Bundesgerichtshof Beschluss, 28. Juli 2015 - XII ZB 44/15
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gründe:
I.
- 1
- Der Beteiligte zu 2 wendet sich als Verfahrenspfleger gegen die betreuungsgerichtliche Genehmigung einer unterbringungsähnlichen Maßnahme für den Betroffenen.
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- Für diesen besteht seit November 2000 eine rechtliche Betreuung u. a. mit den Aufgabenkreisen Aufenthaltsbestimmung und Sorge für die Gesundheit. Im März 2013 hat der Betreuer beantragt, die Unterbringung des Betroffenen, der zu diesem Zeitpunkt in einer offenen Pflegeinrichtung gelebt hat, betreuungsgericht- lich zu genehmigen. Nach Einholung eines Sachverständigengutachtens und Anhörung des Betroffenen hat das Amtsgericht die Unterbringung des Betroffenen in der geschlossenen Abteilung eines fachpsychiatrischen Krankenhauses oder einer geschlossen geführten Pflegeeinrichtung für die Dauer von zwei Jahren genehmigt (Ziffer 1). Ferner heißt es in Ziffer 2 des Tenors der Entscheidung: "Die zeitweise oder regelmäßige Freiheitsentziehung des Betroffenen durch – Verschließen der Zimmertür wird bis zum 21.10.2016 durch die Unterbringungsanordnung mitumfasst und bedarf keiner weiteren gesonderten gerichtlichen Genehmigung. Der Betreuer und der anordnende Arzt haben sich jedoch vor und während der Maßnahme jeweils von deren Unbedenklichkeit und davon zu überzeugen, dass sich die Beschränkung der Freiheit des Betroffenen nur auf ein unbedingt erforderliches Maß erstreckt, eine schriftliche Aufzeichnung über Art und Dauer erstellt wird und das Pflegepersonal für den Betroffenen stets erreichbar sein muss."
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- Zugleich hat das Amtsgericht den Beteiligten zu 2 zum Verfahrenspfleger bestellt. Dessen Beschwerde hat es abgeholfen, soweit sich das Rechtsmittel gegen die Bezeichnung der Art der Unterbringungseinrichtung in Ziffer 1 des Entscheidungsausspruchs gerichtet hat. Die weitergehende Beschwerde, mit der sich der Beteiligte zu 2 gegen die Anordnungen in Ziffer 2 des Tenors wendet, hat das Landgericht zurückgewiesen.
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- Mit der Rechtsbeschwerde begehrt der Beteiligte zu 2 weiterhin die Aufhebung der in Ziffer 2 des angefochtenen amtsgerichtlichen Beschlusses ge- troffenen Anordnungen, die sich auf die zeitweise oder regelmäßige Freiheitsentziehung des Betroffenen durch Verschließen der Zimmertür beziehen.
II.
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- Die zulässige Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
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- 1. Das Landgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt:
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- Die in Rechtsprechung und Literatur diskutierte Rechtsfrage, ob der Genehmigungsvorbehalt nach § 1906 Abs. 4 BGB auch dann gelte, wenn die unterbringungsähnliche Maßnahme eine bereits untergebrachte Person betreffe, sei durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs geklärt. Der Bundesgerichtshof habe es als zulässig erachtet, dass die regelmäßige Freiheitsentziehung des untergebrachten Betroffenen durch mechanische Vorrichtungen in entsprechender Anwendung des § 1906 Abs. 4 BGB genehmigt werden könne.
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- Diese Frage stelle sich im vorliegenden Fall jedoch nicht als Problem dar. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers habe der Betreuungsrichter in Ziffer 2 des Tenors den Umfang der von ihm getroffenen Unterbringungsanordnung genau beschrieben. Er habe die freiheitsentziehende Maßnahme, deren Dauer, die Pflichten von Betreuer, Arzt und Pflegepersonal zur Begrenzung der Maßnahme und die Pflicht zur Dokumentation sowie zur ständigen Erreichbarkeit genau bezeichnet. Der Betreuungsrichter habe damit für die handelnden Verfahrensbeteiligten präzise die Befugnisse im Rahmen der Unterbringung benannt. Er habe damit eine unterbringungsähnliche Maßnahme gemäß § 1906 Abs. 4 BGB einer richterlichen Kontrolle unterworfen und für zulässig erachtet. Der entgegenstehende Inhalt der Beschlussbegründung könne daran nichts ändern, weil nur die Beschlussformel maßgeblich sei. Danach handele es sich um eine Genehmigung nach § 1906 Abs. 4 BGB.
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- 2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Überprüfung nicht in allen Punkten stand.
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- a) Zutreffend ist das Beschwerdegericht allerdings davon ausgegangen, dass die zeitweise oder regelmäßige Freiheitsentziehung des nach § 1906 Abs. 1 BGB untergebrachten Betroffenen durch Verschließen der Zimmertür als freiheitsbeschränkende Maßnahme (vgl. hierzu Senatsbeschluss vom 7. Januar 2015 - XII ZB 395/14 - FamRZ 2015, 567 Rn. 22; BT-Drucks. 11/4528 S. 149) gemäß § 1906 Abs. 4 BGB der betreuungsgerichtlichen Genehmigung bedarf.
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- Der Senat hat bereits mehrfach entschieden, dass es auch im Rahmen einer genehmigten Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 BGB der gesonderten betreuungsgerichtlichen Genehmigung nach § 1906 Abs. 4 BGB bedarf, wenn dem Betroffenen durch mechanische Vorrichtungen, Medikamente oder auf andere Weise über einen längeren Zeitraum oder regelmäßig die Freiheit entzogen werden soll (Senatsbeschlüsse vom 15. September 2010 - XII ZB 383/10 - FamRZ 2010, 1726 Rn. 27; vom 12. September 2012 - XII ZB 543/11 - FamRZ 2012, 1866 Rn. 14 und BGHZ 166, 141, 153 = FamRZ 2006, 615, 618). Zwar sieht der Wortlaut des § 1906 Abs. 4 BGB eine Genehmigungspflicht für unterbringungsähnliche Maßnahmen nur für Betreute vor, die sich in einer Anstalt, einem Heim oder einer sonstigen Einrichtung aufhalten, ohne untergebracht zu sein. Da die Unterbringung den Betroffenen im Einzelfall jedoch regelmäßig weniger beeinträchtigt als eine zusätzliche freiheitsentziehende Maßnahme iSv § 1906 Abs. 4 BGB, ist letztere stets auch dann gesondert gerichtlich zu genehmigen, wenn der Betroffene nach § 1906 Abs. 1 bis 3 BGB untergebracht ist (Senatsbeschluss vom 12. September 2012 - XII ZB 543/11 - FamRZ 2012, 1866 Rn. 14 mwN). Diese Sichtweise entspricht auch der ganz überwiegenden Auffassung in der Rechtsprechung und dem Schrifttum (OLG Frankfurt FamRZ 2007, 673; OLG München FamRZ 2005, 1196; OLG Düsseldorf FamRZ 1995, 118; BayObLG FamRZ 1994, 721, 722; Staudinger/Bienwald BGB [2013] § 1906 Rn. 94; Palandt/Götz BGB 74. Aufl. § 1906 Rn. 34; Jürgens/Marschner Betreuungsrecht 5. Aufl. § 1906 BGB Rn. 39; BeckOK BGB/Gabriele Müller [Stand: November 2014] § 1906 Rn. 21; Bienwald/Sonnenfeld/Hoffmann Betreuungsrecht 5. Aufl. § 1906 BGB Rn. 80; a. A. LG Baden-Baden FamRZ 2010, 1471; LG Ulm FamRZ 2010, 1764; LG Freiburg FamRZ 2010, 1846).
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- b) Die zeitweise oder regelmäßige Freiheitsentziehung des Betroffenen durch Verschließen der Zimmertür durfte jedoch deshalb nicht betreuungsrechtlich genehmigt werden, weil weder den Feststellungen der Instanzgerichte zu entnehmen noch sonst ersichtlich ist, dass der Betreuer das Verschließen der Zimmertür des Betroffenen begehrt, geschweige denn die Genehmigung hierzu beantragt hat. Dies ist aber notwendige Voraussetzung für eine Entscheidung nach § 1906 Abs. 4 BGB (Senatsbeschluss vom 15. September 2010 - XII ZB 383/10 - FamRZ 2010, 1726 Rn. 27).
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- Dabei kann dahinstehen, ob das Genehmigungsverfahren nach § 1906 BGB einen förmlichen Antrag des Betreuers voraussetzt (ablehnend Staudinger/ Bienwald BGB [2013] § 1906 Rn. 131; MünchKommBGB/Schwab 6. Aufl. § 1906 Rn. 57; Bienwald/Sonnenfeld/Hoffmann Betreuungsrecht 5. Aufl. § 1906 BGB Rn. 180; bejahend NK-BGB/Heitmann 2. Aufl. § 1906 Rn. 34, 64; vgl. auch BVerfG FamRZ 2009, 945 Rn. 17 zur Notwendigkeit eines Antrags des Vorsorgebevollmächtigten nach §§ 1906 Abs. 5 Satz 2, Abs. 4 BGB). Da das Gericht nach § 1906 BGB nur die Genehmigung zu einer vom Betreuer beabsichtigten Maßnahme erteilt, dieser für den Vollzug der Maßnahme indes allein verantwortlich bleibt (vgl. Jürgens/Marschner Betreuungsrecht 5. Aufl. § 1906 BGB Rn. 27; BeckOK BGB/Gabriele Müller [Stand: November 2014] § 1906 Rn. 18), muss zumindest aus dem Verhalten des Betreuers ersichtlich sein, dass er die Ge- nehmigung der Unterbringung oder unterbringungsähnlichen Maßnahme wünscht (BayObLG FamRZ 2000, 566, 567; MünchKommBGB/Schwab 6. Aufl. § 1906 Rn. 57).
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- Dies lässt sich den bisher getroffenen Feststellungen nicht entnehmen. Der Betreuer hat mit Schreiben vom 28. März 2013 und 21. Mai 2014 nur beantragt , den Betroffenen in einer geschlossenen Wohnstätte unterzubringen. In beiden Schreiben finden sich keine Anhaltspunkte dafür, dass der Betreuer auch beabsichtigte, gegenüber der Unterbringungseinrichtung sein Einverständnis zu einem - regelmäßigen oder über einen längeren Zeitraum andauernden - zusätzlichen Verschließen der Zimmertür des Betroffenen zu erteilen. Das Amtsgericht hat diese freiheitsentziehende Maßnahme nur deshalb für erforderlich erachtet, weil der zur Vorbereitung der Entscheidung beauftragte Sachverständige einen Einschluss des Betroffenen bei starken Erregungs- oder Unruhezuständen für eine geeignete und notwendige Interventionsmaßnahme gehalten hat. Dass sich der Betreuer diese Einschätzung zu Eigen gemacht hat und über die bloße Unterbringung des Betroffenen hinaus auch eine Genehmigung für einen entsprechenden Einschluss des Betroffenen in seinem Zimmer wünschte, ist nicht festgestellt.
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- Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass der Betreuer in der Vergangenheit wiederholt die Genehmigung freiheitsbeschränkender Maßnahmen in Form des zeitweisen Einschließens des Betroffenen in seinem Zimmer beantragt hat. In dieser Zeit hielt sich der Betroffene in einer offenen Pflege- und Behinderteneinrichtung auf. Im vorliegenden Fall hat der Betreuer jedoch erstmals die Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung beantragt, weil der Betroffene in dem bisherigen Pflegeheim für das Personal nicht mehr führbar war. Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Betreuer mit der erstmaligen Unterbringung des Betroffenen in einer geschlossenen Einrichtung die Er- wartung verbunden hat, auf ein regelmäßiges oder über einen längeren Zeitraum andauerndes zusätzliches Verschließen des Zimmers könne nunmehrverzichtet werden, durfte das Beschwerdegericht nicht davon ausgehen, dass der Betreuer auch die Genehmigung dieser zusätzlichen freiheitsbeschränkenden Maßnahme wünscht.
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- 3. Danach kann die angegriffene Entscheidung keinen Bestand haben. Der Senat kann in der Sache selbst befinden, weil diese zur Endentscheidung reif ist (§ 74 Abs. 6 Satz 1 FamFG).
Vorinstanzen:
AG Freiberg, Entscheidung vom 21.10.2014 - 2 XVII 394/07 -
LG Chemnitz, Entscheidung vom 16.01.2015 - 3 T 717/14 -
Annotations
(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft ist und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.
(2) Ergibt die Begründung des angefochtenen Beschlusses zwar eine Rechtsverletzung, stellt sich die Entscheidung aber aus anderen Gründen als richtig dar, ist die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
(3) Der Prüfung des Rechtsbeschwerdegerichts unterliegen nur die von den Beteiligten gestellten Anträge. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die geltend gemachten Rechtsbeschwerdegründe nicht gebunden. Auf Verfahrensmängel, die nicht von Amts wegen zu berücksichtigen sind, darf die angefochtene Entscheidung nur geprüft werden, wenn die Mängel nach § 71 Abs. 3 und § 73 Satz 2 gerügt worden sind. Die §§ 559, 564 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend.
(4) Auf das weitere Verfahren sind, soweit sich nicht Abweichungen aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts ergeben, die im ersten Rechtszug geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden.
(5) Soweit die Rechtsbeschwerde begründet ist, ist der angefochtene Beschluss aufzuheben.
(6) Das Rechtsbeschwerdegericht entscheidet in der Sache selbst, wenn diese zur Endentscheidung reif ist. Andernfalls verweist es die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und des Verfahrens zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das Beschwerdegericht oder, wenn dies aus besonderen Gründen geboten erscheint, an das Gericht des ersten Rechtszugs zurück. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Gerichts erfolgen, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat. Das Gericht, an das die Sache zurückverwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde liegt, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.
(7) Von einer Begründung der Entscheidung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.