Oberverwaltungsgericht des Saarlandes Urteil, 16. Sept. 2011 - 3 A 446/09

published on 16/09/2011 00:00
Oberverwaltungsgericht des Saarlandes Urteil, 16. Sept. 2011 - 3 A 446/09
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Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben. Der Kläger trägt die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der 1983 in Bahzani geborene Kläger, irakischer Staatsangehöriger kurdischer Volks- und yezidischer Religionszugehörigkeit, reiste laut eigenen Angaben am 17.12.2007 über den Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte am 7.1.2008 seine Anerkennung als Asylberechtigter.

Bei seiner Anhörung am selben Tag erklärte er, er habe zuletzt im Ort Bahzani, der zur Kommune Bashika gehöre und im Bezirk Sheikhan liege, gewohnt. Außer seiner Mutter lebten noch vier Brüder und zwei Schwestern im Irak. Die Schwestern seien verheiratet und lebten in der Provinz Dohuk. Die übrigen Geschwister wohnten in Bahzani. Ferner lebten dort noch ein Onkel und drei Tanten mütterlicherseits. Nach einem Schulabbruch (dritte Klasse Mittelschule) im Jahr 2001 habe er als Bedienung in verschiedenen Restaurants gearbeitet, davon sieben bis acht Monate im Jahr 2001 in Bagdad, anschließend nur noch in Mossul. Da er zweimal am Herzen operiert worden sei, habe er keinen Wehrdienst leisten können. Grund seiner Ausreise sei gewesen, dass am 21. oder 22. April 2007 23 Yeziden aus Bahzani in Mossul getötet worden seien; es habe sich um Arbeiter einer Textilfabrik gehandelt. Sie hätten in Bahzani nicht „rausgehen“ können. Die Regierung habe zwar Vorsichtsmaßnahmen getroffen, in dem sie Sandbarrieren auf die Hauptstraßen geschüttet hätten, damit keine Anschläge auf Yeziden erfolgen könnten. Die Lage habe sich jedoch verschlechtert. Seine Familie habe ihm deshalb und auch weil er krank sei, geraten, das Land zu verlassen. Im Falle einer Rückkehr habe er Angst, getötet zu werden. Zu seinen Schwestern in Khanik in den Nordirak könne er nicht gehen. Es sei schwer, dort eine Genehmigung zum dauerhaften Aufenthalt zu bekommen. Auch wisse er nicht, wovon er dort - ohne Arbeit - die Miete bezahlen könne. Infolge seiner Herzoperationen dürfe er nicht schwer arbeiten; einmal im Jahr müsse er zu einer Untersuchung und zum EKG; zuletzt sei er im Sommer 2005 untersucht worden. Im Irak habe er weder Schwierigkeiten mit staatlichen Stellen noch sonstigen Personen oder Personengruppen gehabt.

Mit Bescheid vom 22.1.2008 lehnte die Beklagte den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG und Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen und forderte den Kläger unter Androhung der Abschiebung in den Irak zur Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland auf. Zur Begründung ist unter Darlegung im Einzelnen ausgeführt, Asyl könne der Kläger wegen seiner Einreise aus einem sicheren Drittstaat nicht beanspruchen. Auch ein Anspruch auf Zuerkennung von Flüchtlingsschutz i. S. d. § 60 Abs. 1 AufenthG bestehe nicht. Eine politisch motivierte Verfolgung durch den irakischen Staat sei nicht ersichtlich. Es könne zwar nicht ausgeschlossen werden, dass der Kläger in seiner Heimat wegen seiner Zugehörigkeit zur yezidischen Religionsgruppe Verfolgungsmaßnahmen durch nichtstaatliche Akteure ausgesetzt sei. Dem Kläger stehe jedoch eine inländische Fluchtalternative in der kurdisch autonomen Zone zur Verfügung. Seine dort lebenden Schwestern könnten – soweit erforderlich – für ihn als Bürgen auftreten. Seinen Lebensunterhalt könne er dort, wie vor seiner Ausreise, als Bedienung sichern. Die allgemeine Lage im Irak führe zu keiner anderen Einschätzung; die bisherige weitgehende Autonomie der drei kurdischen Nordprovinzen bestehe weiterhin. Der Regierungskoalition von KDP und PUK unter Führung von Barzani gehörten fünf kleinere Parteien an, unter den Kabinettsmitgliedern befinde sich auch ein Yezide. Die Sicherheitslage in der Region Kurdistan–Irak, zu der Teilgebiete der Provinzen Dohuk, Arbil, Sulaimaniya, Kirkuk, Diyala und Ninive gehörten, sei in Teilen besser als im übrigen Irak.

Abschiebungsverbote gem. § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG lägen ebenfalls nicht vor. Gefahren i. S. v. § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG bestünden für den Kläger zumindest in der kurdisch-autonomen Zone nicht. Eine individuell konkrete Gefahr i. S. d. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG habe der Kläger nicht dargelegt. Eine extreme Gefahrenlage, die bei verfassungskonformer Auslegung zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes führen würde, sei nicht festzustellen. Die Sicherheits- und Versorgungslage sei insgesamt nicht derart schlecht, dass jeder Rückkehrer „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde“. Die in Teilen noch angespannte Sicherheits- und Menschenrechtslage stelle keine für die Anwendung des Art. 15 c der Qualifikationsrichtlinie erforderliche extreme Gefahrenlage dar. Schließlich lägen die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 AufenthG bei dem Kläger auch aus gesundheitlichen Gründen nicht vor.

Gegen diesen Bescheid hat der Kläger am 6.2.2008 Klage erhoben und ausgeführt, der Nordirak sei mit Blick auf Art. 8 der Qualifikationsrichtlinie (QRL) für den Kläger keine interne Schutzalternative. Yeziden würden auch in den kurdischen Gebieten des Nordiraks verfolgt. Zusätzlich zu der vorgetragenen Ermordung der yezidischen Textilarbeiter habe es weitere Verfolgungshandlungen gegeben, u.a. seien zwischen dem 14. und 18.2.2007 Vereinsräume und eine Andachtsstätte der Yeziden in Sheikhan zerstört worden. Die Schwestern des Klägers könnten für ihn nicht bürgen, da als Bürge in der kurdischen Gesellschaft des Iraks nur ein Mann geeignet sei. Internen Schutz könne der Kläger im Nordirak auch deshalb nicht erlangen, weil sein Vater und sein Bruder wie andere Familienmitglieder in der Baath-Partei Mitglied gewesen seien. Ein Onkel sei aufgrund seiner Funktion in der Baath-Partei bis 1970 Landrat in der Stadt Sheikhan gewesen und in diesem Jahr von Kurden getötet worden. Die Familie des Klägers sei verhasst. Die Schwestern des Klägers seien 1994 entführt und zwangsverheiratet worden, weshalb sie von seinen Eltern verstoßen worden seien. Persönlich habe er keinen Kontakt zu seinen Schwestern.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des Bescheides vom 22.1.2008 zu verpflichten, festzustellen, dass hinsichtlich des Klägers ein Abschiebeverbot nach § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegt,

hilfsweise

festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegt.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Mit aufgrund mündlicher Verhandlung vom 12.8.2008 ergangenem Urteil hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen (2 K 122/08).

Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt, dem Kläger stehe weder ein Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG noch zur Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG zu.

Nicht dargetan sei zunächst, dass der Kläger sein Heimatland aus Furcht vor erlittener oder unmittelbar drohender individueller, das heißt anlassgeprägter Einzelverfolgung verlassen habe. Ebenso wenig sei der Kläger aus Furcht vor unmittelbar drohender Gruppenverfolgung ausgereist. Eine solche drohe ihm auch im Falle der Rückkehr nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit, und zwar weder durch staatliche noch durch nichtstaatliche Akteure. Es fehle hierfür insbesondere an der erforderlichen Verfolgungsdichte, wie die Kammer zuletzt durch Urteil vom 11.1.2007 - 2 K 234/06.A -, bestätigt durch Beschluss des Oberverwaltungsgerichts vom 26.3.2007 - 3 A 30/07 -, entschieden habe.

Das Oberverwaltungsgericht des Saarlandes sei in der genannten Entscheidung in Auswertung der zum damaligen Zeitpunkt vorliegenden Erkenntnisse von einer Zahl von 60 bis 137 Übergriffen landesweit ausgegangen. Bezogen auf die Gesamtzahl der im Irak lebenden Yeziden von schätzungsweise 475.000 Menschen habe es eine Anschlagsdichte von 1 : 3467 ermittelt und eine Regelvermutung zu Gunsten einer Verfolgung jedes Yeziden verneint, zumal die yezidische Religion wesensmäßig keine öffentliche Ausübung vor den Augen Ungläubiger erlaube, die Gläubigen also nicht in einen unausweichlichen Konflikt mit der Mehrheitsbevölkerung führe.

Zwar sei seither über verschiedene weitere Übergriffe berichtet worden, neben dem vom Kläger berichteten Vorfall sei u.a. am 14.8.2007 offenbar durch Mitglieder der Terrororganisation Al-Quaida im Sindjargebiet im Nordwesten des Iraks ein Sprengstoffanschlag verübt worden, bei dem 336 Yeziden getötet und etwa 1.000 Familien obdachlos geworden seien.

Jedoch seien die Anforderungen für die Annahme einer Regelvermutung nach wie vor nicht erfüllt. Auch wenn man den Ansatz des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes zugrunde lege und unter Einbeziehung einer Dunkelziffer von weiteren 400 asylerheblichen Übergriffen ausgehe, ergebe sich ein Verhältnis von 537 : 475.000 und blieben weiterhin mehr als 99 % der yezidischen Bevölkerung von Übergriffen verschont. Zudem sei es in dem Zeitraum von nahezu einem Jahr nach dem Vorfall vom 14.8.2007 zu (terroristischen) Übergriffen dieser Art nicht mehr gekommen.

Ob dem Kläger zudem eine zumutbare inländische Fluchtalternative in den de jure unter der Verwaltung der kurdischen Regionalregierung stehenden Gebieten des Nordirak – insbesondere der Provinz Dohuk – offenstehe, bedürfe deshalb keiner abschließenden Entscheidung. Von daher müsse auch der Behauptung des Klägers, aus dem Bezirk Sheikhan stammende yezidische Kurden hätten Saddam Hussein und die Baath-Partei unterstützt und würden deshalb in den Kurdengebieten des Nordiraks keine interne Fluchtalternative finden, nicht weiter nachgegangen werden.

Im Übrigen dürfe es - fallbezogen - zutreffen, dass der Kläger sich möglichen Übergriffen seitens muslimischer Extremisten durch Aufenthaltnahme in den kurdisch verwalteten Regionen des Nordirak – insbesondere in der Provinz Dohuk - im Sinne einer zumutbaren inländischen Fluchtalternative entziehen könne. Der Kläger verfüge dort über familiäre Anknüpfungspunkte, weil seine zwei Schwestern mit ihren Familien dort lebten. Was den Kontakt zu diesen Schwestern angehe, halte das Gericht die nunmehr abweichenden Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung zu einem (mangelnden) Kontakt zu seinen Schwestern nicht für glaubhaft. Damit könne er auf ggf. für die Einreise und Niederlassung erforderliche Bürgen bzw. Sponsoren zurückgreifen.

Unter Darlegung im einzelnen stellte das Verwaltungsgericht ferner fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht bestünden.

Gegen das ihm am 11.9.2008 zugestellte Urteil hat der Kläger am 13.10.2008 - einem Montag - Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt, dem der Senat durch Beschluss vom 8.9.2009 entsprochen hat (3 A 373/08).

Zur Begründung seiner Berufung führt der Kläger aus, die Gewalt im Irak habe einen deutlich konfessionell ausgerichteten Zug angenommen, von dem insbesondere die Minderheiten der Christen und Yeziden betroffen seien. Weder der irakische Staat noch nicht-staatliche Herrschaftsorganisationen seien in der Lage, selbst den Angehörigen der beiden großen religiösen Gruppierungen im Irak – Sunniten und Schiiten – Schutz vor Verfolgung zu bieten. Vor diesem Hintergrund seien die Angehörigen der religiösen Minderheiten - wie der Kläger - in noch größerem Maße gefährdet.

Soweit das erstinstanzliche Urteil darauf verweise, dass von einer Gesamtzahl von Yeziden von ca. 475.000 Menschen auszugehen sei und die landesweiten Übergriffe auf Yeziden bei einer Größenordnung zwischen 60 und 137 Eingriffen lägen, sei dem entgegen zu halten, dass bei den Gegebenheiten im Irak eine detaillierte Feststellung von Anzahl und Intensität von Verfolgungsmaßnahmen ebenso wenig möglich sei wie diese in Beziehung zur Größe der betroffenen Gruppe zu setzen. Da mehrere tausend Yeziden aus dem Irak geflohen seien, ohne dass deren genaue Zahl feststellbar wäre, könnten keine verlässlichen Zahlen gewonnen werden, auf deren Grundlage eine Verfolgungsdichte der Angehörigen der Gruppe im Irak festgestellt werden könne. Auch seien bei der Berechnung der Verfolgungsdichte allenfalls Menschen berücksichtigt worden, die getötet oder physisch verletzt worden seien, nicht jedoch diejenigen, die aufgrund erlebter Verfolgungsmaßnahmen schwere psychische Schäden davongetragen hätten.

Auch könnten Yeziden in den kurdisch besiedelten Gebieten des Nordirak keine zumutbare interne Schutzalternative finden.

Das erstinstanzliche Gericht habe den Kläger zu Unrecht auf seine beiden im Nordirak lebenden Schwestern verwiesen, da innerhalb der kurdischen Gesellschaft im Nordirak eine Frau nicht als geeigneter Bürge angesehen werde. Im Übrigen lebten die Schwestern derzeit wieder im Heimatort des Klägers, ohne dass ein Kontakt zur Familie bestünde. Schließlich könnten Yeziden aus dem Zentralirak sich auch in den kurdisch verwalteten Gebieten des Nordirak nicht niederlassen. Sie würden dort in kurdischen Internierungslagern gefangen gehalten und zur Aufgabe ihrer Identität gezwungen bzw. ihres Eigentums beraubt.

Schließlich könne der Kläger, der aus einer Familie stamme, deren Mitglieder Funktionen in der Baath-Partei ausgeübt hätten, in kurdisch verwalteten Gebieten des Nordirak keinen zumutbaren internen Schutz erlangen.

Zumindest sei für Yeziden ein Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG i.V.m. Art. 15 lit. c QRL auszusprechen, das eine Schutzgewährung völlig neuen Typs darstelle.

Insgesamt sei davon auszugehen, dass Art. 15 lit. c QRL nicht richtliniengemäß in Bundesrecht umgesetzt worden sei. Bei der Anwendung des Art. 15 lit. c QRL sei ein deutlich herabgestufter Prognosemaßstab anzulegen. Auch eine Anwendung der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 S. 3 AufenthG auf die Gruppe der nach Art. 15 lit. c QRL subsidiär Schutzberechtigten sei gemeinschaftsrechtswidrig. Insgesamt sei die Frage des Inhalts des § 60 Abs. 7 S. 2 n.F. - auch hinsichtlich des Begriffs des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts - und seiner Anwendung sehr umstritten.

Ferner drohe irakischen Staatsangehörigen yezidischer Religionszugehörigkeit bei Rückkehr in den Irak eine extreme Gefahr für Leib und Leben i.S.d. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Für die irakische Zivilbevölkerung bestehe nicht nur die Gefahr, als Opfer eines Anschlags getötet zu werden. Vielmehr bestehe auch die Gefahr, infolge eines solchen Anschlags verstümmelt oder mit anderen sich lebenslänglich auswirkenden gesundheitlichen Folgen, etwa einer Traumatisierung, belastet zu werden.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des aufgrund mündlicher Verhandlung vom 12.8.2008 ergangenen Urteils des Verwaltungsgerichts des Saarlandes - 2 K 122/08 - die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheids vom 22.1.2008 zu verpflichten festzustellen, dass die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen,

hilfsweise,

festzustellen, dass die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG vorliegen,

weiter hilfsweise,

festzustellen, dass die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG in Bezug auf den Irak vorliegen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung führt sie aus, die zur Feststellung einer Gruppenverfolgung erforderliche Verfolgungsdichte sei für Yeziden im Irak derzeit nicht gegeben.

Ein Anspruch nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG sei gleichfalls zu verneinen.

Von einer erheblichen individuellen Gefahr i.S.d. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG i.V.m. Art. 15 lit. c QRL sei nur auszugehen, wenn entweder alle Bewohner des Konfliktgebiets ernsthaft persönlich betroffen seien, weil sich die mit dem bewaffneten Konflikt verbundenen Gefahren in einem Maß verdichtet hätten, dass ein entsprechend hoher Gefährdungsgrad erreicht sei, oder wenn individuell gefahrerhöhende Umstände vorlägen.

Eine derartige Verdichtung allgemeiner Gefahren könne unabhängig vom Einzelfall auch in den Konfliktregionen des Irak nicht angenommen werden. Dies gelte selbst unter Berücksichtigung einer Dunkelziffer sowie der Tatsache, dass die Betroffenheit nicht allein anhand der Todesfälle bewertet werden dürfe. Die dokumentierten Vorfälle mit Todesopfern zeigten, dass die Zahl der Opfer im Verhältnis zur ansässigen Bevölkerung bei weitem nicht die nach den vergleichsweise heranzuziehenden Vorgaben der für eine Gruppenverfolgung im Bereich Asyl und Flüchtlingsschutz erforderliche Verfolgungsdichte erreiche.

Gefahrerhöhende individuelle Gesichtspunkte seien vorliegend nicht ersichtlich.

Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 5 sowie Abs. 7 Satz 1 AufenthG lägen ebenfalls nicht vor.

Der Senat hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 16.9.2011 zu seinen Asylgründen informatorisch angehört.

Wegen des Ergebnisses der Anhörung wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird verwiesen auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsunterlagen der Beklagten und der Ausländerbehörde, der ebenso wie die bei Gericht geführte Dokumentation Irak, insbesondere hinsichtlich der in der Anlage zur Sitzungsniederschrift bezeichneten Teile, zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurde.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Der Bescheid der Beklagten vom 22.1.2008 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO).

Dem Kläger steht nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) kein Anspruch auf Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG zu. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor.

I.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. § 3 Abs. 3 AsylVfG.

Die von dem Kläger begehrte Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. § 3 Abs. 3 AsylVfG ist abzulehnen, weil er nicht glaubhaft darlegen konnte, dass er aus begründeter Furcht vor (bereits erlittener oder unmittelbar bevorstehender) politischer Verfolgung aus seinem Heimatland ausgereist ist bzw. dass ihm gegenwärtig eine solche aus den in § 60 Abs. 1 AufenthG genannten Gründen droht.

Er ist im Dezember 2007 unverfolgt aus dem Irak ausgereist und muss im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit befürchten, bei einer Rückkehr dorthin relevanten Verfolgungsmaßnahmen im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG ausgesetzt zu sein.

Nach § 60 Abs. 1 AufenthG darf in Anwendung des Abkommens vom 28.6.1951 über die Rechtstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist, wobei eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe nach § 60 Abs. 1 Satz 3 AufenthG auch dann vorliegen kann, wenn die Bedrohung an das Geschlecht anknüpft. Eine Verfolgung in diesem Sinne kann nach § 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG von dem Staat (lit. a), Parteien und Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschen (lit. b) oder von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern die unter lit. a und b genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht, es sei denn es besteht eine inländische Fluchtalternative (lit. c).

Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. § 3 Abs. 3 AsylVfG unterliegt im Wesentlichen den gleichen Anforderungen, nach denen auch eine Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16 a Abs. 1 GG erfolgt

hierzu etwa BVerwG, Urteil vom 29.5.2008 - 10 C 11.07 -, BVerwGE 131, 186 ff.; zur Vorgängerregelung des § 51 Abs. 1 AuslG: BVerwG, Urteil vom 18.2.1992 - 9 C 59.91 -, DÖV 1992, 582 f. zur Deckungsgleichheit von Art. 16 a Abs. 1 GG und § 51 Abs. 1 AuslG mit dem Flüchtlingsbegriff der Genfer Konvention: BVerwG, Urteil vom 26.10.1993 - 9 C 50.92 u.a. -, NVwZ 1994, 500 ff.

Auch die Annahme einer relevanten Verfolgungssituation i.S.d. § 60 Abs. 1 AufenthG setzt voraus, dass eine spezifische Zielrichtung vorliegt, d.h. die Verfolgung muss nach ihrer erkennbaren Gerichtetheit an die vorstehend genannten Merkmale anknüpfen. An einer solchen gezielten Rechtsverletzung fehlt es indes regelmäßig bei Nachteilen, die jemand aufgrund der allgemeinen Zustände in seinem Herkunftsland zu erleiden hat, etwa infolge von Naturkatastrophen, Arbeitslosigkeit, einer schlechten wirtschaftlichen Lage oder infolge allgemeiner Auswirkungen von Unruhen, Revolutionen und Kriegen

hierzu BVerfG, Beschluss vom 10.7.1989 - 2 BvR 502/86 u.a. -, BVerfGE 80, 315 ff.; BVerwG, Urteil vom 5.7.1994 - 9 C 158.94 -, BVerwGE 96, 200 ff.; siehe in diesem Zusammenhang auch Art. 9 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.4.2004 (sog. Qualifikationsrichtlinie - QRL -).

Allerdings geht der Flüchtlingsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG teilweise über den Schutz des Asylgrundrechts nach Art. 16 a GG hinaus. So können - nach Maßgabe des § 28 Abs. 1 a AsylVfG - auch (selbst geschaffene) Nachfluchtgründe sowie gemäß § 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG eine Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure ein Abschiebungsverbot begründen.

Für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegt, sind zudem gemäß § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG die Bestimmungen der Qualifikationsrichtlinie ergänzend anzuwenden, so insbesondere Art. 4 Abs. 4 sowie Art. 7 bis 10 QRL.

Die zum Asylgrundrecht nach Art. 16 a GG in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts entwickelten unterschiedlichen Wahrscheinlichkeitsmaßstäbe, je nach dem, ob der Ausländer seinen Heimatstaat auf der Flucht vor eingetretener oder unmittelbar drohender politischer Verfolgung verlassen hat oder ob er unverfolgt ausgereist ist

vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 2.7.1980 - 1 BvR 147/80 u.a. -, BVerfGE 54, 341, und vom 10.7.1989 - 2 BvR 502/86 u.a. -, BVerfGE 80, 315;

haben in die Qualifikationsrichtlinie keinen Eingang gefunden. Der sog. herabgestufte Wahrscheinlichkeitsmaßstab der hinreichenden Sicherheit ist insoweit durch die Nachweiserleichterung in Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie ersetzt worden, die sowohl für den Flüchtlingsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG als auch für die weiteren unionsrechtlichen und nationalen Abschiebungsverbote des § 60 AufenthG gilt. Als Prognosemaßstab ist daher allein der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen

vgl. BVerwG, Urteile vom 1.6.2011 - 10 C 10.10 und 10 C 25.10, vom 27.4.2010 - BVerwG 10 C 5.09 - und vom 7.9.2010 - 10 C 11.09 -, siehe auch EuGH, Urteil vom 2.3.2010, Rs. C-175/08 u.a., Abdulla u.a., OVG Münster, Urteil vom 17.8.2010 - 8 A 4063/06.A -, jeweils zitiert nach juris.

Nach Art. 4 Abs. 4 QRL i.V.m. § 60 Abs. 1 Satz 5, Abs. 11 AufenthG ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird.

Die Vorschrift des Art. 4 Abs. 4 QRL begründet mithin für die von ihr begünstigten Antragsteller eine widerlegbare tatsächliche Vermutung dafür, dass sie erneut von einer Verfolgung oder einem sonstigen ernsthaften Schaden bedroht sind. Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadensstiftenden Umstände bei der Rückkehr erneut realisieren werden. Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit einer Verfolgung bzw. des Eintritts eines sonstigen ernsthaften Schadens entkräften. Dies ist im Rahmen freier Beweiswürdigung zu beurteilen

vgl. BVerwG, Urteile vom 27.4.2010 - 10 C 5.09 - und vom 7.9.2010 - 10 C 11.09 - m.w.N., zitiert nach juris.

Die bereits erlittener Verfolgung gleichzustellende unmittelbar drohende Verfolgung setzt eine Gefährdung voraus, die sich schon so weit verdichtet hat, dass der Betroffene für seine Person ohne Weiteres mit dem jederzeitigen Verfolgungseintritt aktuell rechnen musste

vgl. BVerwG, Urteil vom 24.11.2009 - 10 C 24.08 - m.w.N., zitiert nach juris.

Aus den in Art. 4 QRL geregelten Mitwirkungs- und Darlegungsobliegenheiten des Schutzsuchenden folgt, dass es auch unter Berücksichtigung der Vorgaben dieser Richtlinie Sache des Ausländers ist, die Gründe für seine Furcht vor politischer Verfolgung schlüssig vorzutragen. Er ist gehalten, unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung politische Verfolgung im genannten Sinne droht. Hierzu gehört, dass der Ausländer zu den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere zu seinen persönlichen Erlebnissen, eine Schilderung gibt, die geeignet ist, den behaupteten Anspruch lückenlos zu tragen.

Das Gericht muss dabei die volle Überzeugung von der Wahrheit des behaupteten individuellen Schicksals und von der Richtigkeit der Prognose drohender politischer Verfolgung gewinnen. Aufgrund der Beweisschwierigkeiten, in denen sich der Schutzsuchende hinsichtlich der asylbegründenden Vorgänge im Heimatland regelmäßig befindet, muss sich das Gericht hinsichtlich dieser Umstände mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad an Gewissheit begnügen, auch wenn Zweifel nicht völlig ausgeschlossen werden können. Es genügt insoweit in der Regel Glaubhaftmachung, während für Vorgänge innerhalb des Zufluchtlandes - prinzipiell - der volle Nachweis zu fordern ist. Bei erheblichen Widersprüchen oder Steigerungen im Sachvortrag indes kann dem Kläger nur bei einer überzeugenden Auflösung der Unstimmigkeiten geglaubt werden

vgl. BVerwG, Entscheidungen vom 21.7.1989 - 9 B 239.89 -, vom 16.4.1985 - 9 C 109.84 - und vom 29.11.1977 - 1 C 33.71 -, jeweils zitiert nach juris.

Von diesen Maßstäben ausgehend kann der unverfolgt ausgereiste Kläger auch unter Anwendung der europarechtlichen Bestimmungen der sog. Qualifikationsrichtlinie die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG hinsichtlich einer Abschiebung in den Irak nicht beanspruchen. Das gilt sowohl im Hinblick auf sein Individualschicksal als auch im Hinblick auf die zu verneinende Gruppenverfolgung wegen seiner yezidischen Religionszugehörigkeit.

Zu seinem Individualschicksal hat der im Dezember 2007 ausgereiste Kläger – bis zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat - bekundet, er habe sich niemals selbst politisch betätigt und vor seiner Ausreise auch keinerlei Probleme mit irakischen hoheitlichen Stellen gehabt. Vielmehr hat er sein Begehren auf Zuerkennung von Flüchtlingsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG im Wesentlichen mit einem Vorfall im April 2007 begründet, bei dem 23 Yeziden aus seinem Heimatort Bahzani in Mossul getötet worden seien, und damit, dass Yeziden allgemeinen Anfeindungen, Diskriminierungen und Beeinträchtigungen ausgesetzt seien.

Im Übrigen hat der Kläger lediglich am Rande geltend gemacht, ein Onkel, der bereits 1970 getötet worden sei, sei Mitglied der Baath-Partei gewesen.

Eine staatliche oder nichtstaatliche Individualverfolgung i.S.d. § 60 Abs. 1 AufenthG vor seiner Ausreise hat der Kläger damit nicht dargetan. Bezüglich des Vorfalles in Mossul fehlt es an einem individuellen Bezug zu der Person des Klägers. Bezüglich der behaupteten Mitgliedschaft des Onkels in der Baath-Partei resultiert daraus keine Gefährdung des Klägers als Familienmitglied. Nach der Auskunftslage

vgl. etwa SFH, Bericht zur Gefährdung von ehemaligen Mitgliedern der Baath-Partei vom 27.1.2006 und Irak: Die aktuelle Entwicklung im Zentral- und Südirak vom 5.11.2009; EZKS an VG Düsseldorf vom 5.8.2008; DOI an VG München vom 1.9.2006 (2112 al/br),

erfolgen seit Ende 2003 bzw. seit 2005 nur noch vereinzelte Übergriffe auf hochrangige Baath-Mitglieder selbst und zudem nur unter der Voraussetzung, dass diese persönlich Verbrechen und Grausamkeiten verübt haben. Familienangehörige bleiben demgegenüber unbehelligt.

vgl. im Einzelnen Urteil des Senats vom 1.6.2011 - 3 A 429/08 -, dokumentiert bei juris.

Erstmals in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 16.9.2011 hat der Kläger eine individuelle Gefährdung aufgrund behaupteter Nachfluchtaktivitäten geltend gemacht.

Hierzu hat er vorgetragen, er habe am 21./22.4.2011, am Gedenktag des Ereignisses vom 21./22.4.2007, bei Facebook geschrieben, die wahren Täter dieses Vorfalls, bei dem 24 Personen getötet worden seien, müssten nach vier Jahren zur Rechenschaft gezogen werden. Er könne diese namentlich benennen. Der eine sei ein Imam in der Moschee und der zweite sei der stellvertretende Gouverneur von Mossul, ein Parteifunktionär der KDP, gewesen. Der Name des Imam sei Tahel Al Zainawi und der des Parteifunktionärs Khesro Goran. Wegen des Schreibens des Klägers im Internet sei am 26.4.2011 sein Bruder vom kurdischen Geheimdienst verhaftet und nach Akrah verbracht worden. Zwei Tage danach, am 28.4.2011, habe sein Bruder ihn aus der Haft angerufen und ihm gesagt, er solle den Eintrag löschen, damit er wieder freigelassen würde, und er müsse „bereuen“. Ergänzend hat er ausgeführt, man habe seinem Bruder gedroht, „ihnen“ etwas anzutun, wenn er noch einmal so etwas schreiben würde. Er habe den Eintrag noch am selben Tag bzw. in derselben Nacht gelöscht, aber Reue gezeigt habe er nicht. Sein Bruder sei dann am Morgen des 29.4.2011 wieder freigelassen worden, er sei jetzt wieder zu Hause. Er habe ihm berichtet, dass er - der Kläger - nunmehr auf einer „roten Liste“ stehe.

Es mag dahinstehen, ob dieses Vorbringen des Klägers nach Maßgabe des § 87 b Abs. 3 VwGO als verspätetes Vorbringen zurückgewiesen werden könnte, nachdem ihm zuvor eine Frist zur ergänzenden Äußerung gemäß § 87 b Abs. 1 und 2 VwGO bis zum 12.8.2011 gesetzt worden war. Denn ungeachtet der Möglichkeit einer solchen Zurückweisung erachtet der Senat das Vorbringen des Klägers zum Vorliegen von Nachfluchtaktivitäten als nicht plausibel. Er konnte sich von dessen Glaubhaftigkeit nicht überzeugen (§ 108 VwGO).

Zunächst ist nicht plausibel, weshalb der Kläger einen solchen, aus seiner Sicht entscheidenden Vortrag entgegen der ihm obliegenden Mitwirkungspflichten (§§ 15, 25 AsylVfG) nicht früher, insbesondere nicht spätestens in der Vorbereitung der mündlichen Verhandlung vor dem Senat in das Verfahren eingeführt hat. Der Kläger führte hierzu auf Nachfrage des Gerichts zunächst an, er habe keine Zeit gehabt, mit seinem Rechtsanwalt Kontakt aufzunehmen, was angesichts der Bedeutung des Rechtsstreits für den Kläger wenig nachvollziehbar erscheinen muss.

Nachdem sein Prozessbevollmächtigter demgegenüber auf Frage des Gerichts erklärt hatte, er habe nach der Aufforderung und Fristsetzung des Gerichts, im Vorfeld der mündlichen Verhandlung eventuell neuen Vortrag in das Verfahren einzuführen, mit dem Kläger gesprochen und dieser habe ihm nichts berichtet, vielmehr höre er den Vortrag des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat selbst zum ersten Mal, passte der Kläger sein Vorbringen dahingehend an, er habe Kontakt mit seinem Prozessbevollmächtigten aufnehmen wollen, aber dieser habe den Termin verschoben, weil er keinen Dolmetscher gehabt habe. Nachdem sein Prozessbevollmächtigter demgegenüber erklärt hatte, er habe keinen Termin verschoben, erklärte der Kläger, er selbst habe den Termin verschoben, weil er keinen Dolmetscher gehabt habe. Hierzu erklärte der Prozessbevollmächtigte, dass tatsächlich eine Terminverschiebung vom 29.7. auf den 3.8.2011 stattgefunden habe. Bei dem Besprechungstermin am 3.8.2011 sei der Sprachmittler anwesend gewesen.

Eine überzeugende Erklärung dafür, dass die Einführung des neuen Vortrags erst in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat und nicht aufgrund des Besprechungstermins am 3.8.2011 erfolgt ist, vermochte der Kläger mithin nicht zu erbringen.

Wenig nachvollziehbar erscheint auch in der Sache, warum der Kläger, nachdem er seinen bisherigen Angaben zufolge in seinem Heimatland nicht politisch oder im Zusammenhang mit seiner yezidischen Religionszugehörigkeit aktiv geworden war, nunmehr erstmals die hier behauptete manifeste Protesthaltung beschreibt, von der – ebenso wie von den ihm angeblich seit Mai/Juni 2007 bekannten Hintergründen und Tätern des Vorfalls vom 21./22.4.2007 – bisher weder bei der eingehenden Anhörung vor dem Bundesamt der Beklagten noch im bisherigen gerichtlichen Verfahren, insbesondere in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht, die Rede war. Dies hätte aber, wenn ihn die damaligen Ereignisse innerlich bewegt bzw. zu der jetzt behaupteten manifesten Protesthaltung veranlasst hätten, nahegelegen. Gleiches gilt für die auf entsprechenden Vorhalt abgegebene Erklärung, dass er erst jetzt einen Weg gefunden habe, die beschriebenen Äußerungen ins Internet zu stellen.

Ebenfalls sind die Angaben des Klägers zu den Hintergründen des Vorfalls vom 21./22.4.2007 nicht mit den dem Gericht dazu vorliegenden Erkenntnisquellen

vgl. hierzu etwa Europäisches Zentrum für Kurdische Studien -EZKS -, Gutachten vom 17.2.2010 an VG München und vom 22.12.2007 an VG Cottbus zu Az. 5 K 622/02.A, wonach die Gutachter am 8.11.2007 zwei yezidische Mitglieder des Verwaltungsrats Mossul auch zu diesem Vorfall interviewt hatten, sowie Stellungnahme des Yezidischen Kultur-Zentrums in Celle und Umgebung e.V. vom 21.10.2008 an BAMF

in Einklang zu bringen. Nach den dortigen Erkenntnissen war Hintergrund der Ermordung der yezidischen Fabrikarbeiter am 21./22.4.2007 ein Racheakt seitens nicht näher bezeichneter muslimischer Täter für die Steinigung eines yezidischen Mädchens durch eigene yezidische Stammesangehörige, weil dieses angeblich infolge einer Beziehung zu einem muslimischen jungen Mann zum Islam übergetreten war. Für eine Beteiligung hochrangiger religiöser und politischer Funktionsträger gibt es dagegen keinerlei Anhaltspunkte.

Auch die in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat geschilderten Geschehnisse im April 2011 selbst sind wenig plausibel. Dies gilt sowohl für die Darstellung, dass der Bruder des Klägers diesen aus der Haft heraus in Deutschland soll angerufen haben können, als auch für die Darstellung, dass der Bruder des Klägers durch den kurdischen Geheimdienst selbst erfahren haben will, dass der Kläger nunmehr auf einer „roten Liste“ stehe, sowie für den Umstand, dass der Bruder des Klägers nach dessen Vortrag seitdem offenbar unbehelligt geblieben ist und sich mit diesem über Facebook austauschen kann, obwohl der Kläger die angebliche Forderung des kurdischen Geheimdienstes, er müsse „bereuen“, nach seinen eigenen Aussagen nicht erfüllt hat.

In der Gesamtbetrachtung hält der Senat den Kläger, der den Vortrag zu seinen angeblichen Nachfluchtaktivitäten in Gestalt der in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vorgetragenen Internetveröffentlichung ebenso wie etwa den in erster Instanz hinterfragten Vortrag zum Kontakt zu seinen Schwestern stets zögerlich anzupassen versuchte, ohne je präzise und plausible Erklärungen hierfür abgeben zu können, auch nach dem in der mündlichen Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindruck für unglaubwürdig.

Der Senat geht nicht davon aus, dass die vorgetragene Internetveröffentlichung erfolgt ist und die vom Kläger beschriebenen Auswirkungen hatte.

Es kann deshalb letztlich dahinstehen, unter welchen Voraussetzungen ein dementsprechend selbst geschaffener subjektiver Nachfluchtgrund i.S.d. § 28 Abs. 1 a AsylVfG im Rahmen des § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. Art. 5 QRL, insbesondere mit Blick auf das Erfordernis einer Kontinuität des Nachfluchtverhaltens im Verhältnis zu einer erkennbar bereits im Heimatland betätigten Überzeugung oder Ausrichtung für eine Regelvermutung beachtlich wäre und in welcher Form (Glaubhaftmachung oder voller Nachweis der Vorgänge im Zufluchtland) er dargelegt sein müsste

vgl. hierzu etwa Marx, AsylVfG, 7. Aufl., § 28 Rdnrn. 36, 37, 97 ff. und 119 ff. m. zahlreichen Nachweisen.

Allerdings spräche vorliegend - selbst bei Wahrunterstellung des Vortrags des Klägers – nichts für eine Verhaltens- bzw. Überzeugungskontinuität des nach eigenem Vortrag bis zur Ausreise inaktiven Klägers. Auch hat der Kläger keinerlei Beleg für die vorgetragene – und zwischenzeitlich gelöschte – Internetveröffentlichung vorgelegt oder sonst Beweis für deren Existenz angetreten.

Nach allem ist die Gefahr einer Individualverfolgung des Klägers – weder unter dem Aspekt einer Vorverfolgung noch unter dem Aspekt von Nachfluchtgründen – mit dem erforderlichen Wahrscheinlichkeitsgrad der beachtlichen Wahrscheinlichkeit gegeben.

Des Weiteren ist auch eine Gefährdung des Klägers als Angehöriger der Glaubensgemeinschaft der Yeziden unter dem Aspekt der Gruppenverfolgung zu verneinen.

Die Gefahr einer Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG kann sich nicht nur aus gegen den Betroffenen selbst gerichteten Maßnahmen (anlassgeprägte Einzelverfolgung), sondern auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen ergeben, wenn diese Dritten wegen eines relevanten Merkmals verfolgt werden, das der Flüchtling mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet (sog. Gruppenverfolgung)

hierzu etwa BVerfG, Beschluss vom 23.1.1991 - 2 BvR 902/85 u.a. -, BVerfGE 83, 216 ff.

Die Annahme einer Gruppenverfolgung setzt zunächst voraus, dass die festgestellten Maßnahmen die von ihnen Betroffenen gerade in Anknüpfung an das die verfolgte Gruppe kennzeichnende relevante Merkmal treffen. In Betracht kommt eine unmittelbare Anknüpfung an das die Verfolgung begründende - unverfügbare -Gruppenmerkmal, etwa die Volks- oder Religionszugehörigkeit, aber auch eine Verfolgung, der dieses Merkmal mittelbar zugrunde liegt.

Die Annahme einer Gruppenverfolgung setzt ferner eine bestimmte Verfolgungsdichte voraus. Der Feststellung dicht und eng gestreuter Verfolgungsschläge bedarf es allerdings dann nicht, wenn hinreichend sichere Anhaltspunkte für ein staatliches Verfolgungsprogramm bestehen, dessen Umsetzung bereits eingeleitet ist oder alsbald bevorsteht

hierzu BVerwG, Entscheidungen vom 2.2.2010 – 10 B 18.09 –, vom 18.7.2006 - 1 C 15.05 - und vom 5.7.1994 - 9 C 158.94 -, jeweils zitiert nach juris,

was vorliegend jedoch nicht der Fall ist.

Für die Feststellung der sonst erforderlichen Verfolgungsdichte ist eine so große Vielzahl von Eingriffshandlungen in nach § 60 Abs. 1 AufenthG geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne Weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht

hierzu etwa BVerwG, Entscheidungen vom 2.2.2010 - 10 B 18.09 - und vom 21.4.2009 - 10 C 11.08 -, jeweils zitiert nach juris.

Für die Beurteilung, ob die Verfolgungsdichte die Annahme einer Gruppenverfolgung rechtfertigt, müssen Intensität und Anzahl aller Verfolgungshandlungen zur Größe der Gruppe in Beziehung gesetzt werden. Allein die Feststellung „zahlreicher“ oder „häufiger“ Eingriffe reicht nicht aus. Denn eine bestimmte Anzahl von Eingriffen, die sich für eine kleine Gruppe von Verfolgten möglicherweise bereits als bedrohlich erweist, kann bei einer großen Gruppe vergleichsweise geringfügig erscheinen, weil sie in Bezug auf die Zahl der Gruppenmitglieder nicht ins Gewicht fällt und sich deshalb nicht als Bedrohung der Gruppe darstellt.

Bei der Prüfung einer Gruppenverfolgung sind die zahlenmäßigen Grundlagen der gebotenen Relationsbetrachtung zur Verfolgungsdichte nicht mit quasi naturwissenschaftlicher Genauigkeit festzustellen, sondern es genügt, die ungefähre Größenordnung der Verfolgungsschläge zu ermitteln und sie in Beziehung zur Gesamtgruppe der von Verfolgung Betroffenen zu setzen. Dabei darf bei unübersichtlicher Tatsachenlage und nur bruchstückhaften Informationen aus einem Krisengebiet auch aus einer Vielzahl vorliegender Einzelinformationen eine zusammenfassende Bewertung des ungefähren Umfangs der asylerheblichen Verfolgungsschläge und der Größe der verfolgten Gruppe erfolgen. Auch für die Annahme einer erheblichen Dunkelziffer nicht bekannter Übergriffe müssen die gerichtlichen Feststellungen zur Größenordnung der Gesamtheit der Anschläge aber in nachvollziehbarer und überprüfbarer Weise begründet werden.

Einen Verzicht auf die Quantifizierung der Verfolgungsschläge hat das Bundesverwaltungsgericht nur bei besonders kleinen Gruppen zugelassen, bei denen auch die Feststellung reichen kann, derartige Übergriffe seien „an der Tagesordnung“

hierzu etwa BVerwG, Entscheidungen vom 21.2.2009, a.a.O. und vom 23.12.2002 - 1 B 42.02 -, zu syrisch-orthodoxen Christen in Tur Abdin, zitiert nach juris.

Bei der erforderlichen wertenden Gesamtschau der Verfolgungssituation sind nur asylrechtlich beachtliche, an die Merkmale in § 60 Abs. 1 S. 1 AufenthG anknüpfende Maßnahmen zu berücksichtigen

BVerwG, Urteil vom 21.4.2009 - 10 C 11.08 -, zitiert nach juris.

Nicht einzubeziehen sind hingegen rein kriminelle Verbrechen und ungezielte terroristische Anschläge, die allein die Destabilisierung der Lage bezwecken.

Eine nach diesen Maßstäben anzunehmende Gruppenverfolgung yezidischer Religionszugehöriger im Irak i.S.d. § 60 Abs. 1 AufenthG in Verbindung mit den europarechtlichen Bestimmungen der sog. Qualifikationsrichtlinie kann weder landesweit noch bezogen auf das Herkunftsgebiet des Klägers, das Gebiet al-Sheikhan (im weiteren Sinne) in der Provinz Ninive, angenommen werden. Auch individuell gefahrerhöhende Umstände sind im Falle des Klägers nicht erkennbar.

Zur Verfolgungssituation yezidischer Religionszugehöriger im Irak hat der Senat zuletzt grundlegend in seinem Beschluss vom 26.3.2007

- 3 A 30/07 -, dokumentiert bei juris

festgestellt, dass bei einer relativierenden Betrachtung der Anzahl der Opfer der Verfolgungsschläge und des jeweiligen Anteils der yezidischen und kurdischen Bevölkerungsgruppe eine Gruppenverfolgung mangels hinreichender Verfolgungsdichte nicht zu verzeichnen ist.

Ausgehend von den damals vorliegenden Erkenntnisquellen für die Jahre 2006 und 2007 hatte der Senat damals die insoweit höchste Opferzahl nach den Feststellungen der Schweizerischen Flüchtlingshilfe von landesweit 137 zugrunde gelegt. Bezogen auf die Gesamtzahl der damals im Irak lebenden Yeziden (475.000 Personen) ergab sich eine Anschlagsdichte von 1:3467. Diese Anschlagsdichte vermochte ausgehend von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eine Regelvermutung dahingehend, dass jedes Mitglied der yezidischen Religionsgruppe verfolgt wird, nicht zu rechtfertigen.

An dieser Einschätzung hält der Senat auf der Grundlage des aktuellen Erkenntnismaterials auch für die derzeitige Situation fest. Eine Gruppenverfolgung der Yeziden im Irak ist auch gegenwärtig zu verneinen.

Der aktuelle Bevölkerungsanteil yezidischer Religionszugehöriger wird vom Auswärtigen Amt

vgl. Lagebericht Irak vom 28.11.2010

nunmehr auf etwa 200.000 Personen geschätzt. Deren Hauptsiedlungsgebiet liegt im Norden des Irak, nämlich im Sheikhan-Gebiet und im Bezirk Sindjar

hierzu etwa Bundesasylamt, Die Sicherheitslage der Jesiden im Irak vom 4.11.2009, Gesellschaft für bedrohte Völker - GBV -, Die Yeziden im Irak, vom November 2007; GIGA, Institut für Nahost-Studien Hamburg, Stellungnahme vom 2.4.2007 an VG Düsseldorf zu Az. 6 K 2171/06.A.

Etwa 75 Prozent der ethno-religiösen Minderheit der Yeziden (auch Jesiden, Yazidis, Ezidi) lebt im Sindjar, einem Gebiet 150 Kilometer von Mossul entfernt. Weitere etwa 15 Prozent leben im Sheikhan. Nur 10 Prozent der Yeziden ist in der kurdischen Autonomieregion ansässig. Eine kleine Zahl von Yeziden wohnt in anderen Teilen der „umstrittenen Gebiete“ außerhalb der Provinz Ninive. In Bagdad befindet sich ebenfalls eine kleine yezidische Gemeinde. Im Süden und im Westirak leben keine Yeziden

vgl. hierzu Bundesasylamt (Österreich), Die Sicherheitslage der Jesiden im Irak vom 4.11.2009.

Aufgrund der Arabisierungspolitik des ehemaligen Baath-Regimes wurden die Yeziden vor 2003 als Araber statt als Kurden betrachtet. Es kam damals zu Zwangsumsiedlungen und Einschränkungen der Religionsfreiheit. Mehrheitlich werden jedoch die Yeziden heute ethnisch wie sprachlich als Kurden angesehen

vgl. Bundesasylamt vom 4.11.2009, a. a.O..

Die Entwicklung der Lage in den yezidisch besiedelten Gebieten des Irak, d.h. im Wesentlichen in der Herkunftsregion des Klägers, dem Sheikhan- (oder Scheichan)gebiet, bestehend aus den Distrikten Sheikhan und al-Sheikhan sowie im Sindjar, stellt sich seit der Entscheidung des Senats vom 26.3.2007 - 3 A 30/07 - nach dem dem Senat vorliegenden Erkenntnismaterial

vgl. hierzu insbesondere Lagebericht Irak des Auswärtigen Amtes vom 28.11.2010, EZKS an VG München vom 17.2.2010, vom 26.5.2008 an VG Köln zu Az. 21 K 142/07.A u.a., vom 22.12.2007 an VG Cottbus zu Az. 5 K 622/02.A, vom 19.7.2007 an VG Gelsenkirchen zu Az. 18 K 3035/01., vom 15.7.2007 an VG Karlsruhe zu Az. 3 K 10741/04 und vom 19.3.2007 an VG Ansbach zu Az. AN 9 K 04.30815; Bundesasylamt (Österreich), Die Sicherheitslage der Jesiden im Irak vom 4.11.2009; Dulz/Siamend Hajo/Savelsberg, Die Yeziden im „neuen“ Irak 2004/2005; Gesellschaft für bedrohte Völker, Die Yeziden im Irak, November 2007; GIGA an VG Köln vom 7.9.2007 zu Az. 21 K 142/07 u.a. und vom 12.3.2007 zu Az. 18 K 2870/06, an VG Düsseldorf vom 2.4.2007 zu Az. 6 K 2171/06.A; UNHCR an VG Köln vom 9.1.2007 und vom 28.7.2007 zu Az. 21 K 142/07 u.a.; BAMF, Yeziden im Irak von Juni 2007

wie folgt dar:

Nach der irakischen Verfassung sind (formal) alle irakischen Staatsangehörigen unabhängig von der Religionszugehörigkeit gleichgestellt (Art. 7). Religionsfreiheit (Art. 2) und das Recht auf Erziehung in der eigenen Sprache (Art. 4) werden garantiert und die Yeziden werden (anders als etwa in Syrien und in der Türkei) als schützenswerte Minderheiten erwähnt

hierzu etwa EZKS vom 19.3.2007 an VG Ansbach zu Az. AN-9 K 04.30815; GBV, Die Yezidi im Irak, November 2007; Dulz/Siamend Hajo/Savelsberg, Verfolgt und umworben: Die Yeziden „im neuen Irak“, 2004/2005.

Mit Blick auf die Herrschaftsverhältnisse in den genannten Siedlungsgebieten ist zu unterscheiden: Der größte Teil des Distrikts Sheikhan wird de jure von der Provinz Dohuk (Teil der Kurdischen Regionalregierung - KRG -) verwaltet, obwohl er verwaltungstechnisch zur Provinz Ninive/Mossul gehört.

Der Distrikt al-Sheikhan hingegen gehört sowohl rechtlich als auch verwaltungstechnisch zur Provinz Ninive/Mossul, das heißt, er steht de jure unter zentralirakischer Verwaltung. Er gehört zudem zu den Gebieten, auf die die Kurden Ansprüche erheben (sogenannte „umstrittene Gebiete“) und in denen die Kurdische Regionalregierung (KRG) ein Referendum durchführen will, um die Zuordnung zur (autonomen) kurdischen Region zu erreichen. De facto steht der Großteil dieses Distrikts nach der aktuellen Erkenntnislage allerdings bereits unter kurdischer Verwaltung

vgl. hierzu etwa EZKS vom 17.2.2010, a.a.O..

Dies bedeutet, dass begrenzte Verwaltungs- bzw. Schutzaufgaben von der KRG bzw. den kurdischen Parteien KDP und PUK bereits wahrgenommen werden. Die genaue Abgrenzung der de facto kurdisch verwalteten Gebiete ist schwierig, da der dort faktisch ausgeübte kurdische Einfluss durch keine rechtlichen Bestimmungen abgesichert ist.

Die - geographische - Region Sheikhan schließt demgegenüber auch Gebiete ein, die vor verschiedenen Änderungen der Provinz- bzw. Verwaltungsdistriktsgrenzen der Regionen mit kurdischer Bevölkerungsmehrheit zum Distrikt al-Sheikhan gehörten. Dies trifft insbesondere auf die Herkunftsregion des Klägers zu, die Städte Bashika und Bahzani, die heute im südlich des Distrikts al-Sheikhan gelegenen Distrikt al-Hamdaniya liegen, früher (bis 1959) jedoch ebenfalls zu al-Sheikhan gehörten und heute faktisch unter kurdischem Einfluss stehen, aber auch auf die Stadt al-Qosch und die östlich von ihr gelegenen Gebiete, die bis 1965 zum Distrikt al-Sheikhan gehörten, ehe sie dem westlich davon gelegenen Distrikt Til-Kef zugeschlagen wurden

hierzu etwa EZKS vom 17.2.2010, vom 26.5.2008 an VG Köln und vom 22.12.2007 an VG Cottbus, jeweils a.a.O..

Die Ausgliederung der genannten Bereiche aus dem (Verwaltungs-)Distrikt al-Sheikhan war Teil der unter dem Saddam-Regime angewandten irakischen Strategie, Verwaltungseinheiten, deren Bevölkerung überwiegend kurdisch war, zu zerschlagen, indem Teile derselben überwiegend arabischen Verwaltungseinheiten angegliedert wurden. Der geographische Sheikhan ist etwa wie folgt einzugrenzen: Der westlichste Punkt ist al-Qosch, der südlichste die Stadt Bahzani. Nordöstlich von al-Qosch stellt die Provinzgrenze zu Dohuk die Grenze auch des geographischen Sheikhan dar, und im Osten verläuft die Grenze zwischen Ain Sifni (Hauptstadt des Sheikhan) und Akrah.

In der de jure kurdisch verwalteten Region kann nach den übereinstimmenden Erkenntnissen des EZKS

etwa Stellungnahme vom 17.2.2010, a.a.O.

sowie von GIGA,

Stellungnahme vom 2.4.2007, a.a.O.

aktuell keine systematische, staatlich motivierte Verfolgung von Yeziden festgestellt werden. Aus Sicht der Kurdischen Regionalregierung (KRG) sind - auch vor dem Hintergrund des geplanten Referendums über die Zuordnung der umstrittenen Gebiete - alle Yeziden Kurden. Dementsprechend werden Yeziden seitens der KRG in verschiedenen Bereichen gefördert. So gab das Ministerium für Stiftungen und Religiöse Angelegenheiten der KRG am 23.12.2009 bekannt, dass der Regionalrat mehrere yezidische Feiertage zu offiziellen Feiertagen erklärt habe, u.a. sieben Tage im Oktober für das höchste Fest der Yeziden (Cejna Cemayya), drei Tage für das Fest der vierzig Sommertage Mitte August, einen Tag für das yezidische Neujahrsfest Mitte April und einen Tag für das yezidische Fasten Mitte Dezember.

Auch von nicht-staatlicher Seite sind gewalttätige Übergriffe gegenüber Yeziden in der vorbeschriebenen, de jure kurdisch verwalteten Region zuletzt im Jahr 2007 bekannt geworden. Nach den Erkenntnissen von EZKS

vgl. EZKS vom 17.2.2010, a.a.O.

wurde im Jahr 2007 ein Hotel in Erbil angegriffen, in dem Yeziden arbeiteten. Darüber hinaus wurden in demselben Jahr yezidische Studenten aus Mossul, die in Erbil die Universität besuchten, in ihren Studentenwohnheimen angegriffen und verließen daraufhin die Stadt.

Seitdem ist die Lage in den de jure kurdisch verwalteten Gebieten nach Einschätzung von EZKS nicht nur für einfache yezidische Glaubenszugehörige, sondern auch für religiöse Würdenträger als stabil und sicher einzuschätzen. Nach den dortigen Erkenntnissen sind weder der Presse noch anderen Menschenrechtsberichten Anschläge auf yezidische Geistliche oder andere Yeziden in den de jure kurdisch verwalteten Gebieten zu entnehmen.

Allerdings wurden unabhängig von der offiziellen Anerkennung der yezidischen Religion religiöse yezidische Festlichkeiten in den Jahren 2008 und 2009 nur eingeschränkt begangen. So fand das Fest der Versammlung im Oktober 2009 zwar statt, es reisten mehr als 4 000 Yeziden aus dem Sindjar ins Lalisch-Tal, zur wichtigsten religiösen Stätte der Yeziden, die auf de jure kurdisch verwaltetem Gebiet liegt. Auf die Durchführung wesentlicher Zeremonien wurde jedoch verzichtet, um - wie ein Mitglied des geistlichen Rates der Yeziden erklärte - nicht durch ihre Ausübung zu viel Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und die Gefahr terroristischer Anschläge zu erhöhen.

Zudem können nach Angaben von EZKS Angehörige des yezidischen Glaubens auch in den de jure kurdisch verwalteten Gebieten in Einzelfällen Diskriminierungen ausgesetzt sein. Dies betreffe vor allem Yeziden, die aus der Provinz Ninive auf Arbeitssuche dorthin kämen. Yeziden würden von muslimischen Kurden in Dohuk, Erbil und Sulaimaniya herablassend behandelt und als Bürger zweiter Klasse betrachtet. Ähnliche Erfahrungen machten - in verstärkter Form - Yeziden aus dem Sindjar. Yeziden verrichteten dort - bei schlechter Bezahlung - häufig Arbeiten im Dienstleistungsgewerbe (Restaurants, Haushaltshilfen), die muslimische Kurden nicht verrichten wollten.

Der religiös-ethnisch gemischte Subdistikt Bashika (Distrikt Mossul), aus dem der Kläger stammt, gehört zu den offiziell von der KRG beanspruchten Gebieten und ist (lediglich) de facto kurdisch kontrolliert

vgl. EZKS zur Lage von Yeziden im Irak an VG München vom 17.2.2010, S. 11, 12 und vom 26.5.2008 an VG Köln, S. 8, 10.

Die de facto kurdische Verwaltung in den genannten Gebieten erfolgt Erkenntnissen des EZKS zufolge zumindest teilweise in Absprache mit der irakischen Zentralregierung. Dies betrifft etwa die grundsätzliche Präsenz von Peschmergatruppen, die auf ein explizites Ersuchen der irakischen Zentralregierung an die KRG aus dem November 2004 zurückgeht, welches die Übernahme administrativer Aufgaben, die Verantwortung für das Bildungssystem ferner die Verteilung von Lebensmittelrationen in Gebieten, zu denen die Zentralregierung keinen oder nur bedingt Zugang hat (etwa im Sindjar), betraf.

Grundsätzlich ist die Sicherheitslage in der gesamten Sheikhan-Region besser als im zweiten Hauptsiedlungsgebiet der Yeziden, dem Sindjar, was unter anderem damit zusammenhängt, dass der Sheikhanbereich eine direkte Verbindung zu den de jure kurdisch verwalteten Gebieten aufweist. Die Sicherheitslage im Sheikhan ist nach Einschätzung von EZKS als vergleichsweise stabil zu bezeichnen. Die Sicherheit wird dort ausschließlich von Peschmergakräften aufrechterhalten, während die irakische Armee im Sheikhan nicht präsent ist. Der Rückhalt der KRG ist im gesamten Sheikhan auch unter Yeziden hoch, was sich vor allem in den Wahlergebnissen der Wahlen 2005 und 2009 ausdrückt. Die ökonomische Situation im Sheikhan ist u.a. wegen der stabileren Sicherheitslage und günstigeren klimatischen Grundbedingungen im Vergleich zum Sindjar ebenfalls besser. So wurden im Sheikhan umfangreichere Maßnahmen zur Verbesserung der Infrastruktur durchgeführt als im Sindjar. Investiert wird - vor allem in den yezidischen Zentraldörfern - in den Straßenbau, aber auch in Wasserprojekte. Bezüglich der infrastrukturellen Entwicklung nimmt der Sheikhan im gesamtirakischen Vergleich Plätze im oberen Drittel ein, ohne dass allerdings die Gesamtsituation - insbesondere was die Arbeitsmarktlage angeht – als zufriedenstellend zu bezeichnen wäre. Im Sheikhan ebenso wie im Sindjar bestehen die Arbeitsmöglichkeiten für Yeziden im Wesentlichen in Anstellungen in yezidischen Kultureinrichtungen, als Parteifunktionär, bei den Peschmerga, in der lokalen Verwaltung sowie in einigen kleinen Fabriken bzw. Produktionsstätten. Eine weitere Möglichkeit besteht im Pendeln zwischen den yezidischen Zentraldörfern im Sheikhan und den Großstädten der de jure kurdisch verwalteten Region bzw. in Ain Sifni.

Für die Zeit zwischen Februar 2007 und September 2008 werden für das Sheikhan-Gebiet nur fünf registrierte Sicherheitsvorfälle genannt. Hinweise darauf, dass es in jüngerer Zeit im Sheikhan/al-Sheikhan Übergriffe sunnitischer Extremisten auf Yeziden gegeben hat, gibt es nicht. Auch zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen muslimischen und yezidischen Kurden, wie am 15. 2. 2007 in der Stadt Ain Sifni (Sheikhan) im Anschluss an einen Konflikt zwischen Eheleuten, ist es seit dieser Zeit nicht mehr gekommen

EZKS-Gutachten vom 17.2.2010, a.a.O..

Im Sheikhan/al-Sheikhan sind des weiteren auch keine Übergriffe gegenüber Yeziden dokumentiert, die politisch in Opposition zur KRG-Regierung stehen. Lediglich arabische Volkszugehörige beanstanden willkürliche Verhaftungen, Schikanen an den Checkpoints und die Einschränkung ihrer Bewegungsfreiheit.

Allerdings ist die Lage im Subdistrikt Bashika, der Herkunftsregion des Klägers

vgl. EZKS, Bericht vom 17.2.2010, a.a.O.,

deutlich fragiler als im (eigentlichen) Sheikhangebiet, was unter anderem mit der geographischen Nähe zu der Stadt Mossul zusammenhängt. Der Subdistrikt Bashika (Distrikt Mossul, Provinz Ninive) mit den Städten Bashika und Bahzani, befindet sich erst seit etwa 2009 unter vollständiger Kontrolle der kurdischen Peschmerga, die in erster Linie für die Sicherheit verantwortlich sind.

Was die Lage in Mossul selbst anbelangt, so leben dort keine Yeziden mehr, zumindest nicht in wahrnehmbarer Größenordnung. Die letzten in Mossul verbliebenen Yeziden sollen im Juni 2007 von dort nach Bashika geflohen sein. Zu diesem Zeitpunkt starben in Mossul-Stadt wöchentlich rund 40 Personen aufgrund von Anschlägen, Zivilisten und Polizisten in einem Verhältnis von 60 zu 40, unter ihnen auch Angehörige der yezidischen Minderheit

EZKS, Bericht vom 17.2.2010, a.a.O., insoweit in Übereinstimmung mit dem vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Bericht.

Ab diesem Zeitpunkt war die Provinz Ninive/Mossul zunehmend zu einem Rückzugsgebiet für sunnitische Extremisten, insbesondere von Anhängern der al-Quaida geworden. Insbesondere aber die Vielzahl unterschiedlicher Gruppierungen (irakische Armee, Peschmerga, bewaffnete arabische Stammesmilizen, christliche Bürgerwehren, terroristische Gruppierungen) waren und sind bis heute verantwortlich dafür, dass die Provinz Ninive neben Bagdad, den Provinzen Diyala, Tamim und Salah al Din zu den unruhigsten Regionen im Irak mit zahlreichen Anschlägen und vergleichsweise hohen Opferzahlen gehört.

So wurden bei dem Vorfall im April 2007, der vom Kläger als Grund für seine Ausreise angeführt wird, in Mossul 24 yezidische Fabrikarbeiter aus dem Distrikt Bashika von sunnitischen Extremisten ermordet. Dieser Angriff wird nach den Angaben von EZKS, a.a.O., allgemein als Reaktion auf die (oben bereits erwähnte) Steinigung einer jungen yezidischen Frau durch eigene Stammesangehörige interpretiert. Zudem wird von yezidischer Seite der irakischen Armee vorgeworfen, während einer Militäroperation willkürlich yezidische Häuser in Bashika überfallen und besetzt zu haben.

In den darauffolgenden Jahren 2008 und 2009 hat es nach Feststellungen von EZKS allerdings keinen „größeren“ Anschlag mehr gegen Yeziden in Bashika gegeben. Derartiges lässt sich auch anderen Quellen nicht entnehmen. Ebenso wenig wird in dem dem Senat vorliegenden Erkenntnismaterial für das Jahr 2010 bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat über Anschläge in einer nennenswerten Größenordnung in diesem Gebiet berichtet.

Auch für den Distrikt Sindjar lässt sich eine zur Bejahung der Gruppenverfolgung ausreichende Verfolgungsdichte hinsichtlich der Yeziden nicht feststellen. Im Gegensatz zum Sheikhan-Gebiet ist die Lage in dem weiteren Siedlungsgebiet der Yeziden, dem Distrikt Sindjar, dadurch geprägt, dass dieser Distrikt sich nicht direkt an die de jure kurdisch verwalteten Gebiete anschließt, sondern zwischen der syrischen Grenze und Regionen liegt, in denen sunnitische Terrorgruppen noch immer erheblichen Rückhalt haben. Die yezidischen Zentraldörfer befinden sich inmitten bzw. in unmittelbarer Nähe arabischer Dörfer, in denen unter Saddam Hussein nach der Vertreibung der yezidischen Bevölkerung loyale arabische Stämme angesiedelt wurden. Darüber hinaus hatte al-Qaida bzw. von ihr beeinflusste, sunnitisch fundamentalistische Gruppen Anfang 2007 die Lieferung von Nahrungsmitteln, Benzin und Baumaterialien in den Sindjar behindert. 2008 soll diese „Belagerung“ teilweise aufgehoben worden sein. De facto erfolgt die Versorgung mit Lebensmitteln nun über Dohuk.

Im Einzelnen liegen folgende Erkenntnisse über eine Betroffenheit von Yeziden im Sindjar vor: Nach Angaben verschiedener Quellen

u.a. Auswärtiges Amt, Lagebericht Irak vom 28.11.2010, EZKS an VG München vom 17.2.2010, a.a.O.

fand am 14.8.2007 im Sindjar-Gebiet einer der folgenschwersten Angriffe im Irak gegenüber Zivilisten statt, als vier mit Sprengstoff beladene LKWs in den am Rande des Sindjar gelegenen yezidischen Zentraldörfern al-Khataniya und al-Jazirah detonierten. Hierbei starben etwa 400 yezidische Dorfbewohner, eine vergleichbare Anzahl wurde verletzt. Hunderte von Häusern wurden völlig zerstört. Nach den Anschlägen wurden die yezidischen Zentraldörfer des Sindjars mit Sandbarrieren umgeben, um sie von den arabischen Nachbardörfern zu trennen. Kurdische Checkpoints wurden ausgebaut, Militärpatrouillen der Peschmerga verstärkt. Dennoch kam es in den Jahren 2008 und 2009 zu weiteren Anschlägen. So wurden in der ersten Jahreshälfte 2008 mindestens fünf Yeziden im Sindjar ermordet, ohne dass allerdings genauere Angaben zu den Hintergründen vorliegen.

Am 14.12.2008 tötete eine Gruppe von Bewaffneten sieben Angehörige einer yezidischen Familie in Sindjar.

Am 13.8.2009 sprengten sich zwei Selbstmordattentäter in einem belebten Teehaus in Sindjar-Stadt in die Luft. Sie töteten mindestens 21 Menschen und verletzten 32 weitere. In dem Teehaus trafen sich vor allem yezidische Jugendliche und junge Männer. Dieser Anschlag wird von Yeziden als religiös motiviert interpretiert. Als Urheber werden sunnitische Terrorgruppen vermutet.

Nachdem sich die US-Truppen aufgrund einer entsprechenden Vereinbarung mit der irakischen Zentralregierung am 30.6.2009 aus der Ninive-Ebene zurückzogen, kam es innerhalb kurzer Zeit zu einem dramatischen Anstieg von Übergriffen gegenüber Christen, Schabak und Yeziden. Insgesamt starben über 137 Personen bei Angriffen, etwa 500 Menschen wurden verletzt, ohne dass aber eine eindeutige Zuordnung zu den betroffenen Religionsgruppen feststellbar wäre

vgl. hierzu EZKS vom 17.2.2010, a.a.O..

Aus Sicht des EZKS im o.g. Gutachten ist die Lage im Sindjar noch immer risikobehaftet. Trotz der Peschmergapräsenz könne es zu massiven Anschlägen kommen. Auch das Leben in den - ethnisch homogenen - yezidischen Zentraldörfern bietet nach Einschätzung der Organisation, wie der o.g. Anschlag vom August 2007 zeige, keine unbedingte Sicherheitsgarantie. Fahrten zur Arbeit durch dieses Gebiet gelten als risikoreich. Gefährdet seien dort ferner diejenigen Mitglieder von Scheich- bzw. Pirfamilien, die religiöse Aufgaben für die an unterschiedlichen Orten lebenden Muriden (Laien) wahrnehmen, insbesondere wenn sie aufgrund traditioneller Bekleidung als yezidische Würdenträger erkennbar seien. Darüber hinaus stellt EZKS ein Gefährdungspotential für yezidische Aktivisten im Sindjar fest, die offen gegen die Politik der KRG Stellung beziehen. Die Organisation benennt etwa für das Jahr 2007 die Festnahme und Folter von zwei yezidischen Oppositionellen durch den kurdischen Geheimdienst und zwei ähnliche Fälle aus November/Dezember 2008.

vgl. hierzu EZKS vom 17.2.2010, a.a.O..

In wirtschaftlicher und infrastruktureller Hinsicht gehört der Sindjar nach Feststellungen von EZKS im o.g. Gutachten zu den unterentwickeltesten Distrikten im gesamten Irak.

Was die Möglichkeit von Yeziden anbelangt, sich in Gebieten jenseits der eigenen Siedlungsgebiete und Herkunftsorte anzusiedeln, ist nach Feststellungen von EZKS bis heute keine Zuwanderung größeren Ausmaßes von yezidischen Familien in irakische oder irakisch-kurdische Städte zu beobachten. Die große Mehrheit der yezidischen Familien aus den Zentraldörfern im Sindjar und Sheikhan ist dort geblieben, da sich die zumeist sehr kinderreichen Familien das Leben, insbesondere die Mieten in den Städten der KRG-Region nicht leisten können und die - in der Regel schlecht bzw. nicht ausgebildeten - Familienoberhäupter aus den yezidischen Zentraldörfern oft nur schlecht bezahlte Arbeitsstellen erhalten.

Im Übrigen soll nach Angaben von EZKS,

vgl. hierzu EZKS vom 17.2.2010, a.a.O.

die KRG oftmals (zuzugswilligen) Yeziden aus den umstrittenen Gebieten die Registrierung in der de jure kurdisch verwalteten Region und damit den Bezug der subventionierten Lebensmittelrationen vorenthalten. Hintergrund hierfür sei, dass die Registrierung für den Bezug von Lebensmittelrationen zugleich Grundlage für die Zulassung zu den Wahlen in einer bestimmten Provinz sei. Die KRG habe daher kein Interesse daran, dass Kurden und auch Yeziden die „umstrittenen Gebiete“ verließen. Vielmehr solle der Anteil der Kurden dort so hoch wie möglich gehalten werden, da davon ausgegangen werde, dass diese im Fall des geplanten Referendums für die Zuordnung dieser Gebiete zur kurdischen Region stimmen werden.

Hinsichtlich der Schutzwilligkeit und -Fähigkeit irakischer Stellen hat nach Einschätzung von EZKS die KRG durchaus ein Interesse, Yeziden in den „umstrittenen Gebieten“ Sindjar, Sheikhan/al-Sheikhan und im Subdistrikt Bashika durch ihre Sicherheitskräfte zu schützen. Keinerlei nennenswerten Schutz können die Peschmerga allerdings in der Stadt Mossul selbst bieten.

Ausgehend von diesen Tatsachenfeststellungen kann eine Gruppenverfolgung von Yeziden im Irak weder landesweit noch regional mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit angenommen werden.

Dies gilt auch und gerade mit Blick auf das Erfordernis der Verfolgungsdichte. Wie dargelegt, leben nach den aktuellen Schätzungen des Auswärtigen Amtes

vgl. Lagebericht Irak vom 28.11.2010,

denen keine durchgreifenden abweichenden Erkenntnisse anderer Quellen entgegenstehen, von ursprünglich etwa 600.000 Yeziden derzeit noch etwa 200.000 im Irak.

Stellt man dieser Zahl die nach 2007 - selbst unter Einrechnung einer Dunkelziffer - erheblich unter 1000 liegende Zahl dokumentierter, Yeziden betreffender Eingriffe gegenüber, so bleiben weitaus mehr als 99 % der Yeziden von relevanten Verfolgungshandlungen verschont.

Wie bereits dargelegt, war der Senat in seiner Entscheidung vom 26.3.2007 - 3 A 30/07 - für den Gesamtirak von einer Zahl von 137 gegen Yeziden gerichteten Verfolgungshandlungen ausgegangen. Hinzuzurechnen sind für das Jahr 2007 die in der damaligen Entscheidung noch nicht berücksichtigten gewalttätigen Übergriffe auf kurdisch-yezidische Einrichtungen, Privathäuser, Geschäfte und Personen vom 15.2.2007, die erst mit Hilfe kurdischer Sicherheitskräfte unter Kontrolle gebracht werden konnten

hierzu EZKS vom 26.5.2008 an VG Köln, S. 15; Gesellschaft für bedrohte Völker - GBV -, Die Yeziden im Irak von November 2007, S. 6,

ferner die Ermordung von 24 yezidischen Fabrikarbeitern aus dem Distrikt Bashika im April 2007 in Mossul durch sunnitische Extremisten, die als Vergeltung seitens islamischer Extremisten für den sog. Ehrenmord an einer angeblich zum Islam übergetretenen yezidischen jungen Frau durch Yeziden gewertet wird

hierzu EZKS, a.a.O., S. 28; GIGA, Gutachten vom 7.9.2007, a.a.O., S. 13; FAZ vom 16.8.2007, S. 2; NZZ vom 16.8.2007, S. 1,

die Tötung eines yezidischen Bäckers und drei seiner Angestellten in Mossul am 26.4.2007 sowie ebenfalls in Mossul die Ermordung dreier yezidischer Polizisten

vgl. EZKS vom 15.7.2007 an VG Karlsruhe zu Az. 3 K 10741/04,

ein Anschlag am 23.4.2007 in Telleskuf/Provinz Ninive - ohne Opfer -, die Tötung eines Yeziden durch Terroristen am 4.6.2007, die Entführung und Ermordung zweier Yeziden aus Bashika am 3.7.2007

vgl. hierzu GBV, Die Yezidi im Irak von November 2007, S. 7,

sowie die Bombenanschläge an drei Orten im Sindjar-Gebiet im August 2007 mit etwa 400 Toten und einer vergleichbaren Anzahl von Verletzten

hierzu etwa Auswärtiges Amt, Lagebericht Irak vom 28.11.2010, S. 27; FAZ vom 16.8.2008, S. 1; SZ vom 16.8.2007, S. 1 und 8; FR vom 16.8.2007, S. 8, 9; Die Welt vom 16.8.2007.

Bekannt wurde ferner die Steinigung zweier yezidischer Männer am 14.8.2007 in Kirkuk

hierzu SZ vom 16.8.2007, S. 8.

Am 3.11.2008 wurde ein yezidisches Ehepaar westlich von Mossul von unbekannten Tätern erdrosselt aufgefunden. Am 7.12.2008 wurden im Norden Mossuls zwei Yeziden in einem Laden, in dem Alkohol zum Verkauf angeboten wurde, erschossen. Im März 2009 wurden zwei yezidische Männer nahe Mossul tot aufgefunden

hierzu EZKS vom 17.2.2010 an VG Köln.

Das Bundesasylamt berichtet von der Erschießung einer siebenköpfigen yezidischen Familie durch Terroristen sowie von einem Bombenanschlag in der Stadt Sindjar zum Jahresende 2008 mit mehreren Toten und mehr als 40 Verletzten

vgl. Bundesasylamt, Die Sicherheitslage der Jesiden im Irak vom 4.11.2009, S. 8.

Nach Angaben des Auswärtigen Amtes

vgl. Lagebericht Irak vom 28.11.2010

kommt es zwar zu sporadischen Angriffen von Peschmergaeinheiten auf yezidische Dörfer. Hintergründe oder sonstige nähere Angaben hierzu werden aber nicht festgestellt. Als einzigen konkreten Vorfall aus jüngerer Zeit benennt das Auswärtige Amt den Bombenanschlag am 13.8.2009 auf ein Café in Sindjar (Stadt), bei dem 21 Yeziden ums Leben kamen.

Das Bundesasylamt (Österreich) weist ferner unter Berufung auf die International Crisis Group darauf hin, dass es auch im September 2009 zu einer Reihe von Anschlägen gegen die Minderheiten in der Provinz Ninive gekommen sei, zudem sei laut einer Meldung vom 2.10.2009 das Haus eines Anführers der Yeziden (eines Colonels der Polizei) in Mossul in die Luft gesprengt worden

hierzu Bundesasylamt vom 4.11.2009, a.a.O., S. 8.

Weitere Erkenntnisse, die konkret auf Yeziden bezogene signifikante Vorfälle und Zahlen aus den Jahren 2010 und 2011 betreffen, liegen dem Senat weder für die genannten Hauptsiedlungsgebiete der Yeziden im Nordirak noch für andere Landesteile des Irak vor

vgl. EZKS vom 17.2.2010 an VG München, a.a.O., GIGA, Stellungnahme an VG Düsseldorf vom 2.4.2007, a.a.O..

Sie lassen sich insbesondere auch nicht den Registrierungen der als zuverlässig und präzise einzuschätzenden (Menschenrechts)Organisation des Iraq Body Count,

vgl. hierzu etwa BAMF, Irak - Zur Gefährdung der Zivilbevölkerung durch bewaffnete Konflikte, Juni 2011 und Januar 2010

entnehmen.

Bei dieser Erkenntnislage bleibt die Zahl der bekannt gewordenen Vorfälle selbst bei Einrechnung einer angemessenen Dunkelziffer sowie Unterstellung einer entsprechenden abschiebungsrechtlichen Verfolgungsrelevanz im Sinne der Art. 9 und 10 der Qualifikationsrichtlinie in allen genannten Fällen in erheblichem Abstand zur kritischen Verfolgungsdichte. Die bekannt gewordenen Vorfälle sind nicht geeignet, eine landesweite oder territorial eingegrenzte Verfolgung der Yeziden als religiöser Gruppe zu belegen, und zwar weder in einem der Hauptsiedlungsgebiete der Yeziden im Nordirak noch im konkreten Herkunftsgebiet des Klägers.

Zwar sind über die genannten Zahlen von Toten und Verletzten hinaus auch weitere Maßnahmen und Handlungen zu berücksichtigen, sofern sie als i.S.d. § 60 Abs. 1 i.V.m. Art. 10 Abs. 1 lit. b Qualifikationsrichtlinie relevante Eingriffe in die Freiheit der Religionsausübung zu werten sind

vgl. hierzu auch Urteile des BVerwG vom 5.3.2009 - 10 C 51.07 -, vom 10.1.2004 - 1 C 9.03 - und vom 24.5.2000 - 9 C 34.99 -, jeweils zitiert nach juris; siehe in diesem Zusammenhang auch EGMR, Urteil vom 10.11.2005 - Nr. 44744/98 -.

Für die Frage einer Gruppenverfolgung von Yeziden in der Herkunftsregion des Klägers, der selbst keine ihn individuell betreffende Maßnahme hinsichtlich der Freiheit seiner Religionsausübung, sondern nur eine aus Einzelereignissen abgeleitete allgemeine Furcht, als Yezide möglicherweise künftig Verfolgungsgefahren ausgesetzt zu sein, benannt hat, folgt hieraus jedoch nichts anderes.

Der von § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. den Bestimmungen der Qualifikationsrichtlinie geschützte Bereich umfasst die Religion als Glauben, als Identität und Lebensform. Nach Art. 10 Abs. 1 lit. b) QRL umfasst der Begriff der Religion insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme bzw. Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder der Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind. Der unverzichtbare bzw. unentziehbare Kern der Privatsphäre des Gläubigen („religiöses Existenzminimum“) erfasst die religiöse Überzeugung als solche sowie die Religionsausübung abseits der Öffentlichkeit und in persönlicher Gemeinschaft mit anderen Gläubigen dort, wo man sich nach Treu und Glauben unter sich wissen darf („forum internum“)

vgl. hierzu bereits BVerfG, Beschluss vom 10.11.1989 - 2 BvR 403, 1501/84, E 81, 58 ff. (S. 66).

Inwieweit unter Geltung der Qualifikationsrichtlinie die Religionsausübung in der Öffentlichkeit geschützt wird und welche Qualität bzw. Intensität eventuelle Eingriffe mit Blick auf die Verknüpfung der Verfolgungsgründe in Art. 10 QRL mit den Verfolgungshandlungen des Art. 9 QRL aufweisen müssen, um als relevant zu gelten

vgl. Vorabentscheidungsersuchen des BVerwG an den EuGH, Beschlüsse vom 9.12.2010 - 10 C 19.09 - und - 10 C 21.09 -, betreffend Ahmadiyya aus Pakistan, zitiert nach juris,

kann vorliegend offenbleiben.

Denn über die vorgenannten Opferzahlen an Toten und Verletzten hinausgehende, i.S.d. § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. den Art. 10, 9 QRL relevante Eingriffe in die Religionsfreiheit können für die Herkunftsregion des Klägers als zumutbarer Rückkehrort nicht festgestellt werden.

Zwar ist

ausweislich der Stellungnahme des EZKS vom 17.2.2010, a.a.O., S. 24 f.,

davon auszugehen, dass Yeziden oftmals herablassend bzw. als Bürger zweiter Klasse behandelt werden, was sich etwa auf dem Arbeitsmarkt oder beim Wiederaufbau zerstörter Dörfer auswirkt. Gezielte, in die freie Religionsausübung als solche eingreifende relevante Handlungen sind in der erforderlichen Gefahrendichte aber weder für den Distrikt Sheikhan (im weiteren Sinne) noch für die weiteren Siedlungsgebiete der Yeziden festzustellen. Vielmehr führt das EZKS aus, dass im Sheikhan, und auch in den yezidischen Zentraldörfern im Sindjargebiet Maßnahmen zur Verbesserung auch der religiösen Infrastruktur ergriffen werden. Danach verfügt zur Zeit jedes größere yezidische Zentraldorf über einen eigens für die yezidische Gemeinschaft errichteten Veranstaltungssaal, ein yezidischer Schrein in Beristek sei zwischenzeitlich renoviert worden.

Hiervon Abweichendes ist auch nicht aus anderen genannten Erkenntnisquellen abzuleiten.

Da Yeziden ihrem Glaubensinhalt nach ihre Religion im Übrigen auch abseits der Öffentlichkeit ausüben dürfen

vgl. BAMF, Yeziden im Irak, vom Juni 2007, S. 2; GIGA an VG Düsseldorf vom 2.4.2007, a.a.O.

und zum anderen - wie dargelegt - in dem Gebiet Sheikhan/al Sheikhan und so auch im Herkunftsgebiet des Klägers, Bashika/Bahzani, sowie im Sindjar Yeziden für die Ausübung ihrer Religion sogar Stätten (yezidische Kulturzentren) eingerichtet wurden

vgl. hierzu etwa EZKS an VG Ansbach zu Az. A 9 K 04.30815 vom 19.3.2007, das von 10 Kultur- bzw. Gemeindezentren in den Hauptsiedlungsgebieten sowie von weiteren geplanten 4 Zentren allein im Sindjar berichtet,

sind vorliegend weitere nach § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. den Art. 10, 9 QRL relevante Eingriffe in die Religionsfreiheit nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit festzustellen.

Die Einschätzung des Senats steht im Übrigen in Einklang mit der Stellungnahme

GIGA an VG Düsseldorf vom 2.4.2007, a.a.O.,

wonach etwaige Gewaltmaßnahmen, die Yeziden betreffen, sich nicht etwa auf die eigentliche Ausübung religiöser Betätigungen beziehen, sondern schlicht auf die sozial mitgeteilte Zugehörigkeit zur Gruppe der „Nicht-Muslime“.

Eine dem Kläger mit Blick auf seine yezidische Religionszugehörigkeit drohende, im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG relevante Gefährdung ist daher nicht anzunehmen.

Dieses Ergebnis steht im Einklang mit der Rechtsprechung anderer Obergerichte, die ebenfalls eine landesweite oder regionale Gruppenverfolgung von Yeziden im Irak verneinen

vgl. etwa BayVGH, Beschlüsse vom 27.6.2011 - 20 ZB 11.30204 -, 10.6.2011 - 20 ZB 11.30198 -, betreffend die Region Mossul/Ninive, vom 3.5.2011 - 20 ZB 1130118 - und vom 28.12.2010 - 13 q ZB 10.30400 -; OVG Münster, Entscheidungen vom 28.3.2011 - 9 A 2563/10.A – und vom 22.10.2010 - 9 A 3287/07.A -, vom 19.3.2007 - 9 LB 373/06 - und 9 LB 380/06; VGH Mannheim, Urteil vom 16.11.2006 - A 2 S 1150/04 -, jeweils zitiert nach juris.

Des Eingehens auf die von dem Kläger ursprünglich problematisierte Frage einer inländischen Schutzalternative in Dohuk, dem Wohnort seiner Schwestern, bedarf es vor diesem Hintergrund nicht.

II.

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die hilfsweise begehrte Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG

zur Prüfungsfolge von unionsrechtlichem und nationalem Abschiebungsschutz etwa BVerwG, Urteil vom 29.6.2010 - 10 C 10.09 -, zitiert nach juris.

Konkrete Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 (konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung) und nach § 60 Abs. 3 AufenthG (Gefahr der Todesstrafe aufgrund einer von dem Schutzsuchenden begangenen Straftat) sind weder vom Kläger vorgetragen noch sonst ersichtlich.

Auch die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG liegen im Falle des Klägers nicht vor.

Nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist.

Die von dem Kläger in seiner Berufungsbegründung angesprochenen Zweifelsfragen zur Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG und des Art. 15 lit. c QRL, insbesondere des Verständnisses des von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG verwendeten Begriffs der „erheblichen individuellen Gefahr für Leib und Leben“ sowie des Begriffs der „ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit“ im Sinne des Art. 15 lit. c der Richtlinie 2004/83/EG - QRL - sind durch die Urteile des Bundesverwaltungsgerichts

vom 24.6.2008 - 10 C 43.07 -, BVerwGE 131, 198 und vom 14.7.2009 - 10 C 9.08 -, juris,

sowie durch Urteil des Europäischen Gerichtshofs

vom 17.2.2009 - C-465/07 -, EuGRZ 2009, 111

hinreichend geklärt. Die Frage, ob § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG auch bei Vorliegen der Voraussetzungen des subsidiären Schutzes nach Art. 15 lit. c der Richtlinie eine Sperrwirkung entfaltet, ist durch das o.g. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 24.6.2008 ebenfalls geklärt.

Nach dem vorgenannten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 14.7.2009, a.a.O., kann sich eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG, die zugleich die entsprechenden Voraussetzungen des Art. 15 lit. c der Richtlinie 2004/83/EG erfüllt, auch aus einer allgemeinen Gefahr für eine Vielzahl von Zivilpersonen im Rahmen eines innerstaatlichen oder internationalen bewaffneten Konflikts ergeben, wenn sich die Gefahr in der Person des Ausländers verdichtet. Eine derartige Individualisierung der allgemeinen Gefahr kann sich aus gefahrerhöhenden Umständen in der Person des Ausländers ergeben. Sie kann aber unabhängig davon ausnahmsweise auch bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre.

Der Begriff des internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts in § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ist dabei unter Berücksichtigung des humanitären Völkerrechts auszulegen. Danach müssen die Kampfhandlungen von einer Qualität sein, wie sie u.a. für Bürgerkriegssituationen kennzeichnend sind, und über innere Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und ähnliche Handlungen hinausgehen. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konflikts im Sinne von Art. 15 lit. c QRL nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen, wofür Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfe typische Beispiele sind. Ein solcher innerstaatlicher bewaffneter Konflikt muss sich dabei nicht auf das gesamte Staatsgebiet erstrecken

vgl. BVerwG, Urteil vom 24.6.2008 - 10 C 43.07 -, a.a.O..

Besteht ein bewaffneter Konflikt mit der beschriebenen Gefahrendichte nicht landesweit, kommt eine individuelle Bedrohung allerdings in der Regel nur in Betracht, wenn der Konflikt sich auf die Herkunftsregion des Antragstellers erstreckt, in die er typischerweise zurückkehren wird, den „tatsächlichen Zielort“ des Ausländers bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat

vgl. EuGH, Urteil vom 17.2.2009, a.a.O..

Auf einen bewaffneten Konflikt außerhalb der Herkunftsregion des Ausländers kann es nur ausnahmsweise ankommen. Nach Art. 2 lit. e QRL muss der Ausländer bei einem regional begrenzten Konflikt außerhalb seiner Herkunftsregion stichhaltige Gründe dafür vorbringen, dass für ihn eine Rückkehr in seine Herkunftsregion ausscheidet und nur eine Rückkehr gerade in die Gefahrenzone in Betracht kommt.

Gemessen an diesen Maßstäben kann für den Kläger keine erhebliche individuelle Gefahr für Leib oder Leben infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines bewaffneten innerstaatlichen oder internationalen Konflikts im Irak bzw. in dessen Teilen festgestellt werden. Nach dem auch hier anzuwendenden Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit sind die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG vielmehr zu verneinen.

Ob die aktuelle allgemeine Lage im Irak und insbesondere in der Herkunftsregion des Klägers in der Provinz Ninive und dort im Subdistrikt Bashika/Bahzani, überhaupt die Annahme eines innerstaatlichen oder auch nur regionalen bewaffneten Konflikts im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG rechtfertigen kann, kann offenbleiben

ebenso offen gelassen zum landesweiten Konflikt im Irak etwa OVG Münster, Urteil vom 29.10.2010 - 9 A 3642/06.A -, VGH München, Urteil vom 24.3.2011 - 20 B 10.30033 -, und VGH Mannheim, Urteil vom 12.8.2010 - A 2 S 1134/10 -, zitiert nach juris, sowie im Urteil des Senats vom 1.6.2011 – 3 A 429/08 -, dokumentiert bei juris.

Denn jedenfalls fehlt es vorliegend an der geforderten erheblichen individuellen Gefahr für Leib und Leben des Klägers als Angehöriger der Zivilbevölkerung.

Auf die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 QRL kann sich der Kläger nicht berufen. Dies gilt sowohl mit Blick auf seine yezidische Religionszugehörigkeit, als auch unter dem Aspekt der zuletzt von ihm geltend gemachten Nachfluchtaktivitäten, als auch hinsichtlich der von ihm selbst nur am Rande angesprochenen früheren Mitgliedschaft eines Onkels in der Baath-Partei. Insoweit kann vollumfänglich auf die diesbezüglichen Ausführungen im Rahmen des § 60 Abs. 1 AufenthG verwiesen werden.

Darüber hinaus ist auch der erforderliche Zusammenhang zwischen der geltend gemachten (Vor-)Verfolgung und dem künftig befürchteten Schaden sowie dem Zweck des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG, den Schutz des Betroffenen vor Gefahren im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts sicherzustellen, nicht erkennbar.

Wie der Senat bereits in seinen Urteilen vom 1.6.2011

3 A 429/08 – und 3 A 451/08 - , jeweils dokumentiert bei juris

im Einzelnen dargelegt hat, ist nach den vorliegenden Erkenntnissen zwar von einer immer noch instabilen Sicherheitslage im Irak auszugehen, jedoch ist gegenüber früheren Jahren eine fortschreitende Stabilisierung zu verzeichnen und weisen die vorliegenden Erkenntnisse insgesamt in eine positive Richtung

hierzu etwa BAMF, Dokumentation Irak, Zur Gefährdung der Zivilbevölkerung durch bewaffnete Konflikte, Januar 2010; BAMF, Briefing Notes vom 27.12.2010; Schweizerischen Flüchtlingshilfe (im Folgenden SFH) Irak: Die aktuelle Entwicklung im Zentral- und Südirak - Update vom 5.11.2009 -; UNHCR, Positionspapier zum Schutzbedarf irakischer Asylbewerber und zu den Möglichkeiten der Rückkehr irakischer Staatsangehöriger in Sicherheit und Würde vom 13.5.2009 und Stellungnahme vom 16.9.2009 an den Hessischen VGH; ai-Report 2010, Zur weltweiten Lage der Menschenrechte.

Auf die diesbezüglichen Darlegungen in den genannten Urteilen des Senats vom 1.6.2011 wird vollinhaltlich Bezug genommen.

Auch nach der Auswertung neueren Erkenntnismaterials

hierzu etwa BAMF, Irak - Die Gefährdung der Zivilbevölkerung durch bewaffnete Konflikte, Juni 2011, Auswärtiges Amt, Lagebericht Irak vom 28.11.2010, Reisewarnung, Stand: 22.6.2011, taz 5.5.2011.

geht von der allgemeinen Lage im Irak zwar nach wie vor eine Gefahr aus, die neben den Angehörigen spezieller Personengruppen, so insbesondere von Regierungs-, Streit- und Sicherheitskräften auch eine Vielzahl von Zivilpersonen ohne eindeutige Zuordnung betrifft und damit eine Gefahr darstellt, der letztlich die gesamte Bevölkerung im Irak allgemein ausgesetzt ist.

Jedoch kann die für die Schutzgewährung nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG erforderliche erhebliche individuelle Gefahr erst dann bejaht werden, wenn sich allgemeine Gefahren eines Konflikts mit der Folge einer ernsthaften individuellen bzw. persönlichen Betroffenheit aller Bewohner der maßgeblichen Region verdichten oder sich für den Einzelnen durch individuelle gefahrerhöhende Umstände zuspitzen. Solche individuellen gefahrerhöhenden Umstände können sich nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch aus einer Gruppenzugehörigkeit ergeben. Dies setzt aber eine solche Gefahrendichte voraus, dass ein in sein Heimatland zurückkehrender Ausländer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit befürchten muss, gezielt oder auch zufällig selbst Opfer eines Terroranschlages zu werden oder infolge stattfindender Kampfhandlungen am Leben oder seiner körperlichen Unversehrtheit beschädigt zu werden

vgl. BVerwG, Urteil vom 24.6.2008 - 10 C 43.07 -, a.a.O.; OVG Münster, Urteil vom 29.10.2010, a.a.O..

Dies kann vorliegend nach den vorstehenden Darlegungen nicht angenommen werden.

Zur allgemeinen Gefahrendichte insbesondere für die Jahre 2010 und 2011 kann im Einzelnen auf die Ausführungen in den Urteilen des Senats vom 1.6.2011

3 A 429/08 – und 3 A 451/08 - , jeweils dokumentiert bei juris

verwiesen werden.

Den Lageberichten des Auswärtigen Amtes

vom 11.4.2010 und vom 28.11.2010,

zufolge wird die Gesamtbevölkerung Iraks auf etwa 32,3 Mio. Menschen geschätzt.

Die Gesamtopferzahlen im Jahr 2010 mit 4028 Opfern

vgl. BAMF, Zur Gefährdung der Zivilbevölkerung durch bewaffnete Konflikte, Januar 2010; Bundesasylamt (Österreich), Bericht Irak, Die Sicherheitslage in Bagdad vom 26.1.2011

ebenso wie die Gesamtopferzahlen bis Mai 2011 mit mindestens 1033 Toten

vgl. BAMF Zur Gefährdung der Zivilbevölkerung im Irak, Juni 2011,

die sich bis zum hier maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt auf vergleichbarem Niveau fortgesetzt haben, verdeutlichen, dass eine Gefährdungslage für den Kläger in dem Sinne, dass er als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib und Leben im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG (i.V.m. Art. 15 c QRL) im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt wäre, zu verneinen ist. Angesichts der Relation der Opferzahlen zur Gesamtbevölkerung ist nicht mit dem hier erforderlichen Grad der beachtlichen Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass die Gefahrendichte im Irak derart hoch ist, dass praktisch jede Zivilperson alleine aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre.

Die Zugehörigkeit des Klägers zur Religionsgemeinschaft der Yeziden wirkt sich - jedenfalls bezogen auf die nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vorrangig in den Blick zu nehmende Herkunftsregion – ebenfalls nicht gefahrerhöhend aus. Insoweit kann vollumfänglich auf die Ausführungen zur Frage einer Gruppenverfolgung von Yeziden im Irak im Rahmen des § 60 Abs.1 AufenthG Bezug genommen werden. Dies gilt auch hinsichtlich der Feststellungen zur Gefährdungslage in der Herkunftsprovinz Ninive und dem Gebiet Sheikhan im weiteren Sinne.

Hinsichtlich der erstinstanzlich am Rande behaupteten ehemaligen Mitgliedschaft des (bereits 1970 getöteten) Onkels des Klägers in der Baath-Partei ist – wie bereits dargelegt - eine eventuell daraus resultierende Gefährdung als Familienmitglied ebenfalls nicht plausibel.

III.

Auch nationale Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen in der Person des Klägers nicht vor.

Durchgreifende Anhaltspunkte dafür, dass eine Abschiebung des Klägers nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten unzulässig ist, sind nicht ersichtlich.

Dem Kläger drohen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit auch keine Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Dies gilt insbesondere mit Blick auf die allgemeine Versorgungslage.

Ausgehend von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts fallen die schwierigen Existenzbedingungen einer Vielzahl von Irakern, insbesondere hinsichtlich der Erlangung eines Arbeitsplatzes und der Sicherstellung allgemeiner und medizinischer Versorgung, die aus den vorstehend genannten Erkenntnisquellen hervorgehen, auch wenn sie den einzelnen Ausländer in individualisierbarer Weise betreffen sollten, hinsichtlich des Vorliegens der tatbestandlichen Voraussetzungen prinzipiell nicht in die Entscheidungszuständigkeit des Bundesamtes. Bei derartigen – auch erheblichen – Gefährdungen ist die Anwendbarkeit des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG durch Satz 3 der Vorschrift „gesperrt“, wenn diese Gefahren zugleich einer Vielzahl anderer Personen im Abschiebezielstaat drohen

hierzu BVerwG, Entscheidungen vom 14.11.2007 - 10 B 47.07 - u.a.; vom 23.8.2006 - 1 B 60.06 -, Urteil vom 8.112.1998 - 9 C 4.98 - u.a., sowie grundlegend bereits BVerwG, Urteil vom 17.10.1995 - 9 C 9.95 -, NVwZ 1996, 199 zu der nahezu wortgleichen Bestimmung des § 53 Abs. 6 AuslG, zitiert nach juris.

Fehlt in einem solchen Fall eine Entscheidung nach § 60 a Abs. 1 AufenthG, ist aus verfassungsrechtlichen Gründen nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eine Einzelfallentscheidung nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AuslG mit Blick auf Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nur dann ausnahmsweise zulässig und geboten, wenn die obersten Behörden der Bundesländer trotz einer - landesweiten - extremen Gefahrenlage von ihrer Ermessensermächtigung aus § 60 a AufenthG keinen Gebrauch gemacht haben (sog. „verfassungskonforme Überwindung der Sperrwirkung“)

vgl. auch hier BVerwG, Entscheidungen vom 29.6.2010 - 10 C 9.09 und 10 C 10.09 - und vom 14.11.2007 - 10 B 47.07 -, zitiert nach juris.

Eine derartige landesweite Extremgefahr hat der Senat zuletzt in seinen Urteilen vom 1.6.2011, a.a.O., verneint. Eine durchgreifende Änderung ist seitdem nicht erkennbar. Derartiges wird von dem Kläger auch nicht vorgetragen.

Zwar ergibt sich aus der Auskunftslage,

vgl. hierzu Auswärtiges Amt, Lagebericht Irak vom 28.11.2010; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Irak: Die aktuelle Entwicklung im Zentral- und Südirak vom 5.11.2009, UNHCR an Hess.VGH vom 16.9.2009

dass sich im Irak Einschränkungen beim Zugang zu Lebensmitteln, Unterkunft, Grundversorgungsdienstleistungen (wie Wasser, Strom), Einkommen, Beschäftigung, medizinischer Versorgung und Bildung feststellen lassen, die nach Einschätzung des UNHCR dazu führen, dass ein relativ normales Leben ohne Härten nicht geführt werden kann. Das 1995 eingeführte System zur Verteilung von Nahrungsmitteln (Public Distribution System) hat sich seit 2003 verschlechtert, viele Menschen erhalten nicht die festgelegte Ration, die Qualität der Nahrungsmittel ist oft minderwertig, auch kann es zu Schwierigkeiten bei der Erneuerung der Lebensmittelkarten kommen. Indes sind durchgreifende Anhaltspunkte für i.S.d. § 60 Abs. 7 S. 1 relevante Gefahren wie eine drohende Nahrungsmittelknappheit oder eine bevorstehende Hungerkatastrophe nicht zu verzeichnen. Weiterhin fließen internationale Hilfsgelder in den Irak und werden vom Handelsministerium Lebensmittel verteilt. Zudem versucht die irakische Regierung finanzielle Anreize zu gewähren, um ins Ausland geflohene Iraker zu einer Rückkehr zu bewegen. Bis Ende 2008 sind 40.060 Familien in den Irak zurückgekehrt. Im Jahr 2010 kehrten 118.890 Flüchtlinge und Binnenflüchtlinge in den Irak bzw. an ihre Heimatorte zurück. Dies waren zwar 40 % weniger als im Jahr 2009, belegt jedoch einen insgesamt aufstrebenden Rückkehrwillen

vgl. zu letzterem UNHCR: Iraq Refuges Returns fell from in 2010 vom 28.1.2011.

Ein Abschiebungsverbot im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG kann daher nach allem nicht angenommen werden.

Dies gilt - in Übereinstimmung mit anderer obergerichtlicher Rechtsprechung -

vgl. etwa OVG Münster, Beschluss vom 22.10.2010 - 9 A 3287/07.A -

auch für Yeziden im Nordirak. Insoweit kann insbesondere auch auf die Ausführungen zu der im Vergleich zu anderen Teilen des Irak besseren infrastrukturellen Entwicklung im Sheikhan-Gebiet im weiteren Sinne verwiesen werden.

Die Berufung des Klägers ist nach allem zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 83 b AsylVfG.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Satz 1 ZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht gegeben sind.

Gründe

Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Der Bescheid der Beklagten vom 22.1.2008 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO).

Dem Kläger steht nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) kein Anspruch auf Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG zu. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor.

I.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. § 3 Abs. 3 AsylVfG.

Die von dem Kläger begehrte Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. § 3 Abs. 3 AsylVfG ist abzulehnen, weil er nicht glaubhaft darlegen konnte, dass er aus begründeter Furcht vor (bereits erlittener oder unmittelbar bevorstehender) politischer Verfolgung aus seinem Heimatland ausgereist ist bzw. dass ihm gegenwärtig eine solche aus den in § 60 Abs. 1 AufenthG genannten Gründen droht.

Er ist im Dezember 2007 unverfolgt aus dem Irak ausgereist und muss im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit befürchten, bei einer Rückkehr dorthin relevanten Verfolgungsmaßnahmen im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG ausgesetzt zu sein.

Nach § 60 Abs. 1 AufenthG darf in Anwendung des Abkommens vom 28.6.1951 über die Rechtstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist, wobei eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe nach § 60 Abs. 1 Satz 3 AufenthG auch dann vorliegen kann, wenn die Bedrohung an das Geschlecht anknüpft. Eine Verfolgung in diesem Sinne kann nach § 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG von dem Staat (lit. a), Parteien und Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschen (lit. b) oder von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern die unter lit. a und b genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht, es sei denn es besteht eine inländische Fluchtalternative (lit. c).

Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. § 3 Abs. 3 AsylVfG unterliegt im Wesentlichen den gleichen Anforderungen, nach denen auch eine Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16 a Abs. 1 GG erfolgt

hierzu etwa BVerwG, Urteil vom 29.5.2008 - 10 C 11.07 -, BVerwGE 131, 186 ff.; zur Vorgängerregelung des § 51 Abs. 1 AuslG: BVerwG, Urteil vom 18.2.1992 - 9 C 59.91 -, DÖV 1992, 582 f. zur Deckungsgleichheit von Art. 16 a Abs. 1 GG und § 51 Abs. 1 AuslG mit dem Flüchtlingsbegriff der Genfer Konvention: BVerwG, Urteil vom 26.10.1993 - 9 C 50.92 u.a. -, NVwZ 1994, 500 ff.

Auch die Annahme einer relevanten Verfolgungssituation i.S.d. § 60 Abs. 1 AufenthG setzt voraus, dass eine spezifische Zielrichtung vorliegt, d.h. die Verfolgung muss nach ihrer erkennbaren Gerichtetheit an die vorstehend genannten Merkmale anknüpfen. An einer solchen gezielten Rechtsverletzung fehlt es indes regelmäßig bei Nachteilen, die jemand aufgrund der allgemeinen Zustände in seinem Herkunftsland zu erleiden hat, etwa infolge von Naturkatastrophen, Arbeitslosigkeit, einer schlechten wirtschaftlichen Lage oder infolge allgemeiner Auswirkungen von Unruhen, Revolutionen und Kriegen

hierzu BVerfG, Beschluss vom 10.7.1989 - 2 BvR 502/86 u.a. -, BVerfGE 80, 315 ff.; BVerwG, Urteil vom 5.7.1994 - 9 C 158.94 -, BVerwGE 96, 200 ff.; siehe in diesem Zusammenhang auch Art. 9 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.4.2004 (sog. Qualifikationsrichtlinie - QRL -).

Allerdings geht der Flüchtlingsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG teilweise über den Schutz des Asylgrundrechts nach Art. 16 a GG hinaus. So können - nach Maßgabe des § 28 Abs. 1 a AsylVfG - auch (selbst geschaffene) Nachfluchtgründe sowie gemäß § 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG eine Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure ein Abschiebungsverbot begründen.

Für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegt, sind zudem gemäß § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG die Bestimmungen der Qualifikationsrichtlinie ergänzend anzuwenden, so insbesondere Art. 4 Abs. 4 sowie Art. 7 bis 10 QRL.

Die zum Asylgrundrecht nach Art. 16 a GG in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts entwickelten unterschiedlichen Wahrscheinlichkeitsmaßstäbe, je nach dem, ob der Ausländer seinen Heimatstaat auf der Flucht vor eingetretener oder unmittelbar drohender politischer Verfolgung verlassen hat oder ob er unverfolgt ausgereist ist

vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 2.7.1980 - 1 BvR 147/80 u.a. -, BVerfGE 54, 341, und vom 10.7.1989 - 2 BvR 502/86 u.a. -, BVerfGE 80, 315;

haben in die Qualifikationsrichtlinie keinen Eingang gefunden. Der sog. herabgestufte Wahrscheinlichkeitsmaßstab der hinreichenden Sicherheit ist insoweit durch die Nachweiserleichterung in Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie ersetzt worden, die sowohl für den Flüchtlingsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG als auch für die weiteren unionsrechtlichen und nationalen Abschiebungsverbote des § 60 AufenthG gilt. Als Prognosemaßstab ist daher allein der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen

vgl. BVerwG, Urteile vom 1.6.2011 - 10 C 10.10 und 10 C 25.10, vom 27.4.2010 - BVerwG 10 C 5.09 - und vom 7.9.2010 - 10 C 11.09 -, siehe auch EuGH, Urteil vom 2.3.2010, Rs. C-175/08 u.a., Abdulla u.a., OVG Münster, Urteil vom 17.8.2010 - 8 A 4063/06.A -, jeweils zitiert nach juris.

Nach Art. 4 Abs. 4 QRL i.V.m. § 60 Abs. 1 Satz 5, Abs. 11 AufenthG ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird.

Die Vorschrift des Art. 4 Abs. 4 QRL begründet mithin für die von ihr begünstigten Antragsteller eine widerlegbare tatsächliche Vermutung dafür, dass sie erneut von einer Verfolgung oder einem sonstigen ernsthaften Schaden bedroht sind. Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadensstiftenden Umstände bei der Rückkehr erneut realisieren werden. Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit einer Verfolgung bzw. des Eintritts eines sonstigen ernsthaften Schadens entkräften. Dies ist im Rahmen freier Beweiswürdigung zu beurteilen

vgl. BVerwG, Urteile vom 27.4.2010 - 10 C 5.09 - und vom 7.9.2010 - 10 C 11.09 - m.w.N., zitiert nach juris.

Die bereits erlittener Verfolgung gleichzustellende unmittelbar drohende Verfolgung setzt eine Gefährdung voraus, die sich schon so weit verdichtet hat, dass der Betroffene für seine Person ohne Weiteres mit dem jederzeitigen Verfolgungseintritt aktuell rechnen musste

vgl. BVerwG, Urteil vom 24.11.2009 - 10 C 24.08 - m.w.N., zitiert nach juris.

Aus den in Art. 4 QRL geregelten Mitwirkungs- und Darlegungsobliegenheiten des Schutzsuchenden folgt, dass es auch unter Berücksichtigung der Vorgaben dieser Richtlinie Sache des Ausländers ist, die Gründe für seine Furcht vor politischer Verfolgung schlüssig vorzutragen. Er ist gehalten, unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung politische Verfolgung im genannten Sinne droht. Hierzu gehört, dass der Ausländer zu den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere zu seinen persönlichen Erlebnissen, eine Schilderung gibt, die geeignet ist, den behaupteten Anspruch lückenlos zu tragen.

Das Gericht muss dabei die volle Überzeugung von der Wahrheit des behaupteten individuellen Schicksals und von der Richtigkeit der Prognose drohender politischer Verfolgung gewinnen. Aufgrund der Beweisschwierigkeiten, in denen sich der Schutzsuchende hinsichtlich der asylbegründenden Vorgänge im Heimatland regelmäßig befindet, muss sich das Gericht hinsichtlich dieser Umstände mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad an Gewissheit begnügen, auch wenn Zweifel nicht völlig ausgeschlossen werden können. Es genügt insoweit in der Regel Glaubhaftmachung, während für Vorgänge innerhalb des Zufluchtlandes - prinzipiell - der volle Nachweis zu fordern ist. Bei erheblichen Widersprüchen oder Steigerungen im Sachvortrag indes kann dem Kläger nur bei einer überzeugenden Auflösung der Unstimmigkeiten geglaubt werden

vgl. BVerwG, Entscheidungen vom 21.7.1989 - 9 B 239.89 -, vom 16.4.1985 - 9 C 109.84 - und vom 29.11.1977 - 1 C 33.71 -, jeweils zitiert nach juris.

Von diesen Maßstäben ausgehend kann der unverfolgt ausgereiste Kläger auch unter Anwendung der europarechtlichen Bestimmungen der sog. Qualifikationsrichtlinie die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG hinsichtlich einer Abschiebung in den Irak nicht beanspruchen. Das gilt sowohl im Hinblick auf sein Individualschicksal als auch im Hinblick auf die zu verneinende Gruppenverfolgung wegen seiner yezidischen Religionszugehörigkeit.

Zu seinem Individualschicksal hat der im Dezember 2007 ausgereiste Kläger – bis zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat - bekundet, er habe sich niemals selbst politisch betätigt und vor seiner Ausreise auch keinerlei Probleme mit irakischen hoheitlichen Stellen gehabt. Vielmehr hat er sein Begehren auf Zuerkennung von Flüchtlingsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG im Wesentlichen mit einem Vorfall im April 2007 begründet, bei dem 23 Yeziden aus seinem Heimatort Bahzani in Mossul getötet worden seien, und damit, dass Yeziden allgemeinen Anfeindungen, Diskriminierungen und Beeinträchtigungen ausgesetzt seien.

Im Übrigen hat der Kläger lediglich am Rande geltend gemacht, ein Onkel, der bereits 1970 getötet worden sei, sei Mitglied der Baath-Partei gewesen.

Eine staatliche oder nichtstaatliche Individualverfolgung i.S.d. § 60 Abs. 1 AufenthG vor seiner Ausreise hat der Kläger damit nicht dargetan. Bezüglich des Vorfalles in Mossul fehlt es an einem individuellen Bezug zu der Person des Klägers. Bezüglich der behaupteten Mitgliedschaft des Onkels in der Baath-Partei resultiert daraus keine Gefährdung des Klägers als Familienmitglied. Nach der Auskunftslage

vgl. etwa SFH, Bericht zur Gefährdung von ehemaligen Mitgliedern der Baath-Partei vom 27.1.2006 und Irak: Die aktuelle Entwicklung im Zentral- und Südirak vom 5.11.2009; EZKS an VG Düsseldorf vom 5.8.2008; DOI an VG München vom 1.9.2006 (2112 al/br),

erfolgen seit Ende 2003 bzw. seit 2005 nur noch vereinzelte Übergriffe auf hochrangige Baath-Mitglieder selbst und zudem nur unter der Voraussetzung, dass diese persönlich Verbrechen und Grausamkeiten verübt haben. Familienangehörige bleiben demgegenüber unbehelligt.

vgl. im Einzelnen Urteil des Senats vom 1.6.2011 - 3 A 429/08 -, dokumentiert bei juris.

Erstmals in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 16.9.2011 hat der Kläger eine individuelle Gefährdung aufgrund behaupteter Nachfluchtaktivitäten geltend gemacht.

Hierzu hat er vorgetragen, er habe am 21./22.4.2011, am Gedenktag des Ereignisses vom 21./22.4.2007, bei Facebook geschrieben, die wahren Täter dieses Vorfalls, bei dem 24 Personen getötet worden seien, müssten nach vier Jahren zur Rechenschaft gezogen werden. Er könne diese namentlich benennen. Der eine sei ein Imam in der Moschee und der zweite sei der stellvertretende Gouverneur von Mossul, ein Parteifunktionär der KDP, gewesen. Der Name des Imam sei Tahel Al Zainawi und der des Parteifunktionärs Khesro Goran. Wegen des Schreibens des Klägers im Internet sei am 26.4.2011 sein Bruder vom kurdischen Geheimdienst verhaftet und nach Akrah verbracht worden. Zwei Tage danach, am 28.4.2011, habe sein Bruder ihn aus der Haft angerufen und ihm gesagt, er solle den Eintrag löschen, damit er wieder freigelassen würde, und er müsse „bereuen“. Ergänzend hat er ausgeführt, man habe seinem Bruder gedroht, „ihnen“ etwas anzutun, wenn er noch einmal so etwas schreiben würde. Er habe den Eintrag noch am selben Tag bzw. in derselben Nacht gelöscht, aber Reue gezeigt habe er nicht. Sein Bruder sei dann am Morgen des 29.4.2011 wieder freigelassen worden, er sei jetzt wieder zu Hause. Er habe ihm berichtet, dass er - der Kläger - nunmehr auf einer „roten Liste“ stehe.

Es mag dahinstehen, ob dieses Vorbringen des Klägers nach Maßgabe des § 87 b Abs. 3 VwGO als verspätetes Vorbringen zurückgewiesen werden könnte, nachdem ihm zuvor eine Frist zur ergänzenden Äußerung gemäß § 87 b Abs. 1 und 2 VwGO bis zum 12.8.2011 gesetzt worden war. Denn ungeachtet der Möglichkeit einer solchen Zurückweisung erachtet der Senat das Vorbringen des Klägers zum Vorliegen von Nachfluchtaktivitäten als nicht plausibel. Er konnte sich von dessen Glaubhaftigkeit nicht überzeugen (§ 108 VwGO).

Zunächst ist nicht plausibel, weshalb der Kläger einen solchen, aus seiner Sicht entscheidenden Vortrag entgegen der ihm obliegenden Mitwirkungspflichten (§§ 15, 25 AsylVfG) nicht früher, insbesondere nicht spätestens in der Vorbereitung der mündlichen Verhandlung vor dem Senat in das Verfahren eingeführt hat. Der Kläger führte hierzu auf Nachfrage des Gerichts zunächst an, er habe keine Zeit gehabt, mit seinem Rechtsanwalt Kontakt aufzunehmen, was angesichts der Bedeutung des Rechtsstreits für den Kläger wenig nachvollziehbar erscheinen muss.

Nachdem sein Prozessbevollmächtigter demgegenüber auf Frage des Gerichts erklärt hatte, er habe nach der Aufforderung und Fristsetzung des Gerichts, im Vorfeld der mündlichen Verhandlung eventuell neuen Vortrag in das Verfahren einzuführen, mit dem Kläger gesprochen und dieser habe ihm nichts berichtet, vielmehr höre er den Vortrag des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat selbst zum ersten Mal, passte der Kläger sein Vorbringen dahingehend an, er habe Kontakt mit seinem Prozessbevollmächtigten aufnehmen wollen, aber dieser habe den Termin verschoben, weil er keinen Dolmetscher gehabt habe. Nachdem sein Prozessbevollmächtigter demgegenüber erklärt hatte, er habe keinen Termin verschoben, erklärte der Kläger, er selbst habe den Termin verschoben, weil er keinen Dolmetscher gehabt habe. Hierzu erklärte der Prozessbevollmächtigte, dass tatsächlich eine Terminverschiebung vom 29.7. auf den 3.8.2011 stattgefunden habe. Bei dem Besprechungstermin am 3.8.2011 sei der Sprachmittler anwesend gewesen.

Eine überzeugende Erklärung dafür, dass die Einführung des neuen Vortrags erst in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat und nicht aufgrund des Besprechungstermins am 3.8.2011 erfolgt ist, vermochte der Kläger mithin nicht zu erbringen.

Wenig nachvollziehbar erscheint auch in der Sache, warum der Kläger, nachdem er seinen bisherigen Angaben zufolge in seinem Heimatland nicht politisch oder im Zusammenhang mit seiner yezidischen Religionszugehörigkeit aktiv geworden war, nunmehr erstmals die hier behauptete manifeste Protesthaltung beschreibt, von der – ebenso wie von den ihm angeblich seit Mai/Juni 2007 bekannten Hintergründen und Tätern des Vorfalls vom 21./22.4.2007 – bisher weder bei der eingehenden Anhörung vor dem Bundesamt der Beklagten noch im bisherigen gerichtlichen Verfahren, insbesondere in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht, die Rede war. Dies hätte aber, wenn ihn die damaligen Ereignisse innerlich bewegt bzw. zu der jetzt behaupteten manifesten Protesthaltung veranlasst hätten, nahegelegen. Gleiches gilt für die auf entsprechenden Vorhalt abgegebene Erklärung, dass er erst jetzt einen Weg gefunden habe, die beschriebenen Äußerungen ins Internet zu stellen.

Ebenfalls sind die Angaben des Klägers zu den Hintergründen des Vorfalls vom 21./22.4.2007 nicht mit den dem Gericht dazu vorliegenden Erkenntnisquellen

vgl. hierzu etwa Europäisches Zentrum für Kurdische Studien -EZKS -, Gutachten vom 17.2.2010 an VG München und vom 22.12.2007 an VG Cottbus zu Az. 5 K 622/02.A, wonach die Gutachter am 8.11.2007 zwei yezidische Mitglieder des Verwaltungsrats Mossul auch zu diesem Vorfall interviewt hatten, sowie Stellungnahme des Yezidischen Kultur-Zentrums in Celle und Umgebung e.V. vom 21.10.2008 an BAMF

in Einklang zu bringen. Nach den dortigen Erkenntnissen war Hintergrund der Ermordung der yezidischen Fabrikarbeiter am 21./22.4.2007 ein Racheakt seitens nicht näher bezeichneter muslimischer Täter für die Steinigung eines yezidischen Mädchens durch eigene yezidische Stammesangehörige, weil dieses angeblich infolge einer Beziehung zu einem muslimischen jungen Mann zum Islam übergetreten war. Für eine Beteiligung hochrangiger religiöser und politischer Funktionsträger gibt es dagegen keinerlei Anhaltspunkte.

Auch die in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat geschilderten Geschehnisse im April 2011 selbst sind wenig plausibel. Dies gilt sowohl für die Darstellung, dass der Bruder des Klägers diesen aus der Haft heraus in Deutschland soll angerufen haben können, als auch für die Darstellung, dass der Bruder des Klägers durch den kurdischen Geheimdienst selbst erfahren haben will, dass der Kläger nunmehr auf einer „roten Liste“ stehe, sowie für den Umstand, dass der Bruder des Klägers nach dessen Vortrag seitdem offenbar unbehelligt geblieben ist und sich mit diesem über Facebook austauschen kann, obwohl der Kläger die angebliche Forderung des kurdischen Geheimdienstes, er müsse „bereuen“, nach seinen eigenen Aussagen nicht erfüllt hat.

In der Gesamtbetrachtung hält der Senat den Kläger, der den Vortrag zu seinen angeblichen Nachfluchtaktivitäten in Gestalt der in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vorgetragenen Internetveröffentlichung ebenso wie etwa den in erster Instanz hinterfragten Vortrag zum Kontakt zu seinen Schwestern stets zögerlich anzupassen versuchte, ohne je präzise und plausible Erklärungen hierfür abgeben zu können, auch nach dem in der mündlichen Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindruck für unglaubwürdig.

Der Senat geht nicht davon aus, dass die vorgetragene Internetveröffentlichung erfolgt ist und die vom Kläger beschriebenen Auswirkungen hatte.

Es kann deshalb letztlich dahinstehen, unter welchen Voraussetzungen ein dementsprechend selbst geschaffener subjektiver Nachfluchtgrund i.S.d. § 28 Abs. 1 a AsylVfG im Rahmen des § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. Art. 5 QRL, insbesondere mit Blick auf das Erfordernis einer Kontinuität des Nachfluchtverhaltens im Verhältnis zu einer erkennbar bereits im Heimatland betätigten Überzeugung oder Ausrichtung für eine Regelvermutung beachtlich wäre und in welcher Form (Glaubhaftmachung oder voller Nachweis der Vorgänge im Zufluchtland) er dargelegt sein müsste

vgl. hierzu etwa Marx, AsylVfG, 7. Aufl., § 28 Rdnrn. 36, 37, 97 ff. und 119 ff. m. zahlreichen Nachweisen.

Allerdings spräche vorliegend - selbst bei Wahrunterstellung des Vortrags des Klägers – nichts für eine Verhaltens- bzw. Überzeugungskontinuität des nach eigenem Vortrag bis zur Ausreise inaktiven Klägers. Auch hat der Kläger keinerlei Beleg für die vorgetragene – und zwischenzeitlich gelöschte – Internetveröffentlichung vorgelegt oder sonst Beweis für deren Existenz angetreten.

Nach allem ist die Gefahr einer Individualverfolgung des Klägers – weder unter dem Aspekt einer Vorverfolgung noch unter dem Aspekt von Nachfluchtgründen – mit dem erforderlichen Wahrscheinlichkeitsgrad der beachtlichen Wahrscheinlichkeit gegeben.

Des Weiteren ist auch eine Gefährdung des Klägers als Angehöriger der Glaubensgemeinschaft der Yeziden unter dem Aspekt der Gruppenverfolgung zu verneinen.

Die Gefahr einer Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG kann sich nicht nur aus gegen den Betroffenen selbst gerichteten Maßnahmen (anlassgeprägte Einzelverfolgung), sondern auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen ergeben, wenn diese Dritten wegen eines relevanten Merkmals verfolgt werden, das der Flüchtling mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet (sog. Gruppenverfolgung)

hierzu etwa BVerfG, Beschluss vom 23.1.1991 - 2 BvR 902/85 u.a. -, BVerfGE 83, 216 ff.

Die Annahme einer Gruppenverfolgung setzt zunächst voraus, dass die festgestellten Maßnahmen die von ihnen Betroffenen gerade in Anknüpfung an das die verfolgte Gruppe kennzeichnende relevante Merkmal treffen. In Betracht kommt eine unmittelbare Anknüpfung an das die Verfolgung begründende - unverfügbare -Gruppenmerkmal, etwa die Volks- oder Religionszugehörigkeit, aber auch eine Verfolgung, der dieses Merkmal mittelbar zugrunde liegt.

Die Annahme einer Gruppenverfolgung setzt ferner eine bestimmte Verfolgungsdichte voraus. Der Feststellung dicht und eng gestreuter Verfolgungsschläge bedarf es allerdings dann nicht, wenn hinreichend sichere Anhaltspunkte für ein staatliches Verfolgungsprogramm bestehen, dessen Umsetzung bereits eingeleitet ist oder alsbald bevorsteht

hierzu BVerwG, Entscheidungen vom 2.2.2010 – 10 B 18.09 –, vom 18.7.2006 - 1 C 15.05 - und vom 5.7.1994 - 9 C 158.94 -, jeweils zitiert nach juris,

was vorliegend jedoch nicht der Fall ist.

Für die Feststellung der sonst erforderlichen Verfolgungsdichte ist eine so große Vielzahl von Eingriffshandlungen in nach § 60 Abs. 1 AufenthG geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne Weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht

hierzu etwa BVerwG, Entscheidungen vom 2.2.2010 - 10 B 18.09 - und vom 21.4.2009 - 10 C 11.08 -, jeweils zitiert nach juris.

Für die Beurteilung, ob die Verfolgungsdichte die Annahme einer Gruppenverfolgung rechtfertigt, müssen Intensität und Anzahl aller Verfolgungshandlungen zur Größe der Gruppe in Beziehung gesetzt werden. Allein die Feststellung „zahlreicher“ oder „häufiger“ Eingriffe reicht nicht aus. Denn eine bestimmte Anzahl von Eingriffen, die sich für eine kleine Gruppe von Verfolgten möglicherweise bereits als bedrohlich erweist, kann bei einer großen Gruppe vergleichsweise geringfügig erscheinen, weil sie in Bezug auf die Zahl der Gruppenmitglieder nicht ins Gewicht fällt und sich deshalb nicht als Bedrohung der Gruppe darstellt.

Bei der Prüfung einer Gruppenverfolgung sind die zahlenmäßigen Grundlagen der gebotenen Relationsbetrachtung zur Verfolgungsdichte nicht mit quasi naturwissenschaftlicher Genauigkeit festzustellen, sondern es genügt, die ungefähre Größenordnung der Verfolgungsschläge zu ermitteln und sie in Beziehung zur Gesamtgruppe der von Verfolgung Betroffenen zu setzen. Dabei darf bei unübersichtlicher Tatsachenlage und nur bruchstückhaften Informationen aus einem Krisengebiet auch aus einer Vielzahl vorliegender Einzelinformationen eine zusammenfassende Bewertung des ungefähren Umfangs der asylerheblichen Verfolgungsschläge und der Größe der verfolgten Gruppe erfolgen. Auch für die Annahme einer erheblichen Dunkelziffer nicht bekannter Übergriffe müssen die gerichtlichen Feststellungen zur Größenordnung der Gesamtheit der Anschläge aber in nachvollziehbarer und überprüfbarer Weise begründet werden.

Einen Verzicht auf die Quantifizierung der Verfolgungsschläge hat das Bundesverwaltungsgericht nur bei besonders kleinen Gruppen zugelassen, bei denen auch die Feststellung reichen kann, derartige Übergriffe seien „an der Tagesordnung“

hierzu etwa BVerwG, Entscheidungen vom 21.2.2009, a.a.O. und vom 23.12.2002 - 1 B 42.02 -, zu syrisch-orthodoxen Christen in Tur Abdin, zitiert nach juris.

Bei der erforderlichen wertenden Gesamtschau der Verfolgungssituation sind nur asylrechtlich beachtliche, an die Merkmale in § 60 Abs. 1 S. 1 AufenthG anknüpfende Maßnahmen zu berücksichtigen

BVerwG, Urteil vom 21.4.2009 - 10 C 11.08 -, zitiert nach juris.

Nicht einzubeziehen sind hingegen rein kriminelle Verbrechen und ungezielte terroristische Anschläge, die allein die Destabilisierung der Lage bezwecken.

Eine nach diesen Maßstäben anzunehmende Gruppenverfolgung yezidischer Religionszugehöriger im Irak i.S.d. § 60 Abs. 1 AufenthG in Verbindung mit den europarechtlichen Bestimmungen der sog. Qualifikationsrichtlinie kann weder landesweit noch bezogen auf das Herkunftsgebiet des Klägers, das Gebiet al-Sheikhan (im weiteren Sinne) in der Provinz Ninive, angenommen werden. Auch individuell gefahrerhöhende Umstände sind im Falle des Klägers nicht erkennbar.

Zur Verfolgungssituation yezidischer Religionszugehöriger im Irak hat der Senat zuletzt grundlegend in seinem Beschluss vom 26.3.2007

- 3 A 30/07 -, dokumentiert bei juris

festgestellt, dass bei einer relativierenden Betrachtung der Anzahl der Opfer der Verfolgungsschläge und des jeweiligen Anteils der yezidischen und kurdischen Bevölkerungsgruppe eine Gruppenverfolgung mangels hinreichender Verfolgungsdichte nicht zu verzeichnen ist.

Ausgehend von den damals vorliegenden Erkenntnisquellen für die Jahre 2006 und 2007 hatte der Senat damals die insoweit höchste Opferzahl nach den Feststellungen der Schweizerischen Flüchtlingshilfe von landesweit 137 zugrunde gelegt. Bezogen auf die Gesamtzahl der damals im Irak lebenden Yeziden (475.000 Personen) ergab sich eine Anschlagsdichte von 1:3467. Diese Anschlagsdichte vermochte ausgehend von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eine Regelvermutung dahingehend, dass jedes Mitglied der yezidischen Religionsgruppe verfolgt wird, nicht zu rechtfertigen.

An dieser Einschätzung hält der Senat auf der Grundlage des aktuellen Erkenntnismaterials auch für die derzeitige Situation fest. Eine Gruppenverfolgung der Yeziden im Irak ist auch gegenwärtig zu verneinen.

Der aktuelle Bevölkerungsanteil yezidischer Religionszugehöriger wird vom Auswärtigen Amt

vgl. Lagebericht Irak vom 28.11.2010

nunmehr auf etwa 200.000 Personen geschätzt. Deren Hauptsiedlungsgebiet liegt im Norden des Irak, nämlich im Sheikhan-Gebiet und im Bezirk Sindjar

hierzu etwa Bundesasylamt, Die Sicherheitslage der Jesiden im Irak vom 4.11.2009, Gesellschaft für bedrohte Völker - GBV -, Die Yeziden im Irak, vom November 2007; GIGA, Institut für Nahost-Studien Hamburg, Stellungnahme vom 2.4.2007 an VG Düsseldorf zu Az. 6 K 2171/06.A.

Etwa 75 Prozent der ethno-religiösen Minderheit der Yeziden (auch Jesiden, Yazidis, Ezidi) lebt im Sindjar, einem Gebiet 150 Kilometer von Mossul entfernt. Weitere etwa 15 Prozent leben im Sheikhan. Nur 10 Prozent der Yeziden ist in der kurdischen Autonomieregion ansässig. Eine kleine Zahl von Yeziden wohnt in anderen Teilen der „umstrittenen Gebiete“ außerhalb der Provinz Ninive. In Bagdad befindet sich ebenfalls eine kleine yezidische Gemeinde. Im Süden und im Westirak leben keine Yeziden

vgl. hierzu Bundesasylamt (Österreich), Die Sicherheitslage der Jesiden im Irak vom 4.11.2009.

Aufgrund der Arabisierungspolitik des ehemaligen Baath-Regimes wurden die Yeziden vor 2003 als Araber statt als Kurden betrachtet. Es kam damals zu Zwangsumsiedlungen und Einschränkungen der Religionsfreiheit. Mehrheitlich werden jedoch die Yeziden heute ethnisch wie sprachlich als Kurden angesehen

vgl. Bundesasylamt vom 4.11.2009, a. a.O..

Die Entwicklung der Lage in den yezidisch besiedelten Gebieten des Irak, d.h. im Wesentlichen in der Herkunftsregion des Klägers, dem Sheikhan- (oder Scheichan)gebiet, bestehend aus den Distrikten Sheikhan und al-Sheikhan sowie im Sindjar, stellt sich seit der Entscheidung des Senats vom 26.3.2007 - 3 A 30/07 - nach dem dem Senat vorliegenden Erkenntnismaterial

vgl. hierzu insbesondere Lagebericht Irak des Auswärtigen Amtes vom 28.11.2010, EZKS an VG München vom 17.2.2010, vom 26.5.2008 an VG Köln zu Az. 21 K 142/07.A u.a., vom 22.12.2007 an VG Cottbus zu Az. 5 K 622/02.A, vom 19.7.2007 an VG Gelsenkirchen zu Az. 18 K 3035/01., vom 15.7.2007 an VG Karlsruhe zu Az. 3 K 10741/04 und vom 19.3.2007 an VG Ansbach zu Az. AN 9 K 04.30815; Bundesasylamt (Österreich), Die Sicherheitslage der Jesiden im Irak vom 4.11.2009; Dulz/Siamend Hajo/Savelsberg, Die Yeziden im „neuen“ Irak 2004/2005; Gesellschaft für bedrohte Völker, Die Yeziden im Irak, November 2007; GIGA an VG Köln vom 7.9.2007 zu Az. 21 K 142/07 u.a. und vom 12.3.2007 zu Az. 18 K 2870/06, an VG Düsseldorf vom 2.4.2007 zu Az. 6 K 2171/06.A; UNHCR an VG Köln vom 9.1.2007 und vom 28.7.2007 zu Az. 21 K 142/07 u.a.; BAMF, Yeziden im Irak von Juni 2007

wie folgt dar:

Nach der irakischen Verfassung sind (formal) alle irakischen Staatsangehörigen unabhängig von der Religionszugehörigkeit gleichgestellt (Art. 7). Religionsfreiheit (Art. 2) und das Recht auf Erziehung in der eigenen Sprache (Art. 4) werden garantiert und die Yeziden werden (anders als etwa in Syrien und in der Türkei) als schützenswerte Minderheiten erwähnt

hierzu etwa EZKS vom 19.3.2007 an VG Ansbach zu Az. AN-9 K 04.30815; GBV, Die Yezidi im Irak, November 2007; Dulz/Siamend Hajo/Savelsberg, Verfolgt und umworben: Die Yeziden „im neuen Irak“, 2004/2005.

Mit Blick auf die Herrschaftsverhältnisse in den genannten Siedlungsgebieten ist zu unterscheiden: Der größte Teil des Distrikts Sheikhan wird de jure von der Provinz Dohuk (Teil der Kurdischen Regionalregierung - KRG -) verwaltet, obwohl er verwaltungstechnisch zur Provinz Ninive/Mossul gehört.

Der Distrikt al-Sheikhan hingegen gehört sowohl rechtlich als auch verwaltungstechnisch zur Provinz Ninive/Mossul, das heißt, er steht de jure unter zentralirakischer Verwaltung. Er gehört zudem zu den Gebieten, auf die die Kurden Ansprüche erheben (sogenannte „umstrittene Gebiete“) und in denen die Kurdische Regionalregierung (KRG) ein Referendum durchführen will, um die Zuordnung zur (autonomen) kurdischen Region zu erreichen. De facto steht der Großteil dieses Distrikts nach der aktuellen Erkenntnislage allerdings bereits unter kurdischer Verwaltung

vgl. hierzu etwa EZKS vom 17.2.2010, a.a.O..

Dies bedeutet, dass begrenzte Verwaltungs- bzw. Schutzaufgaben von der KRG bzw. den kurdischen Parteien KDP und PUK bereits wahrgenommen werden. Die genaue Abgrenzung der de facto kurdisch verwalteten Gebiete ist schwierig, da der dort faktisch ausgeübte kurdische Einfluss durch keine rechtlichen Bestimmungen abgesichert ist.

Die - geographische - Region Sheikhan schließt demgegenüber auch Gebiete ein, die vor verschiedenen Änderungen der Provinz- bzw. Verwaltungsdistriktsgrenzen der Regionen mit kurdischer Bevölkerungsmehrheit zum Distrikt al-Sheikhan gehörten. Dies trifft insbesondere auf die Herkunftsregion des Klägers zu, die Städte Bashika und Bahzani, die heute im südlich des Distrikts al-Sheikhan gelegenen Distrikt al-Hamdaniya liegen, früher (bis 1959) jedoch ebenfalls zu al-Sheikhan gehörten und heute faktisch unter kurdischem Einfluss stehen, aber auch auf die Stadt al-Qosch und die östlich von ihr gelegenen Gebiete, die bis 1965 zum Distrikt al-Sheikhan gehörten, ehe sie dem westlich davon gelegenen Distrikt Til-Kef zugeschlagen wurden

hierzu etwa EZKS vom 17.2.2010, vom 26.5.2008 an VG Köln und vom 22.12.2007 an VG Cottbus, jeweils a.a.O..

Die Ausgliederung der genannten Bereiche aus dem (Verwaltungs-)Distrikt al-Sheikhan war Teil der unter dem Saddam-Regime angewandten irakischen Strategie, Verwaltungseinheiten, deren Bevölkerung überwiegend kurdisch war, zu zerschlagen, indem Teile derselben überwiegend arabischen Verwaltungseinheiten angegliedert wurden. Der geographische Sheikhan ist etwa wie folgt einzugrenzen: Der westlichste Punkt ist al-Qosch, der südlichste die Stadt Bahzani. Nordöstlich von al-Qosch stellt die Provinzgrenze zu Dohuk die Grenze auch des geographischen Sheikhan dar, und im Osten verläuft die Grenze zwischen Ain Sifni (Hauptstadt des Sheikhan) und Akrah.

In der de jure kurdisch verwalteten Region kann nach den übereinstimmenden Erkenntnissen des EZKS

etwa Stellungnahme vom 17.2.2010, a.a.O.

sowie von GIGA,

Stellungnahme vom 2.4.2007, a.a.O.

aktuell keine systematische, staatlich motivierte Verfolgung von Yeziden festgestellt werden. Aus Sicht der Kurdischen Regionalregierung (KRG) sind - auch vor dem Hintergrund des geplanten Referendums über die Zuordnung der umstrittenen Gebiete - alle Yeziden Kurden. Dementsprechend werden Yeziden seitens der KRG in verschiedenen Bereichen gefördert. So gab das Ministerium für Stiftungen und Religiöse Angelegenheiten der KRG am 23.12.2009 bekannt, dass der Regionalrat mehrere yezidische Feiertage zu offiziellen Feiertagen erklärt habe, u.a. sieben Tage im Oktober für das höchste Fest der Yeziden (Cejna Cemayya), drei Tage für das Fest der vierzig Sommertage Mitte August, einen Tag für das yezidische Neujahrsfest Mitte April und einen Tag für das yezidische Fasten Mitte Dezember.

Auch von nicht-staatlicher Seite sind gewalttätige Übergriffe gegenüber Yeziden in der vorbeschriebenen, de jure kurdisch verwalteten Region zuletzt im Jahr 2007 bekannt geworden. Nach den Erkenntnissen von EZKS

vgl. EZKS vom 17.2.2010, a.a.O.

wurde im Jahr 2007 ein Hotel in Erbil angegriffen, in dem Yeziden arbeiteten. Darüber hinaus wurden in demselben Jahr yezidische Studenten aus Mossul, die in Erbil die Universität besuchten, in ihren Studentenwohnheimen angegriffen und verließen daraufhin die Stadt.

Seitdem ist die Lage in den de jure kurdisch verwalteten Gebieten nach Einschätzung von EZKS nicht nur für einfache yezidische Glaubenszugehörige, sondern auch für religiöse Würdenträger als stabil und sicher einzuschätzen. Nach den dortigen Erkenntnissen sind weder der Presse noch anderen Menschenrechtsberichten Anschläge auf yezidische Geistliche oder andere Yeziden in den de jure kurdisch verwalteten Gebieten zu entnehmen.

Allerdings wurden unabhängig von der offiziellen Anerkennung der yezidischen Religion religiöse yezidische Festlichkeiten in den Jahren 2008 und 2009 nur eingeschränkt begangen. So fand das Fest der Versammlung im Oktober 2009 zwar statt, es reisten mehr als 4 000 Yeziden aus dem Sindjar ins Lalisch-Tal, zur wichtigsten religiösen Stätte der Yeziden, die auf de jure kurdisch verwaltetem Gebiet liegt. Auf die Durchführung wesentlicher Zeremonien wurde jedoch verzichtet, um - wie ein Mitglied des geistlichen Rates der Yeziden erklärte - nicht durch ihre Ausübung zu viel Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und die Gefahr terroristischer Anschläge zu erhöhen.

Zudem können nach Angaben von EZKS Angehörige des yezidischen Glaubens auch in den de jure kurdisch verwalteten Gebieten in Einzelfällen Diskriminierungen ausgesetzt sein. Dies betreffe vor allem Yeziden, die aus der Provinz Ninive auf Arbeitssuche dorthin kämen. Yeziden würden von muslimischen Kurden in Dohuk, Erbil und Sulaimaniya herablassend behandelt und als Bürger zweiter Klasse betrachtet. Ähnliche Erfahrungen machten - in verstärkter Form - Yeziden aus dem Sindjar. Yeziden verrichteten dort - bei schlechter Bezahlung - häufig Arbeiten im Dienstleistungsgewerbe (Restaurants, Haushaltshilfen), die muslimische Kurden nicht verrichten wollten.

Der religiös-ethnisch gemischte Subdistikt Bashika (Distrikt Mossul), aus dem der Kläger stammt, gehört zu den offiziell von der KRG beanspruchten Gebieten und ist (lediglich) de facto kurdisch kontrolliert

vgl. EZKS zur Lage von Yeziden im Irak an VG München vom 17.2.2010, S. 11, 12 und vom 26.5.2008 an VG Köln, S. 8, 10.

Die de facto kurdische Verwaltung in den genannten Gebieten erfolgt Erkenntnissen des EZKS zufolge zumindest teilweise in Absprache mit der irakischen Zentralregierung. Dies betrifft etwa die grundsätzliche Präsenz von Peschmergatruppen, die auf ein explizites Ersuchen der irakischen Zentralregierung an die KRG aus dem November 2004 zurückgeht, welches die Übernahme administrativer Aufgaben, die Verantwortung für das Bildungssystem ferner die Verteilung von Lebensmittelrationen in Gebieten, zu denen die Zentralregierung keinen oder nur bedingt Zugang hat (etwa im Sindjar), betraf.

Grundsätzlich ist die Sicherheitslage in der gesamten Sheikhan-Region besser als im zweiten Hauptsiedlungsgebiet der Yeziden, dem Sindjar, was unter anderem damit zusammenhängt, dass der Sheikhanbereich eine direkte Verbindung zu den de jure kurdisch verwalteten Gebieten aufweist. Die Sicherheitslage im Sheikhan ist nach Einschätzung von EZKS als vergleichsweise stabil zu bezeichnen. Die Sicherheit wird dort ausschließlich von Peschmergakräften aufrechterhalten, während die irakische Armee im Sheikhan nicht präsent ist. Der Rückhalt der KRG ist im gesamten Sheikhan auch unter Yeziden hoch, was sich vor allem in den Wahlergebnissen der Wahlen 2005 und 2009 ausdrückt. Die ökonomische Situation im Sheikhan ist u.a. wegen der stabileren Sicherheitslage und günstigeren klimatischen Grundbedingungen im Vergleich zum Sindjar ebenfalls besser. So wurden im Sheikhan umfangreichere Maßnahmen zur Verbesserung der Infrastruktur durchgeführt als im Sindjar. Investiert wird - vor allem in den yezidischen Zentraldörfern - in den Straßenbau, aber auch in Wasserprojekte. Bezüglich der infrastrukturellen Entwicklung nimmt der Sheikhan im gesamtirakischen Vergleich Plätze im oberen Drittel ein, ohne dass allerdings die Gesamtsituation - insbesondere was die Arbeitsmarktlage angeht – als zufriedenstellend zu bezeichnen wäre. Im Sheikhan ebenso wie im Sindjar bestehen die Arbeitsmöglichkeiten für Yeziden im Wesentlichen in Anstellungen in yezidischen Kultureinrichtungen, als Parteifunktionär, bei den Peschmerga, in der lokalen Verwaltung sowie in einigen kleinen Fabriken bzw. Produktionsstätten. Eine weitere Möglichkeit besteht im Pendeln zwischen den yezidischen Zentraldörfern im Sheikhan und den Großstädten der de jure kurdisch verwalteten Region bzw. in Ain Sifni.

Für die Zeit zwischen Februar 2007 und September 2008 werden für das Sheikhan-Gebiet nur fünf registrierte Sicherheitsvorfälle genannt. Hinweise darauf, dass es in jüngerer Zeit im Sheikhan/al-Sheikhan Übergriffe sunnitischer Extremisten auf Yeziden gegeben hat, gibt es nicht. Auch zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen muslimischen und yezidischen Kurden, wie am 15. 2. 2007 in der Stadt Ain Sifni (Sheikhan) im Anschluss an einen Konflikt zwischen Eheleuten, ist es seit dieser Zeit nicht mehr gekommen

EZKS-Gutachten vom 17.2.2010, a.a.O..

Im Sheikhan/al-Sheikhan sind des weiteren auch keine Übergriffe gegenüber Yeziden dokumentiert, die politisch in Opposition zur KRG-Regierung stehen. Lediglich arabische Volkszugehörige beanstanden willkürliche Verhaftungen, Schikanen an den Checkpoints und die Einschränkung ihrer Bewegungsfreiheit.

Allerdings ist die Lage im Subdistrikt Bashika, der Herkunftsregion des Klägers

vgl. EZKS, Bericht vom 17.2.2010, a.a.O.,

deutlich fragiler als im (eigentlichen) Sheikhangebiet, was unter anderem mit der geographischen Nähe zu der Stadt Mossul zusammenhängt. Der Subdistrikt Bashika (Distrikt Mossul, Provinz Ninive) mit den Städten Bashika und Bahzani, befindet sich erst seit etwa 2009 unter vollständiger Kontrolle der kurdischen Peschmerga, die in erster Linie für die Sicherheit verantwortlich sind.

Was die Lage in Mossul selbst anbelangt, so leben dort keine Yeziden mehr, zumindest nicht in wahrnehmbarer Größenordnung. Die letzten in Mossul verbliebenen Yeziden sollen im Juni 2007 von dort nach Bashika geflohen sein. Zu diesem Zeitpunkt starben in Mossul-Stadt wöchentlich rund 40 Personen aufgrund von Anschlägen, Zivilisten und Polizisten in einem Verhältnis von 60 zu 40, unter ihnen auch Angehörige der yezidischen Minderheit

EZKS, Bericht vom 17.2.2010, a.a.O., insoweit in Übereinstimmung mit dem vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Bericht.

Ab diesem Zeitpunkt war die Provinz Ninive/Mossul zunehmend zu einem Rückzugsgebiet für sunnitische Extremisten, insbesondere von Anhängern der al-Quaida geworden. Insbesondere aber die Vielzahl unterschiedlicher Gruppierungen (irakische Armee, Peschmerga, bewaffnete arabische Stammesmilizen, christliche Bürgerwehren, terroristische Gruppierungen) waren und sind bis heute verantwortlich dafür, dass die Provinz Ninive neben Bagdad, den Provinzen Diyala, Tamim und Salah al Din zu den unruhigsten Regionen im Irak mit zahlreichen Anschlägen und vergleichsweise hohen Opferzahlen gehört.

So wurden bei dem Vorfall im April 2007, der vom Kläger als Grund für seine Ausreise angeführt wird, in Mossul 24 yezidische Fabrikarbeiter aus dem Distrikt Bashika von sunnitischen Extremisten ermordet. Dieser Angriff wird nach den Angaben von EZKS, a.a.O., allgemein als Reaktion auf die (oben bereits erwähnte) Steinigung einer jungen yezidischen Frau durch eigene Stammesangehörige interpretiert. Zudem wird von yezidischer Seite der irakischen Armee vorgeworfen, während einer Militäroperation willkürlich yezidische Häuser in Bashika überfallen und besetzt zu haben.

In den darauffolgenden Jahren 2008 und 2009 hat es nach Feststellungen von EZKS allerdings keinen „größeren“ Anschlag mehr gegen Yeziden in Bashika gegeben. Derartiges lässt sich auch anderen Quellen nicht entnehmen. Ebenso wenig wird in dem dem Senat vorliegenden Erkenntnismaterial für das Jahr 2010 bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat über Anschläge in einer nennenswerten Größenordnung in diesem Gebiet berichtet.

Auch für den Distrikt Sindjar lässt sich eine zur Bejahung der Gruppenverfolgung ausreichende Verfolgungsdichte hinsichtlich der Yeziden nicht feststellen. Im Gegensatz zum Sheikhan-Gebiet ist die Lage in dem weiteren Siedlungsgebiet der Yeziden, dem Distrikt Sindjar, dadurch geprägt, dass dieser Distrikt sich nicht direkt an die de jure kurdisch verwalteten Gebiete anschließt, sondern zwischen der syrischen Grenze und Regionen liegt, in denen sunnitische Terrorgruppen noch immer erheblichen Rückhalt haben. Die yezidischen Zentraldörfer befinden sich inmitten bzw. in unmittelbarer Nähe arabischer Dörfer, in denen unter Saddam Hussein nach der Vertreibung der yezidischen Bevölkerung loyale arabische Stämme angesiedelt wurden. Darüber hinaus hatte al-Qaida bzw. von ihr beeinflusste, sunnitisch fundamentalistische Gruppen Anfang 2007 die Lieferung von Nahrungsmitteln, Benzin und Baumaterialien in den Sindjar behindert. 2008 soll diese „Belagerung“ teilweise aufgehoben worden sein. De facto erfolgt die Versorgung mit Lebensmitteln nun über Dohuk.

Im Einzelnen liegen folgende Erkenntnisse über eine Betroffenheit von Yeziden im Sindjar vor: Nach Angaben verschiedener Quellen

u.a. Auswärtiges Amt, Lagebericht Irak vom 28.11.2010, EZKS an VG München vom 17.2.2010, a.a.O.

fand am 14.8.2007 im Sindjar-Gebiet einer der folgenschwersten Angriffe im Irak gegenüber Zivilisten statt, als vier mit Sprengstoff beladene LKWs in den am Rande des Sindjar gelegenen yezidischen Zentraldörfern al-Khataniya und al-Jazirah detonierten. Hierbei starben etwa 400 yezidische Dorfbewohner, eine vergleichbare Anzahl wurde verletzt. Hunderte von Häusern wurden völlig zerstört. Nach den Anschlägen wurden die yezidischen Zentraldörfer des Sindjars mit Sandbarrieren umgeben, um sie von den arabischen Nachbardörfern zu trennen. Kurdische Checkpoints wurden ausgebaut, Militärpatrouillen der Peschmerga verstärkt. Dennoch kam es in den Jahren 2008 und 2009 zu weiteren Anschlägen. So wurden in der ersten Jahreshälfte 2008 mindestens fünf Yeziden im Sindjar ermordet, ohne dass allerdings genauere Angaben zu den Hintergründen vorliegen.

Am 14.12.2008 tötete eine Gruppe von Bewaffneten sieben Angehörige einer yezidischen Familie in Sindjar.

Am 13.8.2009 sprengten sich zwei Selbstmordattentäter in einem belebten Teehaus in Sindjar-Stadt in die Luft. Sie töteten mindestens 21 Menschen und verletzten 32 weitere. In dem Teehaus trafen sich vor allem yezidische Jugendliche und junge Männer. Dieser Anschlag wird von Yeziden als religiös motiviert interpretiert. Als Urheber werden sunnitische Terrorgruppen vermutet.

Nachdem sich die US-Truppen aufgrund einer entsprechenden Vereinbarung mit der irakischen Zentralregierung am 30.6.2009 aus der Ninive-Ebene zurückzogen, kam es innerhalb kurzer Zeit zu einem dramatischen Anstieg von Übergriffen gegenüber Christen, Schabak und Yeziden. Insgesamt starben über 137 Personen bei Angriffen, etwa 500 Menschen wurden verletzt, ohne dass aber eine eindeutige Zuordnung zu den betroffenen Religionsgruppen feststellbar wäre

vgl. hierzu EZKS vom 17.2.2010, a.a.O..

Aus Sicht des EZKS im o.g. Gutachten ist die Lage im Sindjar noch immer risikobehaftet. Trotz der Peschmergapräsenz könne es zu massiven Anschlägen kommen. Auch das Leben in den - ethnisch homogenen - yezidischen Zentraldörfern bietet nach Einschätzung der Organisation, wie der o.g. Anschlag vom August 2007 zeige, keine unbedingte Sicherheitsgarantie. Fahrten zur Arbeit durch dieses Gebiet gelten als risikoreich. Gefährdet seien dort ferner diejenigen Mitglieder von Scheich- bzw. Pirfamilien, die religiöse Aufgaben für die an unterschiedlichen Orten lebenden Muriden (Laien) wahrnehmen, insbesondere wenn sie aufgrund traditioneller Bekleidung als yezidische Würdenträger erkennbar seien. Darüber hinaus stellt EZKS ein Gefährdungspotential für yezidische Aktivisten im Sindjar fest, die offen gegen die Politik der KRG Stellung beziehen. Die Organisation benennt etwa für das Jahr 2007 die Festnahme und Folter von zwei yezidischen Oppositionellen durch den kurdischen Geheimdienst und zwei ähnliche Fälle aus November/Dezember 2008.

vgl. hierzu EZKS vom 17.2.2010, a.a.O..

In wirtschaftlicher und infrastruktureller Hinsicht gehört der Sindjar nach Feststellungen von EZKS im o.g. Gutachten zu den unterentwickeltesten Distrikten im gesamten Irak.

Was die Möglichkeit von Yeziden anbelangt, sich in Gebieten jenseits der eigenen Siedlungsgebiete und Herkunftsorte anzusiedeln, ist nach Feststellungen von EZKS bis heute keine Zuwanderung größeren Ausmaßes von yezidischen Familien in irakische oder irakisch-kurdische Städte zu beobachten. Die große Mehrheit der yezidischen Familien aus den Zentraldörfern im Sindjar und Sheikhan ist dort geblieben, da sich die zumeist sehr kinderreichen Familien das Leben, insbesondere die Mieten in den Städten der KRG-Region nicht leisten können und die - in der Regel schlecht bzw. nicht ausgebildeten - Familienoberhäupter aus den yezidischen Zentraldörfern oft nur schlecht bezahlte Arbeitsstellen erhalten.

Im Übrigen soll nach Angaben von EZKS,

vgl. hierzu EZKS vom 17.2.2010, a.a.O.

die KRG oftmals (zuzugswilligen) Yeziden aus den umstrittenen Gebieten die Registrierung in der de jure kurdisch verwalteten Region und damit den Bezug der subventionierten Lebensmittelrationen vorenthalten. Hintergrund hierfür sei, dass die Registrierung für den Bezug von Lebensmittelrationen zugleich Grundlage für die Zulassung zu den Wahlen in einer bestimmten Provinz sei. Die KRG habe daher kein Interesse daran, dass Kurden und auch Yeziden die „umstrittenen Gebiete“ verließen. Vielmehr solle der Anteil der Kurden dort so hoch wie möglich gehalten werden, da davon ausgegangen werde, dass diese im Fall des geplanten Referendums für die Zuordnung dieser Gebiete zur kurdischen Region stimmen werden.

Hinsichtlich der Schutzwilligkeit und -Fähigkeit irakischer Stellen hat nach Einschätzung von EZKS die KRG durchaus ein Interesse, Yeziden in den „umstrittenen Gebieten“ Sindjar, Sheikhan/al-Sheikhan und im Subdistrikt Bashika durch ihre Sicherheitskräfte zu schützen. Keinerlei nennenswerten Schutz können die Peschmerga allerdings in der Stadt Mossul selbst bieten.

Ausgehend von diesen Tatsachenfeststellungen kann eine Gruppenverfolgung von Yeziden im Irak weder landesweit noch regional mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit angenommen werden.

Dies gilt auch und gerade mit Blick auf das Erfordernis der Verfolgungsdichte. Wie dargelegt, leben nach den aktuellen Schätzungen des Auswärtigen Amtes

vgl. Lagebericht Irak vom 28.11.2010,

denen keine durchgreifenden abweichenden Erkenntnisse anderer Quellen entgegenstehen, von ursprünglich etwa 600.000 Yeziden derzeit noch etwa 200.000 im Irak.

Stellt man dieser Zahl die nach 2007 - selbst unter Einrechnung einer Dunkelziffer - erheblich unter 1000 liegende Zahl dokumentierter, Yeziden betreffender Eingriffe gegenüber, so bleiben weitaus mehr als 99 % der Yeziden von relevanten Verfolgungshandlungen verschont.

Wie bereits dargelegt, war der Senat in seiner Entscheidung vom 26.3.2007 - 3 A 30/07 - für den Gesamtirak von einer Zahl von 137 gegen Yeziden gerichteten Verfolgungshandlungen ausgegangen. Hinzuzurechnen sind für das Jahr 2007 die in der damaligen Entscheidung noch nicht berücksichtigten gewalttätigen Übergriffe auf kurdisch-yezidische Einrichtungen, Privathäuser, Geschäfte und Personen vom 15.2.2007, die erst mit Hilfe kurdischer Sicherheitskräfte unter Kontrolle gebracht werden konnten

hierzu EZKS vom 26.5.2008 an VG Köln, S. 15; Gesellschaft für bedrohte Völker - GBV -, Die Yeziden im Irak von November 2007, S. 6,

ferner die Ermordung von 24 yezidischen Fabrikarbeitern aus dem Distrikt Bashika im April 2007 in Mossul durch sunnitische Extremisten, die als Vergeltung seitens islamischer Extremisten für den sog. Ehrenmord an einer angeblich zum Islam übergetretenen yezidischen jungen Frau durch Yeziden gewertet wird

hierzu EZKS, a.a.O., S. 28; GIGA, Gutachten vom 7.9.2007, a.a.O., S. 13; FAZ vom 16.8.2007, S. 2; NZZ vom 16.8.2007, S. 1,

die Tötung eines yezidischen Bäckers und drei seiner Angestellten in Mossul am 26.4.2007 sowie ebenfalls in Mossul die Ermordung dreier yezidischer Polizisten

vgl. EZKS vom 15.7.2007 an VG Karlsruhe zu Az. 3 K 10741/04,

ein Anschlag am 23.4.2007 in Telleskuf/Provinz Ninive - ohne Opfer -, die Tötung eines Yeziden durch Terroristen am 4.6.2007, die Entführung und Ermordung zweier Yeziden aus Bashika am 3.7.2007

vgl. hierzu GBV, Die Yezidi im Irak von November 2007, S. 7,

sowie die Bombenanschläge an drei Orten im Sindjar-Gebiet im August 2007 mit etwa 400 Toten und einer vergleichbaren Anzahl von Verletzten

hierzu etwa Auswärtiges Amt, Lagebericht Irak vom 28.11.2010, S. 27; FAZ vom 16.8.2008, S. 1; SZ vom 16.8.2007, S. 1 und 8; FR vom 16.8.2007, S. 8, 9; Die Welt vom 16.8.2007.

Bekannt wurde ferner die Steinigung zweier yezidischer Männer am 14.8.2007 in Kirkuk

hierzu SZ vom 16.8.2007, S. 8.

Am 3.11.2008 wurde ein yezidisches Ehepaar westlich von Mossul von unbekannten Tätern erdrosselt aufgefunden. Am 7.12.2008 wurden im Norden Mossuls zwei Yeziden in einem Laden, in dem Alkohol zum Verkauf angeboten wurde, erschossen. Im März 2009 wurden zwei yezidische Männer nahe Mossul tot aufgefunden

hierzu EZKS vom 17.2.2010 an VG Köln.

Das Bundesasylamt berichtet von der Erschießung einer siebenköpfigen yezidischen Familie durch Terroristen sowie von einem Bombenanschlag in der Stadt Sindjar zum Jahresende 2008 mit mehreren Toten und mehr als 40 Verletzten

vgl. Bundesasylamt, Die Sicherheitslage der Jesiden im Irak vom 4.11.2009, S. 8.

Nach Angaben des Auswärtigen Amtes

vgl. Lagebericht Irak vom 28.11.2010

kommt es zwar zu sporadischen Angriffen von Peschmergaeinheiten auf yezidische Dörfer. Hintergründe oder sonstige nähere Angaben hierzu werden aber nicht festgestellt. Als einzigen konkreten Vorfall aus jüngerer Zeit benennt das Auswärtige Amt den Bombenanschlag am 13.8.2009 auf ein Café in Sindjar (Stadt), bei dem 21 Yeziden ums Leben kamen.

Das Bundesasylamt (Österreich) weist ferner unter Berufung auf die International Crisis Group darauf hin, dass es auch im September 2009 zu einer Reihe von Anschlägen gegen die Minderheiten in der Provinz Ninive gekommen sei, zudem sei laut einer Meldung vom 2.10.2009 das Haus eines Anführers der Yeziden (eines Colonels der Polizei) in Mossul in die Luft gesprengt worden

hierzu Bundesasylamt vom 4.11.2009, a.a.O., S. 8.

Weitere Erkenntnisse, die konkret auf Yeziden bezogene signifikante Vorfälle und Zahlen aus den Jahren 2010 und 2011 betreffen, liegen dem Senat weder für die genannten Hauptsiedlungsgebiete der Yeziden im Nordirak noch für andere Landesteile des Irak vor

vgl. EZKS vom 17.2.2010 an VG München, a.a.O., GIGA, Stellungnahme an VG Düsseldorf vom 2.4.2007, a.a.O..

Sie lassen sich insbesondere auch nicht den Registrierungen der als zuverlässig und präzise einzuschätzenden (Menschenrechts)Organisation des Iraq Body Count,

vgl. hierzu etwa BAMF, Irak - Zur Gefährdung der Zivilbevölkerung durch bewaffnete Konflikte, Juni 2011 und Januar 2010

entnehmen.

Bei dieser Erkenntnislage bleibt die Zahl der bekannt gewordenen Vorfälle selbst bei Einrechnung einer angemessenen Dunkelziffer sowie Unterstellung einer entsprechenden abschiebungsrechtlichen Verfolgungsrelevanz im Sinne der Art. 9 und 10 der Qualifikationsrichtlinie in allen genannten Fällen in erheblichem Abstand zur kritischen Verfolgungsdichte. Die bekannt gewordenen Vorfälle sind nicht geeignet, eine landesweite oder territorial eingegrenzte Verfolgung der Yeziden als religiöser Gruppe zu belegen, und zwar weder in einem der Hauptsiedlungsgebiete der Yeziden im Nordirak noch im konkreten Herkunftsgebiet des Klägers.

Zwar sind über die genannten Zahlen von Toten und Verletzten hinaus auch weitere Maßnahmen und Handlungen zu berücksichtigen, sofern sie als i.S.d. § 60 Abs. 1 i.V.m. Art. 10 Abs. 1 lit. b Qualifikationsrichtlinie relevante Eingriffe in die Freiheit der Religionsausübung zu werten sind

vgl. hierzu auch Urteile des BVerwG vom 5.3.2009 - 10 C 51.07 -, vom 10.1.2004 - 1 C 9.03 - und vom 24.5.2000 - 9 C 34.99 -, jeweils zitiert nach juris; siehe in diesem Zusammenhang auch EGMR, Urteil vom 10.11.2005 - Nr. 44744/98 -.

Für die Frage einer Gruppenverfolgung von Yeziden in der Herkunftsregion des Klägers, der selbst keine ihn individuell betreffende Maßnahme hinsichtlich der Freiheit seiner Religionsausübung, sondern nur eine aus Einzelereignissen abgeleitete allgemeine Furcht, als Yezide möglicherweise künftig Verfolgungsgefahren ausgesetzt zu sein, benannt hat, folgt hieraus jedoch nichts anderes.

Der von § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. den Bestimmungen der Qualifikationsrichtlinie geschützte Bereich umfasst die Religion als Glauben, als Identität und Lebensform. Nach Art. 10 Abs. 1 lit. b) QRL umfasst der Begriff der Religion insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme bzw. Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder der Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind. Der unverzichtbare bzw. unentziehbare Kern der Privatsphäre des Gläubigen („religiöses Existenzminimum“) erfasst die religiöse Überzeugung als solche sowie die Religionsausübung abseits der Öffentlichkeit und in persönlicher Gemeinschaft mit anderen Gläubigen dort, wo man sich nach Treu und Glauben unter sich wissen darf („forum internum“)

vgl. hierzu bereits BVerfG, Beschluss vom 10.11.1989 - 2 BvR 403, 1501/84, E 81, 58 ff. (S. 66).

Inwieweit unter Geltung der Qualifikationsrichtlinie die Religionsausübung in der Öffentlichkeit geschützt wird und welche Qualität bzw. Intensität eventuelle Eingriffe mit Blick auf die Verknüpfung der Verfolgungsgründe in Art. 10 QRL mit den Verfolgungshandlungen des Art. 9 QRL aufweisen müssen, um als relevant zu gelten

vgl. Vorabentscheidungsersuchen des BVerwG an den EuGH, Beschlüsse vom 9.12.2010 - 10 C 19.09 - und - 10 C 21.09 -, betreffend Ahmadiyya aus Pakistan, zitiert nach juris,

kann vorliegend offenbleiben.

Denn über die vorgenannten Opferzahlen an Toten und Verletzten hinausgehende, i.S.d. § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. den Art. 10, 9 QRL relevante Eingriffe in die Religionsfreiheit können für die Herkunftsregion des Klägers als zumutbarer Rückkehrort nicht festgestellt werden.

Zwar ist

ausweislich der Stellungnahme des EZKS vom 17.2.2010, a.a.O., S. 24 f.,

davon auszugehen, dass Yeziden oftmals herablassend bzw. als Bürger zweiter Klasse behandelt werden, was sich etwa auf dem Arbeitsmarkt oder beim Wiederaufbau zerstörter Dörfer auswirkt. Gezielte, in die freie Religionsausübung als solche eingreifende relevante Handlungen sind in der erforderlichen Gefahrendichte aber weder für den Distrikt Sheikhan (im weiteren Sinne) noch für die weiteren Siedlungsgebiete der Yeziden festzustellen. Vielmehr führt das EZKS aus, dass im Sheikhan, und auch in den yezidischen Zentraldörfern im Sindjargebiet Maßnahmen zur Verbesserung auch der religiösen Infrastruktur ergriffen werden. Danach verfügt zur Zeit jedes größere yezidische Zentraldorf über einen eigens für die yezidische Gemeinschaft errichteten Veranstaltungssaal, ein yezidischer Schrein in Beristek sei zwischenzeitlich renoviert worden.

Hiervon Abweichendes ist auch nicht aus anderen genannten Erkenntnisquellen abzuleiten.

Da Yeziden ihrem Glaubensinhalt nach ihre Religion im Übrigen auch abseits der Öffentlichkeit ausüben dürfen

vgl. BAMF, Yeziden im Irak, vom Juni 2007, S. 2; GIGA an VG Düsseldorf vom 2.4.2007, a.a.O.

und zum anderen - wie dargelegt - in dem Gebiet Sheikhan/al Sheikhan und so auch im Herkunftsgebiet des Klägers, Bashika/Bahzani, sowie im Sindjar Yeziden für die Ausübung ihrer Religion sogar Stätten (yezidische Kulturzentren) eingerichtet wurden

vgl. hierzu etwa EZKS an VG Ansbach zu Az. A 9 K 04.30815 vom 19.3.2007, das von 10 Kultur- bzw. Gemeindezentren in den Hauptsiedlungsgebieten sowie von weiteren geplanten 4 Zentren allein im Sindjar berichtet,

sind vorliegend weitere nach § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. den Art. 10, 9 QRL relevante Eingriffe in die Religionsfreiheit nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit festzustellen.

Die Einschätzung des Senats steht im Übrigen in Einklang mit der Stellungnahme

GIGA an VG Düsseldorf vom 2.4.2007, a.a.O.,

wonach etwaige Gewaltmaßnahmen, die Yeziden betreffen, sich nicht etwa auf die eigentliche Ausübung religiöser Betätigungen beziehen, sondern schlicht auf die sozial mitgeteilte Zugehörigkeit zur Gruppe der „Nicht-Muslime“.

Eine dem Kläger mit Blick auf seine yezidische Religionszugehörigkeit drohende, im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG relevante Gefährdung ist daher nicht anzunehmen.

Dieses Ergebnis steht im Einklang mit der Rechtsprechung anderer Obergerichte, die ebenfalls eine landesweite oder regionale Gruppenverfolgung von Yeziden im Irak verneinen

vgl. etwa BayVGH, Beschlüsse vom 27.6.2011 - 20 ZB 11.30204 -, 10.6.2011 - 20 ZB 11.30198 -, betreffend die Region Mossul/Ninive, vom 3.5.2011 - 20 ZB 1130118 - und vom 28.12.2010 - 13 q ZB 10.30400 -; OVG Münster, Entscheidungen vom 28.3.2011 - 9 A 2563/10.A – und vom 22.10.2010 - 9 A 3287/07.A -, vom 19.3.2007 - 9 LB 373/06 - und 9 LB 380/06; VGH Mannheim, Urteil vom 16.11.2006 - A 2 S 1150/04 -, jeweils zitiert nach juris.

Des Eingehens auf die von dem Kläger ursprünglich problematisierte Frage einer inländischen Schutzalternative in Dohuk, dem Wohnort seiner Schwestern, bedarf es vor diesem Hintergrund nicht.

II.

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die hilfsweise begehrte Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG

zur Prüfungsfolge von unionsrechtlichem und nationalem Abschiebungsschutz etwa BVerwG, Urteil vom 29.6.2010 - 10 C 10.09 -, zitiert nach juris.

Konkrete Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 (konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung) und nach § 60 Abs. 3 AufenthG (Gefahr der Todesstrafe aufgrund einer von dem Schutzsuchenden begangenen Straftat) sind weder vom Kläger vorgetragen noch sonst ersichtlich.

Auch die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG liegen im Falle des Klägers nicht vor.

Nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist.

Die von dem Kläger in seiner Berufungsbegründung angesprochenen Zweifelsfragen zur Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG und des Art. 15 lit. c QRL, insbesondere des Verständnisses des von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG verwendeten Begriffs der „erheblichen individuellen Gefahr für Leib und Leben“ sowie des Begriffs der „ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit“ im Sinne des Art. 15 lit. c der Richtlinie 2004/83/EG - QRL - sind durch die Urteile des Bundesverwaltungsgerichts

vom 24.6.2008 - 10 C 43.07 -, BVerwGE 131, 198 und vom 14.7.2009 - 10 C 9.08 -, juris,

sowie durch Urteil des Europäischen Gerichtshofs

vom 17.2.2009 - C-465/07 -, EuGRZ 2009, 111

hinreichend geklärt. Die Frage, ob § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG auch bei Vorliegen der Voraussetzungen des subsidiären Schutzes nach Art. 15 lit. c der Richtlinie eine Sperrwirkung entfaltet, ist durch das o.g. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 24.6.2008 ebenfalls geklärt.

Nach dem vorgenannten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 14.7.2009, a.a.O., kann sich eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG, die zugleich die entsprechenden Voraussetzungen des Art. 15 lit. c der Richtlinie 2004/83/EG erfüllt, auch aus einer allgemeinen Gefahr für eine Vielzahl von Zivilpersonen im Rahmen eines innerstaatlichen oder internationalen bewaffneten Konflikts ergeben, wenn sich die Gefahr in der Person des Ausländers verdichtet. Eine derartige Individualisierung der allgemeinen Gefahr kann sich aus gefahrerhöhenden Umständen in der Person des Ausländers ergeben. Sie kann aber unabhängig davon ausnahmsweise auch bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre.

Der Begriff des internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts in § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ist dabei unter Berücksichtigung des humanitären Völkerrechts auszulegen. Danach müssen die Kampfhandlungen von einer Qualität sein, wie sie u.a. für Bürgerkriegssituationen kennzeichnend sind, und über innere Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und ähnliche Handlungen hinausgehen. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konflikts im Sinne von Art. 15 lit. c QRL nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen, wofür Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfe typische Beispiele sind. Ein solcher innerstaatlicher bewaffneter Konflikt muss sich dabei nicht auf das gesamte Staatsgebiet erstrecken

vgl. BVerwG, Urteil vom 24.6.2008 - 10 C 43.07 -, a.a.O..

Besteht ein bewaffneter Konflikt mit der beschriebenen Gefahrendichte nicht landesweit, kommt eine individuelle Bedrohung allerdings in der Regel nur in Betracht, wenn der Konflikt sich auf die Herkunftsregion des Antragstellers erstreckt, in die er typischerweise zurückkehren wird, den „tatsächlichen Zielort“ des Ausländers bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat

vgl. EuGH, Urteil vom 17.2.2009, a.a.O..

Auf einen bewaffneten Konflikt außerhalb der Herkunftsregion des Ausländers kann es nur ausnahmsweise ankommen. Nach Art. 2 lit. e QRL muss der Ausländer bei einem regional begrenzten Konflikt außerhalb seiner Herkunftsregion stichhaltige Gründe dafür vorbringen, dass für ihn eine Rückkehr in seine Herkunftsregion ausscheidet und nur eine Rückkehr gerade in die Gefahrenzone in Betracht kommt.

Gemessen an diesen Maßstäben kann für den Kläger keine erhebliche individuelle Gefahr für Leib oder Leben infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines bewaffneten innerstaatlichen oder internationalen Konflikts im Irak bzw. in dessen Teilen festgestellt werden. Nach dem auch hier anzuwendenden Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit sind die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG vielmehr zu verneinen.

Ob die aktuelle allgemeine Lage im Irak und insbesondere in der Herkunftsregion des Klägers in der Provinz Ninive und dort im Subdistrikt Bashika/Bahzani, überhaupt die Annahme eines innerstaatlichen oder auch nur regionalen bewaffneten Konflikts im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG rechtfertigen kann, kann offenbleiben

ebenso offen gelassen zum landesweiten Konflikt im Irak etwa OVG Münster, Urteil vom 29.10.2010 - 9 A 3642/06.A -, VGH München, Urteil vom 24.3.2011 - 20 B 10.30033 -, und VGH Mannheim, Urteil vom 12.8.2010 - A 2 S 1134/10 -, zitiert nach juris, sowie im Urteil des Senats vom 1.6.2011 – 3 A 429/08 -, dokumentiert bei juris.

Denn jedenfalls fehlt es vorliegend an der geforderten erheblichen individuellen Gefahr für Leib und Leben des Klägers als Angehöriger der Zivilbevölkerung.

Auf die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 QRL kann sich der Kläger nicht berufen. Dies gilt sowohl mit Blick auf seine yezidische Religionszugehörigkeit, als auch unter dem Aspekt der zuletzt von ihm geltend gemachten Nachfluchtaktivitäten, als auch hinsichtlich der von ihm selbst nur am Rande angesprochenen früheren Mitgliedschaft eines Onkels in der Baath-Partei. Insoweit kann vollumfänglich auf die diesbezüglichen Ausführungen im Rahmen des § 60 Abs. 1 AufenthG verwiesen werden.

Darüber hinaus ist auch der erforderliche Zusammenhang zwischen der geltend gemachten (Vor-)Verfolgung und dem künftig befürchteten Schaden sowie dem Zweck des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG, den Schutz des Betroffenen vor Gefahren im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts sicherzustellen, nicht erkennbar.

Wie der Senat bereits in seinen Urteilen vom 1.6.2011

3 A 429/08 – und 3 A 451/08 - , jeweils dokumentiert bei juris

im Einzelnen dargelegt hat, ist nach den vorliegenden Erkenntnissen zwar von einer immer noch instabilen Sicherheitslage im Irak auszugehen, jedoch ist gegenüber früheren Jahren eine fortschreitende Stabilisierung zu verzeichnen und weisen die vorliegenden Erkenntnisse insgesamt in eine positive Richtung

hierzu etwa BAMF, Dokumentation Irak, Zur Gefährdung der Zivilbevölkerung durch bewaffnete Konflikte, Januar 2010; BAMF, Briefing Notes vom 27.12.2010; Schweizerischen Flüchtlingshilfe (im Folgenden SFH) Irak: Die aktuelle Entwicklung im Zentral- und Südirak - Update vom 5.11.2009 -; UNHCR, Positionspapier zum Schutzbedarf irakischer Asylbewerber und zu den Möglichkeiten der Rückkehr irakischer Staatsangehöriger in Sicherheit und Würde vom 13.5.2009 und Stellungnahme vom 16.9.2009 an den Hessischen VGH; ai-Report 2010, Zur weltweiten Lage der Menschenrechte.

Auf die diesbezüglichen Darlegungen in den genannten Urteilen des Senats vom 1.6.2011 wird vollinhaltlich Bezug genommen.

Auch nach der Auswertung neueren Erkenntnismaterials

hierzu etwa BAMF, Irak - Die Gefährdung der Zivilbevölkerung durch bewaffnete Konflikte, Juni 2011, Auswärtiges Amt, Lagebericht Irak vom 28.11.2010, Reisewarnung, Stand: 22.6.2011, taz 5.5.2011.

geht von der allgemeinen Lage im Irak zwar nach wie vor eine Gefahr aus, die neben den Angehörigen spezieller Personengruppen, so insbesondere von Regierungs-, Streit- und Sicherheitskräften auch eine Vielzahl von Zivilpersonen ohne eindeutige Zuordnung betrifft und damit eine Gefahr darstellt, der letztlich die gesamte Bevölkerung im Irak allgemein ausgesetzt ist.

Jedoch kann die für die Schutzgewährung nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG erforderliche erhebliche individuelle Gefahr erst dann bejaht werden, wenn sich allgemeine Gefahren eines Konflikts mit der Folge einer ernsthaften individuellen bzw. persönlichen Betroffenheit aller Bewohner der maßgeblichen Region verdichten oder sich für den Einzelnen durch individuelle gefahrerhöhende Umstände zuspitzen. Solche individuellen gefahrerhöhenden Umstände können sich nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch aus einer Gruppenzugehörigkeit ergeben. Dies setzt aber eine solche Gefahrendichte voraus, dass ein in sein Heimatland zurückkehrender Ausländer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit befürchten muss, gezielt oder auch zufällig selbst Opfer eines Terroranschlages zu werden oder infolge stattfindender Kampfhandlungen am Leben oder seiner körperlichen Unversehrtheit beschädigt zu werden

vgl. BVerwG, Urteil vom 24.6.2008 - 10 C 43.07 -, a.a.O.; OVG Münster, Urteil vom 29.10.2010, a.a.O..

Dies kann vorliegend nach den vorstehenden Darlegungen nicht angenommen werden.

Zur allgemeinen Gefahrendichte insbesondere für die Jahre 2010 und 2011 kann im Einzelnen auf die Ausführungen in den Urteilen des Senats vom 1.6.2011

3 A 429/08 – und 3 A 451/08 - , jeweils dokumentiert bei juris

verwiesen werden.

Den Lageberichten des Auswärtigen Amtes

vom 11.4.2010 und vom 28.11.2010,

zufolge wird die Gesamtbevölkerung Iraks auf etwa 32,3 Mio. Menschen geschätzt.

Die Gesamtopferzahlen im Jahr 2010 mit 4028 Opfern

vgl. BAMF, Zur Gefährdung der Zivilbevölkerung durch bewaffnete Konflikte, Januar 2010; Bundesasylamt (Österreich), Bericht Irak, Die Sicherheitslage in Bagdad vom 26.1.2011

ebenso wie die Gesamtopferzahlen bis Mai 2011 mit mindestens 1033 Toten

vgl. BAMF Zur Gefährdung der Zivilbevölkerung im Irak, Juni 2011,

die sich bis zum hier maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt auf vergleichbarem Niveau fortgesetzt haben, verdeutlichen, dass eine Gefährdungslage für den Kläger in dem Sinne, dass er als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib und Leben im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG (i.V.m. Art. 15 c QRL) im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt wäre, zu verneinen ist. Angesichts der Relation der Opferzahlen zur Gesamtbevölkerung ist nicht mit dem hier erforderlichen Grad der beachtlichen Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass die Gefahrendichte im Irak derart hoch ist, dass praktisch jede Zivilperson alleine aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre.

Die Zugehörigkeit des Klägers zur Religionsgemeinschaft der Yeziden wirkt sich - jedenfalls bezogen auf die nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vorrangig in den Blick zu nehmende Herkunftsregion – ebenfalls nicht gefahrerhöhend aus. Insoweit kann vollumfänglich auf die Ausführungen zur Frage einer Gruppenverfolgung von Yeziden im Irak im Rahmen des § 60 Abs.1 AufenthG Bezug genommen werden. Dies gilt auch hinsichtlich der Feststellungen zur Gefährdungslage in der Herkunftsprovinz Ninive und dem Gebiet Sheikhan im weiteren Sinne.

Hinsichtlich der erstinstanzlich am Rande behaupteten ehemaligen Mitgliedschaft des (bereits 1970 getöteten) Onkels des Klägers in der Baath-Partei ist – wie bereits dargelegt - eine eventuell daraus resultierende Gefährdung als Familienmitglied ebenfalls nicht plausibel.

III.

Auch nationale Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen in der Person des Klägers nicht vor.

Durchgreifende Anhaltspunkte dafür, dass eine Abschiebung des Klägers nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten unzulässig ist, sind nicht ersichtlich.

Dem Kläger drohen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit auch keine Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Dies gilt insbesondere mit Blick auf die allgemeine Versorgungslage.

Ausgehend von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts fallen die schwierigen Existenzbedingungen einer Vielzahl von Irakern, insbesondere hinsichtlich der Erlangung eines Arbeitsplatzes und der Sicherstellung allgemeiner und medizinischer Versorgung, die aus den vorstehend genannten Erkenntnisquellen hervorgehen, auch wenn sie den einzelnen Ausländer in individualisierbarer Weise betreffen sollten, hinsichtlich des Vorliegens der tatbestandlichen Voraussetzungen prinzipiell nicht in die Entscheidungszuständigkeit des Bundesamtes. Bei derartigen – auch erheblichen – Gefährdungen ist die Anwendbarkeit des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG durch Satz 3 der Vorschrift „gesperrt“, wenn diese Gefahren zugleich einer Vielzahl anderer Personen im Abschiebezielstaat drohen

hierzu BVerwG, Entscheidungen vom 14.11.2007 - 10 B 47.07 - u.a.; vom 23.8.2006 - 1 B 60.06 -, Urteil vom 8.112.1998 - 9 C 4.98 - u.a., sowie grundlegend bereits BVerwG, Urteil vom 17.10.1995 - 9 C 9.95 -, NVwZ 1996, 199 zu der nahezu wortgleichen Bestimmung des § 53 Abs. 6 AuslG, zitiert nach juris.

Fehlt in einem solchen Fall eine Entscheidung nach § 60 a Abs. 1 AufenthG, ist aus verfassungsrechtlichen Gründen nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eine Einzelfallentscheidung nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AuslG mit Blick auf Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nur dann ausnahmsweise zulässig und geboten, wenn die obersten Behörden der Bundesländer trotz einer - landesweiten - extremen Gefahrenlage von ihrer Ermessensermächtigung aus § 60 a AufenthG keinen Gebrauch gemacht haben (sog. „verfassungskonforme Überwindung der Sperrwirkung“)

vgl. auch hier BVerwG, Entscheidungen vom 29.6.2010 - 10 C 9.09 und 10 C 10.09 - und vom 14.11.2007 - 10 B 47.07 -, zitiert nach juris.

Eine derartige landesweite Extremgefahr hat der Senat zuletzt in seinen Urteilen vom 1.6.2011, a.a.O., verneint. Eine durchgreifende Änderung ist seitdem nicht erkennbar. Derartiges wird von dem Kläger auch nicht vorgetragen.

Zwar ergibt sich aus der Auskunftslage,

vgl. hierzu Auswärtiges Amt, Lagebericht Irak vom 28.11.2010; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Irak: Die aktuelle Entwicklung im Zentral- und Südirak vom 5.11.2009, UNHCR an Hess.VGH vom 16.9.2009

dass sich im Irak Einschränkungen beim Zugang zu Lebensmitteln, Unterkunft, Grundversorgungsdienstleistungen (wie Wasser, Strom), Einkommen, Beschäftigung, medizinischer Versorgung und Bildung feststellen lassen, die nach Einschätzung des UNHCR dazu führen, dass ein relativ normales Leben ohne Härten nicht geführt werden kann. Das 1995 eingeführte System zur Verteilung von Nahrungsmitteln (Public Distribution System) hat sich seit 2003 verschlechtert, viele Menschen erhalten nicht die festgelegte Ration, die Qualität der Nahrungsmittel ist oft minderwertig, auch kann es zu Schwierigkeiten bei der Erneuerung der Lebensmittelkarten kommen. Indes sind durchgreifende Anhaltspunkte für i.S.d. § 60 Abs. 7 S. 1 relevante Gefahren wie eine drohende Nahrungsmittelknappheit oder eine bevorstehende Hungerkatastrophe nicht zu verzeichnen. Weiterhin fließen internationale Hilfsgelder in den Irak und werden vom Handelsministerium Lebensmittel verteilt. Zudem versucht die irakische Regierung finanzielle Anreize zu gewähren, um ins Ausland geflohene Iraker zu einer Rückkehr zu bewegen. Bis Ende 2008 sind 40.060 Familien in den Irak zurückgekehrt. Im Jahr 2010 kehrten 118.890 Flüchtlinge und Binnenflüchtlinge in den Irak bzw. an ihre Heimatorte zurück. Dies waren zwar 40 % weniger als im Jahr 2009, belegt jedoch einen insgesamt aufstrebenden Rückkehrwillen

vgl. zu letzterem UNHCR: Iraq Refuges Returns fell from in 2010 vom 28.1.2011.

Ein Abschiebungsverbot im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG kann daher nach allem nicht angenommen werden.

Dies gilt - in Übereinstimmung mit anderer obergerichtlicher Rechtsprechung -

vgl. etwa OVG Münster, Beschluss vom 22.10.2010 - 9 A 3287/07.A -

auch für Yeziden im Nordirak. Insoweit kann insbesondere auch auf die Ausführungen zu der im Vergleich zu anderen Teilen des Irak besseren infrastrukturellen Entwicklung im Sheikhan-Gebiet im weiteren Sinne verwiesen werden.

Die Berufung des Klägers ist nach allem zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 83 b AsylVfG.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Satz 1 ZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht gegeben sind.

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(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:1.Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;2.Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;3.Urteile, dur
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(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

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published on 01/06/2011 00:00

Tenor Die Berufung wird zurückgewiesen.Gerichtskosten werden nicht erhoben. Der Kläger trägt die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens.Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.Die Revision wird nicht zugelassen. Tat
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Tenor Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 1. März 2011 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts des Saarlandes - 2 K 2104/09 - wird zurückgewiesen.Die außergerichtlichen Kosten des geri
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Annotations

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:

1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;
2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;
3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird;
4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden;
5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären;
6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden;
7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen;
8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht;
9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung;
10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist;
11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.

(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung das Bundesverwaltungsgericht sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:

1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;
2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;
3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird;
4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden;
5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären;
6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden;
7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen;
8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht;
9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung;
10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist;
11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.

(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung das Bundesverwaltungsgericht sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden.