Schleswig Holsteinisches Oberverwaltungsgericht Beschluss, 12. Dez. 2014 - 1 LA 57/14
Gericht
Tenor
Der Antrag der Beigeladenen auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - 8. Kammer, Einzelrichter - vom 16.06.2014 wird abgelehnt.
Die Beigeladene trägt die Kosten des Antragsverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Antragsverfahren auf 15.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
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Die Beigeladene wendet sich gegen die Verpflichtung zur Beseitigung einer Außentreppenanlage.
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Die Außentreppenanlage war der Beigeladenen im Zusammenhang mit der Errichtung einer Dachterrasse im vereinfachten Verfahren genehmigt worden. Die nach erfolglosem Widerspruch gegen diese Genehmigung erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen, die Beklagte aber antragsgemäß verpflichtet, im Wege einer Beseitigungsanordnung gegen die Außentreppe einzuschreiten. Die innerhalb der relevanten Abstandsfläche errichtete Treppenanlage sei weder nach § 6 Abs. 6 Nr. 1 LBO SH noch nach § 6 Abs. 6 Nr. 2 LBO SH zulässig. Sie sei weder ein Bauteil von untergeordneter Bedeutung noch ein „Vorbau", der dem Bauwerk funktional untergeordnet sei. Das im Rahmen des § 59 Abs. 2 LBO SH obwaltende Ermessen zum Erlass einer Beseitigungsverfügung sei auf Null reduziert.
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Ihren Antrag auf Zulassung der Berufung begründet die Beigeladene mit ernstlichen Zweifeln an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils, besonderen tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten und einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache.
II.
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Der fristgerecht gestellte und begründete Antrag auf Zulassung der Berufung betrifft Ziff. 1 Satz 1 des Tenors des erstinstanzlichen Urteils, also die Verpflichtung der Beklagten, gegenüber der Beigeladenen die Beseitigung der Außentreppenanlage anzuordnen.
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Der Zulassungsantrag ist unbegründet. Die Beigeladene kann die Berufungszulassung nicht beanspruchen, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 - 3 VwGO nicht vorliegen.
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1. Die dargelegten Gründe lösen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des ernstlichen Urteils aus.
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1.1 Das Verwaltungsgericht hat zutreffend entschieden, dass die an der östlichen Außenwand des Gebäudes der Beigeladenen errichtete Treppenanlage in der nach § 6 Abs. 1 S. 1, Abs. 5 LBO SH frei zu haltenden Abstandsfläche unzulässig ist. Die Außentreppe kann bei der Bemessung der Abstandsfläche nicht außer Betracht bleiben (1.1.1); sie ist - entgegen der Ansicht der Beigeladenen - weder ein „Bauteil" i. S. d. § 6 Abs. 6 Nr. 1 LBO SH (1.1.2) noch ein „Vorbau" i. S. d. § 6 Abs. 6 Nr. 2 LBO SH (1.1.3).
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1.1.1 Den nach § 6 Abs. 6 LBO SH bei der Abstandsflächenbemessung „außer Betracht" bleibenden Fällen ist gemeinsam, dass die durch das Abstandsflächenrecht geschützten Belange einer ausreichenden Belichtung, Belüftung und Besonnung sowie der Wahrung von „Privatheit" und Wohnfrieden allenfalls geringfügig beeinträchtigt werden. Das ist bei optisch nicht wesentlich in den Vordergrund tretenden und die Kubatur des Gebäudes nicht verändernden oder verfremdenden unselbständigen Bauteilen oder Vorbauten der Fall, wobei Bezugspunkt der Beurteilung deren Relation zur jeweiligen Außenwand bzw. deren Länge ist. Die Unselbständigkeit zeigt sich auch darin, dass sie dem „Hauptbaukörper" funktional dienen.
