Oberlandesgericht Rostock Beschluss, 20. Jan. 2011 - I Ws 6/11
Tenor
1. Die Beschwerde wird als unbegründet verworfen.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der dadurch entstandenen notwendigen Auslagen des Verurteilten fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe
I.
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Die Staatsanwaltschaft Neubrandenburg hat unter dem 01.07.2010 beim Landgericht Neubrandenburg die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung gegen den Verurteilten beantragt. Mit Beschluss vom 27.10.2010 lehnte das Landgericht "die Eröffnung des Verfahrens zur Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung ... aus rechtlichen Gründen" ab und führte dazu aus, diese Form der Maßregel verstoße nach den dazu ergangenen Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom 17.12.2009 - 19 259/04 - und des 4. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 12.05.2010 - 4 StR 577/09 - gegen das Rückwirkungsverbot des Art. 7 Abs. 1 der (europäischen) Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK). Gegen diesen Beschluss hat die Staatsanwaltschaft das Rechtsmittel der Revision eingelegt, über die vom Bundesgerichtshof noch nicht entschieden worden ist.
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Angesichts der am 27.01.2011 anstehenden Haftentlassung des Verurteilten hat die Staatsanwaltschaft unter dem 08.12.2010 beim Landgericht den Erlass eines Unterbringungsbefehls nach § 275a Abs. 5 Satz 1 StPO a.F. gegen den Verurteilten beantragt. Das hat das Landgericht mit Beschluss vom 17.12.2010 unter Bezugnahme auf die Gründe seiner Entscheidung vom 27.10.2010 abgelehnt. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Staatsanwaltschaft vom 23.12.2010, der das Landgericht am 29.12.2010 nicht abgeholfen hat. Die Generalstaatsanwaltschaft ist dem Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft beigetreten.
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Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
II.
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1. Die Voraussetzungen, unter denen gegen den Verurteilten in vorliegender Sache Unterbringungsbefehl erlassen werden könnte, ergeben sich sowohl materiell- wie auch verfahrensrechtlich aus dem bis zum 31.12.2010 geltenden Recht. Zwar regelt § 2 Abs. 6 StGB, dass über Maßregeln der Besserung und Sicherung, wenn gesetzlich nicht anderes bestimmt ist, (materiell-rechtlich) nach dem Gesetz zu entscheiden ist, das zur Zeit der Entscheidung gilt. Um eine danach mögliche Ausnahmebestimmung handelt es sich indes bei dem durch Art. 4 des Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom 22.12.2010 (BGBl. I S. 2300) mit Wirkung vom 01.01.2011 in Kraft getretenen Art. 316e Abs. 1 EGStGB. Diese Übergangsvorschrift bestimmt, dass die mit dem selben Gesetz eingeführten (neuen) Vorschriften über die Sicherungsverwahrung nur anzuwenden sind, wenn die Tat oder mindestens eine der Taten, wegen deren Begehung die Sicherungsverwahrung angeordnet oder vorbehalten werden soll (Anlasstat), nach dem 31. Dezember 2010 begangen worden ist. In allen anderen Fällen (Alttaten) ist - auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht - das bisherige Recht anzuwenden, soweit in den Absätzen 2 und 3 nichts anderes bestimmt ist (vgl. dazu näher BT-Drucks. 17/3403, S. 49).
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Vorliegend sind sämtliche Taten, die Anlass zur nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung geben könnten, von dem Verurteilten vor dem 31.12.2010 begangen worden (vgl. unter 4 a). Die Absätze 2 und 3 des Art. 316e EGStGB sind hier nicht einschlägig. Die Voraussetzungen, unter denen gegen den Verurteilten nachträgliche Sicherungsverwahrung angeordnet werden könnte, ergeben sich demzufolge materiell-rechtlich aus § 66b StGB in der Fassung des Gesetzes zur Reform der Führungsaufsicht vom 13.04.2007 (BGBl. I. S. 513) und diejenigen für den Erlass eines Unterbringungsbefehls aus § 275a Abs. 5 Satz 1 StPO in der Fassung des Gesetzes vom 23.07.2004 (BGBl. I S. 1838).
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2. Nach § 275a Abs. 5 Satz 1 StPO a.F. hat der Erlass eines Unterbringungsbefehls zur Voraussetzung, dass dringende Gründe für die Annahme vorhanden sind, dass die nachträgliche Sicherungsverwahrung angeordnet werden wird. Dringende Gründe sind dabei nach allgemeinen Grundsätzen (vgl. §§ 111a, 112 Abs. 1, § 126a Abs. 1, § 132a Abs. 1 StPO) dann anzunehmen, wenn nach dem bisherigen Ermittlungsstand eine hohe Wahrscheinlichkeit für die endgültige Verhängung der Maßregel besteht. Auch dann steht der Erlass eines solchen Unterbringungsbefehls jedoch immer noch im Ermessen des Gerichts ("kann"), wobei das (Freiheits-) Interesse des Verurteilten an seiner planmäßigen Entlassung aus der Strafhaft nach vollständiger Verbüßung der Strafe einerseits gegen das Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit und deren Bedürfnis nach vom Staat zu gewährendem Schutz vor erheblichen, weiterhin von dem Verurteilten ausgehenden Gefahren andererseits gegeneinander abzuwägen sind.
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3. Vorliegend fehlt es jedenfalls derzeit an dringenden Gründen für die Annahme, dass gegen den Verurteilten im weiteren Verfahren die nachträgliche Sicherungsverwahrung angeordnet werden wird. Zweifelhaft ist dabei nicht nur, ob die Voraussetzungen des § 66b StGB a.F. vorliegen (vgl. dazu unter 4), sondern auch, ob die Vorschriften über die nachträgliche Sicherungsverwahrung überhaupt auf den Verurteilten zur Anwendung gelangen können, oder ob dem, wie vom Landgericht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des 4. Strafsenats des Bundesgerichtshofs und des EGMR angenommen, das Rückwirkungsverbot des Art. 7 Abs. 1 EMRK entgegen steht (vgl. dazu unter 5).
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4. Zu den Voraussetzungen des § 66b StGB a.F.:
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Nach § 66b Abs. 1 StGB a.F. kann Sicherungsverwahrung nachträglich angeordnet werden, wenn nach einer Verurteilung wegen eines Verbrechens gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung oder eines Verbrechens nach den §§ 250, 251 StGB, auch in Verbindung mit den §§ 252, 255 StGB oder wegen eines der in § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB a.F. genannten Vergehen vor Ende des Vollzugs dieser Freiheitsstrafe Tatsachen erkennbar werden, die auf eine erhebliche Gefährlichkeit des Verurteilten für die Allgemeinheit hinweisen und wenn die Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung während des Strafvollzugs ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, und wenn im Zeitpunkt der Entscheidung über die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung die übrigen Voraussetzungen des § 66 StGB a.F. erfüllt sind, im Wesentlichen also, dass der nachträglich zu Verwahrende im Vollzug einer Freiheitsstrafe von mindestens zwei (§ 66 Abs. 1 oder Abs. 3 Satz 1 StGB a.F.) oder drei Jahren (§ 66 Abs. 2 oder Abs. 3 Satz 2 StGB a.F.) einsitzt, er bestimmte Vorstrafen und einen Vorvollzug aufweist (§ 66 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB a.F.), oder er wegen dreier Straftaten mit einer bestimmten Mindeststrafhöhe (§ 66 Abs. 2 StGB a.F.) (vor)verurteilt wurde.
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a) Der Verurteilte ist wie folgt vorbestraft:
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(1) Am 01.01.1979 - S 85/79 - verurteilte ihn das Kreisgericht Waren wegen Raubes, Diebstahls und Hehlerei zu einer Einheitsstrafe (§ 64 StGB/DDR) von zwei Jahren und zwei Monaten, die der Verurteilte nach Widerruf einer ihm gewährten Reststrafaussetzung zur Bewährung bis zum 29.07.1981 vollständig verbüßt hat. Dabei ist nicht sicher feststellbar, welcher (hypothetische) Anteil an der Einheitsstrafe jeweils auf die abgeurteilten Einzeltaten entfiel (vgl. zur Bedeutung dieser Frage für die Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 Nr. 1 StGB a.F. BGH, Beschluss vom 03.09.2008 - 5 StR 281/08).
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(2) Am 28.01.1983 verhängte das Kreisgericht Waren gegen ihn wegen vorsätzlicher Körperverletzung eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten (2 S 6/83), die er bis zum 07.06.1983 verbüßte.
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(3) Am 14.11.1983 folgte eine Verurteilung durch das Kreisgericht Neustrelitz (S 235/83) wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten, die bis zum 06.11.1984 vollstreckt wurde.
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(4) Mit Urteil des Kreisgerichts Bützow vom 18.09.1984 - S 78/84 - wurde er wegen schwerer Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt, die er bis zum 06.11.1985 verbüßte.
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(5) Das Kreisgericht Waren verhängte gegen ihn mit Urteil vom 28.05.1987 - S 81/87 - wegen Diebstahls und eines weiteren, nicht eintragungsfähigen Delikts eine Einheitsstrafe (§ 64 StGB/DDR) von einem Jahr und zehn Monaten, die er bis zum 26.08.1989 verbüßte. Auch in diesem Fall lässt sich nicht feststellen, welcher (hypothetische) Anteil an der Einheitsstrafe auf den Diebstahl und welcher auf das nicht eintragungsfähige Delikt entfiel.
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(6) Mit Urteil des Kreisgerichts Waren vom 30.06.1988 - S 85/88 - wurde er wegen schweren Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Wegen einer Amnestie wurde der Verurteilte am 05.01.1990 vorzeitig aus der Strafhaft in dieser Sache entlassen. Den dem Senat vorliegenden Vorgängen lässt sich nicht entnehmen, wann diese Tat begangen wurde.
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(7) Am 23.04.1990 folgte eine Verurteilung durch das AG Viechtach (Cs 3 Js 1319/90) wegen Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 55 Tagessätzen zu je 20,00 DM.
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(8) Dem schloss sich am 24.02.1992 eine Verurteilung durch das Bezirksgericht Neubrandenburg wegen gefährlicher Körperverletzung und Mordes zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 14 Jahren und sechs Monaten an (I Ks 18/91). Dem lagen Einsatzstrafen von einem Jahr für die gefährliche Körperverletzung und von 14 Jahren für den Mord zugrunde.
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(9) Am 28.07.1993 - II KLs 4/93 - folgte eine Verurteilung durch das LG Neubrandenburg wegen Gefangenenmeuterei unter Einbeziehung der aufgelösten Gesamtstrafe aus dem Urteil des Bezirksgerichts Neubrandenburg vom 24.02.1992 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 15 Jahren. Auch in diesem Fall lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen, welche Einsatzstrafe das Gericht für die abgeurteilte Gefangenenmeuterei verhängt hat. Dort heißt es lediglich: "Während sich die erhebliche Vorbestraftheit des Angeklagten W., vielfach wegen Gewalttaten, die rücksichtslose Art der Tatausführung und seiner Auslöserfunktion strafverschärfend auswirken mussten, waren außer den ungünstigen Verhältnissen, unter denen der Angeklagte W. herangewachsen ist, keine strafmildernden Aspekte ersichtlich. Durch die vom Angeklagten W. ausgelösten Ereignisse in der Justizvollzugseinrichtung Neustrelitz war für eine Reihe von Häftlingen die Flucht aus der Justizvollzugseinrichtung möglich."
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Für den Mitangeklagten G. erkannte die Kammer in jenem Verfahren auf eine Einzelstrafe von 10 Monaten wegen Gefangenenmeuterei. Dabei berücksichtigte die Kammer, dass dieser im Vergleich zu den anderen Mittätern in geringerem Umfang Gewalt angewandt habe, nicht im selben Umfang wie sie bei den Vorbereitungen zur Flucht aktiv geworden sei und auch selbst die Justizvollzugsanstalt nicht verlassen habe.
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(10) Das Landgericht Rostock verhängte gegen den Verurteilten am 28.10.1996 - III KLs 27/95 - wegen Geiselnahme in Tateinheit mit Gefangenenmeuterei eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren. Diese Strafe ist bereits vollständig verbüßt. Sie kann nicht mehr zum Anlass für die Verhängung nachträglicher Sicherungsverwahrung genommen werden (§ 66b Abs. 1 Satz 1 StGB a.F.: "... vor Ende des Vollzugs dieser Freiheitsstrafe ....").
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b) Das Landgericht Erfurt hat mit Beschluss vom 18.04.2004 - StVK 436/03 - die Vollstreckung der Restfreiheitsstrafen aus den Urteilen des Landgerichts Neubrandenburg vom 28.07.1993 und des Landgerichts Rostock vom 28.10.1996 - III KLs 27/95 - nach Verbüßung von zwei Dritteln nicht zur Bewährung ausgesetzt. Das Strafende ist auf den 11.02.2011 notiert. Wegen anrechenbarer Tage wird die Entlassung vorzeitig am 27.01.2011 erfolgen.
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c) Die in § 66b Abs. 1 Satz 1 StGB a.F. geforderten formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 StGB a.F. sind aus den von der Generalstaatsanwaltschaft dargelegten Gründen nicht erweislich.
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Es steht nicht fest, dass der Verurteilte vor der Verurteilung wegen der Anlasstat (= Verurteilung wegen Mordes und gefährlicher Körperverletzung durch das Bezirksgericht Neubrandenburg vom 24.02.1992) schon zweimal wegen vorsätzlicher Straftaten jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist. Die Urteile des Kreisgerichts Waren vom 01.01.1979 und vom 28.05.1987, die hierfür im Betracht kommen könnten, sind wegen der darin verhängten Einheitsstrafen aus den bereits genannten Gründen unergiebig. Auch ist nicht feststellbar, wann der Verurteilte den mit Urteil des Kreisgerichts Waren vom 30.06.1988 bestraften Diebstahl begangen hat. Das aber ist für die Beantwortung der Frage notwendig, ob mindestens zwei gesonderte Vorverurteilungen vorliegen, die in der Reihenfolge "Tat-Urteil-Tat-Urteil" ergangen sind.
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d) Entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft sind auch die in Verbindung mit § 66b Abs. 1 StGB a.F. alternativ zu prüfenden Voraussetzungen der subsidiär anzuwendenden Vorschrift (vgl. dazu Fischer, StGB, 58. Aufl., § 66 Rn. 11) des § 66 Abs. 2 StGB a.F. nicht mit der für eine so einschneidende Maßnahme wie den Erlass eines Unterbringungsbefehls erforderlichen Sicherheit gegeben.
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Zwar wurden vom Bezirksgericht Neubrandenburg gegen den Verurteilten mit Entscheidung vom 24.02.1992 Einsatzstrafen von einem Jahr wegen gefährlicher Körperverletzung und von 14 Jahren wegen Mordes verhängt. Die Höhe der als dritte Einzelstrafe in Betracht kommenden Sanktion wegen Gefangenenmeuterei ist dem Urteil des Landgerichts Neubrandenburg vom 28.07.1993 - II KLs 4/93 - jedoch nicht mit ausreichender Sicherheit zu entnehmen. Die bereits oben wiedergegebenen Strafzumessungsgründe weisen lediglich für den in jenem Verfahren Mitangeklagten G. eine Freiheitsstrafe von 10 Monaten aus. Bei dem Angeklagten W. fehlt es hingegen an der ausdrücklichen Festsetzung einer solchen. Soweit die Generalstaatsanwaltschaft aus den zu dem Verurteilten W. angestellten Strafzumessungserwägungen und einem Vergleich mit demjenigen zum Mitangeklagten G. schlussfolgert, gegen W. müsse dann eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verhängt worden sein, handelt es sich um eine bloße Vermutung, die sich auch durch die in jenem Verfahren ausgeurteilte Höhe der nachträglichen Gesamtstrafe nicht weiter erhärten lässt, weil diese hier durch die Obergrenze des § 54 Abs. 2 Satz 2, § 55 Abs. 1 StGB limitiert war.
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e) Bestehen danach bereits begründete Zweifel am Vorliegen der formalen Eingangsvoraussetzungen für die Anordnung nachträglicher Sicherungsverwahrung, kommt vorliegend noch hinzu, dass auch die in § 66b Abs. 1 Satz 1 StGB a.F. weiter vorausgesetzte hohe Wahrscheinlichkeit, der Verurteilte werde künftig wieder erhebliche Straftaten begehen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, derzeit nicht mit dem in § 275a Abs. 5 Satz 1 StPO a.F. verlangten "dringenden" Grad an Prognosesicherheit erweislich ist.
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aa) Die nachträgliche Anordnung von Sicherungsverwahrung kommt nach dem gegenwärtigen Stand der höchstrichterlichen Rechtsprechung allenfalls noch bei äußerst gefährlichen Verurteilten in Betracht, bei denen sich die Gefahrenprognose aus konkreten Umständen in der Person oder ihrem Verhalten ableiten lässt. Nur dann erscheint denkbar, dass der Eingriff in das Freiheitsrecht des Verurteilten unter Berücksichtigung seines auf höchster Stufe schutzwürdigen Vertrauens in die Unabänderlichkeit der in der Anlassverurteilung verhängten Rechtsfolge einerseits und der Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit andererseits im Rahmen einer zu seinen Lasten getroffenen Abwägungsentscheidung gerechtfertigt ist (BGH, 5. Strafsenat, Beschlüsse vom 21.07.2010 - 5 StR 60/10 - und vom 09.11.2010 - 5 StR 394, 440, 474/10: hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualverbrechen, die aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Untergebrachten abzuleiten ist). Ein derart schwerwiegendes, sich in konkreten Anhaltspunkten manifestierendes aktuelles Gefährdungspotential ist bei dem Verurteilten entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft nicht erkennbar.
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bb) Der Verurteilte ist - soweit ersichtlich - zuletzt in dem Verfahren wegen Mordes u.a. durch den Sachverständigen Dr. Dr. G. forensisch-psychiatrisch begutachtet worden. Der Gutachter hat in seiner schriftlichen Expertise vom 30.07.1991, die nunmehr bald 20 Jahre alt ist (!), unter anderem eine therapeutische Einflussnahme mittels Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus für unbedingt erforderlich erachtet, da von dem Angeklagten infolge einer schweren anderen seelischen Abartigkeit erhebliche Straftaten zu erwarten seien, so dass er für die Allgemeinheit als gefährlich einzustufen sei. Dieser Einschätzung des Gutachters ist das Bezirksgericht Neubrandenburg seinerzeit ohne Darlegung von Gründen jedoch nicht gefolgt und hat nur auf eine zeitige Gesamtfreiheitsstrafe erkannt. Die Anordnung von Sicherungsverwahrung kam seinerzeit nicht in Betracht, weil die entsprechenden Vorschriften auf - wie hier - im Beitrittsgebiet begangene Taten nicht anwendbar waren (Art. 1a Abs. 1 EGStGB a.F., eingeführt durch Kapitel III, Sachgebiet C, Abschnitt II Nr. 1a der Anlage I zum Einigungsvertrag [BGBl. II 1990 S. 954]).
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Auch anlässlich der Verurteilung durch das LG Rostock vom 28.10.1996 ist trotz Wiederholung der im vorerwähnten Gutachten des Dr. Dr. G. getroffenen Einschätzung, jedoch ohne neuerliche Anhörung eines Sachverständigen gerade zu diesen abermals als so gravierend herausgestellten Persönlichkeitsstörungen kein Anlass gesehen worden, auch nur in eine Prüfung einzutreten, ob eine Unterbringung des Angeklagten Wagner nach § 63 StGB erforderlich sein könnte. Auch die seit dem 01.08.1995 im Beitrittsgebiet rechtlich mögliche Anordnung (originärer) Sicherungsverwahrung nach § 66 StGB a.F. ist damals nicht geprüft worden.
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cc) In den folgenden Jahren des Strafvollzugs wurde dem Verurteilten zwar - ohne neuerliche fachärztliche Begutachtung (!) - noch mehrfach eine tiefgreifende schwere Persönlichkeitsstörung mit schizoid-autistisch-psychopathischem Charakter, einhergehend mit erhöhter Aggressionsbereitschaft, Rücksichtslosigkeit, Egoismus, Fanatismus bis hin zur Grausamkeit sowie die Bereitschaft zum hemmungslosen Ausleben der eigenen Macht konzediert (Stellungnahmen des Leiters der JVA Bützow vom 09.06.1997, des psychologischen Dienstes der JVA Bützow vom 29.08.1997, des psychologischen Dienstes der JVA Waldeck vom 23.01.1998, der JVA Bruchsaal vom 03.07.2001, der JVA Tonna vom 11.04.2003, Sicherheitsverfügungen der JVA Tonna vom 08.09.2005 und 19.03.2007, Schreiben des Leiters der JVA Tonna vom 09.10.2007, Disziplinarverfügung vom 16.01.2007, Sicherheitsverfügung der JVA Tonna vom 05.11.2007). Wegen der weiteren Einzelheiten des seinerzeitigen Vollzugsverhaltens wird auf den Inhalt des Beschlusses des Landgerichts Neubrandenburg vom 27.10.2010 - 6 NSV 01/10 - Beschlussumdruck Seite 5 bis 10 verwiesen.
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Seit seiner Verlegung am 29.01.2008 in die JVA Straubing, mithin seit nunmehr fast drei Jahren, legt der Verurteilte indes ein hausordnungsgemäßes und vollzugskonformes Verhalten an den Tag. Er konnte deshalb mit Verfügung vom 03.03.2010 von der Sicherheitsliste genommen werden. Schon in der fachlichen Einschätzung der JVA Straubing vom 22.03.2010 wird die positive Entwicklung des Gefangenen hervorgehoben und die Frage, ob aus Gründen fortdauernder Gefährlichkeit die Anordnung nachträglicher Sicherheitsverwahrung geboten sei, ausdrücklich offen gelassen. Auch seitdem der Verurteilte am 10.03.2010 in die JVA Waldeck zurückverlegt worden ist, sind bis zum Zeitpunkt der Senatsentscheidung keine neuen Verfehlungen mehr bekannt geworden. Ihm im Zuge von Vollzugslockerungen eingeräumte Freiräume hat er offensichtlich nicht missbraucht. Drogentests sind stets negativ verlaufen. Anhaltspunkte, aus denen sich eine im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs aktuelle Gefahrenprognose ergeben könnte, sind derzeit nicht erkennbar. Dies erhält umso mehr Gewicht, als der Verurteilte sein normkonformes Verhalten auch unter unterschiedlichen Rahmenbedingungen in zwei Haftanstalten (Straubing und Waldeck) über einen nicht unerheblichen Zeitraum durchgehalten hat. Dahinter treten die unzweifelhaft auf ein erhebliches Gefahrenpotential in seiner Person hinweisenden Vortaten des Verurteilten und sein insofern ebenfalls deutlich negativ einzuschätzendes Verhalten im Vollzug bis Anfang 2008 zurück.
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dd) Eine negative Gefahrenprognose lässt sich angesichts dieser Entwicklung ohne eine neue Begutachtung des Verurteilten nicht mit dem von § 275a Abs. 5 Satz 1 StPO a.F. verlangten Grad an Wahrscheinlichkeit treffen. Dass der Senat auf kein aktuelles Gutachten zurückgreifen kann, darf nicht zu Lasten des Verurteilten gehen.
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Die seit rechtzeitiger Antragstellung durch die Staatsanwaltschaft Neubrandenburg am 01.07.2010 verstrichene Zeit ist bislang nicht genutzt worden, um die nach § 275a Abs. 4 Satz 1 StPO a.F. vorgeschrieben Expertisen zweier externer Sachverständiger, die hierzu näheren Aufschluss geben könnten, auch nur in Auftrag zu geben. Zwar war die Nichtbeauftragung von Sachverständigen aus Sicht des Landgerichts konsequent, weil es allein schon wegen des von ihm bejahten Rückwirkungsverbots die Möglichkeit der Anordnung nachträglicher Sicherungsverwahrung aus Rechtsgründen verneint hat. Für seine Entscheidung kam es deshalb auf das Ergebnis einer Begutachtung nicht an. Das ändert indes nichts daran, dass bereits bei Erlass eines Unterbringungsbefehls nach § 275a Abs. 5 Satz 1 StPO a.F. "dringende Gründe" auch für die Gefährlichkeitsprognose vorliegen müssen, weshalb nach Möglichkeit schon im Zeitpunkt seiner Beantragung die Begutachtungen durchgeführt sein sollten, die deshalb auch von der Staatsanwaltschaft hätten in Auftrag gegeben werden können (Senatsbeschluss vom 18.01.2005 - I Ws 560/04 = StV 2005, 279, 280: "können"; OLG München, Beschluss vom 30.12.2004 - 2 Ws 1319/04-, NStZ 2005, 573: "müssen aber nicht"). Der Unterbringungsbefehl, der keine verfahrenssichernde, sondern rein präventive Funktion hat, darf nicht etwa deshalb erlassen werden, um erst während der Zeit seines Vollzugs mit der Prüfung der Gefährdungsprognose i.S.d. § 66b StGB a.F. zu beginnen, sondern er setzt diese im Zeitpunkt seines Erlasses bereits wenigstens im Grade "dringender Gründe" voraus. Wie sich aus dem in § 275a Abs. 1 StPO a.F. skizzierten Zeitplan ergibt, soll das Verfahren über die nachträgliche Sicherungsverwahrung nach Möglichkeit noch vor Ende der Strafvollstreckung durchgeführt oder zumindest schon so weit vorangetrieben worden sein, dass vom erkennenden Gericht relativ sicher beurteilt werden kann, ob es bereits vor dessen rechtskräftigem Abschluss vorläufiger Präventivmaßnahmen in Form eines Unterbringungsbefehls bedarf.
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Dass das vorliegend bislang nicht (ausreichend) geschehen ist, hat der Verurteilte nicht zu vertreten. Der darin liegende objektive Verstoß gegen das bei jeder freiheitsentziehenden Maßnahme von Verfassungs wegen zu beachtende Beschleunigungsgebot (vgl. BVerfG, zuletzt Beschluss vom 13.09.2010 - 2 BvR 449/10 -) ist im Rahmen der Ermessensprüfung unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit ebenfalls zu berücksichtigen.
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Letzteres gilt hier um so mehr, als die vom Landgericht am 27.10.2010 fehlerhaft im Beschlusswege statt nach dem in § 275a Abs. 2 StPO a.F. vorgeschriebenen Verfahren durch Urteil getroffene Entscheidung, den Antrag der Staatsanwaltschaft auf nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung abzulehnen, zu einer weiteren Verfahrensverzögerung führen wird. Zwar ist nach gegenwärtigem Sachstand davon auszugehen, dass der Bundesgerichtshof die verfahrensfehlerhaft zustande gekommene Entscheidung bereits aus formellen Gründen aufheben wird und sodann vor dem Landgericht Neubrandenburg über die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung mündlich zu verhandeln und zu befinden sein wird. Bis dahin ist das Landgericht, das in dieser Zeit keine Verfahrensherrschaft hat, jedoch gehindert, die fehlenden Gutachten in Auftrag zu geben. Auch der Senat kann die Gutachten im Rahmen des vorliegenden Beschwerdeverfahrens nicht mehr zeitnah einholen.
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5. Zur Anwendbarkeit der Vorschriften über die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung auf "Altfälle":
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a) Die Frage, ob die nachträgliche Unterbringung in der Sicherungsverwahrung selbst in solchen Fällen zulässig ist, in denen zum Zeitpunkt der Anlassverurteilung(en) § 66 StGB a.F. für im Beitrittgebiet begangene Taten nicht galt, wenn der Täter - wie es vorliegend der Fall ist - dort seine Lebensgrundlage hatte (vgl. dazu Anlage 1 des Einigungsvertrages a.a.O.; Einführung im Beitrittgebiet erst durch das Gesetz zur Rechtsvereinheitlichung der Sicherungsverwahrung vom 16.06.1995 mit Wirkung zum 01.08.1995) und obwohl die Möglichkeit nachträglicher Sicherungsverwahrung sogar erst mit dem am 29.07.2004 in Kraft getretenen Gesetz zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung neu eingefügten § 66b StGB geschaffen worden ist, oder ob dies gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot (Art. 103 Abs. 2 GG), das Verbot der Doppelbestrafung (Art. 103 Abs. 3 GG) sowie gegen das rechtsstaatliche und grundrechtliche Gebot des Vertrauensschutzes (Art. 2 Abs. 2, Art. 20 Abs. 3 GG) oder gegen die entsprechenden Garantien der EMRK verstößt, ist höchst umstritten (vgl. Kinzig NStZ 2010, 233, 239; ders. NJW 2001, 1455 ff.; Müller StV 2010, 207, 211; Laue JR 2010, 198, 203 f.; Greger, NStZ 2010, 676; Renzikowski JR 2004, 271 ff. <273 ff.>; Streng StV 2006, 92 <96 ff.>).
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aa) Das Bundesverfassungsgericht hat einen Verstoß gegen das Grundgesetz und die Grundrechte zuletzt mit Nichtannahmebeschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 05.08.2009 - 2 BvR 2098/08, 2 BvR 2633/08 - unter Bezugnahme auf seine bisherige Rechtsprechung zu dieser Frage verneint und dazu im Wesentlichen ausgeführt, der Anwendungsbereich des Art. 103 Abs. 2 GG sei auf staatliche Maßnahmen beschränkt, die eine missbilligende hoheitliche Reaktion auf ein rechtswidriges, schuldhaftes Verhalten darstellen und wegen dieses Verhaltens ein Übel verhängen, das dem Schuldausgleich dient (BVerfG, Urteil vom 05.02.2004 - 2 BvR 2029/01, Rdz. 123 ff. <134 ff.> der online-Fassung in juris). Bei der Sicherungsverwahrung handele es sich um keine "Strafe" in diesem Sinne, sondern um eine Maßregel der Besserung und Sicherung. Als verfassungsrechtlich zulässige Fälle tatbestandlicher Rückanknüpfung gelten deshalb auch Fälle, in denen die Anordnung der Sicherungsverwahrung ursprünglich aus rechtlichen Gründen nicht möglich war und nunmehr § 66b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB a.F. auf das Erfordernis neuer Tatsachen für die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung verzichtet (BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 22.10.2008 - 2 BvR 749/08 Rdz. 27 der online-Fassung in juris). Ob das Bundesverfassungsgericht diese Rechtsprechung fortführen oder sie - insbesondere im Lichte der nachfolgend aufgeführten Entscheidungen des EGMR und des Bundesgerichtshofs sowie unter Berücksichtigung der mit Jahresbeginn in Kraft getretenen Neuregelungen des Rechts der Sicherungsverwahrung - modifizieren wird, ist derzeit nicht absehbar. Eine mündliche Verhandlung zu dieser Problematik wird zwar am 08.02.2011 in den verbundenen Verfahren "Sicherungsverwahrung I" = 2 BvR 2365/09 und 2 BvR 740/10 sowie "Sicherungsverwahrung II" = 2 BvR 233/08, 2 BvR 571/10 und 2 BvR 1152/10 stattfinden. Mit einer Entscheidung ist indes wohl erst Mitte des Jahres 2011 zu rechnen.
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bb) Demgegenüber hat der EGMR am 17.12.2009 geurteilt, dass in einem der so genannten Altfälle die Verlängerung der erstmaligen Sicherungsverwahrung über die ursprünglich geltende Höchstfrist von zehn Jahren hinaus eine zusätzliche, über die ursprüngliche Verurteilung hinausgehende "Strafe" darstelle, für die das Rückwirkungsverbot des Art. 7 Abs. 1 Satz 1 EMRK gelte. Weiterhin hat der EGMR in dieser Entscheidung auch einen Verstoß gegen Art. 5 EMRK bejaht (Urteil des EGMR in der Rechtssache M. gegen die Bundesrepublik Deutschland [Individualbeschwerde Nr. 19359/04] = EuGRZ 2010, 25 ff. = NStZ 2010, 263 ff.). Die Entscheidung ist seit dem 10.05.2010 endgültig (Art. 44 Abs. 2 EMRK) und damit rechtskräftig (EuGRZ 2010, 261).
- 41
Mit noch nicht endgültigem Urteil vom 13.01.2011 (Individualbeschwerde Nr. 6587/04 im Fall H. gegen Deutschland) hat der EGMR nunmehr auch für den Fall der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung einstimmig eine Verletzung von Art. 5 Abs. 1 EMRK (Recht auf Freiheit und Sicherheit) festgestellt. Angesichts der zu diesem Problemkreis nunmehr als gefestigt anzusehenden Rechtsprechung des EGMR (vgl. dazu die weiteren Urteile vom 13.01.2011 in den Individualbeschwerdeverfahren K., M. und Sch. gegen Deutschland, Beschwerde-Nrn. 17792/07, 20008/07, 27360/04 und 42225/07, in denen ebenfalls Verstöße gegen Art. 5 Abs. 1 und 7 Abs. 1 EMRK festgestellt wurden) ist nicht damit zu rechnen, dass ein etwaiger Antrag der Bundesrepublik Deutschland nach Art. 43 Abs. 1 EMRK, die damit schon bei der Individualbeschwerde Nr. 19359/04 gescheitert ist, Aussicht auf Erfolg hätte. Alle genannten Entscheidungen dürften deshalb ebenfalls rechtskräftig werden.
- 42
Die Bundesrepublik Deutschland hat sich mit der Ratifizierung der EMRK am 05.12.1952, die mit Wirkung vom 03.09.1953 in Kraft getreten ist (vgl. Bekanntmachung vom 15.12.1953, BGBl. 1954 II S. 14), seit dem 05.10.2001 vorbehaltslos (vgl. BGBl. 2003 II S. 1580) und völkerrechtlich bindend zur Beachtung der darin enthaltenen Rechte und Freiheiten ebenso verpflichtet, wie zur Beachtung der endgültigen Urteile des EGMR (Art. 46 Abs. 1 EMRK). Das betrifft alle staatlichen Gewalten. Mit dem Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge vom 23.05.1969 (WÜV), das für die Bundesrepublik am 20.08.1987 in Kraft getreten ist (vgl. Bekanntmachung vom 26.11.1987, BGBl. II S. 757) hat sich Deutschland ebenfalls verpflichtet, völkerrechtliche Übereinkommen, zu denen auch die EMRK zählt, einzuhalten (Art. 26 WÜV). Gegenüber Bestimmungen in völkerrechtlichen Verträgen kommt, soweit bei der Ratifizierung keine Vorbehalte angebracht wurden, was bei der EMRK nicht (mehr) der Fall ist, eine Berufung auf (entgegenstehendes) innerstaatliches Recht, um sich damit einer eingegangenen völkerrechtlichen Verpflichtung zu entziehen, nicht in Betracht (Art. 27 WÜV).
- 43
Das Rückwirkungsverbot in der Ausformung des Gebots der lex previa, wie es außer in § 2 Abs. 1 StGB auch in Art. 103 Abs. 2 GG festgeschrieben ist, verbietet sowohl die strafbegründende wie auch eine strafschärfende Anwendung nachträglich ergangenen Rechts. Es handelt sich dabei um eine der auch international anerkannten grundlegenden Garantiefunktionen des Strafrechts. Seine Implementierung (auch) in die EMRK führt dazu, dass diese, wenn auch nicht in allen Teilen, so jedoch zumindest mit dem hier relevanten Art. 7 Abs. 1 EMRK per se zu denjenigen "grundlegenden Regeln mit anerkannter universeller Geltung" gehört, die auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 118, 124, 134) den einfachen (innerstaatlichen) Gesetzen nach Art. 25 Satz 2 GG vorgehen und deren Verletzung einen Verstoß gegen die verfassungsgemäße Ordnung darstellen würde. Für die bindende Auslegung von Art. 7 Abs. 1 EMRK und die Prüfung der Vereinbarkeit der deutschen Bestimmungen über die nachträgliche Sicherungsverwahrung und deren praktischer Ausformung mit dieser Norm ist allein der EGMR berufen.
- 44
cc) Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshof hat bereits nach der Entscheidung des EGMR vom 17.12.2009 die Auffassung vertreten, diese sei ungeachtet ihrer auf den Einzelfall beschränkten Bindungswirkung bei der Auslegung deutschen Rechts zu beachten, was zur Folge habe, dass § 2 Abs. 6 StGB "konventionsfreundlich" dahin auszulegen sei, dass § 66b Abs. 3 StGB nicht rückwirkend auf vor seinem Inkrafttreten begangene Taten angewendet werden dürfe (Beschluss vom 12.05.2010 - 4 StR 577/09 = NStZ 2010, 567). Dieser Rechtsauffassung haben sich zwischenzeitlich die Oberlandesgerichte Frankfurt (Beschlüsse vom 24.06.2010 - 3 Ws 485/10 - und vom 01.07.2010 - 3 Ws 418/10 und 3 Ws 539/10); Hamm (Beschluss vom 06.07.2010 - 4 Ws 157/10), Karlsruhe (Beschlüsse vom 15.07.2010, - 2 Ws 458/09 - und vom 04.08.2010 - 2 Ws 227/10) und Schleswig (Beschluss vom 15.07 2010 - 1 OJs 3/10) angeschlossen (ebenso Grabenwarter JZ 2010, 857; Gaede HRRS 2010, 329, 332 ff.).
- 45
dd) Demgegenüber verneint der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine Übertragbarkeit der vom EGMR gegen die Anordnung der Rückwirkung angeführten Argumente auf die § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB a.F. zugrundeliegenden Fallkonstellationen (Beschluss vom 21.07.2010 - 5 StR 60/10 = NStZ 2010, 565). Der vom 4. Strafsenat vorgenommenen Auslegung von § 2 Abs. 6 StGB stünden zwingende Gründe deutschen Rechts entgegen (Anfragebeschluss vom 09.11.2010 - 5 StR 394/10, 5 StR 440/10, 5 StR 474/10 = StRR 2010, 443 [Leitsatz]). Dieser Auffassung folgen bislang die Oberlandesgerichte Stuttgart (Beschluss vom 01.06.2010 - 1 Ws 57/10), Celle (Beschluss vom 25.05.2010 - 2 Ws 169/10), Koblenz (Beschluss vom 30.03.2010 - 1 Ws 116/10) und Nürnberg (Beschluss vom 04.08.2010 - 1 Ws 404/10).
- 46
Ob der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs bei seiner Rechtsauffassung bleibt oder ob er sich der zuletzt in seinem Anfragebeschluss vom 09.11.2010 geäußerten Ansicht des 5. Strafsenats anschließt, ist derzeit ebenso ungewiss, wie die Antwort auf die Frage, wie der Große Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofes im Falle seiner Anrufung entscheiden wird.
- 47
b) Für die hier zu treffende Entscheidung des Senats im Rahmen des § 275a Abs. 5 Satz 1 StPO a.F. kann dahinstehen, welcher dieser unterschiedlichen Rechtsauffassungen der Vorzug zu geben ist.
- 48
Im Falle einer erneuten Revision eines Beteiligten in vorliegender Sache nach abschließender Entscheidung des Landgerichts wäre nach der aktuellen Geschäftsverteilung des Bundesgerichtshofes abermals der 4. Strafsenat zuständig; die Sonderzuständigkeit des 5. Strafsenats in Fragen der Sicherungsverwahrung ist auf Vorlegungssachen der Oberlandesgerichte nach § 121 Abs. 2 Nr. 3 GVG beschränkt. Sollte der 4. Strafsenat bis dahin an seiner derzeitigen Rechtsauffassung festhalten, müsste er eine die nachträgliche Sicherungsverwahrung des Verurteilten anordnende Entscheidung aufheben bzw. eine gegen die Ablehnung einer solchen Entscheidung gerichtete Revision der Staatsanwaltschaft als unbegründet verwerfen.
- 49
Sollte es gleichwohl zu einer rechtskräftigen Anordnung nachträglicher Sicherungsverwahrung gegen den Verurteilten kommen, hätte dieser ungeachtet der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts jedenfalls vor dem EGMR mit der Rüge einer Verletzung von Art. 5 und 7 Abs. 1 EMRK mit hoher Sicherheit Erfolg, was wiederum zur Konsequenz hätte, dass damit nach § 359 Nr. 6 StPO ein gesetzlicher Grund für eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu seinen Gunsten gegeben wäre. Die durch das Gesetz zur Neuregelung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom 22.12.2010 vorgenommenen Modifikationen im Recht der Sicherungsverwahrung dürften insoweit zu keiner Änderung der Sichtweise des EGMR führen, weil durch den neuen Art. 316e Abs. 1 Satz 2 EGStGB für Fälle wie den vorliegenden die Anwendung alten und damit nach gefestigter Auffassung des EGMR mit Art. 5 und 7 Abs. 1 EMRK unvereinbaren Rechts in Missachtung seiner Rechtsprechung nochmals perpetuiert wurde. Das dürfte jedenfalls aus Sicht des EGMR einen weiteren und diesmal besonders gravierenden Konventionsverstoß darstellen.
- 50
6. Unter Berücksichtigung all dessen, sprechen zur Überzeugung des Senats derzeit deutlich mehr Gründe rechtlicher und tatsächlicher Art gegen die Annahme, dass es in diesem Verfahren zur nachträglichen Anordnung von Sicherungsverwahrung gegen den Verurteilten kommen wird als dafür. Dem von der Staatsanwaltschaft im Wege der Beschwerde weiter verfolgten Antrag, gegen den Verurteilten Unterbringungsbefehl zu erlassen, war deshalb nicht zu entsprechen.
- 51
7. Möglichen von dem Verurteilten nach seiner Entlassung aus der Strafhaft ausgehenden Gefahren für die Sicherheit der Allgemeinheit wird im Rahmen der von Gesetzes wegen eintretenden Führungsaufsicht durch begleitende Erteilung geeigneter Weisungen (§ 68b StGB), Maßnahmen der Entlassenenhilfe (vgl. § 74 Satz 2, § 126 StVollzG) und des Opferschutzes (vgl. etwa § 406d Abs. 2 StPO) oder auch präventive Maßnahmen auf polizeirechtlicher Grundlage zu begegnen sein (vgl. BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 23.08.2006 - 2 BvR 226/06 - sowie die Sondervoten zum Urteil des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Februar 2004 - 2 BvR 834/02, 2 BvR 1588/02 = BVerfGE 109, 244, <248>; BGH, 5 StR 585/05 vom 22. Februar 2006 = NJW 2006, S. 1442 <1445 f.>).
