verpflichtung des örtlichen Trägers der öffentlichen Jugendhilfe darauf hinzuwirken, dass für alle Kinder ab Vollendung des dritten Lebensjahres bis zum Schuleintritt ein Kindergartenplatz oder ein Platz in einer Tageseinrichtung zur Verfügung steht. Die Bedarfsplanung ist von der Gemeinde unter Beteiligung der anerkannten freien Träger durchzuführen (§ 3 Abs. 2 Satz 1 KGaG) und mit dem örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe abzustimmen (§ 3 Abs. 2 Satz 2 KGaG). Die Höhe des Zuschusses beträgt nach § 8 Abs. 3 Satz 1 KGaG mindestens 63 % der Betriebsausgaben; die darüber hinaus gehende Förderung wird gemäß § 8 Abs. 4 KGaG in einem Vertrag zwischen der Gemeinde und dem Träger der freien Jugendhilfe geregelt, wobei die nach § 8 Abs. 5 KGaG geschlossene Rahmenvereinbarung der kommunalen Landesverbände, der Kirchen und der Verbände der sonstigen freien Träger die Grundlage für die Einzelvereinbarungen von Gemeinden und Einrichtungsträger darstellt (§ 8 Abs. 5 Satz 2 KGaG). Das KGaG geht damit grundsätzlich von örtlichen Kindergärten und deren Förderung durch die Sitzgemeinde aus. Für Einrichtungen mit gemeindeübergreifendem Einzugsgebiet können nur Ausnahmen zugelassen werden (§ 8 Abs. 2 Satz 2 KGaG); deren Förderung erfolgt gemäß § 8 Abs. 3 Satz 2 KGaG durch einen Zuschuss in Höhe von mindestens 31,5 % der Betriebsausgaben.
62 
bb) Es kann im vorliegenden Fall dahin stehen, welche rechtlichen Schlussfolgerungen aus den Neuregelungen des Kindergartenrechts im einzelnen zu ziehen sind (vgl. hierzu: Burmeister/Seith, Die Kindergartenförderung nach dem neuen Kindergartengesetz, VBlBW 2004, 201). Denn das ab 01.01.2004 geltende KGaG vermittelt den freien Trägern der Jugendhilfe nur zusätzliche Ansprüche gegen die kreisangehörigen Gemeinden, beseitigt aber nicht den durch das Bundesrecht verliehenen Anspruch des freien Trägers auf Förderung gegen den Träger der öffentlichen Jugendhilfe aus § 74 SGB VIII.
63 
aaa) Eine ausschließliche Förderzuständigkeit der Gemeinden lässt sich nicht aus der Gesetzgebungsgeschichte begründen. Ziel der Neuregelung war erkennbar die Übertragung der Förderzuständigkeit vom Land auf die Gemeinden (vgl. Gesetzentwurf vom 04.02.2003, LT-Drucks. 13/1739, S. 1, 9 f) und damit die Bündelung von Aufgabenverantwortung und Finanzierungsverantwortung für die Kinderbetreuung auf der örtlichen Ebene (so die Sozialministerin Gönner, BWGZ 2004, 916). Die vorher bestehende duale Förderung sollte durch eine ausschließlich gemeindliche Förderung ersetzt werden. Dadurch sollte die kommunale Selbstverwaltung gestärkt, Verwaltungsaufwand insbesondere bei den Landkreisen verringert und den freien Trägern größere Planungssicherheit gewährleistet werden. Das Verhältnis des neuen Kindergartenrechts zum bestehenden Bundesrecht spricht der Gesetzentwurf nur beiläufig an. So wird auf die Kritik an der Übertragung der Förderzuständigkeit u.a. erwidert, dass diese verkenne, dass es vom Land unverändert anerkannte Aufgabe sei, „... die Tätigkeit der öffentlichen und freien Jugendhilfeträger anzuregen und zu fördern sowie auf einen gleichmäßigen Ausbau der Einrichtungen und Angebote hinzuwirken.“ (LT-Drucks. 13/1739, S. 12). Auch Beschlussempfehlung und Bericht des Sozialausschusses (LT-Drucks. 13/1884) geben keinen Aufschluss über das Verhältnis der landesrechtlichen Neuregelungen zum bundesrechtlichen Förderanspruch. Der Landesgesetzgeber war möglichweise der Auffassung, dass ab dem 01.01.2004 den freien Trägern der Jugendhilfe keine Förderansprüche mehr gegen den örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe zustehen sollten. Über das Verhältnis des Landesrechts zu § 74 SGB VIII, den damit aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Fragen sowie der Problematik, wie sich das Verhältnis der freien Träger zu den örtlichen Trägern der öffentlichen Jugendhilfe ab dem 01.01.2004 praktisch gestalten sollte, lässt sich der Gesetzgebungsgeschichte nichts Tragfähiges entnehmen.
64 
bbb) Eine ausschließliche Förderzuständigkeit der Gemeinden lässt sich auch weder aus dem Gesetzeswortlaut noch aus Sinn und Zweck des Änderungsgesetzes vom 08.04.2003 (GBl. S. 161) entnehmen; jedenfalls wäre eine solche Auslegung bundesrechtswidrig, was zur teilweisen Nichtigkeit des Änderungsgesetzes führen würde (siehe unten ccc).
65 
Der durch das Änderungsgesetz neu gefasste § 8 KGaG behandelt nur das Verhältnis von freien Trägern und Gemeinden. Nach dessen Abs. 1 erhalten die nach § 75 SGB VIII anerkannten freien Träger von den Gemeinden Zuschüsse ausgerichtet an der jeweiligen Betreuungs- und Betriebsform. § 8 Abs. 2 Abs. 1 KGaG bestimmt, dass Zuschüsse nur für solche Einrichtungen gewährt werden, die der Bedarfsplanung nach § 3 Abs. 2 KGaG entsprechen; die Förderung von Einrichtungen mit gemeindeübergreifendem Einzugsgebiet kommt gemäß § 8 Abs. 2 Satz 2 KGaG nur ausnahmsweise in Betracht. § 8 Abs. 3 und 4 KGaG regelt die Höhe der Förderung; § 8 Abs. 5 KGaG handelt von der von den Kirchen und Verbänden zu schließenden Rahmenvereinbarung, die Grundlage für die Einzelverträge nach Absatz 4 sein soll. Das Verhältnis der einzelnen freien Träger zu den einzelnen örtlichen Trägern der öffentlichen Jugendhilfe wird nicht geregelt. Aus den getroffenen Regelungen kann auch nicht der Schluss gezogen werden, dass der bestehende Förderungsanspruch gegen den Träger der öffentlichen Jugendhilfe indirekt rechtlich entfallen ist. Eine solche weit reichende Regelung hätte - ihre Zulässigkeit unterstellt - ausdrücklich im Gesetz getroffen werden müssen. Nach dem Wortlaut der Norm und der verbleibenden Letzt- und Gesamtverantwortung des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe kann nur der Schluss gezogen werden, dass das ab dem 01.01.2004 geltende KGaG den Anspruch der freien Träger auf Förderung nach § 74 SGB VIII rechtlich unberührt gelassen hat.
66 
Eine solche Auslegung des Landesrechts steht auch nicht im Widerspruch zu Sinn und Zweck der Neuregelungen des KGaG. Denn durch die Übertragung der Aufgaben und der (zusätzlichen) Förderzuständigkeit auf die Gemeinden wird dem Gesetzeszweck genügt (vgl. hierzu LT-Drucks. 13/1739, S. 10 f). Die beabsichtigte Stärkung des Selbstverwaltungsrechts der Kommunen wurde erreicht. Auch führt die tatsächlich erfolgende Förderung der freien Träger durch die Gemeinden dazu, dass die örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe faktisch sowohl von administrativen Aufgaben als auch vom Einsatz eigener finanzieller Mittel entlastet werden. Dieser Entlastungseffekt tritt auch bei parallelem Fortbestand des bundesrechtlichen Förderanspruchs nahezu vollständig ein. Soweit ersichtlich ist die Übertragung der Finanzierungsverantwortung auf die Gemeinden hinsichtlich der „weitaus überwiegenden Zahl der Einrichtungen“ erfolgreich abgeschlossen worden (so die Sozialministerin Gönner auf der Tagung zum neuen Kindergartengesetz vom 16.11.2004, BWGZ 2004, S. 916; in der sich anschließenden Diskussion wurde geltend gemacht, dass sogar in 98 % aller Fälle das neue Kindergartengesetz einvernehmlich habe umgesetzt werden können, vgl. Fabijancic, BWGZ 2004, 923). Probleme (so die Ministerin, a.a.O., S. 917) gebe es nur bei der Finanzierung von Kindergärten mit gemeindeübergreifendem Einzugsgebiet wie den Waldorf- und den Waldkindergärten. In gleicher Weise hat sich bei dieser Tagung der Hauptgeschäftsführer des Gemeindetags (BWGZ 2004, 919) geäußert, wonach nur die Aufnahme von überörtlichen Einrichtungen „teilweise zurückhaltend“ erfolgt sei. Wird aber die weitaus überwiegende Zahl der Förderungsfälle auf kommunaler Ebene abschließend abgewickelt und finanziert, so wird der vom Änderungsgesetz bezweckte Abbau der Komplementärförderung sowie die Verwaltungsvereinfachung auch ohne Wegfall des Förderanspruchs nach § 74 SGB VIII weitestgehend faktisch erreicht. Eine Gesetzesauslegung, die vom Fortbestand des (bundesrechtlichen) Förderanspruchs der freien Träger gegen die Träger der öffentlichen Jugendhilfe auch nach Inkrafttreten des KGaG-Änderungsgesetzes zum 01.01.2004 ausgeht, nimmt den Neuregelungen des Kindergartengesetzes deshalb nicht die Wirkkraft oder macht diese gar sinnlos.
67 
ccc) Diese Auslegung des Landesrechts ist auch bundesrechtlich zwingend geboten. Nur wenn vom Fortbestand des bundesrechtlichen Anspruchs nach § 74 SGB VIII über den 01.01.2004 hinaus ausgegangen wird, erweist sich das Landesrecht als bundesrechtskonform. Denn selbst wenn das neue KGaG ausdrücklich eine Aufgabenübertragung auf die Gemeinden einschließlich einer ausschließlichen Finanzierungsverantwortung geregelt hätte, hätte eine solche Regelung im Widerspruch zum Bundesrecht gestanden, das ausdrücklich einen Förderanspruch gegen den Träger der öffentlichen Jugendhilfe verleiht.
68 
Entgegen der Auffassung des Beklagten folgt aus Art. 72 Abs. 1 GG nichts anderes. Denn diese Regelung des Grundgesetzes entfaltet für die Landesgesetzgebung eine Sperrwirkung, „solange“ und „soweit“ der Bundesgesetzgeber von seiner Kompetenz Gebrauch gemacht hat. Hinsichtlich der Förderung nach § 74 SGB VIII hat der Bundesgesetzgeber aber klare Regelungen getroffen. Er hat bestimmt, wer von wem unter welchen Voraussetzungen Förderung verlangen kann (siehe oben). Stand dem Kläger aber bereits vor Inkrafttreten des KGaG-Änderungsgesetzes vom 08.04.2003 (GBl. S. 161) nach § 74 SGB VIII ein Förderungsanspruch gegen den örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe zu, würde eine landesrechtliche Regelung, die diesen Anspruch beseitigt oder auch nur seine Durchsetzung erschwert, im direkten Widerspruch zum bestehenden Bundesrecht stehen. Eine solche landesrechtliche Regelung wäre - ohne Rückgriff auf Art. 31 GG - bereits aufgrund der Sperr-Kompetenz der bundesrechtlichen Regelung nichtig (vgl. hierzu Clemens in: Mitarbeiterkommentar zum GG, Art. 31 Rdnr. 22 mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des BVerfG).
69 
cc) Der Beklagte kann sich insoweit auch nicht erfolgreich auf die von ihm zitierte Rechtsprechung des BVerfG bzw. des Landesverfassungsgerichts Sachsen-Anhalt berufen.
70 
aaa) Mit dem in Bezug genommenen Kammerbeschluss vom 15.11.1993 ( - 2 BvR 1199/91 - LKV 1994, 145) hat das BVerfG entschieden, dass die Verpflichtung der Wohnsitzgemeinden zur Bereitstellung der erforderlichen Kindergartenplätze durch das Thüringer Landesrecht nicht gegen Art. 28 Abs. 2 GG verstoßen habe. Von Klägerseite ist aber nie bestritten worden, dass kreisangehörige Gemeinden im Rahmen der Jugendhilfe zur Aufgabenerfüllung herangezogen werden können. Dies war nach der vorliegend noch anwendbaren alten Fassung von § 69 SGB VIII zulässig und gilt erst recht nach der Änderung von § 69 SGB VIII durch das Tagesbetreuungsausbaugesetz. Entscheidend ist aber die Frage, ob das geänderte Landesrecht einen bundesrechtlich ausdrücklich eingeräumten Förderungsanspruch gegen den Träger der öffentlichen Jugendhilfe beseitigen kann. Hierzu verhält sich die Entscheidung des BVerfG nicht.
71 
bbb) Nichts anderes gilt für die gleichfalls in Bezug genommene Entscheidung des Verfassungsgerichts Sachsen-Anhalt (Urteil vom 08.12.1998 - LVG 19/97 - NVwZ-RR 1999, 464). Denn das Landesverfassungsgericht prüft ausdrücklich und bejaht die Verträglichkeit des Landesrechts mit den bundesrechtlichen Vorgaben des § 69 Abs. 5 SGB VIII, wobei es davon ausgeht, dass Gemeinden einzelne Aufgaben der Jugendhilfe als Verpflichtung auferlegt werden können, wenn das Regel-/Ausnahmeverhältnis gewahrt bleibe und die Gesamt-/Letztverantwortung des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe nicht berührt werde. Das Verfassungsgericht führt insoweit ausdrücklich aus, dass durch die Inpflichtnahme der Gemeinden diesen lediglich eine Sicherstellungsfunktion auferlegt werde, ... „die neben (!) die Verpflichtung des örtlichen Trägers tritt“ (a.a.O., S. 465); nichts anderes trägt die Klägerseite vor. Das vom Landesverfassungsgericht beurteilte Landesrecht Sachsen-Anhalt ist zudem mit der gesetzlichen Regelung in Baden-Württemberg auch nicht vergleichbar, weil die Gemeinden dort an der Finanzierung nur mitzuwirken hatten, neben zusätzlichen Zahlungen von Land und Kreis (a.a.O.). Soweit das Verfassungsgericht dort weiter ausführt, dass der Bundesgesetzgeber keine Festlegung getroffen habe, welche Aufgaben der Jugendhilfe im Rahmen von § 69 Abs. 5 SGB VIII auf die Gemeinden übertragen werden könnten, weshalb der Landesgesetzgeber von seiner Kompetenz Gebrauch machen könne, trifft dies erkennbar nicht den vorliegenden Fall. Denn hinsichtlich der Förderzuständigkeit nach § 74 SGB VIII hat der Bundesgesetzgeber klare inhaltliche Bestimmungen und Zuständigkeitsregelungen getroffen (siehe oben).
72 
c) Der Kläger ist durch die Neuregelungen des KGaG auch nicht verpflichtet, vorrangig gegen kreisangehörige Gemeinden gerichtlich vorzugehen, um von diesen Förderung zu erlangen oder in die gemeindliche Bedarfsplanung aufgenommen zu werden.
