Hamburgisches Oberverwaltungsgericht Beschluss, 11. Sept. 2015 - 4 Bs 192/15

bei uns veröffentlicht am11.09.2015

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 9. September 2015 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

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Der Antragsteller begehrt einstweiligen Rechtsschutz gegen ein Versammlungsverbot.

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Der Antragsteller meldete am 9. Mai 2015 für Sonnabend, den 12. September 2015 einen Aufzug an mit dem Thema „Tag der Patrioten“. Der Aufzug sollte ab 12 Uhr bis zum Abend vom Hamburger Hauptbahnhof durch die Innenstadt und die Hafencity zurück zum Hauptbahnhof führen. Vorgesehen waren drei etwa einstündige Kundgebungen sowie der Einsatz von einem Ordner auf je 50 Teilnehmer. Der Antragsteller rechnete mit etwa 500 Teilnehmern. Im Verlauf der Kooperationsgespräche änderte der Antragsteller wegen einer in der Hafencity gleichzeitig stattfindenden anderen Veranstaltung die Planung und schlug eine außerhalb des Innenstadtbereichs gelegene Route vor. Er rechnete zuletzt mit einer deutlich größeren Teilnehmerzahl. Die Antragsgegnerin ging zuletzt von ca. 2.000 bis 3.000 Teilnehmern aus, darunter 300 bis 500 Rechtsextremisten, sowie ca. 1.500 „rechtsaffinen, patriotischen Fußballanhängern“, darunter eine große Anzahl problematischer Fans der „Kategorie C“ (Hooligans). Für den Tag dieses Aufzugs erwartet die Antragsgegnerin bis zu 15.000 Teilnehmer an Gegenveranstaltungen, darunter bis zu 2.000 gewaltorientierte, nämlich gewaltbereite und gewaltsuchende Personen.

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Mit Bescheid vom 3. September 2015 verbot die Antragsgegnerin den angemeldeten Aufzug. Zur Begründung führte sie aus: Es sei zu erwarten, dass gewaltsuchende und gewaltbereite Teilnehmer aus dem Aufzug heraus Straftaten zum Nachteil von Gegendemonstranten sowie gewaltsuchenden und gewaltbereiten Linksextremisten, Polizeibeamten und unbeteiligten Dritten begehen und damit deren Leib und Leben gefährden würden. Unabhängig hiervon werde der Aufzug im Wege des polizeilichen Notstandes verboten, da die Gefahren für Leib und Leben von Versammlungsteilnehmern, Polizeibeamten und unbeteiligten Dritten, die aufgrund der sicher zu erwartenden gewalttätigen Auseinandersetzungen entstünden, mit den zur Verfügung stehenden Polizeikräften nicht verhindert werden könnten. Hiergegen erhob der Antragsteller Widerspruch.

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Beim Verwaltungsgericht hat der Antragsteller um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht. Mit Beschluss vom 9. September 2015 hat das Verwaltungsgericht den Antrag abgelehnt: Das öffentliche Interesse am Sofortvollzug des Versammlungsverbots überwiege das Interesse des Antragstellers, da sein Widerspruch keine Aussichten auf Erfolg habe. Der Aufzug habe verboten werden können, da ein Großteil der Versammlungsteilnehmer nicht beabsichtige, sich friedlich zu versammeln, sondern die Gelegenheit suche, Gewalt gegen politische Gegner, Polizisten und andere selbst definierte Feinde auszuüben. Es sei deshalb zu erwarten, dass aus dem Aufzug heraus insbesondere (schwere) Körperverletzungen begangen würden, die sich zu schweren Gewaltexzessen ausweiten würden.

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Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit seiner am 10. September 2015 mittags erhobenen und begründeten Beschwerde.

II.

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A Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg.

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Es kann offen bleiben, ob sich der Antragsteller hinreichend mit den Erwägungen des Verwaltungsgerichts auseinandergesetzt (§ 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO) und dessen tragende Erwägungen erschüttert hat. Das Beschwerdegericht geht zugunsten des Antragstellers hiervon aus, da die Effektivität des Rechtsschutzes gefährdet wäre, wollte man in extrem eilbedürftigen und zugleich komplexen Verfahren der vorliegenden Art die formalen gesetzlichen Anforderungen konsequent anwenden. Die hiernach grundsätzlich zulässige vollständige Überprüfung der Sach- und Rechtslage durch das Beschwerdegericht führt allerdings im Ergebnis zu keiner Änderung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung.

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Die im Rahmen eines Eilantrags nach § 80 Abs. 5 VwGO durchzuführende Interessenabwägung führt zu dem Ergebnis, dass das öffentliche Interesse an einer sofortigen Vollziehung der Verbotsverfügung der Antragsgegnerin vom 3. September 2015 gegenüber dem Interesse des Antragstellers, deren Vollzug auszusetzen und den angemeldeten Aufzug durchführen zu können, überwiegt. Bei der im Eilverfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorzunehmenden Prüfung lässt sich allerdings nicht feststellen, ob - was als Grundlage der gebotenen Interessenabwägung im Hinblick auf den Schutz des betroffenen Grundrechts in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht nicht nur summarisch zu prüfen wäre (BVerfG, Beschl. v. 20.12.2012, 1 BvR 2794/10, NVwZ 2013, 570, juris Rn. 18, m.w.N.) - der Widerspruch des Antragstellers gegen die Verbotsverfügung erfolgreich oder erfolglos sein wird; die Erfolgsaussichten sind vielmehr offen (hierzu unter 1.). Die deshalb unabhängig von den Erfolgsaussichten des Widerspruchs ausnahmsweise (BVerfG, a.a.O.) vorzunehmende reine Folgenabwägung führt zu einem Überwiegen des öffentlichen Interesses an einem Versammlungsverbot gegenüber dem Interesse des Antragstellers, den Aufzug oder zumindest eine stationäre Versammlung durchzuführen (hierzu unter 2.).

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1. Die Erfolgsaussichten des Widerspruchs sind offen, weil es dem Senat in der nur äußerst knappen zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich ist, die maßgeblichen Tatsachengrundlagen, mit denen die Antragsgegnerin das Versammlungsverbot gerechtfertigt hat, zu überprüfen und ihre Richtigkeit oder Unrichtigkeit festzustellen.

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a) Allerdings lässt sich feststellen, dass der Sachverhalt, wie er sich aus dem Inhalt der Sachakte der Antragsgegnerin und - diesen zusammenfassend wiedergebend - aus dem angefochtenen Bescheid ergibt, es nicht rechtfertigt, die Versammlung selbst als unfriedlich anzusehen und sie deshalb zu verbieten.

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Rechtsgrundlage für ein Verbot oder eine beschränkende Auflage ist mangels einer landesrechtlichen Regelung § 15 Abs. 1 Versammlungsgesetz. Nach dieser Vorschrift kann eine Versammlung oder ein Aufzug verboten oder von bestimmten Auflagen abhängig gemacht werden, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist. Unter Berücksichtigung der durch Art. 8 Abs. 1 GG geschützten Versammlungsfreiheit darf die Behörde bei dem Erlass von vorbeugenden Verfügungen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen. Zum Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung müssen erkennbare Umstände vorliegen, aus denen sich die unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung ergibt (BVerfG, Beschl. v. 19.12.2007, 1 BvR 2793/04, NVwZ 2008, 671, juris Rn. 19 f.). Derartige konkrete Tatsachen sind nicht erkennbar.

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Aus den im Internet verbreiteten Aufrufen zur Teilnahme an dem Aufzug ergibt sich nicht, dass der Aufzug auf Gewalt ausgerichtet ist oder es zumindest naheliegt, dass er aus sich heraus einen unfriedlichen Verlauf nehmen wird. Die Videoaufrufe, von denen sich Aufzeichnungen in der Sachakte der Antragsgegnerin befinden und deren Inhalte in dem Bescheid zutreffend wiedergegeben werden, stehen überwiegend unter dem Motto „Gemeinsam sind wir stark“. Weder diese Parole noch die Inhalte der Videos lassen erkennen, dass der Aufzug selbst oder sein Thema auf Gewalt ausgerichtet sind. Die Aufrufe zielen auf die politische Gesinnung der verschiedenen rechtsgerichteten Gruppierungen, die durch die Versammlung angesprochen werden sollen. Im Internet verbreitete Erklärungen der Art, es werde eine „heftige Demo“ werden, ein Tsunami werde über Hamburg hereinbrechen (S. 17 des Bescheides) bzw. man müsse die eine oder andere Blessur von vornherein in Kauf nehmen (S. 18 des Bescheides), drückt die Erwartung Einzelner aus und trägt möglicherweise dem Umstand Rechnung, dass man damit rechnet, dass es zu Auseinandersetzungen mit linksgerichteten Gegendemonstranten kommen wird.

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Die Zahl der gewaltorientierten Teilnehmer lässt ebenfalls keinen hinreichenden, auf konkreten Tatsachen beruhenden Rückschluss darauf zu, dass der Aufzug „auf einen gewalttätigen Verlauf angelegt“ sei (so aber die Antragsgegnerin, S. 19 des Bescheides) bzw. dass - wie das Verwaltungsgericht meint - diese Teilnehmer den Aufzug derart dominieren werden, dass er nicht mehr als friedlich angesehen werden könnte. Aus der Akte ergibt sich bereits nicht konkret, mit wie vielen gewaltorientierten Teilnehmern die Antragsgegnerin überhaupt rechnet. Sie hat insofern nur angeführt, es würden sich unter den Rechtsextremisten und den rechtsgerichteten Fußballanhängern „gewaltbereite und gewaltsuchende Teilnehmer befinden“; von diesen gewaltorientierten Rechtsextremisten kämen ca. 150 aus Hamburg (S. 10 und 25 Bescheides). Gewaltorientiert soll den Angaben der Antragsgegnerin zufolge auch ein Rechtsradikaler sein, der voraussichtlich aus Berlin zusammen mit ca. 400 Personen anreisen wird (S. 13 des Bescheides). Dass diese Begleiter sämtlich oder überwiegend ebenfalls gewaltorientiert seien, sagt die Antragsgegnerin aber nicht. Offensichtlich gewaltorientiert sind die Teilnehmer der genannten WhatsApp-Gruppe (S. 13 f. des Bescheides). Sie besteht unmittelbar allerdings nur aus 17 Teilnehmern. Dass es speziell diese Gruppe ist, die - wie die Antragsgegnerin und das Verwaltungsgericht meinen - mit 500 bis 600 Mann anreisen will, erscheint fraglich. Denn anreisen wollen die Teilnehmer dieser Gruppe nicht mit einem großen Bus, sondern mit zwei 9-Sitzern (Bl. 153 der Sachakte). Jedenfalls ist nichts dafür dargelegt oder aus der Sachakte ersichtlich, dass diese 500 bis 600 Mann sämtlich oder überwiegend ebenfalls gewaltorientiert sind. Mit welcher Gesamtzahl gewaltorientierter Teilnehmer des Aufzugs die Antragsgegnerin rechnet, hat sie nur sehr unbestimmt genannt. Auf Seite 11 ihres Bescheides erwartet sie „eine Anreise von hunderten gewaltsuchenden, mindestens aber gewaltbereiten Hooligans und Rechtsextremisten aus Deutschland und anderen europäischen Ländern“.

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Die Prognose, der Aufzug werde einen unfriedlichen Verlauf nehmen, kann auch nicht aufgrund der Erfahrungen mit vergleichbaren Aufzügen und Versammlungen getroffen werden. Vergleichbar sind die Aufzüge am 2. Juni 2012 in Hamburg („Tag der deutschen Zukunft - Unser Signal gegen Überfremdung“) und am 26. Oktober 2014 in Köln („HoGeSa“) sowie die Versammlung am 15. November 2014 in Hannover („Europa gegen den Terror des Islamismus“). Zwar hatte der Antragsteller diese Versammlungen nicht zu verantworten, doch richteten sich diese - noch zeitnah zu dem angemeldeten Aufzug durchgeführten - Versammlungen mit vergleichbarer Thematik an dieselbe Zielgruppe. Deshalb dürfte auch der überwiegend rechtsextreme oder rechtsradikale Teilnehmerkreis mit dem Teilnehmerkreis des angemeldeten Aufzugs weitgehend identisch sein.

