Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern Urteil, 18. Okt. 2016 - 2 Sa 104/16
Gericht
Tenor
1. Die Berufung wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
2. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
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Im Rahmen einer Zahlungs- und Feststellungsklage streiten die Parteien um die richtige Entgeltstufe zur Entgeltgruppe im Sinne von § 16 TVöD (Bund).
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Die Beklagte ist eine bundesunmittelbare unter Aufsicht des Bundesministeriums der Finanzen mit Sitz in C-Stadt. Sie verwaltet deutschlandweit Immobilien des Bundes und betätigt sich auch als Verkäufer der verwalteten Immobilien. Die Beklagte unterhält in B-Stadt eine Organisationseinheit, über die die in der Region anfallenden Aufgaben der Beklagten abgewickelt werden.
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Die Klägerin ist zum 1. Juli 2007 dort eingestellt worden und sie arbeitet seitdem durchgehend als Sachbearbeiterin (Buchhalterin) in der Buchhaltung der regionalen Arbeitseinheit Finanzen in B-Stadt.
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Nach dem Arbeitsvertrag der Parteien, der nicht zur Akte gereicht wurde, wird der TVöD (Bund) in Bezug genommen. Die Klägerin ist eingruppiert in die Entgeltgruppe E 11 des TVöD. Diese Eingruppierung steht nicht in Streit. Bei ihrer Einstellung zum 1. Juli 2007 wurde die Klägerin wie in § 16 Absatz 2 Satz 1 TVöD (Bund) vorgesehen innerhalb der Entgeltgruppe 11 der Stufe 1 der Entgelttabelle zugeordnet.
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Der Stufenaufstieg nach § 16 Absatz 4 TVöD (Bund) hat sich bis heute wie folgt weiterentwickelt. Nach einem Beschäftigungsjahr ist die Klägerin seit dem 1. Juli 2008 der Stufe 2 zugeordnet. Nach zwei weiteren Jahren ist sie seit dem 1. Juli 2010 der Stufe 3 zugeordnet. Nach drei weiteren Jahren ist sie seit dem 1. Juli 2013 der Stufe 4 zugeordnet. Legt man diese Stufenentwicklung als zutreffend zu Grunde, würde die Klägerin dann ab dem 1. Juli 2017 Entgelt nach der Stufe 5 beziehen.
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Bis zur Einstellung bei der Beklagten war die Klägerin mindestens 10 Jahre ununterbrochen als Buchhalterin in der Privatwirtschaft bei zwei Arbeitgebern aus der Region tätig. Wegen der Details der Tätigkeiten der Klägerin bei den Vorarbeitgebern wird auf ihren Schriftsatz vom 21. Dezember 2015 (dort Seite 2ff, hier Blatt 44 ff.) Bezug genommen. Der klägerischen Behauptung, diese Arbeit in der Privatwirtschaft sei mit ihrer jetzigen Tätigkeit von den Anforderungen her vergleichbar, ist die Beklagte nicht entgegengetreten.
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Die Klägerin geht davon aus, dass sie durch die Nichtberücksichtigung ihrer Berufsjahre als Buchhalterin in der Privatwirtschaft bei der Stufenzuordnung nach dem TVöD europarechtswidrig diskriminiert werde. Sie hat daher bereits mit Schreiben vom 27. Oktober 2011 außergerichtlich von der Beklagten eine Korrektur der Stufenzuordnung gefordert (Anlage 1, hier Blatt 15, es wird Bezug genommen). Das hat die Beklagte abgelehnt.
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Mit ihrer Klage, die beim Arbeitsgericht am 2. September 2015 eingegangen ist, verlangt die Klägerin zum einen die Zahlung der Entgeltdifferenzen, die sich aus der von ihr für zutreffend erachteten Zuordnung zur Stufe 5 bereits bei der Einstellung 2007 für die 43 Monate von Januar 2012 bis einschließlich Juli 2015 ergeben. Diese Forderung beziffert die Klägerin auf 27.723,59 Euro brutto (wegen der Einzelheiten des Rechenwerks wird auf die Klageschrift Bezug genommen). Zum anderen begehrt die Klägerin die gerichtliche Feststellung, dass sie Anspruch auf Bezahlung aus der Entgeltgruppe 11, Stufe 5 des TVöD (Bund) habe.
