Landgericht Rostock Urteil, 26. Apr. 2007 - 4 O 326/06
Gericht
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits und die durch die Nebenintervention verursachten Kosten.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten und des Nebenintervenienten wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des insgesamt aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte bzw. der Nebenintervenient vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils beizutreibenden Betrages leisten.
Tatbestand
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Der Kläger verlangt wegen eines mangelhaften Straßenzustandes Schadensersatz aus Amtshaftung.
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In Groß P. im Gemeindegebiet der amtsangehörigen beklagten Gemeinde befindet sich zwischen der D. -Straße und der Straße Am D. eine spitzwinklige Kurve. Zwischen den Fahrbahnschenkeln befindet sich ein ausgefahrenes und ausgewaschenes, unbefestigtes Bankett, das einen Höhenunterschied von 20 cm zur asphaltierten Fahrbahndecke aufweist. Wegen der Örtlichkeit wird auf die mit der Klage eingereichten Fotos verwiesen (Anl. K 1, Bl. 9/10 d.A.).
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Der Kläger behauptet, die Zeugin B. sei am 12.08.2005 gegen 23.00 Uhr mit seinem PKW Volvo V 40, Kennzeichen ..., von der D. -Straße kommend in diese spitzwinklige Kurve nach links abgebogen. Beim Schneiden der Kurve sei der PKW mit Schrittgeschwindigkeit über das unbefestigte Bankett gefahren und wegen des Höhenunterschiedes mit dem Frontbereich gegen die Fahrbahnkante gestoßen.
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Der Kläger ließ die entstandenen Fahrzeugschäden für 4.112,51 € reparieren (Anl. K 2). Nach Kostenerstattung durch seine Kaskoversicherung verlangt er nunmehr wegen einer Verletzung der Verkehrssicherungspflicht durch die Beklagte die Erstattung der Selbstbeteiligung von 300,- €, des Höherstufungsschadens von 232,56 € für den Zeitraum 1/06 - 9/06, der Mietwagenkosten von 99,84 € für die Reparaturzeit und einer Kostenpauschale von 25,- €.
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Der Kläger beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen,
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1. an den Kläger 657,40 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29.06.2006 sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 117,32 € zu zahlen,
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2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger den durch die Inanspruchnahme seiner Kaskoversicherung entstandenen Verlust des Schadensfreiheitsrabattes wegen des Unfallereignisses vom 12.08.2005 ab dem 01.10.2006 zu erstatten.
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Die Beklagte und der Nebenintervenient beantragen,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte sieht keine Verletzung ihrer Straßenverkehrssicherungspflicht, weil das vertiefte Bankett - auch aufgrund der intakten Straßenbeleuchtung - gut zu sehen gewesen sei und sich die Fahrerin deshalb bewusst eigengefährdet habe.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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Dem Kläger steht unabhängig von der Frage der Verletzung der Straßenverkehrssicherungspflicht kein Amtshaftungsanspruch aus § 839 BGB iVm. Art. 34 GG zu, weil die Beklagte nicht passivlegitimiert ist.
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Die Gemeinden in Mecklenburg-Vorpommern sind zwar grundsätzlich für die in ihrem Gebiet befindlichen Gemeindestraßen verkehrssicherungspflichtig (dazu 1.), passivlegitimiert ist bei amtsangehörigen Gemeinden entgegen der herrschenden Meinung (vgl. OLG Rostock, OLG-NL 1999, 111; Bergmann/Schumacher, Die Kommunalhaftung, 4. Aufl. [2007] Rn. 917) aber gleichwohl das Amt, da dessen Mitarbeitern die Erfüllung der Straßenverkehrssicherungspflicht als delegierte Aufgabe obliegt (dazu 2.).