- 52
8. Sollte sich erweisen, dass der Verurteilte infolge einer psychischen Erkrankung i.S.d. § 1 Abs. 2 PsychKG M-V (weiterhin) gefährlich ist, käme ggf. eine Unterbringung nach §§ 9 ff. PsychKG M-V in Betracht. Eine Prüfungs- und Entscheidungszuständigkeit des Senats besteht insoweit nicht. Vielmehr wäre eine solche Anordnung gemäß § 14 PsychKG auf Antrag der Ordnungsbehörde durch das zuständige Amtsgericht zu treffen. Eine solche Unterbringung nach den Grundsätzen ordnungsbehördlicher Gefahrenabwehr wäre mit der Rechtsprechung des EGMR vereinbar, wonach die Unterbringung psychisch kranker Personen ohne neue Anlasstat nicht dem Regime des (repressiven) Strafrechts unterfällt, sondern Aufgabe der (präventiven) Gefahrenabwehr ist (EGMR, Urteil vom 13.01.2011, aaO. Rn. 92 f.).
- 53
9. Abschließend sei bemerkt, dass der Verurteilte auch nicht nach dem Gesetz zur Therapierung und Unterbringung psychisch gestörter Gewalttäter (Therapieunterbringungsgesetz, ThUG) v. 22.12.2010 (BGBl I 2300) untergebracht werden kann, weil er nicht in den in § 1 Abs. 1 und 2 ThUG festgelegten Anwendungsbereich des Gesetzes fällt.
III.
- 54
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 StPO.
Urteilsbesprechung zu Oberlandesgericht Rostock Beschluss, 20. Jan. 2011 - I Ws 6/11
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BUNDESGERICHTSHOF
2. Der Antrag auf nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung wird zurückgewiesen.
3. Die Entscheidung über die Entschädigung des Betroffenen wegen der erlittenen Strafverfolgungsmaßnahmen bleibt dem Landgericht vorbehalten.
4. Der Unterbringungsbefehl des Landgerichts Saarbrücken vom 15. Juni 2007 wird aufgehoben. Der Betroffene ist in dieser Sache sofort auf freien Fuß zu setzen.
5. Die Kosten des Verfahrens einschließlich der Rechtsmittelkosten und die notwendigen Auslagen des Betroffenen fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe:
- 1
- Das Landgericht Saarbrücken hat mit Urteil vom 17. Juli 2009 gegen den Betroffenen (erneut) die nachträgliche Unterbringung in der Sicherungsverwah- rung gemäß § 66 b Abs. 3 StGB angeordnet. Mit seiner Revision gegen dieses Urteil rügt er die Verletzung formellen und materiellen Rechts; das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge in vollem Umfang Erfolg.
I.
- 2
- Der wiederholt, unter anderem wegen Mordes und gefährlicher Körperverletzung vorbestrafte Betroffene war durch Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 28. September 1989 wegen vorsätzlichen Vollrausches zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt worden. Zugleich hatte das Landgericht seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB angeordnet. Der Verurteilte hatte nach Ansicht der damals erkennenden Strafkammer in einem Rausch jedenfalls die Tatbestände der Körperverletzung und des versuchten Totschlags durch Unterlassen verwirklicht. Die Anordnung der Maßregel hatte das Landgericht damit begründet, dass der Verurteilte auf Grund einer Persönlichkeitsstörung zur Begehung schwerster , sexuell motivierter Straftaten neige.
- 3
- Durch Urteil des Landgerichts Trier vom 28. Februar 1991 wurde in einem Sicherungsverfahren erneut die Unterbringung des Verurteilten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet (§ 63 StGB). Gegenstand dieses Verfahrens war eine gefährliche Körperverletzung, die der Verurteilte am 23. Februar 1990 während einer Flucht aus dem Maßregelvollzug begangen hatte.
- 4
- Der Verurteilte befand sich anschließend nahezu ununterbrochen im Maßregelvollzug. Mit Beschluss vom 28. November 2005 erklärte die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Saarbrücken gemäß § 67 d Abs. 6 Satz 1 StGB beide Unterbringungsanordnungen für erledigt, da ein Zustand im Sinne des § 20 StGB nicht (mehr) gegeben sei; gleichwohl sei der Verurteilte weiterhin als gefährlich für die Allgemeinheit einzustufen. Seit dem 23. Dezember 2005 befand sich der Verurteilte sodann in Strafhaft. Er verbüßte bis zum 22. Juni 2007 die Restfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten aus dem Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 28. September 1989. Seitdem ist er einstweilen untergebracht (§ 275 a Abs. 5 StPO).
- 5
- Mit Urteil vom 4. April 2007 hatte das Landgericht Saarbrücken auf Antrag der Staatsanwaltschaft vom 14. November 2006 im Hinblick auf die Verurteilung durch das Landgericht Saarbrücken vom 28. September 1989 gegen den Betroffenen gemäß § 66 b Abs. 3 StGB nachträglich die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Dieses Urteil hatte der Senat durch Beschluss vom 10. Februar 2009 aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer zurückverwiesen. Aufhebungsgrund war, dass der Große Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofs mit Beschluss vom 7. Oktober 2008 - GSSt 1/08 - (BGHSt 52, 379) entschieden hatte, dass § 66 b Abs. 3 StGB nicht auf Fälle anwendbar ist, in denen der Betroffene nach Erklärung der Erledigung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 67 d Abs. 6 StGB) noch Freiheitsstrafe zu verbüßen hat, auf die zugleich mit der Unterbringung erkannt worden ist.
- 6
- Mit der angefochtenen Entscheidung hat das Landgericht erneut die nachträgliche Unterbringung des Betroffenen in der Sicherungsverwahrung angeordnet und nunmehr die Anordnung der Unterbringung auf das Urteil des Landgerichts Trier vom 28. Februar 1991 gestützt, in der gegen den Betroffenen - weil schuldlos handelnd - nur auf die Unterbringung nach § 63 StGB erkannt worden war.
II.
- 7
- Die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung hat keinen Bestand. Zwar hat das Landgericht die Voraussetzungen des § 66 b Abs. 3 StGB rechtsfehlerfrei bejaht, jedoch ist diese Bestimmung gemäß § 2 Abs. 6 StGB i.V.m. Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK nicht auf Taten anwendbar, die vor ihrem Inkrafttreten begangen worden sind.
- 8
- 1. a) Nach dem Urteil der Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (Fünfte Sektion) in der Rechtsache M. gegen Bundesrepublik Deutschland (Individualbeschwerde Nr. 19359/04) vom 17. Dezember 2009 (EuGRZ 2010, 25; auszugsweise auch abgedruckt in NStZ 2010, 263; vgl. hierzu auch Kinzig NStZ 2010, 233) ist die Sicherungsverwahrung - ungeachtet ihrer Bezeichnung im deutschen Recht als „Maßregel der Besserung und Sicherung“ - im Sinne der MRK als Strafe zu qualifizieren, für die das Rückwirkungsverbot des Art. 7 Abs. 1 MRK gilt (Rdnrn. 124 - 133). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat dies unter anderem damit begründet, dass die Sicherungsverwahrung wie eine Freiheitsstrafe mit Freiheitsentziehung verbunden sei und es in der Bundesrepublik Deutschland keine wesentlichen Unterschiede zwischen dem Vollzug einer Freiheitsstrafe und dem der Sicherungsverwahrung gebe (Rdnrn. 127 bis 130). Er hat daher in jenem Fall die Bundesrepublik Deutschland zur Zahlung von Schadensersatz an den dortigen Beschwerdeführer verurteilt, da die Anwendung des § 67 d StGB in der Fassung vom 26. Januar 1998 (BGBl. I 160), in welchem die Höchstfrist der Sicherungsverwahrung für Erstverwahrte von zehn Jahren in § 67 d Abs. 1 Satz 1 StGB a.F. abgeschafft worden war, auf Altfälle gegen Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK verstoße (Rdnrn. 135 ff.). Diese Entscheidung ist endgültig, nachdem der Antrag der Bundesregierung auf Verweisung der Rechtsache an die Große Kammer am 10. Mai 2010 abgelehnt worden ist (Artt. 43 Abs. 2, 44 Abs. 2 Buchst. c MRK).
- 9
- b) Nach Maßgabe dieses Urteils verstößt im vorliegenden Fall die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung gegen Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK, da das Tatzeitrecht für die Anlasstat nicht die Anordnung von Sicherungsverwahrung androhte.
- 10
- Der Betroffene hat die Tat, die der Verurteilung durch das Landgericht Trier vom 28. Februar 1991 zugrunde liegt, am 23. Februar 1990 begangen. Nach der rechtlichen Würdigung des Landgerichts handelte er bei ihrer Begehung nicht ausschließbar im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB). Danach kam bereits aus diesem Grund eine Anordnung der Sicherungsverwahrung nicht in Betracht. Denn § 66 Abs. 1 StGB, sowohl in der zum Tatzeitpunkt gültigen Fassung vom 10. März 1987 (BGBl. I 945) als auch in allen späteren Fassungen, setzte und setzt als Anlasstat die Begehung einer vorsätzlichen, d.h. schuldhaft begangenen, Tat voraus, für die zudem auf eine Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren erkannt worden sein muss.
- 11
- Im Übrigen wären aber auch bei schuldhafter Tatbegehung die formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht erfüllt gewesen, weil der Betroffene vor der (neuen) Tat nicht im Sinne dieser Bestimmung bereits zweimal wegen vorsätzlicher Straftaten jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist. Zwar war er - neben der Verurteilung durch das Landgericht Saarbrücken vom 28. September 1989 - weiterhin durch Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 9. Mai 1980 wegen einer am 30. Juli 1979 begangenen gefährlichen Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt worden. Diese Tat wäre indes nach § 66 Abs. 3 Satz 3 und 4 StGB a.F. (= § 66 Abs. 4 Satz 3 und 4 StGB in der jetzt geltenden Fassung ) nicht berücksichtigungsfähig gewesen, da der Betroffene nach Verbüßung der damals erkannten Freiheitsstrafe für einen Zeitraum von mehr als fünf Jahren nicht wieder straffällig geworden war.
- 12
- Erstmals § 66 b Abs. 3 StGB, auf den das Landgericht die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung des Betroffenen gestützt hat, ermöglichte hier die Unterbringung des Betroffenen in der Sicherungsverwahrung. Diese Bestimmung ist jedoch erst nach Begehung der Anlasstat durch Gesetz vom 23. Juli 2004 (BGBl. I 1838) eingeführt worden und am 29. Juli 2004 in Kraft getreten. Ihrer Anwendung auf Altfälle steht nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. Dezember 2009 daher Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK entgegen.
- 13
- c) Dass gegen den Betroffenen - anders als in dem vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entschiedenen Fall - bereits mit der Anlassverurteilung auf eine von vorneherein zeitlich nicht befristete Maßregel (vgl. § 67 d Abs. 1 Satz 1 StGB in der auch zum Tatzeitpunkt geltenden Fassung) erkannt worden war, führt zu keiner anderen rechtlichen Bewertung (anders OLG Saarbrücken , Beschluss vom 7. April 2010 - 1 Ws 73/10). Insoweit ist zu berücksichtigen , dass schon vor Einführung des § 67 d Abs. 6 Satz 1 StGB nach der Rechtsprechung der Vollstreckungsgerichte die Erledigung der Maßregel bei Wegfall einer ihrer Voraussetzungen auch dann zu beschließen war, wenn die Gefährlichkeit des Untergebrachten fortbestand (vgl. OLG Hamm NStZ 1982, 300; OLG Karlsruhe MDR 1983, 151; OLG Frankfurt NStZ 1993, 252 sowie hierzu auch BVerfG NStZ 1995, 174, 175). Diese Rechtsprechung hat der Gesetzgeber in § 67 d Abs. 6 StGB lediglich festschreiben wollen (vgl. BT-Drucks. 15/2887 S. 13 f.). Nach dem zum Zeitpunkt der Tat maßgeblichen Recht hätte somit die angeordnete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus für erledigt erklärt werden und der Betroffene in Freiheit entlassen werden müssen, ohne dass an ihre Stelle die Sicherungsverwahrung treten konnte.
- 14
- d) Die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sind - ungeachtet ihrer auf den Einzelfall beschränkten Bindungswirkung (vgl. Art. 46 Abs. 1 MRK sowie hierzu Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. MRK Verfahren Rdnr. 76) - bei der Auslegung innerdeutschen Rechts zu berücksichtigen. Die Vorschrift des § 2 Abs. 6 StGB ist daher mit Blick auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. Dezember 2009 dahin auszulegen, dass § 66 b Abs. 3 StGB nicht rückwirkend auf vor seinem Inkrafttreten begangene Taten angewendet werden darf.
- 15
- Zwar handelt es sich bei der Sicherungsverwahrung nach innerdeutschem Recht um eine Maßregel der Besserung und Sicherung, für die nach § 2 Abs. 6 StGB grundsätzlich das Recht zum Zeitpunkt der Entscheidung gilt. § 2 Abs. 6 StGB schreibt die Maßgeblichkeit des zum Entscheidungszeitpunkt geltenden Rechts jedoch nur vor, „wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist“. Eine derartige andere Bestimmung stellt hier Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK in seiner Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschrechte dar.
- 16
- Bei der MRK handelt es sich um einen völkerrechtlichen Vertrag, der durch den Bundesgesetzgeber in das deutsche Recht transformiert worden ist. Innerhalb der deutschen Rechtsordnung steht die MRK im Range einfachen Bundesrechts. Deutsche Gerichte haben daher die Konvention wie anderes Gesetzesrecht des Bundes im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung zu beachten und anzuwenden (BVerfGE 111, 307, 316 ff.; BVerfG EuGRZ 2010, 145, 147; Gollwitzer aaO Einführung Rdnrn. 39, 43 jeweils m.w.N.). Dabei sind auch die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu berücksichtigen, weil sich in ihnen der aktuelle Entwicklungsstand der Konvention widerspiegelt. Das nationale Recht ist wegen des Grundsatzes der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes unabhängig vom Zeitpunkt seines Inkrafttretens nach Möglichkeit im Einklang mit den Bestimmungen der MRK auszulegen (BVerfGE 111, 307, 324; Gollwitzer aaO).
- 17
- Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist bei konventionsgemäßer Auslegung des § 2 Abs. 6 StGB die Regelung des Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK als (einfach -) gesetzliche Ausnahmeregelung zu bewerten, die für die Anordnung der Sicherungsverwahrung die Maßgeblichkeit des Tatzeitrechts vorsieht. Nach dem zur Tatzeit geltenden Recht war jedoch - wie bereits ausgeführt - die Anordnung der Sicherungsverwahrung gegen den Betroffenen unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt möglich.
- 18
- 2. Der hier vorgenommenen Auslegung des § 2 Abs. 6 StGB steht nicht die Bindungswirkung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Februar 2004 (BVerfGE 109, 133) zur Frage der Verfassungsmäßigkeit des Wegfalls der Höchstdauer der erstmaligen Sicherungsverwahrung entgegen. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht in jener Entscheidung ausgesprochen, dass die Sicherungsverwahrung keine Strafe darstellt und eine nachträgliche Änderung ihrer Höchstdauer nicht gegen das absolute Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG verstößt (BVerfGE 109, 133, 167 ff.). Bei der Frage, ob entsprechend dem Gesetzesvorbehalt in § 2 Abs. 6 StGB eine Maßregel der Besserung und Sicherung von der Maßgeblichkeit des Rechts des Zeitpunkts der Entscheidung auszunehmen ist, handelt es sich indes um eine solche einfachen Rechts. Dem Gesetzgeber steht es im Rahmen des ihm eingeräumten Ermessens frei, für einzelne Maßregeln der Besserung und Sicherung in Abweichung von dem Grundsatz des § 2 Abs. 6 StGB die Geltung des Tatzeitrechts anzuordnen; er hat hiervon in der Vergangenheit wiederholt Gebrauch gemacht (vgl. die Nachweise bei Fischer StGB 57. Aufl. § 2 Rdnr. 15 und speziell Art. 93 des 1. StrRG). Ebenso kann dies Folge der gebotenen Berücksichtigung einer ebenfalls im Range einfachen Bundesrechts stehenden Bestimmung der MRK sein. Der Rechtssatz des Bundesverfassungsgerichts, dass nach deutschem Verfassungsrecht die Sicherungsverwahrung nicht dem Rückwirkungsverbot unterfällt, wird dadurch nicht in Frage gestellt. Einfaches Recht hat zwar die Vorgaben des Grundgesetzes zu wahren, es kann aber im Einzelfall über die dort festgelegten Mindestanforderungen hinausgehen.
- 19
- 3. Rechtsprechung anderer Senate des Bundesgerichtshofs steht der getroffenen Entscheidung nicht entgegen. Die Frage, ob § 2 Abs. 6 StGB i.V.m. Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK einer Anwendung des § 66 b Abs. 3 StGB auf Altfälle entgegensteht, ist - soweit ersichtlich - vom Bundesgerichtshof noch nicht entschieden worden. Der 1. Strafsenat hat in seinem Beschluss vom 14. Januar 2010 - 1 StR 595/09 [zu § 66 b Abs. 2 StGB] mögliche Auswirkungen des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. Dezember 2009 auf den zu entscheidenden Fall offen gelassen und dies mit der fehlenden Endgültigkeit der Entscheidung begründet. Soweit der 1. Strafsenat in seinem Urteil vom 9. März 2010 - 1 StR 554/09 die Auffassung vertreten hat, dass die Ausführungen in der - damals ebenfalls noch nicht endgültigen - Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 7 Abs. 2 Nr. 1 JGG auf einen Altfall nicht entgegenstehen, hat er dies mit hier nicht einschlägigen Besonderheiten des Jugendstrafrechts begründet. Im Übrigen ist, nachdem das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte am 10. Mai 2010 gemäß Art. 43 Abs. 2, Art. 44 Abs. 2 Buchst. c MRK endgültig gewor- den ist, eine neue Rechtslage gegeben, die eine etwaige Bindung an frühere entgegenstehende Rechtsprechung entfallen lassen würde (vgl. hierzu Hannich in KK 6. Aufl. § 132 GVG Rdnr. 8).
- 20
- 4. Die Maßregelanordnung war daher aufzuheben; gleichzeitig war in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO der Antrag der Staatsanwaltschaft zurückzuweisen und der Betroffene sofort auf freien Fuß zu setzen.
- 21
- Die Entscheidung über die Entschädigung des Betroffenen wegen der seit Ende der Strafhaft erlittenen Strafverfolgungsmaßnahmen bleibt wegen der größeren Sachnähe dem Landgericht vorbehalten.
Strafprozeßordnung - StPO | § 275a Einleitung des Verfahrens; Hauptverhandlung; Unterbringungsbefehl
(1) Ist im Urteil die Anordnung der Sicherungsverwahrung vorbehalten (§ 66a des Strafgesetzbuches), übersendet die Vollstreckungsbehörde die Akten rechtzeitig an die Staatsanwaltschaft des zuständigen Gerichts. Diese übergibt die Akten so rechtzeitig dem Vorsitzenden des Gerichts, dass eine Entscheidung bis zu dem in Absatz 5 genannten Zeitpunkt ergehen kann. Ist die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 67d Absatz 6 Satz 1 des Strafgesetzbuches für erledigt erklärt worden, übersendet die Vollstreckungsbehörde die Akten unverzüglich an die Staatsanwaltschaft des Gerichts, das für eine nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung (§ 66b des Strafgesetzbuches) zuständig ist. Beabsichtigt diese, eine nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung zu beantragen, teilt sie dies der betroffenen Person mit. Die Staatsanwaltschaft soll den Antrag auf nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung unverzüglich stellen und ihn zusammen mit den Akten dem Vorsitzenden des Gerichts übergeben.
(2) Für die Vorbereitung und die Durchführung der Hauptverhandlung gelten die §§ 213 bis 275 entsprechend, soweit nachfolgend nichts anderes geregelt ist.
(3) Nachdem die Hauptverhandlung nach Maßgabe des § 243 Abs. 1 begonnen hat, hält ein Berichterstatter in Abwesenheit der Zeugen einen Vortrag über die Ergebnisse des bisherigen Verfahrens. Der Vorsitzende verliest das frühere Urteil, soweit es für die Entscheidung über die vorbehaltene oder die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung von Bedeutung ist. Sodann erfolgt die Vernehmung des Verurteilten und die Beweisaufnahme.
(4) Das Gericht holt vor der Entscheidung das Gutachten eines Sachverständigen ein. Ist über die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung zu entscheiden, müssen die Gutachten von zwei Sachverständigen eingeholt werden. Die Gutachter dürfen im Rahmen des Strafvollzugs oder des Vollzugs der Unterbringung nicht mit der Behandlung des Verurteilten befasst gewesen sein.
(5) Das Gericht soll über die vorbehaltene Anordnung der Sicherungsverwahrung spätestens sechs Monate vor der vollständigen Vollstreckung der Freiheitsstrafe entscheiden.
(6) Sind dringende Gründe für die Annahme vorhanden, dass die nachträgliche Sicherungsverwahrung angeordnet wird, so kann das Gericht bis zur Rechtskraft des Urteils einen Unterbringungsbefehl erlassen. Für den Erlass des Unterbringungsbefehls ist das für die Entscheidung nach § 67d Absatz 6 des Strafgesetzbuches zuständige Gericht so lange zuständig, bis der Antrag auf Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung bei dem für diese Entscheidung zuständigen Gericht eingeht. In den Fällen des § 66a des Strafgesetzbuches kann das Gericht bis zur Rechtskraft des Urteils einen Unterbringungsbefehl erlassen, wenn es im ersten Rechtszug bis zu dem in § 66a Absatz 3 Satz 1 des Strafgesetzbuches bestimmten Zeitpunkt die vorbehaltene Sicherungsverwahrung angeordnet hat. Die §§ 114 bis 115a, 117 bis 119a und 126a Abs. 3 gelten entsprechend.
(1) Die Strafe und ihre Nebenfolgen bestimmen sich nach dem Gesetz, das zur Zeit der Tat gilt.
(2) Wird die Strafdrohung während der Begehung der Tat geändert, so ist das Gesetz anzuwenden, das bei Beendigung der Tat gilt.
(3) Wird das Gesetz, das bei Beendigung der Tat gilt, vor der Entscheidung geändert, so ist das mildeste Gesetz anzuwenden.
(4) Ein Gesetz, das nur für eine bestimmte Zeit gelten soll, ist auf Taten, die während seiner Geltung begangen sind, auch dann anzuwenden, wenn es außer Kraft getreten ist. Dies gilt nicht, soweit ein Gesetz etwas anderes bestimmt.
(5) Für Einziehung und Unbrauchbarmachung gelten die Absätze 1 bis 4 entsprechend.
(6) Über Maßregeln der Besserung und Sicherung ist, wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nach dem Gesetz zu entscheiden, das zur Zeit der Entscheidung gilt.
(1) Die Vorschriften über die Sicherungsverwahrung in der Fassung des Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom 22. Dezember 2010 (BGBl. I S. 2300) sind nur anzuwenden, wenn die Tat oder mindestens eine der Taten, wegen deren Begehung die Sicherungsverwahrung angeordnet oder vorbehalten werden soll, nach dem 31. Dezember 2010 begangen worden ist. In allen anderen Fällen ist das bisherige Recht anzuwenden, soweit in den Absätzen 2 und 3 sowie in Artikel 316f Absatz 2 und 3 nichts anderes bestimmt ist.
(2) Sind die Taten, wegen deren Begehung die Sicherungsverwahrung nach § 66 des Strafgesetzbuches angeordnet werden soll, vor dem 1. Januar 2011 begangen worden und ist der Täter deswegen noch nicht rechtskräftig verurteilt worden, so ist § 66 des Strafgesetzbuches in der seit dem 1. Januar 2011 geltenden Fassung anzuwenden, wenn diese gegenüber dem bisherigen Recht das mildere Gesetz ist.
(3) Eine nach § 66 des Strafgesetzbuches vor dem 1. Januar 2011 rechtskräftig angeordnete Sicherungsverwahrung erklärt das Gericht für erledigt, wenn die Anordnung ausschließlich auf Taten beruht, die nach § 66 des Strafgesetzbuches in der seit dem 1. Januar 2011 geltenden Fassung nicht mehr Grundlage für eine solche Anordnung sein können. Das Gericht kann, soweit dies zur Durchführung von Entlassungsvorbereitungen geboten ist, als Zeitpunkt der Erledigung spätestens den 1. Juli 2011 festlegen. Zuständig für die Entscheidungen nach den Sätzen 1 und 2 ist das nach den §§ 454, 462a Absatz 1 der Strafprozessordnung zuständige Gericht. Für das Verfahren ist § 454 Absatz 1, 3 und 4 der Strafprozessordnung entsprechend anzuwenden; die Vollstreckungsbehörde übersendet die Akten unverzüglich an die Staatsanwaltschaft des zuständigen Gerichtes, die diese umgehend dem Gericht zur Entscheidung übergibt. Mit der Entlassung aus dem Vollzug tritt Führungsaufsicht ein.
(4) § 1 des Therapieunterbringungsgesetzes vom 22. Dezember 2010 (BGBl. I S. 2300, 2305) ist unter den dortigen sonstigen Voraussetzungen auch dann anzuwenden, wenn der Betroffene noch nicht in Sicherungsverwahrung untergebracht, gegen ihn aber bereits Sicherungsverwahrung im ersten Rechtszug angeordnet war und aufgrund einer vor dem 4. Mai 2011 ergangenen Revisionsentscheidung festgestellt wurde, dass die Sicherungsverwahrung ausschließlich deshalb nicht rechtskräftig angeordnet werden konnte, weil ein zu berücksichtigendes Verbot rückwirkender Verschärfungen im Recht der Sicherungsverwahrung dem entgegenstand, ohne dass es dabei auf den Grad der Gefährlichkeit des Betroffenen für die Allgemeinheit angekommen wäre.
Strafgesetzbuch - StGB | § 66b Nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung
Ist die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 67d Abs. 6 für erledigt erklärt worden, weil der die Schuldfähigkeit ausschließende oder vermindernde Zustand, auf dem die Unterbringung beruhte, im Zeitpunkt der Erledigungsentscheidung nicht bestanden hat, so kann das Gericht die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nachträglich anordnen, wenn
- 1.
die Unterbringung des Betroffenen nach § 63 wegen mehrerer der in § 66 Abs. 3 Satz 1 genannten Taten angeordnet wurde oder wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer solcher Taten, die er vor der zur Unterbringung nach § 63 führenden Tat begangen hat, schon einmal zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt oder in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht worden war und - 2.
die Gesamtwürdigung des Betroffenen, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.
Strafprozeßordnung - StPO | § 275a Einleitung des Verfahrens; Hauptverhandlung; Unterbringungsbefehl
(1) Ist im Urteil die Anordnung der Sicherungsverwahrung vorbehalten (§ 66a des Strafgesetzbuches), übersendet die Vollstreckungsbehörde die Akten rechtzeitig an die Staatsanwaltschaft des zuständigen Gerichts. Diese übergibt die Akten so rechtzeitig dem Vorsitzenden des Gerichts, dass eine Entscheidung bis zu dem in Absatz 5 genannten Zeitpunkt ergehen kann. Ist die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 67d Absatz 6 Satz 1 des Strafgesetzbuches für erledigt erklärt worden, übersendet die Vollstreckungsbehörde die Akten unverzüglich an die Staatsanwaltschaft des Gerichts, das für eine nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung (§ 66b des Strafgesetzbuches) zuständig ist. Beabsichtigt diese, eine nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung zu beantragen, teilt sie dies der betroffenen Person mit. Die Staatsanwaltschaft soll den Antrag auf nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung unverzüglich stellen und ihn zusammen mit den Akten dem Vorsitzenden des Gerichts übergeben.
(2) Für die Vorbereitung und die Durchführung der Hauptverhandlung gelten die §§ 213 bis 275 entsprechend, soweit nachfolgend nichts anderes geregelt ist.
(3) Nachdem die Hauptverhandlung nach Maßgabe des § 243 Abs. 1 begonnen hat, hält ein Berichterstatter in Abwesenheit der Zeugen einen Vortrag über die Ergebnisse des bisherigen Verfahrens. Der Vorsitzende verliest das frühere Urteil, soweit es für die Entscheidung über die vorbehaltene oder die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung von Bedeutung ist. Sodann erfolgt die Vernehmung des Verurteilten und die Beweisaufnahme.
(4) Das Gericht holt vor der Entscheidung das Gutachten eines Sachverständigen ein. Ist über die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung zu entscheiden, müssen die Gutachten von zwei Sachverständigen eingeholt werden. Die Gutachter dürfen im Rahmen des Strafvollzugs oder des Vollzugs der Unterbringung nicht mit der Behandlung des Verurteilten befasst gewesen sein.
(5) Das Gericht soll über die vorbehaltene Anordnung der Sicherungsverwahrung spätestens sechs Monate vor der vollständigen Vollstreckung der Freiheitsstrafe entscheiden.
(6) Sind dringende Gründe für die Annahme vorhanden, dass die nachträgliche Sicherungsverwahrung angeordnet wird, so kann das Gericht bis zur Rechtskraft des Urteils einen Unterbringungsbefehl erlassen. Für den Erlass des Unterbringungsbefehls ist das für die Entscheidung nach § 67d Absatz 6 des Strafgesetzbuches zuständige Gericht so lange zuständig, bis der Antrag auf Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung bei dem für diese Entscheidung zuständigen Gericht eingeht. In den Fällen des § 66a des Strafgesetzbuches kann das Gericht bis zur Rechtskraft des Urteils einen Unterbringungsbefehl erlassen, wenn es im ersten Rechtszug bis zu dem in § 66a Absatz 3 Satz 1 des Strafgesetzbuches bestimmten Zeitpunkt die vorbehaltene Sicherungsverwahrung angeordnet hat. Die §§ 114 bis 115a, 117 bis 119a und 126a Abs. 3 gelten entsprechend.
(1) Sind dringende Gründe für die Annahme vorhanden, daß die Fahrerlaubnis entzogen werden wird (§ 69 des Strafgesetzbuches), so kann der Richter dem Beschuldigten durch Beschluß die Fahrerlaubnis vorläufig entziehen. Von der vorläufigen Entziehung können bestimmte Arten von Kraftfahrzeugen ausgenommen werden, wenn besondere Umstände die Annahme rechtfertigen, daß der Zweck der Maßnahme dadurch nicht gefährdet wird.
(2) Die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis ist aufzuheben, wenn ihr Grund weggefallen ist oder wenn das Gericht im Urteil die Fahrerlaubnis nicht entzieht.
(3) Die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis wirkt zugleich als Anordnung oder Bestätigung der Beschlagnahme des von einer deutschen Behörde ausgestellten Führerscheins. Dies gilt auch, wenn der Führerschein von einer Behörde eines Mitgliedstaates der Europäischen Union oder eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum ausgestellt worden ist, sofern der Inhaber seinen ordentlichen Wohnsitz im Inland hat.
(4) Ist ein Führerschein beschlagnahmt, weil er nach § 69 Abs. 3 Satz 2 des Strafgesetzbuches eingezogen werden kann, und bedarf es einer richterlichen Entscheidung über die Beschlagnahme, so tritt an deren Stelle die Entscheidung über die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis.
(5) Ein Führerschein, der in Verwahrung genommen, sichergestellt oder beschlagnahmt ist, weil er nach § 69 Abs. 3 Satz 2 des Strafgesetzbuches eingezogen werden kann, ist dem Beschuldigten zurückzugeben, wenn der Richter die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Fehlens der in Absatz 1 bezeichneten Voraussetzungen ablehnt, wenn er sie aufhebt oder wenn das Gericht im Urteil die Fahrerlaubnis nicht entzieht. Wird jedoch im Urteil ein Fahrverbot nach § 44 des Strafgesetzbuches verhängt, so kann die Rückgabe des Führerscheins aufgeschoben werden, wenn der Beschuldigte nicht widerspricht.
(6) In anderen als in Absatz 3 Satz 2 genannten ausländischen Führerscheinen ist die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis zu vermerken. Bis zur Eintragung dieses Vermerkes kann der Führerschein beschlagnahmt werden (§ 94 Abs. 3, § 98).
(1) Die Untersuchungshaft darf gegen den Beschuldigten angeordnet werden, wenn er der Tat dringend verdächtig ist und ein Haftgrund besteht. Sie darf nicht angeordnet werden, wenn sie zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung außer Verhältnis steht.
(2) Ein Haftgrund besteht, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen
- 1.
festgestellt wird, daß der Beschuldigte flüchtig ist oder sich verborgen hält, - 2.
bei Würdigung der Umstände des Einzelfalles die Gefahr besteht, daß der Beschuldigte sich dem Strafverfahren entziehen werde (Fluchtgefahr), oder - 3.
das Verhalten des Beschuldigten den dringenden Verdacht begründet, er werde - a)
Beweismittel vernichten, verändern, beiseite schaffen, unterdrücken oder fälschen oder - b)
auf Mitbeschuldigte, Zeugen oder Sachverständige in unlauterer Weise einwirken oder - c)
andere zu solchem Verhalten veranlassen,
und wenn deshalb die Gefahr droht, daß die Ermittlung der Wahrheit erschwert werde (Verdunkelungsgefahr).
(3) Gegen den Beschuldigten, der einer Straftat nach § 6 Absatz 1 Nummer 1 oder § 13 Absatz 1 des Völkerstrafgesetzbuches oder § 129a Abs. 1 oder Abs. 2, auch in Verbindung mit § 129b Abs. 1, oder nach den §§ 176c, 176d, 211, 212, 226, 306b oder 306c des Strafgesetzbuches oder, soweit durch die Tat Leib oder Leben eines anderen gefährdet worden ist, nach § 308 Abs. 1 bis 3 des Strafgesetzbuches dringend verdächtig ist, darf die Untersuchungshaft auch angeordnet werden, wenn ein Haftgrund nach Absatz 2 nicht besteht.
(1) Sind dringende Gründe für die Annahme vorhanden, daß jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit oder verminderten Schuldfähigkeit (§§ 20, 21 des Strafgesetzbuches) begangen hat und daß seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt angeordnet werden wird, so kann das Gericht durch Unterbringungsbefehl die einstweilige Unterbringung in einer dieser Anstalten anordnen, wenn die öffentliche Sicherheit es erfordert.
(2) Für die einstweilige Unterbringung gelten die §§ 114 bis 115a, 116 Abs. 3 und 4, §§ 117 bis 119a, 123, 125 und 126 entsprechend. Die §§ 121, 122 gelten entsprechend mit der Maßgabe, dass das Oberlandesgericht prüft, ob die Voraussetzungen der einstweiligen Unterbringung weiterhin vorliegen.
(3) Der Unterbringungsbefehl ist aufzuheben, wenn die Voraussetzungen der einstweiligen Unterbringung nicht mehr vorliegen oder wenn das Gericht im Urteil die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt nicht anordnet. Durch die Einlegung eines Rechtsmittels darf die Freilassung nicht aufgehalten werden. § 120 Abs. 3 gilt entsprechend.
(4) Hat der Untergebrachte einen gesetzlichen Vertreter oder einen Bevollmächtigten im Sinne des § 1831 Absatz 5 und des § 1820 Absatz 2 Nummer 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches, so sind Entscheidungen nach Absatz 1 bis 3 auch diesem bekannt zu geben.
(1) Sind dringende Gründe für die Annahme vorhanden, daß ein Berufsverbot angeordnet werden wird (§ 70 des Strafgesetzbuches), so kann der Richter dem Beschuldigten durch Beschluß die Ausübung des Berufs, Berufszweiges, Gewerbes oder Gewerbezweiges vorläufig verbieten. § 70 Abs. 3 des Strafgesetzbuches gilt entsprechend.
(2) Das vorläufige Berufsverbot ist aufzuheben, wenn sein Grund weggefallen ist oder wenn das Gericht im Urteil das Berufsverbot nicht anordnet.
Strafgesetzbuch - StGB | § 66b Nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung
Ist die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 67d Abs. 6 für erledigt erklärt worden, weil der die Schuldfähigkeit ausschließende oder vermindernde Zustand, auf dem die Unterbringung beruhte, im Zeitpunkt der Erledigungsentscheidung nicht bestanden hat, so kann das Gericht die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nachträglich anordnen, wenn
- 1.
die Unterbringung des Betroffenen nach § 63 wegen mehrerer der in § 66 Abs. 3 Satz 1 genannten Taten angeordnet wurde oder wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer solcher Taten, die er vor der zur Unterbringung nach § 63 führenden Tat begangen hat, schon einmal zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt oder in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht worden war und - 2.
die Gesamtwürdigung des Betroffenen, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.
(1) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn
- 1.
der Täter oder ein anderer Beteiligter am Raub - a)
eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt, - b)
sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden, - c)
eine andere Person durch die Tat in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt oder
- 2.
der Täter den Raub als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Raub oder Diebstahl verbunden hat, unter Mitwirkung eines anderen Bandenmitglieds begeht.
(2) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter oder ein anderer Beteiligter am Raub
- 1.
bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet, - 2.
in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 eine Waffe bei sich führt oder - 3.
eine andere Person - a)
bei der Tat körperlich schwer mißhandelt oder - b)
durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.
(3) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.
Wer, bei einem Diebstahl auf frischer Tat betroffen, gegen eine Person Gewalt verübt oder Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben anwendet, um sich im Besitz des gestohlenen Gutes zu erhalten, ist gleich einem Räuber zu bestrafen.
Wird die Erpressung durch Gewalt gegen eine Person oder unter Anwendung von Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben begangen, so ist der Täter gleich einem Räuber zu bestrafen.
(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn
- 1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die - a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet, - b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder - c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
- 2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, - 3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und - 4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.
(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.
(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.
Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.
(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn
- 1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die - a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet, - b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder - c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
- 2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, - 3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und - 4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.
(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.
(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.
Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.
Strafgesetzbuch - StGB | § 66b Nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung
Ist die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 67d Abs. 6 für erledigt erklärt worden, weil der die Schuldfähigkeit ausschließende oder vermindernde Zustand, auf dem die Unterbringung beruhte, im Zeitpunkt der Erledigungsentscheidung nicht bestanden hat, so kann das Gericht die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nachträglich anordnen, wenn
- 1.
die Unterbringung des Betroffenen nach § 63 wegen mehrerer der in § 66 Abs. 3 Satz 1 genannten Taten angeordnet wurde oder wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer solcher Taten, die er vor der zur Unterbringung nach § 63 führenden Tat begangen hat, schon einmal zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt oder in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht worden war und - 2.
die Gesamtwürdigung des Betroffenen, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.
(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn
- 1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die - a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet, - b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder - c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
- 2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, - 3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und - 4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.
(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.
(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.
Strafgesetzbuch - StGB | § 66b Nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung
Ist die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 67d Abs. 6 für erledigt erklärt worden, weil der die Schuldfähigkeit ausschließende oder vermindernde Zustand, auf dem die Unterbringung beruhte, im Zeitpunkt der Erledigungsentscheidung nicht bestanden hat, so kann das Gericht die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nachträglich anordnen, wenn
- 1.
die Unterbringung des Betroffenen nach § 63 wegen mehrerer der in § 66 Abs. 3 Satz 1 genannten Taten angeordnet wurde oder wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer solcher Taten, die er vor der zur Unterbringung nach § 63 führenden Tat begangen hat, schon einmal zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt oder in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht worden war und - 2.
die Gesamtwürdigung des Betroffenen, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.
(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn
- 1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die - a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet, - b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder - c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
- 2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, - 3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und - 4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.
(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.
(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.
(1) Ist eine der Einzelstrafen eine lebenslange Freiheitsstrafe, so wird als Gesamtstrafe auf lebenslange Freiheitsstrafe erkannt. In allen übrigen Fällen wird die Gesamtstrafe durch Erhöhung der verwirkten höchsten Strafe, bei Strafen verschiedener Art durch Erhöhung der ihrer Art nach schwersten Strafe gebildet. Dabei werden die Person des Täters und die einzelnen Straftaten zusammenfassend gewürdigt.
(2) Die Gesamtstrafe darf die Summe der Einzelstrafen nicht erreichen. Sie darf bei zeitigen Freiheitsstrafen fünfzehn Jahre und bei Geldstrafe siebenhundertzwanzig Tagessätze nicht übersteigen.
(3) Ist eine Gesamtstrafe aus Freiheits- und Geldstrafe zu bilden, so entspricht bei der Bestimmung der Summe der Einzelstrafen ein Tagessatz einem Tag Freiheitsstrafe.
(1) Die §§ 53 und 54 sind auch anzuwenden, wenn ein rechtskräftig Verurteilter, bevor die gegen ihn erkannte Strafe vollstreckt, verjährt oder erlassen ist, wegen einer anderen Straftat verurteilt wird, die er vor der früheren Verurteilung begangen hat. Als frühere Verurteilung gilt das Urteil in dem früheren Verfahren, in dem die zugrundeliegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten.
(2) Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßnahmen (§ 11 Abs. 1 Nr. 8), auf die in der früheren Entscheidung erkannt war, sind aufrechtzuerhalten, soweit sie nicht durch die neue Entscheidung gegenstandslos werden.
Strafgesetzbuch - StGB | § 66b Nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung
Ist die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 67d Abs. 6 für erledigt erklärt worden, weil der die Schuldfähigkeit ausschließende oder vermindernde Zustand, auf dem die Unterbringung beruhte, im Zeitpunkt der Erledigungsentscheidung nicht bestanden hat, so kann das Gericht die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nachträglich anordnen, wenn
- 1.
die Unterbringung des Betroffenen nach § 63 wegen mehrerer der in § 66 Abs. 3 Satz 1 genannten Taten angeordnet wurde oder wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer solcher Taten, die er vor der zur Unterbringung nach § 63 führenden Tat begangen hat, schon einmal zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt oder in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht worden war und - 2.
die Gesamtwürdigung des Betroffenen, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.
Strafprozeßordnung - StPO | § 275a Einleitung des Verfahrens; Hauptverhandlung; Unterbringungsbefehl
(1) Ist im Urteil die Anordnung der Sicherungsverwahrung vorbehalten (§ 66a des Strafgesetzbuches), übersendet die Vollstreckungsbehörde die Akten rechtzeitig an die Staatsanwaltschaft des zuständigen Gerichts. Diese übergibt die Akten so rechtzeitig dem Vorsitzenden des Gerichts, dass eine Entscheidung bis zu dem in Absatz 5 genannten Zeitpunkt ergehen kann. Ist die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 67d Absatz 6 Satz 1 des Strafgesetzbuches für erledigt erklärt worden, übersendet die Vollstreckungsbehörde die Akten unverzüglich an die Staatsanwaltschaft des Gerichts, das für eine nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung (§ 66b des Strafgesetzbuches) zuständig ist. Beabsichtigt diese, eine nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung zu beantragen, teilt sie dies der betroffenen Person mit. Die Staatsanwaltschaft soll den Antrag auf nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung unverzüglich stellen und ihn zusammen mit den Akten dem Vorsitzenden des Gerichts übergeben.
