Bundesgerichtshof Beschluss, 14. Jan. 2015 - XII ZB 470/14

published on 14/01/2015 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 14. Jan. 2015 - XII ZB 470/14
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Landgericht Lübeck, 7 T 483/14, 20/08/2014

Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 470/14
vom
14. Januar 2015
in der Unterbringungssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Enthält bei der Genehmigung einer Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme
oder bei deren Anordnung die Beschlussformel keine Angaben zur
Durchführung und Dokumentation dieser Maßnahme in der Verantwortung eines
Arztes, ist die Anordnung insgesamt gesetzeswidrig und wird der untergebrachte
Betroffene in seinen Rechten verletzt (im Anschluss an Senatsbeschluss
vom 4. Juni 2014 - XII ZB 121/14 - FamRZ 2014, 1358).
BGH, Beschluss vom 14. Januar 2015 - XII ZB 470/14 - LG Lübeck
AG Lübeck
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. Januar 2015 durch die
Richter Dr. Klinkhammer, Schilling, Dr. Günter, Dr. Nedden-Boeger und
Dr. Botur

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Lübeck vom 9. Juli 2014 und der Beschluss der 7. Zivilkammer des Landgerichts Lübeck vom 20. August 2014 die Betroffene in ihren Rechten verletzt haben. Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtsgebührenfrei. Die außergerichtlichen Kosten der Betroffenen werden der Staatskasse auferlegt. Beschwerdewert: 5.000 €

Gründe:

I.

1
Das Amtsgericht hat die Einwilligung der Beteiligten zu 2 (Betreuerin) in die zwangsweise Behandlung der geschlossen untergebrachten Betroffenen durch Verabreichung näher bestimmter Medikation genehmigt. Die Beschlussformel enthält keine Angaben zur Durchführung und Dokumentation dieser Maßnahme in der Verantwortung eines Arztes. Das Landgericht hat die Beschwerde des Verfahrenspflegers zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Betroffenen, mit der sie - nach Ablauf der längstens bis zum 20. August 2014 befristeten - Genehmigung die Feststellung der Rechtswidrigkeit nach § 62 FamFG beantragt.

II.

2
Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet.
3
1. Bei der Genehmigung der Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme handelt es sich nach § 312 Satz 1 Nr. 1 FamFG um eine Unterbringungssache. Die Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde ergibt sich auch im Fall der hier aufgrund Zeitablaufs eingetretenen Erledigung aus § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FamFG (Senatsbeschlüsse vom 4. Juni 2014 - XII ZB 121/14 - FamRZ 2014, 1358 Rn. 4 und vom 29. Januar 2014 - XII ZB 330/13 - FamRZ 2014, 649 Rn. 7).
4
2. Die Entscheidungen von Amts- und Landgericht zur ärztlichen Zwangsmaßnahme haben die Betroffene in ihren Rechten verletzt, was nach der in der Rechtsbeschwerdeinstanz entsprechend anwendbaren Vorschrift des § 62 FamFG (Senatsbeschlüsse vom 4. Juni 2014 - XII ZB 121/14 - FamRZ 2014, 1358 Rn. 5 und vom 29. Januar 2014 - XII ZB 330/13 - FamRZ 2014, 649 Rn. 8) festzustellen ist.
5
a) Das Amtsgericht hat ein psychiatrisches Sachverständigengutachten zur Notwendigkeit einer geschlossenen Unterbringung sowie zum Vorliegen der medizinischen Voraussetzungen für eine zwangsweise Behandlung der Betroffenen eingeholt und die Betroffene angehört. Auf dieser Grundlage ist - teilweise ergänzend durch das Landgericht - festgestellt worden, dass bei vorliegender paranoider Schizophrenie der Betroffenen eine Medikation zur Behandlung akuter Agitiertheit und Aggressivität und zudem zum Wohle der Be- troffenen erforderlich sei, um einen drohenden erheblichen gesundheitlichen Schaden abzuwenden. Angesichts des vorherigen Absetzens der oralen Medikation sei bereits eine Befundverschlechterung eingetreten. Es müsse mit einer weiteren Befundverschlechterung und einer Chronifizierung auf niedrigem Niveau gerechnet werden. Es stehe insoweit im Vordergrund, zunächst die wahnhafte Symptomatik zu behandeln. Es müsse davon ausgegangen werden, dass die Betroffene im Falle der nicht erfolgten Medikation dauerhaft geschlossen untergebracht werden müsse. Auch schwerwiegende Eingriffe wie Fixierungen, zu denen es immer wieder gekommen sei, könnten und sollten durch die Medikation vermieden werden. Der zu erwartende Nutzen der ärztlichen Zwangsmaßnahme überwiege die von dieser zu erwartenden Beeinträchtigungen. Der Sachverständige habe sich auch mit den möglichen Nebenwirkungen der Behandlung auseinandergesetzt und mitgeteilt, dass nicht tolerable Nebenwirkungen auch im Hinblick auf die vorliegende Herzerkrankung der Betroffenen bisher nicht aufgetreten seien. Die Betroffene sei nicht in der Lage, einen freien Willen zu bilden. Aufgrund ihrer wahnhaften Störung sei sie nicht in der Lage, die Notwendigkeit einer medizinischen Behandlung zu erkennen und danach zu handeln. Beide Instanzen haben danach die Voraussetzungen für eine Zwangsbehandlung für gegeben erachtet. Das Landgericht hat in seinem Beschluss darauf hingewiesen, dass die Beschlussformel in künftigen Fällen gemäß § 323 Abs. 2 FamFG zu ergänzen sein werde.
6
b) Die Entscheidungen des Amts- und Landgerichts halten insoweit einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
7
Gemäß § 323 Abs. 2 FamFG muss die Beschlussformel bei der Genehmigung einer Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme oder bei deren Anordnung Angaben darüber enthalten, dass die Zwangsmaßnahme unter der Verantwortung eines Arztes durchzuführen und zu dokumentieren ist (BT- Drucks. 17/11513 S. 8; vgl. auch Senatsbeschluss BGHZ 193, 337 = FamRZ 2012, 1366 Rn. 40). Hierbei handelt es sich nicht lediglich um einen klarstellenden Ausspruch. Vielmehr wird durch den Beschlusstenor die Rechtmäßigkeit der ärztlichen Zwangsmaßnahme unabhängig von aus dem zivilrechtlichen Behandlungsvertrag folgenden Pflichten daran geknüpft, dass diese Vorgaben erfüllt sind (Senatsbeschluss vom 4. Juni 2014 - XII ZB 121/14 - FamRZ 2014, 1358 Rn. 22; vgl. auch Keidel/Budde FamFG 18. Aufl. § 323 Rn. 8).
8
An den danach zwingend erforderlichen Anordnungen fehlt es im amtsgerichtlichen Beschluss. Das Landgericht hätte die dagegen eingelegte Beschwerde nicht zurückweisen dürfen, ohne der Beschlussformel die nach § 323 Abs. 2 FamFG erforderlichen Angaben zur Durchführung und Dokumentation dieser Maßnahme in der Verantwortung eines Arztes zuzufügen. Durch dieses Unterlassen bleibt die Anordnung insgesamt gesetzeswidrig und wird die Betroffene in ihren Rechten verletzt.
9
c) Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung , zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG). Klinkhammer Schilling Günter Nedden-Boeger Botur
Vorinstanzen:
AG Lübeck, Entscheidung vom 09.07.2014 - 4 XVII B 24348 -
LG Lübeck, Entscheidung vom 20.08.2014 - 7 T 483/14 -
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(1) Die Rechtsbeschwerde eines Beteiligten ist statthaft, wenn sie das Beschwerdegericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug in dem Beschluss zugelassen hat. (2) Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, wenn 1. die Rechtssache grundsätzlic

(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft ist und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig

(1) Hat sich die angefochtene Entscheidung in der Hauptsache erledigt, spricht das Beschwerdegericht auf Antrag aus, dass die Entscheidung des Gerichts des ersten Rechtszugs den Beschwerdeführer in seinen Rechten verletzt hat, wenn der Beschwerdeführ
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Annotations

(1) Die Beschlussformel enthält im Fall der Genehmigung oder Anordnung einer Unterbringungsmaßnahme auch

1.
die nähere Bezeichnung der Unterbringungsmaßnahme sowie
2.
den Zeitpunkt, zu dem die Unterbringungsmaßnahme endet.

(2) Die Beschlussformel enthält bei der Genehmigung einer Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme oder bei deren Anordnung auch Angaben zur Durchführung und Dokumentation dieser Maßnahme in der Verantwortung eines Arztes.

(1) Hat sich die angefochtene Entscheidung in der Hauptsache erledigt, spricht das Beschwerdegericht auf Antrag aus, dass die Entscheidung des Gerichts des ersten Rechtszugs den Beschwerdeführer in seinen Rechten verletzt hat, wenn der Beschwerdeführer ein berechtigtes Interesse an der Feststellung hat.

(2) Ein berechtigtes Interesse liegt in der Regel vor, wenn

1.
schwerwiegende Grundrechtseingriffe vorliegen oder
2.
eine Wiederholung konkret zu erwarten ist.

(3) Hat der Verfahrensbeistand oder der Verfahrenspfleger die Beschwerde eingelegt, gelten die Absätze 1 und 2 entsprechend.