73 
aa) Ansprüche von Leistungsberechtigten, die sich gegen unterschiedliche Leistungsträger richten, bestehen grundsätzlich nebeneinander. Soll die Gewährung der einen Leistung eine andere ausschließen, muss dies im Gesetz ausdrücklich zum Ausdruck gelangen. Gleiches gilt, wenn die unterschiedlichen Leistungen derart im Verhältnis stehen sollen, dass eine Leistung vorrangig gewährt wird bzw. in Anspruch zu nehmen ist und der andere Anspruch nur subsidiär zur Geltung kommen kann. Solche Regelungen hat weder das Landesrecht noch das SGB VIII (vgl. insoweit § 10 SGB VIII) hinsichtlich des streitgegenständlichen Förderanspruchs getroffen. Deshalb ist es Sache des Klägers zu entscheiden, ob er die Gemeinde oder den örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe vorrangig in Anspruch nimmt. Anderes könnte nur dann gelten, wenn die Gemeinde die begehrte Förderung tatsächlich erbringen wollte, der freie Träger dies aber nicht in Anspruch nimmt, sondern gleichwohl gegen den örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe vorgehen würde. Im vorliegenden Fall nimmt der Kläger den Beklagten aber gerade deswegen in Anspruch, weil von Seiten der Gemeinde keine ausreichende Förderung erfolgt und eine weitergehende Förderung bzw. die Aufnahme in die gemeindliche Bedarfsplanung versagt wird.
74 
bb) Eine vorrangige Klage gegen die Gemeinde erscheint auch deshalb als nicht zumutbar, weil diese kein taugliches Mittel wäre, um den Anspruch des Klägers auf Förderung durchzusetzen. Zwar ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ein freier Träger die gemeindliche Bedarfsplanung der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle unterziehen lassen kann, um durch die Aufnahme in die Bedarfsplanung eine gemeindliche Förderung zu erstreiten (vgl. hierzu auch die Ausführungen des Abg. Dr. Noll, LT-Prot. 13/41, S. 2792). Den bundesrechtlichen Anspruch aus § 74 SGB VIII kann der Kläger aber nicht gegen die Gemeinde durchsetzen, weil diese insoweit nicht passiv legitimiert ist. Ein landesrechtlicher Anspruch auf Förderung steht dem Kläger nicht zu, weil er eine Einrichtung mit gemeindeübergreifendem Einzugsgebiet betreibt. in Betracht käme lediglich die Anerkennung einer Ausnahme nach § 8 Abs. 2 Satz 2 KGaG. Insoweit stünde die Förderung schon dem Grunde nach im Ermessen der Gemeinde. Zudem würde ein Prozesserfolg bestenfalls zu einer abgesenkten Förderung führen, die der Kläger für nicht auskömmlich erachtet. Wenn aber selbst mit einem Klageerfolg keine ausreichende Finanzierung zu erstreiten wäre, ist es nicht sachgerecht, den Kläger auf einen vorrangigen Prozess gegen die eine Förderung versagende Gemeinde zu verweisen, bevor der örtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe in Anspruch genommen werden kann. Insbesondere wäre es für den Kläger auch unzumutbar, die einzelnen Entsendegemeinden in einer Vielzahl von Prozessen in Anspruch zu nehmen. Es ist gerade Aufgabe des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe, dafür zu sorgen, dass die Leistungen erbracht bzw. Kostenbeiträge der Gemeinden entrichtet werden.
75 
cc) Schließlich kommt entscheidend hinzu, dass nicht die kreisangehörigen Gemeinden, sondern ausschließlich der Träger der öffentlichen Jugendhilfe letzt- und gesamtverantwortlich für die Erbringung der Leistungen nach dem SGB VIII und damit auch für die Sicherstellung der gesetzlich vorgesehenen Förderung der freien Träger ist.
76 
aaa) Dies folgt bundesrechtlich durchweg aus den Regelungen des § 79 SGB VIII; bei der Heranziehung von Gemeinden im Einzelfall zudem aus § 69 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII. Nach § 79 Abs. 1 SGB VIII haben die Träger der öffentlichen Jugendhilfe die Gesamtverantwortung einschließlich der Planungsverantwortung hinsichtlich sämtlicher nach dem SGB VIII zu erfüllender Aufgaben (hinsichtlich der Aufgaben nach § 76 Abs. 1 SGB VIII vergleiche auch dessen Abs. 2). Diese Gesamtverantwortung umfasst auch die Aufgaben der Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und in Tagespflege (§§ 22 - 25 SGB VIII; zur Übergangsregelung des § 24a SGB VIII vgl. auch den dortigen Absatz 5) sowie die finanzielle Förderung der insoweit tätigen freien Träger. § 79 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII bestimmt, dass die Träger der öffentlichen Jugendhilfe gewährleisten sollen, dass die zur Erfüllung der Aufgaben nach dem SGB VIII erforderlichen und geeigneten Einrichtungen, Dienste und Veranstaltungen den verschiedenen Grundrichtungen der Erziehung entsprechend rechtzeitig und ausreichend zur Verfügung stehen. Diese Gesamtverantwortung umfasst auch die Finanzverantwortung, weshalb hierfür finanzielle Mittel in dem Umfang bereit gestellt sein müssen, dass die Aufgaben nach dem SGB VIII erfüllt werden können (vgl. hierzu: Kunkel, § 79 SGB VIII - Leitnorm oder Norm light ? NDV 2001, 412<413>, m.w.N). Die Gesamtverantwortung des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe gilt sowohl hinsichtlich einer Aufgabenübertragung auf Gemeinden als auch bei einer Aufgabenwahrnehmung durch freie Träger der Jugendhilfe und trägt dem Grundsatz Rechnung, dass zwar Aufgaben delegiert werden können, nie aber eine gesetzlich zugewiesene Verantwortung.
77 
bbb) Nichts anderes folgt aus dem Landesrecht. Denn nach § 3 Abs. 1 Satz 1 KGaG nehmen die Gemeinden die ihnen zugewiesenen Aufgaben „unbeschadet der Verpflichtung des örtlichen Trägers der öffentlichen Jugendhilfe“ wahr. Nach § 3 Abs. Satz 2 KGaG ist die gemeindliche Bedarfsplanung zudem mit dem örtlichen Träger der Jugendhilfe abzustimmen. Auch im Gesetzgebungsverfahren (KGaG-Änderungsgesetz vom 08.04.2003, GBl. S. 161) wurde die bleibende Verantwortung des Landes betont. So heißt es in der Begründung des Regierungsentwurfs (LT-Drucks. 13/1739, S. 12): „... die vom Land unverändert anerkannte Aufgabe, die Tätigkeit der öffentlichen und freien Jugendhilfeträger anzuregen und zu fördern sowie auf einen gleichmäßigen Ausbau der Einrichtungen und Angebote hinzuwirken.“ In den Beratungen des Sozialausschusses (LT-Drucks. 13/1884, S. 7 f.) wurde betont, dass den Landkreisen auch künftig eine Koordinationsfunktion zugewiesen sei. In diesem Sinne äußerten sich auch der damalige Sozialminister Repnik (LT-Prot. 13/39, S. 2557) und der Abgeordnete Dr. Noll (LT-Prot. 13/41, S. 2795), der darauf hinwies, dass der örtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe zwar künftig nicht mehr zahlen, aber dafür sorgen müsse, dass die gesetzlich vorgesehene Förderung tatsächlich erreicht werde.
78 
Nach alledem steht dem Kläger der geltend gemachte Anspruch gegen den Beklagten dem Grunde nach zu.
II.
79 
Über Art und Maß der Förderung entscheidet der Träger der öffentlichen Jugendhilfe nach pflichtgemäßem Ermessen (§ 74 Abs. 3 SGB VIII). Das Verwaltungsgericht hat die angefochtenen Bescheide des Beklagten zu Recht aufgehoben, weil diese ermessensfehlerhaft sind (§§ 113 Abs. 1 Satz 1, 114 Satz 1 VwGO). Denn der Beklagte hat das ihm vom Gesetz eingeräumte Ermessen nicht ausgeübt; eine Ermessensergänzung nach § 114 Satz 2 VwGO scheidet im vorliegenden Fall aus (unten 1). Zu Recht hat das Verwaltungsgericht auch die Verpflichtung des Beklagten ausgesprochen, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO), weil die Sache nicht spruchreif ist (unten 2). Bei dieser Neubescheidung hat der Beklagte die nachfolgenden Erwägungen des Senats zu beachten (unten 3).
80 
1. Steht dem Kläger der geltend gemachte Anspruch auf Förderung dem Grunde nach zu, hat der Beklagte hinsichtlich der Art und der Höhe der Förderung im Rahmen der verfügbaren Haushaltsmittel nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden (§ 74 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII).
81 
a) Eine solche Ermessensentscheidung hat der Beklagte bisher nicht getroffen. Denn er hat den Antrag des Klägers abgelehnt und den hiergegen gerichteten Widerspruch zurückgewiesen, weil er sich für die Entscheidung über die Förderung als nicht zuständig betrachtete. In diesem Sinne hat der Beklagte auch im erstinstanzlichen Verfahren ausdrücklich Stellung genommen. Denn er hat in der Klageerwiderung ausgeführt, dass ihm ein Ermessen bei seiner Entscheidung nicht eingeräumt gewesen sei (Klageerwiderung vom 12.01.2005, Seite 2 - Bl. 41 der VG-Akten). Hat die Behörde verkannt, dass ihr Ermessen eingeräumt war und hat sie deshalb von der an sich gebotenen Ermessensentscheidung abgesehen, handelt sie ermessensfehlerhaft. Der Bescheid des Beklagten vom 20.04.2004 und der Widerspruchsbescheid vom 16.08.2004 sind deshalb rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten.
82 
b) Ein Nachschieben von Ermessenserwägungen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren gemäß § 114 S. 2 VwGO scheidet im vorliegenden Fall aus. Im erstinstanzlichen Verfahren hat der Beklagte darauf beharrt, dass ihm ein Ermessen bei seiner Entscheidung nicht eröffnet gewesen sei (siehe oben). Von daher liegt es fern, in seinem Vorbringen die Ergänzung unterlassener Ermessenserwägungen zu sehen. Ob dem Vorbringen im Berufungsverfahren solche Ermessenserwägungen entnommen werden könnten, bedarf keiner weiteren Prüfung. Denn selbst wenn der Beklagte insoweit tragfähige Erwägungen angestellt hätte, könnte der Ermessensfehler nicht beseitigt werden. Nach seinem klaren Wortlaut sieht § 114 Satz 2 VwGO nur die Möglichkeit vor, defizitäre Ermessenserwägungen „zu ergänzen“. § 114 Satz 2 VwGO eröffnet aber keine Möglichkeit für eine erstmalige Ermessensbetätigung im gerichtlichen Verfahren.
83 
2. Das Gericht kann das der Behörde eingeräumte Ermessen nicht selbst ausüben. Die Sache ist hinsichtlich der Art und der Höhe der Förderung deshalb nicht spruchreif, weshalb der Beklagte zu Recht zur Neubescheidung verpflichtet worden ist. Bei dieser Neubescheidung ist der Beklagte auch nicht durch die Förderungspraxis der Gemeinden im Kreisgebiet (unten a), die Regelungen des KGaG (unten b) bzw. die Rahmenvereinbarung vom 25.07.2003 (unten c) gebunden.
84 
a) Eine Ermessensbindung des Beklagten im Sinne einer Verpflichtung zur Gleichbehandlung mit anderen Förderungsfällen besteht im vorliegenden Fall nicht.
85 
aa) Denn der Beklagte fördert unstreitig keine Kindergärten im Kreisgebiet, weshalb der Kläger nicht auf eine entsprechende Verwaltungspraxis des Beklagten oder einschlägige Verwaltungsvorschriften rekurrieren und eine Gleichbehandlung mit der sonst üblichen Förderung verlangen kann.
86 
bb) Ein Anspruch des Klägers auf Gleichbehandlung mit der Förderungspraxis der kreisangehörigen Gemeinden besteht gegen den Beklagten nicht. Denn eine Gleichbehandlung kann der Bürger nur verlangen, wenn die heran gezogenen Vergleichsfälle in den Kompetenzbereich der handelnden Stelle fallen. Dies ist zu verneinen, wenn die maßgeblichen Lebenssachverhalte von unterschiedlichen Trägern öffentlicher Gewalt geregelt werden. Denn der Gleichheitssatz bindet jeden Träger öffentlicher Gewalt nur in seinem konkreten Zuständigkeitsbereich (vgl. z. B.: BVerfG, Beschluss vom 23.11.1988 - 2 BvR 1619, 1628/83 - BVerfGE 79, 127 <158> m.w.N.; BVerwG, Urteil vom 18.09.1984 - 1 A 4.83 - BVerwGE 70, 127 <132>).
87 
b) Eine Verpflichtung des Beklagten hinsichtlich der Art und der Höhe der Förderung folgt auch nicht unmittelbar aus dem KGaG. Denn dieses regelt in § 8 KGaG nur Förderungsansprüche der freien Träger gegen die Gemeinden. Ansprüche gegen den örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe wollte die Neufassung des § 8 KGaG ausdrücklich beseitigen. Dann kann aber nicht hinsichtlich der Höhe der den freien Trägern zustehenden Förderung wieder direkt auf § 8 Abs. 3 KGaG bzw. dessen Abs. 4 zugegriffen werden.
88 
c) Ein Anspruch auf Gleichbehandlung bzw. Förderung in bestimmter Höhe oder Art ergibt sich auch nicht aus der von den Spitzenverbänden geschlossenen Rahmenvereinbarung vom 25.07.2003. Nach § 8 Abs. 5 KGaG haben die Kommunalen Landesverbände mit den Kirchen und den Verbänden der sonstigen freien Träger der Jugendhilfe eine Vereinbarung geschlossen, die Grundsätze hinsichtlich der Planung, des Betriebs und der Finanzierung von Kindergärten enthält und als Grundlage für die Einzelverträge zwischen den Gemeinden und den freien Trägern (§ 8 Abs. 4 KGaG) dienen soll. Diese Rahmenvereinbarung hat ausschließlich empfehlenden Charakter (vgl. die Präambel der Vereinbarung vom 08.04.2003: „Die Vertragspartner empfehlen ihren Mitgliedern, nach dieser Rahmenvereinbarung zu verfahren.“) und bindet die Beteiligten der örtlichen Vereinbarungen nach § 8 Abs. 4 KGaG nicht im rechtlichen Sinne. Wenn aber schon die für die Förderung zuständigen Gemeinden nicht an die Rahmenvereinbarung gebunden und die freien Träger hieraus nicht berechtigt sind, können sich für den Beklagten hieraus keine Rechtspflichten hinsichtlich der Art und der Höhe der Förderung des Klägers ergeben.
89 
3. Der Beklagte muss eigene Erwägungen anstellen, um im Rahmen des § 74 SGB VIII zu einer tragfähigen ermessensfehlerfreien Entscheidung zu gelangen, wobei dieser die Rechtsauffassung des Senats zu beachten hat. Das Gesetz gibt eine Reihe von Ermessensgesichtspunkten vor, die der Träger der öffentlichen Jugendhilfe in seine Entscheidung einzustellen hat (unten a). Hierbei bestimmt § 74 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII, dass das Ermessen im Rahmen der verfügbaren Haushaltsmittel auszuüben ist (unten b). Bei gleich geeigneten Maßnahmen verschiedener freier Träger ist nach § 74 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII eine ermessensfehlerfreie Auswahlentscheidung zu treffen (unten c). § 74 Abs. 5 SGB VIII bestimmt schließlich, dass bei der Förderung der freien Träger gleiche Grundsätze und Maßstäbe anzulegen sind (unten d).