(2) Für die Vorbereitung und die Durchführung der Hauptverhandlung gelten die §§ 213 bis 275 entsprechend, soweit nachfolgend nichts anderes geregelt ist.
(3) Nachdem die Hauptverhandlung nach Maßgabe des § 243 Abs. 1 begonnen hat, hält ein Berichterstatter in Abwesenheit der Zeugen einen Vortrag über die Ergebnisse des bisherigen Verfahrens. Der Vorsitzende verliest das frühere Urteil, soweit es für die Entscheidung über die vorbehaltene oder die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung von Bedeutung ist. Sodann erfolgt die Vernehmung des Verurteilten und die Beweisaufnahme.
(4) Das Gericht holt vor der Entscheidung das Gutachten eines Sachverständigen ein. Ist über die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung zu entscheiden, müssen die Gutachten von zwei Sachverständigen eingeholt werden. Die Gutachter dürfen im Rahmen des Strafvollzugs oder des Vollzugs der Unterbringung nicht mit der Behandlung des Verurteilten befasst gewesen sein.
(5) Das Gericht soll über die vorbehaltene Anordnung der Sicherungsverwahrung spätestens sechs Monate vor der vollständigen Vollstreckung der Freiheitsstrafe entscheiden.
(6) Sind dringende Gründe für die Annahme vorhanden, dass die nachträgliche Sicherungsverwahrung angeordnet wird, so kann das Gericht bis zur Rechtskraft des Urteils einen Unterbringungsbefehl erlassen. Für den Erlass des Unterbringungsbefehls ist das für die Entscheidung nach § 67d Absatz 6 des Strafgesetzbuches zuständige Gericht so lange zuständig, bis der Antrag auf Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung bei dem für diese Entscheidung zuständigen Gericht eingeht. In den Fällen des § 66a des Strafgesetzbuches kann das Gericht bis zur Rechtskraft des Urteils einen Unterbringungsbefehl erlassen, wenn es im ersten Rechtszug bis zu dem in § 66a Absatz 3 Satz 1 des Strafgesetzbuches bestimmten Zeitpunkt die vorbehaltene Sicherungsverwahrung angeordnet hat. Die §§ 114 bis 115a, 117 bis 119a und 126a Abs. 3 gelten entsprechend.
BUNDESGERICHTSHOF
2. Der Unterbringungsbefehl des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 11. August 2008 wird aufgehoben. Der Verurteilte ist in dieser Sache unverzüglich auf freien Fuß zu setzen.
3. Die Kosten des Verfahrens einschließlich der Rechtsmittelkosten und die notwendigen Auslagen des Verurteilten fallen der Staatskasse zur Last.
4. Die Entscheidung über die Entschädigung des Verurteilten wegen der erlittenen Strafverfolgungsmaßnahmen bleibt dem Landgericht vorbehalten.
G r ü n d e
- 1
- Landgericht Das Frankfurt (Oder) hat mit Urteil vom 12. November 2009 gegen den Beschwerdeführer (erneut) die nachträgliche Unterbringung in der Sicherungsverwahrung gemäß § 66b Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit § 66 Abs. 2 StGB angeordnet. Hiergegen richtet sich die Revision des Verurteilten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts beanstandet. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
I.
- 2
- wiederholt, Der unter anderem wegen Sexualdelikten unterschiedlicher Art und Schwere auch gegen Kinder (vgl. Senatsbeschluss vom 25. März 2009 – 5 StR 21/09 – Tz. 6 bis 11, insoweit in BGHR StGB § 66b Abs. 1 Satz 2 Voraussetzungen 2 nicht abgedruckt) vorbestrafte Verurteilte war durch Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 7. April 1997 wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern und sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in acht Fällen sowie wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in 17 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt worden. Die Einzelstrafen für die Vergewaltigungsfälle betrugen jeweils vier Jahre und sechs Monate. Der Verurteilung lag zugrunde, dass der Beschwerdeführer in den Jahren 1992 und 1993 in Brandenburg wiederholt sexuelle Handlungen an seiner acht bzw. neun Jahre alten Stieftochter vorgenommen hatte. In 20 Fällen vollzog er – zumeist unter Mitwirkung seiner Ehefrau, die das Kind festhielt – den vaginalen Geschlechtsverkehr an dem Mädchen. Den in den ersten acht Fällen von der Geschädigten noch geleisteten Widerstand überwand er mit Gewalt.
- 3
- Urteil Das wurde am 6. Januar 1998 hinsichtlich des Schuld- und Strafausspruchs rechtskräftig, hinsichtlich der Frage der Anordnung einer Maßregel – zunächst war der Verurteilte im psychiatrischen Krankenhaus untergebracht worden, nach insoweit erfolgter Aufhebung durch den Bundesgerichtshof wurde eine Maßregel nicht erneut angeordnet – trat Rechtskraft am 8. Juli 1998 ein.
- 4
- Die Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jahren verbüßte der Verurteilte vollständig. Seit dem 15. August 2008 befindet er sich aufgrund Beschlusses des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 11. August 2008 im Vollzug der einstweiligen Unterbringung gemäß § 275a Abs. 5 StPO.
- 5
- Mit Urteil vom 2. Oktober 2008 hatte das Landgericht Frankfurt (Oder) auf Antrag der Staatsanwaltschaft vom 18. April 2008 gegen den Verurteilten gemäß § 66b Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit § 66 Abs. 2 StGB nachträglich die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Dieses Urteil hat der Senat durch Beschluss vom 25. März 2009 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Grund für die Aufhebung war, dass – bei rechtsfehlerfreier Bejahung der formellen Voraussetzungen des § 66b Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit § 66 Abs. 2 StGB – die Darlegungen des Landgerichts den gebotenen Anforderungen an die Gefährlichkeitsprognose nicht gerecht wurden.
- 6
- Mit der angefochtenen Entscheidung hat das Landgericht nunmehr erneut die nachträgliche Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung angeordnet.
II.
- 7
- Die Revision des Verurteilten führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückweisung des Antrags der Staatsanwaltschaft auf nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung.
- 8
- 1. Das Landgericht hat die sachlichen Voraussetzungen des § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB – im Ansatz rechtsfehlerfrei – bejaht. Nach dieser am 18. April 2007 in Kraft getretenen Bestimmung kann die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung auch dann nachträglich angeordnet werden, wenn die vom Verurteilten ausgehende Gefahr bereits im Zeitpunkt der Verurteilung erkennbar war, die Sicherungsverwahrung aber aus rechtlichen Gründen nicht verhängt werden konnte. Gegen den Verurteilten konnte aus rechtlichen Gründen bei der Verurteilung am 7. April 1997 nicht auf Sicherungsverwahrung erkannt werden. Die Vorschrift des § 66 StGB war damals auf – wie hier – im Beitrittsgebiet begangene Taten nicht anwendbar (Art. 1a Abs. 1 EGStGB a.F., eingefügt durch Anlage 1 Kapitel III Sachgebiet C Abschnitt II Nr. 1a des Einigungsvertrages, BGBl II 1990 S. 954).
- 9
- 2. § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB ist grundsätzlich auf Taten anwendbar, die vor seinem Inkrafttreten – mithin vor dem 18. April 2007 – begangen worden sind, und ausschließlich auf Straftaten, bei deren Aburteilung die Verhängung von Sicherungsverwahrung aus Rechtsgründen ausgeschlossen war. Die Sicherungsverwahrung rechnet zu den Maßregeln der Besserung und Sicherung (§ 61 Nr. 3 StGB), für die nach § 2 Abs. 6 StGB das zum Zeitpunkt der Entscheidung geltende Recht maßgebend ist. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 2 Abs. 6 StGB in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 MRK. Letzterer kann im Geltungsbereich von § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB nicht als abweichende gesetzliche Bestimmung gemäß § 2 Abs. 6 StGB angesehen werden.
- 10
- a) Die Europäische Menschenrechtskonvention wurde als völkerrechtlicher Vertrag durch den Bundesgesetzgeber in das deutsche Recht transformiert. Innerhalb der deutschen Rechtsordnung kommt den Regelungen der Konvention der Rang einfachen Bundesrechts zu. Die Europäische Menschenrechtskonvention ist bei der Interpretation des nationalen Rechts im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung zu beachten und anzuwenden (BVerfGE 111, 307, 317). Dabei sind die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte heranzuziehen, weil sie den aktuellen Entwicklungsstand der Konvention widerspiegeln (BVerfG aaO S. 319).
- 11
- b) Nach dem Urteil der Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (Fünfte Sektion) in der Rechtsache M. gegen Bundesrepublik Deutschland (Individualbeschwerde Nr. 19359/04) vom 17. Dezember 2009 (EuGRZ 2010, 25) ist die Sicherungsverwahrung – ungeachtet ihrer Einordnung im deutschen Recht als Maßregel der Besserung und Sicherung – im Sinne der MRK als Strafe zu qualifizieren, für die das Rückwirkungsverbot des Art. 7 Abs. 1 MRK gilt (Rdn. 124 bis 133). Der Europäische Gerichts- hof für Menschenrechte hat dies unter anderem damit begründet, dass die Sicherungsverwahrung wie eine Freiheitsstrafe mit Freiheitsentziehung verbunden sei und es in der Bundesrepublik Deutschland keine wesentlichen Unterschiede zwischen dem Vollzug einer Freiheitsstrafe und dem der Sicherungsverwahrung gebe (Rdn. 127 bis 130). Er hat daher im entschiedenen Fall die Bundesrepublik Deutschland zur Zahlung von Schadensersatz an den Beschwerdeführer verurteilt, da die Anwendung des § 67d StGB in der Fassung vom 26. Januar 1998 (BGBl I S. 160), in welchem die Höchstfrist der Sicherungsverwahrung für Erstverwahrte von zehn Jahren in § 67d Abs. 1 Satz 1 StGB a.F. teilweise aufgehoben worden war, auf Altfälle gegen Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK verstoße (Rdn. 135 ff.). Diese Entscheidung ist endgültig, nachdem der Antrag der Bundesregierung auf Verweisung der Rechtssache an die Große Kammer am 10. Mai 2010 abgelehnt worden ist (Art. 43 Abs. 2, Art. 44 Abs. 2 lit. c MRK).
- 12
- c) Unmittelbar betroffen von der genannten Entscheidung ist nur die rückwirkende Geltung von § 67d StGB. Allerdings stellt die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung gemäß § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB in ihren rechtlichen Voraussetzungen allein auf Straftaten ab, die bereits vor dem Inkrafttreten der Norm begangen wurden. Die durch den Gerichtshof gegen die Anordnung der Rückwirkung angeführten Argumente sind auf die § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB zugrundeliegenden Fallkonstellationen übertragbar (vgl. auch Kinzig NStZ 2010, 233, 239; Müller StV 2010, 207, 211 f.; Eisenberg NJW 2010, 1507, 1509; Laue JR 2010, 198, 202 f.; Peglau jurisPR-StrafR 1/2010 Anm. 2). Es muss davon ausgegangen werden, dass der Gerichtshof einen Verstoß gegen Art. 7 Abs. 1 MRK auch insoweit annehmen würde.
- 13
- d) Beanstandet eine Entscheidung des Gerichtshofs über den entschiedenen Einzelfall hinaus strukturelle Mängel des nationalen Rechts, so gebietet die Verpflichtung der innerstaatlichen Beachtung der MRK – ungeachtet deren nach Art. 46 MRK auf den Einzelfall beschränkten Bindungswir- kung – eine konventionskonforme Ausgestaltung des nationalen Rechts (Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. MRK Verfahren Rdn. 77b). Auch ohne eine dem § 31 Abs. 1 BVerfGG vergleichbare Vorschrift, wonach alle Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden an die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts gebunden sind, gehört zur Bindung an Gesetz und Recht, dass Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention in ihrer Ausformung durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs zu berücksichtigen sind (vgl. BVerfG aaO S. 323). Die Rangzuweisung der Europäischen Menschenrechtskonvention als einfaches Bundesrecht führt dazu, dass deutsche Gerichte die Konvention wie anderes Gesetzesrecht des Bundes im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung zu beachten und anzuwenden haben (BVerfG aaO). Solange Auslegungs- und Abwägungsspielräume eröffnet sind, trifft sie die Pflicht, der konventionsgemäßen Auslegung den Vorrang zu geben. Anderes gilt allerdings dann, wenn die Beachtung der Entscheidung des Gerichtshofs eindeutig entgegenstehendes Gesetzesrecht verletzen würde (BVerfG aaO S. 329); die Zulässigkeit konventionskonformer Auslegung endet aus Gründen der Gesetzesbindung der Gerichte dort, wo der gegenteilige Wille des nationalen Gesetzgebers hinreichend deutlich erkennbar wird (Giegerich in Grote/Marauhn [Hrsg.], EMRK/GG Konkordanzkommentar zum europäischen und deutschen Grundrechtsschutz 2006 Kap. 2 Rdn. 20).
- 14
- e) Nach diesen Grundsätzen kann in den Fällen des § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB das Rückwirkungsverbot gemäß Art. 7 Abs. 1 MRK nicht als abweichende gesetzliche Bestimmung nach § 2 Abs. 6 StGB angesehen werden. Eine Interpretation in diesem Sinne würde zur unmittelbaren Kollision der betroffenen Vorschriften führen und im Ergebnis auf eine vollständige Verwerfung des § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB hinauslaufen. Anders als bei den übrigen Regelungen des § 66b StGB würde § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB jeglicher Anwendungsbereich genommen, wenn auf die Geltung der Norm im Zeitpunkt der Begehung der Anlasstat abgestellt werden müsste.
- 15
- Einer Anwendung des Art. 7 Abs. 1 MRK als abweichende Regelung nach § 2 Abs. 6 StGB stehen der Gesetzeswortlaut des § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB sowie der eindeutige Wille des Gesetzgebers entgegen. Die Vorschrift wurde als „Altfallregelung“ geschaffen. Ausdrücklich sollte gewährleistet werden , „dass bei der Entscheidung über die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung als neu auch solche Tatsachen berücksichtigt werden können, die das Tatgericht aus rechtlichen Gründen bei seiner Entscheidung nicht verwerten durfte“ (BTDrucks. 16/4740 S. 23). In die Prüfung sollen Tatsachen einbezogen werden, „die im Zeitpunkt der Verurteilung bereits erkennbar oder sogar bekannt waren“ (BTDrucks. aaO). Beispielhaft verweisen die Gesetzesmaterialen auf die vorliegende Fallgestaltung, in der aufgrund der damals gültigen Fassung des Art. 1a EGStGB bei Aburteilung im Beitrittsgebiet begangener Anlasstaten Sicherungsverwahrung nicht angeordnet werden konnte (BTDrucks. aaO S. 22). Raum für eine Anwendung des Art. 7 Abs. 1 MRK ist in diesem Rahmen nicht eröffnet, weil § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB ausdrücklich und ausschließlich für Altfälle gilt.
- 16
- f) Entscheidungen anderer Senate des Bundesgerichtshofs stehen der Rechtsauffassung des Senats nicht entgegen. Die Frage, ob § 2 Abs. 6 StGB in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 MRK einer Anwendung des § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB widerstreitet, ist – soweit ersichtlich – vom Bundesgerichtshof noch nicht entschieden worden. Der 4. Strafsenat hat in seinem Beschluss vom 12. Mai 2010 – 4 StR 577/09 – zur Frage der Anwendung von § 66b Abs. 3 StGB auf Altfälle Stellung genommen. Soweit er die Auffassung vertreten hat, dass § 2 Abs. 6 StGB in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 MRK der Anwendung des § 66b Abs. 3 StGB in Altfällen zuwiderlaufe, handelt es sich nicht um einen Fall von Divergenz gemäß § 132 Abs. 2 GVG. Im Gegensatz zur Regelung des § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB verbleibt für § 66b Abs. 3 StGB bei der vom 4. Strafsenat vertretenen Auffassung ein Anwendungsbereich in den Fällen, in denen die Anlassverurteilung nach Inkrafttreten der Norm erfolgte ; die Norm erschöpft sich nicht in einer Geltung für Altfälle. Der Senat muss deshalb nicht entscheiden, ob er sich in Bezug auf § 66b Abs. 3 StGB der Rechtsauffassung des 4. Strafsenats anschließen würde.
- 17
- 3. Angesichts der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte hält indes die Ermessensausübung des Landgerichts revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht Stand. In allen Fällen des § 66b StGB trifft das Tatgericht eine Ermessensentscheidung, im Rahmen derer der Vertrauensschutz des Verurteilten sowie sein Freiheitsrecht gegen das Schutzbedürfnis der Allgemeinheit abzuwägen sind. Bei der Anwendung des § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB haben die Strafgerichte darüber hinaus im Blick zu behalten , dass der verfassungsrechtliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit es gebieten kann, über die gesetzlichen Beschränkungen des Anwendungsbereichs der Norm hinaus auf die mit erheblichen Eingriffen in die Freiheitsrechte des Betroffenen verbundene nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung zu verzichten, wenn eine Gesamtabwägung im Einzelfall ein Überwiegen der Freiheitsrechte gegenüber den Allgemeininteressen ergibt (BVerfG – Kammer – NJW 2009, 980, 982).
- 18
- a) Nach den dargestellten Grundsätzen sind in die Ermessensausübung auch die Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention in ihrer Ausformung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte einzubeziehen. In die Abwägung muss die vom Gerichtshof geforderte konventionsgemäße Gewichtung einfließen (Gollwitzer aaO Rdn. 77a), um eine konforme Anwendung der in Frage stehenden Norm zu gewährleisten. Die Ausführungen des Gerichtshofs zur Vereinbarkeit mit Art. 7 Abs. 1 MRK streiten in diesem Rahmen unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes gewichtig zugunsten des Verurteilten.
- 19
- b) Gleiches gilt für die Erwägungen des Gerichtshofs zu der ebenfalls angenommenen Verletzung von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 MRK, mithin des Freiheitsrechts des Verurteilten. Diesbezüglich hält der Gerichtshof in der genannten Entscheidung die Freiheitsentziehung über die ursprünglich für die Sicherungsverwahrung geltende Zehnjahresfrist hinaus für nicht nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. a MRK gerechtfertigt. Ein ausreichender Kausalzusammenhang zwischen der Verurteilung des Beschwerdeführers und seinem fortdauernden Freiheitsentzug liege nicht vor. Eine Rechtfertigung der Freiheitsentziehung nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. c MRK komme ebenfalls nicht in Betracht , da die Gefahr weiterer schwerer Straftaten nicht konkret und spezifisch genug sei.
- 20
- Diese vom Gerichtshof für § 67d StGB aufgezeigten Bedenken sind ebenfalls auf die Regelung des § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB zu übertragen. Danach beruht die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung nicht auf einer „Verurteilung" im Sinne des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. a MRK. Denn diese setzt die Schuldfeststellung wegen einer Straftat und die Auferlegung einer Strafe oder einer anderen freiheitsentziehenden Maßnahme voraus (EuGRZ aaO Rdn. 87, 95). Die Entscheidung über die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung enthält indes keine Schuldfeststellung. Auf die Anlassverurteilung kann hier nicht abgestellt werden, weil – unter Zugrundelegung der vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vertretenen Grundsätze (aaO Rdn. 100) – ein hinreichender kausaler Zusammenhang zwischen ihr und der Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nicht besteht. Die Verurteilung des Beschwerdeführers im Jahr 1997 bedeutete, dass er nach spätestens zwölf Jahren aus der Haft zu entlassen sein würde, und zwar unabhängig von einer bei der Entlassung bestehenden Gefährlichkeit. Ohne die nachträgliche Einführung des § 66b StGB hätte er nicht in der Sicherungsverwahrung untergebracht werden können; seine Unterbringung wurde nur durch die nachfolgende Gesetzesänderung im Jahre 2007 möglich und geschah aufgrund eines neuen gerichtlichen Erkenntnisses.
- 21
- 4. Vor diesem Hintergrund ist bei konventionskonformer Ermessensausübung von einem grundsätzlichen Überwiegen des Freiheitsrechtes und des Vertrauensschutzes des Beschwerdeführers auszugehen.
- 22
- a) Ungeachtet der Frage, ob § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB insgesamt mit dem im Lichte der Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention auszulegenden (vgl. dazu BVerfGE 74, 102, 128 m.w.N.; BVerfG – Kammer – EuGRZ 2004, 317, 318) Vertrauensgrundsatz (Art. 20 Abs. 3 GG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 GG) vereinbar ist (vgl. dazu auch BGH NJW 2010, 1539, 1542 f.), kann die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung auf der Grundlage dieser Vorschrift allenfalls bei höchstgefährlichen Verurteilten in Betracht kommen, bei denen sich die Gefahrenprognose aus konkreten Umständen in der Person oder ihrem Verhalten ableiten lässt. Nur dann erscheint denkbar, dass nach der aus der Entscheidung des Gerichtshofs (EuGRZ 2010, 25) folgenden Rechtsauffassung der Eingriff in das Freiheitsrecht des Verurteilten unter Berücksichtigung seines auf höchster Stufe schutzwürdigen Vertrauens in die Unabänderbarkeit der in der Anlassverurteilung verhängten Rechtsfolge einerseits und der Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit andererseits im Rahmen einer zu seinen Lasten getroffenen Abwägungsentscheidung gerechtfertigt ist.
- 23
- b) Ein derart schwerwiegendes, sich in konkreten Anhaltspunkten manifestierendes Gefährdungspotential belegen die Feststellungen des Landgerichts nicht.
- 24
- Sachverständig beraten ist das Landgericht zu der Überzeugung gelangt , dass der 67 Jahre alte und aufgrund eines Schlaganfalls im Jahr 2001 in seiner Beweglichkeit eingeschränkte Verurteilte wegen eines Hanges zur Begehung erheblicher Sexualstraftaten gefährlich ist. Beim Verurteilten handele es sich um eine dissoziale Persönlichkeit, deren Lebensweg auch mangels eines inneren Wertesystems von starker Egozentrik in der Wahrnehmung seiner persönlichen, insbesondere sexuellen Bedürfnisse geprägt sei. Die massive Verleugnung sowie die damit einhergehende mangelnde therapeutische Aufarbeitung der von ihm begangenen Straftaten verhinderten eine selbstkritische Auseinandersetzung mit seiner Persönlichkeit sowie den Aufbau eines von Empathie getragenen Wertesystems. Da sich die Persönlich- keitsstruktur auch in der nunmehr seit über 13 Jahren andauernden Haftzeit trotz überwiegend guter Führung nicht geändert habe, bestehe eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Verurteilte im Falle seiner Entlassung aus der Haft auch künftig Sexualstraftaten – gegebenenfalls erneut unter der enthemmenden Wirkung von Alkohol – aus dem gesamten Spektrum der seit dem 20. Lebensjahr von ihm begangenen Taten begehen werde.
- 25
- Damit hat das Landgericht die fortbestehende Gefährlichkeit des Verurteilten im Ergebnis aus der dissozialen Prägung seiner Persönlichkeit und seines Lebensweges abgeleitet, die sich in den von ihm begangenen Straftaten niedergeschlagen hat, verbunden mit dem Umstand, dass er nie zu einer therapeutischen Aufarbeitung seiner Straftaten bereit war. Hinreichend konkrete Hinweise auf die Begehung künftiger Straftaten von höchster Schwere hat das Landgericht demgegenüber nicht festgestellt. Diese sind indes auf der Grundlage der – nach dem angefochtenen Urteil ergangenen – Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte jedenfalls erforderlich , um die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB rechtfertigen zu können.
- 26
- c) Nachdem das Landgericht bereits nach der Zurückverweisung der Sache durch den Senat mit Beschluss vom 25. März 2009 ergänzende Feststellungen zum Beleg der Gefahrenprognose getroffen hat, schließt der Senat aus, dass noch weitergehende Feststellungen getroffen werden können, die eine auf hinreichend konkreten Anhaltspunkten basierende Gefahrenprognose in der Person des Verurteilten begründen. Er hat wegen der aus Rechtsgründen eingetretenen Ermessensreduzierung von einer Zurückverweisung der Sache abgesehen.
- 27
- 5. Die Maßregelanordnung war demzufolge aufzuheben und der Antrag der Staatsanwaltschaft in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO zurückzuweisen. Der Verurteilte ist unverzüglich auf freien Fuß zu setzen.
- 28
- 6. Die Entscheidung über die Entschädigung des Beschwerdeführers wegen der seit Ende der Strafhaft erlittenen Strafverfolgungsmaßnahmen bleibt wegen der größeren Sachnähe dem Landgericht vorbehalten.
Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.
(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn
- 1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die - a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet, - b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder - c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
- 2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, - 3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und - 4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.
(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.
(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.
Strafprozeßordnung - StPO | § 275a Einleitung des Verfahrens; Hauptverhandlung; Unterbringungsbefehl
(1) Ist im Urteil die Anordnung der Sicherungsverwahrung vorbehalten (§ 66a des Strafgesetzbuches), übersendet die Vollstreckungsbehörde die Akten rechtzeitig an die Staatsanwaltschaft des zuständigen Gerichts. Diese übergibt die Akten so rechtzeitig dem Vorsitzenden des Gerichts, dass eine Entscheidung bis zu dem in Absatz 5 genannten Zeitpunkt ergehen kann. Ist die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 67d Absatz 6 Satz 1 des Strafgesetzbuches für erledigt erklärt worden, übersendet die Vollstreckungsbehörde die Akten unverzüglich an die Staatsanwaltschaft des Gerichts, das für eine nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung (§ 66b des Strafgesetzbuches) zuständig ist. Beabsichtigt diese, eine nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung zu beantragen, teilt sie dies der betroffenen Person mit. Die Staatsanwaltschaft soll den Antrag auf nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung unverzüglich stellen und ihn zusammen mit den Akten dem Vorsitzenden des Gerichts übergeben.
(2) Für die Vorbereitung und die Durchführung der Hauptverhandlung gelten die §§ 213 bis 275 entsprechend, soweit nachfolgend nichts anderes geregelt ist.
(3) Nachdem die Hauptverhandlung nach Maßgabe des § 243 Abs. 1 begonnen hat, hält ein Berichterstatter in Abwesenheit der Zeugen einen Vortrag über die Ergebnisse des bisherigen Verfahrens. Der Vorsitzende verliest das frühere Urteil, soweit es für die Entscheidung über die vorbehaltene oder die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung von Bedeutung ist. Sodann erfolgt die Vernehmung des Verurteilten und die Beweisaufnahme.
(4) Das Gericht holt vor der Entscheidung das Gutachten eines Sachverständigen ein. Ist über die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung zu entscheiden, müssen die Gutachten von zwei Sachverständigen eingeholt werden. Die Gutachter dürfen im Rahmen des Strafvollzugs oder des Vollzugs der Unterbringung nicht mit der Behandlung des Verurteilten befasst gewesen sein.
(5) Das Gericht soll über die vorbehaltene Anordnung der Sicherungsverwahrung spätestens sechs Monate vor der vollständigen Vollstreckung der Freiheitsstrafe entscheiden.
(6) Sind dringende Gründe für die Annahme vorhanden, dass die nachträgliche Sicherungsverwahrung angeordnet wird, so kann das Gericht bis zur Rechtskraft des Urteils einen Unterbringungsbefehl erlassen. Für den Erlass des Unterbringungsbefehls ist das für die Entscheidung nach § 67d Absatz 6 des Strafgesetzbuches zuständige Gericht so lange zuständig, bis der Antrag auf Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung bei dem für diese Entscheidung zuständigen Gericht eingeht. In den Fällen des § 66a des Strafgesetzbuches kann das Gericht bis zur Rechtskraft des Urteils einen Unterbringungsbefehl erlassen, wenn es im ersten Rechtszug bis zu dem in § 66a Absatz 3 Satz 1 des Strafgesetzbuches bestimmten Zeitpunkt die vorbehaltene Sicherungsverwahrung angeordnet hat. Die §§ 114 bis 115a, 117 bis 119a und 126a Abs. 3 gelten entsprechend.
Strafgesetzbuch - StGB | § 66b Nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung
Ist die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 67d Abs. 6 für erledigt erklärt worden, weil der die Schuldfähigkeit ausschließende oder vermindernde Zustand, auf dem die Unterbringung beruhte, im Zeitpunkt der Erledigungsentscheidung nicht bestanden hat, so kann das Gericht die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nachträglich anordnen, wenn
- 1.
die Unterbringung des Betroffenen nach § 63 wegen mehrerer der in § 66 Abs. 3 Satz 1 genannten Taten angeordnet wurde oder wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer solcher Taten, die er vor der zur Unterbringung nach § 63 führenden Tat begangen hat, schon einmal zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt oder in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht worden war und - 2.
die Gesamtwürdigung des Betroffenen, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.
Strafprozeßordnung - StPO | § 275a Einleitung des Verfahrens; Hauptverhandlung; Unterbringungsbefehl
(1) Ist im Urteil die Anordnung der Sicherungsverwahrung vorbehalten (§ 66a des Strafgesetzbuches), übersendet die Vollstreckungsbehörde die Akten rechtzeitig an die Staatsanwaltschaft des zuständigen Gerichts. Diese übergibt die Akten so rechtzeitig dem Vorsitzenden des Gerichts, dass eine Entscheidung bis zu dem in Absatz 5 genannten Zeitpunkt ergehen kann. Ist die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 67d Absatz 6 Satz 1 des Strafgesetzbuches für erledigt erklärt worden, übersendet die Vollstreckungsbehörde die Akten unverzüglich an die Staatsanwaltschaft des Gerichts, das für eine nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung (§ 66b des Strafgesetzbuches) zuständig ist. Beabsichtigt diese, eine nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung zu beantragen, teilt sie dies der betroffenen Person mit. Die Staatsanwaltschaft soll den Antrag auf nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung unverzüglich stellen und ihn zusammen mit den Akten dem Vorsitzenden des Gerichts übergeben.
(2) Für die Vorbereitung und die Durchführung der Hauptverhandlung gelten die §§ 213 bis 275 entsprechend, soweit nachfolgend nichts anderes geregelt ist.
(3) Nachdem die Hauptverhandlung nach Maßgabe des § 243 Abs. 1 begonnen hat, hält ein Berichterstatter in Abwesenheit der Zeugen einen Vortrag über die Ergebnisse des bisherigen Verfahrens. Der Vorsitzende verliest das frühere Urteil, soweit es für die Entscheidung über die vorbehaltene oder die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung von Bedeutung ist. Sodann erfolgt die Vernehmung des Verurteilten und die Beweisaufnahme.
(4) Das Gericht holt vor der Entscheidung das Gutachten eines Sachverständigen ein. Ist über die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung zu entscheiden, müssen die Gutachten von zwei Sachverständigen eingeholt werden. Die Gutachter dürfen im Rahmen des Strafvollzugs oder des Vollzugs der Unterbringung nicht mit der Behandlung des Verurteilten befasst gewesen sein.
(5) Das Gericht soll über die vorbehaltene Anordnung der Sicherungsverwahrung spätestens sechs Monate vor der vollständigen Vollstreckung der Freiheitsstrafe entscheiden.
(6) Sind dringende Gründe für die Annahme vorhanden, dass die nachträgliche Sicherungsverwahrung angeordnet wird, so kann das Gericht bis zur Rechtskraft des Urteils einen Unterbringungsbefehl erlassen. Für den Erlass des Unterbringungsbefehls ist das für die Entscheidung nach § 67d Absatz 6 des Strafgesetzbuches zuständige Gericht so lange zuständig, bis der Antrag auf Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung bei dem für diese Entscheidung zuständigen Gericht eingeht. In den Fällen des § 66a des Strafgesetzbuches kann das Gericht bis zur Rechtskraft des Urteils einen Unterbringungsbefehl erlassen, wenn es im ersten Rechtszug bis zu dem in § 66a Absatz 3 Satz 1 des Strafgesetzbuches bestimmten Zeitpunkt die vorbehaltene Sicherungsverwahrung angeordnet hat. Die §§ 114 bis 115a, 117 bis 119a und 126a Abs. 3 gelten entsprechend.
(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn
- 1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die - a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet, - b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder - c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
- 2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, - 3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und - 4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.
(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.
(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.
Strafgesetzbuch - StGB | § 66b Nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung
Ist die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 67d Abs. 6 für erledigt erklärt worden, weil der die Schuldfähigkeit ausschließende oder vermindernde Zustand, auf dem die Unterbringung beruhte, im Zeitpunkt der Erledigungsentscheidung nicht bestanden hat, so kann das Gericht die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nachträglich anordnen, wenn
- 1.
die Unterbringung des Betroffenen nach § 63 wegen mehrerer der in § 66 Abs. 3 Satz 1 genannten Taten angeordnet wurde oder wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer solcher Taten, die er vor der zur Unterbringung nach § 63 führenden Tat begangen hat, schon einmal zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt oder in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht worden war und - 2.
die Gesamtwürdigung des Betroffenen, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.
(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.
(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.
(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.
(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.
Strafgesetzbuch - StGB | § 66b Nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung
Ist die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 67d Abs. 6 für erledigt erklärt worden, weil der die Schuldfähigkeit ausschließende oder vermindernde Zustand, auf dem die Unterbringung beruhte, im Zeitpunkt der Erledigungsentscheidung nicht bestanden hat, so kann das Gericht die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nachträglich anordnen, wenn
- 1.
die Unterbringung des Betroffenen nach § 63 wegen mehrerer der in § 66 Abs. 3 Satz 1 genannten Taten angeordnet wurde oder wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer solcher Taten, die er vor der zur Unterbringung nach § 63 führenden Tat begangen hat, schon einmal zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt oder in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht worden war und - 2.
die Gesamtwürdigung des Betroffenen, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.
Tenor
-
Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit für das Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 250.000 € (in Worten: zweihundertfünfzigtausend Euro) festgesetzt.
Tenor
-
Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit für das Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 250.000 € (in Worten: zweihundertfünfzigtausend Euro) festgesetzt.
Gründe
- 1
-
1. Der wegen zahlreicher schwerer Sexualstraftaten vorbestrafte Beschwerdeführer wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung, die anlässlich seiner letzten Verurteilung vom 2. Februar 1990 wegen versuchter Vergewaltigung und wegen Mordes nachträglich gemäß § 66b Abs. 2 StGB angeordnet worden ist. Im Hinblick auf das zwischenzeitlich rechtskräftige Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. Dezember 2009 (Individualbeschwerde Nr. 19359/04, Rechts-sache M. ./. Deutschland) beantragt er, die Vollziehung der Maßregel im Wege der einstweiligen Anordnung auszusetzen.
- 2
-
2. Nach § 32 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Auch in einem Verfahren über eine Verfassungsbeschwerde kann eine einstweilige Anordnung erlassen werden (vgl. BVerfGE 66, 39 <56>; stRspr). Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsakts vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben. Etwas anderes gilt nur, wenn sich die Verfassungsbeschwerde von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet erweist. Bei offenem Ausgang des Verfassungsbeschwerdeverfahrens muss das Bundesverfassungsgericht hingegen die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 87, 334 <338>; 89, 109 <110>; stRspr).
- 3
-
3. Die Verfassungsbeschwerde ist nicht von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Die aufgeworfenen Rechtsfragen werden im Hauptsacheverfahren zu klären sein.
- 4
-
4. Die danach gebotene Folgenabwägung führt zur Ablehnung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung. Erginge die einstweilige Anordnung nicht, hätte aber die Verfassungsbeschwerde später Erfolg, so entstünde dem Beschwerdeführer in der Zwischenzeit durch den Vollzug der Sicherungsverwahrung ein schwerer, nicht wieder gutzumachender Verlust an persönlicher Freiheit. Wenn die einstweilige Anordnung erginge und der Verfassungsbeschwerde später der Erfolg zu versagen wäre, entstünden ebenfalls schwerwiegende Nachteile. Das Landgericht Baden-Baden hat auf der Grundlage zweier psychiatrischer Sachverständigengutachten nachvollziehbar dargelegt, dass der Beschwerdeführer einen Hang zu schweren Sexualstraftaten (sexueller Missbrauch von Kindern, Vergewaltigung) habe und deshalb im Falle seiner Freilassung mit hoher Wahrscheinlichkeit entsprechende Delikte verüben werde, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schweren Schaden nehmen würden. Angesichts der besonderen Schwere der drohenden Straftaten überwiegt das Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit das Interesse des Beschwerdeführers an der Wiedererlangung seiner persönlichen Freiheit.
- 5
-
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Tenor
-
Der Gegenstandswert der Tätigkeit der Bevollmächtigten der Beschwerdeführer wird auf 250.000 € (in Worten: zweihundert-fünfzigtausend Euro) festgesetzt.
(1) Die Strafe und ihre Nebenfolgen bestimmen sich nach dem Gesetz, das zur Zeit der Tat gilt.
(2) Wird die Strafdrohung während der Begehung der Tat geändert, so ist das Gesetz anzuwenden, das bei Beendigung der Tat gilt.
(3) Wird das Gesetz, das bei Beendigung der Tat gilt, vor der Entscheidung geändert, so ist das mildeste Gesetz anzuwenden.
(4) Ein Gesetz, das nur für eine bestimmte Zeit gelten soll, ist auf Taten, die während seiner Geltung begangen sind, auch dann anzuwenden, wenn es außer Kraft getreten ist. Dies gilt nicht, soweit ein Gesetz etwas anderes bestimmt.
(5) Für Einziehung und Unbrauchbarmachung gelten die Absätze 1 bis 4 entsprechend.
(6) Über Maßregeln der Besserung und Sicherung ist, wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nach dem Gesetz zu entscheiden, das zur Zeit der Entscheidung gilt.
Die allgemeinen Regeln des Völkerrechtes sind Bestandteil des Bundesrechtes. Sie gehen den Gesetzen vor und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes.
(1) Die Strafe und ihre Nebenfolgen bestimmen sich nach dem Gesetz, das zur Zeit der Tat gilt.
(2) Wird die Strafdrohung während der Begehung der Tat geändert, so ist das Gesetz anzuwenden, das bei Beendigung der Tat gilt.
(3) Wird das Gesetz, das bei Beendigung der Tat gilt, vor der Entscheidung geändert, so ist das mildeste Gesetz anzuwenden.
(4) Ein Gesetz, das nur für eine bestimmte Zeit gelten soll, ist auf Taten, die während seiner Geltung begangen sind, auch dann anzuwenden, wenn es außer Kraft getreten ist. Dies gilt nicht, soweit ein Gesetz etwas anderes bestimmt.
(5) Für Einziehung und Unbrauchbarmachung gelten die Absätze 1 bis 4 entsprechend.
(6) Über Maßregeln der Besserung und Sicherung ist, wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nach dem Gesetz zu entscheiden, das zur Zeit der Entscheidung gilt.
Strafgesetzbuch - StGB | § 66b Nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung
Ist die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 67d Abs. 6 für erledigt erklärt worden, weil der die Schuldfähigkeit ausschließende oder vermindernde Zustand, auf dem die Unterbringung beruhte, im Zeitpunkt der Erledigungsentscheidung nicht bestanden hat, so kann das Gericht die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nachträglich anordnen, wenn
- 1.
die Unterbringung des Betroffenen nach § 63 wegen mehrerer der in § 66 Abs. 3 Satz 1 genannten Taten angeordnet wurde oder wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer solcher Taten, die er vor der zur Unterbringung nach § 63 führenden Tat begangen hat, schon einmal zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt oder in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht worden war und - 2.
die Gesamtwürdigung des Betroffenen, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.
BUNDESGERICHTSHOF
2. Der Antrag auf nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung wird zurückgewiesen.
3. Die Entscheidung über die Entschädigung des Betroffenen wegen der erlittenen Strafverfolgungsmaßnahmen bleibt dem Landgericht vorbehalten.
4. Der Unterbringungsbefehl des Landgerichts Saarbrücken vom 15. Juni 2007 wird aufgehoben. Der Betroffene ist in dieser Sache sofort auf freien Fuß zu setzen.
5. Die Kosten des Verfahrens einschließlich der Rechtsmittelkosten und die notwendigen Auslagen des Betroffenen fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe:
- 1
- Das Landgericht Saarbrücken hat mit Urteil vom 17. Juli 2009 gegen den Betroffenen (erneut) die nachträgliche Unterbringung in der Sicherungsverwah- rung gemäß § 66 b Abs. 3 StGB angeordnet. Mit seiner Revision gegen dieses Urteil rügt er die Verletzung formellen und materiellen Rechts; das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge in vollem Umfang Erfolg.
I.
- 2
- Der wiederholt, unter anderem wegen Mordes und gefährlicher Körperverletzung vorbestrafte Betroffene war durch Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 28. September 1989 wegen vorsätzlichen Vollrausches zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt worden. Zugleich hatte das Landgericht seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB angeordnet. Der Verurteilte hatte nach Ansicht der damals erkennenden Strafkammer in einem Rausch jedenfalls die Tatbestände der Körperverletzung und des versuchten Totschlags durch Unterlassen verwirklicht. Die Anordnung der Maßregel hatte das Landgericht damit begründet, dass der Verurteilte auf Grund einer Persönlichkeitsstörung zur Begehung schwerster , sexuell motivierter Straftaten neige.
- 3
- Durch Urteil des Landgerichts Trier vom 28. Februar 1991 wurde in einem Sicherungsverfahren erneut die Unterbringung des Verurteilten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet (§ 63 StGB). Gegenstand dieses Verfahrens war eine gefährliche Körperverletzung, die der Verurteilte am 23. Februar 1990 während einer Flucht aus dem Maßregelvollzug begangen hatte.
- 4
- Der Verurteilte befand sich anschließend nahezu ununterbrochen im Maßregelvollzug. Mit Beschluss vom 28. November 2005 erklärte die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Saarbrücken gemäß § 67 d Abs. 6 Satz 1 StGB beide Unterbringungsanordnungen für erledigt, da ein Zustand im Sinne des § 20 StGB nicht (mehr) gegeben sei; gleichwohl sei der Verurteilte weiterhin als gefährlich für die Allgemeinheit einzustufen. Seit dem 23. Dezember 2005 befand sich der Verurteilte sodann in Strafhaft. Er verbüßte bis zum 22. Juni 2007 die Restfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten aus dem Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 28. September 1989. Seitdem ist er einstweilen untergebracht (§ 275 a Abs. 5 StPO).
- 5
- Mit Urteil vom 4. April 2007 hatte das Landgericht Saarbrücken auf Antrag der Staatsanwaltschaft vom 14. November 2006 im Hinblick auf die Verurteilung durch das Landgericht Saarbrücken vom 28. September 1989 gegen den Betroffenen gemäß § 66 b Abs. 3 StGB nachträglich die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Dieses Urteil hatte der Senat durch Beschluss vom 10. Februar 2009 aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer zurückverwiesen. Aufhebungsgrund war, dass der Große Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofs mit Beschluss vom 7. Oktober 2008 - GSSt 1/08 - (BGHSt 52, 379) entschieden hatte, dass § 66 b Abs. 3 StGB nicht auf Fälle anwendbar ist, in denen der Betroffene nach Erklärung der Erledigung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 67 d Abs. 6 StGB) noch Freiheitsstrafe zu verbüßen hat, auf die zugleich mit der Unterbringung erkannt worden ist.
- 6
- Mit der angefochtenen Entscheidung hat das Landgericht erneut die nachträgliche Unterbringung des Betroffenen in der Sicherungsverwahrung angeordnet und nunmehr die Anordnung der Unterbringung auf das Urteil des Landgerichts Trier vom 28. Februar 1991 gestützt, in der gegen den Betroffenen - weil schuldlos handelnd - nur auf die Unterbringung nach § 63 StGB erkannt worden war.
II.
- 7
- Die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung hat keinen Bestand. Zwar hat das Landgericht die Voraussetzungen des § 66 b Abs. 3 StGB rechtsfehlerfrei bejaht, jedoch ist diese Bestimmung gemäß § 2 Abs. 6 StGB i.V.m. Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK nicht auf Taten anwendbar, die vor ihrem Inkrafttreten begangen worden sind.
- 8
- 1. a) Nach dem Urteil der Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (Fünfte Sektion) in der Rechtsache M. gegen Bundesrepublik Deutschland (Individualbeschwerde Nr. 19359/04) vom 17. Dezember 2009 (EuGRZ 2010, 25; auszugsweise auch abgedruckt in NStZ 2010, 263; vgl. hierzu auch Kinzig NStZ 2010, 233) ist die Sicherungsverwahrung - ungeachtet ihrer Bezeichnung im deutschen Recht als „Maßregel der Besserung und Sicherung“ - im Sinne der MRK als Strafe zu qualifizieren, für die das Rückwirkungsverbot des Art. 7 Abs. 1 MRK gilt (Rdnrn. 124 - 133). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat dies unter anderem damit begründet, dass die Sicherungsverwahrung wie eine Freiheitsstrafe mit Freiheitsentziehung verbunden sei und es in der Bundesrepublik Deutschland keine wesentlichen Unterschiede zwischen dem Vollzug einer Freiheitsstrafe und dem der Sicherungsverwahrung gebe (Rdnrn. 127 bis 130). Er hat daher in jenem Fall die Bundesrepublik Deutschland zur Zahlung von Schadensersatz an den dortigen Beschwerdeführer verurteilt, da die Anwendung des § 67 d StGB in der Fassung vom 26. Januar 1998 (BGBl. I 160), in welchem die Höchstfrist der Sicherungsverwahrung für Erstverwahrte von zehn Jahren in § 67 d Abs. 1 Satz 1 StGB a.F. abgeschafft worden war, auf Altfälle gegen Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK verstoße (Rdnrn. 135 ff.). Diese Entscheidung ist endgültig, nachdem der Antrag der Bundesregierung auf Verweisung der Rechtsache an die Große Kammer am 10. Mai 2010 abgelehnt worden ist (Artt. 43 Abs. 2, 44 Abs. 2 Buchst. c MRK).
- 9
- b) Nach Maßgabe dieses Urteils verstößt im vorliegenden Fall die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung gegen Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK, da das Tatzeitrecht für die Anlasstat nicht die Anordnung von Sicherungsverwahrung androhte.
- 10
- Der Betroffene hat die Tat, die der Verurteilung durch das Landgericht Trier vom 28. Februar 1991 zugrunde liegt, am 23. Februar 1990 begangen. Nach der rechtlichen Würdigung des Landgerichts handelte er bei ihrer Begehung nicht ausschließbar im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB). Danach kam bereits aus diesem Grund eine Anordnung der Sicherungsverwahrung nicht in Betracht. Denn § 66 Abs. 1 StGB, sowohl in der zum Tatzeitpunkt gültigen Fassung vom 10. März 1987 (BGBl. I 945) als auch in allen späteren Fassungen, setzte und setzt als Anlasstat die Begehung einer vorsätzlichen, d.h. schuldhaft begangenen, Tat voraus, für die zudem auf eine Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren erkannt worden sein muss.
- 11
- Im Übrigen wären aber auch bei schuldhafter Tatbegehung die formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht erfüllt gewesen, weil der Betroffene vor der (neuen) Tat nicht im Sinne dieser Bestimmung bereits zweimal wegen vorsätzlicher Straftaten jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist. Zwar war er - neben der Verurteilung durch das Landgericht Saarbrücken vom 28. September 1989 - weiterhin durch Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 9. Mai 1980 wegen einer am 30. Juli 1979 begangenen gefährlichen Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt worden. Diese Tat wäre indes nach § 66 Abs. 3 Satz 3 und 4 StGB a.F. (= § 66 Abs. 4 Satz 3 und 4 StGB in der jetzt geltenden Fassung ) nicht berücksichtigungsfähig gewesen, da der Betroffene nach Verbüßung der damals erkannten Freiheitsstrafe für einen Zeitraum von mehr als fünf Jahren nicht wieder straffällig geworden war.
- 12
- Erstmals § 66 b Abs. 3 StGB, auf den das Landgericht die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung des Betroffenen gestützt hat, ermöglichte hier die Unterbringung des Betroffenen in der Sicherungsverwahrung. Diese Bestimmung ist jedoch erst nach Begehung der Anlasstat durch Gesetz vom 23. Juli 2004 (BGBl. I 1838) eingeführt worden und am 29. Juli 2004 in Kraft getreten. Ihrer Anwendung auf Altfälle steht nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. Dezember 2009 daher Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK entgegen.
- 13
- c) Dass gegen den Betroffenen - anders als in dem vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entschiedenen Fall - bereits mit der Anlassverurteilung auf eine von vorneherein zeitlich nicht befristete Maßregel (vgl. § 67 d Abs. 1 Satz 1 StGB in der auch zum Tatzeitpunkt geltenden Fassung) erkannt worden war, führt zu keiner anderen rechtlichen Bewertung (anders OLG Saarbrücken , Beschluss vom 7. April 2010 - 1 Ws 73/10). Insoweit ist zu berücksichtigen , dass schon vor Einführung des § 67 d Abs. 6 Satz 1 StGB nach der Rechtsprechung der Vollstreckungsgerichte die Erledigung der Maßregel bei Wegfall einer ihrer Voraussetzungen auch dann zu beschließen war, wenn die Gefährlichkeit des Untergebrachten fortbestand (vgl. OLG Hamm NStZ 1982, 300; OLG Karlsruhe MDR 1983, 151; OLG Frankfurt NStZ 1993, 252 sowie hierzu auch BVerfG NStZ 1995, 174, 175). Diese Rechtsprechung hat der Gesetzgeber in § 67 d Abs. 6 StGB lediglich festschreiben wollen (vgl. BT-Drucks. 15/2887 S. 13 f.). Nach dem zum Zeitpunkt der Tat maßgeblichen Recht hätte somit die angeordnete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus für erledigt erklärt werden und der Betroffene in Freiheit entlassen werden müssen, ohne dass an ihre Stelle die Sicherungsverwahrung treten konnte.
- 14
- d) Die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sind - ungeachtet ihrer auf den Einzelfall beschränkten Bindungswirkung (vgl. Art. 46 Abs. 1 MRK sowie hierzu Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. MRK Verfahren Rdnr. 76) - bei der Auslegung innerdeutschen Rechts zu berücksichtigen. Die Vorschrift des § 2 Abs. 6 StGB ist daher mit Blick auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. Dezember 2009 dahin auszulegen, dass § 66 b Abs. 3 StGB nicht rückwirkend auf vor seinem Inkrafttreten begangene Taten angewendet werden darf.
- 15
- Zwar handelt es sich bei der Sicherungsverwahrung nach innerdeutschem Recht um eine Maßregel der Besserung und Sicherung, für die nach § 2 Abs. 6 StGB grundsätzlich das Recht zum Zeitpunkt der Entscheidung gilt. § 2 Abs. 6 StGB schreibt die Maßgeblichkeit des zum Entscheidungszeitpunkt geltenden Rechts jedoch nur vor, „wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist“. Eine derartige andere Bestimmung stellt hier Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK in seiner Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschrechte dar.
- 16
- Bei der MRK handelt es sich um einen völkerrechtlichen Vertrag, der durch den Bundesgesetzgeber in das deutsche Recht transformiert worden ist. Innerhalb der deutschen Rechtsordnung steht die MRK im Range einfachen Bundesrechts. Deutsche Gerichte haben daher die Konvention wie anderes Gesetzesrecht des Bundes im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung zu beachten und anzuwenden (BVerfGE 111, 307, 316 ff.; BVerfG EuGRZ 2010, 145, 147; Gollwitzer aaO Einführung Rdnrn. 39, 43 jeweils m.w.N.). Dabei sind auch die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu berücksichtigen, weil sich in ihnen der aktuelle Entwicklungsstand der Konvention widerspiegelt. Das nationale Recht ist wegen des Grundsatzes der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes unabhängig vom Zeitpunkt seines Inkrafttretens nach Möglichkeit im Einklang mit den Bestimmungen der MRK auszulegen (BVerfGE 111, 307, 324; Gollwitzer aaO).
- 17
- Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist bei konventionsgemäßer Auslegung des § 2 Abs. 6 StGB die Regelung des Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK als (einfach -) gesetzliche Ausnahmeregelung zu bewerten, die für die Anordnung der Sicherungsverwahrung die Maßgeblichkeit des Tatzeitrechts vorsieht. Nach dem zur Tatzeit geltenden Recht war jedoch - wie bereits ausgeführt - die Anordnung der Sicherungsverwahrung gegen den Betroffenen unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt möglich.
- 18
- 2. Der hier vorgenommenen Auslegung des § 2 Abs. 6 StGB steht nicht die Bindungswirkung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Februar 2004 (BVerfGE 109, 133) zur Frage der Verfassungsmäßigkeit des Wegfalls der Höchstdauer der erstmaligen Sicherungsverwahrung entgegen. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht in jener Entscheidung ausgesprochen, dass die Sicherungsverwahrung keine Strafe darstellt und eine nachträgliche Änderung ihrer Höchstdauer nicht gegen das absolute Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG verstößt (BVerfGE 109, 133, 167 ff.). Bei der Frage, ob entsprechend dem Gesetzesvorbehalt in § 2 Abs. 6 StGB eine Maßregel der Besserung und Sicherung von der Maßgeblichkeit des Rechts des Zeitpunkts der Entscheidung auszunehmen ist, handelt es sich indes um eine solche einfachen Rechts. Dem Gesetzgeber steht es im Rahmen des ihm eingeräumten Ermessens frei, für einzelne Maßregeln der Besserung und Sicherung in Abweichung von dem Grundsatz des § 2 Abs. 6 StGB die Geltung des Tatzeitrechts anzuordnen; er hat hiervon in der Vergangenheit wiederholt Gebrauch gemacht (vgl. die Nachweise bei Fischer StGB 57. Aufl. § 2 Rdnr. 15 und speziell Art. 93 des 1. StrRG). Ebenso kann dies Folge der gebotenen Berücksichtigung einer ebenfalls im Range einfachen Bundesrechts stehenden Bestimmung der MRK sein. Der Rechtssatz des Bundesverfassungsgerichts, dass nach deutschem Verfassungsrecht die Sicherungsverwahrung nicht dem Rückwirkungsverbot unterfällt, wird dadurch nicht in Frage gestellt. Einfaches Recht hat zwar die Vorgaben des Grundgesetzes zu wahren, es kann aber im Einzelfall über die dort festgelegten Mindestanforderungen hinausgehen.
- 19
- 3. Rechtsprechung anderer Senate des Bundesgerichtshofs steht der getroffenen Entscheidung nicht entgegen. Die Frage, ob § 2 Abs. 6 StGB i.V.m. Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK einer Anwendung des § 66 b Abs. 3 StGB auf Altfälle entgegensteht, ist - soweit ersichtlich - vom Bundesgerichtshof noch nicht entschieden worden. Der 1. Strafsenat hat in seinem Beschluss vom 14. Januar 2010 - 1 StR 595/09 [zu § 66 b Abs. 2 StGB] mögliche Auswirkungen des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. Dezember 2009 auf den zu entscheidenden Fall offen gelassen und dies mit der fehlenden Endgültigkeit der Entscheidung begründet. Soweit der 1. Strafsenat in seinem Urteil vom 9. März 2010 - 1 StR 554/09 die Auffassung vertreten hat, dass die Ausführungen in der - damals ebenfalls noch nicht endgültigen - Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 7 Abs. 2 Nr. 1 JGG auf einen Altfall nicht entgegenstehen, hat er dies mit hier nicht einschlägigen Besonderheiten des Jugendstrafrechts begründet. Im Übrigen ist, nachdem das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte am 10. Mai 2010 gemäß Art. 43 Abs. 2, Art. 44 Abs. 2 Buchst. c MRK endgültig gewor- den ist, eine neue Rechtslage gegeben, die eine etwaige Bindung an frühere entgegenstehende Rechtsprechung entfallen lassen würde (vgl. hierzu Hannich in KK 6. Aufl. § 132 GVG Rdnr. 8).
- 20
- 4. Die Maßregelanordnung war daher aufzuheben; gleichzeitig war in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO der Antrag der Staatsanwaltschaft zurückzuweisen und der Betroffene sofort auf freien Fuß zu setzen.
- 21
- Die Entscheidung über die Entschädigung des Betroffenen wegen der seit Ende der Strafhaft erlittenen Strafverfolgungsmaßnahmen bleibt wegen der größeren Sachnähe dem Landgericht vorbehalten.
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss des Landgerichts - Strafvollstreckungskammer - F. vom 7. Dezember 2009 aufgehoben.
Die Sicherungsverwahrung ist erledigt.
Es tritt Führungsaufsicht ein, deren Ausgestaltung der Strafvollstreckungskammer F. übertragen wird.
Der Untergebrachte wird der Bewährungshilfe unterstellt.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Untergebrachten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe
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Strafgesetzbuch - StGB | § 66b Nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung
Ist die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 67d Abs. 6 für erledigt erklärt worden, weil der die Schuldfähigkeit ausschließende oder vermindernde Zustand, auf dem die Unterbringung beruhte, im Zeitpunkt der Erledigungsentscheidung nicht bestanden hat, so kann das Gericht die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nachträglich anordnen, wenn
- 1.
die Unterbringung des Betroffenen nach § 63 wegen mehrerer der in § 66 Abs. 3 Satz 1 genannten Taten angeordnet wurde oder wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer solcher Taten, die er vor der zur Unterbringung nach § 63 führenden Tat begangen hat, schon einmal zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt oder in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht worden war und - 2.
die Gesamtwürdigung des Betroffenen, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.
BUNDESGERICHTSHOF
2. Der Unterbringungsbefehl des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 11. August 2008 wird aufgehoben. Der Verurteilte ist in dieser Sache unverzüglich auf freien Fuß zu setzen.
3. Die Kosten des Verfahrens einschließlich der Rechtsmittelkosten und die notwendigen Auslagen des Verurteilten fallen der Staatskasse zur Last.
4. Die Entscheidung über die Entschädigung des Verurteilten wegen der erlittenen Strafverfolgungsmaßnahmen bleibt dem Landgericht vorbehalten.
G r ü n d e
- 1
- Landgericht Das Frankfurt (Oder) hat mit Urteil vom 12. November 2009 gegen den Beschwerdeführer (erneut) die nachträgliche Unterbringung in der Sicherungsverwahrung gemäß § 66b Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit § 66 Abs. 2 StGB angeordnet. Hiergegen richtet sich die Revision des Verurteilten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts beanstandet. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
I.
- 2
- wiederholt, Der unter anderem wegen Sexualdelikten unterschiedlicher Art und Schwere auch gegen Kinder (vgl. Senatsbeschluss vom 25. März 2009 – 5 StR 21/09 – Tz. 6 bis 11, insoweit in BGHR StGB § 66b Abs. 1 Satz 2 Voraussetzungen 2 nicht abgedruckt) vorbestrafte Verurteilte war durch Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 7. April 1997 wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern und sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in acht Fällen sowie wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in 17 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt worden. Die Einzelstrafen für die Vergewaltigungsfälle betrugen jeweils vier Jahre und sechs Monate. Der Verurteilung lag zugrunde, dass der Beschwerdeführer in den Jahren 1992 und 1993 in Brandenburg wiederholt sexuelle Handlungen an seiner acht bzw. neun Jahre alten Stieftochter vorgenommen hatte. In 20 Fällen vollzog er – zumeist unter Mitwirkung seiner Ehefrau, die das Kind festhielt – den vaginalen Geschlechtsverkehr an dem Mädchen. Den in den ersten acht Fällen von der Geschädigten noch geleisteten Widerstand überwand er mit Gewalt.
- 3
- Urteil Das wurde am 6. Januar 1998 hinsichtlich des Schuld- und Strafausspruchs rechtskräftig, hinsichtlich der Frage der Anordnung einer Maßregel – zunächst war der Verurteilte im psychiatrischen Krankenhaus untergebracht worden, nach insoweit erfolgter Aufhebung durch den Bundesgerichtshof wurde eine Maßregel nicht erneut angeordnet – trat Rechtskraft am 8. Juli 1998 ein.
- 4
- Die Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jahren verbüßte der Verurteilte vollständig. Seit dem 15. August 2008 befindet er sich aufgrund Beschlusses des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 11. August 2008 im Vollzug der einstweiligen Unterbringung gemäß § 275a Abs. 5 StPO.
- 5
- Mit Urteil vom 2. Oktober 2008 hatte das Landgericht Frankfurt (Oder) auf Antrag der Staatsanwaltschaft vom 18. April 2008 gegen den Verurteilten gemäß § 66b Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit § 66 Abs. 2 StGB nachträglich die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Dieses Urteil hat der Senat durch Beschluss vom 25. März 2009 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Grund für die Aufhebung war, dass – bei rechtsfehlerfreier Bejahung der formellen Voraussetzungen des § 66b Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit § 66 Abs. 2 StGB – die Darlegungen des Landgerichts den gebotenen Anforderungen an die Gefährlichkeitsprognose nicht gerecht wurden.
- 6
- Mit der angefochtenen Entscheidung hat das Landgericht nunmehr erneut die nachträgliche Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung angeordnet.
II.
- 7
- Die Revision des Verurteilten führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückweisung des Antrags der Staatsanwaltschaft auf nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung.
- 8
- 1. Das Landgericht hat die sachlichen Voraussetzungen des § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB – im Ansatz rechtsfehlerfrei – bejaht. Nach dieser am 18. April 2007 in Kraft getretenen Bestimmung kann die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung auch dann nachträglich angeordnet werden, wenn die vom Verurteilten ausgehende Gefahr bereits im Zeitpunkt der Verurteilung erkennbar war, die Sicherungsverwahrung aber aus rechtlichen Gründen nicht verhängt werden konnte. Gegen den Verurteilten konnte aus rechtlichen Gründen bei der Verurteilung am 7. April 1997 nicht auf Sicherungsverwahrung erkannt werden. Die Vorschrift des § 66 StGB war damals auf – wie hier – im Beitrittsgebiet begangene Taten nicht anwendbar (Art. 1a Abs. 1 EGStGB a.F., eingefügt durch Anlage 1 Kapitel III Sachgebiet C Abschnitt II Nr. 1a des Einigungsvertrages, BGBl II 1990 S. 954).
- 9
- 2. § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB ist grundsätzlich auf Taten anwendbar, die vor seinem Inkrafttreten – mithin vor dem 18. April 2007 – begangen worden sind, und ausschließlich auf Straftaten, bei deren Aburteilung die Verhängung von Sicherungsverwahrung aus Rechtsgründen ausgeschlossen war. Die Sicherungsverwahrung rechnet zu den Maßregeln der Besserung und Sicherung (§ 61 Nr. 3 StGB), für die nach § 2 Abs. 6 StGB das zum Zeitpunkt der Entscheidung geltende Recht maßgebend ist. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 2 Abs. 6 StGB in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 MRK. Letzterer kann im Geltungsbereich von § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB nicht als abweichende gesetzliche Bestimmung gemäß § 2 Abs. 6 StGB angesehen werden.
- 10
- a) Die Europäische Menschenrechtskonvention wurde als völkerrechtlicher Vertrag durch den Bundesgesetzgeber in das deutsche Recht transformiert. Innerhalb der deutschen Rechtsordnung kommt den Regelungen der Konvention der Rang einfachen Bundesrechts zu. Die Europäische Menschenrechtskonvention ist bei der Interpretation des nationalen Rechts im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung zu beachten und anzuwenden (BVerfGE 111, 307, 317). Dabei sind die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte heranzuziehen, weil sie den aktuellen Entwicklungsstand der Konvention widerspiegeln (BVerfG aaO S. 319).
- 11
- b) Nach dem Urteil der Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (Fünfte Sektion) in der Rechtsache M. gegen Bundesrepublik Deutschland (Individualbeschwerde Nr. 19359/04) vom 17. Dezember 2009 (EuGRZ 2010, 25) ist die Sicherungsverwahrung – ungeachtet ihrer Einordnung im deutschen Recht als Maßregel der Besserung und Sicherung – im Sinne der MRK als Strafe zu qualifizieren, für die das Rückwirkungsverbot des Art. 7 Abs. 1 MRK gilt (Rdn. 124 bis 133). Der Europäische Gerichts- hof für Menschenrechte hat dies unter anderem damit begründet, dass die Sicherungsverwahrung wie eine Freiheitsstrafe mit Freiheitsentziehung verbunden sei und es in der Bundesrepublik Deutschland keine wesentlichen Unterschiede zwischen dem Vollzug einer Freiheitsstrafe und dem der Sicherungsverwahrung gebe (Rdn. 127 bis 130). Er hat daher im entschiedenen Fall die Bundesrepublik Deutschland zur Zahlung von Schadensersatz an den Beschwerdeführer verurteilt, da die Anwendung des § 67d StGB in der Fassung vom 26. Januar 1998 (BGBl I S. 160), in welchem die Höchstfrist der Sicherungsverwahrung für Erstverwahrte von zehn Jahren in § 67d Abs. 1 Satz 1 StGB a.F. teilweise aufgehoben worden war, auf Altfälle gegen Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK verstoße (Rdn. 135 ff.). Diese Entscheidung ist endgültig, nachdem der Antrag der Bundesregierung auf Verweisung der Rechtssache an die Große Kammer am 10. Mai 2010 abgelehnt worden ist (Art. 43 Abs. 2, Art. 44 Abs. 2 lit. c MRK).
- 12
- c) Unmittelbar betroffen von der genannten Entscheidung ist nur die rückwirkende Geltung von § 67d StGB. Allerdings stellt die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung gemäß § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB in ihren rechtlichen Voraussetzungen allein auf Straftaten ab, die bereits vor dem Inkrafttreten der Norm begangen wurden. Die durch den Gerichtshof gegen die Anordnung der Rückwirkung angeführten Argumente sind auf die § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB zugrundeliegenden Fallkonstellationen übertragbar (vgl. auch Kinzig NStZ 2010, 233, 239; Müller StV 2010, 207, 211 f.; Eisenberg NJW 2010, 1507, 1509; Laue JR 2010, 198, 202 f.; Peglau jurisPR-StrafR 1/2010 Anm. 2). Es muss davon ausgegangen werden, dass der Gerichtshof einen Verstoß gegen Art. 7 Abs. 1 MRK auch insoweit annehmen würde.
- 13
- d) Beanstandet eine Entscheidung des Gerichtshofs über den entschiedenen Einzelfall hinaus strukturelle Mängel des nationalen Rechts, so gebietet die Verpflichtung der innerstaatlichen Beachtung der MRK – ungeachtet deren nach Art. 46 MRK auf den Einzelfall beschränkten Bindungswir- kung – eine konventionskonforme Ausgestaltung des nationalen Rechts (Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. MRK Verfahren Rdn. 77b). Auch ohne eine dem § 31 Abs. 1 BVerfGG vergleichbare Vorschrift, wonach alle Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden an die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts gebunden sind, gehört zur Bindung an Gesetz und Recht, dass Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention in ihrer Ausformung durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs zu berücksichtigen sind (vgl. BVerfG aaO S. 323). Die Rangzuweisung der Europäischen Menschenrechtskonvention als einfaches Bundesrecht führt dazu, dass deutsche Gerichte die Konvention wie anderes Gesetzesrecht des Bundes im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung zu beachten und anzuwenden haben (BVerfG aaO). Solange Auslegungs- und Abwägungsspielräume eröffnet sind, trifft sie die Pflicht, der konventionsgemäßen Auslegung den Vorrang zu geben. Anderes gilt allerdings dann, wenn die Beachtung der Entscheidung des Gerichtshofs eindeutig entgegenstehendes Gesetzesrecht verletzen würde (BVerfG aaO S. 329); die Zulässigkeit konventionskonformer Auslegung endet aus Gründen der Gesetzesbindung der Gerichte dort, wo der gegenteilige Wille des nationalen Gesetzgebers hinreichend deutlich erkennbar wird (Giegerich in Grote/Marauhn [Hrsg.], EMRK/GG Konkordanzkommentar zum europäischen und deutschen Grundrechtsschutz 2006 Kap. 2 Rdn. 20).
- 14
- e) Nach diesen Grundsätzen kann in den Fällen des § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB das Rückwirkungsverbot gemäß Art. 7 Abs. 1 MRK nicht als abweichende gesetzliche Bestimmung nach § 2 Abs. 6 StGB angesehen werden. Eine Interpretation in diesem Sinne würde zur unmittelbaren Kollision der betroffenen Vorschriften führen und im Ergebnis auf eine vollständige Verwerfung des § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB hinauslaufen. Anders als bei den übrigen Regelungen des § 66b StGB würde § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB jeglicher Anwendungsbereich genommen, wenn auf die Geltung der Norm im Zeitpunkt der Begehung der Anlasstat abgestellt werden müsste.
- 15
- Einer Anwendung des Art. 7 Abs. 1 MRK als abweichende Regelung nach § 2 Abs. 6 StGB stehen der Gesetzeswortlaut des § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB sowie der eindeutige Wille des Gesetzgebers entgegen. Die Vorschrift wurde als „Altfallregelung“ geschaffen. Ausdrücklich sollte gewährleistet werden , „dass bei der Entscheidung über die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung als neu auch solche Tatsachen berücksichtigt werden können, die das Tatgericht aus rechtlichen Gründen bei seiner Entscheidung nicht verwerten durfte“ (BTDrucks. 16/4740 S. 23). In die Prüfung sollen Tatsachen einbezogen werden, „die im Zeitpunkt der Verurteilung bereits erkennbar oder sogar bekannt waren“ (BTDrucks. aaO). Beispielhaft verweisen die Gesetzesmaterialen auf die vorliegende Fallgestaltung, in der aufgrund der damals gültigen Fassung des Art. 1a EGStGB bei Aburteilung im Beitrittsgebiet begangener Anlasstaten Sicherungsverwahrung nicht angeordnet werden konnte (BTDrucks. aaO S. 22). Raum für eine Anwendung des Art. 7 Abs. 1 MRK ist in diesem Rahmen nicht eröffnet, weil § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB ausdrücklich und ausschließlich für Altfälle gilt.
- 16
- f) Entscheidungen anderer Senate des Bundesgerichtshofs stehen der Rechtsauffassung des Senats nicht entgegen. Die Frage, ob § 2 Abs. 6 StGB in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 MRK einer Anwendung des § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB widerstreitet, ist – soweit ersichtlich – vom Bundesgerichtshof noch nicht entschieden worden. Der 4. Strafsenat hat in seinem Beschluss vom 12. Mai 2010 – 4 StR 577/09 – zur Frage der Anwendung von § 66b Abs. 3 StGB auf Altfälle Stellung genommen. Soweit er die Auffassung vertreten hat, dass § 2 Abs. 6 StGB in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 MRK der Anwendung des § 66b Abs. 3 StGB in Altfällen zuwiderlaufe, handelt es sich nicht um einen Fall von Divergenz gemäß § 132 Abs. 2 GVG. Im Gegensatz zur Regelung des § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB verbleibt für § 66b Abs. 3 StGB bei der vom 4. Strafsenat vertretenen Auffassung ein Anwendungsbereich in den Fällen, in denen die Anlassverurteilung nach Inkrafttreten der Norm erfolgte ; die Norm erschöpft sich nicht in einer Geltung für Altfälle. Der Senat muss deshalb nicht entscheiden, ob er sich in Bezug auf § 66b Abs. 3 StGB der Rechtsauffassung des 4. Strafsenats anschließen würde.
- 17
- 3. Angesichts der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte hält indes die Ermessensausübung des Landgerichts revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht Stand. In allen Fällen des § 66b StGB trifft das Tatgericht eine Ermessensentscheidung, im Rahmen derer der Vertrauensschutz des Verurteilten sowie sein Freiheitsrecht gegen das Schutzbedürfnis der Allgemeinheit abzuwägen sind. Bei der Anwendung des § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB haben die Strafgerichte darüber hinaus im Blick zu behalten , dass der verfassungsrechtliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit es gebieten kann, über die gesetzlichen Beschränkungen des Anwendungsbereichs der Norm hinaus auf die mit erheblichen Eingriffen in die Freiheitsrechte des Betroffenen verbundene nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung zu verzichten, wenn eine Gesamtabwägung im Einzelfall ein Überwiegen der Freiheitsrechte gegenüber den Allgemeininteressen ergibt (BVerfG – Kammer – NJW 2009, 980, 982).
- 18
- a) Nach den dargestellten Grundsätzen sind in die Ermessensausübung auch die Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention in ihrer Ausformung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte einzubeziehen. In die Abwägung muss die vom Gerichtshof geforderte konventionsgemäße Gewichtung einfließen (Gollwitzer aaO Rdn. 77a), um eine konforme Anwendung der in Frage stehenden Norm zu gewährleisten. Die Ausführungen des Gerichtshofs zur Vereinbarkeit mit Art. 7 Abs. 1 MRK streiten in diesem Rahmen unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes gewichtig zugunsten des Verurteilten.
- 19
- b) Gleiches gilt für die Erwägungen des Gerichtshofs zu der ebenfalls angenommenen Verletzung von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 MRK, mithin des Freiheitsrechts des Verurteilten. Diesbezüglich hält der Gerichtshof in der genannten Entscheidung die Freiheitsentziehung über die ursprünglich für die Sicherungsverwahrung geltende Zehnjahresfrist hinaus für nicht nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. a MRK gerechtfertigt. Ein ausreichender Kausalzusammenhang zwischen der Verurteilung des Beschwerdeführers und seinem fortdauernden Freiheitsentzug liege nicht vor. Eine Rechtfertigung der Freiheitsentziehung nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. c MRK komme ebenfalls nicht in Betracht , da die Gefahr weiterer schwerer Straftaten nicht konkret und spezifisch genug sei.
- 20
- Diese vom Gerichtshof für § 67d StGB aufgezeigten Bedenken sind ebenfalls auf die Regelung des § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB zu übertragen. Danach beruht die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung nicht auf einer „Verurteilung" im Sinne des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. a MRK. Denn diese setzt die Schuldfeststellung wegen einer Straftat und die Auferlegung einer Strafe oder einer anderen freiheitsentziehenden Maßnahme voraus (EuGRZ aaO Rdn. 87, 95). Die Entscheidung über die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung enthält indes keine Schuldfeststellung. Auf die Anlassverurteilung kann hier nicht abgestellt werden, weil – unter Zugrundelegung der vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vertretenen Grundsätze (aaO Rdn. 100) – ein hinreichender kausaler Zusammenhang zwischen ihr und der Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nicht besteht. Die Verurteilung des Beschwerdeführers im Jahr 1997 bedeutete, dass er nach spätestens zwölf Jahren aus der Haft zu entlassen sein würde, und zwar unabhängig von einer bei der Entlassung bestehenden Gefährlichkeit. Ohne die nachträgliche Einführung des § 66b StGB hätte er nicht in der Sicherungsverwahrung untergebracht werden können; seine Unterbringung wurde nur durch die nachfolgende Gesetzesänderung im Jahre 2007 möglich und geschah aufgrund eines neuen gerichtlichen Erkenntnisses.
- 21
- 4. Vor diesem Hintergrund ist bei konventionskonformer Ermessensausübung von einem grundsätzlichen Überwiegen des Freiheitsrechtes und des Vertrauensschutzes des Beschwerdeführers auszugehen.
- 22
- a) Ungeachtet der Frage, ob § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB insgesamt mit dem im Lichte der Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention auszulegenden (vgl. dazu BVerfGE 74, 102, 128 m.w.N.; BVerfG – Kammer – EuGRZ 2004, 317, 318) Vertrauensgrundsatz (Art. 20 Abs. 3 GG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 GG) vereinbar ist (vgl. dazu auch BGH NJW 2010, 1539, 1542 f.), kann die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung auf der Grundlage dieser Vorschrift allenfalls bei höchstgefährlichen Verurteilten in Betracht kommen, bei denen sich die Gefahrenprognose aus konkreten Umständen in der Person oder ihrem Verhalten ableiten lässt. Nur dann erscheint denkbar, dass nach der aus der Entscheidung des Gerichtshofs (EuGRZ 2010, 25) folgenden Rechtsauffassung der Eingriff in das Freiheitsrecht des Verurteilten unter Berücksichtigung seines auf höchster Stufe schutzwürdigen Vertrauens in die Unabänderbarkeit der in der Anlassverurteilung verhängten Rechtsfolge einerseits und der Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit andererseits im Rahmen einer zu seinen Lasten getroffenen Abwägungsentscheidung gerechtfertigt ist.
- 23
- b) Ein derart schwerwiegendes, sich in konkreten Anhaltspunkten manifestierendes Gefährdungspotential belegen die Feststellungen des Landgerichts nicht.
- 24
- Sachverständig beraten ist das Landgericht zu der Überzeugung gelangt , dass der 67 Jahre alte und aufgrund eines Schlaganfalls im Jahr 2001 in seiner Beweglichkeit eingeschränkte Verurteilte wegen eines Hanges zur Begehung erheblicher Sexualstraftaten gefährlich ist. Beim Verurteilten handele es sich um eine dissoziale Persönlichkeit, deren Lebensweg auch mangels eines inneren Wertesystems von starker Egozentrik in der Wahrnehmung seiner persönlichen, insbesondere sexuellen Bedürfnisse geprägt sei. Die massive Verleugnung sowie die damit einhergehende mangelnde therapeutische Aufarbeitung der von ihm begangenen Straftaten verhinderten eine selbstkritische Auseinandersetzung mit seiner Persönlichkeit sowie den Aufbau eines von Empathie getragenen Wertesystems. Da sich die Persönlich- keitsstruktur auch in der nunmehr seit über 13 Jahren andauernden Haftzeit trotz überwiegend guter Führung nicht geändert habe, bestehe eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Verurteilte im Falle seiner Entlassung aus der Haft auch künftig Sexualstraftaten – gegebenenfalls erneut unter der enthemmenden Wirkung von Alkohol – aus dem gesamten Spektrum der seit dem 20. Lebensjahr von ihm begangenen Taten begehen werde.
- 25
- Damit hat das Landgericht die fortbestehende Gefährlichkeit des Verurteilten im Ergebnis aus der dissozialen Prägung seiner Persönlichkeit und seines Lebensweges abgeleitet, die sich in den von ihm begangenen Straftaten niedergeschlagen hat, verbunden mit dem Umstand, dass er nie zu einer therapeutischen Aufarbeitung seiner Straftaten bereit war. Hinreichend konkrete Hinweise auf die Begehung künftiger Straftaten von höchster Schwere hat das Landgericht demgegenüber nicht festgestellt. Diese sind indes auf der Grundlage der – nach dem angefochtenen Urteil ergangenen – Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte jedenfalls erforderlich , um die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB rechtfertigen zu können.
- 26
- c) Nachdem das Landgericht bereits nach der Zurückverweisung der Sache durch den Senat mit Beschluss vom 25. März 2009 ergänzende Feststellungen zum Beleg der Gefahrenprognose getroffen hat, schließt der Senat aus, dass noch weitergehende Feststellungen getroffen werden können, die eine auf hinreichend konkreten Anhaltspunkten basierende Gefahrenprognose in der Person des Verurteilten begründen. Er hat wegen der aus Rechtsgründen eingetretenen Ermessensreduzierung von einer Zurückverweisung der Sache abgesehen.
- 27
- 5. Die Maßregelanordnung war demzufolge aufzuheben und der Antrag der Staatsanwaltschaft in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO zurückzuweisen. Der Verurteilte ist unverzüglich auf freien Fuß zu setzen.
- 28
- 6. Die Entscheidung über die Entschädigung des Beschwerdeführers wegen der seit Ende der Strafhaft erlittenen Strafverfolgungsmaßnahmen bleibt wegen der größeren Sachnähe dem Landgericht vorbehalten.
(1) Die Strafe und ihre Nebenfolgen bestimmen sich nach dem Gesetz, das zur Zeit der Tat gilt.
(2) Wird die Strafdrohung während der Begehung der Tat geändert, so ist das Gesetz anzuwenden, das bei Beendigung der Tat gilt.
(3) Wird das Gesetz, das bei Beendigung der Tat gilt, vor der Entscheidung geändert, so ist das mildeste Gesetz anzuwenden.
(4) Ein Gesetz, das nur für eine bestimmte Zeit gelten soll, ist auf Taten, die während seiner Geltung begangen sind, auch dann anzuwenden, wenn es außer Kraft getreten ist. Dies gilt nicht, soweit ein Gesetz etwas anderes bestimmt.
(5) Für Einziehung und Unbrauchbarmachung gelten die Absätze 1 bis 4 entsprechend.
(6) Über Maßregeln der Besserung und Sicherung ist, wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nach dem Gesetz zu entscheiden, das zur Zeit der Entscheidung gilt.
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
2. Der Senat beabsichtigt zu entscheiden: Aus der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten in ihrer Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ergibt sich für die Maßregel der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung keine die Rückwirkung generell hindernde andere Bestimmung im Sinne des § 2 Abs. 6 StGB.
Der Senat fragt beim 4. Strafsenat an, ob an entgegenstehender Rechtsprechung festgehalten wird, bei den anderen Strafsenaten, ob dieser Rechtsauffassung zugestimmt wird.
3. Bis zur Erledigung des Verfahrens nach § 132 GVG werden die Akten an die vorlegenden Oberlandesgerichte zur Fortführung der nach § 67e Abs. 1 Satz 1, § 67d Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 StGB gebotenen Überprüfungen zurückgegeben.
G r ü n d e
- 1
- Die verbundenen Vorlegungsverfahren (§ 121 Abs. 2 Nr. 3 GVG) betreffen die Frage der Fortgeltung der bis 30. Januar 1998 gültigen Höchstdauer der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung von zehn Jahren (§ 67d Abs. 1 Satz 1 StGB a.F.) in „Altfällen“. Der Senat hat darüber zu entscheiden , ob das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. Dezember 2009 (M. gegen Deutschland, Individualbeschwerde Nr. 19359/04, EuGRZ 2010, 25) die deutschen Gerichte dazu zwingt, in Fällen , in denen die erstmalige Unterbringung eines Verurteilten in der Sicherungsverwahrung wegen Taten angeordnet wurde, die vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen schweren Straftaten vom 26. Januar 1998 (BGBl I 160) begangen worden waren, die Maßregel nach zehnjährigem Vollzug für erledigt zu erklären.
- 2
- Die vorlegenden Oberlandesgerichte Stuttgart, Celle und Koblenz möchten – wie bereits in vorangegangenen Entscheidungen (OLG Stuttgart Justiz 2010, 346; OLG Celle NStZ-RR 2010, 322; OLG Koblenz JR 2010, 306; vgl. auch OLG Nürnberg NStZ 2010, 574) – jeweils in Fällen über zehn Jahre hinaus vollstreckter Sicherungsverwahrung sofortige Beschwerden von Untergebrachten gegen Fortdauerbeschlüsse der zuständigen Landgerichte verwerfen. Sie vertreten die Auffassung, dass auch unter Zugrundelegung der Ausführungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte eine Erledigterklärung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung in Altfällen nach Vollzug von zehn Jahren trotz fortbestehender Gefährlichkeit des Verurteilten nicht geboten sei. Vielmehr richte sich die Entscheidung über die Fortdauer der Sicherungsverwahrung allein nach der gegenwärtigen Regelung des § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB. An der beabsichtigten Entscheidung sehen sie sich jedoch durch Beschlüsse anderer Oberlandesgerichte (OLG Frankfurt NStZ 2010, 573; NStZ-RR 2010, 321; OLG Hamm StRR 2010, 352; OLG Karlsruhe Justiz 2010, 350; NStZ-RR 2010, 322; SchlHolstOLG SchlHA 2010, 296) gehindert. Sie haben deshalb die jeweilige Sache zur Entscheidung der Rechtsfrage gemäß § 121 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 3 GVG dem Bundesgerichtshof vorgelegt.
- 3
- Dem Senat liegen zwölf weitere gleichgelagerte Vorlegungsverfahren vor. Er möchte in den drei zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Verfahren – im Ergebnis in Übereinstimmung mit den Anträgen des Generalbundesanwalts – grundsätzlich im Sinne der vorlegenden Oberlandesgerichte entscheiden. Er sieht sich daran jedoch durch bindende Rechtsprechung des 4. Strafsenats des Bundesgerichtshofs gehindert; darüber hinaus sieht der Senat in der aufgeworfenen Frage eine solche von grundsätzlicher Bedeutung (§ 132 Abs. 4 GVG).
I.
