Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz Beschluss, 06. Juli 2010 - 1 Ta 135/10
Gericht
Tenor
1. Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers wird der Gegenstandswertfestsetzungsbeschluss des Arbeitsgerichts Koblenz vom 15.06.2010 - 3 Ca 762/10 - wie folgt abgeändert:
Der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit des Beschwerdeführers wird auf 7.233,- Euro festgesetzt.
Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Beschwerdeführer zu 89 Prozent zu tragen.
3. Ein Rechtsmittel ist gegen diese Entscheidung nicht gegeben.
Gründe
I.
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In dem vorliegenden Verfahren begehrt der Prozessbevollmächtigte der Klägerin die Festsetzung eines höheren Wertes des Gegenstands seiner anwaltlichen Tätigkeit.
- 2
Die Klägerin ist bei der Beklagten seit 1990 als Pflegekraft mit einem monatlichen Bruttoverdienst von 3.100,- Euro beschäftigt. Sie pflegt in dem ihr zugewiesenen Bezirk Patienten, die sie im Laufe eines Dienstes nacheinander zu Hause aufsucht. Die Vormittagstour beginnt um 7 Uhr, die Nachmittagstour um 17 Uhr. Mit Datum vom 07.12.2009 sprach die Beklagte gegenüber der Klägerin insgesamt 63 Abmahnungen sowie eine Ermahnung aus. 43 Abmahnungen bezogen sich auf einen verspäteten Dienstantritt der Klägerin zur Vormittagstour und 13 Abmahnungen auf einen verspäteten Dienstantritt der Klägerin zur Nachmittagstour. Die Beklagte machte der Klägerin in zwei weiteren Abmahnungen zum Vorwurf, sie habe die vereinbarte Reihenfolge bei der Betreuung der Patienten nicht eingehalten. Darüber hinaus erhielt die Klägerin eine Abmahnung, weil sie die kurzfristige Änderung einer Tour nicht ordnungsgemäß an die Pflegedienstleitung gemeldet habe. Weiter erhielt die Klägerin eine Abmahnung wegen nicht ordnungsgemäßer Dokumentation der Wundversorgung bei einem Patienten. Weitere 3 Abmahnungen waren darauf gestützt, die Klägerin habe vergessen, einen Schlüssel für die nächste Dienstschicht bereit zu legen. Die Ermahnung hatte den Vorwurf des Antritts eines nicht genehmigten Urlaubs durch die Klägerin zum Gegenstand. Die Abmahnschreiben waren bezüglich der einzelnen Komplexe wörtlich identisch. Lediglich der Tag und die Zeiten der gerügten Verstöße waren unterschiedlich.
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Die Klägerin erhob daraufhin vor dem Arbeitsgericht Koblenz Klage auf Entfernung der 63 Abmahnungen sowie der Ermahnung aus ihrer Personalakte.
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Die Parteien haben den Rechtsstreit durch Abschluss eines Vergleiches beendet. In diesem haben sie u. a. vereinbart, die Abmahnungen in Ermahnungen umzuwandeln und sämtliche Abmahnungen vom 07.12.2009, denen als Fehlverhalten ein nicht pünktlicher Arbeitsbeginn zugrunde lag, zusammenzufassen und als eine Ermahnung anzusehen.
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Auf Antrag und nach Anhörung hat das Arbeitsgericht den Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit mit Beschluss vom 15.06.2010 auf 4.030,- Euro festgesetzt, was gerundet 1, 3 Bruttomonatsgehältern der Klägerin entspricht.
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Gegen diesen dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 22.06.2010 zugestellten Beschluss hat dieser mit einem am 21.06.2010 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz Beschwerde eingelegt und die Festsetzung eines Gegenstandswertes in Höhe von 69.233,- Euro begehrt. Zur Begründung hat der Beschwerdeführer ausgeführt, es seien für die erste Abmahnung ein volles Bruttomonatsgehalt der Klägerin in Höhe von 3.100,- Euro festzusetzen und für jede weitere der insgesamt 63 Abmahnungen sowie der Ermahnung je 1/3 eines Bruttomonatsgehaltes.
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Das Arbeitsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen, und hat sie dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt. Die Nichtabhilfe hat das Arbeitsgericht damit begründet, die 63 Abmahnungen seien am selben Tag ausgesprochen worden und hätten im wesentlichen ähnliche Sachverhalte betroffen, weshalb die Festsetzung von 1, 3 Bruttomonatsgehältern gerechtfertigt sei.
