Landesarbeitsgericht Köln Beschluss, 14. Sept. 2015 - 4 Ta 285/15
Gericht
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Aachen vom 30.06.2015 – 8 Ca 1506/14 d – aufgehoben.
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G r ü n d e :
21. Gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 2 ZPO soll das Gericht die Bewilligung der Prozesskostenhilfe aufheben, wenn die Partei entgegen § 120 a Abs. 2 Satz 1 ZPO dem Gericht die Änderung ihrer Anschrift absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit nicht unverzüglich mitgeteilt hat.
3Der Verstoß gegen die Pflicht zur Anzeige der Anschriftenänderung muss mithin „absichtlich“ oder jedenfalls auf Grund „grober Nachlässigkeit“ erfolgt sein, um zu der Aufhebungssanktion zu führen. Schädlich ist somit nur direkter oder bedingter Vorsatz oder zumindest grobe Nachlässigkeit. Ist grobe Nachlässigkeit prozessual zu bewerten, so liegt eine solche erst dann vor, wenn die Prozesskostenhilfepartei ihre Pflicht in besonders schwerwiegender Weise verletzt hat. Sie muss also ohne jede prozessuale Sorgfalt etwas unterlassen haben. Sie muss die im Prozess erforderliche Sorgfalt in einem ungewöhnlichen, groben Maß verletzt haben und dabei dasjenige unbeachtet gelassen haben, was jeder Partei unmittelbar hätte einleuchten müssen. Sie muss somit ausnehmend sorglos gewesen sein (vgl. z. B. Baumbach § 296 ZPO Rn. 61 mit Nachweisen auch zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts). Wegen des Sanktionscharakters ist bei der Prüfung des Verschuldens „Augenmaß zu bewahren“ (LAG Baden-Württemberg 10.06.2015 – 4 Ta 8/15 – Rn. 18). Dass im Falle eines Umzugs die eine oder andere Stelle bei der Mitteilung der Anschriftenänderung übersehen wird, ist ein weit verbreitetes Phänomen, das als solches nicht unter den Begriff der groben Nachlässigkeit subsumiert werden kann (vgl. LAG Baden-Württemberg a. a. O.). Zudem trifft die Prozesskostenhilfepartei nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes hinsichtlich des Fehlens eines Verschuldens keine Darlegungslast (LAG Baden-Württemberg a. a. O. Rn. 19 mit weiteren Nachweisen).
4Auch die 1. Kammer des Landesarbeitsgerichts Köln hat in dem Beschluss vom 22.06.2015 (1 Ta 145/15) es als entschuldigend ausreichen lassen und auch gemäß § 85 Abs. 2 ZPO der Klägerin nicht als Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten zugerechnet, dass die Klägerin sich darauf verlassen hatte, dass ihr Prozessbevollmächtigter gegebenenfalls für eine Weiterleitung ihrer neuen Adresse an die zuständigen Stellen sorge.
52. Das Arbeitsgericht Aachen hat weder in dem angefochtenen Beschluss, noch in seinem Schreiben vom 17.08.2015, noch im Nichtabhilfe-Beschluss vom 24.08.2015 positive Feststellungen dazu getroffen, warum nicht nur einfache Nachlässigkeit, sondern grobe Nachlässigkeit vorliegen soll, mithin eine besonders schwerwiegende Verletzung der Obliegenheiten der Partei. Im vorliegenden Fall ist nicht mehr festzustellen, als dass die Klägerin – wie es bei vielen Menschen zutrifft – im Zuge ihres Umzuges vergessen hat, dem Arbeitsgericht die Anschrift mitzuteilen. Das allein erfüllt die hohen Anforderungen die grobe Nachlässigkeit (vgl. dazu auch BVerfGE 69, 137) nicht.
6Hinzukommt, dass die Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten bereits im ursprünglichen Prozesskostenhilfebewilligungsverfahren vertreten war, so dass das Arbeitsgericht auch diesem die von ihm an die Klägerin gerichteten Schreiben hätte zustellen müssen (vgl. z. B. BGH, 08.12.2010– XII ZB 40/09).
7Die Klägerin durfte sich daher darauf verlassen, dass auch dem Prozessbevollmächtigten Schreiben des Gerichts im Nachprüfungsverfahren zugestellt würden. Die Klägerin hat – was ohne weiteres glaubhaft ist – vorgetragen, dass der Prozessbevollmächtigte über ihre Handynummer verfügte, so dass sie erreichbar war.
8Da sonstige Besonderheiten weder vom Arbeitsgericht festgestellt sind, noch sonst erkennbar sind, kann – da die Prozesspartei nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes hinsichtlich des Fehlens des Verschuldens auch keine Darlegungslast trifft – nicht festgestellt werden, dass ein Fall der groben Nachlässigkeit vorläge.
9Dieses führt zur Aufhebung des Beschlusses des Arbeitsgerichts.
10Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.
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Annotations
(1) Das Gericht soll die Bewilligung der Prozesskostenhilfe aufheben, wenn
- 1.
die Partei durch unrichtige Darstellung des Streitverhältnisses die für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe maßgebenden Voraussetzungen vorgetäuscht hat; - 2.
die Partei absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit unrichtige Angaben über die persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnisse gemacht oder eine Erklärung nach § 120a Absatz 1 Satz 3 nicht oder ungenügend abgegeben hat; - 3.
die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Prozesskostenhilfe nicht vorgelegen haben; in diesem Fall ist die Aufhebung ausgeschlossen, wenn seit der rechtskräftigen Entscheidung oder sonstigen Beendigung des Verfahrens vier Jahre vergangen sind; - 4.
die Partei entgegen § 120a Absatz 2 Satz 1 bis 3 dem Gericht wesentliche Verbesserungen ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse oder Änderungen ihrer Anschrift absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit unrichtig oder nicht unverzüglich mitgeteilt hat; - 5.
die Partei länger als drei Monate mit der Zahlung einer Monatsrate oder mit der Zahlung eines sonstigen Betrages im Rückstand ist.
(2) Das Gericht kann die Bewilligung der Prozesskostenhilfe aufheben, soweit die von der Partei beantragte Beweiserhebung auf Grund von Umständen, die im Zeitpunkt der Bewilligung der Prozesskostenhilfe noch nicht berücksichtigt werden konnten, keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet oder der Beweisantritt mutwillig erscheint.
(1) Angriffs- und Verteidigungsmittel, die erst nach Ablauf einer hierfür gesetzten Frist (§ 273 Abs. 2 Nr. 1 und, soweit die Fristsetzung gegenüber einer Partei ergeht, 5, § 275 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, 4, § 276 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3, § 277) vorgebracht werden, sind nur zuzulassen, wenn nach der freien Überzeugung des Gerichts ihre Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits nicht verzögern würde oder wenn die Partei die Verspätung genügend entschuldigt.
(2) Angriffs- und Verteidigungsmittel, die entgegen § 282 Abs. 1 nicht rechtzeitig vorgebracht oder entgegen § 282 Abs. 2 nicht rechtzeitig mitgeteilt werden, können zurückgewiesen werden, wenn ihre Zulassung nach der freien Überzeugung des Gerichts die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde und die Verspätung auf grober Nachlässigkeit beruht.
(3) Verspätete Rügen, die die Zulässigkeit der Klage betreffen und auf die der Beklagte verzichten kann, sind nur zuzulassen, wenn der Beklagte die Verspätung genügend entschuldigt.
(4) In den Fällen der Absätze 1 und 3 ist der Entschuldigungsgrund auf Verlangen des Gerichts glaubhaft zu machen.
(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie nicht von der miterschienenen Partei sofort widerrufen oder berichtigt werden.
(2) Das Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden der Partei gleich.