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Im Umkehrschluss kann § 6 Abs. 6 LBO SH nicht (mehr) auf Bauteile angewandt werden, denen eine eigene (neue) Funktion zukommt, die der „Hauptbaukörper" (bisher) nicht hatte oder deren Zweck darin besteht, die Wohn- oder Nutzfläche des „Hauptbaukörpers" zu erweitern oder Wohn- und Nutzflächen außerhalb der Außenwände des Gebäudes zu erschließen. In diesen Fällen stehen die o. g. Schutzgüter des Abstandsflächenrechts nach dem - erkennbaren - Willen des Gesetzgebers einer Inanspruchnahme der Abstandsfläche entgegen.
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Die von der Beigeladenen errichtete Außentreppe dient der Erschließung der - neu angelegten - Dachterrasse(n) und fügt dem (bisherigen) „Hauptbaukörper“ somit eine neue Funktion zu. Die Außentreppe tritt gegenüber der Außenwand, an der sie montiert ist, bedingt durch ihren Standort, ihre Maße und das Baumaterial optisch deutlich hervor.
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1.1.2 Entgegen der Ansicht der Beigeladenen ist die Außentreppe nicht als ein vor die Außenwand vortretender „Bauteil“ i. S. d. § 6 Abs. 6 Nr. 1 LBO SH anzusehen.
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Die im Gesetzestext für ein „Bauteil“ genannten Beispiele („Gesimse“, „Dachüberstände“) belegen, dass der Gesetzgeber insoweit nicht eigenständig benutzbare Teile bzw. Teilbereiche der Außenwand oder des Gebäudes, sondern funktional und baulich untergeordnete Elemente ansprechen wollte (vgl. Domning u. a., Bauordnungsrecht Schleswig-Holstein, Komm., Stand Aug. 2010, § 6 Rn. 76; vgl. auch OVG Greifswald, Urt. v. 04.12.2013, 3 L 143/10, NordÖR 2014, 198 [Ls.]). Die in § 6 Abs. 6 Nr. 1 LBO SH genannten Maßvorgaben begrenzen die bauliche Unterordnung; das Verwaltungsgericht hat - unabhängig davon - eine bauliche Unterordnung verneint, weil die Außentreppe „in ihrer konkreten Ausführung optisch erheblich ins Gewicht fällt“ (Urt.-Abdr., S. 16). Das ist in Anbetracht der bei den Akten befindlichen Fotoaufnahmen schwerlich zu bestreiten. Unabhängig davon fehlt es auch an einer funktionalen Unterordnung der Außentreppe, weil sie die (nachträglich angelegte) Dachterrasse(n) erschließt.
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Der Ansicht der Beigeladenen, eine funktionale oder bauliche Unterordnung des „Bauteils“ i. S. d. § 6 Abs. 6 Nr. 1 LBO SH sei rechtlich nicht erforderlich, ist nicht zu folgen. Aus dem Wortlaut des Gesetzes ergibt sich das Gegenteil (s. o. 1.1.1); weder aus der Entstehungsgeschichte der Norm noch aus der sog. „Musterbauordnung“ oder aus einem Vergleich zu den Bauordnungen anderer Bundesländer lässt sich etwas für die Ansicht der Beigeladenen gewinnen. Der Regelung in § 6 Abs. 6 Nr. 1 LBO SH vorausgegangen ist § 6 Abs. 7 LBO SH in der Fassung vom 10.01.2000; für diese Vorschrift war - ebenfalls - anerkannt, dass sie nur für untergeordnete Bauteile gilt (vgl. Witt, in: Arndt u. a.; Handkomm. LBO SH, 2001, § 6 Rn. 94, 95; Möller/Suttkus, LBO SH 2000 Kurzkommentierung, 2000, zu § 6, S. 40). Aus der sog. „Musterbauordnung“ (dort: § 6 Abs. 6), die die Novellierung der Landesbauordnung Schleswig-Holstein vom 22.01.2009 beeinflusst hat (vgl. Niere, NordÖR 2009, 273 ff.), ergibt sich nichts anderes. Das Bauordnungsrecht anderer Bundesländer ist für die Auslegung des Landesrechts Schleswig-Holstein nicht heranzuziehen; unabhängig davon gelten - auch - dort dem § 6 Abs. 6 Nr. 1 LBO SH vergleichbare Regelungen für baulich und funktional untergeordnete Bauteile (zu Niedersachsen: vgl. Breyer, in: Große-Suchsdorf, NBauO, 2013, § 5 Rn. 107). Einer „gesetzesrechtlichen“ Verankerung des Erfordernisses der baulichen und funktionalen Unterordnung bedurfte es entgegen der Ansicht der Beigeladenen nicht; das Erfordernis war und ist aus dem Wortlaut des Gesetzes ohne Weiteres abzuleiten.
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1.1.3 Ob die Außentreppe der Maßvorgabe nach § 6 Abs. 6 Nr. 2 a LBO SH entsprechend weniger als ein Drittel der Wandlänge in Anspruch nimmt (s. S. 17/18 des erstinstanzl. Urt.-Abdr.), kann dahinstehen. Sie ist entgegen der Ansicht der Beigeladenen nicht als ein „Vorbau“ i. S. d. § 6 Abs. 6 Nr. 2 LBO SH einzuordnen. Als solcher wäre nur ein Bauteil anzusehen, das - in begrenztem Umfang - aus funktionalen oder gestalterischen Gründen aus der Außenwand hervorspringt. Davon zu unterscheiden ist ein Bauwerk, das dazu dient, weitere Wohn- oder Nutzflächen zu erschließen. Dafür steht die abstandsflächenrechtliche Privilegierung nicht zur Verfügung (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 29.11.1985, 7 B 2402/85, BRS 44 Nr. 101 [S. 246]).
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Es kommt hinzu, dass - entgegen der Ansicht der Beigeladenen - auch für einen „Vorbau“ i. S. d. § 6 Abs. 6 Nr. 2 LBO SH das Erfordernis der baulichen und funktionalen Unterordnung gilt; die abstandsflächenrechtliche Privilegierung erfordert, dass das Erscheinungsbild der Außenwand weiterhin dominiert (vgl. VGH Mannheim, Beschl. v. 09.07.2014, 8 S 827/14, DöV 2014, 849 [Ls.]). Soweit die Beigeladene meint, das Erfordernis einer Unterordnung im genannten Sinne bestehe nicht (mehr), findet dies in der Kommentierung zu § 6 Abs. 6 Nr. 2 LBO SH (vgl. Domning u. a., a.a.O., § 6 Rn. 80 f.; Möller/Suttkus, LBO SH 2009, Erl. § 6 LBO SH [S. 149]) keine Bestätigung. Aus den Maßgrenzen für Vorbauten, dem Regelungszusammenhang und dem Sinn und Zweck der Regelungen in § 6 Abs. 6 LBO SH ist vielmehr zu entnehmen, dass nur solche "Vorbauten" abstandsflächenrechtlich privilegiert sein sollen, die sich sowohl quantitativ, also ihrem baulichen Umfang nach, als auch funktional der jeweils betroffenen Außenwand deutlich unterordnen. Nur bei einer solchen Unterordnung bleibt der der Abstandsregelung zugedachte Schutzzweck (s. o. 1.1.1) gewahrt und eine (dann) geringfügige Minderung des Wohnfriedens ggf. gerechtfertigt (vgl. OVG Berlin, Urt. v. 22.05.1992, 2 B 22.90, NVwZ 1993, 593 [bei Juris Rn. 28] sowie Beschl. v. 25.03.1993, 2 S 4.93, Juris; OVG Koblenz, Beschl. v. 21.05.1996, 8 B 11166/96, NVwZ-RR 1997, 668/669). Von einer funktionalen Unterordnung kann - insbesondere - dann keine Rede mehr sein, wenn die Außentreppe - wie hier - dazu dient, eine Nutzung der Dachterrasse(n) überhaupt erst zu ermöglichen (vgl. OVG Münster, Urt. v. 17.01.2008, 7 A 2761/06, Juris [Rn. 31 f.]).
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1.2 Die im erstinstanzlichen Urteil zu „Lasten" der Beigeladenen angenommene Reduzierung des Einschreitensermessens der Beklagten auf Null ist keinen Richtigkeitszweifeln ausgesetzt.
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Bei einer materiellen und zugleich nachbarrechtsrelevanten Unzulässigkeit der Treppenanlage der Beigeladenen haben die klagenden Nachbarn einen Rechtsanspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung zum Einschreiten der beklagten Bauaufsichtsbehörde (BVerwG, Urt. v. 18.08.1960, I C 42.59, BVerwGE 11, 95 ff.). Aus bundesrechtlicher Sicht führen allerdings Verstöße gegen nachbarschützende Vorschriften allein nicht zu einer Ermessensreduzierung auf Null; maßgeblich ist insoweit das Landesrecht (BVerwG, Beschl. v. 24.05.1988, 4 B 93.88, NVwZ 1988, 824).
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1.2.1 Das nach § 59 Abs. 2 Nr. 3 LBO SH obwaltende Ermessen der Beklagten bleibt unbeeinflusst von der im vereinfachten Genehmigungsverfahren erteilten Baugenehmigung für die Außentreppe. Da in diesem Verfahren nur bauplanungsrechtliche Vorschriften geprüft werden (§ 69 Abs. 1 LBO SH), kann die Bauaufsichtsbehörde gegen bauordnungsrechtliche Verstöße vorgehen, ohne die erteilte Baugenehmigung zuvor aufheben zu müssen.
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Ob infolge der - im vereinfachten Genehmigungsverfahren entfallenen - präventiven Kontrolle von Bauordnungsverstößen ggf. eine verschärfte Einschreitenspflicht - mit entsprechend geringeren Anforderungen an eine Ermessensreduzierung - gilt (so VGH Mannheim, Beschl. v. 26.10.1994, 8 S 2763/94, NVwZ-RR 1995, 490/491 sowie VGH Kassel, Urt. v. 25.11.1999, 4 UE 2222/92, BauR 2000, 873/877 [bei Juris Rn. 77] oder ob die Bauaufsichtsbehörde den betroffenen Nachbarn wegen der - gesetzgeberisch gewollten - Entlastungswirkung des vereinfachten Genehmigungsverfahrens bei bauordnungsrechtlichen Verstößen bei nur geringfügiger Beeinträchtigung auf zivilrechtliche Ansprüche gegen den Bauherrn „verweisen" darf (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 22.10.2008, 1 ME 134/08, BauR 2009, 639 [bei Juris Rn. 15] sowie Beschl. v. 28.03.2014, 1 LA 216/12, NordÖR 2014, 390; kritisch: Mehde/Hansen, NVwZ 2010, 14/16 sowie Mampel, UPR 1997, 267 f.), bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung, da - auch - nach der für die Beigeladenen „günstigeren" (zweiten) Auffassung der hier gegebene Verstoß gegen § 6 Abs. 6 LBO SH mehr als lediglich geringfügig ist und eine Ermessensreduzierung begründet (vgl. VGH Mannheim, Beschl. v. 13.12.1991, 3 S 2358/91, VBlBW 1992, 148). Im erstinstanzlichen Urteil (S. 21) werden die für die betroffenen Kläger unzumutbaren Auswirkungen der rechtswidrig in der Abstandsfläche errichteten Außentreppe - nachvollziehbar - benannt: Die Treppenanlage liegt im direkten „Blickfeld“ von wichtigen Aufenthaltsräumen des Wohnhauses der Kläger und entfaltet aufgrund ihrer Abmessung und Bauausführung auch im Außenwohnbereich eine - durch die bei den Akten befindlichen Fotos eindrucksvoll dokumentierte - spürbare Wirkung. Diese kann in Anbetracht der dichten Bebauungsstruktur im Gebiet an der Straße „Reling“ nicht als lediglich „geringfügig“ angesehen werden.
- 20
1.2.2 Soweit die Beigeladene die Ansicht vertritt, eine Einschreitenspflicht der Beklagten könne erst bei „unmittelbaren, auf andere Weise nicht zu beseitigenden Gefahren für hochrangige Rechtsgüter, wie Leben oder Gesundheit“ oder zur Abwehr „sonst unzumutbarer Belästigungen“ in Betracht, ist dem nicht zu folgen. Die Ermessensentscheidung hat sich an der betroffenen Nachbarrechtsverletzung zu orientieren. Auch die in der Begründung des Zulassungsantrags der Beigeladenen angegebenen Entscheidungen stellen darauf ab, welche Auswirkungen der Verstoß gegen die nachbarschützenden Vorschriften hat (OVG Lüneburg, Beschl. v. 06.03.2003, 1 LA 197/02, NordÖR 2003, 202); bei unzumutbaren Beeinträchtigungen ist die Behörde „in aller Regel zum Einschreiten gegen illegale bauliche Anlagen oder Nutzungen verpflichtet, es sei denn, es stünden ihr sachliche Gründe für eine Untätigkeit zur Seite“ (VGH Mannheim, Beschl. v. 13.12.1991, 3 S 2358/91, VBlBW 1992, 148).
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Bei nachbarschützenden Vorschriften wird - allerdings - die Frage, inwieweit die Einschreitenspflicht der Behörde vom Gewicht eines Baurechtsverstoßes abhängt, unterschiedlich beantwortet (vgl. Otto, ZfBR 2012, 15/16 m. w. N.). Während - z. T. - vertreten wird, dass die Verletzung eines Nachbarrechts nicht nur notwendige, sondern auch zureichende Voraussetzung für einen Einschreitensanspruch des Nachbarn ist (VGH Kassel, Urt. v. 26.05.2008, 4 UE 1626/06, BauR 2009, 1126 [bei Juris Rn. 24], OVG Münster, Urt. v. 15.04.2005, 7 A 19/03, BRS 69 Nr. 135, Urt. v. 22.01.1996, 10 A 1464/92, BRS 58 Nr. 115 sowie Urt. v. 19.05.1983, 11 A 1128/82, BRS 40 Nr. 122; OVG Saarlouis, Urt. v. 23.04.2002, 2 R 7/01, BRS 65 Nr. 118 sowie Urt. v. 17.06.2010, 2 A 425/08, Juris), fordern andere einen „erheblich ins Gewicht fallenden“ Nachbarrechtsverstoß bzw. eine spürbare Beeinträchtigung des Nachbarn (VGH München, Beschl. v. 02.03.2006, 15 ZB 05.2726, Juris und Beschl. vom 16.11.2005, 14 ZB 05.2018, Juris; OVG Lüneburg, Beschluss vom 06.03.2003 [a.a.O.] und Urt. v. 29.10.1993, 6 L 3295/91, BRS 55 Nr. 196; OVG Magdeburg, Beschl. v. 10.10.2006, 2 L 680/04, Juris).
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Vorliegend ist ein gewichtiger und für die Nachbarn spürbarer Nachbarrechtsverstoß gegeben. Auf oben 1.2.1 wird verwiesen.
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Die Beigeladenen beschränken sich in ihrer Antragsbegründung (S. 8) darauf, der Außentreppe eine störende Wirkung bzw. „hoch intensive" Störung abzusprechen. Damit wird der für die Ermessensreduzierung anzulegende Maßstab verkannt, denn die tatbestandliche Verletzung der Abstandsvorschriften in § 6 Abs. 6 LBO SH indiziert die Beeinträchtigung der Nachbarn in Belangen, deren Schutz die Abstandsvorschriften dienen. Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass diese Beeinträchtigung allein „ideell" (ästhetisch) oder optisch wirke, denn die Kläger haben - nachvollziehbar - auf die den Wohnfrieden beeinträchtigende Wirkung der - direkt gegenüber ihrem Esszimmer montierten - Außentreppe verwiesen. Die Nutzung der Treppe eröffnet bisher nicht vorhandene Einsichtsmöglichkeiten auf das Nachbargrundstück. Auch diese - von § 6 Abs. 6 LBO SH geschützten - Wirkungen sind nicht (mehr) als geringfügig anzusehen.
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1.2.3 Für eine Einschreitenspflicht der Beklagten spricht - darüber hinaus - auch der aus den Akten abzulesende Ablauf des Genehmigungsverfahrens. Zwar hatte die Beklagte im vereinfachten Verfahren gem. § 69 Abs. 1 LBO SH das Abstandsflächenrecht nicht zu prüfen (s. S. 10 des erstinstanzl. Urt.-Abdr.). Aus dem Schreiben der Kläger vom 23.11.2012 (Beiakte A, Bl. 21 ff.) ergibt sich aber, dass sie schon frühzeitig vor Genehmigungserteilung gegenüber der Beklagten auf ihre Bedenken hingewiesen hatten. Der Beigeladenen waren diese Einwände (schon 2010) bekannt. Sie ist nicht davor geschützt, dass die Bauaufsichtsbehörde zugleich mit oder nach „vereinfachter" Erteilung einer Baugenehmigung die Einhaltung der an sich eigenverantwortlich zu beachtenden Vorschriften überwacht und - insbesondere - bei Verstößen gegen das Abstandsflächenrecht repressiv tätig wird (vgl. OVG Saarlouis, Beschl. v. 08.12.2010, 2 B 308/10, Juris). Den Klägern kann vorliegend nicht vorgehalten werden, dass sie die Baumaßnahme der Beigeladenen untätig haben „geschehen lassen"; sie haben - im Gegenteil - frühzeitig und unmissverständlich auf ihre nachbarlichen Rechte hingewiesen. Wenn die Beigeladene ungeachtet dessen gebaut hat, ist dies auf eigenes Risiko geschehen; dem Einschreitensanspruch der Kläger steht die bauliche Realisierung nicht entgegen.
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1.3 Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Verpflichtungsurteils (Ziff. 1 Satz 1 des Tenors) sind nach alledem nicht gegeben.
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2. Besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten der Rechtssache liegen nicht vor.
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2.1 Die Frage, ob sich die Außentreppe der Außenwand des Gebäudes der
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Beigeladenen baulich und funktional unterordnet und welchen Umfang die beeinträchtigende Wirkung der Treppenanlage hat, lässt sich anhand der im erstinstanzlichen Urteilstatbestand abgedruckten Zeichnungen, der - weiteren - bei den (Bei-)Akten befindlichen Zeichnungen sowie der Fotoaufnahmen, die die Kläger im Verwaltungsverfahren eingereicht haben bzw. die das Verwaltungsgericht im Ortstermin am 16.06.2014 gefertigt hat, ausreichend beurteilen. Besondere tatsächliche Schwierigkeiten bestehen insoweit nicht.
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2.2 Besondere rechtliche Schwierigkeiten sind mit der Auslegung und Anwendung der in § 6 Abs. 6 Nr. 1 bzw. Nr. 2 LBO SH geregelten Fälle („Bauteile“, „Vorbauten“) nicht verbunden. Das Erfordernis einer baulichen und funktionalen Unterordnung von „Bauteilen“ bzw. „Vorbauten“ ergibt sich ohne Weiteres aus § 6 Abs. 6 Nr. 1 bzw. Nr. 2 LBO SH sowie aus dem systematischen Zusammenhang, in dem die Regelung steht. Bezugspunkt der Unterordnung ist - aus dem Gesetzestext ersichtlich - die jeweilige Außenwand bzw. Wandlänge, also nicht das gesamte Gebäude. Auf die Ausführungen zu oben 1.1.1 bis 1.1.3 wird verwiesen.
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3. Die Frage, ob die „abstandsflächenrechtliche Privilegierung einer baulichen Anlage als ,vortretendes Bauteil‘ i. S. d. § 6 Abs. 6 Nr. 1 LBO SH bzw. als ,Vorbau“ i. S. d. § 6 Abs. 6 Nr. 2 LBO SH deren bauliche und/oder funktionale Unterordnung voraussetzt“, wirft keinen grundsatzbedeutsamen Klärungsbedarf auf. Insoweit gelten die o. a. Gründe zu 2.2 entsprechend. Ob ein „Bauteil“ bzw. ein „Vorbau“ baulich und/oder funktional der Außenwand bzw. der Länge der Außenwand untergeordnet ist, ist im Einzelfall anhand der tatsächlichen Gegebenheiten und ihrer Würdigung zu entscheiden.
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4. Andere Zulassungsgründe sind nicht dargelegt. Der Zulassungsantrag ist damit mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist damit rechtskräftig (§ 124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO).
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Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 52 Abs. 1 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 S. 5, 66 Abs. 3 S. 3 GKG).
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Annotations
(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.
(2) Die Berufung ist nur zuzulassen,
- 1.
wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen, - 2.
wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist, - 3.
wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, - 4.
wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder - 5.
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
Wird die zentrale Behörde tätig, um Unterhaltsansprüche Minderjähriger und junger Volljähriger, die das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, geltend zu machen und durchzusetzen, kann sie das Jugendamt um Unterstützung ersuchen.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.
(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.
(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.
(4) In Verfahren
- 1.
vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro, - 2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro, - 3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und - 4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.
(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert
- 1.
die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist, - 2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.
(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.
(1) Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts können vorbehaltlich des § 99 Abs. 2 und des § 133 Abs. 1 dieses Gesetzes sowie des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht angefochten werden.
(2) Im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gilt für Entscheidungen des beauftragten oder ersuchten Richters oder des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle § 151 entsprechend.
(1) Gegen den Beschluss, durch den der Wert für die Gerichtsgebühren festgesetzt worden ist (§ 63 Absatz 2), findet die Beschwerde statt, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200 Euro übersteigt. Die Beschwerde findet auch statt, wenn sie das Gericht, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat, wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage in dem Beschluss zulässt. Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn sie innerhalb der in § 63 Absatz 3 Satz 2 bestimmten Frist eingelegt wird; ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden. Im Fall der formlosen Mitteilung gilt der Beschluss mit dem dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekannt gemacht. § 66 Absatz 3, 4, 5 Satz 1, 2 und 5 sowie Absatz 6 ist entsprechend anzuwenden. Die weitere Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung der Entscheidung des Beschwerdegerichts einzulegen.
(2) War der Beschwerdeführer ohne sein Verschulden verhindert, die Frist einzuhalten, ist ihm auf Antrag von dem Gericht, das über die Beschwerde zu entscheiden hat, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er die Beschwerde binnen zwei Wochen nach der Beseitigung des Hindernisses einlegt und die Tatsachen, welche die Wiedereinsetzung begründen, glaubhaft macht. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist. Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist an gerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden. Gegen die Ablehnung der Wiedereinsetzung findet die Beschwerde statt. Sie ist nur zulässig, wenn sie innerhalb von zwei Wochen eingelegt wird. Die Frist beginnt mit der Zustellung der Entscheidung. § 66 Absatz 3 Satz 1 bis 3, Absatz 5 Satz 1, 2 und 5 sowie Absatz 6 ist entsprechend anzuwenden.
(3) Die Verfahren sind gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.