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1. Die grundsätzliche Verkehrssicherungspflicht der Gemeinden für Gemeindestraßen ergibt sich aus §§ 10 und 14 des Straßen- und Wegegesetzes des Landes Mecklenburg-Vorpommern (StrWG-MV). Gem. § 14 StrWG-MV sind die Gemeinden für die Gemeindestraßen Träger der Straßenbaulast. Gem. § 11 Abs. 1 StrWG-MV umfasst die Straßenbaulast alle mit dem Bau und der Unterhaltung der Straßen zusammenhängenden Aufgaben. Zu den öffentlichen Straßen, die in einem dem regelmäßigen Verkehrsbedürfnis genügenden Zustand anzulegen und zu unterhalten sind, zählen gem. § 2 Abs. 2 Nr. 1 StrWG-MV auch die Bankette.
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2. Haftende Körperschaft ist indes gem. Art. 34 S. 1 GG das Amt (hier: Amt W.), da seinen Beamten bzw. Angestellten infolge gesetzlicher Aufgabendelegation die Erfüllung der Straßenverkehrssicherungspflicht obliegt.
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Gem. Art. 34 S. 1 GG trifft, wenn ein Amtsträger in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht verletzt, die Verantwortlichkeit grundsätzlich den Staat oder die Körperschaft, in deren Dienst er steht. Körperschaft in diesem Sinne kann nur eine solche des öffentlichen Rechts sein. Nach ständiger Rechtsprechung beantwortet sich die Frage nach dem Haftungssubjekt danach, welche Körperschaft dem Amtsträger das Amt, bei dessen Ausübung er fehlsam gehandelt hat, anvertraut hat, wer - mit anderen Worten - dem Amtsträger die Aufgaben, bei dessen Wahrnehmung die Amtspflichtverletzung vorgekommen ist, übertragen hat. Es haftet daher im Regelfall die Körperschaft, die diesen Amtsträger angestellt und ihm damit die Möglichkeit zur Amtsausübung eröffnet hat. Die Anknüpfung an die Anstellung versagt nur dann, wenn kein oder mehrere Dienstherren vorhanden sind (vgl. BGHZ 99, 326; Staudinger-Wurm, BGB, 13. Bearb. [2002], § 839 Rn. 55 mwN).
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Die Ämter sind gem. § 125 Abs. 1 der Kommunalverfassung für das Land Mecklenburg-Vorpommern (KV M-V) Körperschaften des öffentlichen Rechts. Gem. § 126 Abs. 1 KV M-V richtet das Amt zur Erfüllung seiner Aufgaben eine eigene Verwaltung ein und beschäftigt die erforderlichen Dienstkräfte.
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Die Erfüllung der Straßenverkehrssicherungspflicht ist durch § 127 Abs. 1 Satz 2 KV M-V auf das Amt übertragen. Nach dieser Vorschrift entscheidet in Angelegenheiten der laufenden Verwaltung der Gemeinde das Amt. Die Erfüllung der Straßenverkehrssicherungspflicht für Gemeindestraßen ist eine solche laufende Verwaltungsangelegenheit und fällt nicht unter die Bürgermeisterkompetenz für Angelegenheiten von geringer wirtschaftlicher Bedeutung gem. § 127 Abs. 1 Satz 3 KV M-V. Diese Entscheidungs- und Handlungskompetenz des Amtes in gemeindlichen Angelegenheiten stellt eine gesetzliche Aufgabendelegation dar (vgl. OVG Lüneburg, Urt. v. 24.4.70, OVGE 26, 499 [452]). Sie führt dazu, dass die Bürgermeister in gesetzlich geregelten Bereichen nicht mehr zuständig sind. Entsprechend geht auch die Verantwortlichkeit auf das Amt über (vgl. Darsow/Gentner/Glaser/Meyer, Schweriner Kommentierung der KV M-V, 3. Aufl. [2005], § 127 Rn. 5).
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Die Erörterung in der mündlichen Verhandlung am 26.04.2007 hat bestätigt, dass die beschriebene gesetzliche Aufgabendelegation auch in der beklagten Gemeinde praktiziert wird: Die beklagte Gemeinde hat außer dem ehrenamtlichen Bürgermeister und dem ehrenamtlichen Gemeinderat keine Beamten oder Angestellten. Die Erfüllung der Verkehrssicherungspflicht erfolgt durch das beigetretene Amt W., das die entsprechenden Angestellten beschäftigt, die zwei- bis dreimal jährlich die Gemeindestraßen kontrollieren. Reparaturen bis 2.500,- € werden selbständig durch das Amt aus dem Verwaltungshaushalt bezahlt. Lediglich die Mittelfreigabe über 2.500,- € erfolgt durch Beschluss der Gemeindevertretung, der vom Amt vorbereitet wird.
