Bundesgerichtshof Beschluss, 07. Okt. 2015 - XII ZB 58/15
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gründe:
I.
- 1
- Der 56-jährige Betroffene begehrt die Aufhebung seiner Betreuung.
- 2
- Für den Betroffenen, der im Jahr 1987 wegen Geistesschwäche entmündigt worden war, besteht seit langer Zeit eine rechtliche Betreuung. Sie wurde zuletzt durch Beschluss vom 18. März 2011 mit Überprüfungsfrist bis zum 18. März 2018 verlängert und umfasst derzeit die Aufgabenkreise Gesundheitssorge , Aufenthaltsbestimmung und Vermögenssorge. Ferner ist für die Vermögenssorge und die Aufenthaltsbestimmung ein Einwilligungsvorbehalt angeordnet.
- 3
- Im August 2014 beantragte der Betroffene "eine Aufhebung der Betreuung oder einen Betreuerwechsel". Das Amtsgericht hat den Antrag des Betroffenen auf Aufhebung der Betreuung abgelehnt. Die dagegen gerichtete Beschwerde hat das Landgericht zurückgewiesen.
- 4
- Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde.
II.
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- Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
- 6
- 1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, dass die Voraussetzungen für die Betreuung nach § 1896 Abs. 1 und Abs. 1 a BGB nicht weggefallen seien. Vielmehr seien sie aus den in der Verlängerungsentscheidung vom 18. März 2011 genannten Gründen weiterhin gegeben. Es sei weder dargelegt noch ersichtlich , dass sich an der bestehenden Situation seit der letzten Verlängerung der Betreuung etwas geändert hätte. Zuletzt seien im Zuge der Prüfung einer geschlossenen Unterbringung ausführliche medizinische Sachverständigengutachten des Prof. Dr. S. vom 28. November 2013 und des Herrn E. vom 17. Februar 2014 eingeholt worden. Aus beiden Gutachten folge, dass der Betroffene seit Jahrzehnten insbesondere an einem schizophrenen Residuum leide. Sein Zustand sei geprägt durch eine unkontrollierte Impulsivität und Aggressivität, einen Verlust an sozialer Kontaktfähigkeit und eine fehlende angemessene Selbstversorgung, so dass ihm eine selbständige Lebensführung ohne Unterstützung nicht möglich sei. Es bestehe im Einklang mit den Feststellungen des Amtsgerichts, die auf der Anhörung und dem sonstigen persönlichen Kontakt mit dem Betroffenen beruhen, kein Zweifel am Fortbestand der psychischen Erkrankung, die dazu führe, dass der Betroffene in den bestehenden Aufgabenkreisen weiterhin der Unterstützung durch einen Betreuer bedürfe. Bei dieser eindeutigen Sachlage bestehe keine Notwendigkeit für weitere Ermittlungen oder eine erneute persönliche Anhörung des Betroffenen.
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- 2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
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- a) Nach § 1908 d BGB ist eine Betreuung aufzuheben, wenn ihre Voraussetzungen weggefallen sind. Daher kann ein Antrag auf Aufhebung der Betreuung nur dann abgelehnt werden, wenn im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung sämtliche Voraussetzungen für die Bestellung des Betreuers noch vorliegen. Der Wegfall nur einer dieser Voraussetzungen reicht für die Aufhebung der Betreuung aus. Da nach § 1896 Abs. 1 a BGB gegen den freien Willen eines Volljährigen ein Betreuer nicht bestellt werden darf, muss vor der Ablehnung eines Antrags auf Aufhebung der Betreuung festgestellt werden, dass der Betroffene nicht in der Lage ist, seinen Willen in bestimmten Aufgabenkreisen frei zu bestimmen. Das Gericht hat daher auch im Aufhebungsverfahren festzustellen, ob der Betroffene trotz seiner Erkrankung noch zu einer freien Willensbestimmung fähig ist (Senatsbeschluss vom 16. September 2015 - XII ZB 500/14 - zur Veröffentlichung bestimmt).
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- Die beiden entscheidenden Kriterien sind dabei die Einsichtsfähigkeit des Betroffenen und dessen Fähigkeit, nach dieser Einsicht zu handeln. Fehlt es an einem dieser beiden Elemente, liegt kein freier, sondern nur ein natürlicher Wille vor. Einsichtsfähigkeit setzt die Fähigkeit des Betroffenen voraus, im Grundsatz die für und wider eine Betreuerbestellung sprechenden Gesichtspunkte zu erkennen und gegeneinander abzuwägen. Dabei dürfen jedoch keine überspannten Anforderungen an die Auffassungsgabe des Betroffenen gestellt werden. Auch der an einer Erkrankung im Sinne des § 1896 Abs. 1 BGB leidende Betroffene kann in der Lage sein, einen freien Willen zu bilden und ihn zu äußern. Der Betroffene muss Grund, Bedeutung und Tragweite einer Betreuung intellektuell erfassen können, was denknotwendig voraussetzt, dass der Betroffene seine Defizite im Wesentlichen zutreffend einschätzen und auf der Grundlage dieser Einschätzung die für oder gegen eine Betreuung sprechenden Gesichtspunkte gegeneinander abwägen kann. Ist der Betroffene zur Bildung eines klaren Urteils zur Problematik der Betreuerbestellung in der Lage, muss ihm weiter möglich sein, nach diesem Urteil zu handeln und sich dabei von den Einflüssen interessierter Dritter abzugrenzen (Senatsbeschluss vom 22. Januar 2014 - XII ZB 632/12 - FamRZ 2014, 647 Rn. 7 f. mwN).
- 10
- Dabei müssen die Feststellungen zum Ausschluss der freien Willensbestimmung - auch im Aufhebungsverfahren - durch ein noch aktuelles Sachverständigengutachten belegt sein (Senatsbeschluss vom 16. September 2015 - XII ZB 500/14 - zur Veröffentlichung bestimmt).
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- b) Gemessen daran rügt die Rechtsbeschwerde zu Recht, dass es an ausreichenden Feststellungen zu den Voraussetzungen des § 1896 Abs. 1 a BGB fehlt.
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- aa) Feststellungen dazu, ob der Betroffene in den von der Betreuungsanordnung erfassten Aufgabenbereichen zur freien Willensbildung fähig ist, können schon deshalb nicht auf Erkenntnisse aus dem letzten amtsgerichtlichen Verlängerungsverfahren im Jahre 2011 gestützt werden, weil der Betroffene seinerzeit mit der Aufrechterhaltung der Betreuung einverstanden war. Damit entfiel für das Amtsgericht die Pflicht zur Prüfung, ob der Betroffene zur Bildung eines freien Willens in der Lage war.
- 13
- Tragfähige Feststellungen zu den Voraussetzungen des § 1896 Abs. 1 a BGB hätten sich aufgrund der im Verlängerungsverfahren durchgeführten Er- mittlungen auch nicht treffen lassen können. Das Amtsgericht hat im Verlängerungsverfahren - verfahrensfehlerhaft - weder ein den Anforderungen des § 280 FamFG genügendes neues Sachverständigengutachten (§ 295 Abs. 1 Satz 1 FamFG) noch ein ärztliches Zeugnis gemäß § 295 Abs. 1 Satz 2 FamFG eingeholt. Es hat vielmehr ein in einem Unterbringungsverfahren eingeholtes medizinisches Sachverständigengutachten des Dr. R. vom 28. Oktober 2010 verwertet. Diesem Gutachten lässt sich zwar entnehmen, dass der Betroffene aufgrund seiner schizophrenen Erkrankung im Zeitpunkt der Begutachtung nicht in der Lage war, die Notwendigkeit einer Heilbehandlung und einer geschlossenen Unterbringung zu erkennen und nach dieser Einsicht zu handeln. Damit ist jedoch noch nichts darüber ausgesagt, ob dem Betroffenen krankheitsbedingt die Fähigkeit fehlt, die für und gegen eine Bestellung eines Betreuers - insbesondere mit dem Aufgabenkreis der Vermögenssorge - sprechenden Gesichtspunkte zu erfassen und gegeneinander abzuwägen.
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- bb) Nichts anderes gilt für die vom Beschwerdegericht ergänzend herangezogenen Sachverständigengutachten des Prof. Dr. S. vom 28. November 2013 und des Herrn E. vom 17. Februar 2014. Auch diese Gutachten sind in Unterbringungsverfahren eingeholt worden und verhalten sich (lediglich) dazu, dass der Betroffene aufgrund seiner Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis nicht in der Lage ist, die Notwendigkeit einer geschlossenen Unterbringung zu erkennen und nach dieser Einsicht zu handeln.
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- 3. Die angefochtene Entscheidung kann daher keinen Bestand haben. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung , zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.
- 16
- 4. Die Zurückverweisung gibt dem Landgericht auch Gelegenheit, ergänzende Feststellungen zum Vorliegen eines objektiven Betreuungsbedarfs und - insbesondere - zu den Voraussetzungen für die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts zu treffen. Dose Schilling Günter Nedden-Boeger Botur
AG Herford, Entscheidung vom 24.11.2014 - 6 XVII 696/14 H -
LG Bielefeld, Entscheidung vom 15.01.2015 - 23 T 873/14 -
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(1) Vor der Bestellung eines Betreuers oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts hat eine förmliche Beweisaufnahme durch Einholung eines Gutachtens über die Notwendigkeit der Maßnahme stattzufinden. Der Sachverständige soll Arzt für Psychiatrie oder Arzt mit Erfahrung auf dem Gebiet der Psychiatrie sein.
(2) Der Sachverständige hat den Betroffenen vor der Erstattung des Gutachtens persönlich zu untersuchen oder zu befragen. Das Ergebnis einer Anhörung nach § 279 Absatz 2 Satz 2 hat der Sachverständige zu berücksichtigen, wenn es ihm bei Erstellung seines Gutachtens vorliegt.
(3) Das Gutachten hat sich auf folgende Bereiche zu erstrecken:
- 1.
das Krankheits- oder Behinderungsbild einschließlich dessen Entwicklung, - 2.
die durchgeführten Untersuchungen und die diesen zugrunde gelegten Forschungserkenntnisse, - 3.
den körperlichen und psychischen Zustand des Betroffenen, - 4.
den aus medizinischer Sicht aufgrund der Krankheit oder Behinderung erforderlichen Unterstützungsbedarf und - 5.
die voraussichtliche Dauer der Maßnahme.
(1) Für die Verlängerung der Bestellung eines Betreuers oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts gelten die Vorschriften über die erstmalige Anordnung dieser Maßnahmen entsprechend. Von der erneuten Einholung eines Gutachtens kann abgesehen werden, wenn sich aus der persönlichen Anhörung des Betroffenen und einem ärztlichen Zeugnis ergibt, dass sich der Umfang der Betreuungsbedürftigkeit offensichtlich nicht verringert hat und eine Verlängerung dem erklärten Willen des Betroffenen nicht widerspricht. Das Gericht hat die zuständige Behörde nur anzuhören, wenn es der Betroffene verlangt oder es zur Sachaufklärung erforderlich ist.
(2) Über die Verlängerung der Betreuung oder des Einwilligungsvorbehalts hat das Gericht spätestens sieben Jahre nach der Anordnung dieser Maßnahmen zu entscheiden. Ist die Maßnahme gegen den erklärten Willen des Betroffenen angeordnet worden, ist über eine erstmalige Verlängerung spätestens nach zwei Jahren zu entscheiden.
(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft ist und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.
(2) Ergibt die Begründung des angefochtenen Beschlusses zwar eine Rechtsverletzung, stellt sich die Entscheidung aber aus anderen Gründen als richtig dar, ist die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
(3) Der Prüfung des Rechtsbeschwerdegerichts unterliegen nur die von den Beteiligten gestellten Anträge. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die geltend gemachten Rechtsbeschwerdegründe nicht gebunden. Auf Verfahrensmängel, die nicht von Amts wegen zu berücksichtigen sind, darf die angefochtene Entscheidung nur geprüft werden, wenn die Mängel nach § 71 Abs. 3 und § 73 Satz 2 gerügt worden sind. Die §§ 559, 564 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend.
(4) Auf das weitere Verfahren sind, soweit sich nicht Abweichungen aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts ergeben, die im ersten Rechtszug geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden.
(5) Soweit die Rechtsbeschwerde begründet ist, ist der angefochtene Beschluss aufzuheben.
(6) Das Rechtsbeschwerdegericht entscheidet in der Sache selbst, wenn diese zur Endentscheidung reif ist. Andernfalls verweist es die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und des Verfahrens zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das Beschwerdegericht oder, wenn dies aus besonderen Gründen geboten erscheint, an das Gericht des ersten Rechtszugs zurück. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Gerichts erfolgen, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat. Das Gericht, an das die Sache zurückverwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde liegt, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.
(7) Von einer Begründung der Entscheidung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.