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Aus dem Aufzug vom 2. Juni  2012 heraus sind den Angaben der Antragsgegnerin zufolge keine Straftaten begangen worden. Dargestellt hat sie in ihrem Bescheid (S. 22 f.) ausschließlich gewalttätige Aktionen der Gegendemonstranten. Bei dem Aufzug am 26. Oktober 2014 in Köln wurden zwar aus dem Aufzug heraus Gewalttaten begangen, aber est nachdem die Teilnehmer des Aufzugs von Außenstehenden mit Feuerwerkskörpern beworfen worden waren; daraufhin seien die Teilnehmer des Aufzugs äußerst aggressiv mit Flaschenwürfen sowohl gegen diese Personen als auch gegen Polizisten und Medienvertreter vorgegangen und nach dem Einsatz von Schlagstöcken und Pfefferspray durch die Polizei sei diese massiv mit Flaschen beworfen worden. Dieser Vorfall belegt zwar die massive Gewaltbereitschaft eines Teils der etwa 4.800 Teilnehmer des damaligen Aufzugs. Mit derartigen Verhaltensweisen muss auch bei dem angemeldeten Aufzug gerechnet werden. Doch rechtfertigt dies nicht ein Verbot der Versammlung, durch das auch denjenigen das Recht zur Versammlung genommen würde, die sich an derartigen Aktionen nicht beteiligen. Denn die Gefahr, dass es zu derartigen Reaktionen auf Angriffe von außen kommt, könnte auf einfachere Weise verhindert werden. Zum einen könnte diese Gefahr durch den verstärkten Einsatz von Polizeikräften verringert werden; in Köln waren es nur 1.299 Beamte, was sich als viel zu wenig erwiesen hat. Zum anderen könnte der Aufzug so durchgeführt werden, dass Gegendemonstranten nicht unmittelbar in seine Nähe gelangen können. Sollte gleichwohl ein Aufzug nicht ausreichend geschützt werden können, bliebe noch die Möglichkeit, zumindest eine stationäre Versammlung durchzuführen. Bei einer derartigen stationären Versammlung am 15. November 2014 mit gut 3.000 Teilnehmern kam es während der Versammlung zu keinen Ausschreitungen (S. 24 des Bescheides). Auseinandersetzungen zwischen Rechten und Linken gab es den Angaben der Antragsgegnerin zufolge nur außerhalb der Versammlung. Das rechtfertigt jedoch kein Versammlungsverbot.

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Allerdings ist auch das Beschwerdegericht davon überzeugt, dass an dem Aufzug eine beträchtliche Zahl von Personen teilnehmen wird, die nicht nur bereit sind, ggf. Gewalt auszuüben, sondern die gewaltsame Auseinandersetzungen geradezu suchen. Das belegen die oben gewürdigten Aufrufe, das Chat-Protokoll sowie das Verhalten eines Teils der Teilnehmer des Aufzugs in Köln sowie der Versammlung in Hannover, bei dem ein großes Polizeiaufgebot erforderlich war, um die Teilnehmer der Versammlung von heranrückenden Gegendemonstranten zu trennen (S. 24 des Bescheides). Doch rechtfertigt dies gleichwohl kein Verbot des Aufzugs. Steht nicht zu befürchten, dass eine Demonstration im Ganzen einen unfriedlichen Verlauf nimmt oder dass der Veranstalter und sein Anhang einen solchen Verlauf anstreben oder zumindest billigen, bleibt für die friedlichen Teilnehmer der von der Verfassung jedem Staatsbürger garantierte Schutz der Versammlungsfreiheit auch dann erhalten, wenn mit Ausschreitungen durch Einzelne oder einer Minderheit zu rechnen ist. In einem solchen Fall setzt ein vorbeugendes Verbot der gesamten Veranstaltung strenge Anforderungen an die Gefahrenprognose sowie die vorherige Ausschöpfung aller sinnvoll anwendbaren Mittel voraus, welche den friedlichen Demonstranten eine Grundrechtsverwirklichung ermöglichen (BVerfG, Urt. v. 14.5.1985, 1 BvR 233/81 u.a., BVerfGE 69, 315, 4. Leitsatz).

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Nach diesen Maßstäben ist ein Verbot des Aufzugs nicht gerechtfertigt. Es ist nicht dargelegt und auch sonst nicht erkennbar, dass der Antragsteller gewalttätige Übergriffe aus der Versammlung heraus dulden oder gar befürworten würde. In seinem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz hat er erklärt, er werde alles dafür tun, dass von seinem Aufzug keine Gewalt ausgehen werde und Gewalt von Gegendemonstranten auch nicht mit Gegengewalt beantwortet werde. Das ist nicht von vornherein unglaubhaft. Denn er hat von sich aus angezeigt, eine nicht unerhebliche Zahl von Ordnern einzusetzen, und in den im Internet verbreiteten Aufrufen werden ausdrücklich auch Ordner gesucht. Zudem liegen - wie ausgeführt - keine konkreten Anhaltspunkte dafür vor, dass die Versammlung vom Thema her auf Gewalt angelegt ist und die Angaben des Antragstellers deshalb unglaubhaft sein könnten. Schließlich könnten - wie ebenfalls bereits ausgeführt - gewalttätige Aktionen, die aus dem Aufzug heraus von Einzelnen oder Gruppen begangen werden, zielgerichtet unterbunden werden. Dass dies grundsätzlich - sieht man einmal von der Zahl einsatzbereiter Polizisten ab - nicht möglich wäre, hat die Antragsgegnerin nicht dargelegt.

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b) Die Antragsgegnerin beruft sich unabhängig von den vorstehend gewürdigten Gründen zur Rechtfertigung des Verbots auf den sog. polizeilichen Notstand. Sie hält ein Verbot des Aufzugs mithin auch dann für gerechtfertigt, wenn von dem Aufzug keine Gefahren für die öffentliche Sicherheit ausgehen. Sie macht geltend, sie könne die Gefahren für Leib und Leben von Versammlungsteilnehmern, Polizeibeamten und unbeteiligten Dritten, die aufgrund der sicher zu erwartenden gewalttätigen Auseinandersetzungen mit linksgerichteten Gegendemonstranten entstünden, mit den zur Verfügung stehenden Polizeikräften nicht verhindern. Ob sich die Antragsgegnerin zu Recht auf den polizeilichen Notstand beruft, ist offen. Dies bedarf einer eingehenden Überprüfung, die im Rahmen des vorliegenden Eilverfahrens nicht möglich ist.

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Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. Beschl. v. 20.12.2012, 1 BvR 2794/10, NVwZ 2013, 570, juris Rn. 17, m.w.N.), der das Beschwerdegericht folgt, gilt: Soweit sich der Veranstalter und die Versammlungsteilnehmer grundsätzlich friedlich verhalten und Störungen der öffentlichen Sicherheit vorwiegend aufgrund des Verhaltens Dritter - insbesondere von Gegendemonstrationen - zu befürchten sind, ist die Durchführung der Versammlung zu schützen und sind behördliche Maßnahmen primär gegen die Störer zu richten. Gegen die friedliche Versammlung selbst kann dann nur unter den besonderen Voraussetzungen des polizeilichen Notstandes eingeschritten werden. Dies setzt voraus, dass die Versammlungsbehörde mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anderenfalls wegen der Erfüllung vorrangiger staatlicher Aufgaben und trotz des Bemühens, gegebenenfalls externe Polizeikräfte hinzuzuziehen, zum Schutz der von dem Antragsteller angemeldeten Versammlung nicht in der Lage wäre; eine pauschale Behauptung dieses Inhalts reicht allerdings nicht. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Gründen für ein Verbot oder eine Auflage liegt grundsätzlich bei der Behörde.

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Es erscheint zweifelhaft, ob die Antragsgegnerin diese Darlegungsanforderungen erfüllt hat. Zwar hat sie die Voraussetzungen des polizeilichen Notstandes nicht nur pauschal behauptet. Sie hat ausgeführt, dass sie zur Abwehr der Gefahren während des Aufzugs sowie in den Zeiten davor und danach insgesamt mindestens 9 Abteilungsführungen (ca. 135 Beamte), 46 Hundertschaften (ca. 5.000 Beamte) sowie 10 Wasserwerferstaffeln (ca. 150 Beamte) benötige. Für eine stationäre Versammlung verringere sich der Mindestbedarf um 7 Hundertschaften. Sie selbst verfüge über 3 Abteilungsführungen, 9 Hundertschaften sowie 2 Wasserwerferstaffeln. Sie benötige deshalb weitere 6 Abteilungsleitungen, 37 Hundertschaften (ca. 4.000 Beamte) und 8 Wasserwerferstaffeln (S. 30 des Bescheides). Diese Kräfte habe sie bundesweit angefordert. Angeboten worden seien ihr bis zuletzt (10.9.2015) aber nur 5 Abteilungsführungen, 14 Hundertschaften sowie 11 Wasserwerferstaffeln. Damit bestehe gegenüber dem Minimalbedarf zur Durchführung eines Aufzugs eine Unterdeckung von 23 Hundertschaften (ca. 2.500 Beamte) und zur Durchführung einer stationären Versammlung eine Unterdeckung von 16 Hundertschaften (ca. 1.750 Beamte). Ausreichend dargelegt hat die Antragsgegnerin auch, dass die Polizeibehörden des Bundes und der Länder ihr tatsächlich nur die genannte Unterstützung angeboten haben. Das ergibt sich aus den Ausdrucken des mit diesen Behörden geführten E-Mail-Verkehrs (Bl. 209 ff. und 478 ff. der Sachakte). Diese Angaben genügen jedoch nicht, um davon ausgehen zu können, dass sich die Antragsgegnerin zu Recht auf den polizeilichen Notstand beruft.

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Dabei hat das Beschwerdegericht angesichts des Umfangs der mit Sicherheit zu erwartenden Auseinandersetzungen mit politischen Gegnern (dazu später) keinen Zweifel an der Angemessenheit des genannten Bedarfs. Ähnlich viele Polizisten waren auch bei den vergleichbaren Veranstaltungen am 2. Juni 2012 in Hamburg (4.500 Beamte) und am 15. November 2014 in Hannover (5.300 Beamte bei einer stationären Versammlung) im Einsatz (vgl. S. 22 ff. des Bescheides). Die Zahl der eingesetzten Beamten war lediglich am 26. Oktober 2014 in Köln (deutlich) geringer (1.299 Beamte). Diese Zahl war jedoch offenkundig (viel) zu gering.

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Zweifelhaft ist allerdings, ob die Antragsgegnerin ein ernsthaftes Amtshilfeersuchen gestellt hat und ob die Behörden des Bundes und der Länder - wenn sie es als solches verstanden haben - zu Recht abgelehnt haben, die erforderliche Hilfe zu leisten. Nach Art. 35 Abs. 1 GG leisten sich alle Behörden des Bundes und der Länder gegenseitig Rechts- und Amtshilfe. Hierzu sind sie auf ein entsprechendes Ersuchen hin verpflichtet (vgl. Bauer in: Dreier, GG, 2. Aufl. 2006, Art. 35 Rn. 19). Daran, dass ein derartiges Ersuchen gestellt wurde, kann man zweifeln, da die Antragsgegnerin in ihrer E-Mail vom 7. August 2015 (Bl. 209/210 der Sachakte) nur um Prüfung gebeten hat, ob die genannte Unterstützung erfolgen könne, und sodann Bund und Länder um „Angebote“ gebeten hat. Auch in ihrer E-Mail vom 27. August 2015 (Bl. 212/213 der Sachakte) hat sie im Hinblick auf den mitgeteilten erhöhten Bedarf lediglich um Angebote gebeten. Offenbar unterscheidet die Antragsgegnerin selbst zwischen Angeboten und Zusagen, wie sich aus einer anderen E-Mail vom 27. August 2015 ergibt (Bl. 217 R der Sachakte), in der sie sich für die „Prüfung der Unterstützungsmöglichkeiten ... und die eingegangenen Angebote/Zusagen bzw. Absagen“ bedankt hat. Insofern wäre aufzuklären, ob diese Bitte um Angebote von den betroffenen Behörden bereits als Ersuchen um eine dringend erforderliche Amtshilfe, zu der sie verpflichtet sind, verstanden wurde. Sollten die Behörden in der Bitte um Angebote noch kein konkretes Amtshilfeersuchen gesehen und mithin ein derartiges Ersuchen auch noch nicht abgelehnt haben, so lägen die Voraussetzungen für einen polizeilichen Notstand nicht vor. Andererseits erscheint es aber auch möglich, dass jedenfalls einige Behörden die Bitte der Antragsgegnerin bereits als verpflichtendes Amtshilfeersuchen verstanden haben. Denn sie haben sämtlich geantwortet und teilweise auch mitgeteilt, dass Polizeikräfte bereitgestellt würden. Um aufzuklären, ob die Behörden von Bund und Ländern die Bitte der Antragsgegnerin um Angebote als konkretes Amtshilfeersuchen verstanden haben, müssen Auskünfte dieser Behörden eingeholt werden. Das kann im vorliegenden Verfahren nicht erfolgen.

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Vor allem aber ist aufklärungsbedürftig, aus welchen Gründen die Behörden des Bundes und der Länder nicht bzw. nur in derart geringem Umfang bereit oder in der Lage sind, Amtshilfe zu leisten. So haben einige Länder keinerlei Hilfe oder eine im Wesentlichen nur technische Unterstützung durch Wasserwerfereinheiten angeboten. Soweit sich die Behörden im Übrigen überhaupt bereit erklärt haben, Hundertschaften zur Verfügung zu stellen, beschränkt sich dies zumeist auf jeweils nur eine Hundertschaft. Damit mussten jedenfalls die großen und gleichwohl sehr zurückhaltend Hilfe leistenden Länder davon ausgehen, dass die insgesamt erbetenen 37 Hundertschaften nicht zusammenkommen würden. Insoweit bedarf es konkreter Feststellungen dazu, aufgrund welcher konkreter Gefahren für die öffentliche Sicherheit in den jeweiligen Ländern und aufgrund welcher konkreter, gegenüber einer durch Art. 8 Abs. 1 GG geschützten Versammlung vorrangig zu schützender sonstiger Veranstaltungen keine ausreichenden Polizeikräfte zum Schutz der angemeldeten Versammlung und der Rechtsgüter Dritter zur Verfügung gestellt wurden (vgl. BVerfG, Beschl. v. 20.12.2012, 1 BvR 2794/10, NVwZ 2013, 570, juris Rn. 21). Hierüber geben die Antworten der Behörden der Länder keine ausreichende Auskunft. Soweit diese Behörden ihre (nur geringen) Zusagen sowie ihre Absagen überhaupt begründet haben, ergibt sich hieraus nichts Konkretes darüber, welche vorrangigen Rechtsgüter in den jeweiligen Ländern zu schützen sind und warum keine (weiteren) Polizeikräfte nach Hamburg entsandt werden können. Dies ist genauestens aufzuklären, um feststellen zu können, dass die Behörden des Bundes und der Länder nicht nur vorgeschoben haben, nicht in der Lage zu sein, Amtshilfe zu leisten. Die Wahrnehmung des Rechts aus Art. 8 Abs. 1 GG darf nicht davon abhängig gemacht werden, dass die zur Amtshilfe verpflichteten Behörden willens sind, eine Versammlung zu schützen. Die hierzu erforderlichen Feststellungen können aber in der knappen Zeit des Beschwerdeverfahrens nicht getroffen werden.

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2. Die hiernach nur mögliche, aber auch gebotene Folgenabwägung geht zu Lasten des Antragstellers aus.

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Im Rahmen dieser Abwägung sind einerseits die Folgen zu berücksichtigen, die es für den Antragsteller und die Teilnehmer der angemeldeten Versammlung in Bezug auf die Ausübung ihres durch Art. 8 Abs. 1 GG geschützten Rechts hätte, wenn der Aufzug nicht durchgeführt werden kann, sich bei einer späteren Überprüfung aber herausstellen sollte, dass die Voraussetzungen eines polizeilichen Notstands in Wahrheit nicht vorlagen. Andererseits ist zu würdigen, welche Folgen es für den Antragsteller und die Teilnehmer des Aufzugs sowie für Dritte hätte, wenn die Versammlung stattfinden könnte, sich aber später herausstellt, dass ein polizeilicher Notstand tatsächlich bestand. Dabei ist in die Betrachtung auch einzubeziehen, dass möglicherweise zwar die Voraussetzungen des polizeilichen Notstandes objektiv nicht vorliegen, die Behörden von Bund und Ländern aber gleichwohl - rechtswidrig - die Amtshilfe verweigern.

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Diese Abwägung führt zu dem Ergebnis, dass in der gegenwärtigen Situation weder der Aufzug noch eine stationäre Versammlung stattfinden können, da dies mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit dazu führen würde, dass die Gesundheit der Teilnehmer der Versammlung, der sie schützenden Polizeibeamten, von Gegendemonstranten sowie unbeteiligten Dritten verletzt wird. Diesem Schutz gebührt nach Auffassung des Beschwerdegerichts der Vorrang gegenüber dem Recht auf Durchführung der Versammlung an diesem Tag. Im Einzelnen:

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Ein Versammlungsverbot beeinträchtigt den Antragsteller und die potentiellen Teilnehmer des Aufzugs in erheblichem Maße in ihrem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit. Denn es gehört zu der grundgesetzlich geschützten Freiheit des Antragstellers zu bestimmen, wann und wo er eine Versammlung abhalten will. Die Intensität der Rechtsbeeinträchtigung wird dadurch etwas verringert, dass der Antragsteller nicht darauf angewiesen ist, sein Anliegen gerade am 12. September 2015 auszudrücken. Den Tag hat er nach eigenem Bekunden - wie die Antragsgegnerin in ihrem Bescheid (S. 3) unwidersprochen angeführt hat - willkürlich ausgewählt. Demzufolge wäre es grundsätzlich möglich, die Versammlung zu einem späteren Zeitpunkt durchzuführen, ohne auf Kernaussagen seines Anliegens verzichten zu müssen.

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Sollte die Versammlung hingegen am 12. September 2015 in Form des angemeldeten Aufzugs, ggf. auf einer anderen als der angemeldeten Route oder in eingeschränkter Weise als lediglich stationäre Versammlung stattfinden, so käme es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu schweren Ausschreitungen, wenn gewaltbereite und gewaltsuchende Teilnehmer der Versammlung auf ebenso gewaltorientierte Gegner aus dem linken Spektrum stoßen. Diese werden versuchen, jede sich ihnen bietende Möglichkeit zu nutzen, die Teilnehmer des angemeldeten Aufzugs anzugreifen, und zwar unabhängig davon, ob diese einen Aufzug durchführen oder nur eine stationäre Versammlung. Das belegen die zahlreichen, bereits in der Wortwahl unmissverständlichen Aufrufe aus dem linksautonomen Spektrum, die im Internet verbreitet werden. Dort wird u.a. in der im Bescheid der Antragsgegnerin (S. 25 ff.) zutreffend wiedergegebenen Weise dazu aufgerufen, den rechten Aufmarsch anzugreifen, „sich dem deutschen Mob mit allen Mitteln und auf allen Ebenen entgegenzustellen“ und ihn anzugreifen, den „Nazis auf’s Maul!“ zu geben, den Naziaufmarsch anzugreifen, die „braune Pest“ entschlossen aus der Stadt zu jagen und ihnen zu zeigen, „dass dies nur unsere Straßen sind“, und Aufzüge wie diesen um jeden Preis zu verhindern. In dem Aufruf der Gruppe „Roter Aufbau Hamburg“, der auf deren Website (roter-aufbau.de) sowie über die Plattform http://de.indymedia.org verbreitet wird, wird neben der Überschrift „Hamburg wird rechtsfrei - Hetzjagd auf Nazis am 12.9.“ ein rot-maskierter Mann mit einem Baseballschläger gezeigt. In dem Text des Aufrufs heißt es weiter: „Deshalb müssen wir uns und unsere Nachbarschaft selbst vor diesen Gruppen schützen... Wir werden ihnen mit allen Mitteln zeigen, dass ihre Zeichensetzung falsch ist, denn Hamburg sieht nicht nur am 1. Mai rot, sondern immer auch dann, wenn rechtes Gesindel in unserer Stadt auftritt. Wir kennen die Straßen dieser Stadt und werden ihnen entschlossen zeigen, dass es unsere Straßen sind. - Hetzjagd auf Nazis bis zum Kommunismus!“. Entsprechend gewaltorientiert ist auch das Video, welches zum Angriff auf den früheren Aufzug vom 2. Juni 2012 aufrief und offenbar neu ins Internet eingestellt worden ist (S. 26 des Bescheides). Auch in einem Aufruf des Bündnisses gegen Rechts heißt es unter Bezugnahme auf den Aufzug vom 2. Juni 2012: Wir werden flexibel sein und dort protestieren, wo die RassistInnen ihre menschenverachtende Propaganda verbreiten wollen. ... ist uns Ansporn, ein weiteres Mal auf die Straße zu gehen und uns ihnen in den Weg zu stellen. Komm mit!“.

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Dies belegt, dass mehrere Gruppierungen dazu aufrufen, die rechtsgerichteten Versammlungsteilnehmer jederzeit und an jedem Ort in Hamburg anzugreifen und sich Ihnen zumindest in den Weg zu stellen, um den Aufzug zu verhindern. Sie rufen nicht zur Teilnahme an einer Gegendemonstration auf, sondern zu gezielten Aktionen außerhalb einer Versammlung. Die diesbezüglichen Erfahrungen in der Vergangenheit haben gezeigt, dass das tatsächlich geschieht, und zwar bereits vor der Versammlung, während der Versammlung und nach ihrem Ende. So wurden bereits am 1. Mai 2008 vor Beginn einer Versammlung rechtsgerichteter Kreise die anreisenden Versammlungsteilnehmer (insgesamt ca. 1.500) in verschiedenen Stadtteilen attackiert und es kam während der gesamten Zeit der Versammlung zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen den rechten und linken Gruppierungen sowie zu schweren Angriffen auf die eingesetzten Polizisten (S. 21 des Bescheides). In der Nacht vor dem Aufzug am 2. Juni 2012 („Tag der deutschen Zukunft“) wurden Polizeifahrzeuge angezündet. Während der Versammlung versuchte ein Block von mehr als 1.000 Personen, auf die Marschstrecke der Rechten zu gelangen. Dabei wurden die Polizisten, die die Marschstrecke zu sichern hatten, massiv angegriffen. Mit einem großem Polizeiaufgebot - insgesamt waren 4.550 Polizisten im Einsatz - konnte verhindert werden, dass die beiden Gruppierungen aufeinandertrafen (S. 22 des Bescheides). Vergleichbar war die Situation am 15. November 2014 in Hannover. Als dort der Demonstrationszug der Gegendemonstranten unmittelbar an die stationäre Versammlung der Rechten herankam, konnten körperliche Auseinandersetzungen nur mit einem massiven Einsatz von Polizeibeamten verhindert werden; im Einsatz waren 5.330 Beamte. Gleichwohl bewarfen sich die beiden Gruppierungen mit Feuerwerkskörpern und anderen Gegenständen (S. 24 des Bescheides).

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Aufgrund der Feststellungen der Antragsgegnerin, an deren Richtigkeit kein Zweifel besteht, ist weiter davon auszugehen, dass ein gewichtiger Teil der rechtsgerichteten Teilnehmer des angemeldeten Aufzugs ebenfalls die körperliche Auseinandersetzung mit den Gegendemonstranten annehmen, wenn nicht gar suchen werden. Dass sich unter den Teilnehmern des angemeldeten Aufzugs eine nicht unerhebliche Zahl von gewaltorientierten Personen befinden würde, ist oben bereits ausgeführt worden. Das vorhandene Gewaltpotential belegt zudem der soeben gewürdigte Verlauf der Versammlung in Hannover. Vor allem aber belegt das der Verlauf des - in jeder Hinsicht vergleichbaren - Aufzugs in Köln am 26. Oktober 2014. Wie oben ausgeführt, haben Teilnehmer des Aufzugs auf Provokationen von Außenstehenden äußerst aggressiv mit Flaschenwürfen sowohl gegen die Provokateure als auch gegen die Polizei und Medienvertreter reagiert. Auch hiernach steht es zur Überzeugung des Senats fest, dass es - sollten die beiden Gruppierungen zu irgendeiner Zeit während des Aufzugs oder in der Zeit davor oder danach unmittelbar aufeinandertreffen - massive Schlägereien zwischen ihnen geben wird, bei denen es zu erheblichen Körperverletzungen und Sachbeschädigungen kommen wird. Die Zahl der gewaltorientierten Personen im Kreis der Linken wird nach den Einschätzungen der Antragsgegnerin, an deren Richtigkeit der Senat ebenfalls nicht zweifelt, in einer Größenordnung von bis zu 2.000 Personen liegen, darunter 500 bis 1.000 gewaltsuchende Personen (S. 20 des Bescheides). Die vorhandene hohe Gewaltbereitschaft wird schließlich dadurch bestätigt, dass in der Nacht vom 30. auf den 31. August 2015 die Fahrzeuge eines Mitorganisators des Aufzugs sowie zweier anderer Personen aus der rechten Szene in Brand gesetzt wurden.

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Die zu erwartenden Auseinandersetzungen während des Aufzugs oder in der Zeit davor oder danach könnte die Antragsgegnerin nach ihrer plausiblen und nicht zu beanstandenden Einschätzung nur mit dem genannten Großaufgebot an Kräften ausreichend verhindern. Ohne dieses Großaufgebot wird es mit Sicherheit zu massiven Schlägereinen zwischen den verfeindeten Gruppen kommen. Dieses Aufgebot steht der Antragsgegnerin tatsächlich nicht zur Verfügung. Für die Durchführung eines Aufzugs fehlen ihr nach dem letzten Stand 23 Hundertschaften (ca. 2.500 Beamte). Aber selbst für die Durchführung einer nur stationären Versammlung, für deren Sicherung sie mit insgesamt 7 Hundertschaften weniger auskommen könnte, fehlen ihr noch 16 Hundertschaften (va. 1.750 Beamte). Damit steht fest, dass die Antragsgegnerin nicht ausreichend in der Lage ist, die Gesundheit der betroffenen Personen sowie das Eigentum betroffener Bürger zu schützen. Hinzu kommt, dass die Polizisten, die in einer viel zu geringen Stärke gleichwohl versuchen müssten, die Auseinandersetzungen zu verhindern, in ihrer eigenen Gesundheit über das bei einer regulären Einsatzstärke ohnehin schon bestehende Maß hinaus gefährdet würden.

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Nach den Hilfeverweigerungen der Behörden des Bundes und der Länder spricht nichts dafür, dass diese „im letzten Moment“ doch noch Einsatzkräfte in der erforderlichen Zahl zur Verfügung stellen könnten, sollte im vorliegenden Verfahren die Durchführung eines Aufzugs oder zumindest einer stationären Versammlung ermöglicht werden. Mit einer derartigen Sinnesänderung in dem erforderlichen Umfang ist nicht zu rechnen, da damit faktisch eingeräumt würde, dass die bisherigen Absagen nicht ernst gemeint waren und möglicherweise nur dazu gedient haben, der Antragsgegnerin die Argumente zu liefern, den Aufzug zu verbieten.

33

B Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.

Urteilsbesprechung zu Hamburgisches Oberverwaltungsgericht Beschluss, 11. Sept. 2015 - 4 Bs 192/15

Urteilsbesprechungen zu Hamburgisches Oberverwaltungsgericht Beschluss, 11. Sept. 2015 - 4 Bs 192/15

Referenzen - Gesetze

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 80


(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a). (2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur 1. bei der

Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 47 Rechtsmittelverfahren


(1) Im Rechtsmittelverfahren bestimmt sich der Streitwert nach den Anträgen des Rechtsmittelführers. Endet das Verfahren, ohne dass solche Anträge eingereicht werden, oder werden, wenn eine Frist für die Rechtsmittelbegründung vorgeschrieben ist, inn
Hamburgisches Oberverwaltungsgericht Beschluss, 11. Sept. 2015 - 4 Bs 192/15 zitiert 8 §§.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 80


(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a). (2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur 1. bei der

Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 47 Rechtsmittelverfahren


(1) Im Rechtsmittelverfahren bestimmt sich der Streitwert nach den Anträgen des Rechtsmittelführers. Endet das Verfahren, ohne dass solche Anträge eingereicht werden, oder werden, wenn eine Frist für die Rechtsmittelbegründung vorgeschrieben ist, inn

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 146


(1) Gegen die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts, des Vorsitzenden oder des Berichterstatters, die nicht Urteile oder Gerichtsbescheide sind, steht den Beteiligten und den sonst von der Entscheidung Betroffenen die Beschwerde an das Oberverwaltun

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 8


(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. (2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 35


(1) Alle Behörden des Bundes und der Länder leisten sich gegenseitig Rechts- und Amtshilfe. (2) Zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung kann ein Land in Fällen von besonderer Bedeutung Kräfte und Einrich

Referenzen - Urteile

Hamburgisches Oberverwaltungsgericht Beschluss, 11. Sept. 2015 - 4 Bs 192/15 zitiert oder wird zitiert von 5 Urteil(en).

Hamburgisches Oberverwaltungsgericht Beschluss, 11. Sept. 2015 - 4 Bs 192/15 zitiert 1 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesverfassungsgericht Stattgebender Kammerbeschluss, 20. Dez. 2012 - 1 BvR 2794/10

bei uns veröffentlicht am 20.12.2012

Tenor 1. Die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 15. Oktober 2010 - 3 L 1556/10 - und des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 15. Oktober 2010 - 3 B 307/10 - verletzen die Beschwerde
4 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Hamburgisches Oberverwaltungsgericht Beschluss, 11. Sept. 2015 - 4 Bs 192/15.

Hamburgisches Oberverwaltungsgericht Beschluss, 03. Juli 2017 - 4 Bs 142/17

bei uns veröffentlicht am 03.07.2017

Tenor Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 27. Juni 2017 wird zurückgewiesen. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Gründe I. 1 Der Antragsteller begehrt

Hamburgisches Oberverwaltungsgericht Beschluss, 03. Juli 2017 - 4 Bs 141/17

bei uns veröffentlicht am 03.07.2017

Tenor Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 28. Juni 2017 wird zurückgewiesen. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Gründe I. 1 Der Antragsteller begehrt

Verwaltungsgericht Hamburg Beschluss, 20. Juni 2017 - 19 E 6258/17

bei uns veröffentlicht am 20.06.2017

Tenor 1. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 15. Juni 2017 gegen die Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin vom 1. Juni 2017 wird insoweit wiederhergestellt, als diese die Fläche der vom Antragsteller angemeldeten Ver

Verwaltungsgericht Gelsenkirchen Beschluss, 05. Okt. 2016 - 14 L 2356/16

bei uns veröffentlicht am 05.10.2016

Tenor 1. Die aufschiebende Wirkung der Klage - 14 K 6579/16 -des Antragstellers gegen die in Ziffer 1.    der Versammlungsbestätigung des Antragsgegners vom 30. September 2016 enthaltene Auflage    zur Durchführung der Versammlung als Standkundgebun

Referenzen

(1) Gegen die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts, des Vorsitzenden oder des Berichterstatters, die nicht Urteile oder Gerichtsbescheide sind, steht den Beteiligten und den sonst von der Entscheidung Betroffenen die Beschwerde an das Oberverwaltungsgericht zu, soweit nicht in diesem Gesetz etwas anderes bestimmt ist.

(2) Prozeßleitende Verfügungen, Aufklärungsanordnungen, Beschlüsse über eine Vertagung oder die Bestimmung einer Frist, Beweisbeschlüsse, Beschlüsse über Ablehnung von Beweisanträgen, über Verbindung und Trennung von Verfahren und Ansprüchen und über die Ablehnung von Gerichtspersonen sowie Beschlüsse über die Ablehnung der Prozesskostenhilfe, wenn das Gericht ausschließlich die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen der Prozesskostenhilfe verneint, können nicht mit der Beschwerde angefochten werden.

(3) Außerdem ist vorbehaltlich einer gesetzlich vorgesehenen Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision die Beschwerde nicht gegeben in Streitigkeiten über Kosten, Gebühren und Auslagen, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands zweihundert Euro nicht übersteigt.

(4) Die Beschwerde gegen Beschlüsse des Verwaltungsgerichts in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (§§ 80, 80a und 123) ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen. Das Verwaltungsgericht legt die Beschwerde unverzüglich vor; § 148 Abs. 1 findet keine Anwendung. Das Oberverwaltungsgericht prüft nur die dargelegten Gründe.

(5) u. (6) (weggefallen)

(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).

(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur

1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten,
2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten,
3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen,
3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen,
4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
Die Länder können auch bestimmen, daß Rechtsbehelfe keine aufschiebende Wirkung haben, soweit sie sich gegen Maßnahmen richten, die in der Verwaltungsvollstreckung durch die Länder nach Bundesrecht getroffen werden.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.

(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.

(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

Tenor

1. Die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 15. Oktober 2010 - 3 L 1556/10 - und des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 15. Oktober 2010 - 3 B 307/10 - verletzen die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Artikel 8 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 des Grundgesetzes.

2. Die Kostenentscheidungen der Beschlüsse werden aufgehoben. Das Verfahren wird insoweit an das Sächsische Oberverwaltungsgericht zur erneuten Entscheidung über die Kosten des Verfahrens zurückverwiesen.

3. ...

4. Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit im Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 8.000 € (in Worten: achttausend Euro) festgesetzt.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die verwaltungsgerichtliche Versagung vorläufigen Rechtsschutzes gegen eine versammlungsrechtliche Auflage.

I.

2

1. Die Beschwerdeführer meldeten Anfang September 2010 bei der Stadt L. ihr Vorhaben an, am 16. Oktober 2010 (von 12.00 Uhr bis 20.00 Uhr) in L. eine Versammlung unter freiem Himmel durchzuführen. Die geplante Versammlung sollte aus drei Aufzügen und einer Abschlusskundgebung in der Innenstadt von L. bestehen. Die Teilnehmerzahl wurde von den Beschwerdeführern bei der Anmeldung auf 600 Personen geschätzt. Das Motto der geplanten Versammlung lautete "Recht auf Zukunft". Es bezog sich auf eine am 17. Oktober 2009 in L. von der Beschwerdeführerin zu 4), einer Unterorganisation der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD), veranstaltete Versammlung, bei der es im Zusammenhang mit einer Versammlungsblockade durch Gegendemonstranten zu gewalttätigen Auseinandersetzungen und letztlich zu einer polizeilichen Auflösung der Versammlung kam.

3

Angesichts dieser Vorgeschichte und der Anmeldung von zahlreichen Gegendemonstrationen kam es zwischen der Anmeldung und der Durchführung der geplanten Versammlung zu umfangreichen Verhandlungen zwischen den Beschwerdeführern und der Stadt L., die unter anderem in Kooperationsgesprächen am 4., am 6. und am 13. Oktober 2010 eingehend die polizeilich sicherbare Anzahl der geplanten Aufzüge und die konkrete Streckenführung erörterten. In einer Gefährdungsanalyse am 4. Oktober 2010 bekundete die Polizeidirektion L. dabei laut den tatsächlichen Feststellungen des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts, dass der Schutz von zwei der angemeldeten Aufzüge mit den zur Verfügung stehenden Einsatzkräften gewährleistet werden könne. Am 11. Oktober 2010 teilte der Beschwerdeführer zu 1) der Stadt schließlich mit, dass am 16. Oktober 2010 nunmehr lediglich ein einziger Aufzug stattfinden solle. Am 12. Oktober 2010 ergänzte die Polizeidirektion L. ihre Gefahrprognose insofern, dass nunmehr nur eine maximal vierstündige stationäre Kundgebung durchführbar sei, weil nach den Erfahrungen des Versammlungsgeschehens vom 17. Oktober 2009 mit einer höheren als der angemeldeten Teilnehmerzahl zu rechnen sei und jeweils ca. 10 bis 20 % der Teilnehmer der angemeldeten Demonstration und der Gegendemonstrationen als gewaltbereit einzustufen seien.

4

2. Mit Bescheid vom 13. Oktober 2010 untersagte die Stadt L. die Durchführung der Versammlung als Aufzug, verfügte die Durchführung als stationäre Kundgebung in der Zeit von 13.00 Uhr bis 17.00 Uhr in einem Bereich am L. Hauptbahnhof und ordnete die sofortige Vollziehung dieser Auflage an. Die Polizeidirektion L. habe in ihrer Gefahrprognose vom 12. Oktober 2010 dargelegt, dass im Zeitraum vom 15. bis zum 17. Oktober 2010 aufgrund von zahlreichen Versammlungsanmeldungen widerstreitender politischer Lager eine latente Gefährdungssituation vorhanden sei, die einen außerordentlich hohen Kräfteeinsatz der Polizei erfordere. Es sei davon auszugehen, dass sich die Teilnehmer der Aufzüge bei Angriffen durch Personen der linksextremistischen Klientel provozieren ließen und darauf entsprechend reagierten. Die Polizei habe glaubhaft dargelegt, dass sie kräftetechnisch außerstande sei, einen Aufzug zu begleiten, da trotz bundesweiter Anfragen nur 29 der für erforderlich gehaltenen 44 Polizeihundertschaften, also nur 66 % der geplanten Polizeikräfte, zur Verfügung stünden. Die Ausübung der Versammlungsfreiheit werde trotz der Beschränkungen nicht vereitelt, da der zugewiesene Ort eine hinreichende Öffentlichkeitswirksamkeit und eine räumliche Trennung der gegensätzlichen politischen Lager gewährleiste.

5

3. Dagegen erhoben die Beschwerdeführer noch am gleichen Tag Widerspruch und stellten beim Verwaltungsgericht Leipzig die Anträge, die aufschiebende Wirkung ihrer Widersprüche gegen die Auflage, nur eine stationäre Kundgebung durchzuführen, wiederherzustellen sowie im Wege einer einstweiligen Anordnung ein Verbot sämtlicher Versammlungen in einem Umkreis von 300 m um die angemeldeten Aufzugstrecken anzuordnen. Das Verwaltungsgericht Leipzig lehnte die Eilanträge mit Beschluss vom 15. Oktober 2010 ab und begründete dies im Wesentlichen damit, dass der Bescheid vom 13. Oktober 2010 rechtmäßig sei und somit das öffentliche Interesse am Sofortvollzug des Bescheids die Interessen der Beschwerdeführer überwiege. Die Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens, die Stadt L., sei auf der Grundlage der Einschätzung der Polizeidirektion L. nachvollziehbar davon ausgegangen, dass infolge zahlreicher Gegenaktionen und -demonstrationen bei Durchführung des im Zuge der Kooperation der Beschwerdeführer zuletzt noch geplanten einzigen Aufzuges eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung bestehe. Bei der Vielzahl der angemeldeten und geplanten Veranstaltungen am 16.10.2010, unter anderem ein Fußballspiel, und in Anbetracht der beschriebenen begrenzten Kräftelage der Polizei sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mit einhergehenden Personen- und Sachschäden zu rechnen, denen nur mit der Beschränkung auf eine stationäre Kundgebung begegnet werden könne. Dieser Gefahr könne in Anbetracht der besonderen Veranstaltungssituation am 16. Oktober 2010 auch nicht durch Maßnahmen gegen potentielle Störer begegnet werden.

6

4. Gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts legten die Beschwerdeführer Beschwerde ein. Das Sächsische Oberverwaltungsgericht wies die Beschwerde mit Beschluss vom 15. Oktober 2010 zurück. Ob ein polizeilicher Notstand vorliege, sei im Rahmen der summarischen Prüfung nicht abschließend zu beurteilen. Der Einschätzung der Polizeidirektion lasse sich entnehmen, dass aufgrund des Versammlungsgeschehens im Vorjahr mit gewalttätigen Auseinandersetzungen einer Anzahl von 10 bis 20 % der Teilnehmer sowohl auf Seiten der Beschwerdeführer wie auf Seiten linker Demonstranten gerechnet werde. Zwar erschließe sich dem Gericht nicht, wodurch sich das Gefährdungspotential innerhalb kurzer Zeit so erhöht haben solle, dass statt der zwei Aufzüge, die die Polizeidirektion ursprünglich noch mit den zur Verfügung stehenden Einsatzkräften für sicherbar gehalten habe, nunmehr nur noch eine stationäre Kundgebung möglich sein solle. Wegen der fehlenden Überprüfungsmöglichkeit sei aufgrund einer Folgenabwägung zu entscheiden. Danach sei die Beschwerde zurückzuweisen, weil für den Antragsteller die mit der Durchführung einer nur stationären Kundgebung verbundenen Beeinträchtigungen hinnehmbar seien.

7

5. Die Beschwerdeführer beantragten sodann beim Bundesverfassungsgericht zunächst den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Diesen Antrag hat die Kammer aufgrund der besonderen Voraussetzungen der Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes durch das Bundesverfassungsgericht abgelehnt, dabei jedoch zugleich auf die Möglichkeit der Klärung der aufgeworfenen Fragen in einem verfassungsgerichtlichen Hauptsachverfahren hingewiesen (BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 16. Oktober 2010 - 1 BvQ 39/10 -, juris).

8

6. Hieraufhin erhoben die Beschwerdeführer gegen die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Leipzig und des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts fristgemäß Verfassungsbeschwerde mit der Rüge, durch die angegriffenen Entscheidungen in ihren Rechten aus Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG verletzt zu sein.

9

7. Das Bundesverfassungsgericht hat der Stadt L. als Gegnerin des Ausgangsverfahrens, dem Sächsischen Staatsministerium der Justiz und für Europa sowie der Präsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

10

Nach Auffassung des Rechtsamtes der Stadt L. liegen die Voraussetzungen für die Annahme der Verfassungsbeschwerde nicht vor. Das Sächsische Staatsministerium hat von einer Stellungnahme abgesehen. Die Präsidentin des Bundesverwaltungsgerichts hat eine Stellungnahme des unter anderem für das Versammlungsrecht zuständigen 6. Revisionssenats übersandt, in der dieser Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der angegriffenen Entscheidungen äußert.

II.

11

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung von Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93c BVerfGG). Das Bundesverfassungsgericht hat die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen Fragen bereits entschieden (vgl. insbesondere BVerfGE 69, 315 <340 ff.>; 110, 77 <83 ff.>). Nach diesen Maßstäben ist die Verfassungsbeschwerde gegen die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Leipzig und des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts zulässig und begründet.

12

1. Der Zulässigkeit der Rüge der Verletzung des Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG steht weder der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde noch das Erfordernis eines Rechtsschutzinteresses entgegen.

13

a) Der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde verlangt die Erschöpfung des Rechtswegs in der Hauptsache nur, soweit die geltend gemachte Verletzung von Freiheitsrechten oder von Art. 19 Abs. 4 GG durch die Entscheidung der Gerichte in der Hauptsache noch ausgeräumt werden kann (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senat vom 21. April 1998 - 1 BvR 2311/94 -, NVwZ 1998, S. 834 <835>). Hier rügen die Beschwerdeführer allerdings gerade die Missachtung der Anforderungen des Art. 8 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG bei der Zurückweisung ihres Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz, die im Hauptsacheverfahren nicht mehr behandelt werden würde.

14

b) Auch ein Rechtsschutzbedürfnis der Beschwerdeführer besteht, obwohl der Demonstrationstermin verstrichen und damit der Sofortvollzug der strittigen Auflagen gegenstandslos geworden ist. Sind verfassungsrechtliche Fragen von grundsätzlicher Bedeutung nicht (mehr) zu klären, besteht ein Rechtsschutzbedürfnis auch nach Erledigung des ursprünglichen Begehrens im Falle einer Wiederholungsgefahr, also wenn ein Gericht die bereits herausgearbeiteten verfassungsrechtlichen Maßstäbe nicht beachtet hat und bei hinreichend bestimmter Gefahr einer gleichartigen Entscheidung bei gleichartiger Sach- und Rechtslage zu befürchten ist, dass es diese auch in Zukunft verkennt (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 21. April 1998 - 1 BvR 2311/94 -, NVwZ 1998, S. 834 <835>). Hier führten die Beschwerdeführer bereits konflikthafte Versammlungen in L. durch und planen auch in Zukunft die Durchführung von Versammlungen in L., bei denen sie mit ähnlichen Konfliktsituationen rechnen und gegebenenfalls gleichartige Entscheidungen des Verwaltungsgerichts und des Oberverwaltungsgerichts befürchten müssten.

15

2. Die Verfassungsbeschwerde ist begründet. Die angegriffenen Beschlüsse verletzen die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG.

16

a) Art. 8 Abs. 1 GG schützt die Freiheit, mit anderen Personen zum Zwecke einer gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung örtlich zusammen zu kommen (vgl. BVerfGE 104, 92 <104>; 128, 226 <250>). Als Freiheit zur kollektiven Meinungskundgabe, die auch und vor allem andersdenkenden Minderheiten zugutekommt, ist die Versammlungsfreiheit für eine freiheitlich demokratische Staatsordnung konstituierend (vgl. BVerfGE 69, 315 <344 f.>; 128, 226 <250>) und wird im Vertrauen auf die Kraft der freien öffentlichen Auseinandersetzung grundsätzlich auch den Gegnern der Freiheit gewährt (vgl. BVerfGE 124, 300 <320>). Damit die Bürger selbst entscheiden können, wann, wo und unter welchen Modalitäten sie ihr Anliegen am wirksamsten zur Geltung bringen können, gewährleistet Art. 8 Abs. 1 GG nicht nur die Freiheit, an einer öffentlichen Versammlung teilzunehmen oder ihr fern zu bleiben, sondern umfasst zugleich ein Selbstbestimmungsrecht über die Durchführung der Versammlung als Aufzug, die Auswahl des Ortes und die Bestimmung der sonstigen Modalitäten der Versammlung (vgl. BVerfGE 69, 315 <343> oder <355 ff.>; 128, 226 <250 f.>).

17

Beschränkungen der Versammlungsfreiheit bedürfen gemäß Art. 8 Abs. 2 GG zu ihrer Rechtfertigung einer gesetzlichen Grundlage (vgl. BVerfGE 69, 315 <350 f.>; BVerfGK 17, 303 <307>). Nach § 15 des Gesetzes über Versammlungen und Aufzüge (Versammlungsgesetz) vom 24. Juli 1953 in der Fassung vom 8. Dezember 2008 (BGBl I S. 2366; im Folgenden: VersG) kann die zuständige Behörde die Versammlung von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Danach kann im Einzelfall auch die Festlegung geboten sein, dass eine ursprünglich als Aufzug angemeldete Versammlung nur als ortsfeste Versammlung durchgeführt werden darf (vgl. BVerfGK 2, 1 <8>). Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit darf die Behörde allerdings auch bei dem Erlass von Auflagen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen. Als Grundlage der Gefahrenprognose sind konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte erforderlich; bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen reichen hierzu nicht aus (BVerfGE 69, 315 <353 f.>; BVerfGK 17, 303 <307>). Ferner gilt, dass, soweit sich der Veranstalter und die Versammlungsteilnehmer grundsätzlich friedlich verhalten und Störungen der öffentlichen Sicherheit vorwiegend aufgrund des Verhaltens Dritter - insbesondere von Gegendemonstrationen - zu befürchten sind, die Durchführung der Versammlung zu schützen ist und behördliche Maßnahmen primär gegen die Störer zu richten sind (vgl. BVerfGE 69, 315 <360 f.>; BVerfGK 8, 79 <81>; BVerfG , Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 1. September 2000 - 1 BvQ 24/00, NVwZ 2000, S. 1406 <1407>). Gegen die friedliche Versammlung selbst kann dann nur unter den besonderen Voraussetzungen des polizeilichen Notstandes eingeschritten werden (vgl. BVerfGE 69, 315 <360 f.>; BVerfGK 17, 303 <308>). Dies setzt voraus, dass die Versammlungsbehörde mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anderenfalls wegen der Erfüllung vorrangiger staatlicher Aufgaben und trotz des Bemühens, gegebenenfalls externe Polizeikräfte hinzuzuziehen, zum Schutz der von dem Antragsteller angemeldeten Versammlung nicht in der Lage wäre; eine pauschale Behauptung dieses Inhalts reicht allerdings nicht (vgl. BVerfGK 8, 79 <82>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 24. März 2001 - 1 BvQ 13/01 -, NJW 2001, S. 2069 <2072>). Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Gründen für ein Verbot oder eine Auflage liegt grundsätzlich bei der Behörde (vgl. BVerfGK 17, 303 <308>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 4. September 2009 - 1 BvR 2147/09 -, NJW 2010, S. 141 <142>).

18

b) Art. 19 Abs. 4 GG garantiert einen effektiven und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt (vgl. BVerfGE 67, 43 <58>; 96, 27 <39>). Im Verfahren auf Wiederherstellung oder Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs, das für den Regelfall sicherstellt, dass die Verwaltungsbehörden keine irreparablen Maßnahmen durchführen, bevor die Gerichte deren Rechtmäßigkeit geprüft haben, ist der Rechtsschutzanspruch des Bürgers umso stärker, je schwerwiegender die ihm auferlegte Belastung wiegt und je mehr die Maßnahmen der Verwaltung Unabänderliches bewirken (vgl. BVerfGE 35, 382 <401 f.>; 69, 315 <363>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senat vom 21. April 1998 - 1 BvR 2311/94 -, NVwZ 1998, S. 834 <835>). Insbesondere im Bereich des Versammlungsrechts muss das verwaltungsgerichtliche Eilverfahren angesichts der Zeitgebundenheit von Versammlungen zum Teil Schutzfunktionen übernehmen, die sonst das Hauptsacheverfahren erfüllt (vgl. BVerfGE 69, 315 <363 f.>; 110, 77 <87>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senat vom 23. März 2004 - 1 BvR 745/01 -, juris, Rn. 13). Die einstweilige Anordnung im verfassungsgerichtlichen Verfahren als außerhalb der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG liegender Rechtsbehelf kann die primäre Rechtsschutzfunktion der Fachgerichte ebenfalls nicht übernehmen. Angesichts der Aufgaben des Bundesverfassungsgerichts und im Hinblick auf die weitreichenden Folgen, die eine einstweilige Anordnung auslösen kann, ist hierbei zudem ein strenger, von den verwaltungsgerichtlichen Kriterien grundsätzlich unterschiedener Maßstab anzulegen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senat vom 16. Oktober 2010 - 1 BvQ 39/10 -, juris, Rn. 4). Daher müssen die Verwaltungsgerichte zum Schutz von Versammlungen, die auf einen einmaligen Anlass bezogen sind, schon im Eilverfahren durch eine intensivere Prüfung dem Umstand Rechnung tragen, dass der Sofortvollzug der umstrittenen Maßnahme in der Regel zur endgültigen Verhinderung der Versammlung in der beabsichtigten Form führt. Soweit möglich, ist als Grundlage der gebotenen Interessenabwägung die Rechtmäßigkeit der Maßnahme in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht nicht nur summarisch zu prüfen (vgl. BVerfGE 69, 315 <363 f.>; 110, 77 <87>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senat vom 21. April 1998 - 1 BvR 2311/94 -, NVwZ 1998, S. 834 <835>). Sofern dies nicht möglich ist, haben die Fachgerichte jedenfalls eine sorgfältige Folgenabwägung vorzunehmen und diese hinreichend substantiiert zu begründen, da ansonsten eine Umgehung der beschriebenen strengen Voraussetzungen für Beschränkungen der Versammlungsfreiheit möglich erschiene.

19

3. Diese Maßstäbe haben das Verwaltungsgericht Leipzig und das Sächsische Oberverwaltungsgericht bei den ihnen obliegenden Entscheidungen über die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nicht hinreichend berücksichtigt. Beide Entscheidungen werden den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG im Hinblick auf die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen versammlungsbeschränkende behördliche Maßnahmen nicht gerecht.

20

a) Die vom Verwaltungsgericht Leipzig herangezogenen Umstände sind nicht geeignet, die Annahme einer von der Versammlung selbst ausgehenden unmittelbaren Gefährdung für die öffentliche Sicherheit zu tragen, die die Verhinderung der Versammlung in Form eines Aufzugs hätte rechtfertigen können. Das Verwaltungsgericht legt insofern bereits nicht hinreichend deutlich dar, ob seiner Auffassung nach auch von der Versammlung selbst eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht oder diese Gefahr ausschließlich aufgrund der zahlreichen Gegendemonstrationen und den hieraus zu erwartenden Störungen der Versammlung besteht. Dass das Verwaltungsgericht in seiner Entscheidung zur Begründung seines Standpunktes im Wesentlichen lediglich auf die Einschätzung der Polizeidirektion L., die ohne nähere Erläuterung 10 bis 20 % der Teilnehmer der angemeldeten Demonstration dem gewaltbereiten Klientel zurechnete, verweist, genügt den Anforderungen des Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG insofern jedenfalls nicht.

21

Auch im Hinblick auf eine Inanspruchnahme der Veranstalter als Nichtstörer im Wege des polizeilichen Notstandes genügen die tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts den Anforderungen des Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG nicht. Das Verwaltungsgericht weist insofern zur Begründung des Vorliegens einer nicht durch Maßnahmen gegen potentielle Störer abwendbaren Gefahr, insbesondere auf die besondere Veranstaltungssituation am 16. Oktober 2010 und die deswegen nur begrenzt zur Verfügung stehenden Polizeikräfte, hin und beruft sich dabei pauschal auf die Einschätzung der Polizeidirektion L. vom 13. Oktober 2010. Berücksichtigt man aber den Umstand, dass die Polizeidirektion in ihrer Gefährdungsanalyse vom 4. Oktober 2010 offenbar noch zwei der angemeldeten Aufzüge mit den ihr voraussichtlich zur Verfügung stehenden Kräften für sicherbar hielt, erfüllt diese pauschale Bezugnahme auf die Einschätzung der Polizeidirektion vom 13. Oktober 2010 nicht die den Anforderungen an die entsprechend obigen Maßstäben bereits im Eilverfahren gebotene intensivere Rechtmäßigkeitsprüfung. Vielmehr hätte die kurzfristige Änderung der polizeilichen Einschätzung, die sich nicht ohne weiteres erschließt, das Verwaltungsgericht zu einer substantiierteren Prüfung der veränderten polizeilichen Einschätzung und zur Nachfrage einer genaueren Begründung ihrer Entscheidung veranlassen müssen. Dass dies vorliegend aus zeitlichen Gründen nicht möglich gewesen wäre, ist nicht erkennbar. Auch im Übrigen hätte es dezidierterer Feststellungen bedurft, aufgrund welcher konkreter Gefahren für die öffentliche Sicherheit und aufgrund welcher konkreter, vorrangig zu schützender sonstiger Veranstaltungen keine ausreichenden Polizeikräfte mehr zum Schutz der angemeldeten Versammlung und der Rechtsgüter Dritter zur Verfügung gestanden hätten. Die behauptete Bindung von Polizeikräften durch die zeitgleich stattfindenden Gegendemonstrationen kann nach obigen Maßstäben jedenfalls nicht ohne weiteres als hinreichendes Argument dafür herangezogen werden. Auch die Bindung von Polizeikräften aufgrund eines parallel stattfindenden Fußballspiels und sonstiger Veranstaltungen, deren vorrangige Schutzwürdigkeit sich nicht ohne weiteres erschließt, reicht hierfür nicht aus.

22

b) Die angegriffene Entscheidung des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts hält den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG ebenfalls nicht stand. Zwar hat das Sächsische Oberverwaltungsgericht deutliche Bedenken am Vorliegen der Voraussetzungen eines für die Rechtfertigung der versammlungsrechtlichen Auflage erforderlichen polizeilichen Notstandes geäußert und nachvollziehbar dargelegt, dass sich ihm nicht erschließe, wodurch sich das Gefährdungspotential innerhalb des kurzen Zeitraumes zwischen der Gefährdungsanalyse der Polizeidirektion L. vom 4. Oktober 2010 und dem Erlass der Auflage am 13. Oktober 2010 so erhöht haben soll, dass statt der zwei Aufzüge, die ursprünglich noch mit den zur Verfügung stehenden Einsatzkräften für sicherbar gehalten wurden, nunmehr nur noch eine stationäre Kundgebung möglich sein solle. Auch erscheint es nachvollziehbar, dass dem Sächsischen Oberverwaltungsgericht in der Kürze der ihm zur Verfügung stehenden Zeit die Vornahme der hier grundsätzlich gebotenen und soweit als möglich nicht lediglich summarischen Rechtmäßigkeitskontrolle der behördlichen Auflage nicht mehr möglich war. Allerdings hätte es dem Sächsischen Oberverwaltungsgericht in dieser Konstellation, um der Freiheitsvermutung zugunsten der Versammlungsfreiheit zumindest in der Sache Rechnung zu tragen, oblegen, eine besonders sorgfältige Folgenabwägung vorzunehmen und diese in der Begründung seiner Entscheidung hinreichend offenzulegen. Vorliegend hat sich das Sächsische Oberverwaltungsgericht in der Begründung seiner Entscheidung jedoch im Wesentlichen darauf beschränkt, auf die vermeintlich geringe Beeinträchtigung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit hinzuweisen, ohne auch nur ansatzweise ausreichend auf das Bestehen einer die Beeinträchtigung der Versammlungsfreiheit überwiegenden potentiellen Beeinträchtigung anderer Rechtsgüter einzugehen.

23

4. Demgemäß ist festzustellen, dass sowohl der angegriffene Beschluss des Verwaltungsgerichts Leipzig als auch der angegriffene Beschluss des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG verletzen. Einer Aufhebung der Entscheidungen und Zurückverweisung zur erneuten Entscheidung bedarf es darüberhinausgehend nur bezüglich der Kostenentscheidungen, da in der Sache selbst Erledigung eingetreten ist (vgl. Schemmer, in: Umbach/Clemens/Dollinger, 2. Aufl. 2005, BVerfGG, § 93c Rn. 33).

24

5. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>).

(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

(1) Alle Behörden des Bundes und der Länder leisten sich gegenseitig Rechts- und Amtshilfe.

(2) Zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung kann ein Land in Fällen von besonderer Bedeutung Kräfte und Einrichtungen des Bundesgrenzschutzes zur Unterstützung seiner Polizei anfordern, wenn die Polizei ohne diese Unterstützung eine Aufgabe nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten erfüllen könnte. Zur Hilfe bei einer Naturkatastrophe oder bei einem besonders schweren Unglücksfall kann ein Land Polizeikräfte anderer Länder, Kräfte und Einrichtungen anderer Verwaltungen sowie des Bundesgrenzschutzes und der Streitkräfte anfordern.

(3) Gefährdet die Naturkatastrophe oder der Unglücksfall das Gebiet mehr als eines Landes, so kann die Bundesregierung, soweit es zur wirksamen Bekämpfung erforderlich ist, den Landesregierungen die Weisung erteilen, Polizeikräfte anderen Ländern zur Verfügung zu stellen, sowie Einheiten des Bundesgrenzschutzes und der Streitkräfte zur Unterstützung der Polizeikräfte einsetzen. Maßnahmen der Bundesregierung nach Satz 1 sind jederzeit auf Verlangen des Bundesrates, im übrigen unverzüglich nach Beseitigung der Gefahr aufzuheben.

(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

Tenor

1. Die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 15. Oktober 2010 - 3 L 1556/10 - und des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 15. Oktober 2010 - 3 B 307/10 - verletzen die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Artikel 8 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 des Grundgesetzes.

2. Die Kostenentscheidungen der Beschlüsse werden aufgehoben. Das Verfahren wird insoweit an das Sächsische Oberverwaltungsgericht zur erneuten Entscheidung über die Kosten des Verfahrens zurückverwiesen.

3. ...

4. Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit im Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 8.000 € (in Worten: achttausend Euro) festgesetzt.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die verwaltungsgerichtliche Versagung vorläufigen Rechtsschutzes gegen eine versammlungsrechtliche Auflage.

I.

2

1. Die Beschwerdeführer meldeten Anfang September 2010 bei der Stadt L. ihr Vorhaben an, am 16. Oktober 2010 (von 12.00 Uhr bis 20.00 Uhr) in L. eine Versammlung unter freiem Himmel durchzuführen. Die geplante Versammlung sollte aus drei Aufzügen und einer Abschlusskundgebung in der Innenstadt von L. bestehen. Die Teilnehmerzahl wurde von den Beschwerdeführern bei der Anmeldung auf 600 Personen geschätzt. Das Motto der geplanten Versammlung lautete "Recht auf Zukunft". Es bezog sich auf eine am 17. Oktober 2009 in L. von der Beschwerdeführerin zu 4), einer Unterorganisation der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD), veranstaltete Versammlung, bei der es im Zusammenhang mit einer Versammlungsblockade durch Gegendemonstranten zu gewalttätigen Auseinandersetzungen und letztlich zu einer polizeilichen Auflösung der Versammlung kam.

