Bundesgerichtshof Urteil, 23. Aug. 2017 - 2 StR 560/15

ECLI: ECLI:DE:BGH:2017:230817U2STR560.15.0
published on 23/08/2017 00:00
Bundesgerichtshof Urteil, 23. Aug. 2017 - 2 StR 560/15
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Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 560/15
vom
23. August 2017
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
4.
5.
wegen schweren Raubes u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:230817U2STR560.15.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Hauptverhandlung vom 26. Juli 2017 in der Sitzung am 23. August 2017, an denen teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Krehl als Vorsitzender, Richter am Bundesgerichtshof Dr. Eschelbach, die Richterinnen am Bundesgerichtshof Dr. Bartel, Wimmer, Richter am Bundesgerichtshof Dr. Grube, Bundesanwältin beim Bundesgerichtshof in der Verhandlung, Staatsanwalt bei der Verkündung als Vertreter der Bundesanwaltschaft, Rechtsanwältin in der Verhandlung, als Verteidigerin der Angeklagten K. , Rechtsanwältin in der Verhandlung, als Verteidigerin des Angeklagten H. , Rechtsanwalt in der Verhandlung, als Verteidiger des Angeklagten N. , Rechtsanwalt in der Verhandlung, als Verteidiger des Angeklagten L. , Rechtsanwalt in der Verhandlung , als Verteidiger des Angeklagten G. , Justizangestellte in der Verhandlung, Amtsinspektorin bei der Verkündung als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten L. und N. wird das Urteil des Landgerichts Gießen vom 29. Juni 2015, soweit es sie betrifft, im Strafausspruch mit den jeweiligen Feststellungen aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weitergehenden Revisionen sowie die Revisionen der Angeklagten H. , G. und K. werden verworfen. 4. Die Beschwerdeführer H. , G. und K. haben die Kosten ihrer Rechtsmittel zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagten wegen schweren Raubes in Tateinheit mit unerlaubtem Verschaffen von Betäubungsmitteln, die Angeklagten L. und G. ferner jeweils tateinheitlich wegen unerlaubten Führens einer Schusswaffe sowie den Angeklagten G. darüber hinaus tatmehrheitlich wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu Freiheitsstrafen verurteilt. Es hat gegen die Angeklagte K. drei Jahre Freiheitsstrafe, gegen den Angeklagten H. eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten , gegen den Angeklagten L. eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten, gegen den Angeklagten G. eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten sowie gegen den Angeklagten N. unter Einbeziehung weiterer Urteile eine Einheitsjugendstrafe von drei Jahren verhängt. Die auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützten Rechtsmittel haben in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen sind sie unbegründet.

I.

2
1. Die Angeklagten G. , H. und K. planten, den Zeugen Kr. „abzurippen“, um an Drogen zu kommen. Aus diesem Grund wandten sich die Angeklagten H. und K. an Kr. und spiegelten ihm vor, einen Interessenten für einen Haschischdeal von 1.500 € zu haben. Dieser ließ sich auf das Geschäft ein, wenngleich er seinem neuen Kunden statt der vereinbarten 150 Gramm Marihuana lediglich 120 Gramm mitbringen wollte. G. kümmerte sich um Verstärkung und nahm Kontakt zum Angeklagten N. auf, mit dem er schon zuvor über eine solche Aktion gesprochen hatte. Dieser kam am Tattag mit L. überein, sich zu beteiligen.
3
Am Tattag, dem 28. April 2014, fuhren alle Angeklagten in einem PKW zum Tatort, dem Parkplatz eines Lebensmitteldiscounters, und warteten dort auf das Eintreffen des Zeugen Kr. . Dieser erschien gegen 20.30 Uhr mit zwei Begleitern und mit einer Plastiktüte in der Hand und wurde von den Angeklagten H. und K. mit Handschlag begrüßt, währenddessen L. und N. aus Verstecken hinzutraten. Als sich Kr. erkundigte , wer das Geld habe, antwortete N. mit einer Armbewegung „in Richtung Bauch“, es gebe kein Geld, Kr. solle das „dope“ hergeben. Da er befürchtete, Kr. könne sich verteidigen wollen, griff er nach dessen Arm und zog ihn zu Boden. In diesem Augenblick zogen G. und L. ihre mitgebrachten Schreckschusspistolen hervor. G. richtete sie mit einem Abstand von einem Meter auf den Kopf von Kr. , L. hielt die Begleiter von Kr. in Schach. Dieser wollte die Drogen in Sicherheit bringen und warf die Plastiktüte in Richtung seiner Begleiter. Der Angeklagte G. ging dazwischen und nahm die Tüte an sich. Daraufhin rannten alle Angeklagten zurück zum Auto, N. blieb kurz zurück und rief dem Zeugen Kr. zu, er solle aufhören, in seinem Bereich zu dealen. Schließlich fuhren alle Angeklagten mit dem Auto davon und teilten das Marihuana auf.
4
2. Knapp zwei Wochen später hielt sich der Angeklagte G. in einer Gartenhütte in O. auf und trug in seiner Bauchtasche 24,3 Gramm Marihuana bei sich.