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Das Arbeitsgericht Rostock hat die Klage mit Urteil vom 22. April 2016 abgewiesen (4 Ca 1448/15) und den Streitwert auf 27.723,58 Euro festgesetzt. Auf dieses Urteil wird wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes in erster Instanz Bezug genommen.
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Das Arbeitsgericht hat unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zu der funktionsgleichen Regelung in § 16 TV-L (BAG 23. September 2010 – 6 AZR 180/09 – AP Nr. 2 zu § 16 TV-L = NZA-RR 2011, 104) gemeint, die Tarifvertragsparteien seien nicht unmittelbar an die Grundrechte gebunden und ein Fall der von den Gerichten zwingend zu beachtenden Diskriminierung liege nicht vor. Die nach Artikel 45 AEUV geschützte Freizügigkeit erfordere vorliegend keine andere Bewertung, da dem Streit der Parteien der notwendige Auslandsbezug fehle. Im Übrigen sei die Regelung sachlich begründet, denn es sei legitim, Arbeitnehmer des Bundes durch den Vorteil der Wahrung des Besitzstandes bezüglich der Stufenzuordnung gegen die Widrigkeiten einer Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses zu schützen. Die gefundene Regelung sei angesichts der in der Protokollnotiz zu § 16 Absatz 2 TVöD (Bund) vorgenommene Beschränkung auf Unterbrechungszeiten von längstens 6 Monaten auch nicht unangemessen stark ausgestaltet worden.
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Mit der rechtzeitig eingereichten und fristgemäß begründeten Berufung verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren unverändert fort.
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Die Klägerin greift das Urteil des Arbeitsgerichts im Wesentlichen mit Rechtsargumenten an. § 16 Absatz 2 TVöD (Bund) schotte die Belegschaft des Bundes gegenüber Quereinsteigern durch Nachteile bei der Vergütung ab. Das behindere im europäischen Kontext die Freizügigkeit aus Artikel 45 AEUV und sei damit unwirksam. Darauf könne sich auch die Klägerin berufen, da Artikel 7 Absatz 4 der VO (EU) 492/2011 als Rechtsfolge ausdrücklich die Nichtigkeit von Normen festlege, die den Grundsätzen der Freizügigkeit widersprechen. Insoweit sei der vorliegende Sachverhalt genauso zu bewerten wie der Sachverhalt, der der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 5. Dezember 2013 (Zentralbetriebsrat der gemeinnützigen Salzburger Landeskliniken Betriebs GmbH – C 514/12 – ABl. EU 2014, Nr. C 45, 15 = NZA 2014, 204 = ZESAR 2014, 192) zu Grunde gelegen habe.
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Im Übrigen hält die Klägerin auch die Rüge aufrecht, ihre Zuordnung zur Stufe 1 bei der Einstellung 2007 benachteilige sie auch im Verhältnis zu den Beschäftigten, die von der Beklagten abweichend von § 16 Absatz 2 Satz 1 TVöD (Bund) bei Einstellung einer höheren Stufe zugeordnet wurden, obwohl die Voraussetzungen von § 16 Absatz 2 Satz 2 TVöD (Bund) nicht erfüllt gewesen seien. Sie wisse genau, dass es solche Fälle gegeben habe, könne sich dazu aber nicht konkreter einlassen, da die dadurch begünstigten Kolleginnen und Kollegen sie gebeten hätten, den Namen nicht zu nennen und sie im Übrigen aufgrund der deutschlandweiten Tätigkeit der Beklagten gar nicht in der Lage sei, alle mit ihr vergleichbaren Beschäftigten, die besser behandelt worden seien, zu benennen.
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Die Klägerin beantragt unter Abänderung der angegriffenen Entscheidung
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1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 27.723,58 Euro brutto zu zahlen;
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2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin Entgelt nach der Entgeltgruppe 11, Stufe 5 des TVöD-Bund zu bezahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Die Beklagte verteidigt das angegriffene Urteil mit Rechtsargumenten. Eine Anspruchsgrundlage für den klägerischen Anspruch sei nicht ersichtlich. Nach § 16 Absatz 2 TVöD (Bund) sei eine bessere Stufenzuordnung der Klägerin bei der Einstellung im Jahre 2007 gerade nicht möglich gewesen. Die tarifliche Regelung sei auch wirksam. Auf Artikel 45 AEUV sowie Artikel 7 der VO (EU) 492/2011 vom 5. April 2011 komme es nicht an, da dem Sachverhalt der notwendige Auslandsbezug fehle. Selbst wenn man hilfsweise im Sinne der Klägerin von einem Verstoß gegen europäische Normen ausgehen wolle, könnte sich die Klägerin nicht darauf berufen, da nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts den europäischen Normen lediglich ein Anwendungsvorrang zukomme. Außerhalb des Anwendungsbereichs der europäischen Normen – hier gegeben – verbleibe es bei der Verbindlichkeit der nationalen Normen.
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Im Übrigen sei der vom Gerichtshof am 5. Dezember 2013 (aaO) entschiedene Fall nicht auf den vorliegenden Fall übertragbar, denn die dortige gesetzliche Regelung habe abweichend von § 16 TVöD (Bund) die Berücksichtigung von Dienstzeiten bei anderen Arbeitgebern ausdrücklich vorgesehen, habe jedoch den Kreis der dafür in Betracht kommenden Arbeitgeber nach Auffassung des Gerichtshofs ohne ausreichenden sachlichen Anlass so eng gezogen, dass damit die Wanderarbeitnehmer aus anderen Mitgliedsstaaten benachteiligt würden. Das sei im vorliegenden Fall anders, da § 16 TVöD (Bund) bewusst ausschließlich Vorbeschäftigungszeiten beim Bund selbst für die Stufenzuordnung anerkenne.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Vortrages der Parteien wird auf die im Berufungsrechtszug gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die klägerische Berufung ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat die Klage mit zutreffenden Erwägungen, denen sich das Berufungsgericht anschließt, abgewiesen. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird daher zunächst auf die Ausführungen des Arbeitsgerichts Bezug genommen. Das Berufungsvorbringen rechtfertigt eine andere Entscheidung nicht.
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Für das klägerische Begehren ist eine Anspruchsgrundlage nicht ersichtlich. Das trifft gleichermaßen auf den Zahlungsantrag wie auf den Feststellungsantrag zu, so dass beide Anträge hier gemeinsam betrachtet werden können.
I.
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Der Anspruch lässt sich nicht auf den Arbeitsvertrag der Parteien in Verbindung mit § 16 TVöD (Bund) stützen. Die Tarifnorm lautet:
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§ 16 Stufen der Entgelttabelle
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(1) Die Entgeltgruppen 9 bis 15 umfassen fünf Stufen und die Entgeltgruppen 2 bis 8 sechs Stufen. Die Abweichungen von Satz 1 sind im Anhang zu § 16 (Bund) geregelt.
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(2) 1Bei Einstellung in eine der Entgeltgruppen 9 bis 15 werden die Beschäftigten zwingend der Stufe 1 zugeordnet. 2Etwas anderes gilt nur, wenn eine mindestens einjährige einschlägige Berufserfahrung aus einem vorherigen befristeten oder unbefristeten Arbeitsverhältnis zum Bund vorliegt; in diesem Fall erfolgt die Zuordnung unter Anrechnung der Zeiten der einschlägigen Berufserfahrung aus den vorherigen Arbeitsverhältnis zum Bund.
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Protokollerklärung zu Absatz 2 Satz 2:
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Ein vorheriges Arbeitsverhältnis besteht, wenn zwischen Ende des vorherigen und Beginn des neuen Arbeitsverhältnisses mit dem Bund ein Zeitraum von längstens 6 Monaten liegt …
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(3) Bei Einstellung in eine der Entgeltgruppen 2 bis 8 werden die Beschäftigten der Stufe 1 zugeordnet, sofern keine einschlägige Berufserfahrung vorliegt. …
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Unter Anwendung des Tarifvertrages kann die Klägerin keine bessere Stufenzuordnung verlangen, denn die Anrechnungsvoraussetzungen aus § 16 Absatz 2 Satz 2 TVöD (Bund) sind – schon ohne Berücksichtigung der Protokollerklärung dazu – nicht erfüllt. Voraussetzung einer besseren Stufenzuordnung bei der Einstellung sind einschlägige Berufserfahrungen aus einem vorangegangenen Arbeitsverhältnis zum Bund. Damit kann die Klägerin nicht aufwarten.
II.
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§ 16 TVöD (Bund) ist wirksam gesetztes Tarifrecht, insbesondere verstößt die Norm nicht gegen Artikel 45 AEUV oder gegen Artikel 7 der VO (EU) 492/2011 vom 5. April 2011.
1.
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Nach Artikel 7 der VO (EU) 492/2011 vom 5. April 2011 darf ein Arbeitnehmer eines anderen Mitgliedstaats nicht anders behandelt werden als ein Arbeitnehmer des Mitgliedstaats, für den die fragliche Norm geschaffen wurde. Dem entgegenstehende innerstaatliche Normen sind "von Rechts wegen nichtig, soweit sie für Arbeitnehmer, die Staatsangehörige anderer Mitgliedsstaaten sind, diskriminierende Bedingungen vorsehen oder zulassen" (ebenda Absatz 4).
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Zutreffend hat das Arbeitsgericht darauf abgestellt, dass bereits der Anwendungsbereich der Norm nicht eröffnet ist, da es am notwendigen Auslandsbezug fehlt. Die Klägerin greift als deutsche Staatsangehörige, die in Deutschland ein Arbeitsverhältnis eingegangen ist, eine Norm des deutschen Tarifrechts für den öffentlichen Dienst an. Damit fehlt es schon an der Erfüllung des Merkmals "Staatsangehörige anderer Mitgliedsstaaten". Die weitergehende Rechtsauffassung der Klägerin, die in Artikel 7 der VO (EU) 492/2011 angeordnete Rechtsfolge der Nichtigkeit führe dazu, dass auch sie sich auf die Nichtigkeit der Norm berufen könne, wird vom Berufungsgericht nicht geteilt. Zum einen heißt es bereits in der Verordnung selbst einschränkend, die Nichtigkeit gelte nur, soweit Arbeitnehmer anderer Mitgliedsstaaten davon betroffen seien. In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG 6. Juli 2010 – 2 BvR 2661/06 – BVerfGE 126, 286 = NJW 2010, 3422) geht das Berufungsgericht daher davon aus, dass es auch für den vorliegenden Fall bei dem bloßen Anwendungsvorrang des europäischen Rechts bleibt und die möglicherweise europarechtswidrige Norm für rein innerstaatliche Rechtskonflikte anwendbar bleibt.
2.
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Im Übrigen kann ein Verstoß gegen das Grundrecht der Freizügigkeit aus Artikel 45 AEUV oder gegen Artikel 7 der VO (EU) 492/2011 vorliegend nicht festgestellt werden.
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Stellt man allein auf die Stufenzuordnung für neu eingestellte Arbeitnehmer aus § 16 Absatz 2 Satz 1 TVöD (Bund) ab, ist eine unterschiedliche Behandlung von deutschen Staatsangehörigen und den Staatsangehörigen anderer Mitgliedsstaaten nicht erkennbar. Denn danach werden alle neu eingestellten Arbeitnehmer der Entgeltgruppe der Klägerin gleichermaßen der Stufe 1 der Entgelttabelle zugeordnet.
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Eine die Freizügigkeit hemmende Regelung könnte man also allenfalls in dem gesamten System der nach Jahren der Betriebszugehörigkeit in Stufen aufsteigenden Entgelte aus § 16 TVöD erblicken, weil es dadurch für Arbeitnehmer mit Berufserfahrungen außerhalb eines Arbeitsverhältnisses zum Bund mit zunehmender Berufserfahrung immer unattraktiver wird, ein Arbeitsverhältnis zum Bund einzugehen. Dieser tarifpolitisch sicherlich nicht über jeden Zweifel erhabene Regelungsansatz in § 16 TVöD betrifft aber gleichermaßen deutsche Arbeitnehmer wie Arbeitnehmer anderer Mitgliedsstaaten, die nach Jahren der Berufserfahrung bei anderen Arbeitgebern überlegen, ob sie in ein Arbeitsverhältnis zum Bund wechseln sollen. Höhere Entgelte für Arbeitnehmer mit längerer Betriebszugehörigkeit sind ein branchenübergreifendes und vermutlich auch in anderen Mitgliedsstaaten angewendetes beliebtes Mittel, um die Arbeitnehmer an den Arbeitgeber zu binden und um ihren gesteigerten Wert für den Arbeitgeber zum Ausdruck zu bringen. Es stellt ein legitimes Ziel der Entgeltpolitik und einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses dar, mit der Gewährung von Vorteilen die Bindung an einen bestimmten Arbeitgeber zu erreichen (vgl. EuGH 5. Dezember 2013 – Zentralbetriebsrat – aaO; vgl. auch EuGH 30. September 2003 – C-224/01 – Köbler – ABl. EU 2003, Nr. C 275, 13 = NJW 2003, 3539).