3

Angesichts dieser Vorgeschichte und der Anmeldung von zahlreichen Gegendemonstrationen kam es zwischen der Anmeldung und der Durchführung der geplanten Versammlung zu umfangreichen Verhandlungen zwischen den Beschwerdeführern und der Stadt L., die unter anderem in Kooperationsgesprächen am 4., am 6. und am 13. Oktober 2010 eingehend die polizeilich sicherbare Anzahl der geplanten Aufzüge und die konkrete Streckenführung erörterten. In einer Gefährdungsanalyse am 4. Oktober 2010 bekundete die Polizeidirektion L. dabei laut den tatsächlichen Feststellungen des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts, dass der Schutz von zwei der angemeldeten Aufzüge mit den zur Verfügung stehenden Einsatzkräften gewährleistet werden könne. Am 11. Oktober 2010 teilte der Beschwerdeführer zu 1) der Stadt schließlich mit, dass am 16. Oktober 2010 nunmehr lediglich ein einziger Aufzug stattfinden solle. Am 12. Oktober 2010 ergänzte die Polizeidirektion L. ihre Gefahrprognose insofern, dass nunmehr nur eine maximal vierstündige stationäre Kundgebung durchführbar sei, weil nach den Erfahrungen des Versammlungsgeschehens vom 17. Oktober 2009 mit einer höheren als der angemeldeten Teilnehmerzahl zu rechnen sei und jeweils ca. 10 bis 20 % der Teilnehmer der angemeldeten Demonstration und der Gegendemonstrationen als gewaltbereit einzustufen seien.

4

2. Mit Bescheid vom 13. Oktober 2010 untersagte die Stadt L. die Durchführung der Versammlung als Aufzug, verfügte die Durchführung als stationäre Kundgebung in der Zeit von 13.00 Uhr bis 17.00 Uhr in einem Bereich am L. Hauptbahnhof und ordnete die sofortige Vollziehung dieser Auflage an. Die Polizeidirektion L. habe in ihrer Gefahrprognose vom 12. Oktober 2010 dargelegt, dass im Zeitraum vom 15. bis zum 17. Oktober 2010 aufgrund von zahlreichen Versammlungsanmeldungen widerstreitender politischer Lager eine latente Gefährdungssituation vorhanden sei, die einen außerordentlich hohen Kräfteeinsatz der Polizei erfordere. Es sei davon auszugehen, dass sich die Teilnehmer der Aufzüge bei Angriffen durch Personen der linksextremistischen Klientel provozieren ließen und darauf entsprechend reagierten. Die Polizei habe glaubhaft dargelegt, dass sie kräftetechnisch außerstande sei, einen Aufzug zu begleiten, da trotz bundesweiter Anfragen nur 29 der für erforderlich gehaltenen 44 Polizeihundertschaften, also nur 66 % der geplanten Polizeikräfte, zur Verfügung stünden. Die Ausübung der Versammlungsfreiheit werde trotz der Beschränkungen nicht vereitelt, da der zugewiesene Ort eine hinreichende Öffentlichkeitswirksamkeit und eine räumliche Trennung der gegensätzlichen politischen Lager gewährleiste.

5

3. Dagegen erhoben die Beschwerdeführer noch am gleichen Tag Widerspruch und stellten beim Verwaltungsgericht Leipzig die Anträge, die aufschiebende Wirkung ihrer Widersprüche gegen die Auflage, nur eine stationäre Kundgebung durchzuführen, wiederherzustellen sowie im Wege einer einstweiligen Anordnung ein Verbot sämtlicher Versammlungen in einem Umkreis von 300 m um die angemeldeten Aufzugstrecken anzuordnen. Das Verwaltungsgericht Leipzig lehnte die Eilanträge mit Beschluss vom 15. Oktober 2010 ab und begründete dies im Wesentlichen damit, dass der Bescheid vom 13. Oktober 2010 rechtmäßig sei und somit das öffentliche Interesse am Sofortvollzug des Bescheids die Interessen der Beschwerdeführer überwiege. Die Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens, die Stadt L., sei auf der Grundlage der Einschätzung der Polizeidirektion L. nachvollziehbar davon ausgegangen, dass infolge zahlreicher Gegenaktionen und -demonstrationen bei Durchführung des im Zuge der Kooperation der Beschwerdeführer zuletzt noch geplanten einzigen Aufzuges eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung bestehe. Bei der Vielzahl der angemeldeten und geplanten Veranstaltungen am 16.10.2010, unter anderem ein Fußballspiel, und in Anbetracht der beschriebenen begrenzten Kräftelage der Polizei sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mit einhergehenden Personen- und Sachschäden zu rechnen, denen nur mit der Beschränkung auf eine stationäre Kundgebung begegnet werden könne. Dieser Gefahr könne in Anbetracht der besonderen Veranstaltungssituation am 16. Oktober 2010 auch nicht durch Maßnahmen gegen potentielle Störer begegnet werden.

6

4. Gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts legten die Beschwerdeführer Beschwerde ein. Das Sächsische Oberverwaltungsgericht wies die Beschwerde mit Beschluss vom 15. Oktober 2010 zurück. Ob ein polizeilicher Notstand vorliege, sei im Rahmen der summarischen Prüfung nicht abschließend zu beurteilen. Der Einschätzung der Polizeidirektion lasse sich entnehmen, dass aufgrund des Versammlungsgeschehens im Vorjahr mit gewalttätigen Auseinandersetzungen einer Anzahl von 10 bis 20 % der Teilnehmer sowohl auf Seiten der Beschwerdeführer wie auf Seiten linker Demonstranten gerechnet werde. Zwar erschließe sich dem Gericht nicht, wodurch sich das Gefährdungspotential innerhalb kurzer Zeit so erhöht haben solle, dass statt der zwei Aufzüge, die die Polizeidirektion ursprünglich noch mit den zur Verfügung stehenden Einsatzkräften für sicherbar gehalten habe, nunmehr nur noch eine stationäre Kundgebung möglich sein solle. Wegen der fehlenden Überprüfungsmöglichkeit sei aufgrund einer Folgenabwägung zu entscheiden. Danach sei die Beschwerde zurückzuweisen, weil für den Antragsteller die mit der Durchführung einer nur stationären Kundgebung verbundenen Beeinträchtigungen hinnehmbar seien.

7

5. Die Beschwerdeführer beantragten sodann beim Bundesverfassungsgericht zunächst den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Diesen Antrag hat die Kammer aufgrund der besonderen Voraussetzungen der Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes durch das Bundesverfassungsgericht abgelehnt, dabei jedoch zugleich auf die Möglichkeit der Klärung der aufgeworfenen Fragen in einem verfassungsgerichtlichen Hauptsachverfahren hingewiesen (BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 16. Oktober 2010 - 1 BvQ 39/10 -, juris).

8

6. Hieraufhin erhoben die Beschwerdeführer gegen die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Leipzig und des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts fristgemäß Verfassungsbeschwerde mit der Rüge, durch die angegriffenen Entscheidungen in ihren Rechten aus Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG verletzt zu sein.

9

7. Das Bundesverfassungsgericht hat der Stadt L. als Gegnerin des Ausgangsverfahrens, dem Sächsischen Staatsministerium der Justiz und für Europa sowie der Präsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

10

Nach Auffassung des Rechtsamtes der Stadt L. liegen die Voraussetzungen für die Annahme der Verfassungsbeschwerde nicht vor. Das Sächsische Staatsministerium hat von einer Stellungnahme abgesehen. Die Präsidentin des Bundesverwaltungsgerichts hat eine Stellungnahme des unter anderem für das Versammlungsrecht zuständigen 6. Revisionssenats übersandt, in der dieser Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der angegriffenen Entscheidungen äußert.

II.

11

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung von Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93c BVerfGG). Das Bundesverfassungsgericht hat die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen Fragen bereits entschieden (vgl. insbesondere BVerfGE 69, 315 <340 ff.>; 110, 77 <83 ff.>). Nach diesen Maßstäben ist die Verfassungsbeschwerde gegen die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Leipzig und des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts zulässig und begründet.

12

1. Der Zulässigkeit der Rüge der Verletzung des Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG steht weder der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde noch das Erfordernis eines Rechtsschutzinteresses entgegen.

13

a) Der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde verlangt die Erschöpfung des Rechtswegs in der Hauptsache nur, soweit die geltend gemachte Verletzung von Freiheitsrechten oder von Art. 19 Abs. 4 GG durch die Entscheidung der Gerichte in der Hauptsache noch ausgeräumt werden kann (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senat vom 21. April 1998 - 1 BvR 2311/94 -, NVwZ 1998, S. 834 <835>). Hier rügen die Beschwerdeführer allerdings gerade die Missachtung der Anforderungen des Art. 8 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG bei der Zurückweisung ihres Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz, die im Hauptsacheverfahren nicht mehr behandelt werden würde.

14

b) Auch ein Rechtsschutzbedürfnis der Beschwerdeführer besteht, obwohl der Demonstrationstermin verstrichen und damit der Sofortvollzug der strittigen Auflagen gegenstandslos geworden ist. Sind verfassungsrechtliche Fragen von grundsätzlicher Bedeutung nicht (mehr) zu klären, besteht ein Rechtsschutzbedürfnis auch nach Erledigung des ursprünglichen Begehrens im Falle einer Wiederholungsgefahr, also wenn ein Gericht die bereits herausgearbeiteten verfassungsrechtlichen Maßstäbe nicht beachtet hat und bei hinreichend bestimmter Gefahr einer gleichartigen Entscheidung bei gleichartiger Sach- und Rechtslage zu befürchten ist, dass es diese auch in Zukunft verkennt (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 21. April 1998 - 1 BvR 2311/94 -, NVwZ 1998, S. 834 <835>). Hier führten die Beschwerdeführer bereits konflikthafte Versammlungen in L. durch und planen auch in Zukunft die Durchführung von Versammlungen in L., bei denen sie mit ähnlichen Konfliktsituationen rechnen und gegebenenfalls gleichartige Entscheidungen des Verwaltungsgerichts und des Oberverwaltungsgerichts befürchten müssten.

15

2. Die Verfassungsbeschwerde ist begründet. Die angegriffenen Beschlüsse verletzen die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG.

16

a) Art. 8 Abs. 1 GG schützt die Freiheit, mit anderen Personen zum Zwecke einer gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung örtlich zusammen zu kommen (vgl. BVerfGE 104, 92 <104>; 128, 226 <250>). Als Freiheit zur kollektiven Meinungskundgabe, die auch und vor allem andersdenkenden Minderheiten zugutekommt, ist die Versammlungsfreiheit für eine freiheitlich demokratische Staatsordnung konstituierend (vgl. BVerfGE 69, 315 <344 f.>; 128, 226 <250>) und wird im Vertrauen auf die Kraft der freien öffentlichen Auseinandersetzung grundsätzlich auch den Gegnern der Freiheit gewährt (vgl. BVerfGE 124, 300 <320>). Damit die Bürger selbst entscheiden können, wann, wo und unter welchen Modalitäten sie ihr Anliegen am wirksamsten zur Geltung bringen können, gewährleistet Art. 8 Abs. 1 GG nicht nur die Freiheit, an einer öffentlichen Versammlung teilzunehmen oder ihr fern zu bleiben, sondern umfasst zugleich ein Selbstbestimmungsrecht über die Durchführung der Versammlung als Aufzug, die Auswahl des Ortes und die Bestimmung der sonstigen Modalitäten der Versammlung (vgl. BVerfGE 69, 315 <343> oder <355 ff.>; 128, 226 <250 f.>).

17

Beschränkungen der Versammlungsfreiheit bedürfen gemäß Art. 8 Abs. 2 GG zu ihrer Rechtfertigung einer gesetzlichen Grundlage (vgl. BVerfGE 69, 315 <350 f.>; BVerfGK 17, 303 <307>). Nach § 15 des Gesetzes über Versammlungen und Aufzüge (Versammlungsgesetz) vom 24. Juli 1953 in der Fassung vom 8. Dezember 2008 (BGBl I S. 2366; im Folgenden: VersG) kann die zuständige Behörde die Versammlung von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Danach kann im Einzelfall auch die Festlegung geboten sein, dass eine ursprünglich als Aufzug angemeldete Versammlung nur als ortsfeste Versammlung durchgeführt werden darf (vgl. BVerfGK 2, 1 <8>). Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit darf die Behörde allerdings auch bei dem Erlass von Auflagen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen. Als Grundlage der Gefahrenprognose sind konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte erforderlich; bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen reichen hierzu nicht aus (BVerfGE 69, 315 <353 f.>; BVerfGK 17, 303 <307>). Ferner gilt, dass, soweit sich der Veranstalter und die Versammlungsteilnehmer grundsätzlich friedlich verhalten und Störungen der öffentlichen Sicherheit vorwiegend aufgrund des Verhaltens Dritter - insbesondere von Gegendemonstrationen - zu befürchten sind, die Durchführung der Versammlung zu schützen ist und behördliche Maßnahmen primär gegen die Störer zu richten sind (vgl. BVerfGE 69, 315 <360 f.>; BVerfGK 8, 79 <81>; BVerfG , Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 1. September 2000 - 1 BvQ 24/00, NVwZ 2000, S. 1406 <1407>). Gegen die friedliche Versammlung selbst kann dann nur unter den besonderen Voraussetzungen des polizeilichen Notstandes eingeschritten werden (vgl. BVerfGE 69, 315 <360 f.>; BVerfGK 17, 303 <308>). Dies setzt voraus, dass die Versammlungsbehörde mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anderenfalls wegen der Erfüllung vorrangiger staatlicher Aufgaben und trotz des Bemühens, gegebenenfalls externe Polizeikräfte hinzuzuziehen, zum Schutz der von dem Antragsteller angemeldeten Versammlung nicht in der Lage wäre; eine pauschale Behauptung dieses Inhalts reicht allerdings nicht (vgl. BVerfGK 8, 79 <82>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 24. März 2001 - 1 BvQ 13/01 -, NJW 2001, S. 2069 <2072>). Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Gründen für ein Verbot oder eine Auflage liegt grundsätzlich bei der Behörde (vgl. BVerfGK 17, 303 <308>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 4. September 2009 - 1 BvR 2147/09 -, NJW 2010, S. 141 <142>).

18

b) Art. 19 Abs. 4 GG garantiert einen effektiven und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt (vgl. BVerfGE 67, 43 <58>; 96, 27 <39>). Im Verfahren auf Wiederherstellung oder Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs, das für den Regelfall sicherstellt, dass die Verwaltungsbehörden keine irreparablen Maßnahmen durchführen, bevor die Gerichte deren Rechtmäßigkeit geprüft haben, ist der Rechtsschutzanspruch des Bürgers umso stärker, je schwerwiegender die ihm auferlegte Belastung wiegt und je mehr die Maßnahmen der Verwaltung Unabänderliches bewirken (vgl. BVerfGE 35, 382 <401 f.>; 69, 315 <363>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senat vom 21. April 1998 - 1 BvR 2311/94 -, NVwZ 1998, S. 834 <835>). Insbesondere im Bereich des Versammlungsrechts muss das verwaltungsgerichtliche Eilverfahren angesichts der Zeitgebundenheit von Versammlungen zum Teil Schutzfunktionen übernehmen, die sonst das Hauptsacheverfahren erfüllt (vgl. BVerfGE 69, 315 <363 f.>; 110, 77 <87>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senat vom 23. März 2004 - 1 BvR 745/01 -, juris, Rn. 13). Die einstweilige Anordnung im verfassungsgerichtlichen Verfahren als außerhalb der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG liegender Rechtsbehelf kann die primäre Rechtsschutzfunktion der Fachgerichte ebenfalls nicht übernehmen. Angesichts der Aufgaben des Bundesverfassungsgerichts und im Hinblick auf die weitreichenden Folgen, die eine einstweilige Anordnung auslösen kann, ist hierbei zudem ein strenger, von den verwaltungsgerichtlichen Kriterien grundsätzlich unterschiedener Maßstab anzulegen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senat vom 16. Oktober 2010 - 1 BvQ 39/10 -, juris, Rn. 4). Daher müssen die Verwaltungsgerichte zum Schutz von Versammlungen, die auf einen einmaligen Anlass bezogen sind, schon im Eilverfahren durch eine intensivere Prüfung dem Umstand Rechnung tragen, dass der Sofortvollzug der umstrittenen Maßnahme in der Regel zur endgültigen Verhinderung der Versammlung in der beabsichtigten Form führt. Soweit möglich, ist als Grundlage der gebotenen Interessenabwägung die Rechtmäßigkeit der Maßnahme in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht nicht nur summarisch zu prüfen (vgl. BVerfGE 69, 315 <363 f.>; 110, 77 <87>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senat vom 21. April 1998 - 1 BvR 2311/94 -, NVwZ 1998, S. 834 <835>). Sofern dies nicht möglich ist, haben die Fachgerichte jedenfalls eine sorgfältige Folgenabwägung vorzunehmen und diese hinreichend substantiiert zu begründen, da ansonsten eine Umgehung der beschriebenen strengen Voraussetzungen für Beschränkungen der Versammlungsfreiheit möglich erschiene.

19

3. Diese Maßstäbe haben das Verwaltungsgericht Leipzig und das Sächsische Oberverwaltungsgericht bei den ihnen obliegenden Entscheidungen über die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nicht hinreichend berücksichtigt. Beide Entscheidungen werden den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG im Hinblick auf die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen versammlungsbeschränkende behördliche Maßnahmen nicht gerecht.

20

a) Die vom Verwaltungsgericht Leipzig herangezogenen Umstände sind nicht geeignet, die Annahme einer von der Versammlung selbst ausgehenden unmittelbaren Gefährdung für die öffentliche Sicherheit zu tragen, die die Verhinderung der Versammlung in Form eines Aufzugs hätte rechtfertigen können. Das Verwaltungsgericht legt insofern bereits nicht hinreichend deutlich dar, ob seiner Auffassung nach auch von der Versammlung selbst eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht oder diese Gefahr ausschließlich aufgrund der zahlreichen Gegendemonstrationen und den hieraus zu erwartenden Störungen der Versammlung besteht. Dass das Verwaltungsgericht in seiner Entscheidung zur Begründung seines Standpunktes im Wesentlichen lediglich auf die Einschätzung der Polizeidirektion L., die ohne nähere Erläuterung 10 bis 20 % der Teilnehmer der angemeldeten Demonstration dem gewaltbereiten Klientel zurechnete, verweist, genügt den Anforderungen des Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG insofern jedenfalls nicht.

21

Auch im Hinblick auf eine Inanspruchnahme der Veranstalter als Nichtstörer im Wege des polizeilichen Notstandes genügen die tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts den Anforderungen des Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG nicht. Das Verwaltungsgericht weist insofern zur Begründung des Vorliegens einer nicht durch Maßnahmen gegen potentielle Störer abwendbaren Gefahr, insbesondere auf die besondere Veranstaltungssituation am 16. Oktober 2010 und die deswegen nur begrenzt zur Verfügung stehenden Polizeikräfte, hin und beruft sich dabei pauschal auf die Einschätzung der Polizeidirektion L. vom 13. Oktober 2010. Berücksichtigt man aber den Umstand, dass die Polizeidirektion in ihrer Gefährdungsanalyse vom 4. Oktober 2010 offenbar noch zwei der angemeldeten Aufzüge mit den ihr voraussichtlich zur Verfügung stehenden Kräften für sicherbar hielt, erfüllt diese pauschale Bezugnahme auf die Einschätzung der Polizeidirektion vom 13. Oktober 2010 nicht die den Anforderungen an die entsprechend obigen Maßstäben bereits im Eilverfahren gebotene intensivere Rechtmäßigkeitsprüfung. Vielmehr hätte die kurzfristige Änderung der polizeilichen Einschätzung, die sich nicht ohne weiteres erschließt, das Verwaltungsgericht zu einer substantiierteren Prüfung der veränderten polizeilichen Einschätzung und zur Nachfrage einer genaueren Begründung ihrer Entscheidung veranlassen müssen. Dass dies vorliegend aus zeitlichen Gründen nicht möglich gewesen wäre, ist nicht erkennbar. Auch im Übrigen hätte es dezidierterer Feststellungen bedurft, aufgrund welcher konkreter Gefahren für die öffentliche Sicherheit und aufgrund welcher konkreter, vorrangig zu schützender sonstiger Veranstaltungen keine ausreichenden Polizeikräfte mehr zum Schutz der angemeldeten Versammlung und der Rechtsgüter Dritter zur Verfügung gestanden hätten. Die behauptete Bindung von Polizeikräften durch die zeitgleich stattfindenden Gegendemonstrationen kann nach obigen Maßstäben jedenfalls nicht ohne weiteres als hinreichendes Argument dafür herangezogen werden. Auch die Bindung von Polizeikräften aufgrund eines parallel stattfindenden Fußballspiels und sonstiger Veranstaltungen, deren vorrangige Schutzwürdigkeit sich nicht ohne weiteres erschließt, reicht hierfür nicht aus.

22

b) Die angegriffene Entscheidung des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts hält den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG ebenfalls nicht stand. Zwar hat das Sächsische Oberverwaltungsgericht deutliche Bedenken am Vorliegen der Voraussetzungen eines für die Rechtfertigung der versammlungsrechtlichen Auflage erforderlichen polizeilichen Notstandes geäußert und nachvollziehbar dargelegt, dass sich ihm nicht erschließe, wodurch sich das Gefährdungspotential innerhalb des kurzen Zeitraumes zwischen der Gefährdungsanalyse der Polizeidirektion L. vom 4. Oktober 2010 und dem Erlass der Auflage am 13. Oktober 2010 so erhöht haben soll, dass statt der zwei Aufzüge, die ursprünglich noch mit den zur Verfügung stehenden Einsatzkräften für sicherbar gehalten wurden, nunmehr nur noch eine stationäre Kundgebung möglich sein solle. Auch erscheint es nachvollziehbar, dass dem Sächsischen Oberverwaltungsgericht in der Kürze der ihm zur Verfügung stehenden Zeit die Vornahme der hier grundsätzlich gebotenen und soweit als möglich nicht lediglich summarischen Rechtmäßigkeitskontrolle der behördlichen Auflage nicht mehr möglich war. Allerdings hätte es dem Sächsischen Oberverwaltungsgericht in dieser Konstellation, um der Freiheitsvermutung zugunsten der Versammlungsfreiheit zumindest in der Sache Rechnung zu tragen, oblegen, eine besonders sorgfältige Folgenabwägung vorzunehmen und diese in der Begründung seiner Entscheidung hinreichend offenzulegen. Vorliegend hat sich das Sächsische Oberverwaltungsgericht in der Begründung seiner Entscheidung jedoch im Wesentlichen darauf beschränkt, auf die vermeintlich geringe Beeinträchtigung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit hinzuweisen, ohne auch nur ansatzweise ausreichend auf das Bestehen einer die Beeinträchtigung der Versammlungsfreiheit überwiegenden potentiellen Beeinträchtigung anderer Rechtsgüter einzugehen.

23

4. Demgemäß ist festzustellen, dass sowohl der angegriffene Beschluss des Verwaltungsgerichts Leipzig als auch der angegriffene Beschluss des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG verletzen. Einer Aufhebung der Entscheidungen und Zurückverweisung zur erneuten Entscheidung bedarf es darüberhinausgehend nur bezüglich der Kostenentscheidungen, da in der Sache selbst Erledigung eingetreten ist (vgl. Schemmer, in: Umbach/Clemens/Dollinger, 2. Aufl. 2005, BVerfGG, § 93c Rn. 33).

24

5. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>).

(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Im Rechtsmittelverfahren bestimmt sich der Streitwert nach den Anträgen des Rechtsmittelführers. Endet das Verfahren, ohne dass solche Anträge eingereicht werden, oder werden, wenn eine Frist für die Rechtsmittelbegründung vorgeschrieben ist, innerhalb dieser Frist Rechtsmittelanträge nicht eingereicht, ist die Beschwer maßgebend.

(2) Der Streitwert ist durch den Wert des Streitgegenstands des ersten Rechtszugs begrenzt. Das gilt nicht, soweit der Streitgegenstand erweitert wird.

(3) Im Verfahren über den Antrag auf Zulassung des Rechtsmittels und im Verfahren über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung des Rechtsmittels ist Streitwert der für das Rechtsmittelverfahren maßgebende Wert.