- 4
- 1. Beschluss des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 19. August 2010 (Vorlegungsverfahren 5 StR 394/10):
- 5
- Durch Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 27. September 1985 (Anlassurteil ) wurde der wiederholt, unter anderem wegen schwerster Sexualdelikte vorbestrafte D. wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexueller Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt, verbunden mit der Anordnung der Sicherungsverwahrung. Nach vollständiger Verbüßung der Strafe wird die Sicherungsverwahrung – nunmehr bereits über 21 Jahre – vollzogen. Mit dem angefochtenen Beschluss vom 19. März 2010 hat das Landgericht Heilbronn letztmals die Fortdauer der Sicherungsverwahrung angeordnet.
- 6
- Sachverständig beraten ist das Oberlandesgericht zu der Überzeugung gelangt, dass der mittlerweile 63 Jahre alte Verurteilte auch weiterhin wegen eines Hanges zur Begehung erheblicher Straftaten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, gefährlich sei. Er sei eine histrionisch-dissoziale Persönlichkeit, die einen Mangel an Empa- thie, deutliche und andauernde Verantwortungslosigkeit, Missachtung sozialer Normen, eine niedrige Schwelle für aggressives, auch gewalttätiges Handeln sowie oberflächliche Affektivität, Egozentrik und manipulatives Verhalten zur Befriedigung eigener Bedürfnisse aufweise. Seine Persönlichkeitsstruktur sei durch ein jedes normale Maß übersteigendes Geltungs- und Durchsetzungsbedürfnis sowie das Bedürfnis gekennzeichnet, Überlegenheit zu demonstrieren. Das bisherige strafbare Vorleben des Verurteilten beruhe auf dieser Persönlichkeitsstruktur. Im Vordergrund der Taten habe die Demonstration von Macht gestanden, die den eigentlichen sexuellen Antrieb überwogen habe. Dem liegen folgende tatsächliche Befunde zugrunde:
- 7
- Nachdem der Verurteilte bereits 1971 wegen versuchter Notzucht verurteilt worden war, verübte er vor Begehung der Anlasstat in der Zeit von 1973 bis 1978 – zweimal während laufender Strafaussetzungen, einmal nur zwei Monate nach längerer Untersuchungshaft – insgesamt vier schwere Sexualstraftaten. Alle zeichneten sich durch brutales, auf bedingungslose Durchsetzung des eigenen Willens gerichtetes Vorgehen und durch menschenverachtende Behandlung der Opfer aus. Seine zwischen 13 und 17 Jahre alten Opfer vergewaltigte er mehrfach, auf verschiedene Weise und unter entwürdigenden Begleitumständen. In Fällen der Mittäterschaft war er der Wortführer, der Reihenfolge, Zeit und Art des erzwungenen Geschlechtsverkehrs anordnete. In nahezu allen Fällen versetzte er die Opfer durch Würgen oder Zupacken am Hals, verbunden mit entsprechenden Drohungen, in Todesangst.
- 8
- Während des Vollzugs der Sicherungsverwahrung verübte er mehrere zum Teil bewaffnete Angriffe auf Vollzugsbedienstete. Weiterhin sind zahlreiche ernstzunehmende Bedrohungen von Vollzugs- und Justizpersonal aktenkundig , die mit Hinweisen auf Anschriften, auch der Ehepartner, oder mit vorgeblichem Wissen um den Aufenthalt der Kinder der bedrohten Personen verknüpft waren. Letztmalig drohte er am 6. Juni 2010 damit, seine Zelle – wie bereits zuvor geschehen – in Brand zu stecken, und bezeichnete sich selbst als „tickende Atombombe“.
- 9
- Der Verurteilte lehnt nahezu jede therapeutische Behandlung ab. Er unterhält keine Außenkontakte und hat Lockerungsmaßnahmen (begleitete Wanderungen oder Stadtausführungen) ebenso verweigert wie Beratungsgespräche mit der Bewährungshilfe und die Teilnahme an einem sozialen Training. Auf die Bereitschaft der Sozialbetreuung Heilbronn, ihm im Fall der Entlassung eine Unterkunft mit Hilfe bei der Bewältigung des täglichen Lebens zur Verfügung zu stellen, hat er ablehnend reagiert.
- 10
- 2. Beschluss des Oberlandesgerichts Celle vom 9. September 2010 (Vorlegungsverfahren 5 StR 440/10):
- 11
- Durch Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 12. Juli 1991 (Anlassurteil ) wurde K. wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit sexueller Nötigung, in einem Fall in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt, verbunden mit der Anordnung der Sicherungsverwahrung. Mit dem angefochtenen Beschluss vom 28. Mai 2010 hat das Landgericht Lüneburg erstmals die Fortdauer der Sicherungsverwahrung über zehn Jahre hinaus angeordnet.
- 12
- Seine Überzeugung, dass der Verurteilte einen Hang zur Begehung einschlägiger schwerer Straftaten aufweise, begründet das Oberlandesgericht mit folgenden Umständen:
- 13
- Anfang 1967 kam es zur ersten Sexualstraftat des Verurteilten, bei der er versucht hatte, zwei 15 Jahre alte Jungen anal zu vergewaltigen, nachdem er sie zuvor bedroht und gefesselt hatte. Im Juli 1968 zwang er zwei 13-jährige Jungen, sein Glied bis zum Samenerguss zu reiben, während er an den Geschlechtsteilen der Opfer manipulierte. Nur etwa einen Monat später ver- senkte er einen 17-jährigen Jugendlichen, den er aufgrund eines zuvor im Rahmen einer tätlichen Auseinandersetzung erlittenen Sturzes für tot hielt, in einem Teich. Etwa ein Jahr nach Verbüßung der deswegen verhängten Jugendstrafe zwang er einen 13 Jahre alten Jungen zum Oral- und Analverkehr. Nur wenige Tage nach Entlassung aus der gegen ihn verhängten Strafhaft zwang er einen Arbeitskollegen unter Vorhalt eines Messers zum Oralverkehr. Der Anlassverurteilung liegen zugrunde die Vornahme des Oralverkehrs sowie der Versuch des Analverkehrs an einem elfjährigen Jungen , der mehrfache unter Vorhalt eines Messers und unter Fesselung erzwungene Anal- und Oralverkehr an zwei 13-jährigen Jungen sowie der ebenfalls unter Vorhalt eines Messers und unter Fesselung erzwungene Oral- und Analverkehr an einem weiteren elfjährigen Jungen, der überdies durch eine Schnittverletzung am Hals lebensgefährlich verletzt wurde.
- 14
- Diese Straftaten sind nach Auffassung des Oberlandesgerichts Ausdruck der letztmalig im Mai 2010 sachverständig bestätigten schweren Persönlichkeitsstörung mit sadistisch ausgerichteter Sexualdeviation des mittlerweile 61 Jahre alten Verurteilten. Bisherige therapeutische Interventionsversuche verliefen ergebnislos. Die Teilnahme an gruppentherapeutischen Sitzungen brach der Verurteilte ab, weil er den Kontakt zu den anderen Teilnehmern nicht habe ertragen können. Seither zeigte er keine Bereitschaft zu Therapiemaßnahmen. Auch ein Aufenthalt in der sozialtherapeutischen Abteilung der Justizvollzugsanstalt Hannover wurde im Jahr 2008 wegen mangelnder Aufgeschlossenheit in der Therapie abgebrochen.
- 15
- 3. Beschluss des Oberlandesgerichts Koblenz vom 30. September 2010 (Vorlegungsverfahren 5 StR 474/10):
- 16
- F. beging in den Jahren 1976, 1977 und 1983 insgesamt sechs schwere, sämtlich gegen Frauen gerichtete Gewaltverbrechen, darunter Sexualverbrechen:
- 17
- 1977 wurde er wegen schweren Raubes in Tateinheit mit räuberischem Angriff auf Kraftfahrer in zwei Fällen und wegen Vergewaltigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Er hatte in einer Nacht in kurzem zeitlichem Abstand zwei Prostituierte in sein Fahrzeug gelockt und auf einem Autobahnparkplatz unter Vorhalt eines Dolches ausgeraubt, eine der Frauen ferner unter Drohung mit einer Schusswaffe zum Geschlechtsverkehr gezwungen.
- 18
- Anfang Dezember 1977 setzte er das Haus einer Arbeitskollegin in Brand, die einen Annäherungsversuch abgewiesen hatte, wobei sich sieben Menschen in dem Haus aufhielten. Wegen schwerer Brandstiftung wurde er zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt.
- 19
- Durch das Landgericht Zweibrücken wurde er am 5. Juni 1984 (Anlassurteil ) wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexueller Nötigung in zwei Fällen, davon in einem Fall in weiterer Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt, verbunden mit der Anordnung der Sicherungsverwahrung. Unter ständiger Bedrohung mit einem Messer hatte er eine junge Mutter in deren Wohnung mehrmals zum Geschlechtsverkehr gezwungen, mit dem Messer an deren Geschlechtsteil manipuliert, sie gezwungen, den Oralverkehr bei ihm auszuüben , vor ihm die Notdurft zu verrichten und ihn manuell zu befriedigen, wobei er ihr das Ejakulat ins Gesicht spritzte. Nachdem er die Frau gefesselt und geknebelt hatte, versuchte er, den Analverkehr durchzuführen. Unter der Drohung, ihren vier Monate alten Säugling umzubringen, falls sich die Geschädigte an die Polizei wende, ließ er schließlich von ihr ab. Einen Tag später verschaffte er sich erneut Zutritt zu ihrer Wohnung und zwang sie abermals unter Vorhalt eines Messers mehrfach zum Geschlechtsverkehr. Er nötigte die völlig verstörte und erschöpfte Frau, zwölf Tabletten eines starken Beruhigungsmittels mit Bier einzunehmen. Die Geschädigte geriet hierdurch in einen Dämmerzustand und wurde nachts darauf in hilfloser Lage in ihrer Wohnung aufgefunden. Am Folgetag verschaffte sich der Verurteilte Zutritt zur Wohnung der 20-jährigen Nachbarin seiner Eltern und stach mit einem Schraubenzieher auf sie ein. Er würgte die junge Frau und stieß ihr zwei Finger in die Augen. Dann zwang er sie zum Oralverkehr und Beischlaf, während er erneut auf sie einstach und ihr drohte, den Schraubenzieher in ihre Scheide zu stoßen. Die Geschädigte erlitt zahlreiche schwere Verletzungen und war massiv traumatisiert.
- 20
- Seit 20 Jahren wird die Sicherungsverwahrung vollzogen. Im Mai 2009 erlitt der Verurteilte einen akuten Vorderwandinfarkt; er leidet an einer Knieund Hüftarthrose, aufgrund derer er Gehstützen benutzt. Zuletzt hat das Landgericht Koblenz mit dem angefochtenen Beschluss vom 18. Februar 2010 den weiteren Vollzug der Maßregel angeordnet.
- 21
- Das Oberlandesgericht nimmt nach eingehender Prüfung einen fortbestehenden Hang des Verurteilten zur Begehung einschlägiger schwerer Straftaten an. Nach näherer Aufklärung des physischen Gesundheitszustands des jetzt 58 Jahre alten Verurteilten gelangt es zu der Überzeugung, dass er trotz seiner gesundheitlichen Einschränkungen zu massivem fremdaggressivem Verhalten, auch zur Begehung von Sexualstraftaten, körperlich in der Lage ist, und zeigt plausible mögliche Verbrechensszenarien auf.
- 22
- Sachverständig beraten kommt es zu dem Ergebnis, dass dem strafbaren Verhalten des Verurteilten eine kombinierte Persönlichkeitsstörung zugrunde liegt, die eine geringe Frustrationstoleranz und eine gesteigerte Impulsivität bedingt und im Vollzug keine Abmilderung erfahren hat. Der Verurteilte hat sich bisher jeglichem therapeutischen Zugang verschlossen. Begonnene Therapien hat er entweder von sich aus eingestellt oder sie mussten abgebrochen werden, da er sich nicht öffnete. Derzeit lehnt er jedes Therapieangebot ab; er sieht keinen Therapiebedarf. Zu den Anlasstaten zeigt er oberflächliche Verleugnungs- und Verdrängungstendenzen. Hinsichtlich seines Sexualverhaltens gibt er an, etwa einmal wöchentlich bis zum Samenerguss zu onanieren; er wolle nach wie vor den Geschlechtsverkehr mit einer erwachsenen Frau ausführen, was er sich in seiner Phantasie auch vorstelle. Falls seine Erektion nicht ausreiche, werde er Viagra nehmen. Die Gefahr erneuter schwerster Sexualstraftaten hält das Oberlandesgericht für außerordentlich hoch. Selbst ein Tötungsdelikt liege – da der Verurteilte bei der letzten Anlasstat Tötungsphantasien ausgelebt habe – im Bereich des Wahrscheinlichen.
II.
- 23
- Die Rechtsansicht der vorlegenden Oberlandesgerichte, dass sich trotz des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte die Entscheidung über die Fortdauer der Sicherungsverwahrung über zehn Jahre hinaus in Altfällen allein nach der gegenwärtigen Regelung des § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB richte, ist unvereinbar mit der bindenden Rechtsprechung des 4. Strafsenats des Bundesgerichtshofs im Beschluss vom 12. Mai 2010 – 4 StR 577/09 (NStZ 2010, 567).
- 24
- 1. Durch das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen schweren Straftaten vom 26. Januar 1998 (BGBl I 160) hat der Gesetzgeber die durch das 2. Strafrechtsreformgesetz vom 4. Juli 1969 (BGBl I 717) eingeführte strikte Höchstdauer der ersten Unterbringung in der Sicherungsverwahrung von zehn Jahren (§ 67d Abs. 1 Satz 1 StGB a.F.) aufgehoben und die unbefristete Vollstreckung der Maßregel ermöglicht, jedoch nur unter den in § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB genannten engeren Voraussetzungen.
- 25
- Zum zeitlichen Geltungsbereich dieser Vorschrift bestimmt die allgemeine Regelung des § 2 Abs. 6 StGB, dass für Maßregeln der Besserung und Sicherung das zur Zeit der Entscheidung geltende Recht anzuwenden ist, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist. § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB ist daher grundsätzlich auch auf Altfälle anwendbar (BVerfGE 109, 133, 182).
- 26
- 2. Für den Anwendungsbereich der nachträglichen Sicherungsverwahrung gemäß § 66b Abs. 3 StGB sieht der 4. Strafsenat (aaO) in Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK in seiner Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eine anderweitige gesetzliche Bestimmung im Sinne des § 2 Abs. 6 StGB (ebenso Grabenwarter JZ 2010, 857; Gaede HRRS 2010, 329, 332 ff.), welche eine Anwendung des § 66b Abs. 3 StGB auf Altfälle ausschließe.
- 27
- a) Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. Dezember 2009 (EuGRZ 2010, 25) ist die Sicherungsverwahrung – ungeachtet ihrer Einordnung im deutschen Recht als Maßregel der Besserung und Sicherung – im Sinne der Europäischen Menschenrechtskonvention als Strafe zu qualifizieren, für die das Rückwirkungsverbot des Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK gilt (Rdn. 124 bis 133). Der Gerichtshof hat dies unter anderem damit begründet, dass die Sicherungsverwahrung wie eine Freiheitsstrafe mit Freiheitsentziehung verbunden sei und es in Deutschland keine wesentlichen Unterschiede zwischen dem Vollzug einer Freiheitsstrafe und dem der Sicherungsverwahrung gebe (aaO Rdn. 127 bis 130).
- 28
- b) Der 4. Strafsenat legt zugrunde, dass die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte – ungeachtet ihrer auf den Einzelfall beschränkten Bindungswirkung (vgl. Art. 46 Abs. 1 MRK sowie hierzu Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. MRK Verfahren Rdn. 76) – bei der Auslegung innerdeutschen Rechts zu berücksichtigen sind. Dies führe zum Ausschluss rückwirkender Anwendung. Zwar handele es sich bei der Sicherungsverwahrung nach innerdeutschem Recht um eine Maßregel der Besserung und Sicherung, für die nach § 2 Abs. 6 StGB grundsätzlich das Recht zum Zeitpunkt der Entscheidung gelte. § 2 Abs. 6 StGB schreibe die Maßgeblichkeit des geltenden Rechts jedoch nur dann vor, „wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt“ sei. Eine derartige andere Bestimmung stelle Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK in seiner Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte dar (BGH aaO S. 568).
- 29
- 3. Trifft die Auffassung des 4. Strafsenats zu, so ist die Vorlegungsfrage zwingend dahingehend zu beantworten, dass Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK eine Anwendung des § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB auf die hier zu beurteilenden Altfälle ausschließt. Nach dem zum jeweiligen Tatzeitpunkt geltenden Recht war die Dauer des Vollzugs der Sicherungsverwahrung auf zehn Jahre begrenzt ; alle Verurteilten wären somit – ungeachtet fortdauernder Gefährlichkeit – nach Fristablauf freizulassen. Die Frage des Rückwirkungsverbots kann im Rahmen des § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB nicht anders beantwortet werden als im Rahmen des für die Entscheidung des 4. Strafsenats maßgebenden § 66b Abs. 3 StGB (vgl. auch OLG Karlsruhe NStZ-RR 2010, 322).
III.
- 30
- Der Senat ist indessen – in Übereinstimmung mit dem Antrag des Generalbundesanwalts – der Meinung, dass einer Auslegung des § 2 Abs. 6 StGB in diesem Sinne zwingende Rechtsgründe entgegenstehen.
- 31
- 1. Die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten wurde als völkerrechtlicher Vertrag durch den Bundesgesetzgeber in das deutsche Recht transformiert. Innerhalb der deutschen Rechtsordnung kommt den Regelungen der Konvention der Rang einfachen Bundesrechts zu. Die Konvention ist bei der Interpretation des nationalen Rechts im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung zu beachten und anzuwenden (BVerfGE 111, 307, 317). Dabei sind auch die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu berücksichtigen, weil sie den aktuellen Entwicklungsstand der Konvention widerspiegeln (BVerfGE aaO S. 319).
- 32
- Zeigt eine Entscheidung des Gerichtshofs, wie vorliegend, über den entschiedenen Einzelfall hinaus strukturelle Mängel des nationalen Rechts auf, so gebietet die Verpflichtung innerstaatlicher Beachtung der Konvention – ungeachtet der beschränkten Bindungswirkung nach Art. 46 Abs. 1 MRK – eine konventionskonforme Ausgestaltung des nationalen Rechts (Gollwitzer aaO Rdn. 77b). Auch in Ermangelung einer § 31 Abs. 1 BVerfGG entsprechenden Vorschrift, wonach alle Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden an die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts gebunden sind, gehört zur Bindung an Gesetz und Recht, dass Gewährleistungen der Konvention in ihrer Ausformung durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs zu berücksichtigen sind (BVerfGE aaO S. 323). Aus dem Stellenwert der Europäischen Menschenrechtskonvention als lediglich einfaches Bundesrecht folgt indes, dass die Verpflichtung deutscher Gerichte zu vorrangiger konventionskonformer Auslegung auf Fälle vorhandener Auslegungs- und Abwägungsspielräume beschränkt ist (BVerfGE aaO S. 329). Die Zulässigkeit konventionskonformer Auslegung endet aus Gründen der Gesetzesbindung der Gerichte dort, wo der gegenteilige Wille des nationalen Gesetzgebers deutlich erkennbar wird (BGH NStZ 2010, 565, 566, zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt; Giegerich in Grote/Marauhn [Hrsg.], EMRK/GG Konkordanzkommentar zum europäischen und deutschen Grundrechtsschutz 2006 Kap. 2 Rdn. 20; Radtke NStZ 2010, 537, 542 ff.). Die Europäische Menschenrechtskonvention eröffnet den Gerichten keine Verwerfungskompetenz für eindeutig entgegenstehende Gesetze. Anders als bei deren Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz (Art. 100 Abs. 1 GG) besteht hier auch keine Vorlegungsmöglichkeit. In diesen Fällen ist allein der Gesetzgeber aufgerufen, eine Verletzung der Konvention infolge Anwendung eindeutiger gesetzlicher Regelungen durch deren Abänderung zu beseitigen.
- 33
- 2. Nach diesen Grundsätzen kann das aus Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK resultierende Rückwirkungsverbot nicht als abweichende gesetzliche Bestimmung im Sinne des § 2 Abs. 6 StGB angesehen werden. Zwar ist grundsätzlich davon auszugehen, dass der Gesetzgeber nicht von völkerrechtlichen Verpflichtungen abweichen oder die Verletzung solcher Verpflichtungen ermöglichen will (BVerfGE 74, 358, 370). Der Gesetzgeber hat jedoch unmissverständlich das Gebot zum Ausdruck gebracht, die betroffenen weiter- hin gefährlichen Verurteilten nicht in die Freiheit zu entlassen. Eine Interpretation des § 2 Abs. 6 StGB in dem Sinne, dass für die Sicherungsverwahrung eine rückwirkende Anwendung nicht möglich ist, würde den in den genannten Bestimmungen enthaltenen, vom eindeutigen Willen des Gesetzgebers getragenen Normbefehl teilweise oder ganz aushöhlen (vgl. auch Radtke aaO) und liefe auf ein den Strafgerichten bei der Berücksichtigung der Europäischen Menschenrechtskonvention nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht zustehendes Normverwerfungsrecht hinaus.
- 34
- a) Dass der Gesetzgeber die aus der Konvention resultierenden völkerrechtlichen Verpflichtungen, namentlich den Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK, nicht als Ausnahmevorschrift im Sinne des § 2 Abs. 6 StGB verstanden, sondern als Prüfungsmaßstab zur Frage der Übereinstimmung der Norm mit der Konvention herangezogen hat, ist den Gesetzesmaterialien zu entnehmen. Bei den Beratungen zum 2. Strafrechtsreformgesetz hat er sich ausdrücklich mit dem Verhältnis der beiden Regelungen befasst. Bereits seinerzeit erhobene Bedenken, dass die grundsätzliche Ausnahme der Maßregeln vom Rückwirkungsverbot gegen Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK verstoße, hat er als „unbegründet“ zurückgewiesen (BT-Drucks. IV/650, S. 108). Besondere Vorschriften für die zeitliche Geltung von Maßregeln würden namentlich für die Zeit des Inkrafttretens des neuen Strafrechts erforderlich werden; im Einführungsgesetz werde daher im Einzelnen zu regeln sein, ob und in welchem Umfange Neuerungen im Maßregelrecht des Entwurfs zurückwirkten (BT-Drucks. IV/650 aaO). Durch die Wendung „wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist“ solle darauf hingewiesen werden, dass bei der Rechtsanwendung auf die Möglichkeit besonderer Regelungen zu achten sei (BTDrucks. IV/650 aaO). Dem entspricht die im strafrechtlichen Schrifttum vertretene Meinung, dass § 2 Abs. 6 StGB für eine Ausnahme von der Regel der Anwendung des zum Entscheidungszeitpunkt geltenden Rechts ausdrückliche Normierungen des Gesetzgebers verlangt (vgl. Schmitz in MünchKommStGB § 2 Rdn. 51).
- 35
- b) Im Anwendungsbereich des § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB hat der Gesetzgeber keine besondere gesetzliche Anordnung im Sinne des § 2 Abs. 6 StGB für Altfälle getroffen. Im Gegenteil bestimmte Art. 1a Abs. 3 EGStGB in der Fassung vom 31. Januar 1998 ausdrücklich die rückwirkende Anwendung auf Fälle, in denen die Anlasstat vor Inkrafttreten der Gesetzesnovelle begangen worden war. Aus der Streichung der Vorschrift mit Wirkung zum 29. Juli 2004 (BGBl I 1838) kann keine abweichende gesetzgeberische Wertung abgeleitet werden. Sie erfolgte nur deswegen, weil Art. 1a Abs. 3 EGStGB vor dem Hintergrund der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Februar 2004 – 2 BvR 2029/01 (BVerfGE 109, 133) – und 10. Februar 2004 – 2 BvR 834/02 u.a. (BVerfGE 109, 190) – verzichtbar erschien (BT-Drucks. 15/2887).
- 36
- c) Ebenso zweifelsfrei ist der gesetzgeberische Wille für eine Rückwirkung im Bereich der nachträglichen Sicherungsverwahrung nach § 66b StGB. Die Norm wurde mit Billigung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 109, 190), das auch spätere entsprechende Anwendungen in all ihren Varianten unbeanstandet gelassen hat (BVerfG – Kammer – NStZ 2007, 87; NJW 2009, 980; NStZ 2010, 265), gerade auch für solche Fälle geschaffen, in denen bei Tatbegehung noch keine nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung vorgesehen war, weitgehend auch für Fälle, in denen die nachträgliche Anordnung an formelle Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung anknüpfte, die bei Tatbegehung noch nicht galten. Der Bundesgerichtshof hat – ersichtlich im Einklang mit dem Willen des Gesetzgebers – unter Berufung auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine insoweit rückwirkende Anwendung des § 66b StGB wiederholt gebilligt (vgl. nur BGHSt 52, 205, 209 ff. m.w.N.).
- 37
- d) In diesem Zusammenhang wäre es im Übrigen kein gangbarer Weg, über § 2 Abs. 6 StGB i.V.m. Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK eine Rückwirkung nur bei den Regelungen zu verhindern, denen, weil auch „Neufälle“ umfassend , bei Ausschluss rückwirkender Anwendung noch ein sinnvoller An- wendungsbereich verbliebe. Diese Interpretation würde zu dem sinnwidrigen Ergebnis führen, dass lediglich die „reine Altfallregelung“ des § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB Bestand haben müsste (vgl. BGH NStZ 2010, 565, 566), obgleich sie dem Rückwirkungsverbot des Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK insgesamt und damit am deutlichsten widerstreitet.
- 38
- 3. Aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. a MRK, auf dessen Verletzung der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (aaO) den Konventionsverstoß bei rückwirkender Anwendung des § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB gleichfalls stützt, da ein ausreichender Kausalzusammenhang zwischen der Verurteilung des Beschwerdeführers und seinem fortdauernden Freiheitsentzug fehle (Rdn. 92 bis 101), folgt nichts anderes. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob sich aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 MRK überhaupt eine – in § 2 Abs. 6 StGB vorausge -setzte – zeitliche Begrenzung für die Anordnung strafrechtlicher Rechtsfolgen ableiten lässt. Jedenfalls stünde einer Berücksichtigung im Rahmen des § 2 Abs. 6 StGB – ebenso wie bei Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK – die dargelegte eindeutige Gesetzeslage entgegen. Angesichts dessen fehlt auch für eine im Schrifttum vorgeschlagene (vgl. Grabenwarter aaO S. 867 f.) Anwendung von § 67d Abs. 4 StGB jede Grundlage.
- 39
- 4. Der Senat beabsichtigt daher tragend zu entscheiden, dass sich aus der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten für die Maßregel der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung keine die Rückwirkung hindernde andere Bestimmung im Sinne des § 2 Abs. 6 StGB ergibt.
IV.
- 40
- Mit Blick auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB im Falle rückwirkender Anwendung allerdings einschränkend auszulegen.
- 41
- 1. Bei der Entscheidung nach § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB und ihren Folgeentscheidungen erfordert das Verhältnismäßigkeitsprinzip (§ 62 StGB), die Schutzinteressen der Allgemeinheit und den Freiheitsanspruch des Untergebrachten im Einzelfall abzuwägen. Das Gericht hat in die erforderliche Gesamtwürdigung die vom Täter ausgehenden Gefahren sowie die Schwere des mit der Maßregel verbundenen Eingriffs einzustellen und ins Verhältnis zu setzen (vgl. BVerfGE 109, 133, 159). Nach den dargestellten Grundsätzen sind in diese Gesamtwürdigung auch die Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention in ihrer Ausformung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte einzubeziehen. Die vom Gerichtshof geforderte konventionsgemäße Gewichtung hat einzufließen (Gollwitzer aaO Rdn. 77a), um eine konventionsfreundliche Anwendung der in Frage stehenden Norm zu gewährleisten. Die Ausführungen des Gerichtshofs zur Vereinbarkeit mit Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK und namentlich auch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 MRK streiten daher im Rahmen der Gesamtwürdigung unter dem Aspekt des Vertrauensschutzes und des Freiheitsrechts in gewichtigem Maße zugunsten des Verurteilten.
- 42
- 2. Hieraus folgt, dass bei konventionsfreundlicher Gesamtwürdigung von einem grundsätzlichen Überwiegen dieser Rechtspositionen des Verurteilten auszugehen ist. Im Lichte der neuen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte bedarf es einer noch weiter eingeschränkten Auslegung des § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB, als sie bereits das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 109, 133) verlangt hat. Danach ist in Altfällen die erstmalige Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach zehnjährigem Vollzug für erledigt zu erklären, sofern nicht eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualverbrechen aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Untergebrachten abzuleiten ist.
- 43
- In den Vorlegungssachen der Oberlandesgerichte Stuttgart und Koblenz ergeben sich aus dem Vollzugsverhalten der Verurteilten konkrete Anhaltspunkte für nach einer Entlassung unmittelbar drohende entsprechende schwerste Straftaten, durch die die Opfer physisch oder psychisch massiv geschädigt werden.
- 44
- Ansonsten kann die weitere Vollstreckung der Sicherungsverwahrung nur dann angeordnet werden, wenn der Verurteilte – etwa mit hoher Rückfallgeschwindigkeit , während gewährter Lockerungen oder bereits im Vollzug geplant – mehrere Vortaten im genannten Sinn begangen hat und sich im Rahmen des Vollzugs der Sicherungsverwahrung keine positiven Anhaltspunkte ergeben haben, die eine Reduzierung der im Vorleben des Verurteilten dokumentierten massiven Gefährlichkeit nahelegen. Zu dieser Fallgruppe kann die Vorlegungssache des Oberlandesgerichts Celle gerechnet werden, hier allerdings vorbehaltlich kontraindizierender Erkenntnisse über das aktuelle physische Gewaltpotential des Verurteilten.
- 45
- Nur unter diesen sehr eng zu handhabenden Voraussetzungen erscheint es vertretbar, dass als Eingriff in das Freiheitsrecht des Verurteilten unter Berücksichtigung seines auf höchster Stufe schutzwürdigen Vertrauens in die Unabänderbarkeit der zur Tatzeit bestimmten Rechtsfolge – auch in ihrer Dauer – einerseits und der Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit andererseits eine Entscheidung zu seinen Lasten getroffen werden darf (vgl. BGH NStZ 2010, 565, 567). Während der Senat im Rahmen des § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB eine ähnlich, entgegen der Ansicht des Oberlandesgerichts Stuttgart jedoch nicht auf die Gefahr schwerster Kapitalverbrechen beschränkte , restriktive Anordnungspraxis bei Ausübung des dort bestehenden Ermessens verlangt hat, ist bei § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB die aus Verhältnismäßigkeitsgründen unerlässliche äußerst eingeschränkte Interpretation des unbestimmten Rechtsbegriffs der Gefahr mit ähnlichem Ergebnis geboten.
- 46
- 3. Durch eine derartige erheblich einschränkende Auslegung des § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB wird den konventionsrechtlichen Bedenken des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Zusammenhang mit Art. 5 Abs. 1 Satz 2 MRK in weitem Umfang Rechnung getragen. Die rückwirkende Anwendung wird auf Fälle begrenzt, in denen das tangierte Freiheitsrecht des betroffenen Verurteilten mit im Bereich der Europäischen Menschenrechtskonvention anerkannten wichtigen Rechten Dritter kollidiert. Hinzu kommt, dass die weiter anzuordnende Freiheitsbeschränkung wegen gerichtlich sorgfältig neu zu prüfender konkreter schwerer Gefährdung künftiger Tatopfer erfolgt, die zudem häufig, wie gerade auch aus den dem Senat vorgelegten Fällen deutlich wird, in einer – unabhängig von der Beurteilung der eigentlichen Schuldfähigkeit im Sinne der §§ 20, 21 StGB – gravierenden Persönlichkeitsstörung des deshalb zu schwersten Straftaten neigenden verurteilten Hangtäters wurzelt. Damit sprechen auch die in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. c und lit. e MRK enthaltenen Grundgedanken für eine Zulässigkeit fortdauernden Freiheitsentzugs in den betroffenen Extremfällen.
- 47
- 4. Bei derart erhöhter Gefahrenprognose, ohne deren Vorliegen die Vollstreckung der Maßregel für erledigt zu erklären ist, wird – anders als es der Generalbundesanwalt vertritt (insoweit unklar Radtke NStZ 2010, 537, 544 f.) – eine Aussetzung der Maßregel zur Bewährung nach § 67d Abs. 2 StGB nur selten in Betracht kommen. Sie ist indes – anders als der systematische Zusammenhang von § 67d Abs. 2 und Abs. 3 Satz 1 StGB auf den ersten Blick nahelegt – nicht etwa prinzipiell ausgeschlossen. Vielmehr wird die Aussetzung in § 463 Abs. 3 Satz 4 StPO sogar vorausgesetzt. Sie wird in Erwägung zu ziehen sein, wenn eine hochgradige Gefahr im dargelegten Sinne zwar prognostiziert wird, diese aber durch den Widerrufsdruck und mit einer Aussetzung zur Bewährung zu verbindende Weisungen so weit reduziert werden kann, dass angenommen werden kann, der Verurteilte könne von der Begehung schwerster Gewalt- oder Sexualverbrechen abgehalten werden (in diesem Sinne Rissing-van Saan/Peglau in LK 12. Aufl. § 67d Rdn. 74). In solchen Konstellationen stellt die Aussetzung zur Bewährung anstelle einer sonst zwingend fortdauernden Vollstreckung die „konventionsfreundlichste“ Maßnahme dar.
- 48
- 5. Ob der weitere Vollzug der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach den dargelegten Kriterien noch gerechtfertigt ist, hat das zuständige Gericht von Amts wegen aufgrund einer aktuellen Gefährlichkeitsprognose zu prüfen, auch wenn zwei Jahre seit der letzten Prüfung noch nicht vergangen sind. Die Entscheidung des Gerichtshofs ist eine Tatsache, die eine erneute Prüfung einer Erledigterklärung der Sicherungsverwahrung nach § 67e Abs. 1 StGB oder einer Aussetzung ihrer Vollstreckung unerlässlich macht (vgl. Grabenwarter JZ 2010, 857, 865; Radtke NStZ 2010, 537, 544).
V.
- 49
- Nach den vom Senat entwickelten Maßstäben erscheint in den aufgezeigten Fällen im Blick auf die getroffenen Feststellungen und Wertungen der Oberlandesgerichte die weitere Vollstreckung der Sicherungsverwahrung naheliegend, weswegen in den vorliegenden Fällen auch das Ergebnis der unter II. 2. dargestellten Entscheidung des 4. Strafsenats des Bundesgerichtshofs widerstreitet.
- 50
- 1. Der Senat fragt daher beim 4. Strafsenat an, ob die entgegenstehende Rechtsprechung aufgegeben wird.
- 51
- a) Die Anfrage wird nicht dadurch gehindert, dass sich die Entscheidung des 4. Strafsenats auf die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66b Abs. 3 StGB bezieht. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte betrifft unmittelbar den hier relevanten § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB. Der 4. Strafsenat hat indessen die in der Entscheidung des Gerichtshofs aufgezeigten Grundsätze auf den Fall der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung übertragen. Dies entspricht der Auffassung des anfragenden Senats, wonach eine unterschiedliche Auslegung des § 2 Abs. 6 StGB in Fällen nachträglicher Sicherungsverwahrung nicht in Betracht kommt (BGH NStZ 2010, 565, 566 m.w.N.; vgl. auch OLG Karlsruhe NStZ-RR 2010,
322).
- 52
- b) Aus der dem Senat gemäß § 121 Abs. 2 Nr. 3 GVG in Verbindung mit dem Geschäftsverteilungsplan des Bundesgerichtshofs in der seit 20. Juli 2010 gültigen Fassung zugewiesenen Spezialzuständigkeit zur Entscheidung von Vorlegungssachen über die Erledigung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung ergibt sich kein das Anfrageverfahren ausschließender Umstand. Eine Abweichung von der Rechtsprechung anderer Senate ohne Vorlegung ist nur dann möglich, wenn ein Senat nach der Geschäftsverteilung für ein bestimmtes Rechtsgebiet (nunmehr) allein und ausschließlich zuständig ist und die Rechtsfrage nur diese Spezialmaterie betrifft (Hannich in KK 6. Aufl. § 132 GVG Rdn. 6). Die Frage der Auslegung von § 2 Abs. 6 StGB im Lichte des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte erstreckt sich indessen – wie dargelegt – auf die dem Senat nicht in ausschließlicher Zuständigkeit zugewiesenen Fälle der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung gemäß § 66b StGB. Es ist undenkbar , aus der Entscheidung des Gerichtshofs eine unmittelbar umsetzbare Einschränkung der Rückwirkung in Fällen des § 66b StGB herzuleiten, ohne sie zugleich auf die von der Entscheidung unmittelbar betroffene Regelung des § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB zu übertragen.
- 53
- 2. Der Senat fragt bei den anderen Strafsenaten an, ob der dargelegten Rechtsauffassung zugestimmt wird.
- 54
- a) Die Frage der Auslegung des § 2 Abs. 6 StGB ist eine solche von grundsätzlicher Bedeutung. Sie ist auch über die vorliegenden Fälle hinaus bedeutsam, weil einschlägige Fallgestaltungen in der Praxis der Strafkammern (nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung) und der Strafvollstreckungskammern (Entscheidung nach § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB und Folgeentscheidungen) häufig zu erwarten und von großem Gewicht für die Betroffenen sind. Bei einer die Rückwirkung hindernden Auslegung des § 2 Abs. 6 StGB wäre zudem in Fällen nachträglich angeordneter wie rückwirkend verlängerter und derzeit vollzogener Unterbringung in der Sicherungsverwahrung – unbeschadet anhängiger Verfassungsbeschwerden – die Maß- regel unverzüglich für erledigt zu erklären (vgl. Veh in MünchKomm-StGB § 67d Rdn. 35). Auch deshalb ist die Frage grundsätzlich klärungsbedürftig.
VI.
- 56
- Der Senat weist auf Folgendes hin:
- 57
- Seine Auslegung vermag – ungeachtet der dargelegten formellen und materiellen Einschränkungen – bei rückwirkend zeitlich unbegrenzter Fortdauer der Sicherungsverwahrung in den einschlägigen Fällen höchst gefährlicher Gewalttäter auf der Grundlage des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nichts an dem darin angenommenen Verstoß jedenfalls gegen Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK zu ändern.
- 58
- 1. Ihn zu beseitigen, ist primär gesetzgeberischen Maßnahmen vorbehalten (vgl. dazu auch den Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen, BT-Drucks. 17/3403). Hierfür ist nach Auffassung des Senats eine zwingend grundlegend veränderte Ausgestaltung des Vollzugs der Sicherungsverwahrung in Betracht zu ziehen, welche dessen vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte festgestellte strafgleiche Wirkung zu beseitigen geeignet ist, und zwar insbesondere durch verstärkte Therapieorientierung, ferner durch deutliche Vollzugserleichterungen im Vergleich zum Strafvollzug. Dies würde zugleich das bereits vom Bundesverfassungsgericht ansatzweise verlangte „Abstandsgebot“ (vgl. BVerfGE 109, 133, 153 ff., 166 f.) effektiv machen. Ob sich eine Neugestaltung in diesem Sinne auf die – hier allein relevanten – Altfälle mit Rückwirkung, etwa gar nur auf nach der Entscheidung des Ge- richtshofs bereits freigelassene Verurteilte beschränken ließe (so der vorbezeichnete Koalitionsentwurf), hat der Senat nicht zu beurteilen, erscheint freilich im Blick auf den Gleichheitsgrundsatz und das Freiheitsrecht aller in Sicherungsverwahrung Untergebrachter überaus zweifelhaft.
- 59
- 2. Der vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte festgestellte Verstoß insbesondere gegen Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK verstärkt die verfassungsrechtlichen Zweifel, denen die rückwirkende Streichung der zuvor vorgesehenen Begrenzung der Unterbringungsdauer unterliegt. Diese Bedenken erfassen gleichermaßen die Anordnung nachträglicher Sicherungsverwahrung nach § 66b StGB in Fällen, in denen die Regelung bei Tatbegehung noch nicht gegolten hat, namentlich soweit sie gar noch an Maßregelvoraussetzungen anknüpft, die erst nach Tatbegehung geschaffen worden sind. Der Bundesgerichtshof hat die verfassungsrechtliche Problematik in einschlägigen Fällen des § 66b StGB wiederholt behandelt (vgl. nur BGHSt 50, 373, 377 ff.; 52, 205, 209 ff.; BGH NStZ 2010, 565, 567).
- 60
- Die eingetretene Divergenz der Auslegung des in Art. 103 Abs. 2 GG und in Art. 7 Abs. 1 MRK gleichermaßen verankerten Grundsatzes „nulla poena sine lege“ durch das Bundesverfassungsgericht und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ist für die Strafjustiz höchst problematisch. Sie betrifft zudem einen besonders empfindlichen Bereich der Strafrechtspflege , in dem ein beträchtliches Gewicht der Freiheitseinschränkung für Verurteilte in Spannung tritt zu einhergehenden gravierenden Gefahren für die Allgemeinheit – konkret für Leib und Leben potentieller Opfer –, die mit Lockerungen und Entlassungen einhergehen. Nach dem Urteil des Gerichtshofs kann sich die Frage einer Verfassungsmäßigkeit rückwirkender Regelungen bei § 67d Abs. 3 Satz 1 wie bei § 66b StGB neu stellen, insbesondere unter dem Blickwinkel des durch Art. 20 Abs. 3 i.V.m. Art. 2 Abs. 2 GG geschützten Vertrauens rechtskräftig Abgeurteilter angesichts der jedenfalls gegebenen Nähe zum Schutzbereich des Art. 103 Abs. 2 GG. Auch dem Bundesverfassungsgericht obliegt die Berücksichtigung einer verbindlichen Interpretation der Konvention durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (vgl. Grabenwarter JZ 2010, 857, 863).
- 61
- Da das Verfahren nach § 132 GVG in der vom Senat abgelehnten Alternative letztlich zur Unanwendbarkeit der Normen führen kann, deren Rückwirkung in Frage steht – mit Ausnahme des § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB, der keinen Anwendungsbereich ohne Rückwirkung hat (vgl. oben III. 2d; dazu BGH NStZ 2010, 565, 566) –, kommt eine Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG an das Bundesverfassungsgericht in der jetzigen Phase der Entscheidungsfindung nicht in Betracht. Sie mag nach Abschluss des Verfahrens gemäß § 132 GVG, unter Umständen aber auch vom Großen Senat für Strafsachen innerhalb dieses Verfahrens, in Erwägung zu ziehen sein. Näher läge sie freilich erst in Fällen, in denen ein Oberlandesgericht nach Durchführung des Vorlegungsverfahrens abschließend zur Anordnung der Fortdauer der Maßregelvollstreckung gelangen sollte. Im Übrigen lassen bereits anhängige Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht in absehbarer Zeit Entscheidungen erwarten. Selbst bei veränderter Beurteilung der Verfassungsrechtslage ist dabei die Verwerfung der zur Prüfung stehenden Normen nicht zwingend ; vielmehr erscheint auch eine Verpflichtung zu gesetzgeberischen Maßnahmen im Sinne der Umgestaltung des Vollzugs der Sicherungsverwahrung nicht ausgeschlossen.
VII.
- 62
- Bis zur Erledigung des Verfahrens nach § 132 GVG gibt der Senat die Akten den vorlegenden Oberlandesgerichten zurück. Er weist hierzu auf Folgendes hin:
- 63
- 1. Das Verfahren wird voraussichtlich mehrere Monate andauern. Während dieser Zeit wird die Unterbringung gegen die Verurteilten weiterhin vollstreckt, der Eingriff in das Freiheitsgrundrecht, dessen Zulässigkeit in den Vorlegungsverfahren in Zweifel steht, mithin stetig weiter vertieft. Dies erfor- dert, dass die Oberlandesgerichte bereits vor Klärung der Vorlegungsfrage aktuell zu überprüfen haben, ob – unabhängig von der Vorlegungsfrage – die Freiheitsentziehung gegen den Verurteilten zu beenden oder die Vollstreckung zur Bewährung auszusetzen ist. Die Prüfung hat den vorstehend (oben IV.) bezeichneten, für die Oberlandesgerichte wegen der ausschließlichen Zuständigkeit des Senats nach § 121 Abs. 2 Nr. 3 GVG verbindlichen Maßstäben zu folgen.
- 64
- 2. Geboten ist zunächst eine neue Sachentscheidung nach § 67e Abs. 1 Satz 1 StGB aus Anlass des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Ihr ist ein aktuelles Sachverständigengutachten zugrunde zu legen (§ 463 Abs. 3 Satz 4 StPO), das sich an den engeren Kriterien zu Verhältnismäßigkeit und Gefahrenbegriff zu orientieren hat.
- 65
- 3. Für den Fall, dass die bisherige oder eine erneute Sachprüfung auch unter Zugrundelegung dieser Grundsätze konkreter höchster Gefährlichkeit des Verurteilten für die Allgemeinheit eine weitere Vollstreckung der Maßregel unerlässlich erscheinen lässt, ist zu beachten:
- 66
- a) Auf etwa während des Vorlegungsverfahrens einschließlich des Verfahrens nach § 132 GVG auftretende neue Entwicklungen, die für die Beurteilung der Gefährlichkeit des Verurteilten bedeutsam sein können, muss unverzüglich mit einer neuen Sachprüfung der Unerlässlichkeit weiterer Freiheitsentziehung reagiert werden.
- 67
- b) Es ist denkbar, dass die Prüfung im Verfahren nach § 132 GVG entgegen dem Votum des erkennenden Senats zum Ergebnis genereller Unzulässigkeit weiterer Maßregelvollstreckung gelangt. Dies zöge die sofortige Entlassung aller betroffenen Untergebrachten nach sich. Im Hinblick darauf ist eine vorsorgliche Vorbereitung sofort umsetzbarer, im Entlassungsfall angezeigter – insbesondere fürsorglicher – Maßnahmen zwingend geboten, die einer sozialen Gefährdung entlassener Verurteilter und einer damit einherge- henden Gefährdung der Allgemeinheit entgegenzuwirken vermögen. Durch eine unvorbereitete Eilentlassung würde diesen Gefahren Vorschub geleistet. Auf geeignete Maßnahmen hinzuwirken, ist auch Aufgabe der im Erledigungsverfahren tätigen Vollstreckungsgerichte einschließlich der vorlegenden Oberlandesgerichte.
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
2. Der Senat beabsichtigt zu entscheiden: Aus der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten in ihrer Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ergibt sich für die Maßregel der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung keine die Rückwirkung generell hindernde andere Bestimmung im Sinne des § 2 Abs. 6 StGB.
Der Senat fragt beim 4. Strafsenat an, ob an entgegenstehender Rechtsprechung festgehalten wird, bei den anderen Strafsenaten, ob dieser Rechtsauffassung zugestimmt wird.
3. Bis zur Erledigung des Verfahrens nach § 132 GVG werden die Akten an die vorlegenden Oberlandesgerichte zur Fortführung der nach § 67e Abs. 1 Satz 1, § 67d Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 StGB gebotenen Überprüfungen zurückgegeben.
G r ü n d e
- 1
- Die verbundenen Vorlegungsverfahren (§ 121 Abs. 2 Nr. 3 GVG) betreffen die Frage der Fortgeltung der bis 30. Januar 1998 gültigen Höchstdauer der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung von zehn Jahren (§ 67d Abs. 1 Satz 1 StGB a.F.) in „Altfällen“. Der Senat hat darüber zu entscheiden , ob das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. Dezember 2009 (M. gegen Deutschland, Individualbeschwerde Nr. 19359/04, EuGRZ 2010, 25) die deutschen Gerichte dazu zwingt, in Fällen , in denen die erstmalige Unterbringung eines Verurteilten in der Sicherungsverwahrung wegen Taten angeordnet wurde, die vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen schweren Straftaten vom 26. Januar 1998 (BGBl I 160) begangen worden waren, die Maßregel nach zehnjährigem Vollzug für erledigt zu erklären.
- 2
- Die vorlegenden Oberlandesgerichte Stuttgart, Celle und Koblenz möchten – wie bereits in vorangegangenen Entscheidungen (OLG Stuttgart Justiz 2010, 346; OLG Celle NStZ-RR 2010, 322; OLG Koblenz JR 2010, 306; vgl. auch OLG Nürnberg NStZ 2010, 574) – jeweils in Fällen über zehn Jahre hinaus vollstreckter Sicherungsverwahrung sofortige Beschwerden von Untergebrachten gegen Fortdauerbeschlüsse der zuständigen Landgerichte verwerfen. Sie vertreten die Auffassung, dass auch unter Zugrundelegung der Ausführungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte eine Erledigterklärung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung in Altfällen nach Vollzug von zehn Jahren trotz fortbestehender Gefährlichkeit des Verurteilten nicht geboten sei. Vielmehr richte sich die Entscheidung über die Fortdauer der Sicherungsverwahrung allein nach der gegenwärtigen Regelung des § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB. An der beabsichtigten Entscheidung sehen sie sich jedoch durch Beschlüsse anderer Oberlandesgerichte (OLG Frankfurt NStZ 2010, 573; NStZ-RR 2010, 321; OLG Hamm StRR 2010, 352; OLG Karlsruhe Justiz 2010, 350; NStZ-RR 2010, 322; SchlHolstOLG SchlHA 2010, 296) gehindert. Sie haben deshalb die jeweilige Sache zur Entscheidung der Rechtsfrage gemäß § 121 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 3 GVG dem Bundesgerichtshof vorgelegt.
- 3
- Dem Senat liegen zwölf weitere gleichgelagerte Vorlegungsverfahren vor. Er möchte in den drei zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Verfahren – im Ergebnis in Übereinstimmung mit den Anträgen des Generalbundesanwalts – grundsätzlich im Sinne der vorlegenden Oberlandesgerichte entscheiden. Er sieht sich daran jedoch durch bindende Rechtsprechung des 4. Strafsenats des Bundesgerichtshofs gehindert; darüber hinaus sieht der Senat in der aufgeworfenen Frage eine solche von grundsätzlicher Bedeutung (§ 132 Abs. 4 GVG).
I.
- 4
- 1. Beschluss des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 19. August 2010 (Vorlegungsverfahren 5 StR 394/10):
- 5
- Durch Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 27. September 1985 (Anlassurteil ) wurde der wiederholt, unter anderem wegen schwerster Sexualdelikte vorbestrafte D. wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexueller Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt, verbunden mit der Anordnung der Sicherungsverwahrung. Nach vollständiger Verbüßung der Strafe wird die Sicherungsverwahrung – nunmehr bereits über 21 Jahre – vollzogen. Mit dem angefochtenen Beschluss vom 19. März 2010 hat das Landgericht Heilbronn letztmals die Fortdauer der Sicherungsverwahrung angeordnet.
- 6
- Sachverständig beraten ist das Oberlandesgericht zu der Überzeugung gelangt, dass der mittlerweile 63 Jahre alte Verurteilte auch weiterhin wegen eines Hanges zur Begehung erheblicher Straftaten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, gefährlich sei. Er sei eine histrionisch-dissoziale Persönlichkeit, die einen Mangel an Empa- thie, deutliche und andauernde Verantwortungslosigkeit, Missachtung sozialer Normen, eine niedrige Schwelle für aggressives, auch gewalttätiges Handeln sowie oberflächliche Affektivität, Egozentrik und manipulatives Verhalten zur Befriedigung eigener Bedürfnisse aufweise. Seine Persönlichkeitsstruktur sei durch ein jedes normale Maß übersteigendes Geltungs- und Durchsetzungsbedürfnis sowie das Bedürfnis gekennzeichnet, Überlegenheit zu demonstrieren. Das bisherige strafbare Vorleben des Verurteilten beruhe auf dieser Persönlichkeitsstruktur. Im Vordergrund der Taten habe die Demonstration von Macht gestanden, die den eigentlichen sexuellen Antrieb überwogen habe. Dem liegen folgende tatsächliche Befunde zugrunde:
- 7
- Nachdem der Verurteilte bereits 1971 wegen versuchter Notzucht verurteilt worden war, verübte er vor Begehung der Anlasstat in der Zeit von 1973 bis 1978 – zweimal während laufender Strafaussetzungen, einmal nur zwei Monate nach längerer Untersuchungshaft – insgesamt vier schwere Sexualstraftaten. Alle zeichneten sich durch brutales, auf bedingungslose Durchsetzung des eigenen Willens gerichtetes Vorgehen und durch menschenverachtende Behandlung der Opfer aus. Seine zwischen 13 und 17 Jahre alten Opfer vergewaltigte er mehrfach, auf verschiedene Weise und unter entwürdigenden Begleitumständen. In Fällen der Mittäterschaft war er der Wortführer, der Reihenfolge, Zeit und Art des erzwungenen Geschlechtsverkehrs anordnete. In nahezu allen Fällen versetzte er die Opfer durch Würgen oder Zupacken am Hals, verbunden mit entsprechenden Drohungen, in Todesangst.
- 8
- Während des Vollzugs der Sicherungsverwahrung verübte er mehrere zum Teil bewaffnete Angriffe auf Vollzugsbedienstete. Weiterhin sind zahlreiche ernstzunehmende Bedrohungen von Vollzugs- und Justizpersonal aktenkundig , die mit Hinweisen auf Anschriften, auch der Ehepartner, oder mit vorgeblichem Wissen um den Aufenthalt der Kinder der bedrohten Personen verknüpft waren. Letztmalig drohte er am 6. Juni 2010 damit, seine Zelle – wie bereits zuvor geschehen – in Brand zu stecken, und bezeichnete sich selbst als „tickende Atombombe“.
- 9
- Der Verurteilte lehnt nahezu jede therapeutische Behandlung ab. Er unterhält keine Außenkontakte und hat Lockerungsmaßnahmen (begleitete Wanderungen oder Stadtausführungen) ebenso verweigert wie Beratungsgespräche mit der Bewährungshilfe und die Teilnahme an einem sozialen Training. Auf die Bereitschaft der Sozialbetreuung Heilbronn, ihm im Fall der Entlassung eine Unterkunft mit Hilfe bei der Bewältigung des täglichen Lebens zur Verfügung zu stellen, hat er ablehnend reagiert.
- 10
- 2. Beschluss des Oberlandesgerichts Celle vom 9. September 2010 (Vorlegungsverfahren 5 StR 440/10):
- 11
- Durch Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 12. Juli 1991 (Anlassurteil ) wurde K. wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit sexueller Nötigung, in einem Fall in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt, verbunden mit der Anordnung der Sicherungsverwahrung. Mit dem angefochtenen Beschluss vom 28. Mai 2010 hat das Landgericht Lüneburg erstmals die Fortdauer der Sicherungsverwahrung über zehn Jahre hinaus angeordnet.
- 12
- Seine Überzeugung, dass der Verurteilte einen Hang zur Begehung einschlägiger schwerer Straftaten aufweise, begründet das Oberlandesgericht mit folgenden Umständen:
- 13
- Anfang 1967 kam es zur ersten Sexualstraftat des Verurteilten, bei der er versucht hatte, zwei 15 Jahre alte Jungen anal zu vergewaltigen, nachdem er sie zuvor bedroht und gefesselt hatte. Im Juli 1968 zwang er zwei 13-jährige Jungen, sein Glied bis zum Samenerguss zu reiben, während er an den Geschlechtsteilen der Opfer manipulierte. Nur etwa einen Monat später ver- senkte er einen 17-jährigen Jugendlichen, den er aufgrund eines zuvor im Rahmen einer tätlichen Auseinandersetzung erlittenen Sturzes für tot hielt, in einem Teich. Etwa ein Jahr nach Verbüßung der deswegen verhängten Jugendstrafe zwang er einen 13 Jahre alten Jungen zum Oral- und Analverkehr. Nur wenige Tage nach Entlassung aus der gegen ihn verhängten Strafhaft zwang er einen Arbeitskollegen unter Vorhalt eines Messers zum Oralverkehr. Der Anlassverurteilung liegen zugrunde die Vornahme des Oralverkehrs sowie der Versuch des Analverkehrs an einem elfjährigen Jungen , der mehrfache unter Vorhalt eines Messers und unter Fesselung erzwungene Anal- und Oralverkehr an zwei 13-jährigen Jungen sowie der ebenfalls unter Vorhalt eines Messers und unter Fesselung erzwungene Oral- und Analverkehr an einem weiteren elfjährigen Jungen, der überdies durch eine Schnittverletzung am Hals lebensgefährlich verletzt wurde.
- 14
- Diese Straftaten sind nach Auffassung des Oberlandesgerichts Ausdruck der letztmalig im Mai 2010 sachverständig bestätigten schweren Persönlichkeitsstörung mit sadistisch ausgerichteter Sexualdeviation des mittlerweile 61 Jahre alten Verurteilten. Bisherige therapeutische Interventionsversuche verliefen ergebnislos. Die Teilnahme an gruppentherapeutischen Sitzungen brach der Verurteilte ab, weil er den Kontakt zu den anderen Teilnehmern nicht habe ertragen können. Seither zeigte er keine Bereitschaft zu Therapiemaßnahmen. Auch ein Aufenthalt in der sozialtherapeutischen Abteilung der Justizvollzugsanstalt Hannover wurde im Jahr 2008 wegen mangelnder Aufgeschlossenheit in der Therapie abgebrochen.
- 15
- 3. Beschluss des Oberlandesgerichts Koblenz vom 30. September 2010 (Vorlegungsverfahren 5 StR 474/10):
- 16
- F. beging in den Jahren 1976, 1977 und 1983 insgesamt sechs schwere, sämtlich gegen Frauen gerichtete Gewaltverbrechen, darunter Sexualverbrechen:
- 17
- 1977 wurde er wegen schweren Raubes in Tateinheit mit räuberischem Angriff auf Kraftfahrer in zwei Fällen und wegen Vergewaltigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Er hatte in einer Nacht in kurzem zeitlichem Abstand zwei Prostituierte in sein Fahrzeug gelockt und auf einem Autobahnparkplatz unter Vorhalt eines Dolches ausgeraubt, eine der Frauen ferner unter Drohung mit einer Schusswaffe zum Geschlechtsverkehr gezwungen.
- 18
- Anfang Dezember 1977 setzte er das Haus einer Arbeitskollegin in Brand, die einen Annäherungsversuch abgewiesen hatte, wobei sich sieben Menschen in dem Haus aufhielten. Wegen schwerer Brandstiftung wurde er zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt.
- 19
- Durch das Landgericht Zweibrücken wurde er am 5. Juni 1984 (Anlassurteil ) wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexueller Nötigung in zwei Fällen, davon in einem Fall in weiterer Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt, verbunden mit der Anordnung der Sicherungsverwahrung. Unter ständiger Bedrohung mit einem Messer hatte er eine junge Mutter in deren Wohnung mehrmals zum Geschlechtsverkehr gezwungen, mit dem Messer an deren Geschlechtsteil manipuliert, sie gezwungen, den Oralverkehr bei ihm auszuüben , vor ihm die Notdurft zu verrichten und ihn manuell zu befriedigen, wobei er ihr das Ejakulat ins Gesicht spritzte. Nachdem er die Frau gefesselt und geknebelt hatte, versuchte er, den Analverkehr durchzuführen. Unter der Drohung, ihren vier Monate alten Säugling umzubringen, falls sich die Geschädigte an die Polizei wende, ließ er schließlich von ihr ab. Einen Tag später verschaffte er sich erneut Zutritt zu ihrer Wohnung und zwang sie abermals unter Vorhalt eines Messers mehrfach zum Geschlechtsverkehr. Er nötigte die völlig verstörte und erschöpfte Frau, zwölf Tabletten eines starken Beruhigungsmittels mit Bier einzunehmen. Die Geschädigte geriet hierdurch in einen Dämmerzustand und wurde nachts darauf in hilfloser Lage in ihrer Wohnung aufgefunden. Am Folgetag verschaffte sich der Verurteilte Zutritt zur Wohnung der 20-jährigen Nachbarin seiner Eltern und stach mit einem Schraubenzieher auf sie ein. Er würgte die junge Frau und stieß ihr zwei Finger in die Augen. Dann zwang er sie zum Oralverkehr und Beischlaf, während er erneut auf sie einstach und ihr drohte, den Schraubenzieher in ihre Scheide zu stoßen. Die Geschädigte erlitt zahlreiche schwere Verletzungen und war massiv traumatisiert.
- 20
- Seit 20 Jahren wird die Sicherungsverwahrung vollzogen. Im Mai 2009 erlitt der Verurteilte einen akuten Vorderwandinfarkt; er leidet an einer Knieund Hüftarthrose, aufgrund derer er Gehstützen benutzt. Zuletzt hat das Landgericht Koblenz mit dem angefochtenen Beschluss vom 18. Februar 2010 den weiteren Vollzug der Maßregel angeordnet.
- 21
- Das Oberlandesgericht nimmt nach eingehender Prüfung einen fortbestehenden Hang des Verurteilten zur Begehung einschlägiger schwerer Straftaten an. Nach näherer Aufklärung des physischen Gesundheitszustands des jetzt 58 Jahre alten Verurteilten gelangt es zu der Überzeugung, dass er trotz seiner gesundheitlichen Einschränkungen zu massivem fremdaggressivem Verhalten, auch zur Begehung von Sexualstraftaten, körperlich in der Lage ist, und zeigt plausible mögliche Verbrechensszenarien auf.
- 22
- Sachverständig beraten kommt es zu dem Ergebnis, dass dem strafbaren Verhalten des Verurteilten eine kombinierte Persönlichkeitsstörung zugrunde liegt, die eine geringe Frustrationstoleranz und eine gesteigerte Impulsivität bedingt und im Vollzug keine Abmilderung erfahren hat. Der Verurteilte hat sich bisher jeglichem therapeutischen Zugang verschlossen. Begonnene Therapien hat er entweder von sich aus eingestellt oder sie mussten abgebrochen werden, da er sich nicht öffnete. Derzeit lehnt er jedes Therapieangebot ab; er sieht keinen Therapiebedarf. Zu den Anlasstaten zeigt er oberflächliche Verleugnungs- und Verdrängungstendenzen. Hinsichtlich seines Sexualverhaltens gibt er an, etwa einmal wöchentlich bis zum Samenerguss zu onanieren; er wolle nach wie vor den Geschlechtsverkehr mit einer erwachsenen Frau ausführen, was er sich in seiner Phantasie auch vorstelle. Falls seine Erektion nicht ausreiche, werde er Viagra nehmen. Die Gefahr erneuter schwerster Sexualstraftaten hält das Oberlandesgericht für außerordentlich hoch. Selbst ein Tötungsdelikt liege – da der Verurteilte bei der letzten Anlasstat Tötungsphantasien ausgelebt habe – im Bereich des Wahrscheinlichen.
II.
- 23
- Die Rechtsansicht der vorlegenden Oberlandesgerichte, dass sich trotz des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte die Entscheidung über die Fortdauer der Sicherungsverwahrung über zehn Jahre hinaus in Altfällen allein nach der gegenwärtigen Regelung des § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB richte, ist unvereinbar mit der bindenden Rechtsprechung des 4. Strafsenats des Bundesgerichtshofs im Beschluss vom 12. Mai 2010 – 4 StR 577/09 (NStZ 2010, 567).
- 24
- 1. Durch das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen schweren Straftaten vom 26. Januar 1998 (BGBl I 160) hat der Gesetzgeber die durch das 2. Strafrechtsreformgesetz vom 4. Juli 1969 (BGBl I 717) eingeführte strikte Höchstdauer der ersten Unterbringung in der Sicherungsverwahrung von zehn Jahren (§ 67d Abs. 1 Satz 1 StGB a.F.) aufgehoben und die unbefristete Vollstreckung der Maßregel ermöglicht, jedoch nur unter den in § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB genannten engeren Voraussetzungen.
- 25
- Zum zeitlichen Geltungsbereich dieser Vorschrift bestimmt die allgemeine Regelung des § 2 Abs. 6 StGB, dass für Maßregeln der Besserung und Sicherung das zur Zeit der Entscheidung geltende Recht anzuwenden ist, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist. § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB ist daher grundsätzlich auch auf Altfälle anwendbar (BVerfGE 109, 133, 182).
- 26
- 2. Für den Anwendungsbereich der nachträglichen Sicherungsverwahrung gemäß § 66b Abs. 3 StGB sieht der 4. Strafsenat (aaO) in Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK in seiner Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eine anderweitige gesetzliche Bestimmung im Sinne des § 2 Abs. 6 StGB (ebenso Grabenwarter JZ 2010, 857; Gaede HRRS 2010, 329, 332 ff.), welche eine Anwendung des § 66b Abs. 3 StGB auf Altfälle ausschließe.
- 27
- a) Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. Dezember 2009 (EuGRZ 2010, 25) ist die Sicherungsverwahrung – ungeachtet ihrer Einordnung im deutschen Recht als Maßregel der Besserung und Sicherung – im Sinne der Europäischen Menschenrechtskonvention als Strafe zu qualifizieren, für die das Rückwirkungsverbot des Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK gilt (Rdn. 124 bis 133). Der Gerichtshof hat dies unter anderem damit begründet, dass die Sicherungsverwahrung wie eine Freiheitsstrafe mit Freiheitsentziehung verbunden sei und es in Deutschland keine wesentlichen Unterschiede zwischen dem Vollzug einer Freiheitsstrafe und dem der Sicherungsverwahrung gebe (aaO Rdn. 127 bis 130).
- 28
- b) Der 4. Strafsenat legt zugrunde, dass die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte – ungeachtet ihrer auf den Einzelfall beschränkten Bindungswirkung (vgl. Art. 46 Abs. 1 MRK sowie hierzu Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. MRK Verfahren Rdn. 76) – bei der Auslegung innerdeutschen Rechts zu berücksichtigen sind. Dies führe zum Ausschluss rückwirkender Anwendung. Zwar handele es sich bei der Sicherungsverwahrung nach innerdeutschem Recht um eine Maßregel der Besserung und Sicherung, für die nach § 2 Abs. 6 StGB grundsätzlich das Recht zum Zeitpunkt der Entscheidung gelte. § 2 Abs. 6 StGB schreibe die Maßgeblichkeit des geltenden Rechts jedoch nur dann vor, „wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt“ sei. Eine derartige andere Bestimmung stelle Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK in seiner Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte dar (BGH aaO S. 568).
- 29
- 3. Trifft die Auffassung des 4. Strafsenats zu, so ist die Vorlegungsfrage zwingend dahingehend zu beantworten, dass Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK eine Anwendung des § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB auf die hier zu beurteilenden Altfälle ausschließt. Nach dem zum jeweiligen Tatzeitpunkt geltenden Recht war die Dauer des Vollzugs der Sicherungsverwahrung auf zehn Jahre begrenzt ; alle Verurteilten wären somit – ungeachtet fortdauernder Gefährlichkeit – nach Fristablauf freizulassen. Die Frage des Rückwirkungsverbots kann im Rahmen des § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB nicht anders beantwortet werden als im Rahmen des für die Entscheidung des 4. Strafsenats maßgebenden § 66b Abs. 3 StGB (vgl. auch OLG Karlsruhe NStZ-RR 2010, 322).
III.
- 30
- Der Senat ist indessen – in Übereinstimmung mit dem Antrag des Generalbundesanwalts – der Meinung, dass einer Auslegung des § 2 Abs. 6 StGB in diesem Sinne zwingende Rechtsgründe entgegenstehen.
- 31
- 1. Die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten wurde als völkerrechtlicher Vertrag durch den Bundesgesetzgeber in das deutsche Recht transformiert. Innerhalb der deutschen Rechtsordnung kommt den Regelungen der Konvention der Rang einfachen Bundesrechts zu. Die Konvention ist bei der Interpretation des nationalen Rechts im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung zu beachten und anzuwenden (BVerfGE 111, 307, 317). Dabei sind auch die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu berücksichtigen, weil sie den aktuellen Entwicklungsstand der Konvention widerspiegeln (BVerfGE aaO S. 319).
- 32
- Zeigt eine Entscheidung des Gerichtshofs, wie vorliegend, über den entschiedenen Einzelfall hinaus strukturelle Mängel des nationalen Rechts auf, so gebietet die Verpflichtung innerstaatlicher Beachtung der Konvention – ungeachtet der beschränkten Bindungswirkung nach Art. 46 Abs. 1 MRK – eine konventionskonforme Ausgestaltung des nationalen Rechts (Gollwitzer aaO Rdn. 77b). Auch in Ermangelung einer § 31 Abs. 1 BVerfGG entsprechenden Vorschrift, wonach alle Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden an die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts gebunden sind, gehört zur Bindung an Gesetz und Recht, dass Gewährleistungen der Konvention in ihrer Ausformung durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs zu berücksichtigen sind (BVerfGE aaO S. 323). Aus dem Stellenwert der Europäischen Menschenrechtskonvention als lediglich einfaches Bundesrecht folgt indes, dass die Verpflichtung deutscher Gerichte zu vorrangiger konventionskonformer Auslegung auf Fälle vorhandener Auslegungs- und Abwägungsspielräume beschränkt ist (BVerfGE aaO S. 329). Die Zulässigkeit konventionskonformer Auslegung endet aus Gründen der Gesetzesbindung der Gerichte dort, wo der gegenteilige Wille des nationalen Gesetzgebers deutlich erkennbar wird (BGH NStZ 2010, 565, 566, zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt; Giegerich in Grote/Marauhn [Hrsg.], EMRK/GG Konkordanzkommentar zum europäischen und deutschen Grundrechtsschutz 2006 Kap. 2 Rdn. 20; Radtke NStZ 2010, 537, 542 ff.). Die Europäische Menschenrechtskonvention eröffnet den Gerichten keine Verwerfungskompetenz für eindeutig entgegenstehende Gesetze. Anders als bei deren Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz (Art. 100 Abs. 1 GG) besteht hier auch keine Vorlegungsmöglichkeit. In diesen Fällen ist allein der Gesetzgeber aufgerufen, eine Verletzung der Konvention infolge Anwendung eindeutiger gesetzlicher Regelungen durch deren Abänderung zu beseitigen.
- 33
- 2. Nach diesen Grundsätzen kann das aus Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK resultierende Rückwirkungsverbot nicht als abweichende gesetzliche Bestimmung im Sinne des § 2 Abs. 6 StGB angesehen werden. Zwar ist grundsätzlich davon auszugehen, dass der Gesetzgeber nicht von völkerrechtlichen Verpflichtungen abweichen oder die Verletzung solcher Verpflichtungen ermöglichen will (BVerfGE 74, 358, 370). Der Gesetzgeber hat jedoch unmissverständlich das Gebot zum Ausdruck gebracht, die betroffenen weiter- hin gefährlichen Verurteilten nicht in die Freiheit zu entlassen. Eine Interpretation des § 2 Abs. 6 StGB in dem Sinne, dass für die Sicherungsverwahrung eine rückwirkende Anwendung nicht möglich ist, würde den in den genannten Bestimmungen enthaltenen, vom eindeutigen Willen des Gesetzgebers getragenen Normbefehl teilweise oder ganz aushöhlen (vgl. auch Radtke aaO) und liefe auf ein den Strafgerichten bei der Berücksichtigung der Europäischen Menschenrechtskonvention nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht zustehendes Normverwerfungsrecht hinaus.
- 34
- a) Dass der Gesetzgeber die aus der Konvention resultierenden völkerrechtlichen Verpflichtungen, namentlich den Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK, nicht als Ausnahmevorschrift im Sinne des § 2 Abs. 6 StGB verstanden, sondern als Prüfungsmaßstab zur Frage der Übereinstimmung der Norm mit der Konvention herangezogen hat, ist den Gesetzesmaterialien zu entnehmen. Bei den Beratungen zum 2. Strafrechtsreformgesetz hat er sich ausdrücklich mit dem Verhältnis der beiden Regelungen befasst. Bereits seinerzeit erhobene Bedenken, dass die grundsätzliche Ausnahme der Maßregeln vom Rückwirkungsverbot gegen Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK verstoße, hat er als „unbegründet“ zurückgewiesen (BT-Drucks. IV/650, S. 108). Besondere Vorschriften für die zeitliche Geltung von Maßregeln würden namentlich für die Zeit des Inkrafttretens des neuen Strafrechts erforderlich werden; im Einführungsgesetz werde daher im Einzelnen zu regeln sein, ob und in welchem Umfange Neuerungen im Maßregelrecht des Entwurfs zurückwirkten (BT-Drucks. IV/650 aaO). Durch die Wendung „wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist“ solle darauf hingewiesen werden, dass bei der Rechtsanwendung auf die Möglichkeit besonderer Regelungen zu achten sei (BTDrucks. IV/650 aaO). Dem entspricht die im strafrechtlichen Schrifttum vertretene Meinung, dass § 2 Abs. 6 StGB für eine Ausnahme von der Regel der Anwendung des zum Entscheidungszeitpunkt geltenden Rechts ausdrückliche Normierungen des Gesetzgebers verlangt (vgl. Schmitz in MünchKommStGB § 2 Rdn. 51).
- 35
- b) Im Anwendungsbereich des § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB hat der Gesetzgeber keine besondere gesetzliche Anordnung im Sinne des § 2 Abs. 6 StGB für Altfälle getroffen. Im Gegenteil bestimmte Art. 1a Abs. 3 EGStGB in der Fassung vom 31. Januar 1998 ausdrücklich die rückwirkende Anwendung auf Fälle, in denen die Anlasstat vor Inkrafttreten der Gesetzesnovelle begangen worden war. Aus der Streichung der Vorschrift mit Wirkung zum 29. Juli 2004 (BGBl I 1838) kann keine abweichende gesetzgeberische Wertung abgeleitet werden. Sie erfolgte nur deswegen, weil Art. 1a Abs. 3 EGStGB vor dem Hintergrund der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Februar 2004 – 2 BvR 2029/01 (BVerfGE 109, 133) – und 10. Februar 2004 – 2 BvR 834/02 u.a. (BVerfGE 109, 190) – verzichtbar erschien (BT-Drucks. 15/2887).
- 36
- c) Ebenso zweifelsfrei ist der gesetzgeberische Wille für eine Rückwirkung im Bereich der nachträglichen Sicherungsverwahrung nach § 66b StGB. Die Norm wurde mit Billigung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 109, 190), das auch spätere entsprechende Anwendungen in all ihren Varianten unbeanstandet gelassen hat (BVerfG – Kammer – NStZ 2007, 87; NJW 2009, 980; NStZ 2010, 265), gerade auch für solche Fälle geschaffen, in denen bei Tatbegehung noch keine nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung vorgesehen war, weitgehend auch für Fälle, in denen die nachträgliche Anordnung an formelle Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung anknüpfte, die bei Tatbegehung noch nicht galten. Der Bundesgerichtshof hat – ersichtlich im Einklang mit dem Willen des Gesetzgebers – unter Berufung auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine insoweit rückwirkende Anwendung des § 66b StGB wiederholt gebilligt (vgl. nur BGHSt 52, 205, 209 ff. m.w.N.).
- 37
- d) In diesem Zusammenhang wäre es im Übrigen kein gangbarer Weg, über § 2 Abs. 6 StGB i.V.m. Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK eine Rückwirkung nur bei den Regelungen zu verhindern, denen, weil auch „Neufälle“ umfassend , bei Ausschluss rückwirkender Anwendung noch ein sinnvoller An- wendungsbereich verbliebe. Diese Interpretation würde zu dem sinnwidrigen Ergebnis führen, dass lediglich die „reine Altfallregelung“ des § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB Bestand haben müsste (vgl. BGH NStZ 2010, 565, 566), obgleich sie dem Rückwirkungsverbot des Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK insgesamt und damit am deutlichsten widerstreitet.
- 38
- 3. Aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. a MRK, auf dessen Verletzung der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (aaO) den Konventionsverstoß bei rückwirkender Anwendung des § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB gleichfalls stützt, da ein ausreichender Kausalzusammenhang zwischen der Verurteilung des Beschwerdeführers und seinem fortdauernden Freiheitsentzug fehle (Rdn. 92 bis 101), folgt nichts anderes. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob sich aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 MRK überhaupt eine – in § 2 Abs. 6 StGB vorausge -setzte – zeitliche Begrenzung für die Anordnung strafrechtlicher Rechtsfolgen ableiten lässt. Jedenfalls stünde einer Berücksichtigung im Rahmen des § 2 Abs. 6 StGB – ebenso wie bei Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK – die dargelegte eindeutige Gesetzeslage entgegen. Angesichts dessen fehlt auch für eine im Schrifttum vorgeschlagene (vgl. Grabenwarter aaO S. 867 f.) Anwendung von § 67d Abs. 4 StGB jede Grundlage.
- 39
- 4. Der Senat beabsichtigt daher tragend zu entscheiden, dass sich aus der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten für die Maßregel der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung keine die Rückwirkung hindernde andere Bestimmung im Sinne des § 2 Abs. 6 StGB ergibt.
IV.
- 40
- Mit Blick auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB im Falle rückwirkender Anwendung allerdings einschränkend auszulegen.
- 41
- 1. Bei der Entscheidung nach § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB und ihren Folgeentscheidungen erfordert das Verhältnismäßigkeitsprinzip (§ 62 StGB), die Schutzinteressen der Allgemeinheit und den Freiheitsanspruch des Untergebrachten im Einzelfall abzuwägen. Das Gericht hat in die erforderliche Gesamtwürdigung die vom Täter ausgehenden Gefahren sowie die Schwere des mit der Maßregel verbundenen Eingriffs einzustellen und ins Verhältnis zu setzen (vgl. BVerfGE 109, 133, 159). Nach den dargestellten Grundsätzen sind in diese Gesamtwürdigung auch die Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention in ihrer Ausformung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte einzubeziehen. Die vom Gerichtshof geforderte konventionsgemäße Gewichtung hat einzufließen (Gollwitzer aaO Rdn. 77a), um eine konventionsfreundliche Anwendung der in Frage stehenden Norm zu gewährleisten. Die Ausführungen des Gerichtshofs zur Vereinbarkeit mit Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK und namentlich auch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 MRK streiten daher im Rahmen der Gesamtwürdigung unter dem Aspekt des Vertrauensschutzes und des Freiheitsrechts in gewichtigem Maße zugunsten des Verurteilten.
- 42
- 2. Hieraus folgt, dass bei konventionsfreundlicher Gesamtwürdigung von einem grundsätzlichen Überwiegen dieser Rechtspositionen des Verurteilten auszugehen ist. Im Lichte der neuen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte bedarf es einer noch weiter eingeschränkten Auslegung des § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB, als sie bereits das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 109, 133) verlangt hat. Danach ist in Altfällen die erstmalige Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach zehnjährigem Vollzug für erledigt zu erklären, sofern nicht eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualverbrechen aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Untergebrachten abzuleiten ist.
- 43
- In den Vorlegungssachen der Oberlandesgerichte Stuttgart und Koblenz ergeben sich aus dem Vollzugsverhalten der Verurteilten konkrete Anhaltspunkte für nach einer Entlassung unmittelbar drohende entsprechende schwerste Straftaten, durch die die Opfer physisch oder psychisch massiv geschädigt werden.
- 44
- Ansonsten kann die weitere Vollstreckung der Sicherungsverwahrung nur dann angeordnet werden, wenn der Verurteilte – etwa mit hoher Rückfallgeschwindigkeit , während gewährter Lockerungen oder bereits im Vollzug geplant – mehrere Vortaten im genannten Sinn begangen hat und sich im Rahmen des Vollzugs der Sicherungsverwahrung keine positiven Anhaltspunkte ergeben haben, die eine Reduzierung der im Vorleben des Verurteilten dokumentierten massiven Gefährlichkeit nahelegen. Zu dieser Fallgruppe kann die Vorlegungssache des Oberlandesgerichts Celle gerechnet werden, hier allerdings vorbehaltlich kontraindizierender Erkenntnisse über das aktuelle physische Gewaltpotential des Verurteilten.
- 45
- Nur unter diesen sehr eng zu handhabenden Voraussetzungen erscheint es vertretbar, dass als Eingriff in das Freiheitsrecht des Verurteilten unter Berücksichtigung seines auf höchster Stufe schutzwürdigen Vertrauens in die Unabänderbarkeit der zur Tatzeit bestimmten Rechtsfolge – auch in ihrer Dauer – einerseits und der Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit andererseits eine Entscheidung zu seinen Lasten getroffen werden darf (vgl. BGH NStZ 2010, 565, 567). Während der Senat im Rahmen des § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB eine ähnlich, entgegen der Ansicht des Oberlandesgerichts Stuttgart jedoch nicht auf die Gefahr schwerster Kapitalverbrechen beschränkte , restriktive Anordnungspraxis bei Ausübung des dort bestehenden Ermessens verlangt hat, ist bei § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB die aus Verhältnismäßigkeitsgründen unerlässliche äußerst eingeschränkte Interpretation des unbestimmten Rechtsbegriffs der Gefahr mit ähnlichem Ergebnis geboten.
- 46
- 3. Durch eine derartige erheblich einschränkende Auslegung des § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB wird den konventionsrechtlichen Bedenken des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Zusammenhang mit Art. 5 Abs. 1 Satz 2 MRK in weitem Umfang Rechnung getragen. Die rückwirkende Anwendung wird auf Fälle begrenzt, in denen das tangierte Freiheitsrecht des betroffenen Verurteilten mit im Bereich der Europäischen Menschenrechtskonvention anerkannten wichtigen Rechten Dritter kollidiert. Hinzu kommt, dass die weiter anzuordnende Freiheitsbeschränkung wegen gerichtlich sorgfältig neu zu prüfender konkreter schwerer Gefährdung künftiger Tatopfer erfolgt, die zudem häufig, wie gerade auch aus den dem Senat vorgelegten Fällen deutlich wird, in einer – unabhängig von der Beurteilung der eigentlichen Schuldfähigkeit im Sinne der §§ 20, 21 StGB – gravierenden Persönlichkeitsstörung des deshalb zu schwersten Straftaten neigenden verurteilten Hangtäters wurzelt. Damit sprechen auch die in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. c und lit. e MRK enthaltenen Grundgedanken für eine Zulässigkeit fortdauernden Freiheitsentzugs in den betroffenen Extremfällen.
- 47
- 4. Bei derart erhöhter Gefahrenprognose, ohne deren Vorliegen die Vollstreckung der Maßregel für erledigt zu erklären ist, wird – anders als es der Generalbundesanwalt vertritt (insoweit unklar Radtke NStZ 2010, 537, 544 f.) – eine Aussetzung der Maßregel zur Bewährung nach § 67d Abs. 2 StGB nur selten in Betracht kommen. Sie ist indes – anders als der systematische Zusammenhang von § 67d Abs. 2 und Abs. 3 Satz 1 StGB auf den ersten Blick nahelegt – nicht etwa prinzipiell ausgeschlossen. Vielmehr wird die Aussetzung in § 463 Abs. 3 Satz 4 StPO sogar vorausgesetzt. Sie wird in Erwägung zu ziehen sein, wenn eine hochgradige Gefahr im dargelegten Sinne zwar prognostiziert wird, diese aber durch den Widerrufsdruck und mit einer Aussetzung zur Bewährung zu verbindende Weisungen so weit reduziert werden kann, dass angenommen werden kann, der Verurteilte könne von der Begehung schwerster Gewalt- oder Sexualverbrechen abgehalten werden (in diesem Sinne Rissing-van Saan/Peglau in LK 12. Aufl. § 67d Rdn. 74). In solchen Konstellationen stellt die Aussetzung zur Bewährung anstelle einer sonst zwingend fortdauernden Vollstreckung die „konventionsfreundlichste“ Maßnahme dar.
- 48
- 5. Ob der weitere Vollzug der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach den dargelegten Kriterien noch gerechtfertigt ist, hat das zuständige Gericht von Amts wegen aufgrund einer aktuellen Gefährlichkeitsprognose zu prüfen, auch wenn zwei Jahre seit der letzten Prüfung noch nicht vergangen sind. Die Entscheidung des Gerichtshofs ist eine Tatsache, die eine erneute Prüfung einer Erledigterklärung der Sicherungsverwahrung nach § 67e Abs. 1 StGB oder einer Aussetzung ihrer Vollstreckung unerlässlich macht (vgl. Grabenwarter JZ 2010, 857, 865; Radtke NStZ 2010, 537, 544).
V.
- 49
- Nach den vom Senat entwickelten Maßstäben erscheint in den aufgezeigten Fällen im Blick auf die getroffenen Feststellungen und Wertungen der Oberlandesgerichte die weitere Vollstreckung der Sicherungsverwahrung naheliegend, weswegen in den vorliegenden Fällen auch das Ergebnis der unter II. 2. dargestellten Entscheidung des 4. Strafsenats des Bundesgerichtshofs widerstreitet.
- 50
- 1. Der Senat fragt daher beim 4. Strafsenat an, ob die entgegenstehende Rechtsprechung aufgegeben wird.
- 51
- a) Die Anfrage wird nicht dadurch gehindert, dass sich die Entscheidung des 4. Strafsenats auf die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66b Abs. 3 StGB bezieht. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte betrifft unmittelbar den hier relevanten § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB. Der 4. Strafsenat hat indessen die in der Entscheidung des Gerichtshofs aufgezeigten Grundsätze auf den Fall der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung übertragen. Dies entspricht der Auffassung des anfragenden Senats, wonach eine unterschiedliche Auslegung des § 2 Abs. 6 StGB in Fällen nachträglicher Sicherungsverwahrung nicht in Betracht kommt (BGH NStZ 2010, 565, 566 m.w.N.; vgl. auch OLG Karlsruhe NStZ-RR 2010,
322).
- 52
- b) Aus der dem Senat gemäß § 121 Abs. 2 Nr. 3 GVG in Verbindung mit dem Geschäftsverteilungsplan des Bundesgerichtshofs in der seit 20. Juli 2010 gültigen Fassung zugewiesenen Spezialzuständigkeit zur Entscheidung von Vorlegungssachen über die Erledigung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung ergibt sich kein das Anfrageverfahren ausschließender Umstand. Eine Abweichung von der Rechtsprechung anderer Senate ohne Vorlegung ist nur dann möglich, wenn ein Senat nach der Geschäftsverteilung für ein bestimmtes Rechtsgebiet (nunmehr) allein und ausschließlich zuständig ist und die Rechtsfrage nur diese Spezialmaterie betrifft (Hannich in KK 6. Aufl. § 132 GVG Rdn. 6). Die Frage der Auslegung von § 2 Abs. 6 StGB im Lichte des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte erstreckt sich indessen – wie dargelegt – auf die dem Senat nicht in ausschließlicher Zuständigkeit zugewiesenen Fälle der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung gemäß § 66b StGB. Es ist undenkbar , aus der Entscheidung des Gerichtshofs eine unmittelbar umsetzbare Einschränkung der Rückwirkung in Fällen des § 66b StGB herzuleiten, ohne sie zugleich auf die von der Entscheidung unmittelbar betroffene Regelung des § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB zu übertragen.
- 53
- 2. Der Senat fragt bei den anderen Strafsenaten an, ob der dargelegten Rechtsauffassung zugestimmt wird.
- 54
- a) Die Frage der Auslegung des § 2 Abs. 6 StGB ist eine solche von grundsätzlicher Bedeutung. Sie ist auch über die vorliegenden Fälle hinaus bedeutsam, weil einschlägige Fallgestaltungen in der Praxis der Strafkammern (nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung) und der Strafvollstreckungskammern (Entscheidung nach § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB und Folgeentscheidungen) häufig zu erwarten und von großem Gewicht für die Betroffenen sind. Bei einer die Rückwirkung hindernden Auslegung des § 2 Abs. 6 StGB wäre zudem in Fällen nachträglich angeordneter wie rückwirkend verlängerter und derzeit vollzogener Unterbringung in der Sicherungsverwahrung – unbeschadet anhängiger Verfassungsbeschwerden – die Maß- regel unverzüglich für erledigt zu erklären (vgl. Veh in MünchKomm-StGB § 67d Rdn. 35). Auch deshalb ist die Frage grundsätzlich klärungsbedürftig.
VI.
- 56
- Der Senat weist auf Folgendes hin:
- 57
- Seine Auslegung vermag – ungeachtet der dargelegten formellen und materiellen Einschränkungen – bei rückwirkend zeitlich unbegrenzter Fortdauer der Sicherungsverwahrung in den einschlägigen Fällen höchst gefährlicher Gewalttäter auf der Grundlage des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nichts an dem darin angenommenen Verstoß jedenfalls gegen Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK zu ändern.
- 58
- 1. Ihn zu beseitigen, ist primär gesetzgeberischen Maßnahmen vorbehalten (vgl. dazu auch den Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen, BT-Drucks. 17/3403). Hierfür ist nach Auffassung des Senats eine zwingend grundlegend veränderte Ausgestaltung des Vollzugs der Sicherungsverwahrung in Betracht zu ziehen, welche dessen vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte festgestellte strafgleiche Wirkung zu beseitigen geeignet ist, und zwar insbesondere durch verstärkte Therapieorientierung, ferner durch deutliche Vollzugserleichterungen im Vergleich zum Strafvollzug. Dies würde zugleich das bereits vom Bundesverfassungsgericht ansatzweise verlangte „Abstandsgebot“ (vgl. BVerfGE 109, 133, 153 ff., 166 f.) effektiv machen. Ob sich eine Neugestaltung in diesem Sinne auf die – hier allein relevanten – Altfälle mit Rückwirkung, etwa gar nur auf nach der Entscheidung des Ge- richtshofs bereits freigelassene Verurteilte beschränken ließe (so der vorbezeichnete Koalitionsentwurf), hat der Senat nicht zu beurteilen, erscheint freilich im Blick auf den Gleichheitsgrundsatz und das Freiheitsrecht aller in Sicherungsverwahrung Untergebrachter überaus zweifelhaft.
- 59
- 2. Der vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte festgestellte Verstoß insbesondere gegen Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK verstärkt die verfassungsrechtlichen Zweifel, denen die rückwirkende Streichung der zuvor vorgesehenen Begrenzung der Unterbringungsdauer unterliegt. Diese Bedenken erfassen gleichermaßen die Anordnung nachträglicher Sicherungsverwahrung nach § 66b StGB in Fällen, in denen die Regelung bei Tatbegehung noch nicht gegolten hat, namentlich soweit sie gar noch an Maßregelvoraussetzungen anknüpft, die erst nach Tatbegehung geschaffen worden sind. Der Bundesgerichtshof hat die verfassungsrechtliche Problematik in einschlägigen Fällen des § 66b StGB wiederholt behandelt (vgl. nur BGHSt 50, 373, 377 ff.; 52, 205, 209 ff.; BGH NStZ 2010, 565, 567).
- 60
- Die eingetretene Divergenz der Auslegung des in Art. 103 Abs. 2 GG und in Art. 7 Abs. 1 MRK gleichermaßen verankerten Grundsatzes „nulla poena sine lege“ durch das Bundesverfassungsgericht und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ist für die Strafjustiz höchst problematisch. Sie betrifft zudem einen besonders empfindlichen Bereich der Strafrechtspflege , in dem ein beträchtliches Gewicht der Freiheitseinschränkung für Verurteilte in Spannung tritt zu einhergehenden gravierenden Gefahren für die Allgemeinheit – konkret für Leib und Leben potentieller Opfer –, die mit Lockerungen und Entlassungen einhergehen. Nach dem Urteil des Gerichtshofs kann sich die Frage einer Verfassungsmäßigkeit rückwirkender Regelungen bei § 67d Abs. 3 Satz 1 wie bei § 66b StGB neu stellen, insbesondere unter dem Blickwinkel des durch Art. 20 Abs. 3 i.V.m. Art. 2 Abs. 2 GG geschützten Vertrauens rechtskräftig Abgeurteilter angesichts der jedenfalls gegebenen Nähe zum Schutzbereich des Art. 103 Abs. 2 GG. Auch dem Bundesverfassungsgericht obliegt die Berücksichtigung einer verbindlichen Interpretation der Konvention durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (vgl. Grabenwarter JZ 2010, 857, 863).
- 61
- Da das Verfahren nach § 132 GVG in der vom Senat abgelehnten Alternative letztlich zur Unanwendbarkeit der Normen führen kann, deren Rückwirkung in Frage steht – mit Ausnahme des § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB, der keinen Anwendungsbereich ohne Rückwirkung hat (vgl. oben III. 2d; dazu BGH NStZ 2010, 565, 566) –, kommt eine Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG an das Bundesverfassungsgericht in der jetzigen Phase der Entscheidungsfindung nicht in Betracht. Sie mag nach Abschluss des Verfahrens gemäß § 132 GVG, unter Umständen aber auch vom Großen Senat für Strafsachen innerhalb dieses Verfahrens, in Erwägung zu ziehen sein. Näher läge sie freilich erst in Fällen, in denen ein Oberlandesgericht nach Durchführung des Vorlegungsverfahrens abschließend zur Anordnung der Fortdauer der Maßregelvollstreckung gelangen sollte. Im Übrigen lassen bereits anhängige Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht in absehbarer Zeit Entscheidungen erwarten. Selbst bei veränderter Beurteilung der Verfassungsrechtslage ist dabei die Verwerfung der zur Prüfung stehenden Normen nicht zwingend ; vielmehr erscheint auch eine Verpflichtung zu gesetzgeberischen Maßnahmen im Sinne der Umgestaltung des Vollzugs der Sicherungsverwahrung nicht ausgeschlossen.
VII.
- 62
- Bis zur Erledigung des Verfahrens nach § 132 GVG gibt der Senat die Akten den vorlegenden Oberlandesgerichten zurück. Er weist hierzu auf Folgendes hin:
- 63
- 1. Das Verfahren wird voraussichtlich mehrere Monate andauern. Während dieser Zeit wird die Unterbringung gegen die Verurteilten weiterhin vollstreckt, der Eingriff in das Freiheitsgrundrecht, dessen Zulässigkeit in den Vorlegungsverfahren in Zweifel steht, mithin stetig weiter vertieft. Dies erfor- dert, dass die Oberlandesgerichte bereits vor Klärung der Vorlegungsfrage aktuell zu überprüfen haben, ob – unabhängig von der Vorlegungsfrage – die Freiheitsentziehung gegen den Verurteilten zu beenden oder die Vollstreckung zur Bewährung auszusetzen ist. Die Prüfung hat den vorstehend (oben IV.) bezeichneten, für die Oberlandesgerichte wegen der ausschließlichen Zuständigkeit des Senats nach § 121 Abs. 2 Nr. 3 GVG verbindlichen Maßstäben zu folgen.
- 64
- 2. Geboten ist zunächst eine neue Sachentscheidung nach § 67e Abs. 1 Satz 1 StGB aus Anlass des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Ihr ist ein aktuelles Sachverständigengutachten zugrunde zu legen (§ 463 Abs. 3 Satz 4 StPO), das sich an den engeren Kriterien zu Verhältnismäßigkeit und Gefahrenbegriff zu orientieren hat.
- 65
- 3. Für den Fall, dass die bisherige oder eine erneute Sachprüfung auch unter Zugrundelegung dieser Grundsätze konkreter höchster Gefährlichkeit des Verurteilten für die Allgemeinheit eine weitere Vollstreckung der Maßregel unerlässlich erscheinen lässt, ist zu beachten:
- 66
- a) Auf etwa während des Vorlegungsverfahrens einschließlich des Verfahrens nach § 132 GVG auftretende neue Entwicklungen, die für die Beurteilung der Gefährlichkeit des Verurteilten bedeutsam sein können, muss unverzüglich mit einer neuen Sachprüfung der Unerlässlichkeit weiterer Freiheitsentziehung reagiert werden.
- 67
- b) Es ist denkbar, dass die Prüfung im Verfahren nach § 132 GVG entgegen dem Votum des erkennenden Senats zum Ergebnis genereller Unzulässigkeit weiterer Maßregelvollstreckung gelangt. Dies zöge die sofortige Entlassung aller betroffenen Untergebrachten nach sich. Im Hinblick darauf ist eine vorsorgliche Vorbereitung sofort umsetzbarer, im Entlassungsfall angezeigter – insbesondere fürsorglicher – Maßnahmen zwingend geboten, die einer sozialen Gefährdung entlassener Verurteilter und einer damit einherge- henden Gefährdung der Allgemeinheit entgegenzuwirken vermögen. Durch eine unvorbereitete Eilentlassung würde diesen Gefahren Vorschub geleistet. Auf geeignete Maßnahmen hinzuwirken, ist auch Aufgabe der im Erledigungsverfahren tätigen Vollstreckungsgerichte einschließlich der vorlegenden Oberlandesgerichte.
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
2. Der Senat beabsichtigt zu entscheiden: Aus der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten in ihrer Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ergibt sich für die Maßregel der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung keine die Rückwirkung generell hindernde andere Bestimmung im Sinne des § 2 Abs. 6 StGB.
Der Senat fragt beim 4. Strafsenat an, ob an entgegenstehender Rechtsprechung festgehalten wird, bei den anderen Strafsenaten, ob dieser Rechtsauffassung zugestimmt wird.
3. Bis zur Erledigung des Verfahrens nach § 132 GVG werden die Akten an die vorlegenden Oberlandesgerichte zur Fortführung der nach § 67e Abs. 1 Satz 1, § 67d Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 StGB gebotenen Überprüfungen zurückgegeben.
G r ü n d e
- 1
- Die verbundenen Vorlegungsverfahren (§ 121 Abs. 2 Nr. 3 GVG) betreffen die Frage der Fortgeltung der bis 30. Januar 1998 gültigen Höchstdauer der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung von zehn Jahren (§ 67d Abs. 1 Satz 1 StGB a.F.) in „Altfällen“. Der Senat hat darüber zu entscheiden , ob das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. Dezember 2009 (M. gegen Deutschland, Individualbeschwerde Nr. 19359/04, EuGRZ 2010, 25) die deutschen Gerichte dazu zwingt, in Fällen , in denen die erstmalige Unterbringung eines Verurteilten in der Sicherungsverwahrung wegen Taten angeordnet wurde, die vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen schweren Straftaten vom 26. Januar 1998 (BGBl I 160) begangen worden waren, die Maßregel nach zehnjährigem Vollzug für erledigt zu erklären.
- 2
- Die vorlegenden Oberlandesgerichte Stuttgart, Celle und Koblenz möchten – wie bereits in vorangegangenen Entscheidungen (OLG Stuttgart Justiz 2010, 346; OLG Celle NStZ-RR 2010, 322; OLG Koblenz JR 2010, 306; vgl. auch OLG Nürnberg NStZ 2010, 574) – jeweils in Fällen über zehn Jahre hinaus vollstreckter Sicherungsverwahrung sofortige Beschwerden von Untergebrachten gegen Fortdauerbeschlüsse der zuständigen Landgerichte verwerfen. Sie vertreten die Auffassung, dass auch unter Zugrundelegung der Ausführungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte eine Erledigterklärung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung in Altfällen nach Vollzug von zehn Jahren trotz fortbestehender Gefährlichkeit des Verurteilten nicht geboten sei. Vielmehr richte sich die Entscheidung über die Fortdauer der Sicherungsverwahrung allein nach der gegenwärtigen Regelung des § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB. An der beabsichtigten Entscheidung sehen sie sich jedoch durch Beschlüsse anderer Oberlandesgerichte (OLG Frankfurt NStZ 2010, 573; NStZ-RR 2010, 321; OLG Hamm StRR 2010, 352; OLG Karlsruhe Justiz 2010, 350; NStZ-RR 2010, 322; SchlHolstOLG SchlHA 2010, 296) gehindert. Sie haben deshalb die jeweilige Sache zur Entscheidung der Rechtsfrage gemäß § 121 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 3 GVG dem Bundesgerichtshof vorgelegt.
- 3
- Dem Senat liegen zwölf weitere gleichgelagerte Vorlegungsverfahren vor. Er möchte in den drei zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Verfahren – im Ergebnis in Übereinstimmung mit den Anträgen des Generalbundesanwalts – grundsätzlich im Sinne der vorlegenden Oberlandesgerichte entscheiden. Er sieht sich daran jedoch durch bindende Rechtsprechung des 4. Strafsenats des Bundesgerichtshofs gehindert; darüber hinaus sieht der Senat in der aufgeworfenen Frage eine solche von grundsätzlicher Bedeutung (§ 132 Abs. 4 GVG).
I.
- 4
- 1. Beschluss des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 19. August 2010 (Vorlegungsverfahren 5 StR 394/10):
- 5
- Durch Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 27. September 1985 (Anlassurteil ) wurde der wiederholt, unter anderem wegen schwerster Sexualdelikte vorbestrafte D. wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexueller Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt, verbunden mit der Anordnung der Sicherungsverwahrung. Nach vollständiger Verbüßung der Strafe wird die Sicherungsverwahrung – nunmehr bereits über 21 Jahre – vollzogen. Mit dem angefochtenen Beschluss vom 19. März 2010 hat das Landgericht Heilbronn letztmals die Fortdauer der Sicherungsverwahrung angeordnet.
- 6
- Sachverständig beraten ist das Oberlandesgericht zu der Überzeugung gelangt, dass der mittlerweile 63 Jahre alte Verurteilte auch weiterhin wegen eines Hanges zur Begehung erheblicher Straftaten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, gefährlich sei. Er sei eine histrionisch-dissoziale Persönlichkeit, die einen Mangel an Empa- thie, deutliche und andauernde Verantwortungslosigkeit, Missachtung sozialer Normen, eine niedrige Schwelle für aggressives, auch gewalttätiges Handeln sowie oberflächliche Affektivität, Egozentrik und manipulatives Verhalten zur Befriedigung eigener Bedürfnisse aufweise. Seine Persönlichkeitsstruktur sei durch ein jedes normale Maß übersteigendes Geltungs- und Durchsetzungsbedürfnis sowie das Bedürfnis gekennzeichnet, Überlegenheit zu demonstrieren. Das bisherige strafbare Vorleben des Verurteilten beruhe auf dieser Persönlichkeitsstruktur. Im Vordergrund der Taten habe die Demonstration von Macht gestanden, die den eigentlichen sexuellen Antrieb überwogen habe. Dem liegen folgende tatsächliche Befunde zugrunde:
- 7
- Nachdem der Verurteilte bereits 1971 wegen versuchter Notzucht verurteilt worden war, verübte er vor Begehung der Anlasstat in der Zeit von 1973 bis 1978 – zweimal während laufender Strafaussetzungen, einmal nur zwei Monate nach längerer Untersuchungshaft – insgesamt vier schwere Sexualstraftaten. Alle zeichneten sich durch brutales, auf bedingungslose Durchsetzung des eigenen Willens gerichtetes Vorgehen und durch menschenverachtende Behandlung der Opfer aus. Seine zwischen 13 und 17 Jahre alten Opfer vergewaltigte er mehrfach, auf verschiedene Weise und unter entwürdigenden Begleitumständen. In Fällen der Mittäterschaft war er der Wortführer, der Reihenfolge, Zeit und Art des erzwungenen Geschlechtsverkehrs anordnete. In nahezu allen Fällen versetzte er die Opfer durch Würgen oder Zupacken am Hals, verbunden mit entsprechenden Drohungen, in Todesangst.
- 8
- Während des Vollzugs der Sicherungsverwahrung verübte er mehrere zum Teil bewaffnete Angriffe auf Vollzugsbedienstete. Weiterhin sind zahlreiche ernstzunehmende Bedrohungen von Vollzugs- und Justizpersonal aktenkundig , die mit Hinweisen auf Anschriften, auch der Ehepartner, oder mit vorgeblichem Wissen um den Aufenthalt der Kinder der bedrohten Personen verknüpft waren. Letztmalig drohte er am 6. Juni 2010 damit, seine Zelle – wie bereits zuvor geschehen – in Brand zu stecken, und bezeichnete sich selbst als „tickende Atombombe“.
- 9
- Der Verurteilte lehnt nahezu jede therapeutische Behandlung ab. Er unterhält keine Außenkontakte und hat Lockerungsmaßnahmen (begleitete Wanderungen oder Stadtausführungen) ebenso verweigert wie Beratungsgespräche mit der Bewährungshilfe und die Teilnahme an einem sozialen Training. Auf die Bereitschaft der Sozialbetreuung Heilbronn, ihm im Fall der Entlassung eine Unterkunft mit Hilfe bei der Bewältigung des täglichen Lebens zur Verfügung zu stellen, hat er ablehnend reagiert.
- 10
- 2. Beschluss des Oberlandesgerichts Celle vom 9. September 2010 (Vorlegungsverfahren 5 StR 440/10):
- 11
- Durch Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 12. Juli 1991 (Anlassurteil ) wurde K. wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit sexueller Nötigung, in einem Fall in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt, verbunden mit der Anordnung der Sicherungsverwahrung. Mit dem angefochtenen Beschluss vom 28. Mai 2010 hat das Landgericht Lüneburg erstmals die Fortdauer der Sicherungsverwahrung über zehn Jahre hinaus angeordnet.
- 12
- Seine Überzeugung, dass der Verurteilte einen Hang zur Begehung einschlägiger schwerer Straftaten aufweise, begründet das Oberlandesgericht mit folgenden Umständen:
- 13
- Anfang 1967 kam es zur ersten Sexualstraftat des Verurteilten, bei der er versucht hatte, zwei 15 Jahre alte Jungen anal zu vergewaltigen, nachdem er sie zuvor bedroht und gefesselt hatte. Im Juli 1968 zwang er zwei 13-jährige Jungen, sein Glied bis zum Samenerguss zu reiben, während er an den Geschlechtsteilen der Opfer manipulierte. Nur etwa einen Monat später ver- senkte er einen 17-jährigen Jugendlichen, den er aufgrund eines zuvor im Rahmen einer tätlichen Auseinandersetzung erlittenen Sturzes für tot hielt, in einem Teich. Etwa ein Jahr nach Verbüßung der deswegen verhängten Jugendstrafe zwang er einen 13 Jahre alten Jungen zum Oral- und Analverkehr. Nur wenige Tage nach Entlassung aus der gegen ihn verhängten Strafhaft zwang er einen Arbeitskollegen unter Vorhalt eines Messers zum Oralverkehr. Der Anlassverurteilung liegen zugrunde die Vornahme des Oralverkehrs sowie der Versuch des Analverkehrs an einem elfjährigen Jungen , der mehrfache unter Vorhalt eines Messers und unter Fesselung erzwungene Anal- und Oralverkehr an zwei 13-jährigen Jungen sowie der ebenfalls unter Vorhalt eines Messers und unter Fesselung erzwungene Oral- und Analverkehr an einem weiteren elfjährigen Jungen, der überdies durch eine Schnittverletzung am Hals lebensgefährlich verletzt wurde.
- 14
- Diese Straftaten sind nach Auffassung des Oberlandesgerichts Ausdruck der letztmalig im Mai 2010 sachverständig bestätigten schweren Persönlichkeitsstörung mit sadistisch ausgerichteter Sexualdeviation des mittlerweile 61 Jahre alten Verurteilten. Bisherige therapeutische Interventionsversuche verliefen ergebnislos. Die Teilnahme an gruppentherapeutischen Sitzungen brach der Verurteilte ab, weil er den Kontakt zu den anderen Teilnehmern nicht habe ertragen können. Seither zeigte er keine Bereitschaft zu Therapiemaßnahmen. Auch ein Aufenthalt in der sozialtherapeutischen Abteilung der Justizvollzugsanstalt Hannover wurde im Jahr 2008 wegen mangelnder Aufgeschlossenheit in der Therapie abgebrochen.
- 15
- 3. Beschluss des Oberlandesgerichts Koblenz vom 30. September 2010 (Vorlegungsverfahren 5 StR 474/10):
- 16
- F. beging in den Jahren 1976, 1977 und 1983 insgesamt sechs schwere, sämtlich gegen Frauen gerichtete Gewaltverbrechen, darunter Sexualverbrechen:
- 17
- 1977 wurde er wegen schweren Raubes in Tateinheit mit räuberischem Angriff auf Kraftfahrer in zwei Fällen und wegen Vergewaltigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Er hatte in einer Nacht in kurzem zeitlichem Abstand zwei Prostituierte in sein Fahrzeug gelockt und auf einem Autobahnparkplatz unter Vorhalt eines Dolches ausgeraubt, eine der Frauen ferner unter Drohung mit einer Schusswaffe zum Geschlechtsverkehr gezwungen.
- 18
- Anfang Dezember 1977 setzte er das Haus einer Arbeitskollegin in Brand, die einen Annäherungsversuch abgewiesen hatte, wobei sich sieben Menschen in dem Haus aufhielten. Wegen schwerer Brandstiftung wurde er zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt.
- 19
- Durch das Landgericht Zweibrücken wurde er am 5. Juni 1984 (Anlassurteil ) wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexueller Nötigung in zwei Fällen, davon in einem Fall in weiterer Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt, verbunden mit der Anordnung der Sicherungsverwahrung. Unter ständiger Bedrohung mit einem Messer hatte er eine junge Mutter in deren Wohnung mehrmals zum Geschlechtsverkehr gezwungen, mit dem Messer an deren Geschlechtsteil manipuliert, sie gezwungen, den Oralverkehr bei ihm auszuüben , vor ihm die Notdurft zu verrichten und ihn manuell zu befriedigen, wobei er ihr das Ejakulat ins Gesicht spritzte. Nachdem er die Frau gefesselt und geknebelt hatte, versuchte er, den Analverkehr durchzuführen. Unter der Drohung, ihren vier Monate alten Säugling umzubringen, falls sich die Geschädigte an die Polizei wende, ließ er schließlich von ihr ab. Einen Tag später verschaffte er sich erneut Zutritt zu ihrer Wohnung und zwang sie abermals unter Vorhalt eines Messers mehrfach zum Geschlechtsverkehr. Er nötigte die völlig verstörte und erschöpfte Frau, zwölf Tabletten eines starken Beruhigungsmittels mit Bier einzunehmen. Die Geschädigte geriet hierdurch in einen Dämmerzustand und wurde nachts darauf in hilfloser Lage in ihrer Wohnung aufgefunden. Am Folgetag verschaffte sich der Verurteilte Zutritt zur Wohnung der 20-jährigen Nachbarin seiner Eltern und stach mit einem Schraubenzieher auf sie ein. Er würgte die junge Frau und stieß ihr zwei Finger in die Augen. Dann zwang er sie zum Oralverkehr und Beischlaf, während er erneut auf sie einstach und ihr drohte, den Schraubenzieher in ihre Scheide zu stoßen. Die Geschädigte erlitt zahlreiche schwere Verletzungen und war massiv traumatisiert.
- 20
- Seit 20 Jahren wird die Sicherungsverwahrung vollzogen. Im Mai 2009 erlitt der Verurteilte einen akuten Vorderwandinfarkt; er leidet an einer Knieund Hüftarthrose, aufgrund derer er Gehstützen benutzt. Zuletzt hat das Landgericht Koblenz mit dem angefochtenen Beschluss vom 18. Februar 2010 den weiteren Vollzug der Maßregel angeordnet.
- 21
- Das Oberlandesgericht nimmt nach eingehender Prüfung einen fortbestehenden Hang des Verurteilten zur Begehung einschlägiger schwerer Straftaten an. Nach näherer Aufklärung des physischen Gesundheitszustands des jetzt 58 Jahre alten Verurteilten gelangt es zu der Überzeugung, dass er trotz seiner gesundheitlichen Einschränkungen zu massivem fremdaggressivem Verhalten, auch zur Begehung von Sexualstraftaten, körperlich in der Lage ist, und zeigt plausible mögliche Verbrechensszenarien auf.
- 22
- Sachverständig beraten kommt es zu dem Ergebnis, dass dem strafbaren Verhalten des Verurteilten eine kombinierte Persönlichkeitsstörung zugrunde liegt, die eine geringe Frustrationstoleranz und eine gesteigerte Impulsivität bedingt und im Vollzug keine Abmilderung erfahren hat. Der Verurteilte hat sich bisher jeglichem therapeutischen Zugang verschlossen. Begonnene Therapien hat er entweder von sich aus eingestellt oder sie mussten abgebrochen werden, da er sich nicht öffnete. Derzeit lehnt er jedes Therapieangebot ab; er sieht keinen Therapiebedarf. Zu den Anlasstaten zeigt er oberflächliche Verleugnungs- und Verdrängungstendenzen. Hinsichtlich seines Sexualverhaltens gibt er an, etwa einmal wöchentlich bis zum Samenerguss zu onanieren; er wolle nach wie vor den Geschlechtsverkehr mit einer erwachsenen Frau ausführen, was er sich in seiner Phantasie auch vorstelle. Falls seine Erektion nicht ausreiche, werde er Viagra nehmen. Die Gefahr erneuter schwerster Sexualstraftaten hält das Oberlandesgericht für außerordentlich hoch. Selbst ein Tötungsdelikt liege – da der Verurteilte bei der letzten Anlasstat Tötungsphantasien ausgelebt habe – im Bereich des Wahrscheinlichen.
II.
- 23
- Die Rechtsansicht der vorlegenden Oberlandesgerichte, dass sich trotz des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte die Entscheidung über die Fortdauer der Sicherungsverwahrung über zehn Jahre hinaus in Altfällen allein nach der gegenwärtigen Regelung des § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB richte, ist unvereinbar mit der bindenden Rechtsprechung des 4. Strafsenats des Bundesgerichtshofs im Beschluss vom 12. Mai 2010 – 4 StR 577/09 (NStZ 2010, 567).
- 24
- 1. Durch das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen schweren Straftaten vom 26. Januar 1998 (BGBl I 160) hat der Gesetzgeber die durch das 2. Strafrechtsreformgesetz vom 4. Juli 1969 (BGBl I 717) eingeführte strikte Höchstdauer der ersten Unterbringung in der Sicherungsverwahrung von zehn Jahren (§ 67d Abs. 1 Satz 1 StGB a.F.) aufgehoben und die unbefristete Vollstreckung der Maßregel ermöglicht, jedoch nur unter den in § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB genannten engeren Voraussetzungen.
- 25
- Zum zeitlichen Geltungsbereich dieser Vorschrift bestimmt die allgemeine Regelung des § 2 Abs. 6 StGB, dass für Maßregeln der Besserung und Sicherung das zur Zeit der Entscheidung geltende Recht anzuwenden ist, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist. § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB ist daher grundsätzlich auch auf Altfälle anwendbar (BVerfGE 109, 133, 182).
- 26
- 2. Für den Anwendungsbereich der nachträglichen Sicherungsverwahrung gemäß § 66b Abs. 3 StGB sieht der 4. Strafsenat (aaO) in Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK in seiner Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eine anderweitige gesetzliche Bestimmung im Sinne des § 2 Abs. 6 StGB (ebenso Grabenwarter JZ 2010, 857; Gaede HRRS 2010, 329, 332 ff.), welche eine Anwendung des § 66b Abs. 3 StGB auf Altfälle ausschließe.
- 27
- a) Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. Dezember 2009 (EuGRZ 2010, 25) ist die Sicherungsverwahrung – ungeachtet ihrer Einordnung im deutschen Recht als Maßregel der Besserung und Sicherung – im Sinne der Europäischen Menschenrechtskonvention als Strafe zu qualifizieren, für die das Rückwirkungsverbot des Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK gilt (Rdn. 124 bis 133). Der Gerichtshof hat dies unter anderem damit begründet, dass die Sicherungsverwahrung wie eine Freiheitsstrafe mit Freiheitsentziehung verbunden sei und es in Deutschland keine wesentlichen Unterschiede zwischen dem Vollzug einer Freiheitsstrafe und dem der Sicherungsverwahrung gebe (aaO Rdn. 127 bis 130).
- 28
- b) Der 4. Strafsenat legt zugrunde, dass die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte – ungeachtet ihrer auf den Einzelfall beschränkten Bindungswirkung (vgl. Art. 46 Abs. 1 MRK sowie hierzu Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. MRK Verfahren Rdn. 76) – bei der Auslegung innerdeutschen Rechts zu berücksichtigen sind. Dies führe zum Ausschluss rückwirkender Anwendung. Zwar handele es sich bei der Sicherungsverwahrung nach innerdeutschem Recht um eine Maßregel der Besserung und Sicherung, für die nach § 2 Abs. 6 StGB grundsätzlich das Recht zum Zeitpunkt der Entscheidung gelte. § 2 Abs. 6 StGB schreibe die Maßgeblichkeit des geltenden Rechts jedoch nur dann vor, „wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt“ sei. Eine derartige andere Bestimmung stelle Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK in seiner Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte dar (BGH aaO S. 568).
- 29
- 3. Trifft die Auffassung des 4. Strafsenats zu, so ist die Vorlegungsfrage zwingend dahingehend zu beantworten, dass Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK eine Anwendung des § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB auf die hier zu beurteilenden Altfälle ausschließt. Nach dem zum jeweiligen Tatzeitpunkt geltenden Recht war die Dauer des Vollzugs der Sicherungsverwahrung auf zehn Jahre begrenzt ; alle Verurteilten wären somit – ungeachtet fortdauernder Gefährlichkeit – nach Fristablauf freizulassen. Die Frage des Rückwirkungsverbots kann im Rahmen des § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB nicht anders beantwortet werden als im Rahmen des für die Entscheidung des 4. Strafsenats maßgebenden § 66b Abs. 3 StGB (vgl. auch OLG Karlsruhe NStZ-RR 2010, 322).
III.
- 30
- Der Senat ist indessen – in Übereinstimmung mit dem Antrag des Generalbundesanwalts – der Meinung, dass einer Auslegung des § 2 Abs. 6 StGB in diesem Sinne zwingende Rechtsgründe entgegenstehen.
- 31
- 1. Die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten wurde als völkerrechtlicher Vertrag durch den Bundesgesetzgeber in das deutsche Recht transformiert. Innerhalb der deutschen Rechtsordnung kommt den Regelungen der Konvention der Rang einfachen Bundesrechts zu. Die Konvention ist bei der Interpretation des nationalen Rechts im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung zu beachten und anzuwenden (BVerfGE 111, 307, 317). Dabei sind auch die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu berücksichtigen, weil sie den aktuellen Entwicklungsstand der Konvention widerspiegeln (BVerfGE aaO S. 319).
- 32
- Zeigt eine Entscheidung des Gerichtshofs, wie vorliegend, über den entschiedenen Einzelfall hinaus strukturelle Mängel des nationalen Rechts auf, so gebietet die Verpflichtung innerstaatlicher Beachtung der Konvention – ungeachtet der beschränkten Bindungswirkung nach Art. 46 Abs. 1 MRK – eine konventionskonforme Ausgestaltung des nationalen Rechts (Gollwitzer aaO Rdn. 77b). Auch in Ermangelung einer § 31 Abs. 1 BVerfGG entsprechenden Vorschrift, wonach alle Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden an die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts gebunden sind, gehört zur Bindung an Gesetz und Recht, dass Gewährleistungen der Konvention in ihrer Ausformung durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs zu berücksichtigen sind (BVerfGE aaO S. 323). Aus dem Stellenwert der Europäischen Menschenrechtskonvention als lediglich einfaches Bundesrecht folgt indes, dass die Verpflichtung deutscher Gerichte zu vorrangiger konventionskonformer Auslegung auf Fälle vorhandener Auslegungs- und Abwägungsspielräume beschränkt ist (BVerfGE aaO S. 329). Die Zulässigkeit konventionskonformer Auslegung endet aus Gründen der Gesetzesbindung der Gerichte dort, wo der gegenteilige Wille des nationalen Gesetzgebers deutlich erkennbar wird (BGH NStZ 2010, 565, 566, zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt; Giegerich in Grote/Marauhn [Hrsg.], EMRK/GG Konkordanzkommentar zum europäischen und deutschen Grundrechtsschutz 2006 Kap. 2 Rdn. 20; Radtke NStZ 2010, 537, 542 ff.). Die Europäische Menschenrechtskonvention eröffnet den Gerichten keine Verwerfungskompetenz für eindeutig entgegenstehende Gesetze. Anders als bei deren Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz (Art. 100 Abs. 1 GG) besteht hier auch keine Vorlegungsmöglichkeit. In diesen Fällen ist allein der Gesetzgeber aufgerufen, eine Verletzung der Konvention infolge Anwendung eindeutiger gesetzlicher Regelungen durch deren Abänderung zu beseitigen.
- 33
- 2. Nach diesen Grundsätzen kann das aus Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK resultierende Rückwirkungsverbot nicht als abweichende gesetzliche Bestimmung im Sinne des § 2 Abs. 6 StGB angesehen werden. Zwar ist grundsätzlich davon auszugehen, dass der Gesetzgeber nicht von völkerrechtlichen Verpflichtungen abweichen oder die Verletzung solcher Verpflichtungen ermöglichen will (BVerfGE 74, 358, 370). Der Gesetzgeber hat jedoch unmissverständlich das Gebot zum Ausdruck gebracht, die betroffenen weiter- hin gefährlichen Verurteilten nicht in die Freiheit zu entlassen. Eine Interpretation des § 2 Abs. 6 StGB in dem Sinne, dass für die Sicherungsverwahrung eine rückwirkende Anwendung nicht möglich ist, würde den in den genannten Bestimmungen enthaltenen, vom eindeutigen Willen des Gesetzgebers getragenen Normbefehl teilweise oder ganz aushöhlen (vgl. auch Radtke aaO) und liefe auf ein den Strafgerichten bei der Berücksichtigung der Europäischen Menschenrechtskonvention nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht zustehendes Normverwerfungsrecht hinaus.
- 34
- a) Dass der Gesetzgeber die aus der Konvention resultierenden völkerrechtlichen Verpflichtungen, namentlich den Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK, nicht als Ausnahmevorschrift im Sinne des § 2 Abs. 6 StGB verstanden, sondern als Prüfungsmaßstab zur Frage der Übereinstimmung der Norm mit der Konvention herangezogen hat, ist den Gesetzesmaterialien zu entnehmen. Bei den Beratungen zum 2. Strafrechtsreformgesetz hat er sich ausdrücklich mit dem Verhältnis der beiden Regelungen befasst. Bereits seinerzeit erhobene Bedenken, dass die grundsätzliche Ausnahme der Maßregeln vom Rückwirkungsverbot gegen Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK verstoße, hat er als „unbegründet“ zurückgewiesen (BT-Drucks. IV/650, S. 108). Besondere Vorschriften für die zeitliche Geltung von Maßregeln würden namentlich für die Zeit des Inkrafttretens des neuen Strafrechts erforderlich werden; im Einführungsgesetz werde daher im Einzelnen zu regeln sein, ob und in welchem Umfange Neuerungen im Maßregelrecht des Entwurfs zurückwirkten (BT-Drucks. IV/650 aaO). Durch die Wendung „wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist“ solle darauf hingewiesen werden, dass bei der Rechtsanwendung auf die Möglichkeit besonderer Regelungen zu achten sei (BTDrucks. IV/650 aaO). Dem entspricht die im strafrechtlichen Schrifttum vertretene Meinung, dass § 2 Abs. 6 StGB für eine Ausnahme von der Regel der Anwendung des zum Entscheidungszeitpunkt geltenden Rechts ausdrückliche Normierungen des Gesetzgebers verlangt (vgl. Schmitz in MünchKommStGB § 2 Rdn. 51).
- 35
- b) Im Anwendungsbereich des § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB hat der Gesetzgeber keine besondere gesetzliche Anordnung im Sinne des § 2 Abs. 6 StGB für Altfälle getroffen. Im Gegenteil bestimmte Art. 1a Abs. 3 EGStGB in der Fassung vom 31. Januar 1998 ausdrücklich die rückwirkende Anwendung auf Fälle, in denen die Anlasstat vor Inkrafttreten der Gesetzesnovelle begangen worden war. Aus der Streichung der Vorschrift mit Wirkung zum 29. Juli 2004 (BGBl I 1838) kann keine abweichende gesetzgeberische Wertung abgeleitet werden. Sie erfolgte nur deswegen, weil Art. 1a Abs. 3 EGStGB vor dem Hintergrund der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Februar 2004 – 2 BvR 2029/01 (BVerfGE 109, 133) – und 10. Februar 2004 – 2 BvR 834/02 u.a. (BVerfGE 109, 190) – verzichtbar erschien (BT-Drucks. 15/2887).
- 36
- c) Ebenso zweifelsfrei ist der gesetzgeberische Wille für eine Rückwirkung im Bereich der nachträglichen Sicherungsverwahrung nach § 66b StGB. Die Norm wurde mit Billigung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 109, 190), das auch spätere entsprechende Anwendungen in all ihren Varianten unbeanstandet gelassen hat (BVerfG – Kammer – NStZ 2007, 87; NJW 2009, 980; NStZ 2010, 265), gerade auch für solche Fälle geschaffen, in denen bei Tatbegehung noch keine nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung vorgesehen war, weitgehend auch für Fälle, in denen die nachträgliche Anordnung an formelle Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung anknüpfte, die bei Tatbegehung noch nicht galten. Der Bundesgerichtshof hat – ersichtlich im Einklang mit dem Willen des Gesetzgebers – unter Berufung auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine insoweit rückwirkende Anwendung des § 66b StGB wiederholt gebilligt (vgl. nur BGHSt 52, 205, 209 ff. m.w.N.).
- 37
- d) In diesem Zusammenhang wäre es im Übrigen kein gangbarer Weg, über § 2 Abs. 6 StGB i.V.m. Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK eine Rückwirkung nur bei den Regelungen zu verhindern, denen, weil auch „Neufälle“ umfassend , bei Ausschluss rückwirkender Anwendung noch ein sinnvoller An- wendungsbereich verbliebe. Diese Interpretation würde zu dem sinnwidrigen Ergebnis führen, dass lediglich die „reine Altfallregelung“ des § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB Bestand haben müsste (vgl. BGH NStZ 2010, 565, 566), obgleich sie dem Rückwirkungsverbot des Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK insgesamt und damit am deutlichsten widerstreitet.
- 38
- 3. Aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. a MRK, auf dessen Verletzung der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (aaO) den Konventionsverstoß bei rückwirkender Anwendung des § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB gleichfalls stützt, da ein ausreichender Kausalzusammenhang zwischen der Verurteilung des Beschwerdeführers und seinem fortdauernden Freiheitsentzug fehle (Rdn. 92 bis 101), folgt nichts anderes. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob sich aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 MRK überhaupt eine – in § 2 Abs. 6 StGB vorausge -setzte – zeitliche Begrenzung für die Anordnung strafrechtlicher Rechtsfolgen ableiten lässt. Jedenfalls stünde einer Berücksichtigung im Rahmen des § 2 Abs. 6 StGB – ebenso wie bei Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK – die dargelegte eindeutige Gesetzeslage entgegen. Angesichts dessen fehlt auch für eine im Schrifttum vorgeschlagene (vgl. Grabenwarter aaO S. 867 f.) Anwendung von § 67d Abs. 4 StGB jede Grundlage.
- 39
- 4. Der Senat beabsichtigt daher tragend zu entscheiden, dass sich aus der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten für die Maßregel der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung keine die Rückwirkung hindernde andere Bestimmung im Sinne des § 2 Abs. 6 StGB ergibt.
IV.
- 40
- Mit Blick auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB im Falle rückwirkender Anwendung allerdings einschränkend auszulegen.
- 41
- 1. Bei der Entscheidung nach § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB und ihren Folgeentscheidungen erfordert das Verhältnismäßigkeitsprinzip (§ 62 StGB), die Schutzinteressen der Allgemeinheit und den Freiheitsanspruch des Untergebrachten im Einzelfall abzuwägen. Das Gericht hat in die erforderliche Gesamtwürdigung die vom Täter ausgehenden Gefahren sowie die Schwere des mit der Maßregel verbundenen Eingriffs einzustellen und ins Verhältnis zu setzen (vgl. BVerfGE 109, 133, 159). Nach den dargestellten Grundsätzen sind in diese Gesamtwürdigung auch die Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention in ihrer Ausformung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte einzubeziehen. Die vom Gerichtshof geforderte konventionsgemäße Gewichtung hat einzufließen (Gollwitzer aaO Rdn. 77a), um eine konventionsfreundliche Anwendung der in Frage stehenden Norm zu gewährleisten. Die Ausführungen des Gerichtshofs zur Vereinbarkeit mit Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK und namentlich auch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 MRK streiten daher im Rahmen der Gesamtwürdigung unter dem Aspekt des Vertrauensschutzes und des Freiheitsrechts in gewichtigem Maße zugunsten des Verurteilten.
- 42
- 2. Hieraus folgt, dass bei konventionsfreundlicher Gesamtwürdigung von einem grundsätzlichen Überwiegen dieser Rechtspositionen des Verurteilten auszugehen ist. Im Lichte der neuen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte bedarf es einer noch weiter eingeschränkten Auslegung des § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB, als sie bereits das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 109, 133) verlangt hat. Danach ist in Altfällen die erstmalige Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach zehnjährigem Vollzug für erledigt zu erklären, sofern nicht eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualverbrechen aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Untergebrachten abzuleiten ist.
- 43
- In den Vorlegungssachen der Oberlandesgerichte Stuttgart und Koblenz ergeben sich aus dem Vollzugsverhalten der Verurteilten konkrete Anhaltspunkte für nach einer Entlassung unmittelbar drohende entsprechende schwerste Straftaten, durch die die Opfer physisch oder psychisch massiv geschädigt werden.
- 44
- Ansonsten kann die weitere Vollstreckung der Sicherungsverwahrung nur dann angeordnet werden, wenn der Verurteilte – etwa mit hoher Rückfallgeschwindigkeit , während gewährter Lockerungen oder bereits im Vollzug geplant – mehrere Vortaten im genannten Sinn begangen hat und sich im Rahmen des Vollzugs der Sicherungsverwahrung keine positiven Anhaltspunkte ergeben haben, die eine Reduzierung der im Vorleben des Verurteilten dokumentierten massiven Gefährlichkeit nahelegen. Zu dieser Fallgruppe kann die Vorlegungssache des Oberlandesgerichts Celle gerechnet werden, hier allerdings vorbehaltlich kontraindizierender Erkenntnisse über das aktuelle physische Gewaltpotential des Verurteilten.
- 45
- Nur unter diesen sehr eng zu handhabenden Voraussetzungen erscheint es vertretbar, dass als Eingriff in das Freiheitsrecht des Verurteilten unter Berücksichtigung seines auf höchster Stufe schutzwürdigen Vertrauens in die Unabänderbarkeit der zur Tatzeit bestimmten Rechtsfolge – auch in ihrer Dauer – einerseits und der Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit andererseits eine Entscheidung zu seinen Lasten getroffen werden darf (vgl. BGH NStZ 2010, 565, 567). Während der Senat im Rahmen des § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB eine ähnlich, entgegen der Ansicht des Oberlandesgerichts Stuttgart jedoch nicht auf die Gefahr schwerster Kapitalverbrechen beschränkte , restriktive Anordnungspraxis bei Ausübung des dort bestehenden Ermessens verlangt hat, ist bei § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB die aus Verhältnismäßigkeitsgründen unerlässliche äußerst eingeschränkte Interpretation des unbestimmten Rechtsbegriffs der Gefahr mit ähnlichem Ergebnis geboten.
- 46
- 3. Durch eine derartige erheblich einschränkende Auslegung des § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB wird den konventionsrechtlichen Bedenken des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Zusammenhang mit Art. 5 Abs. 1 Satz 2 MRK in weitem Umfang Rechnung getragen. Die rückwirkende Anwendung wird auf Fälle begrenzt, in denen das tangierte Freiheitsrecht des betroffenen Verurteilten mit im Bereich der Europäischen Menschenrechtskonvention anerkannten wichtigen Rechten Dritter kollidiert. Hinzu kommt, dass die weiter anzuordnende Freiheitsbeschränkung wegen gerichtlich sorgfältig neu zu prüfender konkreter schwerer Gefährdung künftiger Tatopfer erfolgt, die zudem häufig, wie gerade auch aus den dem Senat vorgelegten Fällen deutlich wird, in einer – unabhängig von der Beurteilung der eigentlichen Schuldfähigkeit im Sinne der §§ 20, 21 StGB – gravierenden Persönlichkeitsstörung des deshalb zu schwersten Straftaten neigenden verurteilten Hangtäters wurzelt. Damit sprechen auch die in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. c und lit. e MRK enthaltenen Grundgedanken für eine Zulässigkeit fortdauernden Freiheitsentzugs in den betroffenen Extremfällen.
- 47
- 4. Bei derart erhöhter Gefahrenprognose, ohne deren Vorliegen die Vollstreckung der Maßregel für erledigt zu erklären ist, wird – anders als es der Generalbundesanwalt vertritt (insoweit unklar Radtke NStZ 2010, 537, 544 f.) – eine Aussetzung der Maßregel zur Bewährung nach § 67d Abs. 2 StGB nur selten in Betracht kommen. Sie ist indes – anders als der systematische Zusammenhang von § 67d Abs. 2 und Abs. 3 Satz 1 StGB auf den ersten Blick nahelegt – nicht etwa prinzipiell ausgeschlossen. Vielmehr wird die Aussetzung in § 463 Abs. 3 Satz 4 StPO sogar vorausgesetzt. Sie wird in Erwägung zu ziehen sein, wenn eine hochgradige Gefahr im dargelegten Sinne zwar prognostiziert wird, diese aber durch den Widerrufsdruck und mit einer Aussetzung zur Bewährung zu verbindende Weisungen so weit reduziert werden kann, dass angenommen werden kann, der Verurteilte könne von der Begehung schwerster Gewalt- oder Sexualverbrechen abgehalten werden (in diesem Sinne Rissing-van Saan/Peglau in LK 12. Aufl. § 67d Rdn. 74). In solchen Konstellationen stellt die Aussetzung zur Bewährung anstelle einer sonst zwingend fortdauernden Vollstreckung die „konventionsfreundlichste“ Maßnahme dar.
- 48
- 5. Ob der weitere Vollzug der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach den dargelegten Kriterien noch gerechtfertigt ist, hat das zuständige Gericht von Amts wegen aufgrund einer aktuellen Gefährlichkeitsprognose zu prüfen, auch wenn zwei Jahre seit der letzten Prüfung noch nicht vergangen sind. Die Entscheidung des Gerichtshofs ist eine Tatsache, die eine erneute Prüfung einer Erledigterklärung der Sicherungsverwahrung nach § 67e Abs. 1 StGB oder einer Aussetzung ihrer Vollstreckung unerlässlich macht (vgl. Grabenwarter JZ 2010, 857, 865; Radtke NStZ 2010, 537, 544).
V.
- 49
- Nach den vom Senat entwickelten Maßstäben erscheint in den aufgezeigten Fällen im Blick auf die getroffenen Feststellungen und Wertungen der Oberlandesgerichte die weitere Vollstreckung der Sicherungsverwahrung naheliegend, weswegen in den vorliegenden Fällen auch das Ergebnis der unter II. 2. dargestellten Entscheidung des 4. Strafsenats des Bundesgerichtshofs widerstreitet.
- 50
- 1. Der Senat fragt daher beim 4. Strafsenat an, ob die entgegenstehende Rechtsprechung aufgegeben wird.
- 51
- a) Die Anfrage wird nicht dadurch gehindert, dass sich die Entscheidung des 4. Strafsenats auf die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66b Abs. 3 StGB bezieht. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte betrifft unmittelbar den hier relevanten § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB. Der 4. Strafsenat hat indessen die in der Entscheidung des Gerichtshofs aufgezeigten Grundsätze auf den Fall der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung übertragen. Dies entspricht der Auffassung des anfragenden Senats, wonach eine unterschiedliche Auslegung des § 2 Abs. 6 StGB in Fällen nachträglicher Sicherungsverwahrung nicht in Betracht kommt (BGH NStZ 2010, 565, 566 m.w.N.; vgl. auch OLG Karlsruhe NStZ-RR 2010,
322).
- 52
- b) Aus der dem Senat gemäß § 121 Abs. 2 Nr. 3 GVG in Verbindung mit dem Geschäftsverteilungsplan des Bundesgerichtshofs in der seit 20. Juli 2010 gültigen Fassung zugewiesenen Spezialzuständigkeit zur Entscheidung von Vorlegungssachen über die Erledigung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung ergibt sich kein das Anfrageverfahren ausschließender Umstand. Eine Abweichung von der Rechtsprechung anderer Senate ohne Vorlegung ist nur dann möglich, wenn ein Senat nach der Geschäftsverteilung für ein bestimmtes Rechtsgebiet (nunmehr) allein und ausschließlich zuständig ist und die Rechtsfrage nur diese Spezialmaterie betrifft (Hannich in KK 6. Aufl. § 132 GVG Rdn. 6). Die Frage der Auslegung von § 2 Abs. 6 StGB im Lichte des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte erstreckt sich indessen – wie dargelegt – auf die dem Senat nicht in ausschließlicher Zuständigkeit zugewiesenen Fälle der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung gemäß § 66b StGB. Es ist undenkbar , aus der Entscheidung des Gerichtshofs eine unmittelbar umsetzbare Einschränkung der Rückwirkung in Fällen des § 66b StGB herzuleiten, ohne sie zugleich auf die von der Entscheidung unmittelbar betroffene Regelung des § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB zu übertragen.
- 53
- 2. Der Senat fragt bei den anderen Strafsenaten an, ob der dargelegten Rechtsauffassung zugestimmt wird.
- 54
- a) Die Frage der Auslegung des § 2 Abs. 6 StGB ist eine solche von grundsätzlicher Bedeutung. Sie ist auch über die vorliegenden Fälle hinaus bedeutsam, weil einschlägige Fallgestaltungen in der Praxis der Strafkammern (nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung) und der Strafvollstreckungskammern (Entscheidung nach § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB und Folgeentscheidungen) häufig zu erwarten und von großem Gewicht für die Betroffenen sind. Bei einer die Rückwirkung hindernden Auslegung des § 2 Abs. 6 StGB wäre zudem in Fällen nachträglich angeordneter wie rückwirkend verlängerter und derzeit vollzogener Unterbringung in der Sicherungsverwahrung – unbeschadet anhängiger Verfassungsbeschwerden – die Maß- regel unverzüglich für erledigt zu erklären (vgl. Veh in MünchKomm-StGB § 67d Rdn. 35). Auch deshalb ist die Frage grundsätzlich klärungsbedürftig.
VI.
- 56
- Der Senat weist auf Folgendes hin:
- 57
- Seine Auslegung vermag – ungeachtet der dargelegten formellen und materiellen Einschränkungen – bei rückwirkend zeitlich unbegrenzter Fortdauer der Sicherungsverwahrung in den einschlägigen Fällen höchst gefährlicher Gewalttäter auf der Grundlage des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nichts an dem darin angenommenen Verstoß jedenfalls gegen Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK zu ändern.
- 58
- 1. Ihn zu beseitigen, ist primär gesetzgeberischen Maßnahmen vorbehalten (vgl. dazu auch den Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen, BT-Drucks. 17/3403). Hierfür ist nach Auffassung des Senats eine zwingend grundlegend veränderte Ausgestaltung des Vollzugs der Sicherungsverwahrung in Betracht zu ziehen, welche dessen vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte festgestellte strafgleiche Wirkung zu beseitigen geeignet ist, und zwar insbesondere durch verstärkte Therapieorientierung, ferner durch deutliche Vollzugserleichterungen im Vergleich zum Strafvollzug. Dies würde zugleich das bereits vom Bundesverfassungsgericht ansatzweise verlangte „Abstandsgebot“ (vgl. BVerfGE 109, 133, 153 ff., 166 f.) effektiv machen. Ob sich eine Neugestaltung in diesem Sinne auf die – hier allein relevanten – Altfälle mit Rückwirkung, etwa gar nur auf nach der Entscheidung des Ge- richtshofs bereits freigelassene Verurteilte beschränken ließe (so der vorbezeichnete Koalitionsentwurf), hat der Senat nicht zu beurteilen, erscheint freilich im Blick auf den Gleichheitsgrundsatz und das Freiheitsrecht aller in Sicherungsverwahrung Untergebrachter überaus zweifelhaft.
- 59
- 2. Der vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte festgestellte Verstoß insbesondere gegen Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK verstärkt die verfassungsrechtlichen Zweifel, denen die rückwirkende Streichung der zuvor vorgesehenen Begrenzung der Unterbringungsdauer unterliegt. Diese Bedenken erfassen gleichermaßen die Anordnung nachträglicher Sicherungsverwahrung nach § 66b StGB in Fällen, in denen die Regelung bei Tatbegehung noch nicht gegolten hat, namentlich soweit sie gar noch an Maßregelvoraussetzungen anknüpft, die erst nach Tatbegehung geschaffen worden sind. Der Bundesgerichtshof hat die verfassungsrechtliche Problematik in einschlägigen Fällen des § 66b StGB wiederholt behandelt (vgl. nur BGHSt 50, 373, 377 ff.; 52, 205, 209 ff.; BGH NStZ 2010, 565, 567).
- 60
- Die eingetretene Divergenz der Auslegung des in Art. 103 Abs. 2 GG und in Art. 7 Abs. 1 MRK gleichermaßen verankerten Grundsatzes „nulla poena sine lege“ durch das Bundesverfassungsgericht und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ist für die Strafjustiz höchst problematisch. Sie betrifft zudem einen besonders empfindlichen Bereich der Strafrechtspflege , in dem ein beträchtliches Gewicht der Freiheitseinschränkung für Verurteilte in Spannung tritt zu einhergehenden gravierenden Gefahren für die Allgemeinheit – konkret für Leib und Leben potentieller Opfer –, die mit Lockerungen und Entlassungen einhergehen. Nach dem Urteil des Gerichtshofs kann sich die Frage einer Verfassungsmäßigkeit rückwirkender Regelungen bei § 67d Abs. 3 Satz 1 wie bei § 66b StGB neu stellen, insbesondere unter dem Blickwinkel des durch Art. 20 Abs. 3 i.V.m. Art. 2 Abs. 2 GG geschützten Vertrauens rechtskräftig Abgeurteilter angesichts der jedenfalls gegebenen Nähe zum Schutzbereich des Art. 103 Abs. 2 GG. Auch dem Bundesverfassungsgericht obliegt die Berücksichtigung einer verbindlichen Interpretation der Konvention durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (vgl. Grabenwarter JZ 2010, 857, 863).
- 61
- Da das Verfahren nach § 132 GVG in der vom Senat abgelehnten Alternative letztlich zur Unanwendbarkeit der Normen führen kann, deren Rückwirkung in Frage steht – mit Ausnahme des § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB, der keinen Anwendungsbereich ohne Rückwirkung hat (vgl. oben III. 2d; dazu BGH NStZ 2010, 565, 566) –, kommt eine Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG an das Bundesverfassungsgericht in der jetzigen Phase der Entscheidungsfindung nicht in Betracht. Sie mag nach Abschluss des Verfahrens gemäß § 132 GVG, unter Umständen aber auch vom Großen Senat für Strafsachen innerhalb dieses Verfahrens, in Erwägung zu ziehen sein. Näher läge sie freilich erst in Fällen, in denen ein Oberlandesgericht nach Durchführung des Vorlegungsverfahrens abschließend zur Anordnung der Fortdauer der Maßregelvollstreckung gelangen sollte. Im Übrigen lassen bereits anhängige Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht in absehbarer Zeit Entscheidungen erwarten. Selbst bei veränderter Beurteilung der Verfassungsrechtslage ist dabei die Verwerfung der zur Prüfung stehenden Normen nicht zwingend ; vielmehr erscheint auch eine Verpflichtung zu gesetzgeberischen Maßnahmen im Sinne der Umgestaltung des Vollzugs der Sicherungsverwahrung nicht ausgeschlossen.
VII.
- 62
- Bis zur Erledigung des Verfahrens nach § 132 GVG gibt der Senat die Akten den vorlegenden Oberlandesgerichten zurück. Er weist hierzu auf Folgendes hin:
- 63
- 1. Das Verfahren wird voraussichtlich mehrere Monate andauern. Während dieser Zeit wird die Unterbringung gegen die Verurteilten weiterhin vollstreckt, der Eingriff in das Freiheitsgrundrecht, dessen Zulässigkeit in den Vorlegungsverfahren in Zweifel steht, mithin stetig weiter vertieft. Dies erfor- dert, dass die Oberlandesgerichte bereits vor Klärung der Vorlegungsfrage aktuell zu überprüfen haben, ob – unabhängig von der Vorlegungsfrage – die Freiheitsentziehung gegen den Verurteilten zu beenden oder die Vollstreckung zur Bewährung auszusetzen ist. Die Prüfung hat den vorstehend (oben IV.) bezeichneten, für die Oberlandesgerichte wegen der ausschließlichen Zuständigkeit des Senats nach § 121 Abs. 2 Nr. 3 GVG verbindlichen Maßstäben zu folgen.
- 64
- 2. Geboten ist zunächst eine neue Sachentscheidung nach § 67e Abs. 1 Satz 1 StGB aus Anlass des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Ihr ist ein aktuelles Sachverständigengutachten zugrunde zu legen (§ 463 Abs. 3 Satz 4 StPO), das sich an den engeren Kriterien zu Verhältnismäßigkeit und Gefahrenbegriff zu orientieren hat.
- 65
- 3. Für den Fall, dass die bisherige oder eine erneute Sachprüfung auch unter Zugrundelegung dieser Grundsätze konkreter höchster Gefährlichkeit des Verurteilten für die Allgemeinheit eine weitere Vollstreckung der Maßregel unerlässlich erscheinen lässt, ist zu beachten:
- 66
- a) Auf etwa während des Vorlegungsverfahrens einschließlich des Verfahrens nach § 132 GVG auftretende neue Entwicklungen, die für die Beurteilung der Gefährlichkeit des Verurteilten bedeutsam sein können, muss unverzüglich mit einer neuen Sachprüfung der Unerlässlichkeit weiterer Freiheitsentziehung reagiert werden.
- 67
- b) Es ist denkbar, dass die Prüfung im Verfahren nach § 132 GVG entgegen dem Votum des erkennenden Senats zum Ergebnis genereller Unzulässigkeit weiterer Maßregelvollstreckung gelangt. Dies zöge die sofortige Entlassung aller betroffenen Untergebrachten nach sich. Im Hinblick darauf ist eine vorsorgliche Vorbereitung sofort umsetzbarer, im Entlassungsfall angezeigter – insbesondere fürsorglicher – Maßnahmen zwingend geboten, die einer sozialen Gefährdung entlassener Verurteilter und einer damit einherge- henden Gefährdung der Allgemeinheit entgegenzuwirken vermögen. Durch eine unvorbereitete Eilentlassung würde diesen Gefahren Vorschub geleistet. Auf geeignete Maßnahmen hinzuwirken, ist auch Aufgabe der im Erledigungsverfahren tätigen Vollstreckungsgerichte einschließlich der vorlegenden Oberlandesgerichte.
Tenor
Der Antrag des Verurteilten, die Sicherungsverwahrung für erledigt zu erklären und anzuordnen, dass er aus der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zu entlassen ist, wird
z u r ü c k g e w i e s e n.
Gründe
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Strafprozeßordnung - StPO | § 275a Einleitung des Verfahrens; Hauptverhandlung; Unterbringungsbefehl
(1) Ist im Urteil die Anordnung der Sicherungsverwahrung vorbehalten (§ 66a des Strafgesetzbuches), übersendet die Vollstreckungsbehörde die Akten rechtzeitig an die Staatsanwaltschaft des zuständigen Gerichts. Diese übergibt die Akten so rechtzeitig dem Vorsitzenden des Gerichts, dass eine Entscheidung bis zu dem in Absatz 5 genannten Zeitpunkt ergehen kann. Ist die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 67d Absatz 6 Satz 1 des Strafgesetzbuches für erledigt erklärt worden, übersendet die Vollstreckungsbehörde die Akten unverzüglich an die Staatsanwaltschaft des Gerichts, das für eine nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung (§ 66b des Strafgesetzbuches) zuständig ist. Beabsichtigt diese, eine nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung zu beantragen, teilt sie dies der betroffenen Person mit. Die Staatsanwaltschaft soll den Antrag auf nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung unverzüglich stellen und ihn zusammen mit den Akten dem Vorsitzenden des Gerichts übergeben.
(2) Für die Vorbereitung und die Durchführung der Hauptverhandlung gelten die §§ 213 bis 275 entsprechend, soweit nachfolgend nichts anderes geregelt ist.
(3) Nachdem die Hauptverhandlung nach Maßgabe des § 243 Abs. 1 begonnen hat, hält ein Berichterstatter in Abwesenheit der Zeugen einen Vortrag über die Ergebnisse des bisherigen Verfahrens. Der Vorsitzende verliest das frühere Urteil, soweit es für die Entscheidung über die vorbehaltene oder die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung von Bedeutung ist. Sodann erfolgt die Vernehmung des Verurteilten und die Beweisaufnahme.
(4) Das Gericht holt vor der Entscheidung das Gutachten eines Sachverständigen ein. Ist über die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung zu entscheiden, müssen die Gutachten von zwei Sachverständigen eingeholt werden. Die Gutachter dürfen im Rahmen des Strafvollzugs oder des Vollzugs der Unterbringung nicht mit der Behandlung des Verurteilten befasst gewesen sein.
(5) Das Gericht soll über die vorbehaltene Anordnung der Sicherungsverwahrung spätestens sechs Monate vor der vollständigen Vollstreckung der Freiheitsstrafe entscheiden.
(6) Sind dringende Gründe für die Annahme vorhanden, dass die nachträgliche Sicherungsverwahrung angeordnet wird, so kann das Gericht bis zur Rechtskraft des Urteils einen Unterbringungsbefehl erlassen. Für den Erlass des Unterbringungsbefehls ist das für die Entscheidung nach § 67d Absatz 6 des Strafgesetzbuches zuständige Gericht so lange zuständig, bis der Antrag auf Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung bei dem für diese Entscheidung zuständigen Gericht eingeht. In den Fällen des § 66a des Strafgesetzbuches kann das Gericht bis zur Rechtskraft des Urteils einen Unterbringungsbefehl erlassen, wenn es im ersten Rechtszug bis zu dem in § 66a Absatz 3 Satz 1 des Strafgesetzbuches bestimmten Zeitpunkt die vorbehaltene Sicherungsverwahrung angeordnet hat. Die §§ 114 bis 115a, 117 bis 119a und 126a Abs. 3 gelten entsprechend.
(1) Die Oberlandesgerichte sind in Strafsachen ferner zuständig für die Verhandlung und Entscheidung über die Rechtsmittel:
- 1.
der Revision gegen - a)
die mit der Berufung nicht anfechtbaren Urteile des Strafrichters; - b)
die Berufungsurteile der kleinen und großen Strafkammern; - c)
die Urteile des Landgerichts im ersten Rechtszug, wenn die Revision ausschließlich auf die Verletzung einer in den Landesgesetzen enthaltenen Rechtsnorm gestützt wird;
- 2.
der Beschwerde gegen strafrichterliche Entscheidungen, soweit nicht die Zuständigkeit der Strafkammern oder des Bundesgerichtshofes begründet ist; - 3.
der Rechtsbeschwerde gegen Entscheidungen der Strafvollstreckungskammern nach den § 50 Abs. 5, §§ 116, 138 Abs. 3 des Strafvollzugsgesetzes und der Jugendkammern nach § 92 Abs. 2 des Jugendgerichtsgesetzes; - 4.
des Einwands gegen die Besetzung einer Strafkammer im Fall des § 222b Absatz 3 Satz 1 der Strafprozessordnung.
(2) Will ein Oberlandesgericht bei seiner Entscheidung
- 1.
nach Absatz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder Buchstabe b von einer nach dem 1. April 1950 ergangenen Entscheidung, - 2.
nach Absatz 1 Nummer 3 von einer nach dem 1. Januar 1977 ergangenen Entscheidung, - 3.
nach Absatz 1 Nummer 2 über die Erledigung einer Maßregel der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung oder in einem psychiatrischen Krankenhaus oder über die Zulässigkeit ihrer weiteren Vollstreckung von einer nach dem 1. Januar 2010 ergangenen Entscheidung oder - 4.
nach Absatz 1 Nummer 4 von einer Entscheidung
(3) Ein Land, in dem mehrere Oberlandesgerichte errichtet sind, kann durch Rechtsverordnung der Landesregierung die Entscheidungen nach Absatz 1 Nr. 3 einem Oberlandesgericht für die Bezirke mehrerer Oberlandesgerichte oder dem Obersten Landesgericht zuweisen, sofern die Zuweisung für eine sachdienliche Förderung oder schnellere Erledigung der Verfahren zweckmäßig ist. Die Landesregierungen können die Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf die Landesjustizverwaltungen übertragen.
Die Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen Verfahrens zugunsten des Verurteilten ist zulässig,
- 1.
wenn eine in der Hauptverhandlung zu seinen Ungunsten als echt vorgebrachte Urkunde unecht oder verfälscht war; - 2.
wenn der Zeuge oder Sachverständige sich bei einem zuungunsten des Verurteilten abgelegten Zeugnis oder abgegebenen Gutachten einer vorsätzlichen oder fahrlässigen Verletzung der Eidespflicht oder einer vorsätzlichen falschen uneidlichen Aussage schuldig gemacht hat; - 3.
wenn bei dem Urteil ein Richter oder Schöffe mitgewirkt hat, der sich in Beziehung auf die Sache einer strafbaren Verletzung seiner Amtspflichten schuldig gemacht hat, sofern die Verletzung nicht vom Verurteilten selbst veranlaßt ist; - 4.
wenn ein zivilgerichtliches Urteil, auf welches das Strafurteil gegründet ist, durch ein anderes rechtskräftig gewordenes Urteil aufgehoben ist; - 5.
wenn neue Tatsachen oder Beweismittel beigebracht sind, die allein oder in Verbindung mit den früher erhobenen Beweisen die Freisprechung des Angeklagten oder in Anwendung eines milderen Strafgesetzes eine geringere Bestrafung oder eine wesentlich andere Entscheidung über eine Maßregel der Besserung und Sicherung zu begründen geeignet sind, - 6.
wenn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine Verletzung der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten oder ihrer Protokolle festgestellt hat und das Urteil auf dieser Verletzung beruht.
(1) Die Vorschriften über die Sicherungsverwahrung in der Fassung des Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom 22. Dezember 2010 (BGBl. I S. 2300) sind nur anzuwenden, wenn die Tat oder mindestens eine der Taten, wegen deren Begehung die Sicherungsverwahrung angeordnet oder vorbehalten werden soll, nach dem 31. Dezember 2010 begangen worden ist. In allen anderen Fällen ist das bisherige Recht anzuwenden, soweit in den Absätzen 2 und 3 sowie in Artikel 316f Absatz 2 und 3 nichts anderes bestimmt ist.
(2) Sind die Taten, wegen deren Begehung die Sicherungsverwahrung nach § 66 des Strafgesetzbuches angeordnet werden soll, vor dem 1. Januar 2011 begangen worden und ist der Täter deswegen noch nicht rechtskräftig verurteilt worden, so ist § 66 des Strafgesetzbuches in der seit dem 1. Januar 2011 geltenden Fassung anzuwenden, wenn diese gegenüber dem bisherigen Recht das mildere Gesetz ist.
(3) Eine nach § 66 des Strafgesetzbuches vor dem 1. Januar 2011 rechtskräftig angeordnete Sicherungsverwahrung erklärt das Gericht für erledigt, wenn die Anordnung ausschließlich auf Taten beruht, die nach § 66 des Strafgesetzbuches in der seit dem 1. Januar 2011 geltenden Fassung nicht mehr Grundlage für eine solche Anordnung sein können. Das Gericht kann, soweit dies zur Durchführung von Entlassungsvorbereitungen geboten ist, als Zeitpunkt der Erledigung spätestens den 1. Juli 2011 festlegen. Zuständig für die Entscheidungen nach den Sätzen 1 und 2 ist das nach den §§ 454, 462a Absatz 1 der Strafprozessordnung zuständige Gericht. Für das Verfahren ist § 454 Absatz 1, 3 und 4 der Strafprozessordnung entsprechend anzuwenden; die Vollstreckungsbehörde übersendet die Akten unverzüglich an die Staatsanwaltschaft des zuständigen Gerichtes, die diese umgehend dem Gericht zur Entscheidung übergibt. Mit der Entlassung aus dem Vollzug tritt Führungsaufsicht ein.
(4) § 1 des Therapieunterbringungsgesetzes vom 22. Dezember 2010 (BGBl. I S. 2300, 2305) ist unter den dortigen sonstigen Voraussetzungen auch dann anzuwenden, wenn der Betroffene noch nicht in Sicherungsverwahrung untergebracht, gegen ihn aber bereits Sicherungsverwahrung im ersten Rechtszug angeordnet war und aufgrund einer vor dem 4. Mai 2011 ergangenen Revisionsentscheidung festgestellt wurde, dass die Sicherungsverwahrung ausschließlich deshalb nicht rechtskräftig angeordnet werden konnte, weil ein zu berücksichtigendes Verbot rückwirkender Verschärfungen im Recht der Sicherungsverwahrung dem entgegenstand, ohne dass es dabei auf den Grad der Gefährlichkeit des Betroffenen für die Allgemeinheit angekommen wäre.
(1) Das Gericht kann die verurteilte Person für die Dauer der Führungsaufsicht oder für eine kürzere Zeit anweisen,
- 1.
den Wohn- oder Aufenthaltsort oder einen bestimmten Bereich nicht ohne Erlaubnis der Aufsichtsstelle zu verlassen, - 2.
sich nicht an bestimmten Orten aufzuhalten, die ihr Gelegenheit oder Anreiz zu weiteren Straftaten bieten können, - 3.
zu der verletzten Person oder bestimmten Personen oder Personen einer bestimmten Gruppe, die ihr Gelegenheit oder Anreiz zu weiteren Straftaten bieten können, keinen Kontakt aufzunehmen, mit ihnen nicht zu verkehren, sie nicht zu beschäftigen, auszubilden oder zu beherbergen, - 4.
bestimmte Tätigkeiten nicht auszuüben, die sie nach den Umständen zu Straftaten missbrauchen kann, - 5.
bestimmte Gegenstände, die ihr Gelegenheit oder Anreiz zu weiteren Straftaten bieten können, nicht zu besitzen, bei sich zu führen oder verwahren zu lassen, - 6.
Kraftfahrzeuge oder bestimmte Arten von Kraftfahrzeugen oder von anderen Fahrzeugen nicht zu halten oder zu führen, die sie nach den Umständen zu Straftaten missbrauchen kann, - 7.
sich zu bestimmten Zeiten bei der Aufsichtsstelle, einer bestimmten Dienststelle oder der Bewährungshelferin oder dem Bewährungshelfer zu melden, - 8.
jeden Wechsel der Wohnung oder des Arbeitsplatzes unverzüglich der Aufsichtsstelle zu melden, - 9.
sich im Fall der Erwerbslosigkeit bei der zuständigen Agentur für Arbeit oder einer anderen zur Arbeitsvermittlung zugelassenen Stelle zu melden, - 10.
keine alkoholischen Getränke oder andere berauschende Mittel zu sich zu nehmen, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen Gründe für die Annahme bestehen, dass der Konsum solcher Mittel zur Begehung weiterer Straftaten beitragen wird, und sich Alkohol- oder Suchtmittelkontrollen zu unterziehen, die nicht mit einem körperlichen Eingriff verbunden sind, - 11.
sich zu bestimmten Zeiten oder in bestimmten Abständen bei einer Ärztin oder einem Arzt, einer Psychotherapeutin oder einem Psychotherapeuten oder einer forensischen Ambulanz vorzustellen oder - 12.
die für eine elektronische Überwachung ihres Aufenthaltsortes erforderlichen technischen Mittel ständig in betriebsbereitem Zustand bei sich zu führen und deren Funktionsfähigkeit nicht zu beeinträchtigen.
- 1.
die Führungsaufsicht auf Grund der vollständigen Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder Gesamtfreiheitsstrafe von mindestens drei Jahren oder auf Grund einer erledigten Maßregel eingetreten ist, - 2.
die Freiheitsstrafe oder Gesamtfreiheitsstrafe oder die Unterbringung wegen einer oder mehrerer Straftaten der in § 66 Absatz 3 Satz 1 genannten Art verhängt oder angeordnet wurde, - 3.
die Gefahr besteht, dass die verurteilte Person weitere Straftaten der in § 66 Absatz 3 Satz 1 genannten Art begehen wird, und - 4.
die Weisung erforderlich erscheint, um die verurteilte Person durch die Möglichkeit der Datenverwendung nach § 463a Absatz 4 Satz 2 der Strafprozessordnung, insbesondere durch die Überwachung der Erfüllung einer nach Satz 1 Nummer 1 oder 2 auferlegten Weisung, von der Begehung weiterer Straftaten der in § 66 Absatz 3 Satz 1 genannten Art abzuhalten.
(2) Das Gericht kann der verurteilten Person für die Dauer der Führungsaufsicht oder für eine kürzere Zeit weitere Weisungen erteilen, insbesondere solche, die sich auf Ausbildung, Arbeit, Freizeit, die Ordnung der wirtschaftlichen Verhältnisse oder die Erfüllung von Unterhaltspflichten beziehen. Das Gericht kann die verurteilte Person insbesondere anweisen, sich psychiatrisch, psycho- oder sozialtherapeutisch betreuen und behandeln zu lassen (Therapieweisung). Die Betreuung und Behandlung kann durch eine forensische Ambulanz erfolgen. § 56c Abs. 3 gilt entsprechend, auch für die Weisung, sich Alkohol- oder Suchtmittelkontrollen zu unterziehen, die mit körperlichen Eingriffen verbunden sind.
(3) Bei den Weisungen dürfen an die Lebensführung der verurteilten Person keine unzumutbaren Anforderungen gestellt werden.
(4) Wenn mit Eintritt der Führungsaufsicht eine bereits bestehende Führungsaufsicht nach § 68e Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 endet, muss das Gericht auch die Weisungen in seine Entscheidung einbeziehen, die im Rahmen der früheren Führungsaufsicht erteilt worden sind.
(5) Soweit die Betreuung der verurteilten Person in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 11 oder ihre Behandlung in den Fällen des Absatzes 2 nicht durch eine forensische Ambulanz erfolgt, gilt § 68a Abs. 8 entsprechend.
Um die Entlassung vorzubereiten, ist der Gefangene bei der Ordnung seiner persönlichen, wirtschaftlichen und sozialen Angelegenheiten zu beraten. Die Beratung erstreckt sich auch auf die Benennung der für Sozialleistungen zuständigen Stellen. Dem Gefangenen ist zu helfen, Arbeit, Unterkunft und persönlichen Beistand für die Zeit nach der Entlassung zu finden.
Die Zahl der Fachkräfte für die sozialtherapeutische Anstalt ist so zu bemessen, daß auch eine nachgehende Betreuung der Gefangenen gewährleistet ist, soweit diese anderweitig nicht sichergestellt werden kann.
(1) Dem Verletzten ist, soweit es ihn betrifft, auf Antrag mitzuteilen:
- 1.
die Einstellung des Verfahrens, - 2.
der Ort und Zeitpunkt der Hauptverhandlung sowie die gegen den Angeklagten erhobenen Beschuldigungen, - 3.
der Ausgang des gerichtlichen Verfahrens.
(2) Dem Verletzten ist auf Antrag mitzuteilen, ob
- 1.
dem Verurteilten die Weisung erteilt worden ist, zu dem Verletzten keinen Kontakt aufzunehmen oder mit ihm nicht zu verkehren; - 2.
freiheitsentziehende Maßnahmen gegen den Beschuldigten oder den Verurteilten angeordnet oder beendet oder ob erstmalig Vollzugslockerungen oder Urlaub gewährt werden, wenn er ein berechtigtes Interesse darlegt und kein überwiegendes schutzwürdiges Interesse der betroffenen Person am Ausschluss der Mitteilung vorliegt; in den in § 395 Absatz 1 Nummer 1 bis 5 genannten Fällen sowie in den Fällen des § 395 Absatz 3, in denen der Verletzte zur Nebenklage zugelassen wurde, bedarf es der Darlegung eines berechtigten Interesses nicht; - 3.
der Beschuldigte oder Verurteilte sich einer freiheitsentziehenden Maßnahme durch Flucht entzogen hat und welche Maßnahmen zum Schutz des Verletzten deswegen gegebenenfalls getroffen worden sind; - 4.
dem Verurteilten erneut Vollzugslockerung oder Urlaub gewährt wird, wenn dafür ein berechtigtes Interesse dargelegt oder ersichtlich ist und kein überwiegendes schutzwürdiges Interesse des Verurteilten am Ausschluss der Mitteilung vorliegt.
(3) Der Verletzte ist über die Informationsrechte aus Absatz 2 Satz 1 nach der Urteilsverkündung oder Einstellung des Verfahrens zu belehren. Über die Informationsrechte aus Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und 3 ist der Verletzte zudem bei Anzeigeerstattung zu belehren, wenn die Anordnung von Untersuchungshaft gegen den Beschuldigten zu erwarten ist.
(4) Mitteilungen können unterbleiben, sofern sie nicht unter einer Anschrift möglich sind, die der Verletzte angegeben hat. Hat der Verletzte einen Rechtsanwalt als Beistand gewählt, ist ihm ein solcher beigeordnet worden oder wird er durch einen solchen vertreten, so gilt § 145a entsprechend.
(1) Steht auf Grund einer rechtskräftigen Entscheidung fest, dass eine wegen einer Straftat der in § 66 Absatz 3 Satz 1 des Strafgesetzbuches genannten Art verurteilte Person deshalb nicht länger in der Sicherungsverwahrung untergebracht werden kann, weil ein Verbot rückwirkender Verschärfungen im Recht der Sicherungsverwahrung zu berücksichtigen ist, kann das zuständige Gericht die Unterbringung dieser Person in einer geeigneten geschlossenen Einrichtung anordnen, wenn
- 1.
sie an einer psychischen Störung leidet und eine Gesamtwürdigung ihrer Persönlichkeit, ihres Vorlebens und ihrer Lebensverhältnisse ergibt, dass sie infolge ihrer psychischen Störung mit hoher Wahrscheinlichkeit das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung einer anderen Person erheblich beeinträchtigen wird, und - 2.
die Unterbringung aus den in Nummer 1 genannten Gründen zum Schutz der Allgemeinheit erforderlich ist.
(2) Absatz 1 ist unabhängig davon anzuwenden, ob die verurteilte Person sich noch im Vollzug der Sicherungsverwahrung befindet oder bereits entlassen wurde.
(1) Die Kosten eines zurückgenommenen oder erfolglos eingelegten Rechtsmittels treffen den, der es eingelegt hat. Hat der Beschuldigte das Rechtsmittel erfolglos eingelegt oder zurückgenommen, so sind ihm die dadurch dem Nebenkläger oder dem zum Anschluß als Nebenkläger Berechtigten in Wahrnehmung seiner Befugnisse nach § 406h erwachsenen notwendigen Auslagen aufzuerlegen. Hat im Falle des Satzes 1 allein der Nebenkläger ein Rechtsmittel eingelegt oder durchgeführt, so sind ihm die dadurch erwachsenen notwendigen Auslagen des Beschuldigten aufzuerlegen. Für die Kosten des Rechtsmittels und die notwendigen Auslagen der Beteiligten gilt § 472a Abs. 2 entsprechend, wenn eine zulässig erhobene sofortige Beschwerde nach § 406a Abs. 1 Satz 1 durch eine den Rechtszug abschließende Entscheidung unzulässig geworden ist.
(2) Hat im Falle des Absatzes 1 die Staatsanwaltschaft das Rechtsmittel zuungunsten des Beschuldigten oder eines Nebenbeteiligten (§ 424 Absatz 1, §§ 439, 444 Abs. 1 Satz 1) eingelegt, so sind die ihm erwachsenen notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen. Dasselbe gilt, wenn das von der Staatsanwaltschaft zugunsten des Beschuldigten oder eines Nebenbeteiligten eingelegte Rechtsmittel Erfolg hat.
(3) Hat der Beschuldigte oder ein anderer Beteiligter das Rechtsmittel auf bestimmte Beschwerdepunkte beschränkt und hat ein solches Rechtsmittel Erfolg, so sind die notwendigen Auslagen des Beteiligten der Staatskasse aufzuerlegen.
(4) Hat das Rechtsmittel teilweise Erfolg, so hat das Gericht die Gebühr zu ermäßigen und die entstandenen Auslagen teilweise oder auch ganz der Staatskasse aufzuerlegen, soweit es unbillig wäre, die Beteiligten damit zu belasten. Dies gilt entsprechend für die notwendigen Auslagen der Beteiligten.
(5) Ein Rechtsmittel gilt als erfolglos, soweit eine Anordnung nach § 69 Abs. 1 oder § 69b Abs. 1 des Strafgesetzbuches nur deshalb nicht aufrechterhalten wird, weil ihre Voraussetzungen wegen der Dauer einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 111a Abs. 1) oder einer Verwahrung, Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins (§ 69a Abs. 6 des Strafgesetzbuches) nicht mehr vorliegen.
(6) Die Absätze 1 bis 4 gelten entsprechend für die Kosten und die notwendigen Auslagen, die durch einen Antrag
- 1.
auf Wiederaufnahme des durch ein rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen Verfahrens oder - 2.
auf ein Nachverfahren (§ 433)
(7) Die Kosten der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.