Bundesgerichtshof Urteil, 15. Dez. 2004 - XII ZR 26/03
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin verlangt von dem Beklagten Unterhalt nach § 1615 l BGB aus Anlaß der Geburt eines Kindes. Der Beklagte ist Vater des am 15. Mai 2001 geborenen Sohnes der Klägerin. Er hat seine Unterhaltspflicht für das Kind in Höhe von 100 % des jeweiligen Regelbetrages anerkannt.Die Klägerin ist Mutter einer weiteren Tochter, die am 18. April 1997 geboren wurde und von einem anderen Mann abstammt. Von dem Vater dieser Tochter begehrt sie ebenfalls Unterhalt gemäß § 1615 l Abs. 2 BGB, und zwar über die Dauer von drei Jahren seit der Geburt des Kindes hinaus. Das Oberlandesgericht Hamm (Az: 5 UF 262/04) hat diesen Rechtsstreit ausgesetzt und die Sache dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung der Frage vorgelegt , ob die grundsätzlich dreijährige Befristung des Anspruchs auf Unterhalt aus Anlaß der Geburt mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts im vorliegenden Verfahren verbleiben dem Beklagten von seinen anrechenbaren monatlichen Erwerbseinkünften nach Abzug des Kindesunterhalts monatlich 1.211 €. Das Amtsgericht hat den Beklagten verurteilt, an die Klägerin Unterhaltsrückstände sowie laufenden Unterhalt ab November 2001 in Höhe von monatlich 128 € unter Anrechnung „zwischenzeitlich freiwillig gezahlter Beträge“ zu zahlen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht das Urteil abgeändert und den Beklagten verurteilt, höhere Unterhaltsrückstände sowie laufenden Unterhalt von zuletzt monatlich 211 € zu zahlen. Mit der zugelassenen Revision begehrt die Klägerin weitere Unterhaltsrückstände sowie laufenden Unterhalt ab November 2001 in Höhe von monatlich 291,44 €.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat Erfolg und führt im Umfang der Anfechtung zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.I.
Das Berufungsgericht hat der Klage nur in eingeschränktem Umfang stattgegeben, weil der Beklagte nach Abzug des gemäß § 1615 l Abs. 3 Satz 3 BGB vorrangig zu berücksichtigenden Kindesunterhalts und des zu berücksichtigenden angemessenen Selbstbehalts nur in diesem Umfang leistungsfähig sei. Ihm müsse im Rahmen seiner Unterhaltspflicht aus Anlaß der Geburt gemäß §§ 1615 l Abs. 3 Satz 1, 1603 Abs. 1 BGB der gleiche angemessene Selbstbehalt verbleiben, wie es im Rahmen einer Unterhaltspflicht gegenüber volljährigen Kindern der Fall sei. Dieser belaufe sich für die Zeit bis Juni 2001 auf 1.800 DM, für die Zeit von Juli bis Dezember 2001 auf 1.960 DM und für die Zeit ab Januar 2002 auf 1.000 €. Daß dem Unterhaltsschuldner im Vergleich hierzu gegenüber dem Anspruch auf nachehelichen Betreuungsunterhalt nur der geringere Selbstbehalt verbleibe, führe nicht zu einer gleichheitswidrigen Behandlung. Der geringere Selbstbehalt des getrennt lebenden oder geschiedenen Ehegatten sei durch ein besonderes Maß an Solidarität und Beistandspflicht aus der früheren Ehe geboten. Zwar bedürfe ein nicht in der Ehe geborenes Kind gleichermaßen der Pflege und Erziehung wie ein Kind, das aus der Ehe seiner Eltern hervorgegangen sei. Das ändere aber nichts daran, daß die nicht verheiratete Mutter hinsichtlich der Sicherung ihres Unterhalts in einer anderen Situation sei als die getrennt lebende oder geschiedene Mutter. Von der nicht verheirateten Mutter werde erwartet, daß sie die Betreuung des Kindes notfalls zu Lasten ihres eigenen Unterhaltsbedarfs sicherstelle, soweit im Rahmen ihres Unterhaltsanspruchs Bedarfslücken verblieben.II.
Die Entscheidung des Berufungsgerichts hält den Angriffen der Revision nicht stand. 1. Zwar unterliegt eine vom Tatrichter nach Billigkeitsgesichtspunkten getroffene Entscheidung - wie hier über die Frage, ab wann der eigene angemessene Unterhalt des nach § 1615 l Abs. 2 BGB unterhaltspflichtigen Vaters gefährdet wäre - nur in eingeschränktem Umfang der revisionsrechtlichen Überprüfung. Eine solche ist aber dann eröffnet, wenn die tatrichterliche Entscheidung den gesetzlich vorgegebenen Ermessensspielraum nicht ausschöpft oder gesetzlich vorgegebene Wertungen außer Betracht läßt (Senatsurteil vom 18. Oktober 1989 - IVb ZR 89/88 - BGHZ 109, 72, 88 = FamRZ 1990, 262, 266). Das ist hier schon deshalb der Fall, weil das Berufungsgericht die gesetzlich vorgeschriebene individuelle Billigkeitsabwägung durch den Hinweis auf einen einheitlichen Selbstbehalt für den Verwandtenunterhalt ersetzt hat, ohne dem besonderen Schutzzweck des Unterhaltsanspruchs aus § 1615 l Abs. 2 BGB Rechnung zu tragen. Insoweit ist es verfehlt, sich auch dann an feste Tabellen und Leitlinien zu halten, wenn andere Lebensverhältnisse zu beurteilen sind als diejenigen, auf die sie für den Regelfall abstellen (vgl. Senatsurteil vom 26. Februar 1992 - XII ZR 93/91 - FamRZ 1992, 795, 797). 2. Der Senat hat - nach Erlaß des angefochtenen Urteils - entschieden, daß auch der Selbstbehalt des unterhaltspflichtigen Vaters gegenüber dem Unterhaltsanspruch der nicht verheirateten Mutter nicht mit einem starren Betrag bemessen werden darf, sondern die besonderen Umstände des zu entscheidenden Falles zu berücksichtigen sind. Dabei hat der Tatrichter einen Selbstbehalt festzulegen, der jedenfalls nicht den notwendigen Selbstbehalt von gegenwärtig 840 € unterschreitet. Andererseits muß im Mangelfall der Selbstbe-halt im Rahmen des Unterhaltsanspruchs nach § 1615 l Abs. 2 BGB regelmäßig hinter dem angemessenen Selbstbehalt, der gegenüber dem Unterhaltsanspruch volljähriger Kinder gilt und gegenwärtig 1.000 € beträgt, zurückbleiben. Deswegen wird es nicht zu beanstanden sein, wenn der Tatrichter im Regelfall von einem etwa hälftig zwischen diesen beiden Beträgen liegenden Selbstbehalt ausgeht (Senatsurteil vom 1. Dezember 2004 - XII ZR 3/03 - m.w.N., zur Veröffentlichung bestimmt).
III.
Im Rahmen der erneuten Verhandlung wird das Oberlandesgericht den Berufungsantrag der Klägerin - gegebenenfalls nach Anhörung der Parteien - ergänzend auszulegen haben. Dabei wird es zu berücksichtigen haben, daß die Klägerin in der mündlichen Verhandlung erster Instanz Prozeßkostenhilfe ausdrücklich auch für einen Unterhaltsantrag ohne zeitliche Begrenzung begehrt hatte, die ihr mit Beschluß vom 14. April 2002 rückwirkend bewilligt worden ist. Entsprechend erfassen sowohl der Berufungsantrag der Klägerin als auch der Beschluß des Berufungsgerichts vom 31. Oktober 2002 über die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe nach ihrem Wortlaut den laufenden monatlichen Unterhalt ohne eine ausdrückliche zeitliche Begrenzung auf die Dauer von drei Jahren seit der Geburt des Kindes. Das hat das Berufungsgericht nicht hinreichend berücksichtigt, wenn es meint, der Antrag der Klägerin sei "wie im ersten Rechtszug auf die Zeit bis einschließlich Mai 2004 begrenzt". Allerdings sind bislang weder Umstände festgestellt noch sonst ersichtlich, die gemäß § 1615 l Abs. 2 Satz 3 Hs. 2 BGB unter besonderer Berücksichtigung der Belange des Kindes einen Wegfall der Unterhaltspflicht nach Ablauf von drei Jahren seit der Geburt als grob unbillig darstellen könnten.Das Berufungsgericht wird weiter zu berücksichtigen haben, daß mehrere unterhaltspflichtige Väter nach der Rechtsprechung des Senats, die auch auf die vorliegende Fallgestaltung anzuwenden ist, für den Unterhaltsbedarf der Mutter regelmäßig anteilig haften (vgl. Senatsurteil vom 21. Januar 1998 - XII ZR 85/96 - FamRZ 1998, 541, 543 f.). Für mehrere nach § 1615 l Abs. 2 BGB unterhaltspflichtige Väter folgt dieses schon aus einer unmittelbaren Anwendung der §§ 1615 l Abs. 3 S. 1, 1606 Abs. 3 S. 1 BGB. Deswegen wird es den Ausgang des Verfahrens vor dem Oberlandesgericht Hamm (5 UF 262/04) zu berücksichtigen haben, in dem die Klägerin Unterhalt gemäß § 1615 l Abs. 2 BGB von dem Vater ihres am 18. April 1997 geborenen weiteren Kindes über die Vollendung dessen dritten Lebensjahres hinaus begehrt. Die Zurückverweisung des Rechtsstreits gibt dem Berufungsgericht auch Gelegenheit, den Unterhaltsanspruch für die ersten drei Jahre seit der Geburt des Kindes auf der Grundlage der nunmehr konkret feststehenden Einkünfte des Beklagten anstelle der bislang auf einer Prognose beruhenden anrechenbaren Einkünfte festzusetzen. Hahne Sprick Weber-Monecke Wagenitz Dose
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(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.
(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.
(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.
(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.
(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.
Ist der Verpflichtete nach seinen Erwerbs- und Vermögensverhältnissen unter Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande, ohne Gefährdung des eigenen angemessenen Unterhalts dem Berechtigten Unterhalt zu gewähren, so braucht er nur insoweit Unterhalt zu leisten, als es mit Rücksicht auf die Bedürfnisse und die Erwerbs- und Vermögensverhältnisse der geschiedenen Ehegatten der Billigkeit entspricht. Den Stamm des Vermögens braucht er nicht zu verwerten, soweit die Verwertung unwirtschaftlich oder unter Berücksichtigung der beiderseitigen wirtschaftlichen Verhältnisse unbillig wäre.
(1) Unterhaltspflichtig ist nicht, wer bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist, ohne Gefährdung seines angemessenen Unterhalts den Unterhalt zu gewähren.
(2) Befinden sich Eltern in dieser Lage, so sind sie ihren minderjährigen Kindern gegenüber verpflichtet, alle verfügbaren Mittel zu ihrem und der Kinder Unterhalt gleichmäßig zu verwenden. Den minderjährigen Kindern stehen volljährige unverheiratete Kinder bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres gleich, solange sie im Haushalt der Eltern oder eines Elternteils leben und sich in der allgemeinen Schulausbildung befinden. Diese Verpflichtung tritt nicht ein, wenn ein anderer unterhaltspflichtiger Verwandter vorhanden ist; sie tritt auch nicht ein gegenüber einem Kind, dessen Unterhalt aus dem Stamme seines Vermögens bestritten werden kann.