II.
- 8
Die Beschwerde des Beschwerdeführers ist zulässig, sie wurde insbesondere form – und fristgerecht eingelegt und übersteigt den Wert des Beschwerdegegenstandes von 200,00 Euro.
- 9
In der Sache hat die Beschwerde nur teilweise Erfolg. Der Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit war vorliegend mit 7.230,- Euro entsprechend 2, 3 Bruttomonatsgehältern der Klägerin zu bewerten.
- 10
Nach der Rechtsprechung des erkennenden Gerichts ist der Antrag auf Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte unter Beachtung von § 3 ZPO in der Regel mit einem Bruttomonatsverdienst zu bewerten. Folgen mehrere Abmahnungen relativ kurzfristig aufeinander, ist die erste Abmahnung regelmäßig mit einem Bruttomonatsverdienst und jede weitere Abmahnung mit 1/3 Bruttomonatsverdienst zu bewerten (vgl. LAG Rheinland-Pfalz, Beschl. v 20.04.2007 - 1 Ta 67/07). Nach dieser Rechtsprechung, an der festgehalten wird, ist von dieser Regel eine Ausnahme zu machen, wenn zwischen den Abmahnungen ein enger zeitlicher, wirtschaftlicher und tatsächlicher Zusammenhang besteht, was insbesondere dann der Fall ist, wenn sie auf einen einheitlichen Lebenssachverhalt gestützt werden (vgl. LAG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 20.04.2007 - 1 Ta 67/07).
- 11
Im vorliegenden Fall greift die genannte Ausnahme. Die Beklagte hat alle 63 Abmahnungen an einem Tag ausgesprochen, so dass ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen den Abmahnungen vorliegt. Es liegt auch ein wirtschaftlicher und tatsächlicher Zusammenhang zwischen den einzelnen Abmahnungen vor, da der Großteil der 63 Abmahnungen jeweils auf einem einheitlichen Lebenssachverhalt basiert. Insgesamt 56 Abmahnungen erhielt die Klägerin mit weitestgehend gleichlautenden Schreiben wegen verspäteten Dienstantritts an verschiedenen Tagen. Nur bezüglich des Tages und der Dauer der jeweiligen Verspätung unterschieden sich diese Schreiben. Ebenso erhielt die Klägerin insgesamt 2 Abmahnungen wegen einer nicht eingehaltenen Reihenfolge bei der Betreuung der Patienten und 3 Abmahnungen wegen eines nicht bereit gelegten Schlüssels. Die beiden weiteren Abmahnungen betreffen jeweils unterschiedliches Fehlverhalten. Soweit jedoch mehrere Abmahnungen dasselbe Fehlverhalten der Klägerin zum Gegenstand haben, liegt ein einheitlicher Lebenssachverhalt vor, der auch in einer einzigen Abmahnung hätte zusammengefasst werden können. Dass dies nicht geschah, kann im Rahmen der Wertfestsetzung nicht dazu führen, dass jede einzelne Abmahnung als eigenständig zu betrachten und zu bewerten ist. Der Wert einer Klage bemisst sich nach dem wirtschaftlichen Interesse des Klägers an seiner Klage. Liegt zwischen mehreren begehrten Klagezielen wirtschaftliche Teilidentität vor, sind die Klageziele wertmäßig als ein Ziel zu betrachten und zu bewerten. Im vorliegenden Fall lag, wie es auch die Vergleichsregelung der Parteien zeigt, sämtliche Abmahnungen wegen nicht pünktlichen Arbeitsbeginns als nur eine Ermahnung zu betrachten, jeweils ein Abmahnungskomplex hinsichtlich desselben Fehlverhaltens vor, auf dessen Beseitigung sich das wirtschaftliche Interesse der Klägerin richtete. Folglich war die erste Abmahnung mit einem Bruttomonatsgehalt und die weiteren Abmahnungen, die jeweils einen einheitlichen unterschiedlichen Lebenssachverhalt betreffen, pro Abmahnungskomplex mit 1/3 eines Bruttomonatsverdienstes zu bewerten. Der Klägerin wurden insgesamt 5 verschiedene Verhaltensweisen als Fehlverhalten vorgeworfen, so dass neben der Festsetzung eines Wertes in Höhe von einem Bruttomonatsgehalt in Höhe von 3.100,- Euro für die weiteren 4 Komplexe je 1/3 von 3.100, - Euro und damit insgesamt 7.233,- Euro festzusetzen waren.
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Die Kosten des Beschwerdeverfahrens waren dem Beschwerdeführer im Umfang seines Unterliegens gem. § 97 Abs. 1 ZPO aufzuerlegen.
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Ein Rechtsmittel gegen diesen Beschluss ist nach § 33 Abs. 4 RVG nicht gegeben.
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Annotations
Der Wert wird von dem Gericht nach freiem Ermessen festgesetzt; es kann eine beantragte Beweisaufnahme sowie von Amts wegen die Einnahme des Augenscheins und die Begutachtung durch Sachverständige anordnen.
(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.
(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.
(3) (weggefallen)
(1) Berechnen sich die Gebühren in einem gerichtlichen Verfahren nicht nach dem für die Gerichtsgebühren maßgebenden Wert oder fehlt es an einem solchen Wert, setzt das Gericht des Rechtszugs den Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit auf Antrag durch Beschluss selbstständig fest.
(2) Der Antrag ist erst zulässig, wenn die Vergütung fällig ist. Antragsberechtigt sind der Rechtsanwalt, der Auftraggeber, ein erstattungspflichtiger Gegner und in den Fällen des § 45 die Staatskasse.
(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 1 können die Antragsberechtigten Beschwerde einlegen, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200 Euro übersteigt. Die Beschwerde ist auch zulässig, wenn sie das Gericht, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat, wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage in dem Beschluss zulässt. Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn sie innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung der Entscheidung eingelegt wird.
(4) Soweit das Gericht die Beschwerde für zulässig und begründet hält, hat es ihr abzuhelfen; im Übrigen ist die Beschwerde unverzüglich dem Beschwerdegericht vorzulegen. Beschwerdegericht ist das nächsthöhere Gericht, in Zivilsachen der in § 119 Absatz 1 Nummer 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes bezeichneten Art jedoch das Oberlandesgericht. Eine Beschwerde an einen obersten Gerichtshof des Bundes findet nicht statt. Das Beschwerdegericht ist an die Zulassung der Beschwerde gebunden; die Nichtzulassung ist unanfechtbar.
(5) War der Beschwerdeführer ohne sein Verschulden verhindert, die Frist einzuhalten, ist ihm auf Antrag von dem Gericht, das über die Beschwerde zu entscheiden hat, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er die Beschwerde binnen zwei Wochen nach der Beseitigung des Hindernisses einlegt und die Tatsachen, welche die Wiedereinsetzung begründen, glaubhaft macht. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist. Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist an gerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden. Gegen die Ablehnung der Wiedereinsetzung findet die Beschwerde statt. Sie ist nur zulässig, wenn sie innerhalb von zwei Wochen eingelegt wird. Die Frist beginnt mit der Zustellung der Entscheidung. Absatz 4 Satz 1 bis 3 gilt entsprechend.
(6) Die weitere Beschwerde ist nur zulässig, wenn das Landgericht als Beschwerdegericht entschieden und sie wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage in dem Beschluss zugelassen hat. Sie kann nur darauf gestützt werden, dass die Entscheidung auf einer Verletzung des Rechts beruht; die §§ 546 und 547 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend. Über die weitere Beschwerde entscheidet das Oberlandesgericht. Absatz 3 Satz 3, Absatz 4 Satz 1 und 4 und Absatz 5 gelten entsprechend.
(7) Anträge und Erklärungen können ohne Mitwirkung eines Bevollmächtigten schriftlich eingereicht oder zu Protokoll der Geschäftsstelle abgegeben werden; § 129a der Zivilprozessordnung gilt entsprechend. Für die Bevollmächtigung gelten die Regelungen der für das zugrunde liegende Verfahren geltenden Verfahrensordnung entsprechend. Die Beschwerde ist bei dem Gericht einzulegen, dessen Entscheidung angefochten wird.
(8) Das Gericht entscheidet über den Antrag durch eines seiner Mitglieder als Einzelrichter; dies gilt auch für die Beschwerde, wenn die angefochtene Entscheidung von einem Einzelrichter oder einem Rechtspfleger erlassen wurde. Der Einzelrichter überträgt das Verfahren der Kammer oder dem Senat, wenn die Sache besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist oder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Das Gericht entscheidet jedoch immer ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter. Auf eine erfolgte oder unterlassene Übertragung kann ein Rechtsmittel nicht gestützt werden.
(9) Das Verfahren über den Antrag ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet; dies gilt auch im Verfahren über die Beschwerde.