90 
a) Das BVerwG hat in seinem Urteil vom 25.04.2002 (- 5 C 18.01 - BVerwGE 116, 227 <231 ff.>) eine Reihe von zu berücksichtigenden Ermessensgesichtspunkten genannt, u.a. die Ortsnähe der Einrichtung, eine günstige Verkehrsanbindung zu Arbeitsstätten der Eltern, die pädagogische Ausrichtung sowie die Betreuungsorganisation. Bereits in dieser Entscheidung hat das BVerwG zum Ausdruck gebracht, dass es besonderer Begründung bedürfte, wenn angebotene Kindergartenplätze einer bestimmten Pädagogikausrichtung trotz anhaltender Nachfrage nicht gefördert würden (a.a.O., S. 233; ebenso: BVerwG, Urteil vom 25.11.2004 - 5 C 66.03 - DVBl 2005, 772 <773>; OVG Lüneburg, Urteil vom 07.02.2006 - 4 LB 389/02 - NVwZ-RR 2006, 483). In dem Urteil vom 25.11.2004 hat das BVerwG zudem klar gestellt, dass bei der Ermessensentscheidung einzelnen Gesichtspunkten kein überwiegendes Gewicht zugemessen werden könne. Dies gilt namentlich für die „Ortsnähe“ der Einrichtung schon deshalb, weil sich das soziale Umfeld eines Kindergartenkindes nicht auf den Bereich der Wohnsitzgemeinde beschränkt (a.a.O., S. 773). Von daher ist dem Beklagten versagt, bei seiner Ermessensentscheidung entscheidend nach örtlichen Kindergärten und Kindergärten mit übergemeindlichem Einzugsgebiet zu differenzieren und letzteren - in Anlehnung an § 8 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz KGaG - nur eine abgesenkte Förderung zukommen zu lassen. Versagt sind dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe jedenfalls auch solche Differenzierungen, die im Widerspruch zu den Grundsätzen des SGB VIII stehen würden oder die mit höherrangigem Recht unvereinbar wären. So ist beispielsweise die Selbständigkeit des freien Trägers bei der Zielsetzung sowie der jeweiligen Aufgabendurchführung nach § 4 Abs.1 SGB VIII ausdrücklich geschützt. Dieser besondere Schutz ist nicht nur nach § 74 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII zu beachten, sondern steht bei der Ermessensentscheidung auch einer Differenzierung der Förderung der Höhe nach entgegen. Ebenso wäre eine Differenzierung der Förderungshöhe nach der Zugehörigkeit eines freien Trägers zu einer Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft unzulässig.
91 
b) Der Beklagte kann sich auch nicht erfolgreich darauf berufen, dass er dem Begehren des Klägers wegen fehlender Haushaltsmittel nicht oder nur teilweise entsprechen kann.
92 
aa) In verfahrensrechtlicher Hinsicht kann nach der Rechtsprechung des BVerwG (Urteil vom 25.11.2004 - 5 C 66.03 - DVBl 2005, 772) aus § 74 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII nicht gefolgert werden, dass Förderungsanträge innerhalb einer bestimmten Frist zu stellen sind. Ebenso wenig kann nach dieser Rechtsprechung gefolgert werden, dass der Antrag auf Förderung vor der Aufstellung des für den Förderungszeitraums geltenden Haushaltsplans gestellt werden muss. Dies schon deshalb, weil der auszugleichende Abmangel ohnehin erst nach Ablauf des Bewilligungszeitraums verlässlich vom Träger der Einrichtung festgestellt werden kann. Ohnehin sind Forderungen, mit denen der Träger der öffentlichen Jugendhilfe nach der Gesetzeslage rechnen muss, in die Haushaltsplanung einzustellen. Unabhängig hiervon können Forderungen, die sich auf zurückliegende Zeiträume beziehen, bei der künftigen Haushaltsplanung berücksichtigt werden. Von daher ist der Antrag des Klägers nicht verspätet gestellt worden und deshalb vom Beklagten zu berücksichtigen.
93 
bb) Der Beklagte kann sich auch nicht erfolgreich auf das Fehlen von Haushaltsmitteln berufen, selbst wenn er wegen der landesrechtlichen Förderpflicht der Gemeinden auf eine entsprechende Kreisumlage verzichten würde (BVerwG, Urteil vom 25.11.2004 - 5 C 66/03 - DVBl 2005, 772 <773>). Die Übertragung von Aufgaben durch das Gesetz verpflichtet den Träger öffentlicher Gewalt, die für die Aufgabenerfüllung erforderlichen Mittel, derer er typischerweise nach der Gesetzeslage bedarf, in die Haushaltsplanung einzustellen. Im vorliegenden Fall ist auch völlig fernliegend, dass der Beklagte durch die Inanspruchnahme des Klägers finanziell überfordert werden könnte. Denn der Beklagte macht nicht geltend, dass er von mehreren freien Trägern oder für eine Vielzahl von Einrichtungen oder in nicht vorhersehbarem Umfang auf Zahlung in Anspruch genommen worden sei und dass deshalb die bereitgestellten und typischerweise für diese Aufgabenerfüllung genügenden Mittel nicht ausreichen würden. Wenn der Beklagte für das Betriebsjahr 2004 aber nur vom Kläger auf Förderung seines Kindergartens in Anspruch genommen wird und dies auch nur in überschaubarer Höhe, dann bedarf keiner Darlegung, dass sich diese Inanspruchnahme „im Rahmen der verfügbaren Haushaltsmittel“ hält. Die finanziellen Belastungen, die mit der immer stärkeren Übertragung von Betreuungs- und Erziehungsaufgaben auf die Kommunen und die Kreise zukommen, sind insgesamt gesehen zwar beachtlich. Es ist allerdings auch nicht zu verkennen, dass dieses (zunehmende) Leistungsangebot nach dem SGB VIII erklärter Wille des Bundesgesetzgebers ist. Bestrebungen der Länder, die hiermit verbundenen Ausgaben zu beschränken (vgl. z. B.: Entwurf des Bundesrates eines Gesetzes zur Entlastung der Kommunen im sozialen Bereich < KEG > vom 15.12.2004 ), sind im Bundestag bisher gescheitert (Pl.Prot. 15/179, S. 16897).
94 
c) Nach § 74 Abs. 4 SGB VIII hat der Träger der öffentlichen Jugendhilfe bei gleich geeigneten Maßnahmen eine Auswahlentscheidung zu treffen, wobei der Maßnahme der Vorzug gegeben werden soll, die stärker an den Interessen der Betroffenen orientiert ist und deren Einflußnahme auf die Ausgestaltung der Maßnahme gewährleistet. Da im Zuständigkeitsbereich des Beklagten im maßgeblichen Zeitraum unstreitig kein anderer freier Träger eine vergleichbare Maßnahme gefördert wissen will, bedarf keiner Untersuchung, wann von einer solchen gleichen Eignung gesprochen werden könnte. Der Beklagte kann jedenfalls die Förderung nicht im Hinblick auf die Förderung von Maßnahmen anderer freier Träger versagen oder beschränken.
95 
d) Hinsichtlich der konkreten Höhe der Förderung verpflichtet § 74 Abs. 5 Satz 1 SGB VIII den Beklagten dazu, unterschiedliche Träger, die gleichartige Maßnahmen anbieten, unter Berücksichtigung ihrer Eigenleistungen nach gleichen Grundsätzen und Maßstäben zu fördern. § 74 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII legt zusätzlich fest, dass bei der Förderung gleichartiger Maßnahmen von Trägern der freien und der öffentlichen Jugendhilfe die Grundsätze und Maßstäbe anzuwenden sind, die für die Finanzierung der Maßnahmen der öffentlichen Jugendhilfe gelten.
96 
aa) Hieraus folgt, dass die Förderung des Klägers der Höhe nach grundsätzlich an der Förderung von Kindergärten freier Träger durch die Gemeinden bzw. den gemeindlichen Kindergärten zu orientieren ist. Jede signifikante Abweichung vom dortigen Förderungsumfang bedürfte einer überzeugenden Begründung. Das BVerwG (Urteil vom 25.11.2004 - 5 C 66/03 - DVBl 2005, 772 <773>) hat klar zum Ausdruck gebracht, dass es hinsichtlich der Förderung von kommunalen und kirchlichen Kindergärten keinen „closed shop“ geben dürfe, sondern dass andere Anbieter grundsätzlich zum Zuge kommen und gleich behandelt werden müssen. Aus der aus § 79 SGB VIII folgenden Letzt- und Gesamtverantwortung des örtlichen Trägers der öffentlichen Jugendhilfe folgt insbesondere auch, dass dieser in seinem Zuständigkeitsbereich für zumindest vergleichbare Verhältnisse bei der Finanzierung der Einrichtungen der unterschiedlichen Träger, die einen Anspruch dem Grunde nach besitzen, sorgen muss.
97 
bb) Nur durch eine weitgehend gleiche Förderung aller Kindergärten kann auch dem Sinn und Zweck von § 74 SGB VIII genügt werden. Denn wenn es in Baden-Württemberg keine landesrechtliche Regelung gäbe, die die Förderung der Kindergärten den Gemeinden überantwortet, dann müsste der Beklagte als örtlicher Träger der öffentlichen Jugendhilfe alle in seinem Zuständigkeitsbereich tätigen freien Träger nach § 74 SGB VIII fördern. Dann müsste er weiterhin Auswahlentscheidungen im Rahmen von § 74 Abs. 4 und 5 SGB VIII hinsichtlich aller betroffenen Träger - einschließlich der Waldorfkindergärten - treffen. Bei einer solchen Entscheidungssituation wäre aber völlig eindeutig, dass der Beklagte nicht einfach kommunale und kirchliche Kindergärten bevorzugen und in anderer Höhe fördern dürfte als beispielsweise Waldorfkindergärten. § 74 Abs. 4 SGB VIII würde dann sogar eher für eine Privilegierung der letzteren sprechen, weil diese stärker an den Interessen der konkret betroffenen Eltern orientiert wären - als beispielsweise kommunale Kindergärten - und deren Einflußnahme auf die Gestaltung der Maßnahme eher gewährleistet wäre. Ebenso würde sich aus § 74 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII ergeben, dass dann für die Förderung von Waldorfkindergärten die Grundsätze und Maßstäbe gelten würden, wie sie für die Finanzierung der Maßnahmen der öffentlichen Jugendhilfe gelten würden. Wäre eine solche weitgehend gleichmäßige Förderung aller freien Träger nach diesen Grundsätzen aber bundesrechtlich geboten, kann es dem Landesrecht nicht freistehen, eine nach Bundesrecht unzulässige Differenzierung hinsichtlich der Höhe der Förderung rechtlich oder faktisch herbeizuführen. Von daher hat der Beklagte bei seiner Ermessensentscheidung dafür zu sorgen, dass eine dem Bundesrecht widersprechende, unzulässige unterschiedliche Höhe der Förderung der Kindergärten der verschiedenen freien Träger vermieden wird.
98 
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 188 S. 2 VwGO.
99 
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht gegeben sind.

Gründe

 
22 
Der Senat konnte über die Berufung mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§§ 125 Abs. 1 Satz 1, 101 Abs. 2 VwGO).
23 
Die Berufung des Beklagten ist statthaft und auch ansonsten zulässig, insbesondere fristgerecht begründet worden.
24 
Die Berufung ist aber nicht begründet.
25 
Das Verwaltungsgericht hat die angefochtenen Bescheide des Beklagten vom 20.04.2004 und vom 16.08.2004 zu Recht aufgehoben, weil diese rechtswidrig sind und den Kläger in seinen Rechten verletzen (§§ 113 Abs. 1 Satz 1, 114 Satz 1 VwGO). Entgegen der Ansicht des Beklagten hat der Kläger dem Grunde nach einen Anspruch auf Gewährung eines Betriebskostenzuschusses für den von ihm betriebenen Kindergarten für das Jahr 2004 (unten I.). Hinsichtlich der Art und der Höhe der gebotenen Förderung hat der Beklagte die von § 74 Abs. 3 SGB VIII vorgesehene Ermessensentscheidung rechtswidrigerweise unterlassen, weil er den Förderungsanspruch dem Grunde nach zu Unrecht verneint hat. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht insoweit die Verpflichtung des Beklagten ausgesprochen, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO). Denn die Sache ist nicht spruchreif, weil das Gericht nicht sein Ermessen an die Stelle des behördlichen Ermessens setzen kann. Von daher hat der Kläger einen Anspruch auf ermessenfehlerfreie Neubescheidung seines Antrags hinsichtlich der Art und der Höhe der Förderung durch den Beklagten (unten II).
I.
26 
Der Kläger hat dem Grunde nach einen Anspruch auf Gewährung eines Betriebskostenzuschusses für das Rechnungsjahr 2004. Dieser Anspruch ergibt sich aus der für das Betriebsjahr 2004 geltenden Fassung des § 74 SGB VIII (Fassung der Bekanntmachung vom 08.12.1998 , zuletzt geändert durch Art. 7 des Gesetzes vom 30.07.2004 ) - (unten 1). Dieser Anspruch auf Förderung richtet sich gegen den örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe, also den Beklagten (unten 2). Die Förderungsverpflichtung des Beklagten entfällt auch nicht wegen einer Zuständigkeitsübertragung bzw. vorrangiger Einstandspflichten der kreisangehörigen Gemeinden (unten 3).
27 
1. Nach § 74 Abs. 1 und 2 SGB VIII sollen die Träger der öffentlichen Jugendhilfe die freiwillige Tätigkeit auf dem Gebiet der Jugendhilfe fördern, wenn die dort aufgeführten Voraussetzungen im Einzelfall gegeben sind. Diese Voraussetzungen erfüllt der Kläger. Denn er ist insoweit aktivlegitimiert (unten a). Er erfüllt die in § 74 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB VIII genannten tatbestandlichen Voraussetzungen (unten b). Ebenso erfüllt der Kläger die in § 74 Abs. 2 SGB VIII genannten besonderen Voraussetzungen (unten c); insbesondere besteht für den vom Kläger betriebenen Kindergarten auch ein Bedarf (unten d).
28 
a) Der Kläger ist aktivlegitimiert. Denn § 74 Abs. 1 SGB VIII regelt nicht nur eine objektivrechtliche Verpflichtung des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe zur Förderung der freien Jugendhilfe, sondern begründet klagbare subjektive Leistungsansprüche der Träger der freien Jugendhilfe gegen die Träger der öffentlichen Jugendhilfe. Dies folgt ohne weiteres aus dem Wortlaut und dem Regelungszusammenhang des § 74 SGB VIII, der erkennbar von einem Zahlungsanspruch des freien Trägers der Jugendhilfe ausgeht (in diesem Sinne auch: BVerwG, Urteil vom 25.11.2004 - 5 C 66.03 - DVBl 2005, 772; Hessischer VGH, Urteil vom 06.09.2005 - 10 UE 3025/04 - NVwZ-RR 2006, 475; OVG Lüneburg, Urteil vom 07.02.2006 - 4 LB 389/02 - NVwZ-RR 2006, 483). Dieser Anspruch auf Förderung ist auf eine Verpflichtung des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe zur Bereitstellung von Geldmitteln aus den öffentlichen Haushalten gerichtet (Wiesner, Kommentar zum SGB VIII, 3. Aufl., 2006, § 74 Rdnr. 9; Kunkel/Steffan in LPK-SGB VIII, 3. Aufl., 2006, § 74 Rdnr. 3). Der Kläger ist ein freier Träger im Sinne von § 74 SGB VIII, weshalb ihm ein Anspruch auf (institutionelle oder projektbezogene) Förderung zustehen kann.
29 
b) Nach § 74 Abs. 1 SGB VIIIsoll der Träger der öffentlichen Jugendhilfe Maßnahmen des freien Trägers der Jugendhilfe fördern, wenn die dort aufgeführten tatbestandlichen Voraussetzungen erfüllt sind.
30 
aa) Der Kläger erfüllt zunächst die Voraussetzungen des § 74 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII. Hiernach muss der freie Träger der Jugendhilfe die fachlichen Voraussetzungen für die geplante Maßnahme besitzen (dortige Nr. 1), die Gewähr für die zweckentsprechende und wirtschaftliche Mittelverwendung bieten (Nr. 2), gemeinnützige Zwecke verfolgen (Nr. 3), eine angemessene Eigenleistung erbringen (Nr. 4) und die Gewähr für eine den Zielen des Grundgesetzes förderliche Arbeit bieten (Nr. 5). Zu Recht ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass der Kläger diese Voraussetzungen durchweg erfüllt. Der Senat verweist insoweit auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichts (Urteilsabdruck S. 7 f.). Das Vorliegen dieser Voraussetzungen wird auch mit der Berufungsbegründung nicht in Abrede gestellt; dort wird lediglich ein Fehlen der Fördervoraussetzungen nach § 74 Abs. 2 SGB VIII geltend macht (siehe unten).
31 
bb) Der Kläger erfüllt auch die Voraussetzungen des § 74 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII. Die vom Kläger begehrte Förderung ist auf Dauer angelegt. Deshalb setzt eine Förderung nach § 74 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII zusätzlich voraus, dass der zu fördernde Träger in der Regel als Träger der freien Jugendhilfe nach § 75 SGB VIII anerkannt ist. Auch diese Voraussetzung erfüllt der Kläger unstreitig.
32 
cc) Da die Förderung nach § 74 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII geleistet werdensoll , hat der freie Träger der Jugendhilfe grundsätzlich einen Anspruch auf Leistung, wenn nicht ausnahmsweise eine atypische Konstellation gegeben ist, die den Träger der öffentlichen Jugendhilfe zur Ablehnung der Förderung berechtigen kann. Das Vorliegen einer solchen Ausnahmesituation hat der Beklagte nicht geltend gemacht; eine solche ist auch sonst nicht ersichtlich.
33 
c) Entgegen der Auffassung des Beklagten erfüllt der Kläger auch die Voraussetzungen des § 74 Abs. 2 SGB VIII. Nach § 74 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII kann die Förderung von der Bereitschaft des freien Trägers abhängig gemacht werden, seine Einrichtungen, Dienste und Veranstaltungen nach Maßgabe der Jugendhilfeplanung und unter Beachtung der in § 9 SGB VIII genannten Grundsätze anzubieten, wobei unstreitig ist, dass die Einrichtung des Klägers den in § 9 SGB VIII genannten Grundsätzen genügt. Hinsichtlich der von der Norm angesprochenen Bedarfsplanung kann vorliegend dahin stehen, ob § 74 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII nur auf die Jugendhilfeplanung des zuständigen örtlichen Trägers der öffentlichen Jugendhilfe abstellt - eine solche existiert im vorliegenden Fall für Kindergärten nicht - oder ob, wovon der Beklagte ausgeht, das Gesetz auch auf die gemeindliche Bedarfsplanung abstellt. Denn nach dem klaren Wortlaut der Norm könnte nach § 74 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII jedenfalls nicht verlangt werden, dass die Einrichtung des Klägers tatsächlich in die gemeindliche Jugendhilfeplanung aufgenommen worden ist. Die Bereitschaft des freien Trägers zur Aufnahme in die Jugendhilfeplanung und zum Angebot seiner Leistungen im Rahmen der Bedarfsplanung genügt. Ein hierüber hinausgehendes Verlangen wäre auch nicht sachgerecht, denn der freie Träger der Jugendhilfe kann nur seine Mitwirkung anbieten und seine Berücksichtigung in der Jugendhilfeplanung beantragen. Ob die betriebene Einrichtung in der Bedarfsplanung der Gemeinde berücksichtigt wird oder nicht, ist der Entscheidungsmöglichkeit des Klägers entzogen und ausschließlich der Entscheidung der Gemeinde überantwortet. Das BVerwG (Urteil vom 25.04.2002 - 5 C 18.01 - BVerwGE 116, 226 <230> m.w.N.) hat mehrfach betont, dass es zur Förderung nach § 74 SGB VIII einer Jugendhilfeplanung nach § 80 SGB VIII nicht zwingend bedarf. Wenn eine solche Planung vorliegt, ist sie bei der Förderung nach § 74 SGB VIII zu beachten, fehlt eine solche, hindert dies die Förderung nach § 74 SGB VIII nicht, die Förderungsentscheidung ist dann einzelfallbezogen zu treffen (BVerwG, a.a.O.). Wenn die Förderung nach § 74 SGB VIII aber nicht von der Jugendhilfeplanung des zuständigen Trägers abhängig gemacht werden kann, gibt es keinen einleuchtenden Grund, weshalb eine solche Förderung von der Planung einer kreisangehörigen Gemeinde, auf die der örtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe nur indirekt Einfluss nehmen kann, abhängen soll.
34 
d) Entgegen der Ansicht des Beklagten scheitert der Anspruch des Klägers auf Förderung dem Grunde nach auch nicht deshalb, weil es für die vom Kläger betriebene Einrichtung keinen Bedarf gibt.
35 
aa) Bedarf und Bedarfsdeckung im Sinne des SGB VIII lassen sich nicht abstrakt quantitativ definieren. Deshalb ist auch die schlichte Gegenüberstellung der im Kreisgebiet vorhandenen Kindergartenplätze und der Anzahl der in Frage kommenden Kinder zwischen der Vollendung des 3. Lebensjahres und dem Einschulungsalter verfehlt. Maßgeblich für die Jugendhilfeplanung im Sinne von § 74 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII kann nur der in quantitativerund qualitativer Hinsicht bestehende Bedarf sein, der sich insbesondere auch an den Erfordernissen der §§ 3 bis 5 SGB VIII auszurichten hat. Dies wird durch die in § 74 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII erfolgende Bezugnahme auf § 4 Abs. 1 SGB VIII auch ausdrücklich unterstrichen. Auch § 79 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII umschreibt die Gesamtverantwortung der Träger der öffentlichen Jugendhilfe dahin, dass diese die erforderlichen und geeigneten Einrichtungen, Dienste und Veranstaltungen „den verschiedenen Grundrichtungen der Erziehung entsprechend“ rechtzeitig und ausreichend zu gewährleisten haben. Bedarfsgerecht ist eine Jugendhilfeplanung von daher nur dann, wenn sie die Vielzahl von Wertorientierungen, Inhalten, Methoden und Arbeitsformen (§ 3 Abs. 1 SGB VIII) berücksichtigt, dem grundsätzlichen Vorrang der freien Jugendhilfe genügt (§ 4 SGB VIII) und insbesondere auch dem Wunsch- und Wahlrecht der Leistungsberechtigten (§ 5 SGB VIII) ausreichend Rechnung trägt.
36 
aaa) Nach § 3 Abs. 1 SGB VIII ist die Jugendhilfe gekennzeichnet durch die Vielfalt von Trägern unterschiedlicher Wertorientierungen und die Vielfalt von Inhalten, Methoden und Arbeitsformen. Diese Grundsätze waren auch im Gesetzgebungsverfahren, das zur streitgegenständlichen Änderung des KGaG geführt hat, unumstritten. Dort wurde ausdrücklich betont, dass die Landesregierung Trägerpluralität wünsche und positiv bewerte und dass diese auch durch das SGB VIII garantiert sei; die Wahrung der Trägervielfalt sei gemeinsamer gesetzlicher Wille (LT-Drucks. 13/1884, S. 8). Die Notwendigkeit eines pluralen Angebots wird auch von der Rahmenvereinbarung der Spitzenverbände vom 25.07.2003 als zentrales Erfordernis der Bedarfsplanung betont (dortige Ziffer 1.3). Dieser Grundsatz muss sich dann aber auch in der konkreten Förderpraxis niederschlagen. Von daher können weder der örtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe noch kreisangehörige Gemeinden bestehende Strukturen einfach fortschreiben und alternative Anbieter auf den bereits „gedeckten“ Bedarf verweisen; kommunale und kirchliche Kindergärten dürfen nicht als „closed shop“ verstanden werden (BVerwG, Urteil vom 25.11.2004 - 5 C 66/03 - DVBl 2005, 772 <773>). Ebenso wenig können sie sich dem gesellschaftlichen Wandel oder der Änderung von Erziehungsvorstellungen entziehen. Zwar ist auch der Wunsch von Gemeinden und Landkreisen an langjährig bewährten Strukturen festzuhalten, grundsätzlich nachvollziehbar. Der Gesetzgeber des SGB VIII hat aber erkennbar der Pluralität der Wert- und Erziehungsvorstellungen Vorrang eingeräumt. Die Berücksichtigung dieser unterschiedlichen Vorstellungen und deren Einbeziehung in die Bedarfsplanung kann zwar für die Träger der öffentlichen Jugendhilfe und für die Gemeinden erhebliche organisatorische, finanzielle und planerische Anforderungen mit sich bringen. Diese Erschwernisse können aber keine Relativierung der durch das SGB VIII auferlegten Pflichten rechtfertigen.
37 
Hinzu kommt, dass das Angebot an schulischen und vorschulischen Waldorfeinrichtungen seit langem besteht und deshalb auch unschwer durch die Träger der öffentlichen Jugendhilfe eingeschätzt und berücksichtigt werden kann (vgl. insoweit auch OVG Lüneburg, Urteil vom 07.02.2006 - 4 LB 389/02 - NVwZ-RR 2006, 483). Diesem Angebot kommt erkennbar auch zunehmende Bedeutung zu. Während die staatlichen Schulen einen Rückgang an Schülern zu verzeichnen haben, besuchen in Baden-Württemberg immer mehr Schüler eine Waldorfschule. Nach der Mitteilung des Statistischen Landesamts (vgl. Stuttgarter Zeitung vom 24.03.2006) stieg die Schülerzahl bezogen auf das Schuljahr 2004/05 im letzten Schuljahr um 2,8 % auf ca. 22.700 Schüler. Nach aller Erfahrung besuchen viele dieser Schüler typischerweise zuvor auch einen Waldorfkindergarten, falls dies organisatorisch möglich ist. Diese Entwicklung ist den Trägern der öffentlichen Jugendhilfe und den Gemeinden seit langem bekannt, wie nicht nur die seit Jahren anhängigen Klageverfahren um die Förderung solcher Einrichtungen belegen. Nach den bisherigen Erfahrungen ist typischerweise auch von dem Fortbestand solcher Einrichtungen auszugehen, was ebenfalls bei den erforderlichen planerischen Entscheidungen zu berücksichtigen ist und diese auch erleichtert. Veränderungen des Erziehungsangebots werden auch nicht immer nur als Belastung empfunden; so fördert die Gemeinde Illingen sogar kreisübergreifend den Waldorfkindergarten in Vaihingen/Enz, weil sie dieses stark nachgefragte Erziehungsangebot als Bereicherung und als Standortvorteil wertet (vgl. BWGZ 2004, S. 924).
38 
bbb) Besondere Bedeutung kommt im Bereich der Jugendhilfe dem Wunsch- und Wahlrecht der Leistungsberechtigten zu. Diese haben nach § 5 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII grundsätzlich das Recht, zwischen Einrichtungen und Diensten verschiedener Träger zu wählen und Wünsche hinsichtlich der Gestaltung der Hilfe zu äußern; solchen Wünschen soll der Leistungsträger nach Maßgabe von § 5 Abs. 2 SGB VIII grundsätzlich entsprechen. Versuche zur Einschränkung dieses Wunschrechts (vgl. den Entwurf des Bundesrates eines Gesetzes zur Entlastung der Kommunen im sozialen Bereich < KEG > vom 15.12.2004 ) sind vom Bundestag - nahezu einstimmig - abgelehnt worden (Pl.-Prot. 15/179, S. 16897). Große Bedeutung kommt § 5 SGB VIII insbesondere im Bereich der vorschulischen Erziehung zu, die in den alleinigen Verantwortungs- und Entscheidungsbereich der Eltern fällt (siehe unten). Vor allem im Bereich der weltanschaulich-religiösen Erziehung entscheiden allein die Eltern, welchen Einflüssen das Kind ausgesetzt sein und von welchen es ferngehalten werden soll. So wäre beispielsweise eine Bedarfsplanung unzureichend, wenn dem Wunsch der Eltern nach religiöser Erziehung nicht Rechnung getragen würde. Ebenso wenig dürften ausschließlich kirchliche Kindergartenplätze bereit gestellt werden, wenn es eine hinreichend große Zahl von Eltern gibt, die eine religiöse Erziehung ablehnen. Eine rein quantitative Betrachtung könnte letztlich dazu führen, dass den Eltern Kindergartenplätze angeboten werden dürften, die deren Erziehungsvorstellungen völlig widersprechen würden. Mit einem solchen - unzumutbaren - Angebot würde aber weder dem grundsätzlichen Anspruch der Leistungsberechtigten auf einen Kindergartenplatz (§ 24 Satz 1 SGB VIII) noch dem Bereitstellungsauftrag des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe genügt.
39 
Einschränkungen des Anspruchs auf einen den elterlichen Vorstellungen entsprechenden Kindergartenplatz folgen dabei aus dem Umstand, dass dem einzelnen Anspruch nicht individuell Rechnung getragen werden kann, sondern immer nur im Rahmen einer Einrichtung, die jeweils eine Gruppe von Leistungsberechtigten zusammenfasst. Von daher gibt es keinen Anspruch auf einen bestimmten Kindergartenplatz oder einen bestimmten Kindergarten (BVerwG, Urteil vom 25.04.2002 - 5 C 18.01 - BVerwGE 116, 226 <231>). Eltern können zunächst nur zwischen den vorhandenen Kindergärten, in denen freie Plätze zur Verfügung stehen, auswählen. Wenn sie sich für einen bestimmten Kindergarten entscheiden, folgt hieraus typischerweise, dass sie Rücksicht nehmen und ihre eigenen Erziehungsvorstellungen teilweise zurücknehmen müssen, soweit diese mit den Vorstellungen anderer Eltern bzw. den inhaltlichen oder organisatorischen Anforderungen der Einrichtung kollidieren. Denn der einzelne Kindergarten kann nicht allen individuellen Erziehungsvorstellungen Rechnung tragen bzw. ist – insbesondere bei weltanschaulich-religiös ausgerichteten Trägern – eigenen Wertvorstellungen verpflichtet. Von daher kommt dem Wunsch- und Wahlrecht der Leistungsberechtigten im Bereich der Kindergartenauswahl zentrale Bedeutung zu. Nur durch die Wahl eines Kindergartens, der ihren Vorstellungen weitgehend entspricht, können die Eltern erreichen, dass ihre Erziehungsvorstellungen möglichst einschränkungsfrei umgesetzt werden. Der Träger der öffentlichen Jugendhilfe muss diese Auswahlentscheidungen der Eltern grundsätzlich akzeptieren und seiner eigenen Bedarfsplanung zu Grunde legen. Er muss grundsätzlich auch akzeptieren, dass sich Eltern mit gleichen Vorstellungen zusammenfinden und ihre gemeinsamen Vorstellungen kollektiv umsetzen. Soll den elterlichen Erziehungsvorstellungen aber möglichst entsprochen werden, kann die Entscheidung über die Förderung von Einrichtungen nach § 74 SGB VIII nicht unabhängig von der hierdurch geformten konkreten Bedarfslage getroffen werden. Dies gilt insbesondere hinsichtlich der weltanschaulich-religiösen Ausrichtung von Einrichtungen, die nicht Ansatzpunkt für eine gleichheitswidrige Förderungspraxis sein darf.
40 
bb) Ein solches Normverständnis ist auch verfassungsrechtlich geboten, weil nur eine Bedarfsdeckung, die den konkreten Erziehungsvorstellungen der Eltern ausreichend Rechnung trägt, den Anforderungen des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG genügt. Nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG ist die Pflege und Erziehung der Kinder das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Dieses Elternrecht umfasst die Sorge für die seelische und geistige Entwicklung sowie die Bildung und Ausbildung des Kindes.
41 
aaa) Aus dem Elternrecht folgt - insbesondere für den vorschulischen Bereich - auch, dass allein die Eltern darüber zu befinden haben, in welchem Ausmaß und mit welcher Intensität sie selbst die Pflege und Erziehung leisten oder ob sie diese Dritten überlassen wollen (BVerfG, Beschluss vom 10.11.1998 - 2 BvR 1057, 1226, 980/91 - BVerfGE 99, 216 <234>). Weiterhin entscheiden allein die Eltern, wem sie Einfluss auf die Erziehung eines Kindes zugestehen wollen und wem nicht (BVerfG, Urteil vom 17.07.2002 - 1 BvF 1, 2/01 - BVerfGE 105, 313 <354>) und wie die konkrete Einflussnahme ausgestaltet sein soll (BVerfG, Beschluss vom 27.11.1990 - 1 BvR 402/87 - BVerfGE 83, 130 <139> m.w.N.). Das Elternrecht erstreckt sich hierbei insbesondere auch auf die religiöse und weltanschauliche Erziehung. Es ist allein Sache der Eltern, ihren Kindern diejenigen Überzeugungen in Glaubens- und Weltanschauungsfragen zu vermitteln, die sie für richtig halten, was mit dem Recht korrespondiert, die Kinder von solchen Einflüssen fern zu halten, die die Eltern für falsch oder schädlich halten (BVerfG, Beschluss vom 17.12.1975 - 1 BvR 63/68 - BVerfGE 41, 29 <47>; Beschluss vom 16.05.1995 - 1 BvR 1087/91 - BVerfGE 93, 1 <17>).
42 
bbb) Diese Grundentscheidung der Verfassung wirkt nicht nur als Abwehrrecht gegen staatliche Eingriffe und fordert Respektierung der von den Eltern getroffenen Entscheidungen, sondern erfasst die gesamte Rechtsordnung; sie hat deshalb auch Auswirkungen auf die Förderungspraxis der Träger der öffentlichen Jugendhilfe. Aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG können zwar keine direkten Leistungsansprüche des Bürgers gegen den Staat abgeleitet werden. Allerdings ist der Gesetzgeber durch der Art. 6 GG innewohnenden Schutzpflicht zur einfach-rechtlichen Regelung von Förderungsleistungen ausdrücklich verpflichtet. Im Beschluss des BVerfG vom 10.11.1998 (- 2 BvR 1057 u.a./91 - BVerfGE 99, 216 <234>) heißt es insoweit wörtlich:
43 
„Neben der Pflicht, die von den Eltern im Dienst des Kindeswohls getroffenen Entscheidungen anzuerkennen und daran keine benachteiligenden Rechtsfolgen zu knüpfen, ergibt sich aus der Schutzpflicht des Art. 6 Abs. 1 GG auch die Aufgabe des Staates, die Kinderbetreuung in der jeweils von den Eltern gewählten Form in ihren tatsächlichen Voraussetzungen zu ermöglichen und zu fördern. Die Kinderbetreuung ist eine Leistung, die auch im Interesse der Gemeinschaft liegt und deren Anerkennung verlangt (BVerfGE 87, 1 <38 f.>; 88, 203 <258 f.>).“
44 
Dieser Schutzpflicht ist der Gesetzgeber beispielsweise mit den im SGB VIII getroffenen Regelungen nachgekommen. Der Bedeutung und der Tragweite der verfassungsrechtlichen Vorgaben ist zudem bei der Auslegung und Anwendung der Regelungen des SGB VIII Rechnung zu tragen. Der Anspruch auf einen Kindergartenplatz gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII bzw. die hiermit korrespondierende Verpflichtung des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe auf Bereitstellung eines bedarfsgerechten Angebots können von daher nicht auf die Bereitstellung irgendwelcher Kindergartenplätze gerichtet sein, sondern nur auf die Bereitstellung von solchen Plätzen, die den konkreten („in der jeweils von den Eltern gewählten Form“), verfassungsrechtlich geschützten Anforderungen der Eltern möglichst weitgehend genügen. Eine Verweisung der Eltern auf Kindergartenplätze, die den individuellen Erziehungsvorstellungen nicht entsprechen, würde eine nicht gerechtfertigte Beschränkung des elterlichen Erziehungsrechts darstellen, wenn bei geänderter Förderpraxis unschwer ein geeignetes Angebot zur Verfügung stünde. Dies gilt insbesondere hinsichtlich der weltanschaulich-religiösen Ausrichtung von Kindergärten. Diese grundsätzliche Verpflichtung hat auch die Förderentscheidung des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe zu Grunde zu legen.
45 
ccc) Den obigen Erwägungen kommt auch deshalb zunehmende Bedeutung zu, weil die Förderung nach § 74 SGB VIII nicht nur individuellen Interessen der betroffenen Kinder und Eltern Rechnung tragen soll, sondern weil in verstärktem Maße das besondere Interesse der Gemeinschaft an einer funktionsfähigen Kinderbetreuung erkannt und betont wird. Der vorschulischen Erziehung wird hierbei zunehmend eine besondere integrative Bedeutung zugemessen (vgl. z. B. § 2 Abs. 2 KGaG; §§ 9, 22 Abs. 1 und 2 SGB VIII; vgl. insoweit auch die Begründung des Gesetzentwurfs des Bundesrates vom 10.11.2004 sowie die hierzu abgegebene Stellungnahme der Bundesregierung und Pl.Prot. 15/179, S. 16883 - 16897). Auch erlangt die vorschulische Bildung immer größere Bedeutung. Je stärker der Staat aber an vorschulischer Erziehung und Bildung und damit an einem Kindergartenbesuch möglichst vieler Kinder interessiert ist, den Eltern einen solchen Besuch empfiehlt oder gar Druck im Hinblick auf einen Kindergartenbesuch ausübt (z. B. Kürzung oder Versagung von Sozialleistungen), um beispielsweise die Sprachkenntnisse von Kindern mit Migrationshintergrund zu verbessern, um so stärker muss andererseits auf die Erziehungsvorstellungen der Eltern Rücksicht genommen werden. Denn anders als bei der schulischen Erziehung, hinsichtlich derer Art. 7 Abs. 1 GG dem Staat einen eigenständigen - wenn auch beschränkten - Erziehungsauftrag zuweist, besitzt der Staat im Bereich der vorschulischen Erziehung keinerlei Befugnisse außerhalb des Wächteramts (Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG), durch welches er nur bei einem Missbrauch des elterlichen Erziehungsrechts zum Eingriff befugt ist (BVerfG, Beschluss vom 10.03.1958 - 1 BvL 42/56 - BVerfGE 7, 320 <323>).
46 
cc) Schließlich ist auch aus § 74 Abs. 3 SGB VIII der Schluss zu ziehen, dass die Problematik alternativer Bedarfsdeckung durch unterschiedliche Anbieter nicht den Förderungsanspruch dem Grunde nach in Frage stellt, sondern nur im Rahmen der zu treffenden Ermessensentscheidung bei der Frage nach Art und Höhe der Förderung Bedeutung erlangen kann. Denn die Beschränktheit der verfügbaren Haushaltsmittel rechtfertigt ggf. eine ermessensfehlerfreie Auswahlentscheidung zwischen verschiedenen geeigneten Angeboten, nicht aber den völligen Ausschluss einzelner freier Träger wegen bereits „gedeckten Bedarfs“.
47 
dd) Für das Angebot des Klägers besteht offenkundig ein konkreter Bedarf, weil es genügend Eltern gibt, die ihre Kinder in einem Waldorfkindergarten erzogen wissen wollen. Qualitativ vergleichbare Angebote, auf die diese Eltern verwiesen werden könnten, gibt es im Gebiet des Beklagten erkennbar nicht. Deshalb ist nicht die Einrichtung des Klägers nicht bedarfsgerecht, sondern die zu Grunde liegende Bedarfsplanung. Die insoweit geltend gemachten Einwände des Beklagten greifen nicht durch.
48 
Soweit der Beklagte geltend macht, die Landkreise würden dazu verpflichtet, nicht bedarfsgerechte Einrichtungen zu finanzieren, wenn es lediglich auf die Bereitschaft des freien Trägers zum Angebot innerhalb der Bedarfsplanung ankommen sollte, trifft diese Schlussfolgerung so nicht zu. Zum einen bedeutet die Nichtaufnahme in den gemeindlichen Bedarfsplan nicht, dass kein Bedarf besteht (siehe oben). Zum anderen ist es gerade Ausdruck der Gesamtverantwortung (§ 79 Abs. 1 und 2 SGB VIII) des örtlichen Trägers der öffentlichen Jugendhilfe, dass er den Bedarf, der durch die Gemeinden nicht gedeckt wird, in eigener Verantwortung sichert (vgl. BVerwG, Urteil vom 25.11.2004 - 5 C 66/03 - DVBl 2005, 772 <773>). Der Beklagte weist zwar zu Recht darauf hin, dass die Finanzierung von Überkapazitäten tunlichst vermieden werden soll. Dies kann aber schon dadurch erreicht werden, dass das Angebot des Klägers bei der Jugendhilfeplanung berücksichtigt wird. Den damit verbundenen Problemen kann der Träger der öffentlichen Jugendhilfe durch eine Intensivierung der Zusammenarbeit mit den freien Trägern zu begegnen suchen. Zudem liegt es nicht am Kläger, wenn Überkapazitäten dadurch entstehen würden, dass die Bedarfslage ohne Berücksichtigung der gesetzlichen Erfordernisse festgestellt wird. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund der oben zitierten Rechtsprechung des BVerfG.
49 
2. Der Anspruch des Klägers auf Förderung nach § 74 SGB VIII richtet sich gegen den Beklagten.
50 
a) Gemäß § 3 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII richten sich Leistungsverpflichtungen, die durch das SGB VIII begründet werden, gegen die Träger der öffentlichen Jugendhilfe. Soweit § 74 SGB VIII mithin Leistungsansprüche von freien Trägern der Jugendhilfe begründet, können sich diese nur gegen einen Träger der öffentlichen Jugendhilfe richten (BVerwG, Urteil vom 25.04.2002 - 5 C 18.01 - BVerwGE 116, 227 <228>; Hessischer VGH, Urteil vom 06.09.2005 - 10 UE 3025/04 - NVwZ-RR 2006, 475; OVG Lüneburg, Beschluss vom 16.06.1997 - 4 M 1219/97 - FEVS 48, 213).
51 
aa) Träger der öffentlichen Jugendhilfe sind gemäß § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII die örtlichen und die überörtlichen Träger, wobei das Landesrecht gemäß § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB VIII bestimmt, wer überörtlicher Träger der Jugendhilfe ist. Nach § 69 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII sind die Kreise und kreisfreien Städte örtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe. Hierbei kann nach der Rechtsprechung des BVerwG (Urteil vom 25.11.2004 - 5 C 66.03 - DVBl 2005, 772) dahin stehen, ob diese Zuständigkeitsbestimmung durch Bundesrecht (im Hinblick auf das Urteil des BVerfG vom 18.07.1967 - BVerfGE 22, 180) verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet, weil auch § 1 Abs. 1 des Kinder- und Jugendhilfegesetzes für Baden-Württemberg (LKJHG) in der für den umstrittenen Bewilligungszeitraum maßgeblichen Fassung vom 19.04.1996 (GBl. S. 457), geändert durch Art. 6 des Haushaltsstrukturgesetzes 1997 vom 16.12.1996 (GBl. S. 776) und Art. 6 der 5. AnpassungsVO vom 17.06.1997 (GBl. S. 278) die Land- und Stadtkreise - vorbehaltlich einer Aufgabenübertragung nach § 5 LKJHG - als örtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe bestimmt.
52 
bb) In sachlicher Hinsicht ist für die streitgegenständliche Förderung nach § 74 SGB VIII der örtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe zuständig. Dies ergibt sich zunächst aus § 85 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII, der für die Gewährung von Leistungen und die Erfüllung anderer Aufgaben grundsätzlich die sachliche Zuständigkeit des örtlichen Trägers festlegt, soweit nicht ausdrücklich die Zuständigkeit des überörtlichen Trägers geregelt ist. Eine solche ausdrückliche Zuständigkeit des überörtlichen Trägers folgt vorliegend nicht aus § 85 Abs. 2 Nr. 3 SGB VIII, weil nicht die Förderung einer Einrichtung begehrt wird, die den örtlichen Bedarf - bezogen auf das Kreisgebiet - übersteigt. Die grundsätzliche Zuständigkeit der Kreise und kreisfreien Städte für diesen Aufgabenbereich ergibt sich im Übrigen schon aus § 27 Abs. 2 SGB I. Von der sachlichen Zuständigkeit der örtlichen Träger für die Förderung von Kindergärten freier Träger nach § 74 SGB VIII geht auch das BVerwG (Urteil vom 25.11.2004 - 5 C 66.03 - DVBl 2005, 772) aus (so im Ergebnis wohl auch schon BVerwG, Urteil vom 25.04.2002 - 5 C 18.01 - BVerwGE 116, 226 <228>).
53 
cc) Der Beklagte ist für den streitgegenständlichen Förderungsanspruch auch örtlich zuständig. Denn der Kläger betreibt seinen Kindergarten in Künzelsau, also im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Beklagten.
54 
3. Die Zuständigkeit des Beklagten zur Förderung freier Träger nach § 74 SGB VIII ist nicht auf kreisangehörige Gemeinden übergegangen (unten a); ebenso wenig wird diese Zuständigkeit durch landesrechtliche Regelungen verdrängt (unten b). Der Beklagte kann sich auch nicht erfolgreich auf die vorrangige Einstandspflicht der kreisangehörigen Gemeinden berufen (unten c).
55 
a) Zu Recht ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass die Zuständigkeit des Beklagten weder gemäß § 26 SGB VIII (unten aa) noch nach § 69 Abs. 2 Satz 1 (unten bb) oder Abs. 5 Satz 1 SGB VIII (unten cc) auf kreisangehörige Gemeinden übergegangen ist. Die durch das Gesetz zum qualitätsorientierten und bedarfsgerechten Ausbau der Tagesbetreuung für Kinder (Tagesbetreuungsausbaugesetz vom 27.12.2004 ) erfolgte Änderung von § 69 SGB VIII findet für den streitgegenständlichen Bewilligungszeitraum keine Anwendung (unten dd).
56 
aa) § 26 Satz 1 SGB VIII erlaubt dem Landesgesetzgeber keine abweichende Zuständigkeitsbestimmung für die Förderung nach § 74 SGB VIII. § 26 SGB VIII steht am Ende des Dritten Abschnitts (Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und in Tagespflege) des zweiten Kapitels des SGB VIII. Dieser Abschnitt behandelt Grundsätze der Förderung (§§ 22, 23 SGB VIII), den Anspruch des Kindes auf einen Kindergartenplatz bzw. die Verpflichtung zur Bereitstellung von Plätzen in Tageseinrichtungen (§§ 24, 24a SGB VIII) sowie die Verpflichtung zur Beratung und Unterstützung von selbst organisierter Förderung von Kindern (§ 25 SGB VIII). Regelungen hinsichtlich des Verhältnisses von freien Trägern und den Trägern der öffentlichen Jugendhilfe enthält dieser Abschnitt nicht. Soweit die Regelungen des dritten Abschnitts auch Zuständigkeitsbestimmungen enthalten (§§ 24 Satz 3, 24 a Abs. 5 SGB VIII), sind diese im vorliegenden Zusammenhang nicht von tragender Bedeutung. Von daher liegt schon vom Ansatz her fern, dass § 26 Satz 1 SGB VIII den Landesgesetzgeber hat ermächtigen wollen, vom SGB VIII abweichende Zuständigkeiten für die Förderung freier Träger zu normieren. Hinzu kommt, dass § 74 SGB VIII nicht speziell die Förderung von Trägern von Kindergärten regelt, sondern allgemein die Förderung der freien Träger der Jugendhilfe. Das Bestimmungsrecht der Länder nach § 26 Satz 1 SGB VIII bezieht sich nur auf Inhalt und Umfang der in diesem Abschnitt geregelten Aufgaben und Leistungen. Des weiteren weist die Klägerseite zu Recht darauf hin, dass der Landesgesetzgeber nach § 26 Satz 1 SGB VIII nur „Näheres“, nicht aber Abweichendes bestimmen dürfte. Eine landesrechtliche Regelung, die einem freien Träger aber einen Anspruch auf Förderung gegen den örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe nehmen würde, den das Bundesrecht ausdrücklich verleiht, regelt nichts „Näheres“, sondern Abweichendes. Zur Zulässigkeit einer solchen abweichenden Regelung bedürfte es einer ausdrücklichen bundesrechtlichen Ermächtigung, die jedenfalls nicht in § 26 Satz 1 SGB VIII zu sehen ist.
57 
bb) Der Beklagte hat seine Förderzuständigkeit nicht nach § 69 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII verloren. Hiernach kann das Landesrecht bestimmen, dass auch leistungsfähige kreisangehörige Gemeinden auf ihren Antrag zu örtlichen Trägern der öffentlichen Jugendhilfe bestimmt werden können. Von dieser Regelungsbefugnis hat das Landesrecht auch Gebrauch gemacht (vgl. § 5 LKJHG). Allerdings hat der Beklagte von der Möglichkeit der Zuständigkeitsübertragung nach § 5 LKJHG keinen Gebrauch gemacht, weshalb es bei seiner Zuständigkeit verbleibt.
58 
cc) Schließlich können nach § 69 Abs. 5 Satz 1 SGB VIII kreisangehörige Gemeinden, die nicht örtliche Träger sind, Aufgaben der Jugendhilfe wahrnehmen. Auch von dieser Regelungsmöglichkeit hat das Land Gebrauch gemacht (§ 6 LKJHG). Gemäß § 6 LKJHG bedürfte es für eine solche Heranziehung im Einzelfall eines öffentlich-rechtlichen Vertrages zwischen dem Beklagten und der kreisangehörigen Gemeinde, der die einzelnen Aufgaben bezeichnet und Näheres hinsichtlich Umfang, Ausgestaltung, Finanzierung sowie Sicherstellung der Leistungen und Angebote regelt. Auch von dieser Möglichkeit der Heranziehung hat der Beklagte unstreitig keinen Gebrauch gemacht, weshalb dahinstehen kann, welche Auswirkungen eine Aufgabenübertragung an eine Gemeinde im Einzelfall haben würde. Im Übrigen verbliebe es bei der Heranziehung einer Gemeinde in jedem Fall bei der Letzt- und Gesamtverantwortung des örtlichen Trägers der öffentlichen Jugendhilfe (§ 69 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII). Würde eine nach § 69 Abs. 5 Satz 1 SGB VIII i.V.m. § 6 LKJHG herangezogene Gemeinde einer Leistungsverpflichtung nicht nachkommen, würde die Leistungsverpflichtung des örtlichen Trägers der öffentlichen Jugendhilfe fortbestehen; ein nicht erfüllter Leistungsanspruch könnte jedenfalls dann auch klageweise gegen diesen geltend gemacht werden.
59 
dd) Im vorliegenden Fall kann offen bleiben, welche Auswirkungen sich aus der Änderung von § 69 SGB VIII durch das Gesetz zum qualitätsorientierten und bedarfsgerechten Ausbau der Tagesbetreuung für Kinder (Tagesbetreuungsausbaugesetz vom 27.12.2004 ) ergeben (vgl. hierzu BT-Drucks. 15/3676, 15/3986 und 15/4045). Denn dieses Gesetz ist erst am 01.01.2005 in Kraft getreten (vgl. Art. 4 des Gesetzes). Für die rechtliche Beurteilung des streitgegenständlichen Betriebsjahres 2004 verbleibt es bei der bis zum 31.12.2004 geltenden Fassung des SGB VIII (Fassung vom 08.12.1998 , zuletzt geändert durch Art. 7 des Gesetzes vom 30.07.2004 ). Dies ist erkennbar auch vom Landesgesetzgeber so gesehen worden, der auf die ab 01.01.2005 geltende Neufassung von § 69 Abs. 5 SGB VIII mit dem Gesetz zur Änderung des Kindergartengesetzes vom 14.02.2006 (GBl. S. 30) reagiert und durch Art. 1 Nr. 5 dieses Änderungsgesetzes eine Anpassung der §§ 3 und 8 KGaG vorgenommen hat.
60 
b) Der Beklagte kann nicht erfolgreich geltend machen, dass § 8 des Kindergartengesetzes in der hier maßgeblichen Fassung vom 09.04.2003 (GBl. S.164) die Leistungspflicht des Beklagten beseitigt hat.
61 
aa) Mit dem Gesetz zur Änderung des Kindergartengesetzes und des Finanzausgleichgesetzes vom 08.04.2003 (GBl. S. 161) wurde § 8 KGaG neu gefasst. Gemäß Art. 4 Satz 2 des Änderungsgesetzes trat dieses am 01.01.2004 in Kraft; für die Zuschussgewährung im Jahr 2003 verblieb es bei der früheren Fassung des § 8 KGaG (vgl. Art. 1 Nr. 6, Art. 4 Satz 1 Änderungsgesetz). Der neu gefasste § 8 KGaG setzt für eine Zuschussgewährung durch die Gemeinde zwingend voraus, dass der freie Träger der Einrichtung nach § 75 SGB VIII anerkannt ist (§ 8 Abs. 1 KGaG) und dass die Einrichtung in den Bedarfsplan nach § 3 Abs. 2 KGaG aufgenommen worden ist (§ 8 Abs. 2 Satz 1 KGaG). Nach dem ebenfalls neu gefassten § 3 Abs. 1 Satz 1 KGaG haben die Gemeinden unbeschadet der Verpflichtung des örtlichen Trägers der öffentlichen Jugendhilfe darauf hinzuwirken, dass für alle Kinder ab Vollendung des dritten Lebensjahres bis zum Schuleintritt ein Kindergartenplatz oder ein Platz in einer Tageseinrichtung zur Verfügung steht. Die Bedarfsplanung ist von der Gemeinde unter Beteiligung der anerkannten freien Träger durchzuführen (§ 3 Abs. 2 Satz 1 KGaG) und mit dem örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe abzustimmen (§ 3 Abs. 2 Satz 2 KGaG). Die Höhe des Zuschusses beträgt nach § 8 Abs. 3 Satz 1 KGaG mindestens 63 % der Betriebsausgaben; die darüber hinaus gehende Förderung wird gemäß § 8 Abs. 4 KGaG in einem Vertrag zwischen der Gemeinde und dem Träger der freien Jugendhilfe geregelt, wobei die nach § 8 Abs. 5 KGaG geschlossene Rahmenvereinbarung der kommunalen Landesverbände, der Kirchen und der Verbände der sonstigen freien Träger die Grundlage für die Einzelvereinbarungen von Gemeinden und Einrichtungsträger darstellt (§ 8 Abs. 5 Satz 2 KGaG). Das KGaG geht damit grundsätzlich von örtlichen Kindergärten und deren Förderung durch die Sitzgemeinde aus. Für Einrichtungen mit gemeindeübergreifendem Einzugsgebiet können nur Ausnahmen zugelassen werden (§ 8 Abs. 2 Satz 2 KGaG); deren Förderung erfolgt gemäß § 8 Abs. 3 Satz 2 KGaG durch einen Zuschuss in Höhe von mindestens 31,5 % der Betriebsausgaben.
62 
bb) Es kann im vorliegenden Fall dahin stehen, welche rechtlichen Schlussfolgerungen aus den Neuregelungen des Kindergartenrechts im einzelnen zu ziehen sind (vgl. hierzu: Burmeister/Seith, Die Kindergartenförderung nach dem neuen Kindergartengesetz, VBlBW 2004, 201). Denn das ab 01.01.2004 geltende KGaG vermittelt den freien Trägern der Jugendhilfe nur zusätzliche Ansprüche gegen die kreisangehörigen Gemeinden, beseitigt aber nicht den durch das Bundesrecht verliehenen Anspruch des freien Trägers auf Förderung gegen den Träger der öffentlichen Jugendhilfe aus § 74 SGB VIII.
63 
aaa) Eine ausschließliche Förderzuständigkeit der Gemeinden lässt sich nicht aus der Gesetzgebungsgeschichte begründen. Ziel der Neuregelung war erkennbar die Übertragung der Förderzuständigkeit vom Land auf die Gemeinden (vgl. Gesetzentwurf vom 04.02.2003, LT-Drucks. 13/1739, S. 1, 9 f) und damit die Bündelung von Aufgabenverantwortung und Finanzierungsverantwortung für die Kinderbetreuung auf der örtlichen Ebene (so die Sozialministerin Gönner, BWGZ 2004, 916). Die vorher bestehende duale Förderung sollte durch eine ausschließlich gemeindliche Förderung ersetzt werden. Dadurch sollte die kommunale Selbstverwaltung gestärkt, Verwaltungsaufwand insbesondere bei den Landkreisen verringert und den freien Trägern größere Planungssicherheit gewährleistet werden. Das Verhältnis des neuen Kindergartenrechts zum bestehenden Bundesrecht spricht der Gesetzentwurf nur beiläufig an. So wird auf die Kritik an der Übertragung der Förderzuständigkeit u.a. erwidert, dass diese verkenne, dass es vom Land unverändert anerkannte Aufgabe sei, „... die Tätigkeit der öffentlichen und freien Jugendhilfeträger anzuregen und zu fördern sowie auf einen gleichmäßigen Ausbau der Einrichtungen und Angebote hinzuwirken.“ (LT-Drucks. 13/1739, S. 12). Auch Beschlussempfehlung und Bericht des Sozialausschusses (LT-Drucks. 13/1884) geben keinen Aufschluss über das Verhältnis der landesrechtlichen Neuregelungen zum bundesrechtlichen Förderanspruch. Der Landesgesetzgeber war möglichweise der Auffassung, dass ab dem 01.01.2004 den freien Trägern der Jugendhilfe keine Förderansprüche mehr gegen den örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe zustehen sollten. Über das Verhältnis des Landesrechts zu § 74 SGB VIII, den damit aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Fragen sowie der Problematik, wie sich das Verhältnis der freien Träger zu den örtlichen Trägern der öffentlichen Jugendhilfe ab dem 01.01.2004 praktisch gestalten sollte, lässt sich der Gesetzgebungsgeschichte nichts Tragfähiges entnehmen.
64 
bbb) Eine ausschließliche Förderzuständigkeit der Gemeinden lässt sich auch weder aus dem Gesetzeswortlaut noch aus Sinn und Zweck des Änderungsgesetzes vom 08.04.2003 (GBl. S. 161) entnehmen; jedenfalls wäre eine solche Auslegung bundesrechtswidrig, was zur teilweisen Nichtigkeit des Änderungsgesetzes führen würde (siehe unten ccc).
65 
Der durch das Änderungsgesetz neu gefasste § 8 KGaG behandelt nur das Verhältnis von freien Trägern und Gemeinden. Nach dessen Abs. 1 erhalten die nach § 75 SGB VIII anerkannten freien Träger von den Gemeinden Zuschüsse ausgerichtet an der jeweiligen Betreuungs- und Betriebsform. § 8 Abs. 2 Abs. 1 KGaG bestimmt, dass Zuschüsse nur für solche Einrichtungen gewährt werden, die der Bedarfsplanung nach § 3 Abs. 2 KGaG entsprechen; die Förderung von Einrichtungen mit gemeindeübergreifendem Einzugsgebiet kommt gemäß § 8 Abs. 2 Satz 2 KGaG nur ausnahmsweise in Betracht. § 8 Abs. 3 und 4 KGaG regelt die Höhe der Förderung; § 8 Abs. 5 KGaG handelt von der von den Kirchen und Verbänden zu schließenden Rahmenvereinbarung, die Grundlage für die Einzelverträge nach Absatz 4 sein soll. Das Verhältnis der einzelnen freien Träger zu den einzelnen örtlichen Trägern der öffentlichen Jugendhilfe wird nicht geregelt. Aus den getroffenen Regelungen kann auch nicht der Schluss gezogen werden, dass der bestehende Förderungsanspruch gegen den Träger der öffentlichen Jugendhilfe indirekt rechtlich entfallen ist. Eine solche weit reichende Regelung hätte - ihre Zulässigkeit unterstellt - ausdrücklich im Gesetz getroffen werden müssen. Nach dem Wortlaut der Norm und der verbleibenden Letzt- und Gesamtverantwortung des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe kann nur der Schluss gezogen werden, dass das ab dem 01.01.2004 geltende KGaG den Anspruch der freien Träger auf Förderung nach § 74 SGB VIII rechtlich unberührt gelassen hat.
66 
Eine solche Auslegung des Landesrechts steht auch nicht im Widerspruch zu Sinn und Zweck der Neuregelungen des KGaG. Denn durch die Übertragung der Aufgaben und der (zusätzlichen) Förderzuständigkeit auf die Gemeinden wird dem Gesetzeszweck genügt (vgl. hierzu LT-Drucks. 13/1739, S. 10 f). Die beabsichtigte Stärkung des Selbstverwaltungsrechts der Kommunen wurde erreicht. Auch führt die tatsächlich erfolgende Förderung der freien Träger durch die Gemeinden dazu, dass die örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe faktisch sowohl von administrativen Aufgaben als auch vom Einsatz eigener finanzieller Mittel entlastet werden. Dieser Entlastungseffekt tritt auch bei parallelem Fortbestand des bundesrechtlichen Förderanspruchs nahezu vollständig ein. Soweit ersichtlich ist die Übertragung der Finanzierungsverantwortung auf die Gemeinden hinsichtlich der „weitaus überwiegenden Zahl der Einrichtungen“ erfolgreich abgeschlossen worden (so die Sozialministerin Gönner auf der Tagung zum neuen Kindergartengesetz vom 16.11.2004, BWGZ 2004, S. 916; in der sich anschließenden Diskussion wurde geltend gemacht, dass sogar in 98 % aller Fälle das neue Kindergartengesetz einvernehmlich habe umgesetzt werden können, vgl. Fabijancic, BWGZ 2004, 923). Probleme (so die Ministerin, a.a.O., S. 917) gebe es nur bei der Finanzierung von Kindergärten mit gemeindeübergreifendem Einzugsgebiet wie den Waldorf- und den Waldkindergärten. In gleicher Weise hat sich bei dieser Tagung der Hauptgeschäftsführer des Gemeindetags (BWGZ 2004, 919) geäußert, wonach nur die Aufnahme von überörtlichen Einrichtungen „teilweise zurückhaltend“ erfolgt sei. Wird aber die weitaus überwiegende Zahl der Förderungsfälle auf kommunaler Ebene abschließend abgewickelt und finanziert, so wird der vom Änderungsgesetz bezweckte Abbau der Komplementärförderung sowie die Verwaltungsvereinfachung auch ohne Wegfall des Förderanspruchs nach § 74 SGB VIII weitestgehend faktisch erreicht. Eine Gesetzesauslegung, die vom Fortbestand des (bundesrechtlichen) Förderanspruchs der freien Träger gegen die Träger der öffentlichen Jugendhilfe auch nach Inkrafttreten des KGaG-Änderungsgesetzes zum 01.01.2004 ausgeht, nimmt den Neuregelungen des Kindergartengesetzes deshalb nicht die Wirkkraft oder macht diese gar sinnlos.
67 
ccc) Diese Auslegung des Landesrechts ist auch bundesrechtlich zwingend geboten. Nur wenn vom Fortbestand des bundesrechtlichen Anspruchs nach § 74 SGB VIII über den 01.01.2004 hinaus ausgegangen wird, erweist sich das Landesrecht als bundesrechtskonform. Denn selbst wenn das neue KGaG ausdrücklich eine Aufgabenübertragung auf die Gemeinden einschließlich einer ausschließlichen Finanzierungsverantwortung geregelt hätte, hätte eine solche Regelung im Widerspruch zum Bundesrecht gestanden, das ausdrücklich einen Förderanspruch gegen den Träger der öffentlichen Jugendhilfe verleiht.
68 
Entgegen der Auffassung des Beklagten folgt aus Art. 72 Abs. 1 GG nichts anderes. Denn diese Regelung des Grundgesetzes entfaltet für die Landesgesetzgebung eine Sperrwirkung, „solange“ und „soweit“ der Bundesgesetzgeber von seiner Kompetenz Gebrauch gemacht hat. Hinsichtlich der Förderung nach § 74 SGB VIII hat der Bundesgesetzgeber aber klare Regelungen getroffen. Er hat bestimmt, wer von wem unter welchen Voraussetzungen Förderung verlangen kann (siehe oben). Stand dem Kläger aber bereits vor Inkrafttreten des KGaG-Änderungsgesetzes vom 08.04.2003 (GBl. S. 161) nach § 74 SGB VIII ein Förderungsanspruch gegen den örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe zu, würde eine landesrechtliche Regelung, die diesen Anspruch beseitigt oder auch nur seine Durchsetzung erschwert, im direkten Widerspruch zum bestehenden Bundesrecht stehen. Eine solche landesrechtliche Regelung wäre - ohne Rückgriff auf Art. 31 GG - bereits aufgrund der Sperr-Kompetenz der bundesrechtlichen Regelung nichtig (vgl. hierzu Clemens in: Mitarbeiterkommentar zum GG, Art. 31 Rdnr. 22 mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des BVerfG).
69 
cc) Der Beklagte kann sich insoweit auch nicht erfolgreich auf die von ihm zitierte Rechtsprechung des BVerfG bzw. des Landesverfassungsgerichts Sachsen-Anhalt berufen.
70 
aaa) Mit dem in Bezug genommenen Kammerbeschluss vom 15.11.1993 ( - 2 BvR 1199/91 - LKV 1994, 145) hat das BVerfG entschieden, dass die Verpflichtung der Wohnsitzgemeinden zur Bereitstellung der erforderlichen Kindergartenplätze durch das Thüringer Landesrecht nicht gegen Art. 28 Abs. 2 GG verstoßen habe. Von Klägerseite ist aber nie bestritten worden, dass kreisangehörige Gemeinden im Rahmen der Jugendhilfe zur Aufgabenerfüllung herangezogen werden können. Dies war nach der vorliegend noch anwendbaren alten Fassung von § 69 SGB VIII zulässig und gilt erst recht nach der Änderung von § 69 SGB VIII durch das Tagesbetreuungsausbaugesetz. Entscheidend ist aber die Frage, ob das geänderte Landesrecht einen bundesrechtlich ausdrücklich eingeräumten Förderungsanspruch gegen den Träger der öffentlichen Jugendhilfe beseitigen kann. Hierzu verhält sich die Entscheidung des BVerfG nicht.
71 
bbb) Nichts anderes gilt für die gleichfalls in Bezug genommene Entscheidung des Verfassungsgerichts Sachsen-Anhalt (Urteil vom 08.12.1998 - LVG 19/97 - NVwZ-RR 1999, 464). Denn das Landesverfassungsgericht prüft ausdrücklich und bejaht die Verträglichkeit des Landesrechts mit den bundesrechtlichen Vorgaben des § 69 Abs. 5 SGB VIII, wobei es davon ausgeht, dass Gemeinden einzelne Aufgaben der Jugendhilfe als Verpflichtung auferlegt werden können, wenn das Regel-/Ausnahmeverhältnis gewahrt bleibe und die Gesamt-/Letztverantwortung des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe nicht berührt werde. Das Verfassungsgericht führt insoweit ausdrücklich aus, dass durch die Inpflichtnahme der Gemeinden diesen lediglich eine Sicherstellungsfunktion auferlegt werde, ... „die neben (!) die Verpflichtung des örtlichen Trägers tritt“ (a.a.O., S. 465); nichts anderes trägt die Klägerseite vor. Das vom Landesverfassungsgericht beurteilte Landesrecht Sachsen-Anhalt ist zudem mit der gesetzlichen Regelung in Baden-Württemberg auch nicht vergleichbar, weil die Gemeinden dort an der Finanzierung nur mitzuwirken hatten, neben zusätzlichen Zahlungen von Land und Kreis (a.a.O.). Soweit das Verfassungsgericht dort weiter ausführt, dass der Bundesgesetzgeber keine Festlegung getroffen habe, welche Aufgaben der Jugendhilfe im Rahmen von § 69 Abs. 5 SGB VIII auf die Gemeinden übertragen werden könnten, weshalb der Landesgesetzgeber von seiner Kompetenz Gebrauch machen könne, trifft dies erkennbar nicht den vorliegenden Fall. Denn hinsichtlich der Förderzuständigkeit nach § 74 SGB VIII hat der Bundesgesetzgeber klare inhaltliche Bestimmungen und Zuständigkeitsregelungen getroffen (siehe oben).
72 
c) Der Kläger ist durch die Neuregelungen des KGaG auch nicht verpflichtet, vorrangig gegen kreisangehörige Gemeinden gerichtlich vorzugehen, um von diesen Förderung zu erlangen oder in die gemeindliche Bedarfsplanung aufgenommen zu werden.
73 
aa) Ansprüche von Leistungsberechtigten, die sich gegen unterschiedliche Leistungsträger richten, bestehen grundsätzlich nebeneinander. Soll die Gewährung der einen Leistung eine andere ausschließen, muss dies im Gesetz ausdrücklich zum Ausdruck gelangen. Gleiches gilt, wenn die unterschiedlichen Leistungen derart im Verhältnis stehen sollen, dass eine Leistung vorrangig gewährt wird bzw. in Anspruch zu nehmen ist und der andere Anspruch nur subsidiär zur Geltung kommen kann. Solche Regelungen hat weder das Landesrecht noch das SGB VIII (vgl. insoweit § 10 SGB VIII) hinsichtlich des streitgegenständlichen Förderanspruchs getroffen. Deshalb ist es Sache des Klägers zu entscheiden, ob er die Gemeinde oder den örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe vorrangig in Anspruch nimmt. Anderes könnte nur dann gelten, wenn die Gemeinde die begehrte Förderung tatsächlich erbringen wollte, der freie Träger dies aber nicht in Anspruch nimmt, sondern gleichwohl gegen den örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe vorgehen würde. Im vorliegenden Fall nimmt der Kläger den Beklagten aber gerade deswegen in Anspruch, weil von Seiten der Gemeinde keine ausreichende Förderung erfolgt und eine weitergehende Förderung bzw. die Aufnahme in die gemeindliche Bedarfsplanung versagt wird.
74 
bb) Eine vorrangige Klage gegen die Gemeinde erscheint auch deshalb als nicht zumutbar, weil diese kein taugliches Mittel wäre, um den Anspruch des Klägers auf Förderung durchzusetzen. Zwar ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ein freier Träger die gemeindliche Bedarfsplanung der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle unterziehen lassen kann, um durch die Aufnahme in die Bedarfsplanung eine gemeindliche Förderung zu erstreiten (vgl. hierzu auch die Ausführungen des Abg. Dr. Noll, LT-Prot. 13/41, S. 2792). Den bundesrechtlichen Anspruch aus § 74 SGB VIII kann der Kläger aber nicht gegen die Gemeinde durchsetzen, weil diese insoweit nicht passiv legitimiert ist. Ein landesrechtlicher Anspruch auf Förderung steht dem Kläger nicht zu, weil er eine Einrichtung mit gemeindeübergreifendem Einzugsgebiet betreibt. in Betracht käme lediglich die Anerkennung einer Ausnahme nach § 8 Abs. 2 Satz 2 KGaG. Insoweit stünde die Förderung schon dem Grunde nach im Ermessen der Gemeinde. Zudem würde ein Prozesserfolg bestenfalls zu einer abgesenkten Förderung führen, die der Kläger für nicht auskömmlich erachtet. Wenn aber selbst mit einem Klageerfolg keine ausreichende Finanzierung zu erstreiten wäre, ist es nicht sachgerecht, den Kläger auf einen vorrangigen Prozess gegen die eine Förderung versagende Gemeinde zu verweisen, bevor der örtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe in Anspruch genommen werden kann. Insbesondere wäre es für den Kläger auch unzumutbar, die einzelnen Entsendegemeinden in einer Vielzahl von Prozessen in Anspruch zu nehmen. Es ist gerade Aufgabe des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe, dafür zu sorgen, dass die Leistungen erbracht bzw. Kostenbeiträge der Gemeinden entrichtet werden.
75 
cc) Schließlich kommt entscheidend hinzu, dass nicht die kreisangehörigen Gemeinden, sondern ausschließlich der Träger der öffentlichen Jugendhilfe letzt- und gesamtverantwortlich für die Erbringung der Leistungen nach dem SGB VIII und damit auch für die Sicherstellung der gesetzlich vorgesehenen Förderung der freien Träger ist.
76 
aaa) Dies folgt bundesrechtlich durchweg aus den Regelungen des § 79 SGB VIII; bei der Heranziehung von Gemeinden im Einzelfall zudem aus § 69 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII. Nach § 79 Abs. 1 SGB VIII haben die Träger der öffentlichen Jugendhilfe die Gesamtverantwortung einschließlich der Planungsverantwortung hinsichtlich sämtlicher nach dem SGB VIII zu erfüllender Aufgaben (hinsichtlich der Aufgaben nach § 76 Abs. 1 SGB VIII vergleiche auch dessen Abs. 2). Diese Gesamtverantwortung umfasst auch die Aufgaben der Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und in Tagespflege (§§ 22 - 25 SGB VIII; zur Übergangsregelung des § 24a SGB VIII vgl. auch den dortigen Absatz 5) sowie die finanzielle Förderung der insoweit tätigen freien Träger. § 79 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII bestimmt, dass die Träger der öffentlichen Jugendhilfe gewährleisten sollen, dass die zur Erfüllung der Aufgaben nach dem SGB VIII erforderlichen und geeigneten Einrichtungen, Dienste und Veranstaltungen den verschiedenen Grundrichtungen der Erziehung entsprechend rechtzeitig und ausreichend zur Verfügung stehen. Diese Gesamtverantwortung umfasst auch die Finanzverantwortung, weshalb hierfür finanzielle Mittel in dem Umfang bereit gestellt sein müssen, dass die Aufgaben nach dem SGB VIII erfüllt werden können (vgl. hierzu: Kunkel, § 79 SGB VIII - Leitnorm oder Norm light ? NDV 2001, 412<413>, m.w.N). Die Gesamtverantwortung des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe gilt sowohl hinsichtlich einer Aufgabenübertragung auf Gemeinden als auch bei einer Aufgabenwahrnehmung durch freie Träger der Jugendhilfe und trägt dem Grundsatz Rechnung, dass zwar Aufgaben delegiert werden können, nie aber eine gesetzlich zugewiesene Verantwortung.
77 
bbb) Nichts anderes folgt aus dem Landesrecht. Denn nach § 3 Abs. 1 Satz 1 KGaG nehmen die Gemeinden die ihnen zugewiesenen Aufgaben „unbeschadet der Verpflichtung des örtlichen Trägers der öffentlichen Jugendhilfe“ wahr. Nach § 3 Abs. Satz 2 KGaG ist die gemeindliche Bedarfsplanung zudem mit dem örtlichen Träger der Jugendhilfe abzustimmen. Auch im Gesetzgebungsverfahren (KGaG-Änderungsgesetz vom 08.04.2003, GBl. S. 161) wurde die bleibende Verantwortung des Landes betont. So heißt es in der Begründung des Regierungsentwurfs (LT-Drucks. 13/1739, S. 12): „... die vom Land unverändert anerkannte Aufgabe, die Tätigkeit der öffentlichen und freien Jugendhilfeträger anzuregen und zu fördern sowie auf einen gleichmäßigen Ausbau der Einrichtungen und Angebote hinzuwirken.“ In den Beratungen des Sozialausschusses (LT-Drucks. 13/1884, S. 7 f.) wurde betont, dass den Landkreisen auch künftig eine Koordinationsfunktion zugewiesen sei. In diesem Sinne äußerten sich auch der damalige Sozialminister Repnik (LT-Prot. 13/39, S. 2557) und der Abgeordnete Dr. Noll (LT-Prot. 13/41, S. 2795), der darauf hinwies, dass der örtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe zwar künftig nicht mehr zahlen, aber dafür sorgen müsse, dass die gesetzlich vorgesehene Förderung tatsächlich erreicht werde.
78 
Nach alledem steht dem Kläger der geltend gemachte Anspruch gegen den Beklagten dem Grunde nach zu.
II.
79 
Über Art und Maß der Förderung entscheidet der Träger der öffentlichen Jugendhilfe nach pflichtgemäßem Ermessen (§ 74 Abs. 3 SGB VIII). Das Verwaltungsgericht hat die angefochtenen Bescheide des Beklagten zu Recht aufgehoben, weil diese ermessensfehlerhaft sind (§§ 113 Abs. 1 Satz 1, 114 Satz 1 VwGO). Denn der Beklagte hat das ihm vom Gesetz eingeräumte Ermessen nicht ausgeübt; eine Ermessensergänzung nach § 114 Satz 2 VwGO scheidet im vorliegenden Fall aus (unten 1). Zu Recht hat das Verwaltungsgericht auch die Verpflichtung des Beklagten ausgesprochen, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO), weil die Sache nicht spruchreif ist (unten 2). Bei dieser Neubescheidung hat der Beklagte die nachfolgenden Erwägungen des Senats zu beachten (unten 3).
80 
1. Steht dem Kläger der geltend gemachte Anspruch auf Förderung dem Grunde nach zu, hat der Beklagte hinsichtlich der Art und der Höhe der Förderung im Rahmen der verfügbaren Haushaltsmittel nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden (§ 74 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII).
81 
a) Eine solche Ermessensentscheidung hat der Beklagte bisher nicht getroffen. Denn er hat den Antrag des Klägers abgelehnt und den hiergegen gerichteten Widerspruch zurückgewiesen, weil er sich für die Entscheidung über die Förderung als nicht zuständig betrachtete. In diesem Sinne hat der Beklagte auch im erstinstanzlichen Verfahren ausdrücklich Stellung genommen. Denn er hat in der Klageerwiderung ausgeführt, dass ihm ein Ermessen bei seiner Entscheidung nicht eingeräumt gewesen sei (Klageerwiderung vom 12.01.2005, Seite 2 - Bl. 41 der VG-Akten). Hat die Behörde verkannt, dass ihr Ermessen eingeräumt war und hat sie deshalb von der an sich gebotenen Ermessensentscheidung abgesehen, handelt sie ermessensfehlerhaft. Der Bescheid des Beklagten vom 20.04.2004 und der Widerspruchsbescheid vom 16.08.2004 sind deshalb rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten.
82 
b) Ein Nachschieben von Ermessenserwägungen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren gemäß § 114 S. 2 VwGO scheidet im vorliegenden Fall aus. Im erstinstanzlichen Verfahren hat der Beklagte darauf beharrt, dass ihm ein Ermessen bei seiner Entscheidung nicht eröffnet gewesen sei (siehe oben). Von daher liegt es fern, in seinem Vorbringen die Ergänzung unterlassener Ermessenserwägungen zu sehen. Ob dem Vorbringen im Berufungsverfahren solche Ermessenserwägungen entnommen werden könnten, bedarf keiner weiteren Prüfung. Denn selbst wenn der Beklagte insoweit tragfähige Erwägungen angestellt hätte, könnte der Ermessensfehler nicht beseitigt werden. Nach seinem klaren Wortlaut sieht § 114 Satz 2 VwGO nur die Möglichkeit vor, defizitäre Ermessenserwägungen „zu ergänzen“. § 114 Satz 2 VwGO eröffnet aber keine Möglichkeit für eine erstmalige Ermessensbetätigung im gerichtlichen Verfahren.
83 
2. Das Gericht kann das der Behörde eingeräumte Ermessen nicht selbst ausüben. Die Sache ist hinsichtlich der Art und der Höhe der Förderung deshalb nicht spruchreif, weshalb der Beklagte zu Recht zur Neubescheidung verpflichtet worden ist. Bei dieser Neubescheidung ist der Beklagte auch nicht durch die Förderungspraxis der Gemeinden im Kreisgebiet (unten a), die Regelungen des KGaG (unten b) bzw. die Rahmenvereinbarung vom 25.07.2003 (unten c) gebunden.
84 
a) Eine Ermessensbindung des Beklagten im Sinne einer Verpflichtung zur Gleichbehandlung mit anderen Förderungsfällen besteht im vorliegenden Fall nicht.
85 
aa) Denn der Beklagte fördert unstreitig keine Kindergärten im Kreisgebiet, weshalb der Kläger nicht auf eine entsprechende Verwaltungspraxis des Beklagten oder einschlägige Verwaltungsvorschriften rekurrieren und eine Gleichbehandlung mit der sonst üblichen Förderung verlangen kann.
