Bundesgerichtshof Beschluss, 05. März 2008 - XII ZB 186/05
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gründe:
I.
- 1
- Die Parteien streiten um den Zugewinnausgleich.
- 2
- Mit Vorbehaltsurteil vom 25. April 2002 hat das Amtsgericht die Beklagte verurteilt, an ihren geschiedenen Ehemann einen Zugewinnausgleich zu zahlen. Nach dem Tod des Ehemannes haben seine Mutter (Klägerin zu 1) und seine Schwestern (Klägerinnen zu 2 bis 4) den Rechtsstreit als Erbengemeinschaft aufgenommen und den Anspruch auf Zugewinnausgleich weiterverfolgt.
- 3
- Zur Begründung ihres Wiedereinsetzungsantrags hat die Beklagte vorgetragen , weder sie noch ihren Prozessbevollmächtigten treffe ein Verschulden an der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist. Nach Zustellung des Urteils seien darauf die Berufungs- und die Berufungsbegründungsfrist vermerkt worden. Diese Fristen seien jeweils mit zwei Vorfristen im Fristenkalender notiert worden. Im Büro ihres Prozessbevollmächtigten werde die Sache bei Ablauf einer Vorfrist dem zuständigen Rechtsanwalt mit dem Vermerk "Vorfrist" vorgelegt. Am Morgen des Fristablaufs werde die Erledigung überprüft und die Sache , wenn sie nicht erledigt sei, mit dem auffälligen Vermerk "Fristablauf heute" erneut vorgelegt. Vor Büroschluss werde kontrolliert, ob alle Fristsachen erledigt seien; erst dann werde die Frist gelöscht. In diesem Fall habe die für die Führung des Fristenkalenders geschulte und zuverlässige Rechtsanwaltsgehilfin R. nach Einlegung der Berufung allerdings aus unerklärlichen Gründen und eigenmächtig neben den Berufungsfristen auch die für die Berufungsbegründung im Fristenkalender eingetragenen Vorfristen vom 3. August 2005 und 11. August 2005 sowie den Fristablauf zur Berufungsbegründung am 17. August 2005 gestrichen. Dies sei ihrem Prozessbevollmächtigten erst am 22. August 2005 aufgefallen, als ihm die Akte aufgrund allgemeiner Wiedervorlage vorgelegt worden sei. Zur Glaubhaftmachung ihres Wiedereinsetzungsgesuchs bezieht sich die Beklagte auf die eidesstattliche Versicherung der Rechtsanwaltsgehilfin R.
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- Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Beklagten.
II.
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- Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet und führt zur begehrten Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist.
- 6
- 1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß §§ 238 Abs. 2 Satz 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO i.V.m. § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft und gemäß § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
- 7
- Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHZ 151, 221, 227 m.w.N. und Senatsbeschlüsse vom 9. Februar 2005 - XII ZR 225/04 - FamRZ 2005, 791, 792 m.w.N. sowie vom 18. Juli 2007 - XII ZB 32/07 - FamRZ 2007, 1722) dient das Rechtsinstitut der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in besonderer Weise dazu, den Rechtsschutz und das rechtliche Gehör zu garantieren. Daher gebieten es die Verfahrensgrundrechte auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG), den Zugang zu den Gerichten und den in den Verfahrensordnungen vorgesehenen Instanzen nicht in unzumutbarer , aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (vgl. auch BVerfGE 88, 118, 123 ff.). Gegen diesen Grundsatz verstößt die angefochtene Entscheidung.
- 8
- 2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.
- 9
- Im Ansatz zu Recht geht das Berufungsgericht zwar davon aus, dass der Beklagten ein Verschulden der Rechtsanwaltsgehilfin ihres Prozessbevollmächtigten nicht nach § 85 Abs. 2 ZPO zugerechnet werden kann. Im Gegensatz zu seiner Rechtsauffassung scheidet hier aber auch ein der Beklagten zurechenbares Organisationsverschulden ihres Prozessbevollmächtigten aus.
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- a) Auch insoweit ist das Berufungsgericht allerdings zutreffend davon ausgegangen, dass es zu den Aufgaben des Prozessbevollmächtigten gehört, dafür zu sorgen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig hergestellt wird und innerhalb der Frist bei dem zuständigen Gericht eingeht. Zu diesem Zweck muss er nicht nur sicherstellen, dass ihm die Akten mit Rechtsmittel- oder Rechtsmittelbegründungsfristen rechtzeitig zur Bearbeitung vorgelegt werden. Er muss vielmehr zusätzlich eine zuverlässige Ausgangskontrolle schaffen, die eine rechtzeitige Versendung fristwahrender Schriftsätze gewährleistet.
- 11
- Da für die Ausgangskontrolle in jedem Anwaltsbüro ein Fristenkalender unabdingbar ist, muss der Rechtsanwalt sicherstellen, dass die im Kalender vermerkten Fristen erst gestrichen werden oder deren Erledigung sonst kenntlich gemacht wird, wenn die fristwahrende Maßnahme durchgeführt, der Schriftsatz also gefertigt und abgesandt oder zumindest postfertig gemacht, die weitere Beförderung der ausgehenden Post also organisatorisch zuverlässig vorbereitet worden ist. Schließlich gehört zu einer wirksamen Ausgangskontrolle auch eine Anordnung des Prozessbevollmächtigten, durch die gewährleistet wird, dass die Erledigung der fristgebundenen Sachen am Abend eines jeden Arbeitstages anhand des Fristenkalenders von einer dazu beauftragten Bürokraft überprüft wird (Senatsbeschluss vom 9. November 2005 - XII ZB 270/04 - FamRZ 2006, 192).
- 12
- b) Mit der Notierung und Überwachung von Fristen darf ein Rechtsanwalt allerdings sein voll ausgebildetes und sorgfältig überwachtes Personal betrauen , soweit nicht besondere Gründe gegen deren Zuverlässigkeit sprechen (Senatsbeschluss vom 11. September 2007 - XII ZB 109/04 - FamRZ 2007, 2059, 2060). Wenn der Rechtsanwalt zugleich durch eine allgemeine Kanzleianweisung oder durch Einzelanweisungen sicherstellt, dass im Fristenkalender eingetragene Fristen erst gelöscht werden dürfen, nachdem die Fristsache erledigt ist (vgl. auch BGH Beschluss vom 18. Oktober 1993 - II ZB 7/93 - NJW 1993, 3333), darf die mit der Fristenkontrolle betraute Rechtsanwaltsgehilfin die Frist nach Prüfung der sich aus den Handakten ergebenden Erledigung eigenständig löschen und muss nicht zusätzlich in jedem Einzelfall die Zustimmung des zuständigen Rechtsanwalts einholen.
- 13
- Denn die Fristenkontrolle soll lediglich gewährleisten, dass ein fristwahrender Schriftsatz rechtzeitig hergestellt und postfertig gemacht wird. Ist dies geschehen und die weitere Beförderung der ausgehenden Post organisatorisch zuverlässig vorbereitet, darf die Frist im Kalender als erledigt gekennzeichnet werden (BGH Urteil vom 11. Januar 2001 - III ZR 148/00 - NJW 2001, 1577, 1578). Diesen Anforderungen ist durch eine allgemeine Kanzleianweisung, eine Frist erst dann zu löschen, wenn die entsprechende Fristsache erledigt ist, genügt. Eine solche Anweisung verlangt von der Rechtsanwaltsgehilfin die vorherige Prüfung, ob entweder der fristwahrende Schriftsatz gefertigt und postfertig gemacht worden ist oder ob nach einer ausdrücklichen Anweisung des Rechtsanwalts von der (weiteren) Durchführung des Rechtsmittelverfahrens abgesehen werden soll. Sie setzt somit eine vorherige Kontrolle voraus, die bei der gebotenen sorgfältigen Handhabung geeignet ist, eine Löschung der Frist vor Erledigung der fristgebundenen Handlung zu verhindern. Dem entspricht nach der eidesstattlichen Versicherung der Rechtsanwaltsgehilfin die Büroorganisation des Prozessbevollmächtigten der Beklagten.
- 14
- Entsprechend hat die Rechtsanwaltsgehilfin die Berufungsfrist erst gelöscht , als der rechtzeitige Zugang der Berufungsschrift sichergestellt war. Wenn sie in diesem Zeitpunkt zugleich die Fristen für die Berufungsbegründung gelöscht hat, kann das nur darauf zurückzuführen sein, dass sie versehentlich davon ausging, das Rechtsmittel sei bereits begründet oder werde nicht durchgeführt. Dass beides nicht der Fall war und das Rechtsmittel weiter durchgeführt werden sollte, war - auch auf der Grundlage der Kanzleiorganisation des Prozessbevollmächtigten der Beklagten - offensichtlich. Denn Grund für die Löschung der Berufungsfrist war die Absendung der Berufungsschrift, die erkennbar noch keine Begründung enthielt. Für ein solches unvorhersehbares Fehlverhalten einer Rechtsanwaltsgehilfin ist der Prozessbevollmächtigte der Beklagten nicht verantwortlich zu machen.
Vorinstanzen:
AG Rosenheim, Entscheidung vom 10.06.2005 - 2 F 212/01 -
OLG München, Entscheidung vom 20.09.2005 - 12 UF 1208/05 -
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War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist.
(1) Das Verfahren über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist mit dem Verfahren über die nachgeholte Prozesshandlung zu verbinden. Das Gericht kann jedoch das Verfahren zunächst auf die Verhandlung und Entscheidung über den Antrag beschränken.
(2) Auf die Entscheidung über die Zulässigkeit des Antrags und auf die Anfechtung der Entscheidung sind die Vorschriften anzuwenden, die in diesen Beziehungen für die nachgeholte Prozesshandlung gelten. Der Partei, die den Antrag gestellt hat, steht jedoch der Einspruch nicht zu.
(3) Die Wiedereinsetzung ist unanfechtbar.
(4) Die Kosten der Wiedereinsetzung fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.
(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn
- 1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder - 2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.
(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.
(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.
(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie nicht von der miterschienenen Partei sofort widerrufen oder berichtigt werden.
(2) Das Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden der Partei gleich.