II.

5
1. Der Schuldspruch hält rechtlicher Nachprüfung stand. Dies gilt auch, soweit das Landgericht die Angeklagten wegen schweren Raubes von Betäubungsmitteln verurteilt hat. Nicht verkehrsfähige Betäubungsmittel können nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs fremde, bewegliche Sachen und damit Tatobjekt eines Raubes sein (vgl. zuletzt mit vielen Nachweisen BGH, NJW 2015, 2898, 2900; zur Begründung näher: BGH, NJW 2006, 72).
6
Der Senat hatte mit Blick auf die im Anfragebeschluss vom 1. Juni 2016 im Verfahren 2 StR 335/15 geäußerte Rechtsansicht, wonach (illegale) Drogen nicht zum strafrechtlich geschützten Vermögen zählen (vgl. NStZ 2016, 596) im vorliegenden Verfahren aufgrund der Hauptverhandlung vom 18. Januar 2017 zwar beschlossen, auch hinsichtlich der Reichweite des Eigentumsschutzes bei Betäubungsmitteln ein Anfrageverfahren einzuleiten (vgl. zu den Bedenken gegen den Eigentumsschutz auch von Betäubungsmitteln Bechtel, JR 2017,197 ff.). An dieser Anfrage aber hält der Senat nicht mehr fest, nachdem er mit Urteilen vom 16. August 2017 in den Verfahren 2 StR 335/15 und 2 StR 344/15 entschieden hat, nach Eingang der durchweg der Ansicht des Senats entgegentretenden Antworten der anderen Strafsenate des Bundesgerichtshofs das Verfahren nach § 132 Abs. 2 GVG hinsichtlich der Frage des Vermögensschutzes von Drogen nicht weiterzuverfolgen.
7
2. Auch der Strafausspruch hinsichtlich der Angeklagten H. , G. und K. hält rechtlicher Nachprüfung stand. Hingegen begegnet er, soweit die Angeklagten L. und N. betroffen sind, durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
8
a) Das Landgericht hat sowohl bei der Strafrahmenwahl als auch bei der konkreten Strafzumessung die „einschlägige Vorbelastung“ des Angeklagten L. vom 31. Juli 2014 straferschwerend gewertet, die erst nach der verfahrensgegenständlichen Tat ergangen ist. Dies wäre zwar – ungeachtet der unzutreffenden Einordnung als „Vorbelastung“ dann rechtlich nicht zu beanstanden, wenn diese Straftat nach ihrer Art und nach der Persönlichkeit des Täters auf Rechtsfeindlichkeit, Gefährlichkeit und die Gefahr künftiger Rechtsbrüche schließen ließe (vgl. BGH NStZ 2007, 150). Ob dies der Fall ist, kann der Senat aber nicht abschließend beurteilen, da der dieser Verurteilung zugrunde liegende Sachverhalt den Urteilsgründen nicht entnommen werden kann. Da sich nicht ausschließen lässt, dass das Landgericht bei rechtsfehlerfreier Würdigung zur Annahme eines minder schweren Falles oder einer milderen Freiheitsstrafe gelangt wäre, bedarf die Sache insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung.
9
b) Hinsichtlich des Angeklagten N. hat das Landgericht zwar rechtsfehlerfrei die Verhängung einer Jugendstrafe für erforderlich erachtet. Hingegen begegnen die Ausführungen zur Höhe der Jugendstrafe durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Das Landgericht ist davon ausgegangen, dass der Angeklagte bis heute ein unreflektiertes Verhalten ohne belastbare Berufsoder Lebensperspektive an den Tag lege, nachhaltige und bereits länger zurück reichende Änderungen in seinen persönlichen und vor allem auch beruflichen Lebensverhältnissen nicht zu verzeichnen seien, in der Hauptverhandlung bekundete Absichten, von künftigen Straftaten aus besserer Einsicht abzulassen, ersichtlich dem Verfahrensdruck geschuldet seien, der auf ihm gelastet habe, und es sich erst noch herausstellen müsse, ob der Angeklagte vor allem auch langfristig zu mehr als reinen Lippenbekenntnissen willens und in der Lage sei. Diese Erwägungen lassen besorgen, dass die Strafkammer bei dieser Würdigung die jüngste Entwicklung des Angeklagten nicht in genügendem Maße in den Blick genommen hat. Im Rahmen der Angaben zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten führt sie aus, der Angeklagte habe nur kurze Zeit nach der Tat monatliche Beratungsgespräche im Zentrum für Jugendberatung und Suchthilfe aufgenommen, habe sich Ende des Jahres 2014 dreieinhalb Wochen in stationärer Behandlung einer Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie befunden und sei schließlich am 26. Februar 2015 zur Durchführung einer stationären medizinischen Entwöhnungsbehandlung in einer Fachklinik aufgenommen worden, aus der er am 13. August 2015 entlassen werden sollte. Abschließend weist das Landgericht darauf hin, dass dem Angeklagten dort, bei negativen Drogentests, eine zuverlässige und sehr motivierte Mitarbeit bescheinigt werde. Angesichts der in diesen Ausführungen wiedergegebenen Entwicklung des Angeklagten, die nicht nur kurzfristiger Natur ist und belegt, dass der Angeklagte seit mehr als einem Jahr aktiv und offenbar nachhaltig Anstrengungen zur Bekämpfung seiner Drogenabhängigkeit unternommen hat, hält der Senat die Wertung des Landgerichts nicht für tragfähig, der Angeklagte lege bis heute ein „unreflektiertes“ Verhalten ohne belastbare Berufs- oderLebensperspektive an den Tag und lasse „nachhaltige und bereits länger zurück- liegende Änderungen in seinen persönlichen Lebensverhältnissen vermissen“. Die vom Angeklagten eingeleiteten Schritte gegen seine Drogensucht, wie sie sich den Urteilsgründen entnehmen lassen, weisen vielmehr darauf hin, dass er hiermit aus eigener Einsicht wesentliche Grundlagen seines bisherigen Lebens zu ändern in Angriff genommen hat.
10
Dieser Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Strafausspruchs. Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Strafkammer bei fehlerfreier Würdigung zu einem geringeren Erziehungsbedarf des Angeklagten und damit zu einer niedrigeren Einheitsjugendstrafe gelangt wäre. Richter am BGH Dr. Eschelbach, Richterinnen am BGH Dr. Bartel und Wimmer sind an der Unterschriftsleistung gehindert. Krehl Krehl Grube
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(1) Beim Bundesgerichtshof werden ein Großer Senat für Zivilsachen und ein Großer Senat für Strafsachen gebildet. Die Großen Senate bilden die Vereinigten Großen Senate. (2) Will ein Senat in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Sena
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(1) Beim Bundesgerichtshof werden ein Großer Senat für Zivilsachen und ein Großer Senat für Strafsachen gebildet. Die Großen Senate bilden die Vereinigten Großen Senate.

(2) Will ein Senat in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Senats abweichen, so entscheiden der Große Senat für Zivilsachen, wenn ein Zivilsenat von einem anderen Zivilsenat oder von dem Großen Zivilsenat, der Große Senat für Strafsachen, wenn ein Strafsenat von einem anderen Strafsenat oder von dem Großen Senat für Strafsachen, die Vereinigten Großen Senate, wenn ein Zivilsenat von einem Strafsenat oder von dem Großen Senat für Strafsachen oder ein Strafsenat von einem Zivilsenat oder von dem Großen Senat für Zivilsachen oder ein Senat von den Vereinigten Großen Senaten abweichen will.

(3) Eine Vorlage an den Großen Senat oder die Vereinigten Großen Senate ist nur zulässig, wenn der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, auf Anfrage des erkennenden Senats erklärt hat, daß er an seiner Rechtsauffassung festhält. Kann der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, wegen einer Änderung des Geschäftsverteilungsplanes mit der Rechtsfrage nicht mehr befaßt werden, tritt der Senat an seine Stelle, der nach dem Geschäftsverteilungsplan für den Fall, in dem abweichend entschieden wurde, zuständig wäre. Über die Anfrage und die Antwort entscheidet der jeweilige Senat durch Beschluß in der für Urteile erforderlichen Besetzung; § 97 Abs. 2 Satz 1 des Steuerberatungsgesetzes und § 74 Abs. 2 Satz 1 der Wirtschaftsprüferordnung bleiben unberührt.

(4) Der erkennende Senat kann eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung dem Großen Senat zur Entscheidung vorlegen, wenn das nach seiner Auffassung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist.

(5) Der Große Senat für Zivilsachen besteht aus dem Präsidenten und je einem Mitglied der Zivilsenate, der Große Senate für Strafsachen aus dem Präsidenten und je zwei Mitgliedern der Strafsenate. Legt ein anderer Senat vor oder soll von dessen Entscheidung abgewichen werden, ist auch ein Mitglied dieses Senats im Großen Senat vertreten. Die Vereinigten Großen Senate bestehen aus dem Präsidenten und den Mitgliedern der Großen Senate.

(6) Die Mitglieder und die Vertreter werden durch das Präsidium für ein Geschäftsjahr bestellt. Dies gilt auch für das Mitglied eines anderen Senats nach Absatz 5 Satz 2 und für seinen Vertreter. Den Vorsitz in den Großen Senaten und den Vereinigten Großen Senaten führt der Präsident, bei Verhinderung das dienstälteste Mitglied. Bei Stimmengleichheit gibt die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag.