Landesarbeitsgericht Köln Beschluss, 22. Sept. 2015 - 1 Ta 294/15
Gericht
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Siegburg vom 04.08.2015 (2 Ca 391/14) aufgehoben.
Die Sache wird zur Überprüfung im Rahmen des Verfahrens gemäß § 120 a) Abs. 1 ZPO an das Arbeitsgericht Siegburg zurückverwiesen.
1
G r ü n d e
2I.
3Die gemäß § 11 Abs. 1 RPflG i. V. m. §§ 127 Abs. 2 Satz 2 u. 3 ZPO, 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, 11 a) Abs. 1 ArbGG zulässige sofortige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Die Voraussetzungen für die Aufhebung der Prozesskostenhilfe gemäß §§ 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO i. V. m. § 120 a) Abs. 2 S. 1 ZPO sind nicht erfüllt.
4Nach der gesetzlichen Regelung soll das Gericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe aufheben, wenn die Partei entgegen § 120 a) Abs. 2 S. 1 ZPO dem Gericht eine Änderung ihrer Anschrift absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit nicht unverzüglich mitgeteilt hat.
5a) Vorliegend hat der Kläger seine neue Anschrift zwar erst mit Schreiben vom 29.06.2015 dem Gericht mitgeteilt, obwohl er bereits seit dem 23.12.2014 unter seiner neuen Anschrift gemeldet war. Die Mitteilung war damit nicht unverzüglich i.S.d. § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO.
6b) Es kann in diesem Zusammenhang auch offenbleiben, ob eine Anwendung der Vorschrift schon deshalb ausscheidet, weil im Wege teleologischer Reduktion des § 120 a) Abs. 2 S. 1 ZPO eine Geltung nur für die nicht anwaltlich vertretene Prozesskostenhilfe-Partei in Betracht kommt (so LAG Berlin-Brandenburg 20.07.2015 – 21 Ta 975/15 – juris).
7c) Jedenfalls erfordert eine Aufhebung der Prozesskostenhilfe, dass die Verpflichtung zur Mitteilung einer Anschriftenänderung absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit missachtet worden ist.
8aa) Die Unterlassung der Partei muss danach entweder vorsätzlich darauf abzielen, sich der Überprüfung der persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnisse zu entziehen oder auf „grober Nachlässigkeit“ beruhen. Grobe Nachlässigkeit liegt dann vor, wenn eine Prozesspartei ihre prozessualen Pflichten in besonders schwerwiegender Weise verletzt und dabei dasjenige unbeachtet gelassen hat, was unmittelbar hätte einleuchten müssen (ebenso LAG Köln 03.08.2015 – 4 Ta 148/15 – juris; vgl. zum prozessualen Begriff der groben Nachlässigkeit auch BGH 02.09.2013 – VII ZR 242/12 – Rn. 13, juris).
9bb) Die Umstände, aus denen Vorsatz oder grobe Nachlässigkeit abgeleitet werden können, sind von dem Gericht festzustellen, denn eine besondere Verpflichtung der PKH-Partei, das „fehlende“ Verschulden gegenüber dem Gericht darzulegen und nachzuweisen, ist der gesetzlichen Regelung nicht zu entnehmen (LAG Köln 14.09.2015 - 4 Ta 285/15 -; LAG Baden-Württemberg 10.06.2015 – 4 Ta 8/15- juris; ebenso Maul-Sartori, jurisPR-ArbR 38/2015 Anm. 6 unter C,I).
10cc) Vorliegend hat das Arbeitsgericht keine Feststellungen getroffen, aus denen sich Umstände für vorsätzliches oder grob nachlässiges Handeln des Klägers ableiten ließen. Solche Umstände sind auch sonst nicht ersichtlich.
11Dabei ist im Falle eines Umzuges zu berücksichtigen, dass das Unterlassen der Mitteilung der neuen Anschrift häufig nur „vergessen“ wird. Zwar erfolgte in dem vom Kläger am 06.05.2014 unterzeichneten Formular betreffend die Erklärung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ein Hinweis auf die Mitteilungspflicht bei Anschriftenänderung. Andererseits ist zu berücksichtigen, dass die Prozesskostenhilfe ratenfrei gewährt wurde und für die Partei kein unmittelbar (nachwirkender) Bezug zum abgeschlossenen Prozessverfahren mehr bestand. In einem solchen Fall kann in der Regel nicht von grober Nachlässigkeit ausgegangen werden, denn die gesetzliche Pflicht ist bei der Partei nicht „dauerpräsent“ und kann unter Berücksichtigung der allgemeinen Lebenserfahrung leicht übersehen werden (ebenso LAG Baden-Württemberg 10.06.2015 a.a.O.; LAG Köln 14.09.2015 a. a. O.; Maul-Sartori, jurisPR-ArbR 38/2015 Anm. 6 unter C,I). Hinzu kommt, dass die Norm Sanktionscharakter hat (LAG Köln 22.6.2015 – 1 Ta 145/15 - m.w.N., juris) und folglich bei der Prüfung des Verschuldens Augenmaß angezeigt ist (zutreffend Natter FA 2014, 290 (291)). Die Anwendung der gesetzlichen Sanktion erfordert die – gerichtliche - Feststellung weiterer Umstände, die das Unterlassen der Mitteilung als vorsätzlich oder grob nachlässig kennzeichnen. Solche Anhaltspunkte dafür, dass sich der Kläger der Überprüfungspflicht entziehen wollte oder er missachtet hätte, was sich jeder sorgfältigen Partei in besonderer Weise aufdrängen musste, sind nicht feststellbar, so dass von einem „Versehen“ ausgegangen werden muss.
12II.
13Gegen diese Entscheidung ist ein weiteres Rechtsmittel nicht gegeben.
moreResultsText
Annotations
(1) Gegen die Entscheidungen des Rechtspflegers ist das Rechtsmittel gegeben, das nach den allgemeinen verfahrensrechtlichen Vorschriften zulässig ist.
(2) Kann gegen die Entscheidung nach den allgemeinen verfahrensrechtlichen Vorschriften ein Rechtsmittel nicht eingelegt werden, so findet die Erinnerung statt, die innerhalb einer Frist von zwei Wochen einzulegen ist. Hat der Erinnerungsführer die Frist ohne sein Verschulden nicht eingehalten, ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er die Erinnerung binnen zwei Wochen nach der Beseitigung des Hindernisses einlegt und die Tatsachen, welche die Wiedereinsetzung begründen, glaubhaft macht. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist. Die Wiedereinsetzung kann nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist an gerechnet, nicht mehr beantragt werden. Der Rechtspfleger kann der Erinnerung abhelfen. Erinnerungen, denen er nicht abhilft, legt er dem Richter zur Entscheidung vor. Auf die Erinnerung sind im Übrigen die Vorschriften der Zivilprozessordnung über die sofortige Beschwerde sinngemäß anzuwenden.
(3) Gerichtliche Verfügungen, Beschlüsse oder Zeugnisse, die nach den Vorschriften der Grundbuchordnung, der Schiffsregisterordnung oder des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit wirksam geworden sind und nicht mehr geändert werden können, sind mit der Erinnerung nicht anfechtbar. Die Erinnerung ist ferner in den Fällen der §§ 694, 700 der Zivilprozeßordnung und gegen die Entscheidungen über die Gewährung eines Stimmrechts (§ 77 der Insolvenzordnung) ausgeschlossen.
(4) Das Erinnerungsverfahren ist gerichtsgebührenfrei.
(1) Das Gericht soll die Bewilligung der Prozesskostenhilfe aufheben, wenn
- 1.
die Partei durch unrichtige Darstellung des Streitverhältnisses die für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe maßgebenden Voraussetzungen vorgetäuscht hat; - 2.
die Partei absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit unrichtige Angaben über die persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnisse gemacht oder eine Erklärung nach § 120a Absatz 1 Satz 3 nicht oder ungenügend abgegeben hat; - 3.
die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Prozesskostenhilfe nicht vorgelegen haben; in diesem Fall ist die Aufhebung ausgeschlossen, wenn seit der rechtskräftigen Entscheidung oder sonstigen Beendigung des Verfahrens vier Jahre vergangen sind; - 4.
die Partei entgegen § 120a Absatz 2 Satz 1 bis 3 dem Gericht wesentliche Verbesserungen ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse oder Änderungen ihrer Anschrift absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit unrichtig oder nicht unverzüglich mitgeteilt hat; - 5.
die Partei länger als drei Monate mit der Zahlung einer Monatsrate oder mit der Zahlung eines sonstigen Betrages im Rückstand ist.
(2) Das Gericht kann die Bewilligung der Prozesskostenhilfe aufheben, soweit die von der Partei beantragte Beweiserhebung auf Grund von Umständen, die im Zeitpunkt der Bewilligung der Prozesskostenhilfe noch nicht berücksichtigt werden konnten, keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet oder der Beweisantritt mutwillig erscheint.