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Eine rechtliche Pflicht, dieses Regelungssystem für Quereinsteiger mit Berufserfahrung – gleich aus welchem Mitgliedsstaat – durchlässiger zu machen, kann das Berufungsgericht nicht erkennen. Es obliegt dem Beurteilungsspielraum der Tarifvertragsparteien, ob den Bedürfnissen des betroffenen Verkehrskreises besser durch ein Entgeltsystem gedient ist, das innerhalb einer Entgeltgruppe allein nach Betriebszugehörigkeitszeiten differenziert, oder durch ein Entgeltsystem mit einen anderen Differenzierungsmaßstab, der allgemein auf bereits erworbene Berufserfahrung abstellt oder durch ein Entgeltsystem, das auf eine Mischung aus beiden Ansätzen beruht oder gar gänzlich andere Differenzierungskriterien als maßgebend erachtet.
- 39
Etwas anderes ergibt sich auch nicht, wenn man zusätzlich auf § 16 Absatz 2 Satz 2 TVöD (Bund) und die dazu gehörende Protokollnotiz abstellt. Danach wird ein Arbeitnehmer bei der Einstellung ausnahmsweise dann einer höheren Stufe der Entgelttabelle zugeordnet, wenn er bereits früher schon als Arbeitnehmer beim Bund beschäftigt war, seinerzeit bereits eine einschlägige Berufserfahrung von mindestens einem Jahr erworben hat und wenn – siehe Protokollnotiz – zwischen dem Ende des vorangegangenen Arbeitsverhältnisses und dem Beginn des neuen Arbeitsverhältnisses eine Unterbrechungszeit von längstens 6 Monaten liegt. Auch diese Norm richtet sich gleichermaßen an alle denkbaren Arbeitnehmer, mögen sie die deutsche Staatsangehörigkeit haben oder einem anderen Mitgliedsstaat angehören. Eine Diskriminierung von Arbeitnehmern anderer Mitgliedsstaaten ist also auch hier nicht erkennbar.
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Selbst wenn man zu Gunsten der Klägerin unterstellen würde, dass die Bedingungen für die Ausnahme realistisch betrachtet bisher tatsächlich weit überwiegend deutsche Arbeitnehmer erfüllen konnten, liegt ein Fall der Benachteiligung von Arbeitnehmern anderer Mitgliedsstaaten nicht vor. Denn die Ausnahmeregelung, die aufgrund der Protokollnotiz ohnehin nur einen ganz geringfügigen Anwendungsbereich hat, dient erkennbar dem Zweck, Arbeitnehmern entgegenzukommen, deren Arbeitsverhältnis zum Bund wegen fehlender freier Stellen nicht von Anfang an unbefristet ausgestaltet werden konnte. Die Ausnahmeregelung dient also nur der Überbrückung von Lücken in der Erwerbsbiographie wie sie typischerweise in den ersten Berufsjahren in den letzten Jahrzehnten selbst im öffentlichen Dienst immer wieder zu beobachten waren. Die Ausnahmeregelung führt also nur den Grundgedanken aus § 16 TVöD (Bund) für die Arbeitsverhältnisse zum Bund fort, die atypisch holperig begonnen haben. Auch diese Annex-Regelung zur Grundregel ist noch vom Beurteilungsspielraum der Tarifvertragsparteien bezüglich der richtigen Ausgestaltung des Entgeltsystems umfasst. Diese Annex-Regelung ist nicht erweiterungsfähig, so dass sich die Klägerin nicht auf eine analoge Anwendung der Regelung auf sich berufen kann.
- 41
Die vorliegende Entscheidung steht nicht in Widerspruch zu der Entscheidung des Gerichtshofs vom 5. Dezember 2013 (Zentralbetriebsrat – aaO), auf die sich die Klägerin für ihre Klage stützt. Es gibt zwei wesentliche Unterschiede. Zum einen sah die dem Gerichtshof zur Bewertung vorliegende Norm quasi ein Besitzstandskartell für Arbeitnehmer verschiedener Arbeitgeber vor, das für diese Arbeitnehmer bessere Arbeitsbedingungen vorgesehen hat als für außenstehende Arbeitnehmer. Zum anderen darf nicht übersehen werden, dass der Fall des Gerichtshofs die Klinik- und Gesundheitsbranche betroffen hatte, in der seit Jahren tatsächlich viele Arbeitnehmer aus anderen Mitgliedsstaaten tätig sind, da Deutschland und andere westeuropäische Staaten gar nicht mehr in der Lage sind, genügend Fachpersonal für die Aufrechterhaltung eines ordnungsgemäßen Gesundheitsdienstes auszubilden. Der Bezug der beim Gerichtshof streitigen Regelung zum europäischen Freizügigkeitsgrundrecht war daher schon durch die äußeren Umstände des Falles gegeben, auch wenn der dem Gericht vorgelegte Sachverhalt keine konkrete derartige Komponente aufgewiesen hatte. Ein solcher Bezug zum Freizügigkeitsgrundrecht aufgrund der tatsächlichen Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt kann vorliegend nicht festgestellt werden.
III.
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Der klägerische Anspruch lässt sich auch nicht auf eine Ungleichbehandlung im Vergleich mit den Arbeitnehmern stützen, die von der Beklagten bereits bei ihrer Einstellung einer höheren Stufe außerhalb des Anwendungsbereichs von § 16 Absatz 2 Satz 2 TVöD (Bund) zugeordnet wurden.
- 43
Denn die Klägerin hat zu diesen von ihr behaupteten Vergleichsfällen keine Tatsachen vorgetragen, die es dem Gericht ermöglichen zu prüfen, ob die Klägerin im Vergleich zu diesem Personenkreis rechtswidrig benachteiligt wurde. Die Klägerin hat zu ihrer Behauptung weder die Namen der bevorzugten Arbeitnehmer vorgetragen, noch zu ihrer Eingruppierung und den ihr übertragenen Aufgaben vorgetragen, noch hat sie Angaben zum Zeitpunkt der Einstellung gemacht. Damit kann das Gericht einen Vergleich mit der Behandlung der Klägerin bei ihrer Einstellung nicht vornehmen. Die Darlegungs- und Beweislast liegt insoweit allein bei der Klägerin. Die Beklagte ist nicht gehalten, von sich aus ihre gesamte Einstellungspraxis detailliert darzulegen, ohne dass die Klägerin ausreichende Ansatzpunkte für eine rechtswidrige Ungleichbehandlung vorgetragen hat.
IV.
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Die Kosten der Berufung hat die Klägerin zu tragen, da ihr Rechtsmittel keinen Erfolg hatte (§ 97 ZPO).
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Die Zulassung der Revision erfolgt nach § 72 Absatz 2 Nr. 1 ArbGG in Hinblick auf die Revisionszulassung anderer Landesarbeitsgerichte in vergleichbaren Fällen (beispielsweise LAG Berlin-Brandenburg 6. Oktober 2015 – 7 Sa 773/15).
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Annotations
(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.
(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.
(3) (weggefallen)
(1) Gegen das Endurteil eines Landesarbeitsgerichts findet die Revision an das Bundesarbeitsgericht statt, wenn sie in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts oder in dem Beschluß des Bundesarbeitsgerichts nach § 72a Abs. 5 Satz 2 zugelassen worden ist. § 64 Abs. 3a ist entsprechend anzuwenden.
(2) Die Revision ist zuzulassen, wenn
- 1.
eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat, - 2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, von einer Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes, von einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts oder, solange eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts in der Rechtsfrage nicht ergangen ist, von einer Entscheidung einer anderen Kammer desselben Landesarbeitsgerichts oder eines anderen Landesarbeitsgerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht oder - 3.
ein absoluter Revisionsgrund gemäß § 547 Nr. 1 bis 5 der Zivilprozessordnung oder eine entscheidungserhebliche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend gemacht wird und vorliegt.
(3) Das Bundesarbeitsgericht ist an die Zulassung der Revision durch das Landesarbeitsgericht gebunden.
(4) Gegen Urteile, durch die über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung eines Arrests oder einer einstweiligen Verfügung entschieden wird, ist die Revision nicht zulässig.
(5) Für das Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Revision mit Ausnahme des § 566 entsprechend.
(6) Die Vorschriften der §§ 46c bis 46g, 49 Abs. 1, der §§ 50, 52 und 53, des § 57 Abs. 2, des § 61 Abs. 2 und des § 63 dieses Gesetzes über den elektronischen Rechtsverkehr, Ablehnung von Gerichtspersonen, Zustellung, Öffentlichkeit, Befugnisse des Vorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter, gütliche Erledigung des Rechtsstreits sowie Inhalt des Urteils und Übersendung von Urteilen in Tarifvertragssachen und des § 169 Absatz 3 und 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes über die Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen bei der Entscheidungsverkündung gelten entsprechend.