Oberverwaltungsgericht des Saarlandes Beschluss, 12. Juli 2006 - 3 Q 45/05

published on 12/07/2006 00:00
Oberverwaltungsgericht des Saarlandes Beschluss, 12. Juli 2006 - 3 Q 45/05
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Tenor

Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 24.3.2005 - 12 K 269/04.A - wird zurückgewiesen.

Die außergerichtlichen Kosten des gerichtskostenfreien Berufungszulassungsverfahrens haben die Kläger zu tragen.

Gründe

Im Einverständnis mit den Beteiligten konnte der Senat durch den Vorsitzenden nach § 87 a II VwGO entscheiden.

Dem Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das klageabweisende angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts, der auf Grundsatzbedeutung nach § 78 III Nr. 1 AsylVfG gestützt ist, kann nicht entsprochen werden.

I.

Vorweg ist klarzustellen: Die Kläger zu 1. und zu 2. sind 2001 und 2003 geborene Kleinkinder, die allein nicht nach Kinshasa abgeschoben werden dürfen. Nach der Rechtsprechung des Senats kommt für Kleinkinder nur eine Abschiebung gemeinsam im Familienverband mit beiden Eltern in Betracht.

Beschluss des Senats vom 10.11.2004 - 3 Q 32/04 -, S. 11 des amtl. Umdr.; im Ansatz ebenso Auswärtiges Amt, das im Lagebericht vom 9.5.2005, S. 29, auf die Gefährdung unbegleitet zurückgeführter Minderjähriger hinweist sowie in dem Lagebericht vom 14.12.2005 auf die häufige Versorgungsgefährdung unbegleiteter rückgeführter Minderjähriger.

Ausweislich des Protokolls vom 24.3.2005, S. 2 (Gerichtsakte Bl. 77) ist vor dem Verwaltungsgericht in der mündlichen Verhandlung auch der vollständige Familienverband erschienen. Der Senat geht in der nachfolgenden Prognose mithin von der realistischen Abschiebungskonstellation aus, dass die beiden klagenden Kleinkinder im vollständigen Familienverband mit beiden Eltern abgeschoben werden sollen.

II.

Davon ausgehend ist der Ausschluss einer allgemeinen Extremgefahr in Kinshasa in der bisherigen Senatsrechtsprechung hauptsachebezogen geklärt und durch weitere Beschlüsse bestätigt.

Urteil des Senats vom 3.12.2001 - 3 R 4/01 -, betreffend einen fünfköpfigen Familienverband einschließlich Mutter und Vater; Urteil des Senats vom 14.1.2002 - 3 R 1/01 -, betreffend einen allein stehenden Kongolesen; Beschluss des Senats vom 29.9.2004 - 3 Q 4/04 -, betreffend ein klagendes Kind im Familienverband mit beiden Eltern; Beschluss des Senats vom 10.11.2004 - 3 Q 32/04 -, betreffend drei Kleinkinder in einem vollständigen Familienverband mit Mutter und Vater.

Ausgangspunkt der dargelegten Senatsrechtsprechung für die Beurteilung einer Extremgefahr nach - nunmehr - § 60 VII AufenthaltsG ist die Tatsache, dass wegen der angespannten Versorgungslage ins Kinshasa dauerhaft Überlebensstrategien erforderlich sind, um dort überhaupt zu überleben. Mit diesem Ausgangspunkt befindet sich der Senat in Übereinstimmung mit der Einschätzung des Auswärtigen Amtes, das in ständiger Lagebeurteilung von einer sehr schwierigen Versorgung der Bevölkerung in Kinshasa ausgeht, die nur dank verschiedener Überlebensstrategien nicht zu einer akuten Unterversorgung führt.

Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 28.5.2004, S. 32; Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 9.5.2005, S. 29; Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 14.12.2005, S. 24; zur Notwendigkeit der Selbstversorgung auch Schweizerische Flüchtlingshilfe vom 28.5.2004, S. 19/20.

Zu den notwendigen Überlebensstrategien gehört insbesondere auch nach dem aktuellen Stand Kleinsthandel.

Vgl. eingehend zu den Überlebensstrategien Beschluss des Senats vom 29.9.2004 - 3 Q 4/04 -, S. 7-9; zu dem aktuellen Stand, dass etwa in dem armen Stadtviertel Messina von Kinshasa jeweils Kleinsthandel etwa mit Fischen oder Telefonkarten betrieben wird, Bericht der Süddeutschen Zeitung vom 2.6.2006, S. 13.

Nach der Rechtsprechung des Senats ist eine solche Überlebensstrategie auch einem Familienverband mit Eltern und Kleinkindern bei genereller Betrachtung möglich.

Urteil des Senats vom 3.12.2001 - 3 R 4/01 -; Beschluss des Senats vom 29.9.2004 - 3 Q 4/04 -.

Eine Ausnahme hat der Senat aber von vornherein in seiner Rechtsprechung für den besonders schutzbedürftigen Familienverband aus einer allein stehenden Mutter mit Kleinkindern ohne weiteren Familienverband und ohne Erwerbschancen gemacht, bei dem eine Extremgefahr sowohl für den Verband als auch für jede Person einzeln besteht.

Urteil des Senats vom 3.12.2001 - 3 R 4/01 -, S. 70 des amtl. Umdr.; Urteil des Senats vom 14.1.2002 - 3 R 1/01 -, S. 74 des amtl. Umdr.; Beschluss des Senats vom 28.3.2003 - 3 Q 9/02 -, S. 15 des amt. Umdr.; Beschluss des Senats vom 29.9.2004 - 3 Q 4/04 -, S. 14 des amtl. Umdr.; Beschluss des Senats vom 10.11.2004 - 3 Q 32/04 -, S. 10 des amtl. Umdr..

Nach dieser Rechtsprechung, an der der Senat festhält, sind für allein stehende Mütter, die sich ohne weiteren Rückhalt ständig allein um kleine Kinder kümmern müssen und sich selbst und die Kinder schützen müssen, die Chancen der Überlebenssicherung für die Kinder und sich selbst besonders gering. Durch die ständige Kinderbetreuung wird die ohnedies am Rande der Existenzmöglichkeit schwierige Lebensmittelbeschaffung in Kinshasa mit Überlebensstrategien wie Mikroagrarwirtschaft oder Kleinsthandel aussichtslos. Weicht die allein stehende Mutter mit Kleinkindern mangels Erwerbsmöglichkeit deshalb in die Slums aus, sind wegen der mangelnden Trinkwasserqualität und Hygiene und der lebensbedrohlichen Durchfallinfektionen die Kleinkinder nach dem Gutachten O. in ihren Überlebenschancen ganz besonders gefährdet.

Sachverständigenaussage des Tropenmediziners O. in der mündlichen Verhandlung vor dem VG Frankfurt vom 27.6.2002 - 4 E 30155/98.A (3) -, S. 7.

Dies gilt erst recht für infektgefährdete Kindern. Hinzu kommt, dass eine Mutter mit Kleinkindern sich Drohungen, Erpressungen und Angriffen nicht einfach entziehen kann, sondern die Kinder mit retten muss. Die besondere Verletzlichkeit abgeschobener Mütter mit Kleinkindern beleuchtet der Fall einer Abschiebung aus Niedersachsen am 26.8.2004; dort wurde einer schwangere Kongolesin allein mit zwei Kindern im Alter von zwei und zehn Jahren in ihr Heimatland abgeschoben; sie wurde in ein Militärcamp gesperrt, mehrfach vergewaltigt und überlebte die Geburt ihres Kindes am 7.12.2004 eben so wenig wie der Säugling.

Vgl. die auf dem Bericht eines Pfarrers beruhende Berichterstattung in der Frankfurter Rundschau vom 11.5.2006, S. 6.

Der Senat hält auch nach dem derzeitigen Stand an seiner Rechtsprechung fest. Eine weitere Ausnahme im Sinne einer Extremgefahr hat der Senat nur noch für Aids und Krebserkrankungen gemacht, die jedenfalls im fortgeschrittenen Zustand im Kongo nicht behandelt werden können.

Urteil des Senats vom 14.1.2002 - 3 R 1/01 -, S. 75 des amtl. Umdr.; Beschluss des Senats vom 29.9.2004 - 3 Q 4/04 -, S. 12 des amtl. Umdr..

Auch nach dem aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 14.12.2005 ist Krebs im fortgeschrittenen Stadium nach wie vor nicht behandelbar; für Aids ist zwar ein neues Medikament im Kongo selbst entwickelt, derzeit erhalten aber nur 1,6 % der Aids-kranken Patienten im Kongo die erforderliche Therapie, so dass 98,4 % aller Aids-Kranken ohne die erforderliche Therapie bleiben. Der Senat hält auch insofern nach dem aktuellen Stand an seiner Rechtsprechung fest.

Die Kläger stellen die Rechtsprechung des Senats, soweit sie bei genereller Betrachtung eine Extremgefahr für besonders gefährdete Menschen bejaht, nicht in Frage; sie halten aber einen neuen Klärungsbedarf für gegeben, soweit es um die Verneinung der Extremgefahr im Regelfall geht.

Dazu tragen sie vor: Aufgrund von Demonstrationen in Kinshasa am 10.1.2005 sei es zu blutigen Auseinandersetzungen gekommen. Die innenpolitische Situation im Kongo sei damit äußerst angespannt, und die anhaltenden Kämpfe machten die wesentlichen Lebensmittellieferungen über den Kongo-Fluss zunehmend unmöglich. Daraus ergebe sich eine Extremgefahr für alle Rückkehrer.

Nach Würdigung des Senats ist damit aber nur eine vorübergehende Zuspitzung dargelegt, die keine bleibende Bedeutung für eine künftige Rückkehr in den Kongo hat und damit keinen grundsätzlichen Klärungsbedarf begründet. Die blutigen Demonstrationen vom 10.1.2005 sind zwar noch in dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 9.5.2005 erwähnt (S. 6), nicht mehr jedoch in dem nachfolgenden Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 14.12.2005. Dort hießt es vielmehr (S. 5), dass die Lage sich innenpolitisch weitgehend stabilisiert hat; mithin war die Zuspitzung nur vorübergehend. Auch die weitere von den Klägern befürchtete Folge einer Blockierung der Schifffahrt des Kongos ist jedenfalls längerfristig nicht eingetreten. Bereits nach dem Stand des Lageberichts vom 9.5.2005 (S. 29) war der Kongo für die Schifffahrt wieder geöffnet. Mit dieser überzeugenden Einschätzung durch das Auswärtige Amt stimmt es überein, dass die Lage der Lebensmittelversorgung in Kinshasa in den beiden Lageberichten vom 9.5.2005 und vom 14.12.2005 übereinstimmend mit den früheren Lageberichten geschildert wird, mithin keine nochmalige drastische Verschlechterung der Versorgungslage in Kinshasa eingetreten ist, die zu einem hauptsachebezogenen Klärungsbedarf führen könnte. Zukunftsbezogen muss gesehen werden, dass die Geberländer des Kongo, die bisher dem Kongo eine Milliardenbeihilfe gewähren, im Sinne einer „Demokratiedividende“ nach den Wahlen überlegen, in den kommenden Jahren die beträchtliche Hilfe für den Kongo nochmals zu erhöhen.

FAZ vom 7.4.2006, S. 6.

Weiterhin ist es bezogen auf den in Kinshasa betriebenen Kleinhandel seit kurzem möglich, etwa für Markfrauen einen Kredit zu erhalten.

Zur Ingenieurs- und Kredittätigkeit deutscher Unternehmen im Kongo als Vorhut des Wiederaufbaus vgl. den Bericht der Süddeutschen Zeitung vom 10.7.2006, S. 21.

Der Senat verkennt nicht, dass dies angesichts der Ungewissheit der Zukunft des Kongo nur geringfügige günstige Zeichen für die weitere Entwicklung sind. Nach dem gegenwärtigen Stand bestehen aber jedenfalls keine Anhaltspunkte für eine drastische Verschlechterung der Versorgungslage in Kinshasa. Der Senat hält deshalb an seiner Rechtsprechung zur Abgrenzung der Extremgefahr für Rückkehrer in den Kongo fest.

Nach allem sind die Kläger bei einer Rückkehr im vollständigen Familienverband nach Kinshasa ungeachtet der auch für den Senat ersichtlichen Härte dieser Umstellung bei genereller Betrachtung jedenfalls keiner Extremgefahr in dem Sinne ausgesetzt, dass sie sehenden Auges dem Tod oder schwersten Beeinträchtigungen ausgesetzt würden. Nach allem ist die Grundsatzrüge erfolglos.

III.

Vorsorglich weist der Senat nochmals darauf hin, dass die anzustellende Prognose mit Blick auf die Extremgefahr nur für die realistisch zu erwartende Abschiebungskonstellation gilt, dass die Kläger als Kleinkinder mit dem vollständigen Familienverband nach Kinshasa zurückkehren sollen. Sollte die Behörde beabsichtigen, die Kläger als Kleinkinder allein nach Kinshasa abzuschieben, würde dies der dargelegten Rechtsprechung des Senats diametral widersprechen. Ebenso würde eine Abschiebung allein mit der Mutter der generellen Rechtsprechung des Senats widersprechen. Der Senat geht davon aus, dass es zu solchen Abschiebungskonstellationen nicht kommt, und dass die Kläger anderenfalls wegen der grundlegend geänderten Abschiebungssituation und damit einer grundlegend anderen Tatsachengrundlage für die gerichtliche Prognose zu den erforderlichen Überlebensstrategien einen Folgeantrag stellen können.

Nach der gegenwärtigen prozessualen Lage stellt sich keine Grundsatzfrage, die in einem neuen Hauptsacheverfahren zu entscheiden wäre. Für die derzeit erstrebte Rechtsmittelzulassung ist danach kein Raum.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 II VwGO, 83 b AsylVfG.

Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

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(1) In Klageverfahren nach dem Asylgesetz beträgt der Gegenstandswert 5 000 Euro, in den Fällen des § 77 Absatz 4 Satz 1 des Asylgesetzes 10 000 Euro, in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes 2 500 Euro. Sind mehrere natürliche Personen an demselb
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(1) In Klageverfahren nach dem Asylgesetz beträgt der Gegenstandswert 5 000 Euro, in den Fällen des § 77 Absatz 4 Satz 1 des Asylgesetzes 10 000 Euro, in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes 2 500 Euro. Sind mehrere natürliche Personen an demselb
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(1) In Klageverfahren nach dem Asylgesetz beträgt der Gegenstandswert 5 000 Euro, in den Fällen des § 77 Absatz 4 Satz 1 des Asylgesetzes 10 000 Euro, in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes 2 500 Euro. Sind mehrere natürliche Personen an demselben Verfahren beteiligt, erhöht sich der Wert für jede weitere Person in Klageverfahren um 1 000 Euro und in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes um 500 Euro.

(2) Ist der nach Absatz 1 bestimmte Wert nach den besonderen Umständen des Einzelfalls unbillig, kann das Gericht einen höheren oder einen niedrigeren Wert festsetzen.