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Die Rechtsauffassung der Kammer wird durch umfangreiche Rspr. zur Passivlegitimation bei gesetzlich übertragenen Verwaltungsaufgaben gestützt: Für Amtspflichtverletzungen von Amtsträgern einer Gemeinde bei der Erfüllung von übertragenen staatlichen Auftragsangelegenheiten (Pflichtaufgaben nach Weisung) haftet die Gemeinde in gleicher Weise wie bei der Erfüllung von Selbstverwaltungsangelegenheiten (vgl. BGH MDR 1981, 566; Staudinger-Wurm, aaO. Rn. 57 mwN). Für Amtspflichtverletzungen eines kreiskommunalen Bediensteten haftet stets der Kreis, gleichgültig ob kreiskommunale Aufgaben oder staatliche Aufgaben der Landesverwaltung erfüllt werden; andererseits haftet das Land stets bei Amtspflichtverletzungen von staatlichen Bediensteten, gleich ob diese kreiskommunale oder staatliche Aufgaben erledigen (BGHZ 99, 326; Staudinger-Wurm, aaO. Rn. 58 mwN). Schließlich haftet eine Verbandsgemeinde und nicht die Ortsgemeinde, die Trägerin der Straßenbaulast ist, wenn die Straßenverkehrssicherungspflicht anstelle der Ortsgemeinde durch die Verbandsgemeinde zu erfüllen ist (OLG Koblenz, NVwZ-RR 2005, 276).
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Die in § 127 Abs. 1 Satz 6 KV M-V geregelte Vertretungsbefugnis des Amtes in gerichtlichen Verfahren, an denen die Gemeinde beteiligt ist, und die umstrittene Frage, ob sich hieraus eine Prozessführungsbefugnis des Amtes für die Gemeinde herleiten lässt (vgl. OLG Rostock, aaO.; OVG Greifswald, LKV 1995, 252; VG Schwerin, LKV 1999, 516; auch OLG Brandenburg, LKV 1998, 327; OLG Schleswig, NVwZ-RR 1992, 167 und OLGR Schleswig 1996, 333), haben mit der nach Art. 34 S. 1 GG zu bestimmenden Passivlegitimation nichts zu tun.
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Nach allem sind in Mecklenburg-Vorpommern nur amtsfreie Gemeinden straßenverkehrssicherungspflichtig und damit bei diesbezüglichen Amtspflichtverletzungen passivlegitimiert, während amtsangehörige Gemeinden wegen der Fremdverwaltung durch das Amt ihrer Verkehrssicherungspflicht entledigt und damit bei Amtspflichtverletzungen der Mitarbeiter des Amtes auch nicht passivlegitimiert sind.
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4. Streitwert: 2.000,- €
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(1) Verletzt ein Beamter vorsätzlich oder fahrlässig die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so hat er dem Dritten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Fällt dem Beamten nur Fahrlässigkeit zur Last, so kann er nur dann in Anspruch genommen werden, wenn der Verletzte nicht auf andere Weise Ersatz zu erlangen vermag.
(2) Verletzt ein Beamter bei dem Urteil in einer Rechtssache seine Amtspflicht, so ist er für den daraus entstehenden Schaden nur dann verantwortlich, wenn die Pflichtverletzung in einer Straftat besteht. Auf eine pflichtwidrige Verweigerung oder Verzögerung der Ausübung des Amts findet diese Vorschrift keine Anwendung.
(3) Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Verletzte vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden.
Verletzt jemand in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so trifft die Verantwortlichkeit grundsätzlich den Staat oder die Körperschaft, in deren Dienst er steht. Bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit bleibt der Rückgriff vorbehalten. Für den Anspruch auf Schadensersatz und für den Rückgriff darf der ordentliche Rechtsweg nicht ausgeschlossen werden.