Unterbringungssachen sind Verfahren, die die Genehmigung oder Anordnung einer

1.
freiheitsentziehenden Unterbringung nach § 1831 Absatz 1 und 2 auch in Verbindung mit Absatz 5 des Bürgerlichen Gesetzbuchs,
2.
freiheitsentziehenden Maßnahme nach § 1831 Absatz 4 auch in Verbindung mit Absatz 5 des Bürgerlichen Gesetzbuchs,
3.
ärztlichen Zwangsmaßnahme, auch einschließlich einer Verbringung zu einem stationären Aufenthalt, nach § 1832 Absatz 1, 2 und 4 auch in Verbindung mit Absatz 5 des Bürgerlichen Gesetzbuchs oder
4.
freiheitsentziehenden Unterbringung, freiheitsentziehenden Maßnahme oder ärztlichen Zwangsmaßnahme bei Volljährigen nach den Landesgesetzen über die Unterbringung psychisch Kranker
betreffen (Unterbringungsmaßnahme).

(1) Die Rechtsbeschwerde eines Beteiligten ist statthaft, wenn sie das Beschwerdegericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug in dem Beschluss zugelassen hat.

(2) Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.

(3) Die Rechtsbeschwerde gegen einen Beschluss des Beschwerdegerichts ist ohne Zulassung statthaft in

1.
Betreuungssachen zur Bestellung eines Betreuers, zur Aufhebung einer Betreuung, zur Anordnung oder Aufhebung eines Einwilligungsvorbehalts,
2.
Unterbringungssachen und Verfahren nach § 151 Nr. 6 und 7 sowie
3.
Freiheitsentziehungssachen.
In den Fällen des Satzes 1 Nr. 2 und 3 gilt dies nur, wenn sich die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss richtet, der die Unterbringungsmaßnahme oder die Freiheitsentziehung anordnet. In den Fällen des Satzes 1 Nummer 3 ist die Rechtsbeschwerde abweichend von Satz 2 auch dann ohne Zulassung statthaft, wenn sie sich gegen den eine freiheitsentziehende Maßnahme ablehnenden oder zurückweisenden Beschluss in den in § 417 Absatz 2 Satz 2 Nummer 5 genannten Verfahren richtet.

(4) Gegen einen Beschluss im Verfahren über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung einer einstweiligen Anordnung oder eines Arrests findet die Rechtsbeschwerde nicht statt.

(1) Hat sich die angefochtene Entscheidung in der Hauptsache erledigt, spricht das Beschwerdegericht auf Antrag aus, dass die Entscheidung des Gerichts des ersten Rechtszugs den Beschwerdeführer in seinen Rechten verletzt hat, wenn der Beschwerdeführer ein berechtigtes Interesse an der Feststellung hat.

(2) Ein berechtigtes Interesse liegt in der Regel vor, wenn

1.
schwerwiegende Grundrechtseingriffe vorliegen oder
2.
eine Wiederholung konkret zu erwarten ist.

(3) Hat der Verfahrensbeistand oder der Verfahrenspfleger die Beschwerde eingelegt, gelten die Absätze 1 und 2 entsprechend.

(1) Die Beschlussformel enthält im Fall der Genehmigung oder Anordnung einer Unterbringungsmaßnahme auch

1.
die nähere Bezeichnung der Unterbringungsmaßnahme sowie
2.
den Zeitpunkt, zu dem die Unterbringungsmaßnahme endet.

(2) Die Beschlussformel enthält bei der Genehmigung einer Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme oder bei deren Anordnung auch Angaben zur Durchführung und Dokumentation dieser Maßnahme in der Verantwortung eines Arztes.

(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft ist und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.

(2) Ergibt die Begründung des angefochtenen Beschlusses zwar eine Rechtsverletzung, stellt sich die Entscheidung aber aus anderen Gründen als richtig dar, ist die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.

(3) Der Prüfung des Rechtsbeschwerdegerichts unterliegen nur die von den Beteiligten gestellten Anträge. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die geltend gemachten Rechtsbeschwerdegründe nicht gebunden. Auf Verfahrensmängel, die nicht von Amts wegen zu berücksichtigen sind, darf die angefochtene Entscheidung nur geprüft werden, wenn die Mängel nach § 71 Abs. 3 und § 73 Satz 2 gerügt worden sind. Die §§ 559, 564 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend.

(4) Auf das weitere Verfahren sind, soweit sich nicht Abweichungen aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts ergeben, die im ersten Rechtszug geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden.

(5) Soweit die Rechtsbeschwerde begründet ist, ist der angefochtene Beschluss aufzuheben.

(6) Das Rechtsbeschwerdegericht entscheidet in der Sache selbst, wenn diese zur Endentscheidung reif ist. Andernfalls verweist es die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und des Verfahrens zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das Beschwerdegericht oder, wenn dies aus besonderen Gründen geboten erscheint, an das Gericht des ersten Rechtszugs zurück. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Gerichts erfolgen, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat. Das Gericht, an das die Sache zurückverwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde liegt, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(7) Von einer Begründung der Entscheidung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.