86 
bb) Ein Anspruch des Klägers auf Gleichbehandlung mit der Förderungspraxis der kreisangehörigen Gemeinden besteht gegen den Beklagten nicht. Denn eine Gleichbehandlung kann der Bürger nur verlangen, wenn die heran gezogenen Vergleichsfälle in den Kompetenzbereich der handelnden Stelle fallen. Dies ist zu verneinen, wenn die maßgeblichen Lebenssachverhalte von unterschiedlichen Trägern öffentlicher Gewalt geregelt werden. Denn der Gleichheitssatz bindet jeden Träger öffentlicher Gewalt nur in seinem konkreten Zuständigkeitsbereich (vgl. z. B.: BVerfG, Beschluss vom 23.11.1988 - 2 BvR 1619, 1628/83 - BVerfGE 79, 127 <158> m.w.N.; BVerwG, Urteil vom 18.09.1984 - 1 A 4.83 - BVerwGE 70, 127 <132>).
87 
b) Eine Verpflichtung des Beklagten hinsichtlich der Art und der Höhe der Förderung folgt auch nicht unmittelbar aus dem KGaG. Denn dieses regelt in § 8 KGaG nur Förderungsansprüche der freien Träger gegen die Gemeinden. Ansprüche gegen den örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe wollte die Neufassung des § 8 KGaG ausdrücklich beseitigen. Dann kann aber nicht hinsichtlich der Höhe der den freien Trägern zustehenden Förderung wieder direkt auf § 8 Abs. 3 KGaG bzw. dessen Abs. 4 zugegriffen werden.
88 
c) Ein Anspruch auf Gleichbehandlung bzw. Förderung in bestimmter Höhe oder Art ergibt sich auch nicht aus der von den Spitzenverbänden geschlossenen Rahmenvereinbarung vom 25.07.2003. Nach § 8 Abs. 5 KGaG haben die Kommunalen Landesverbände mit den Kirchen und den Verbänden der sonstigen freien Träger der Jugendhilfe eine Vereinbarung geschlossen, die Grundsätze hinsichtlich der Planung, des Betriebs und der Finanzierung von Kindergärten enthält und als Grundlage für die Einzelverträge zwischen den Gemeinden und den freien Trägern (§ 8 Abs. 4 KGaG) dienen soll. Diese Rahmenvereinbarung hat ausschließlich empfehlenden Charakter (vgl. die Präambel der Vereinbarung vom 08.04.2003: „Die Vertragspartner empfehlen ihren Mitgliedern, nach dieser Rahmenvereinbarung zu verfahren.“) und bindet die Beteiligten der örtlichen Vereinbarungen nach § 8 Abs. 4 KGaG nicht im rechtlichen Sinne. Wenn aber schon die für die Förderung zuständigen Gemeinden nicht an die Rahmenvereinbarung gebunden und die freien Träger hieraus nicht berechtigt sind, können sich für den Beklagten hieraus keine Rechtspflichten hinsichtlich der Art und der Höhe der Förderung des Klägers ergeben.
89 
3. Der Beklagte muss eigene Erwägungen anstellen, um im Rahmen des § 74 SGB VIII zu einer tragfähigen ermessensfehlerfreien Entscheidung zu gelangen, wobei dieser die Rechtsauffassung des Senats zu beachten hat. Das Gesetz gibt eine Reihe von Ermessensgesichtspunkten vor, die der Träger der öffentlichen Jugendhilfe in seine Entscheidung einzustellen hat (unten a). Hierbei bestimmt § 74 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII, dass das Ermessen im Rahmen der verfügbaren Haushaltsmittel auszuüben ist (unten b). Bei gleich geeigneten Maßnahmen verschiedener freier Träger ist nach § 74 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII eine ermessensfehlerfreie Auswahlentscheidung zu treffen (unten c). § 74 Abs. 5 SGB VIII bestimmt schließlich, dass bei der Förderung der freien Träger gleiche Grundsätze und Maßstäbe anzulegen sind (unten d).
90 
a) Das BVerwG hat in seinem Urteil vom 25.04.2002 (- 5 C 18.01 - BVerwGE 116, 227 <231 ff.>) eine Reihe von zu berücksichtigenden Ermessensgesichtspunkten genannt, u.a. die Ortsnähe der Einrichtung, eine günstige Verkehrsanbindung zu Arbeitsstätten der Eltern, die pädagogische Ausrichtung sowie die Betreuungsorganisation. Bereits in dieser Entscheidung hat das BVerwG zum Ausdruck gebracht, dass es besonderer Begründung bedürfte, wenn angebotene Kindergartenplätze einer bestimmten Pädagogikausrichtung trotz anhaltender Nachfrage nicht gefördert würden (a.a.O., S. 233; ebenso: BVerwG, Urteil vom 25.11.2004 - 5 C 66.03 - DVBl 2005, 772 <773>; OVG Lüneburg, Urteil vom 07.02.2006 - 4 LB 389/02 - NVwZ-RR 2006, 483). In dem Urteil vom 25.11.2004 hat das BVerwG zudem klar gestellt, dass bei der Ermessensentscheidung einzelnen Gesichtspunkten kein überwiegendes Gewicht zugemessen werden könne. Dies gilt namentlich für die „Ortsnähe“ der Einrichtung schon deshalb, weil sich das soziale Umfeld eines Kindergartenkindes nicht auf den Bereich der Wohnsitzgemeinde beschränkt (a.a.O., S. 773). Von daher ist dem Beklagten versagt, bei seiner Ermessensentscheidung entscheidend nach örtlichen Kindergärten und Kindergärten mit übergemeindlichem Einzugsgebiet zu differenzieren und letzteren - in Anlehnung an § 8 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz KGaG - nur eine abgesenkte Förderung zukommen zu lassen. Versagt sind dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe jedenfalls auch solche Differenzierungen, die im Widerspruch zu den Grundsätzen des SGB VIII stehen würden oder die mit höherrangigem Recht unvereinbar wären. So ist beispielsweise die Selbständigkeit des freien Trägers bei der Zielsetzung sowie der jeweiligen Aufgabendurchführung nach § 4 Abs.1 SGB VIII ausdrücklich geschützt. Dieser besondere Schutz ist nicht nur nach § 74 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII zu beachten, sondern steht bei der Ermessensentscheidung auch einer Differenzierung der Förderung der Höhe nach entgegen. Ebenso wäre eine Differenzierung der Förderungshöhe nach der Zugehörigkeit eines freien Trägers zu einer Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft unzulässig.
91 
b) Der Beklagte kann sich auch nicht erfolgreich darauf berufen, dass er dem Begehren des Klägers wegen fehlender Haushaltsmittel nicht oder nur teilweise entsprechen kann.
92 
aa) In verfahrensrechtlicher Hinsicht kann nach der Rechtsprechung des BVerwG (Urteil vom 25.11.2004 - 5 C 66.03 - DVBl 2005, 772) aus § 74 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII nicht gefolgert werden, dass Förderungsanträge innerhalb einer bestimmten Frist zu stellen sind. Ebenso wenig kann nach dieser Rechtsprechung gefolgert werden, dass der Antrag auf Förderung vor der Aufstellung des für den Förderungszeitraums geltenden Haushaltsplans gestellt werden muss. Dies schon deshalb, weil der auszugleichende Abmangel ohnehin erst nach Ablauf des Bewilligungszeitraums verlässlich vom Träger der Einrichtung festgestellt werden kann. Ohnehin sind Forderungen, mit denen der Träger der öffentlichen Jugendhilfe nach der Gesetzeslage rechnen muss, in die Haushaltsplanung einzustellen. Unabhängig hiervon können Forderungen, die sich auf zurückliegende Zeiträume beziehen, bei der künftigen Haushaltsplanung berücksichtigt werden. Von daher ist der Antrag des Klägers nicht verspätet gestellt worden und deshalb vom Beklagten zu berücksichtigen.
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bb) Der Beklagte kann sich auch nicht erfolgreich auf das Fehlen von Haushaltsmitteln berufen, selbst wenn er wegen der landesrechtlichen Förderpflicht der Gemeinden auf eine entsprechende Kreisumlage verzichten würde (BVerwG, Urteil vom 25.11.2004 - 5 C 66/03 - DVBl 2005, 772 <773>). Die Übertragung von Aufgaben durch das Gesetz verpflichtet den Träger öffentlicher Gewalt, die für die Aufgabenerfüllung erforderlichen Mittel, derer er typischerweise nach der Gesetzeslage bedarf, in die Haushaltsplanung einzustellen. Im vorliegenden Fall ist auch völlig fernliegend, dass der Beklagte durch die Inanspruchnahme des Klägers finanziell überfordert werden könnte. Denn der Beklagte macht nicht geltend, dass er von mehreren freien Trägern oder für eine Vielzahl von Einrichtungen oder in nicht vorhersehbarem Umfang auf Zahlung in Anspruch genommen worden sei und dass deshalb die bereitgestellten und typischerweise für diese Aufgabenerfüllung genügenden Mittel nicht ausreichen würden. Wenn der Beklagte für das Betriebsjahr 2004 aber nur vom Kläger auf Förderung seines Kindergartens in Anspruch genommen wird und dies auch nur in überschaubarer Höhe, dann bedarf keiner Darlegung, dass sich diese Inanspruchnahme „im Rahmen der verfügbaren Haushaltsmittel“ hält. Die finanziellen Belastungen, die mit der immer stärkeren Übertragung von Betreuungs- und Erziehungsaufgaben auf die Kommunen und die Kreise zukommen, sind insgesamt gesehen zwar beachtlich. Es ist allerdings auch nicht zu verkennen, dass dieses (zunehmende) Leistungsangebot nach dem SGB VIII erklärter Wille des Bundesgesetzgebers ist. Bestrebungen der Länder, die hiermit verbundenen Ausgaben zu beschränken (vgl. z. B.: Entwurf des Bundesrates eines Gesetzes zur Entlastung der Kommunen im sozialen Bereich < KEG > vom 15.12.2004 ), sind im Bundestag bisher gescheitert (Pl.Prot. 15/179, S. 16897).
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c) Nach § 74 Abs. 4 SGB VIII hat der Träger der öffentlichen Jugendhilfe bei gleich geeigneten Maßnahmen eine Auswahlentscheidung zu treffen, wobei der Maßnahme der Vorzug gegeben werden soll, die stärker an den Interessen der Betroffenen orientiert ist und deren Einflußnahme auf die Ausgestaltung der Maßnahme gewährleistet. Da im Zuständigkeitsbereich des Beklagten im maßgeblichen Zeitraum unstreitig kein anderer freier Träger eine vergleichbare Maßnahme gefördert wissen will, bedarf keiner Untersuchung, wann von einer solchen gleichen Eignung gesprochen werden könnte. Der Beklagte kann jedenfalls die Förderung nicht im Hinblick auf die Förderung von Maßnahmen anderer freier Träger versagen oder beschränken.
95 
d) Hinsichtlich der konkreten Höhe der Förderung verpflichtet § 74 Abs. 5 Satz 1 SGB VIII den Beklagten dazu, unterschiedliche Träger, die gleichartige Maßnahmen anbieten, unter Berücksichtigung ihrer Eigenleistungen nach gleichen Grundsätzen und Maßstäben zu fördern. § 74 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII legt zusätzlich fest, dass bei der Förderung gleichartiger Maßnahmen von Trägern der freien und der öffentlichen Jugendhilfe die Grundsätze und Maßstäbe anzuwenden sind, die für die Finanzierung der Maßnahmen der öffentlichen Jugendhilfe gelten.
96 
aa) Hieraus folgt, dass die Förderung des Klägers der Höhe nach grundsätzlich an der Förderung von Kindergärten freier Träger durch die Gemeinden bzw. den gemeindlichen Kindergärten zu orientieren ist. Jede signifikante Abweichung vom dortigen Förderungsumfang bedürfte einer überzeugenden Begründung. Das BVerwG (Urteil vom 25.11.2004 - 5 C 66/03 - DVBl 2005, 772 <773>) hat klar zum Ausdruck gebracht, dass es hinsichtlich der Förderung von kommunalen und kirchlichen Kindergärten keinen „closed shop“ geben dürfe, sondern dass andere Anbieter grundsätzlich zum Zuge kommen und gleich behandelt werden müssen. Aus der aus § 79 SGB VIII folgenden Letzt- und Gesamtverantwortung des örtlichen Trägers der öffentlichen Jugendhilfe folgt insbesondere auch, dass dieser in seinem Zuständigkeitsbereich für zumindest vergleichbare Verhältnisse bei der Finanzierung der Einrichtungen der unterschiedlichen Träger, die einen Anspruch dem Grunde nach besitzen, sorgen muss.
97 
bb) Nur durch eine weitgehend gleiche Förderung aller Kindergärten kann auch dem Sinn und Zweck von § 74 SGB VIII genügt werden. Denn wenn es in Baden-Württemberg keine landesrechtliche Regelung gäbe, die die Förderung der Kindergärten den Gemeinden überantwortet, dann müsste der Beklagte als örtlicher Träger der öffentlichen Jugendhilfe alle in seinem Zuständigkeitsbereich tätigen freien Träger nach § 74 SGB VIII fördern. Dann müsste er weiterhin Auswahlentscheidungen im Rahmen von § 74 Abs. 4 und 5 SGB VIII hinsichtlich aller betroffenen Träger - einschließlich der Waldorfkindergärten - treffen. Bei einer solchen Entscheidungssituation wäre aber völlig eindeutig, dass der Beklagte nicht einfach kommunale und kirchliche Kindergärten bevorzugen und in anderer Höhe fördern dürfte als beispielsweise Waldorfkindergärten. § 74 Abs. 4 SGB VIII würde dann sogar eher für eine Privilegierung der letzteren sprechen, weil diese stärker an den Interessen der konkret betroffenen Eltern orientiert wären - als beispielsweise kommunale Kindergärten - und deren Einflußnahme auf die Gestaltung der Maßnahme eher gewährleistet wäre. Ebenso würde sich aus § 74 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII ergeben, dass dann für die Förderung von Waldorfkindergärten die Grundsätze und Maßstäbe gelten würden, wie sie für die Finanzierung der Maßnahmen der öffentlichen Jugendhilfe gelten würden. Wäre eine solche weitgehend gleichmäßige Förderung aller freien Träger nach diesen Grundsätzen aber bundesrechtlich geboten, kann es dem Landesrecht nicht freistehen, eine nach Bundesrecht unzulässige Differenzierung hinsichtlich der Höhe der Förderung rechtlich oder faktisch herbeizuführen. Von daher hat der Beklagte bei seiner Ermessensentscheidung dafür zu sorgen, dass eine dem Bundesrecht widersprechende, unzulässige unterschiedliche Höhe der Förderung der Kindergärten der verschiedenen freien Träger vermieden wird.
98 
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 188 S. 2 VwGO.
99 
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht gegeben sind.

Soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht auch, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Die Verwaltungsbehörde kann ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen.

(1) Wenn ein Beteiligter teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jedem Teil zur Hälfte zur Last. Einem Beteiligten können die Kosten ganz auferlegt werden, wenn der andere nur zu einem geringen Teil unterlegen ist.

(2) Wer einen Antrag, eine Klage, ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf zurücknimmt, hat die Kosten zu tragen.

(3) Kosten, die durch einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entstehen, fallen dem Antragsteller zur Last.

(4) Kosten, die durch Verschulden eines Beteiligten entstanden sind, können diesem auferlegt werden.

(1) Kosten sind die Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten einschließlich der Kosten des Vorverfahrens.

(2) Die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts oder eines Rechtsbeistands, in den in § 67 Absatz 2 Satz 2 Nummer 3 und 3a genannten Angelegenheiten auch einer der dort genannten Personen, sind stets erstattungsfähig. Soweit ein Vorverfahren geschwebt hat, sind Gebühren und Auslagen erstattungsfähig, wenn das Gericht die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig erklärt. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können an Stelle ihrer tatsächlichen notwendigen Aufwendungen für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen den in Nummer 7002 der Anlage 1 zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz bestimmten Höchstsatz der Pauschale fordern.

(3) Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nur erstattungsfähig, wenn sie das Gericht aus Billigkeit der unterliegenden Partei oder der Staatskasse auferlegt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:

1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;
2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;
3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird;
4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden;
5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären;
6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden;
7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen;
8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht;
9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung;
10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist;
11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.

(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung das Bundesverwaltungsgericht sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden.