Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Beschluss, 08. Okt. 2014 - 1 E 197/14
Gericht
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
1
G r ü n d e
2Die im Namen der Beklagten erhobene Beschwerde, über welche der Senat in der Besetzung mit drei Richtern entscheidet,
3vgl. die Senatsbeschlüsse vom 25. Januar 2011– 1 E 32/11 –, juris, Rn. 1 ff., vom 10. Oktober 2011 – 1 E 300/11 –, juris, Rn. 1, und vom 4. September 2013 – 1 E 876/13 –, NVwZ-RR 2013, 1021 = juris, Rn. 1,
4ist zulässig, aber unbegründet. Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass hier eine Erledigungsgebühr gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 RVG in Verbindung mit Nrn. 1002, 1003 der Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG (Vergütungsverzeichnis – VV RVG) nebst anteiliger Umsatzsteuer (Nr. 7008 VV RVG) entstanden ist.
5Nach Nr. 1002 Anmerkung Satz 1 VV RVG entsteht (vorbehaltlich der hier nicht einschlägigen Regelung nach Nr. 1005 VV RVG) eine Erledigungsgebühr, wenn sich eine Rechtssache ganz oder teilweise nach Aufhebung oder Änderung des mit einem Rechtsbehelf angefochtenen Verwaltungsakts durch anwaltliche Mitwirkung erledigt. Nach dem sich anschließenden Satz 2 gilt das Gleiche, wenn sich eine Rechtssache ganz oder teilweise durch Erlass eines bisher abgelehnten Verwaltungsakts erledigt hat. Letzteres zielt auf die hier gegeben gewesene Konstellation der Verpflichtungsklage. Nr. 1003 VV RVG trifft in diesem Zusammenhang allein eine modifizierende Regelung zur Höhe (u.a.) der Erledigungsgebühr, worüber hier nicht gestritten wird.
6Die für das Entstehen der Erledigungsgebühr dem Grunde nach zunächst verlangte „Mitwirkung“ muss in einer besonderen Tätigkeit des Rechtsanwalts bestehen, welche auf die Beilegung des Rechtsstreits ohne streitige Entscheidung gerichtet ist. Gefordert sind in diesem Zusammenhang solche Mitwirkungshandlungen, die über die bereits mit der Verfahrensgebühr (Nr. 3100 VV RVG) abgegoltenen Tätigkeiten wie namentlich die Einlegung und Begründung des Rechtsbehelfs unter möglichst überzeugendem und umfassendem Vortrag der für den Mandanten sprechenden Argumente hinausgehen. Die Mitwirkung des Rechtsanwalts muss nach Nr. 1002 Anmerkung Satz 1 („durch … erledigt“) bzw. hier Satz 2 („Das gleiche gilt …“) VV RVG ferner kausal für die vollständige oder teilweise Erledigung der Rechtssache gewesen sein.
7Erforderlich ist in diesem Zusammenhang – und daran hält der beschließende Senat weiterhin fest – eine Mitwirkung des Rechtsanwalts, die sich nicht lediglich auf die formale Erledigung des Verfahrens durch Abgabe entsprechender prozessualer Erklärungen bezieht, sondern die (schon) die materiell-rechtliche Erledigung, also die „Klaglosstellung“ in Bezug auf den verfahrensgegenständlichen Anspruch, zum Inhalt und Ziel (gehabt) hat.
8Vgl. dazu und zum Folgenden den Beschluss des Senats vom 25. Januar 2011 – 1 E 32/11 –, juris, Rn. 23 ff.; siehe ferner Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 8. Juli 2013 – 5 OA 137/13 –, DÖD 2013, 242 = juris, Rn. 4, m.w.N.
9Damit soll ausgeschlossen werden, dass etwa auch in Fällen sog. „verdeckter Klagerücknahmen“ eine Erledigungsgebühr entstehen kann, wenn der Rechtsanwalt seinem Mandanten statt einer Klagerücknahme die Abgabe einer Erklärung über die Erledigung der Hauptsache empfiehlt, ohne dass in der Sache eine solche Erledigung eingetreten wäre bzw. eintreten soll.
10Was die hier interessierende Verpflichtungssituation betrifft (Klage auf Gewährung von Unfallausgleich), verdeutlicht Nr. 1002 Anmerkung Satz 2 VV RVG, dass sich die Rechtssache im Übrigen nicht irgendwie, sondern gerade durch den Erlass „eines“ bisher abgelehnten Verwaltungsakts, also des begehrten oder jedenfalls eines ähnlichen, ggf. hinter dem Klagebegehren nach Umfang oder Höhe zurückbleibenden Verwaltungsakts erledigen muss. In der Praxis kommt es – und so auch hier – aber nicht selten vor, dass eine angestrebte Erledigung der Hauptsache durch zumeist schriftliche Erklärungen vorbereitet wird, die sich (auch) auf den materiell-rechtlichen Anspruch beziehen, der hinter dem Klagebegehren steht. Von Bedeutung sind insoweit namentlich Erklärungen des/der Beklagten, welche den Erlass des vom Kläger geforderten begünstigenden Verwaltungsakts verbindlich zusagen und dazu die wesentlichen Regelungsinhalte inhaltlich festlegen. In solchen Fällen ist es für das Entstehen der Erledigungsgebühr grundsätzlich unschädlich, wenn der begünstigende Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Abgabe der Erledigungserklärungen noch nicht vorliegt. Entscheidend ist vielmehr, dass die Mitwirkung des Rechtsanwalts auf eine materiell-rechtliche Erledigung der zuvor beschriebenen Art gerichtet ist und diese dann auch – gleich ob vor Abgabe der Erledigungserklärungen oder (vollständig) erst im Anschluss daran – eintritt. Aus dem oben zitierten Beschluss des Senats vom 25. Januar 2011 ergibt sich insoweit nichts Abweichendes.
11Auch die Beantwortung der Frage, bis zu welchem Zeitpunkt die anwaltliche Mitwirkung an der Herbeiführung der Erledigung feststellbar vorliegen muss, ist im Kern daran zu messen, dass ein beachtlicher Beitrag des Rechtsanwalts an der Herbeiführung einer (auch) materiell-rechtlichen Erledigung der Rechtssache unverzichtbar vorliegen muss. Letzteres führt – bezogen auf die Verpflichtungssituation – auf folgende Differenzierung:
12Liegt der Erledigung der Hauptsache zugrunde, dass dem zuletzt anhängig gewesenen Klageanspruch durch die Behörde in vollem Umfang entsprochen wird, markiert der Zeitpunkt des diesbezüglich ergehenden Verwaltungsakts bzw. derjenige einer verbindlichen Erklärung der Behörde, einen solchen Verwaltungsakt zu erlassen, zugleich den Endzeitpunkt für eine möglicherweise beachtliche anwaltliche Mitwirkung am materiell-rechtlichen Erledigungseintritt. Denn ein zeitlich erst nachgelagertes Tätigwerden des Rechtsanwalts kann sich dann schon aus Gründen der Logik auf das „Ob“ und/oder das „Wie“ der materiell-rechtlichen Erledigung der Rechtssache nicht mehr auswirken.
13Anders stellt sich die Lage aber dar, wenn die Behörde dem Klagebegehren nicht in vollem Umfang oder nicht mit dem beantragten Inhalt, sondern nur teilweise oder in ähnlicher Weise entsprochen hat bzw. entsprechen will. Bei dieser Sachlage ist zunächst nicht klar, ob das Handeln der Behörde lediglich eine Teilerledigung des Rechtsstreits zur Folge hat/haben wird oder ob – erforderlichenfalls im Wege des Nachverhandelns – evtl. auch noch eine einvernehmliche Beendigung des Verfahrens im Ganzen erreicht werden kann; die Situation einer vollständigen materiell-rechtlichen Erledigung ist hier noch nicht erreicht.
14Weder der Wortlaut noch der Sinn und Zweck der Nr. 1002 VV RVG schließen es aus, dass anwaltliche Bemühungen, die bei einer im Grundsatz schon erreichten Teilerledigung der Rechtssache darauf gerichtet sind, einerseits die bislang erreichte Position des Mandanten nach Möglichkeit noch weiter zu verbessern, andererseits aber auch auf den Mandanten einzuwirken, ggf. mit dem Erreichten zufrieden zu sein, falls sich eine Verbesserung des schon erzielten Teilerfolgs nicht durchsetzen lässt – dabei beides mit dem Endziel einer vollständigen Erledigung der Rechtssache ohne streitige gerichtliche Entscheidung –, ebenfalls grundsätzlich geeignete Schritte sind, die Erledigungsgebühr auszulösen. Das ist in der obergerichtlichen Recht-sprechung auch anerkannt, namentlich was eine qualifizierte erledigungsorientierte Beratung des Mandanten durch seinen Rechtsanwalt dahingehend betrifft, sich mit einem erreichten Teilerfolg zufrieden zu geben und das nur teilweise materiell-rechtlich erledigte Verfahren in Übereinstimmung mit der Beklagtenseite insgesamt für erledigt zu erklären.
15Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 30. August 2011– 6 E 775/11 –, juris, Rn. 6, und vom 6. Januar 2012 – 6 E 1033/11 –, juris, Rn. 8; OVG Lüneburg, Beschluss vom 8. Juli 2013 – 5 OA 137/13 –, DÖD 2013, 242 = juris, Rn. 7; Sächsisches OVG, Beschluss vom 13. Februar 2013 – 3 E 118/12 –, juris, Rn. 3.
16Anders als die Beschwerde meint, bedeutet dies keine grundlegende Abkehr von den in dem oben angeführten Beschluss des 1. Senats des OVG NRW vom 25. Januar 2011 – 1 E 32/11 – aufgestellten Grundsatz, dass sich die Mitwirkungshandlung des Rechtsanwalts (schon) auf die materiell-rechtliche Erledigung der Rechtssache beziehen muss. Denn für die Annahme einer derartigen Verknüpfung reicht es bereits aus, dass unter qualifizierter Mitwirkung des anwaltlichen Prozessbevollmächtigten in der Sache ein zwar letztlich hinter dem Klagebegehren zurückbleibender, den Betroffenen aber zufriedenstellender (Teil-)Erfolg erzielt wird, welcher diesen veranlasst, den Rechtsstreit insgesamt für erledigt zu erklären. Die hierzu von dem Rechtsanwalt gegenüber seinem Mandanten in der Regel zu leistende „Überzeugungsarbeit“ ist zum einen der Klärung, mit welchem Inhalt und in welchem Umfang sich am Ende eine materiell-rechtliche Erledigung der Rechtssache konkret ergeben wird, zeitlich vorgelagert. Zum anderen kann die insoweit erfolgende anwaltliche Beratung in vielen Fällen auch über das hinaus gehen, was mit der Führung des Verfahrens im allgemeinen verbunden ist. Die Ausführungen in dem Senatsbeschluss vom 25. Januar 2011 sind nicht dahin zu verstehen, dass die Annahme einer materiell-rechtlichen Erledigung der Rechtsache in jedem Fall voraussetzen würde, dass der Kläger in vollem Umfang seines zuletzt formulierten Klageantrags „klaglos gestellt“ wird. Vielmehr wird unter Rn. 33 der juris-Fassung jenes Beschlusses unter die Fälle einer materiell-rechtlichen Erledigung ausdrücklich auch die Konstellation eingeordnet, dass die Behörde eine dem begehrten Verwaltungsakt funktionell entsprechende oder zumindest eine hinter dem Begehren zwar zurückbleibende, den Betroffen aber zufriedenstellende Regelung trifft. Schließlich bestand in dem Senatsbeschluss aus dem Jahre 2011 auch keine konkrete Veranlassung, den Fall der Teilerledigung bzw. einer angestrebten vollständigen Erledigung nach schon erzielter Teilerledigung speziell mit in den Blick zu nehmen. Denn über einen solchen Sachverhalt war dort nicht zu entscheiden (vgl. juris-Fassung, Rn. 21 und 28).
17Die vorstehenden Grundsätze hat das Verwaltungsgericht auch ohne erkennbare Rechtsfehler auf den vorliegenden Fall angewendet. Es hat zutreffend darauf abgestellt, dass der von der Beklagten mit Schriftsatz vom 18. Dezember 2012 angebotene Unfallausgleich dem vom Kläger zuletzt formulierten Klageantrag nicht in vollem Umfang entsprochen hat. Wie aus der Gerichtsakte ersichtlich, hat sich der Prozessbevollmächtigte des Klägers nachfolgend mehrfach und über einen längeren Zeitraum hinweg bemüht, etwa durch Einbeziehung weiterer Punkte noch Verbesserungen des durch die Erklärungen der Beklagten im Schriftsatz vom 18. Dezember 2012 erreichten Standes (Teilerfolges) zu erzielen. In diesem Zusammenhang hat die Beklagte weitere Erklärungen abgegeben, was in Verbindung mit einem Hinwirken des Prozessbevollmächtigten auf ein teilweises Nachgeben des Klägers am Ende dazu geführt hat, dass auch dieser das Verfahren insgesamt für erledigt erklärt hat. Auf diese Weise hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers einen nicht unerheblichen Beitrag dazu geleistet, in welcher konkreten Gestalt vorliegend eine materiell-rechtliche Erledigung der Rechtssache eingetreten ist.
18Substanziierte Einwendungen gegen diese tatsächliche Bewertung enthält das Beschwerdevorbringen nicht.
19Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, da lediglich die Festgebühr nach Nr. 5502 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG (Kostenverzeichnis) anfällt.
20Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.
moreResultsText
Annotations
(1) Die Gebühren werden, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, nach dem Wert berechnet, den der Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit hat (Gegenstandswert).
(2) Die Höhe der Vergütung bestimmt sich nach dem Vergütungsverzeichnis der Anlage 1 zu diesem Gesetz. Gebühren werden auf den nächstliegenden Cent auf- oder abgerundet; 0,5 Cent werden aufgerundet.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts können vorbehaltlich des § 99 Abs. 2 und des § 133 Abs. 1 dieses Gesetzes sowie des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht angefochten werden.
(2) Im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gilt für Entscheidungen des beauftragten oder ersuchten Richters oder des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle § 151 entsprechend.