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Der heute 63 Jahre alte Verurteilte ist erstmals mit 21 Jahren strafrechtlich in Erscheinung getreten und vielfach vorbestraft. Seit 1971, also seit seinem 24. Lebensjahr, hat er sich – für den Zeitraum bis 1979 mit einigen Unterbrechungen – in Untersuchungs- oder Strafhaft befunden. Seit 1988 bis heute, also über 21 Jahre lang, ist er in Sicherungsverwahrung untergebracht. Sie beruht auf drei Verurteilungen wegen 1973, 1978 und 1983 begangener schwerer Sexualdelikte.
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1. Durch rechtskräftiges Urteil des Landgerichts Heilbronn vom 25.04.1975 – 1 Kls 30/74 – wurde der Verurteilte wegen gemeinschaftlicher Vergewaltigung in zwei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit gemeinschaftlicher Entführung gegen den Willen der Entführten, sowie versuchter Vergewaltigung (Tatzeiten: 12.04., 22./23.04. sowie 11.07.1973) zu Einzelstrafen von zwei Jahren, drei Jahren und einem Jahr verurteilt; er verbüßte die Gesamtstrafe von fünf Jahren in der Zeit vom 22.10.1975 bis zum 30.09.1977 und nach Widerruf der Strafrestaussetzung zur Bewährung vom 12.01.1982 bis 03.09.1983. Sodann wurde er durch rechtskräftiges Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 21.09.1979 – III Kls 21/79 – wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexueller Nötigung und sexuellem Missbrauch von Kindern (Tatzeit: 23.12.1978) zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren sechs Monaten verurteilt; er verbüßte die Strafe vom 12.01.1979 bis zum 11.01.1982 und vom 04.09.1983 bis zum 25.03.1985. Am 09.01.1983 vergewaltigte er während eines Hafturlaubes in Backnang eine siebzehnjährige Frau, nötigte sie sexuell und würgte und verletzte sie dabei erheblich. Mit rechtskräftigem Urteil vom 27.09.1985 – 2 Kls 279/84 – verurteilte das Landgericht Stuttgart ihn deshalb wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexueller Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten und ordnete Sicherungsverwahrung an. Das Landgericht stellte eine psychopathische Persönlichkeitsstruktur und eine sowohl histrionische als auch antisoziale schwere Persönlichkeitsstörung im Sinne einer schweren seelischen Abartigkeit im Sinne des § 20 StGB fest, durch welche die Steuerungsfähigkeit des Verurteilten im Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert war. Ein therapeutisches Vorgehen erschien nicht ansatzweise erfolgversprechend, und sämtliche vorherigen Bemühungen waren gescheitert, weshalb eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht in Betracht kam. Zur Anordnung der Sicherungsverwahrung gem. § 66 StGB a. F. führte das Landgericht u. a. aus:
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„In den Straftaten zeigt sich der offensichtliche Hang des Angeklagten, erst nach einer Demonstration der Macht und Stärke zu sexueller Befriedigung zu gelangen. Das Maß der von ihm an seinen Opfern vorgenommenen Gewaltanwendung nimmt stetig zu. Der Angeklagte bricht jeden Widerstand seines Opfers dadurch, dass er es aufs heftigste am Hals würgt oder ihm sonst die Luft nimmt. Wie sein neuerliches Vorgehen gegen die Zeugin (…) zeigt, ist dies für ihn geradezu symptomatisch geworden, weshalb er für die Allgemeinheit eine ganz erhebliche Gefahr darstellt. Angesichts der von den Sachverständigen (…) festgestellten schwerwiegenden Persönlichkeitsstörung des Angeklagten mit fast zwanghaftem Handeln zur Sicherung seiner Ziele ist von ihm die Begehung künftiger schwerwiegender Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten. Der Angeklagte ist – wie auch in seinem äußerst aggressiven und feindseligen Verhalten vor und während der Hauptverhandlung immer wieder deutlich wurde – in den Lage, bei einem seiner Vorstellung zuwider laufenden Geschehensablauf in kürzester Zeit Feindbilder aufzubauen und diese mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zu bekämpfen. Es muss deshalb ernsthaft befürchtet werden, dass ein neues Opfer des Angeklagten, welches sich seinen Wünschen widersetzt, möglicherweise sein Leben lassen müsste“ (S. 125 f.).
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Der Verurteilte verbüßte die Strafe aus dem Urteil vom 27.09.1985 vollständig bis zum 24.09.1988. Mit Beschluss vom 03.08.1988 ordnete das Landgericht Karlsruhe den anschließenden Vollzug der Sicherungsverwahrung an, die nach damaligem Recht bei der ersten Unterbringung höchstens zehn Jahre lang vollzogen werden durfte. Diese Höchstfrist fiel mit dem Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26.01.1998 (BGBl. I S. 160) fort. Daher erklärte das Landgericht Freiburg nach Vollzug von zehn Jahren Sicherungsverwahrung mit Beschluss vom 09.03.1999 die Sicherungsverwahrung nicht für erledigt und ordnete deren Fortdauer an. Seitdem befindet sich der Verurteilte ununterbrochen in Sicherungsverwahrung. Insgesamt sind derzeit – im Anschluss an die voll verbüßte Freiheitsstrafe – über 21 Jahre Sicherungsverwahrung vollzogen worden.
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2. Der Verurteilte ist vielfach nervenärztlich und kriminalprognostisch begutachtet worden. Allerdings liegt das letzte auf einer eingehenden Exploration des Verurteilten beruhende Gutachten des Dr. H E B, Ärztlicher Direktor des Justizvollzugskrankenhauses Hohenasperg, vom 18.08.1999 mittlerweile über 10 Jahre zurück. Seither hat der Verurteilte jeden Versuch einer eingehenden gutachterlichen Untersuchung durch die gerichtlich beauftragten Sachverständigen entschieden abgelehnt. Das derzeit aktuellste jüngste „nervenärztliche Gutachten nach Aktenlage“ des Dr. T H, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie und Chefarzt der Klinik für Suchttherapie des Klinikums am W., W., datiert vom 04.02.2010. Diesem Gutachten lässt sich das Folgende entnehmen:
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a) Gutachtengrundlage, fehlende Bereitschaft des Verurteilten, sich begutachten zu lassen
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Der Verurteilte sei (auch) 2005 bis 2010 nicht bereit gewesen, sich begutachten zu lassen. Deshalb hätten keine Untersuchungen stattfinden können. Es habe mehrere (teils aber recht kurze) persönliche Kontakte gegeben, teils auch im Rahmen von Anhörungen durch die Strafvollstreckungskammer. Das Gutachten beruhe auf einer Aktenauswertung, wobei bestimmte Akten (Gefangenenpersonalakte, Krankenakte) wegen der Weigerung des Verurteilten nicht zugänglich gewesen seien.
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b) Verhalten im Vollzug und außerhalb des Vollzugs
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In der Justizvollzugsanstalt Freiburg hätten gegen den Verurteilten über längere Zeit besondere Sicherungsmaßnahmen angeordnet werden müssen. Er habe 1998 seinen Haftraum in Brand gesteckt; gegen die dadurch veranlasste Verlegung in die Justizvollzugsanstalt Heilbronn habe er u. a. mit einer Eisenstange Widerstand geleistet. In der Justizvollzugsanstalt Heilbronn habe er sich damals verfolgt gefühlt und jeden Kontakt mit Bediensteten des allgemeinen Vollzugsdiensts abgelehnt. Am 30.05.2002 sei in der Justizvollzugsanstalt Heilbronn ein beleidigendes und bedrohliches Verhalten dokumentiert worden. Nach seiner Zurückverlegung in die Justizvollzugsanstalt Freiburg im Jahr 2003 habe er dort einen Löffel verschluckt, und bei einer Kontrolle sei eine Schlinge gefunden worden, mit der er sich habe erhängen wollen. Als er daraufhin in das Justizvollzugskrankenhaus verlegt werden sollte, habe er die Bediensteten angegriffen und einen von ihnen in den Fuß gebissen; trotz Fesselung habe er das Krankentransportfahrzeug demoliert. Im weiteren Verlauf habe sich das Verhalten des Verurteilten stabilisiert. Nach Wiederverlegung in die Justizvollzugsanstalt Heilbronn habe er sich dort disziplinarisch unauffällig oder weitgehend unauffällig verhalten. Nach Auskunft des ärztlichen Dienstes und der Anstaltsärztin passe sich er derzeit gut an, fühle sich in der Justizvollzugsanstalt sogar „glücklich und zufrieden“. Er lasse dabei keinerlei Tendenzen erkennen, dass er sich ein Leben draußen vorstellen könne oder gar wünsche. Hilfreich sei, dass er mittlerweile Psychopharmaka in kleiner Menge einnehme, was ursächlich für seine Stabilisierung sein dürfte. Insgesamt sei laut einer Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt Heilbronn, die allerdings gleichwohl einer Aussetzung der Sicherungsverwahrung mit Nachdruck entgegen getreten sei, seine Verhaltensentwicklung als äußerst positiv zu beurteilen. Allerdings führe er das Leben eines Einzelgängers und habe wenige Kontakte im Vollzug. Mangels Vollzugslockerungen habe eine Erprobung des Verhaltens außerhalb des Vollzugs bislang noch nicht erfolgen können. Ob der Verurteilte überhaupt ein Leben außerhalb des Vollzuges anstrebe, sei nach Eindruck des Gutachters offen.
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c) Psychische bzw. psychiatrische Befunde
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Eine Alkoholabhängigkeit (ICD 10 F 10.1) sei auch rückblickend nicht ganz eindeutig festzustellen. Eine psychotische Erkrankung im engeren Sinne etwa aus dem schizophrenen Formenkreis könne nicht festgestellt werden, desgleichen keine fixierte sexuelle Devianz bzw. psychosexuelle Störung. Es gebe aber eine kombinierte Persönlichkeitsstörung (histrionisch-dissozial) (ICD 10 F 61.0) mit dissozialen Persönlichkeitselementen (Mangel an Empathie, deutliche und andauernde Verantwortungslosigkeit und Missachtung sozialer Normen, Unvermögen zu längerfristigen Beziehungen, niedrige Schwelle für aggressives und auch gewalttätiges Handeln, verminderte Lernfähigkeit, Neigung, andere zu beschuldigen oder eigenes Fehlverhalten zu rationalisieren) und histrionischen Persönlichkeitselementen (theatralisch anmutendes Verhalten, oberflächliche Affektivität, Egozentrik, manipulatives Verhalten zur Befriedigung eigener Bedürfnisse). Es seien Teilelemente des „Psychopathy-Konzepts“ erfüllt, das freilich keine klinische diagnostische Einordnung sei. Hinzu komme zunehmend eine haftreaktive wahnhafte Störung (ICD 10 F 22) mit lang andauernden Wahninhalten, die medikamentöser Behandlung nur schwierig zugänglich seien. Paranoider Wahninhalt sei, dass der Verurteilte annehme, von der Justiz bewusst und gezielt und wiederholt bzw. anhaltend zu Unrecht verurteilt und inhaftiert worden zu sein. Es trete immer wieder eine sehr abwertende Haltung gegenüber mit ihm in der Justiz befassten Personen zutage, wobei hier auch ausgeprägte aggressive Strebungen (Gereiztheit, laut werden, jedenfalls tendenziell bedrohlich anmutende Gestik) wahrnehmbar seien.
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d) Kriminalprognostische Faktoren
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Positive kriminalprognostische Faktoren seien, dass Hinweise auf gehäuftes delinquentes Verhalten in der Herkunftsfamilie oder ein „broken home“ nicht vorlägen; dass sich der Verurteilte nicht in Heimen aufgehalten und die Regelschule erfolgreich abgeschlossen habe; und dass im Vollzug der letzten Jahre keine bedeutsamen disziplinarischen Schwierigkeiten aufgetreten seien. Negative kriminalprognostische Faktoren seien, dass der Verurteilte nur eine längere partnerschaftliche Beziehung im Jugendalter, ansonsten nur kurze Beziehungen gehabt habe; dass ab 1967 exzessiver schädlicher Gebrauch von Alkohol aufgetreten sein solle; dass die Delinquenz früh begonnen habe und die Zahl der Vorstrafen hoch gewesen sei, mehrfach gewalttätige Sexualdelikte begangen worden seien, weswegen mehrere Verurteilungen zu Freiheitsstrafe erfolgt seien; dass es ein abwertend negativ geprägtes Frauenbild gebe und der Verurteilte sexuelle Interessen jedenfalls teilweise in brutaler Weise mit nahezu sadistischen Zügen durchgesetzt habe, wobei dem Streben nach Macht und Dominanz wesentliche Bedeutung zukommen dürfte; dass ein paranoider Wahn vorhanden sei, von der Justiz zu Unrecht verurteilt und inhaftiert worden zu sein; dass die Basisraten für Rückfälligkeit im Hinblick auf Vergewaltigung und sexuelle Nötigung zwischen 10 % und 25 % lägen und hier individuell erhöht seien; und dass es augenscheinlich unmöglich sei, den Verurteilten in Vollzugslockerungen zu erproben.
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3. Als Dezember 2005 die Überprüfung der Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung gem. § 67e Abs. 2 StGB anstand, legte die Staatsanwaltschaft Stuttgart dem Landgericht – Strafvollstreckungskammer – Heilbronn die Akten vor, um über die Fortdauer der Sicherungsverwahrung zu entscheiden, und regte an, ein psychiatrisches Sachverständigengutachten einzuholen. Nachdem zahlreiche Versuche gescheitert waren, den Verurteilten zu einer psychiatrischen Exploration zu bewegen, ordnete das Landgericht – Strafvollstreckungskammer – Heilbronn mit Beschluss vom 03.12.2008, den Verfahrensbeteiligten aufgrund Begleitverfügung vom 26.02.2009 am 27.02.2009 zugestellt, die Fortdauer der Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung ohne Gutachten an. Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten hob der Senat diesen Beschluss mit Beschluss vom 07.08.2009 auf und verwies die Sache an das Landgericht – Strafvollstreckungskammer – Heilbronn zurück. Es sei unvertretbar und rechtswidrig gewesen, die Frist des § 67e Abs. 2 StGB um drei Jahre zu überschreiten. Die ablehnende Haltung des Verurteilten zu einer psychiatrischen Exploration rechtfertige nicht die gesetzwidrige Fristüberschreitung; in solchen Fällen seien sog. Aktengutachten möglich. Nach Einholung eines solchen Gutachtens, nämlich des oben I. 3. geschilderten Gutachtens, beschloss das Landgericht – Strafvollstreckungskammer – Heilbronn am 19.03.2010, dass die Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung fortzudauern habe, weil ernstlich zu befürchten sei, dass der Verurteilte außerhalb der Justizvollzugsanstalt erneut straffällig werde; das Urteil des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGRM) vom 17.12.2009 ändere nichts an der Rechtslage, weil es noch nicht rechtskräftig sei. Dagegen hat der Verurteilte durch seine Verteidigerin sofortige Beschwerde eingelegt. Auf Anregung der Verteidigerin hat der Senat mit Beschluss vom 30.04.2010 Dr. R-D S, Zentrum für Psychiatrie Wiesloch, mit der Erstattung eines (weiteren) Sachverständigengutachtens zur Kriminalprognose des Verurteilten beauftragt. Dieser Auftrag ist ausdrücklich an die nunmehr erklärte Bereitschaft des Verurteilten geknüpft, sich einer eingehenden Exploration durch Dr. S zu unterziehen. Im Falle verweigerter Mitwirkung sei ein weiteres Gutachten nach Aktenlage nicht veranlasst. Das Gutachten liegt noch nicht vor.
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4. Mit Faxschreiben vom 12.05.2010 an den Senat im Beschwerdeverfahren beantragt die Verteidigerin des Verurteilten unter Hinweis auf das seit dem 10.05.2010 rechtskräftige Urteil des EGMR vom 17.12.2009 festzustellen, dass die Sicherungsverwahrung erledigt ist, und anzuordnen, dass der Verurteilte aus der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zu entlassen ist.
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Die Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart tritt dem Antrag entgegen, weil das genannte Urteil keine Bindungswirkung habe.
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Zwar spricht Einiges dafür, dass die Unterbringung des Verurteilten in Sicherungsverwahrung seit Ablauf der ersten Zehnjahresfrist im Jahr 1998 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 2002 II S. 1054 – MRK) widerspricht (1.). Daraus folgt jedoch nicht, dass der Verurteilte sofort und unter Übergehung des beim Senat anhängigen Beschwerdeverfahrens aus der Unterbringung zu entlassen wäre (2.).
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1. Nach Maßgabe der Entscheidung des EGMR (Kammer der fünften Sektion), Urt. v. 17.12.2009 „M. ./. Deutschland“ – 19359/04 –, NStZ 2010, 263 ff. mit Bespr. Kinzig aaO. S. 233 ff. spricht Einiges dafür, dass die Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung seit Ablauf der ursprünglich geltenden Zehnjahresfrist im Jahr 1998 konventionswidrig ist, nämlich Art. 5 Abs. 1 MRK (Recht auf Freiheit) und Art. 7 Abs. 1 MRK (keine Strafe ohne Gesetz) verletzt.
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a) In seinem Urteil vom 17.12.2009 hatte der EGMR über die Beschwerde des Herrn M. zu entscheiden, gegen den 1986 die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet worden war und der nach Ablauf der Zehnjahresfrist für die erstmalige Unterbringung im Jahr 2001 nicht entlassen worden war, weil diese Höchstfrist 1998 fortgefallen ist. Die Kammer stellte einstimmig sowohl eine Verletzung des Art. 5 Abs. 1 MRK (Recht auf Freiheit) als auch des Art. 7 Abs. 1 MRK (keine Strafe ohne Gesetz) fest und sprach dem Beschwerdeführer in Anwendung des Art. 41 MRK eine Entschädigung von 50.000,- EUR für erlittene Nicht-Vermögensschäden zu. Das Urteil ist gemäß Art. 44 Abs. 2 c) MRK am 10.05.2010 rechtskräftig geworden, nachdem der Antrag der Bundesrepublik Deutschland, die Sache gemäß Art. 43 MRK an die Große Kammer zu verweisen, an diesem Tag von dem Ausschuss der Großen Kammer einstimmig zurückgewiesen worden ist.
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b) Die Gründe, aus denen der EGMR eine Rechtfertigung der mit Sicherungsverwahrung verbundenen Freiheitsentziehung nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe a) MRK abgelehnt hat (Ziff. 87 ff.), treffen im Wesentlichen auch hier zu; insbesondere gilt das für die Bedenken, die der EGMR hinsichtlich der Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammern (vgl. Ziff. 96 des Urteils) und hinsichtlich des Kausalzusammenhanges (Ziff. 100) sowie der Vorhersehbarkeit (Ziff. 101 des Urteils) angemeldet hat. Bei Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe c) MRK, wonach Freiheitsentziehungen u. a. zulässig sind, wenn begründeter Anlass zu der Annahme besteht, dass es notwendig ist, eine Person an der Begehung einer Straftat zu hindern, muss diese Straftat konkret individualisiert sein (Ziff. 102); gefährliche Personen in Haft zu nehmen, weil ein allgemeiner Verdacht besteht, sie könnten strafbare Handlungen begehen, ist nicht von der Vorschrift gedeckt (EGMR, Urt. v. 06.11.1980 – 7367/76 – Guzzardi ./. Italien, Ziff. 102). Allerdings lässt Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe e) MRK rechtmäßige Freiheitsentziehungen u. a. auch bei psychisch Kranken zu, was, wie sich aus Ziff. 103 des genannten Urteils ergibt, auch als Rechtfertigung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung in Betracht kommen kann, und anders als im Fall des Herrn M. ist der hier Verurteilte nach den derzeit vorliegenden Gutachten psychisch krank, leidet nämlich an einer Persönlichkeitsstörung (ICD 10 F 61.0) und einer wahnhaften Störung (ICD 10 F 22). Jedoch verlangt der EGMR (Urt. v. 20.02.2003 – 50272/99 – Hutchinson Reid ./. Vereinigtes Königreich Ziff. 47 f.) in solchen Fällen grundsätzlich die Unterbringung in einem Krankenhaus oder einer entsprechenden anderen geeigneten Einrichtung und lässt die Unterbringung in einem Gefängnis nur übergangsweise – für wenige Monate – zu (EGMR, Urt. v. 11.05.2004 – 48865/99 –
Morsink
./. Niederlande Ziff. 61 ff.; s. weiterhin Urt. v. 11.05.2004 – Brand ./. Niederlande – 49902/99 Ziff. 66).
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c) Weiterhin spricht Einiges dafür, dass nach Maßgabe der Gründe des Urteils des EGMR vom 17.12.2009 (Ziff. 106 ff.) eine Verletzung des in Art. 7 Abs. 1 MRK garantierten Verbots rückwirkender Strafschärfung vorliegt. Die gegen den Verurteilten angeordnete Fortdauer der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung aufgrund des Fortfalls der zum Tatzeitpunkt geltenden Höchstfrist verstößt gegen Art. 7 Abs. 1 MRK in der durch den EGMR vorgenommenen Auslegung, weil Sicherungsverwahrung als „Strafe“ im Sinne von Art. 7 Abs. 1 MRK zu bewerten sei. Die vom EGMR dazu angestellten Erwägungen treffen weitgehend auch auf den vorliegenden Fall zu. Hier wie dort handelt es sich um einen sog. Zehnjahresfall, in dem die Sicherungsverwahrung erstmalig wegen einer Alttat nach altem Recht beschränkt auf eine Höchstdauer von zehn Jahren angeordnet wurde. Hier wie dort gilt, „dass es keinen wesentlichen Unterschied zwischen dem Vollzug einer Freiheitsstrafe und dem Vollzug einer angeordneten Sicherungsverwahrung“ gab (Ziff. 127). Weder hier noch dort gab es in überzeugendem Ausmaß besondere, auf Sicherungsverwahrte gerichtete Maßnahmen, Instrumente oder Einrichtungen, die zum Ziel hatten, die von ihnen ausgehende Gefahr zu verringern und damit ihre Haft auf die Dauer zu beschränken, die unbedingt erforderlich ist, um sie von der Begehung weiterer Straftaten abzuhalten (Ziff. 127). Hier wie dort war und ist die Sicherungsverwahrung unbefristet (Ziff. 130), und ihre Fortdauer ist von den Gerichten angeordnet worden, die auch für die Strafvollstreckung zuständig sind (Ziff. 131). Hier wie dort haben die Verurteilten durch die Unterbringung in Sicherungsverwahrung „einen schwerwiegenderen Nachteil erlitten als durch die Freiheitsstrafe selbst“ (Ziff. 132). Allerdings betont der Senat, dass es sich vorliegend – anders als in dem vom EGMR entschiedenen Fall – um einen Verurteilten handelt, der sich über viele Jahre hinweg gegenüber jeglichen therapeutischen Bemühungen oder sonstigen Maßnahmen unter dem Aspekt einer Resozialisierung ablehnend verhalten hat (s. hierzu auch OLG Celle, Beschl. v. 25.05.2010 – 2 Ws 169/10 und 170/10 – S. 14 f.).
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2. Aus einer Konventionswidrigkeit folgt jedoch nicht, dass der Verurteilte sofort und ohne nähere Prüfung allein aufgrund der Entscheidung des EGMR zu entlassen ist.
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a) In seinem Urteil vom 17.12.2009 hat der EGMR eine solche Rechtsfolge nicht aus- oder angesprochen. Auch die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) hat in ihrem Beschluss vom 19.05.2010 – 2 BvR 769/10 – den Antrag des Beschwerdeführers auf einstweilige Anordnung, sofort aus der Unterbringung in der Sicherungshaft entlassen zu werden, aufgrund einer Folgenabwägung abgelehnt. Dem Verfahren lag der Beschluss des Oberlandesgerichts (OLG) Koblenz vom 17.05.2010 – 2 Ws 573/09 – zugrunde, mit dem der Antrag des Beschwerdeführers, ihn im Hinblick auf die Endgültigkeit des Urteils des EGMR vom 17.12.2009 sofort aus der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zu entlassen, abgelehnt wurde. Auch das OLG Celle, Beschluss vom 25.05.2010 – 2 Ws 169/10 und 170/10 – hat die Entlassung eines in Sicherungsverwahrung Untergebrachten abgelehnt. Anders entschieden hat allerdings das Landgericht (LG) Marburg in seinem Beschluss vom 17.05.2010 – 7 StVK 220/10 – im Fall des Herrn M., der dem Urteil des EGMR vom 17.12.2009 zugrunde lag; dieser Beschluss ist unbeschadet der dort anders gelagerten Bindungswirkung freilich von der Staatsanwaltschaft angefochten worden. Auch der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) hat in einem Revisionsverfahren, das die allerdings abweichende Fallkonstellation einer nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung betrifft, den Betroffenen sofort auf freien Fuß gesetzt (Beschl. v. 12.05.2010 – 4 StR 577/09 –; Gründe liegen dem Senat nicht vor).
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b) Der Senat bezweifelt, ob völker-, nämlich konventionsrechtlich in Fällen der vorliegenden Art eine Beendigung der Freiheitsentziehung unter Übergehung des beim Senat anhängigen Beschwerdeverfahrens geboten ist.
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aa) Allerdings entfaltet das Urteil des EGMR vom 17.12.2009 für den hier vorliegenden Fall völker- und konventionsrechtlich eine Bindungswirkung für die Bundesrepublik Deutschland und deutsche Stellen. Diese Bindungswirkung ergibt sich zwar nicht unmittelbar aus Art. 46 Abs. 1 MRK, der – in persönlicher Hinsicht – nur eine Bindungswirkung
inter partes
anordnet. Jedoch handelt es sich vorliegend weitgehend um einen „Parallelfall“, der unter Beachtung der Entscheidungsgründe des EGMR zu beurteilen ist (hierzu eingehend Grabenwarter, Rechtsgutachten vom 15.01.2010 zu den Rechtsfolgen des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall M. ./. Deutschland vom 17. Dezember 2009 [19359/04] S. 20-23 mit Nachweisen). In sachlicher Hinsicht beinhaltet die Bindungswirkung, dass die festgestellte Konventionsverletzung, falls sie noch andauert, unverzüglich zu beenden ist (s. nur EGMR [Große Kammer], Urt. v. 08.04.2004 – 71503/01 –
Assanidze
./. Georgien Ziff. 198; BVerfG, Beschl. v. 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04 – [„Görgülü“], BVerfGE 111, 307 [321]). In der Art und Weise, wie die Konventionsverletzung beendet wird, haben die Vertragsstaaten der MRK allerdings grundsätzlich Wahlfreiheit; es ist ihre Sache, jene Mittel zu wählen, die im Rahmen ihrer Rechtsordnung ergriffen werden können und müssen, um den aus einem Urteil des EGMR folgenden Anforderungen zu entsprechen; dabei kann ein Vertragsstaat verpflichtet sein, Hindernisse in seiner Rechtsordnung zu beseitigen, die einer angemessenen Bereinigung der Situation des Beschwerdeführers im Wege stehen (EGMR [Große Kammer], Urt. v. 08.04.2004 – 71503/01 –
Assanidze
./. Georgien Ziff. 203). Nach diesen Maßstäben ist es völker- und konventionsrechtlich unbedenklich, das beim Senat anhängige Beschwerdeverfahrens fortzuführen: Dieses Verfahren ist das in der deutschen Rechtsordnung vorgesehene Verfahren zur Überprüfung der Anordnung der Fortdauer der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung unter Beachtung der MRK und des anwendbaren deutschen Rechts.
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bb) Der Umstand, dass die Konventionsverletzung in einer Freiheitsentziehung besteht, ändert in Fällen der vorliegenden Art hieran nichts. Allerdings führt Grabenwarter, Rechtsgutachten aaO. S. 18 f. aus:
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„Im Falle der Inhaftierung eines Beschwerdeführers entgegen den Voraussetzungen von Art. 5 Abs. 1 EMRK hat der EGMR festgestellt, dass aus der Feststellung der Konventionsverletzung eine Pflicht zur
sofortigen
Freilassung des Betroffen folgt. (…) Bei einem Widerspruch der Inhaftierung eines Betroffenen zu den Bestimmungen der Konvention ist
keine Alternative
zur Freilassung denkbar, um die Konventionsverletzung abzustellen“ (Unterstreichungen vom Senat).
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Das überzeugt den Senat für Fälle der vorliegenden Art nicht. Die beiden angeführten Urteile des EGMR, nämlich EGMR [Große Kammer], Urt. v. 08.04.2004 – 71503/01 –
Assanidze
./. Georgien Ziff. 198, 202 f. und Urt. v. 08.07.2004 – 48787/99 –
Ilaşcu
./. Moldawien und Russland Ziff. 490, betrafen Fälle, in denen die andauernde Inhaftierung der Beschwerdeführer vor der MRK in keiner Weise (mehr) zu rechtfertigen war und es keines (weiteren) Verfahrens mehr für die Freilassung bedurfte: Herr
Ilaşcu
war 1992 in Moldawien von Rebellen willkürlich in Haft genommen, gefoltert und von einem verfassungswidrigen Gericht zu Tode verurteilt worden; obwohl das verfassungsgemäße Gericht dieses Urteil 1994 aufgehoben hatte, wurde er erst 2001 auf freien Fuß gesetzt. Herr
Assanidze
war vom Präsidenten von Georgien begnadigt und von einem Gericht rechtskräftig freigesprochen worden; gleichwohl wurde er weiterhin in Strafhaft gehalten. In solchen Fällen steht außer Frage, dass eine Freilassung „as early as possible“ erfolgen muss; davon unterscheidet sich der Fall, dass in dem verurteilten Vertragsstaat ein Beschwerdeverfahren zur Überprüfung der Anordnung der Fortdauer der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung anhängig ist, in dem die Konventionswidrigkeit der Unterbringung ein wesentlicher Verfahrensgegenstand ist.
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cc) Im Übrigen ist zu fragen, ob es in Fällen der vorliegenden Art Möglichkeiten gibt, konventionswidrige Zustände auch anders als durch Freilassung der Betroffenen zu beenden. Insoweit gesteht auch Grabenwarter, Rechtsgutachten aaO. S. 18 in Fn. 17 zu, dass es konventionsgemäße Möglichkeiten geben kann, den Betroffenen nach Freilassung erneut in Haft zu nehmen. Werden solche Möglichkeiten (z. B. nach Art. 5 Abs. 1 Buchstabe e) EMRK) unverzüglich genutzt oder geschaffen oder wird die Sicherungsverwahrung unverzüglich in einer Weise umgestaltet, die ihr auch nach den Maßstäben des EGMR-Urteils den
„Straf“charakter
nimmt, erscheint eine Pflicht, Betroffene zunächst auf freien Fuß zu setzen und ihnen sogleich wieder die Freiheit zu entziehen, nicht als einleuchtend. In diesem Zusammenhang ist auch zu bedenken, dass die Freilassung gegebenenfalls hoch gefährlicher Straftäter ihrerseits eine Konventionsverletzung beinhalten könnte, wenn und soweit es daraufhin zu Straftaten kommt, deren Opfer eine Verletzung der in den Konventionsgarantien mit enthaltenen staatlichen Schutzpflicht geltend machen könnten (vgl. hierzu EGMR [Große Kammer], Urt. v. 24.10.2002 – 37703/97
Mastromatteo
./. Italien Ziff. 67 = NJW 2003, 3259 [3260]; OLG Celle, Beschl. v. 25.05.2010 – 2 Ws 169/10 und 170/10 – S. 12 f.; s. auch BGH, Urt. v. 09.03.2010 – 1 StR 554/10 – Tz. 68).
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c) Selbst wenn es völker- und konventionsrechtlich geboten wäre, eine konventionswidrige Unterbringung in der Sicherungsverwahrung sofort zu beenden, könnte dies nach Auffassung des Senats im derzeitigen innerstaatlichen deutschen Recht weder methodisch vertretbar noch im Einklang mit Grundrechten in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip umgesetzt werden (im Ergebnis und weithin in der Begründung wie hier OLG Celle, Beschl. v. 25.05.2010 – 2 Ws 169/10 und 170/10 – S. 7 ff.).
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aa) Durch den „Görgülü-Beschluss“ des Zweiten Senats des BVerfG vom 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04 –, BVerfGE 111, 307 sind Art und Umfang der Bindung deutscher Gerichte an Urteile des EGMR weitgehend geklärt: Deutsche Gerichte haben die Konvention, die formell den Rang einfachen Bundesrechts hat, in der Auslegung durch den EGMR wie anderes Gesetzesrecht des Bundes im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung zu beachten und anzuwenden (BVerfG aaO. S. 317). Insbesondere gehört zur Bindung an Gesetz und Recht, Entscheidungen des EGMR im Rahmen methodisch vertretbarer Gesetzesauslegung zu berücksichtigen. Sowohl die fehlende Auseinandersetzung mit einer Entscheidung des EGMR als auch deren gegen vorrangiges deutsches Recht verstoßende schematische „Vollstreckung“ können gegen Grundrechte in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip verstoßen (BVerfG aaO. S. 323 f.). Hat der EGMR einen Konventionsverstoß der Bundesrepublik Deutschland festgestellt und dauert dieser Verstoß an, so ist die Entscheidung zu berücksichtigen; die Fachgerichte müssen sich mit ihr auseinandersetzen und gegebenenfalls nachvollziehbar begründen, warum sie der völkerrechtlichen Rechtsauffassung gleichwohl nicht folgen (BVerfG aaO. S. 324). Eine Abweichung kommt insbesondere in Betracht, wenn deutsche Gerichte mehrpolige Grundrechtsverhältnisse auszugestalten haben und sensible Abwägungen zwischen verschiedenen subjektiven Rechtspositionen erforderlich sind; es wäre verfassungsrechtlich problematisch, wenn einer der Grundrechtsträger einen für ihn günstigen Urteilsspruch des EGMR gegen die Bundesrepublik Deutschland erstreitet und deutsche Gerichte diese Entscheidung schematisch anwenden, mit der Folge, dass der insofern „unterlegene“ und möglicherweise nicht im Verfahren vor dem Gerichtshof beteiligte Grundrechtsträger gar nicht mehr als Verfahrenssubjekt wirksam in Erscheinung treten könnte (BVerfG aaO. S. 326 f.).
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bb) Der Senat bezweifelt, dass es eine methodisch vertretbare Auslegung des geltenden StGB gibt, die dazu führt, dass in einem sog. Zehnjahresfall, wie er hier verfahrensgegenständlich ist, im Hinblick auf das Urteil des EGMR vom 17.12.2009 ohne Weiteres die Sicherungsverwahrung für erledigt erklärt und der Untergebrachte auf freien Fuß gesetzt werden muss. Allerdings führt Grabenwarter, Rechtsgutachten aaO S. 38-48, aus, es sei eine methodisch vertretbare Auslegung des § 2 Abs. 6 StGB, durch Art. 5 und 7 MRK in der Auslegung durch das Urteil des EGMR vom 17.12.2009 „gesetzlich“ etwas „anderes bestimmt“ zu sehen. Dann würde für sog. Zehnjahresfälle wie hier das alte Recht gelten, das bei erstmaliger Unterbringung in der Sicherungsverwahrung eine Höchstfrist von zehn Jahren vorgesehen habe, die im Sinne von § 67d Abs. 4 StGB „abgelaufen“ sei, weshalb die Sicherungsverwahrung erledigt und der Verurteilte zu entlassen sei. Diese Auffassung (in der Sache wohl ebenso LG Marburg, Beschl. v. 17.05.2010 – 7 StVK 220/10 – S. 16, hier als „verfassungskonforme Auslegung“; zu deren Grenzen, wenn der Wille des Gesetzgebers bestimmt und eindeutig ist, s. aber OLG Celle, Beschl. v. 25.05.2010 – 2 Ws 169/10 und 170/10 – S. 10 mit Nachw.) verkehrt den Willen des Gesetzgebers in sein Gegenteil (ebenso OLG Celle aaO. BU S. 9 f.). Der Gesetzgeber sah Art. 7 MRK gerade nicht als Schranke des § 2 Abs. 6 StGB an (vgl. BT-Drucks. IV/650 S. 108). Vor allem spricht gegen die von Grabenwarter für möglich gehaltene Auslegung das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26.01.1998 (BGBl. I S. 160): Mit Art. 2 Nr. 2 und 3 dieses Gesetzes wurden an den damaligen Art. 1a EGStGB, der zum neuen Absatz 1 wurde, als neue Absätze 2 und 3 die folgenden Bestimmungen angefügt:
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„(2) § 66 Abs. 3 des Strafgesetzbuches findet nur Anwendung, wenn der Täter eine der Straftaten der in § 66 Abs. 3 Satz 1 des Strafgesetzbuches bezeichneten Art nach dem 31. Januar 1998 begangen hat.
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(3) § 67d des Strafgesetzbuches in der Fassung des Gesetzes zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26.01.1998 (BGBl. I S. 160) findet uneingeschränkt Anwendung.“
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Mit dem neuen Art. 1a Abs. 3 EGStGB war ausdrücklich bezweckt, die Änderungen des § 67d StGB „uneingeschränkt rückwirkend in Kraft zu setzen“, was verfassungsrechtlich möglich sei, weil es nur um die Dauer der Sicherungsverwahrung gehe (s. BT-Drucks. 13/9062 S. 12). Damit ist der eindeutige Wille des Gesetzgebers, das neue Fristenrecht des § 67d StGB auf Altfälle anzuwenden, sogar Gesetz geworden. Die spätere Streichung der Art. 1a Abs. 2 und 3 EGStGB durch Art. 8 Gesetz zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung vom 23.07.2004 (BGBl. I S. 1838) berührt diesen Willen nicht (ebenso OLG Celle, Beschl. v. 25.05.2010 – 2 Ws 169/10 und 170/10 – S. 9 f.). Denn der Gesetzgeber ging lediglich davon aus, dass die Regelung im Hinblick auf die Rechtsprechung des BVerfG, namentlich den Beschluss vom 05.02.2004 – 2 BvR 2029/01 –, BVerfGE 109, 133 verzichtbar erscheine (vgl. BT-Drucks. 15/2887 S. 20). Eine Auslegung wie bei Grabenwarter, die alles das überspielt, erscheint methodisch nicht mehr vertretbar.
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cc) Zudem ist der Senat der Auffassung, dass eine schematische „Vollstreckung“ des Urteils des EGMR vom 17.12.2009 in der Weise, dass sog. Zehnjahresfälle nunmehr ohne Weiteres zu entlassen wären, die Frage aufwerfen würde, ob dies mit Grundrechten in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip vereinbar wäre. Zwar dürfte es dem deutschen Gesetzgeber nicht von Verfassungs wegen verwehrt sein, zu dem vor 1998 geltenden Rechtszustand zurückzukehren (vgl. hierzu BVerfG, Urt. v. 05.02.2004 – 2 BvR 2029/01 –, BVerfGE 109, 133 [187]; s. auch LG Marburg, Beschl. v. 17.05.2010 – 7 StVK 220/10 S. 13 f.). Nach dem nunmehr geltenden Recht, das weder von der MRK noch von dem EGMR-Urteil außer Kraft gesetzt wird, ist aber durch § 67d Abs. 3 StGB den Fachgerichten auch und gerade nach Ablauf der Zehnjahresfrist die der Sicherungsverwahrung immanente sensible Abwägung zwischen dem Freiheitsgrundrecht des Untergebrachten einerseits und der staatlichen Schutzpflicht für die Allgemeinheit andererseits verfassungsrechtlich aufgegeben:
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„Der Staat hat die Aufgabe, die Grundrechte potentieller Opfer vor Verletzungen durch potentielle Straftäter zu schützen. Diese Schutzpflicht des Staates ist umso intensiver, je mehr die Gefährdung sich konkretisiert und individualisiert und je stärker sie die Gefährdung elementarer Lebensbereiche betrifft. (…) Hinter dieses öffentliche Interesse tritt das Freiheitsgrundrecht (…) trotz seines hohen Wertes zurück. (…) Der Gesetzgeber (hat) mit der Regelung des § 67d Abs. 3 StGB nicht gegen das freiheitsschützende Übermaßverbot verstoßen. Die inhaltliche Konzeption als Regel-Ausnahme-Vorschrift sowie die flankierenden verfahrensrechtlichen Garantien für die Betroffenen verschaffen deren Anspruch aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG hinreichende Geltung (…)“ (BVerfG aaO. S. 186 f.).
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Eine schematische „Vollstreckung“ des EGMR-Urteils in Gestalt sofortiger Entlassung selbst hoch gefährlicher Untergebrachter brächte diese Abwägung in einer Art und Weise aus dem Gleichgewicht, die verfassungsrechtlich jedenfalls bedenklich wäre und – im Sinne des Monitums des „Görgülü-Beschlusses“ – darauf hinauslaufen würde, dass die schutzwürdige Allgemeinheit und damit nicht am Verfahren vor dem EGMR beteiligte Grundrechtsträger nicht mehr als Verfahrenssubjekte wirksam in Erscheinung treten könnten. Entgegen Kinzig NStZ 2010, 233 (238) beziehen sich dieses Monitum sowie der Vorbehalt betreffend mehrpolige Grundrechtsverhältnisse nicht ausschließlich aufs Privatrecht, sondern auf alle Fälle, in denen staatliche Gerichte „wie im Privatrecht“ mehrpolige Grundrechtsverhältnisse auszugestalten haben (s. BVerfGE 111, 307 [324]; ebenso OLG Celle, Beschl. v. 25.05.2010 – 2 Ws 169/10 und 170/10 – S. 11 f.).
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Auch deutsches Verfassungsrecht gebietet nicht, dass der Verurteilte sofort und ohne weitere inhaltliche Überprüfung aus der Unterbringung zu entlassen wäre.
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1. Die vom EGMR als konventionswidrig erkannte geltende deutsche Gesetzeslage ist vom Zweiten Senat des BVerfG in seinem Urteil vom 05.02.2004 – 2 BvR 2029/01 –, BVerfGE 109, 133 für verfassungsgemäß erachtet worden. Für sich gesehen ändert das Urteil des EGMR vom 17.12.2009 hieran nichts. Das Konventionsrecht einerseits und das deutsche Verfassungsrecht andererseits sind nicht deckungsgleich, und der EGMR urteilt nicht nach deutschem Verfassungsrecht.
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2. Allerdings beeinflussen die Gewährleistungen der Konvention die Auslegung der Grundrechte und rechtsstaatlichen Grundsätze des Grundgesetzes, und die Rechtsprechung des EGMR dient auch auf der Ebene des Verfassungsrechts als „Auslegungshilfe“ für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite von Grundrechten und rechtsstaatlichen Grundsätzen des Grundgesetzes, sofern das nicht zu einer Einschränkung oder Minderung des Grundrechtsschutzes nach dem Grundgesetz führt (BVerfG, Beschl. v. 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04 – „Görgülü“, BVerfGE 111, 307 [317]). Der Senat hat daher erwogen, ob im Lichte der Erwägungen, die der EGMR in seinem Urteil vom 17.12.2009 angestellt hat, die Frage der Verfassungsmäßigkeit des geltenden deutschen Rechts insbesondere im Hinblick auf Art. 2 Abs. 2 Satz 2 (hierzu BVerfGE 109, 133 [156 ff.]) und auf Art. 103 Abs. 2 GG (hierzu BVerfGE 109, 133 [167 ff.]) anders als in BVerfGE 109, 133 zu beantworten ist. Für das Freiheitsgrundrecht verneint der Senat die Frage, da das jeweilige Schranken- und Schranken-Schranken-Regime zu unterschiedlich ist. Für die Frage des Rückwirkungsverbots und des verfassungsrechtlichen Strafbegriffs sieht der Senat hingegen Erörterungsbedarf. Ihm erscheint aber zweifelhaft, ob das Urteil des EGMR vom 17.12.2009 zu der Annahme zwingt, entgegen BVerfGE 109, 133 (167 ff.) sei Art. 103 Abs. 2 GG verletzt. Diese Verfassungsbestimmung steht in einer bestimmten verfassungs- und einfachrechtlichen Tradition des deutschen Rechts (s. hierzu BVerfG aaO. S. 168 ff.). Ihre traditionell enge Auslegung begründet sich auch aus der grundsätzlichen Absolutheit des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots und den hohen Anforderungen an eine parlamentsgesetzliche Strafbarkeitsgrundlage, die sich so nicht bei Art. 7 MRK finden. Zudem kennt das deutsche Verfassungsrecht ein allgemeines rechtsstaatliches Vertrauensschutzgebot, das als verfassungsrechtlicher Auffangtatbestand eingreifen kann (s. hierzu BVerfG aaO. S. 180 ff.) und in der MRK nicht in gleicher Weise ausgeprägt ist. Deshalb ist der Senat nicht zu der Überzeugung gelangt, dass er das Gesetzesrecht, aufgrund dessen der Verurteilte sich (noch) in Sicherungsverwahrung befindet, für verfassungswidrig hält, und sieht deshalb von einer Vorlage im Verfahren der konkreten Normenkontrolle (Art. 100 Abs. 1 GG, §§ 13 Nr. 11, 80-82 BVerfGG) ab (s. hierzu auch LG Marburg, Beschl. v. 17.05.2010 – 7 StVK 220/10 S. 8 ff.). Im Übrigen dürfte die Frage in dem beim BVerfG anhängigen Verfassungsbeschwerdeverfahren 2 BvR 769/10 baldiger verfassungsgerichtlicher Klärung zugeführt werden. Der in diesem Verfahren ergangene Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 19.05.2010 lässt erstens erkennen, dass die Kammer die verfassungsrechtliche Frage für offen hält, andernfalls sie nicht in eine Folgenabwägung hätte eintreten können, und fasst zweitens die Möglichkeit ins Auge, dass sich das geltende Recht zwar als verfassungswidrig erweisen, es jedoch gleichwohl nicht zu Entlassungen kommen könnte, beispielsweise weil für eine Übergangszeit die ggf. bedingte Fortgeltung des bisherigen Rechts angeordnet werden könnte. Drittens zeigt der Beschluss, dass es im Ergebnis verfassungsrechtlich verantwortbar ist, Verurteilte jedenfalls vorläufig in Sicherungsverwahrung zu belassen. Die Folgenabwägung fällt auch im vorliegenden Fall gegen eine sofortige Entlassung aus: Wäre es bei konventions- und verfassungskonformer Handhabung des geltenden Rechts geboten, den Verurteilten sofort zu entlassen, so würde ihn die hier getroffene Entscheidung in seinem Freiheitsgrundrecht verletzen. Wäre es hingegen auch bei konventions- und verfassungskonformer Handhabung des geltenden Rechts geboten, die Fortdauer der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung anzuordnen, und würde der Senat ihn jetzt entlassen, so wäre die Allgemeinheit bis zur Wiederergreifung des Verurteilten nach der derzeitigen Gutachtenlage der Gefahr der Begehung erheblicher Straftaten ausgesetzt, seien es Sexualdelikte, seien es Gewaltdelikte gegen Justizangehörige, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt würden. Dann aber muss das Freiheitsgrundrecht jedenfalls bis auf Weiteres zurücktreten.
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Nach alledem ist eine sofortige Entlassung des Verurteilten unter Übergehung des beim Senat anhängigen Beschwerdeverfahrens nicht veranlasst. Das bedeutet freilich nicht, dass die konventionsrechtlichen Vorgaben, wie sie im Urteil des EGMR vom 17.12.2009 enthalten sind, und die verfassungsrechtlichen Vorgaben, wie sie insbesondere im Urteil des Zweiten Senats des BVerfG vom 05.02.2004 – 2 BvR 2029/01, BVerfGE 109, 133 enthalten sind, nicht zu beachten wären. Im Gegenteil ist es Aufgabe des Senats wie aller nationalen Gerichte, das Urteil des EGMR vom 17.12.2009 im weiteren Verfahren „in den betroffenen Teilbereich der nationalen Rechtsordnung“, nämlich das Recht der Sicherungsverwahrung, „einzupassen“ (BVerfGE 111, 307 [327]) und – selbstverständlich – deutsches Verfassungsrecht zur Anwendung zu bringen. Insbesondere wird es geboten sein, etwaige Konventionsverletzungen ausdrücklich festzustellen (vgl. für die konventionswidrige Verfahrensverzögerung BVerfG, Beschl. v. 19.04.1992 – 2 BvR 1487/90, NJW 1993, 3254 [3255]) und das geltende deutsche Recht, insbesondere §§ 67d Abs. 2 und 3, 67e Abs. 1 Satz 1 StGB, auf einer den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügenden Tatsachengrundlage (vgl. BVerfGE 109, 133 [162 ff.]) im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung konventions- und verfassungskonform (vgl. BVerfG aaO. S. 159, 161) zu handhaben (s. hierzu OLG Hamm, Beschl. v. 12.05.2010 – III-4 Ws 114/10 S. 3 f.).
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