Bundesgerichtshof Beschluss, 18. Nov. 2015 - XII ZB 16/15
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 18. November 2015 durch den Vorsitzenden Richter Dose, die Richterin Weber-Monecke und die Richter Dr. Günter, Dr. Nedden-Boeger und Dr. Botur
beschlossen:
Gründe:
I.
- 1
- Die Betroffene wendet sich gegen die Aufhebung der für sie eingerichteten Betreuung.
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- Für die Betroffene, die an einer neurotischen Persönlichkeitsstörung leidet, wurde im Februar 2005 ein Betreuer für die Aufgabenkreise Wohnungsangelegenheiten und Vertretung gegenüber Behörden und Einrichtungen bestellt. Im November 2011 wurde die Betreuung um den Aufgabenkreis Vertretung vor Gerichten erweitert. Nachdem es in der Vergangenheit bereits mehrfach auf Anregung der Betroffenen zu einem Betreuerwechsel gekommen war, hat die Betroffene im März 2014 bei ihrer Anhörung im Verfahren zur Prüfung der Aufhebung der Betreuung erneut den Wunsch nach einem Betreuerwechsel geäußert.
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- Das Amtsgericht hat die Betreuung aufgehoben. Hiergegen hat die Betroffene Beschwerde eingelegt, die das Landgericht zurückgewiesen hat. Mit ihrer Rechtsbeschwerde möchte die Betroffene erreichen, dass die Betreuung für sie bestehen bleibt.
II.
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- Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.
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- 1. Das Landgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt:
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- Die Betreuung sei gemäß § 1908 d Abs. 1 BGB aufzuheben, weil die Voraussetzungen weggefallen seien. Diese Entscheidung ergehe von Amts wegen, weshalb es keine Rolle spiele, dass die Betroffene lediglich einen Betreuerwechsel beantragt habe. Ob die medizinischen Voraussetzungen einer Betreuung vorlägen , bedürfe keiner Entscheidung. Bezüglich Wohnungsangelegenheiten bestehe kein aktueller oder in absehbarer Zukunft zu erwartender Betreuungsbedarf. Die Betroffene habe die Rechte aus ihrem Mietverhältnis bereits in der Vergangenheit mit Unterstützung des Mietervereins, dessen Mitglied sie sei, und gegebenenfalls mit anwaltlicher Unterstützung, selbst wahrgenommen. Dies sei auch für künftige Auseinandersetzungen, die die Betroffene im Hinblick auf eine Umwandlung ihrer Wohnung in eine Eigentumswohnung befürchte, zu erwarten. Die Betreuerbestellung für den Aufgabenkreis "Vertretung gegenüber Behörden, Einrichtungen und Gerichten" diene im Wesentlichen nur der Klarstellung der ohnehin kraft Gesetzes (§ 1902 BGB) bestehenden Vertretungsberechtigung eines Betreuers im Rahmen eines zugleich übertragenen anderen Aufgabenkreises. Bestehe daneben kein anderer Aufgabenkreis, gehe dieser Aufgabenkreis regelmäßig ins Leere. Eine Betreuerbestellung allein für den Aufgabenkreis "Ver- tretung vor Behörden und Gerichten" sei nur zulässig, wenn ein Betroffener krankheitsbedingt dazu neige, eine Vielzahl sinnloser Verfahren zu betreiben und sich dadurch zu schädigen. Aufgabe eines danach eventuell zu bestellenden Betreuers sei es in diesem Fall, wirklich aussichtslose Verfahren auf möglichst kostengünstige Weise zu beenden, und zwar gegebenenfalls auch gegen den Willen der Betroffenen. Die Bestellung einer solchen Betreuungsperson wünsche die Betroffene jedoch ausdrücklich nicht. Letztlich ergebe sich aus dem langjährigen Verlauf der Betreuung, dass dies auch keine geeignete Hilfe für die Betroffene darstelle. Keine der bisher bestellten vier Berufsbetreuerinnen habe die Erwartungen der Betroffenen erfüllen können. Jeder neu bestellte Betreuer müsse, um den Vorstellungen der Betroffenen gerecht zu werden, als Vermittler zwischen ihr, ihren Anwälten oder dem jeweiligen Gericht fungieren und dabei für Verständnis für das Anliegen und die besondere Situation der Betroffenen werben. Hierzu bedürfe es aber nicht der Bestellung eines rechtlichen Vertreters. Würde der Betreuer entsprechend seinen Befugnissen und gegen den Willen der Betroffenen eigenständig handeln, seien weitere Konflikte vorprogrammiert.
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- 2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Überprüfung stand.
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- a) Die Betreuung ist gemäß § 1908 d Abs. 1 Satz 1 BGB aufzuheben, sobald die Voraussetzungen für die Bestellung eines Betreuers entfallen. Das ist schon dann der Fall, wenn eines der die Betreuung begründenden Tatbestandsmerkmale des § 1896 BGB weggefallen ist (vgl. Senatsbeschluss vom 18. Dezember 2013 - XII ZB 460/13 - FamRZ 2014, 466 Rn. 6).
- 9
- aa) Eine Aufhebung der Betreuung kommt danach in Betracht, wenn und soweit sich herausgestellt hat, dass für einen von der Betreuungsanordnung erfassten Aufgabenkreis kein konkreter Betreuungsbedarf mehr besteht.
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- Nach § 1896 Abs. 2 Satz 1 BGB darf ein Betreuer nur für Aufgabenkreise bestellt werden, in denen die Betreuung erforderlich ist. Die Betreuung ist nicht erforderlich, soweit die Angelegenheiten des Volljährigen durch einen Bevollmächtigten , der nicht zu den in § 1897 Abs. 3 BGB bezeichneten Personen gehört , oder durch andere Hilfen, bei denen kein gesetzlicher Vertreter bestellt wird, ebenso gut wie durch einen Betreuer besorgt werden können, § 1896 Abs. 2 Satz 2 BGB.
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- Der Grundsatz der Erforderlichkeit verlangt für die Bestellung eines Betreuers die konkrete tatrichterliche Feststellung, dass sie - auch unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit - notwendig ist, weil der Betroffene auf entsprechende Hilfen angewiesen ist und weniger einschneidende Maßnahmen nicht in Betracht kommen. Die Erforderlichkeit einer Betreuung darf sich dabei nicht allein aus der subjektiven Unfähigkeit des Betroffenen ergeben, seine Angelegenheiten selbst regeln zu können (Betreuungsbedürftigkeit). Hinzutreten muss ein konkreter Bedarf für die Bestellung eines Betreuers. Ob und für welche Aufgabenbereiche ein objektiver Betreuungsbedarf besteht, ist aufgrund der konkreten gegenwärtigen Lebenssituation des Betroffenen zu beurteilen (Senatsbeschluss vom 21. Januar 2015 - XII ZB 324/14 - FamRZ 2015, 649 Rn. 7 mwN). Dabei ist das Vorliegen eines aktuellen Handlungsbedarfs nicht zwingend erforderlich; es genügt, dass dieser Bedarf jederzeit auftreten kann und für diesen Fall die begründete Besorgnis besteht, dass ohne die Einrichtung einer Betreuung nicht das Notwendige veranlasst wird (Senatsbeschluss vom 21. Januar 2015 - XII ZB 324/14 - FamRZ 2015, 649 Rn. 9 mwN).
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- bb) Eine Aufhebung der Betreuung kommt aber auch dann in Betracht, wenn sich herausgestellt hat, dass der mit der Bestellung des Betreuers erstrebte Erfolg nicht zu erreichen ist, weil der Betreuer seine Aufgaben nicht wirksam wahrnehmen und zum Wohl des Betroffenen nichts bewirken kann. Da- von kann etwa ausgegangen werden, wenn der Betroffene jeden Kontakt mit seinem Betreuer verweigert und der Betreuer dadurch handlungsunfähig ist, also eine "Unbetreubarkeit" vorliegt (vgl. Senatsbeschlüsse vom 28. Januar 2015 - XII ZB 520/14 - FamRZ 2015, 650 Rn. 11 und vom 18. Dezember 2013 - XII ZB 460/13 - FamRZ 2014, 466 Rn. 7). Bei der Annahme einer solchen Unbetreubarkeit des Betroffenen ist allerdings Zurückhaltung geboten (Senatsbeschluss vom 28. Januar 2015 - XII ZB 520/14 - FamRZ 2015, 650 Rn. 12 ff.).
- 13
- b) Gemessen hieran ist es aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, dass das Beschwerdegericht im vorliegenden Fall einen konkreten Betreuungsbedarf verneint und die Betreuung aufgehoben hat.
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- aa) Die Bestellung eines Betreuers für den Aufgabenkreis Wohnungsangelegenheiten ist regelmäßig erforderlich, wenn der Betroffene auf Grund von Krankheit oder Behinderung die Organisation seines Wohnbereichs nicht (mehr) zu leisten vermag und dadurch in erheblicher Weise Schaden zu nehmen droht (MünchKommBGB/Schwab 6. Aufl. § 1896 Rn. 90). Sie kommt insbesondere in Betracht, wenn der Betroffene keinen angemessenen Wohnraum findet, seine mietvertraglichen Pflichten nicht erfüllen kann, ihm auf Grund erheblicher und fortdauernder Verletzungen des Mietvertrags der Verlust des Wohnraums droht oder ein für den Betroffenen bestehendes Mietverhältnis beendet werden soll (vgl. § 1907 Abs. 1 und 2 BGB).
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- Derartige Umstände, die eine Betreuerbestellung für den Aufgabenkreis Wohnungsangelegenheiten erforderlich machen würden, hat das Beschwerdegericht nicht festgestellt und sind auch sonst nicht ersichtlich. Die Betroffene lebt in einer Mietwohnung. Anhaltspunkte dafür, dass die Betroffene krankheitsbedingt ihre mietvertraglichen Pflichten nicht ordnungsgemäß erfüllen kann, sind nicht festgestellt. Nach ihren eigenen Angaben führt die Betroffene zwar derzeit einen Rechtsstreit mit ihrem Vermieter. Wie bei anderen gerichtlichen Auseinandersetzungen in der Vergangenheit hat die Betroffene jedoch eigenständig einen Rechtsanwalt mit ihrer Vertretung beauftragt. Soweit die Betroffene in ihrer Anhörung geäußert hat, sie befürchte im Hinblick auf die Umwandlung ihrer Wohnung in eine Eigentumswohnung weitere Rechtsstreitigkeiten, ergibt sich daraus ebenfalls kein Betreuungsbedarf. Zum einen liegen keine konkreten Anhaltspunkte dafür vor, dass es tatsächlich zu entsprechenden Rechtsstreitigkeiten kommen wird. Andererseits ist zu erwarten, dass sich die Betroffene - wie auch in der Vergangenheit bereits geschehen - der Hilfe des Mietervereins, dessen Mitglied sie ist, bedienen und selbst einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung ihrer Interessen beauftragen wird.
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- bb) Auch für den Aufgabenkreis der "Vertretung gegenüber Behörden und Gerichten" besteht nach den getroffenen Feststellungen kein Betreuungsbedarf.
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- Soweit mit der Bestimmung eines solchen Aufgabenkreises nicht lediglich eine an sich entbehrliche, aber nicht schädliche Klarstellung der sich aus § 1902 Abs. 1 BGB ergebenden Vertretungsberechtigung des Betreuers im Rahmen eines weiteren ihm übertragenen Aufgabenkreises - hier der Wohnungsangelegenheiten - beabsichtigt ist, muss regelmäßig ein konkreter Bezug zu einer bestimmten Angelegenheit oder einem bestimmten behördlichen oder gerichtlichen Verfahren hergestellt werden, für den die Notwendigkeit der Bestellung eines Betreuers besteht. Etwas Anderes gilt nur dann, wenn der Betreute krankheitsbedingt dazu neigt, sich durch das Betreiben einer Vielzahl von sinnlosen Verfahren zu schädigen (Senatsbeschluss vom 21. Januar 2015 - XII ZB 324/14 - FamRZ 2015, 649 Rn. 11 mwN).
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- Das Beschwerdegericht hat weder festgestellt, dass die Betroffene in einem konkreten behördlichen oder gerichtlichen Verfahren krankheitsbedingt die Unterstützung durch einen Betreuer benötigt noch dass die Besorgnis besteht, die Betroffene werde sich durch das gehäufte Betreiben sinnloser Verfahren selbst schädigen. Die Betroffene ist trotz ihrer Erkrankung in der Lage, für die Führung der von ihr angestrengten Gerichtsverfahren einen Rechtsanwalt zu beauftragen. Von dieser Möglichkeit hat sie bei den von ihr in der Vergangenheit geführten Prozessen auch stets Gebrauch gemacht. Eine weitere Unterstützung durch einen Betreuer ist daher nicht erforderlich. Die Betroffene wünscht die Aufrechterhaltung der Betreuung für den Aufgabenbereich "Vertretung gegenüber Behörden und Gerichten" auch nicht, weil sie sich krankheitsbedingt nicht in der Lage sieht, diese Verfahren zu betreiben, sondern weil sie von einem bestellten Betreuer erwartet, dass dieser sie uneingeschränkt unterstützt und bei Rechtsanwälten und Gerichten für ihre Anliegen eintritt. Dies ist aber nicht der Zweck einer rechtlichen Betreuung in diesem Aufgabenkreis.
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- cc) Nachdem das Beschwerdegericht zu Recht die Betreuung schon wegen des Fehlens eines konkreten Betreuungsbedarfs aufgehoben hat, kann dahinstehen , ob die Betreuung auch deshalb aufzuheben gewesen wäre, weil ein Betreuer aufgrund der Erwartungen der Betroffenen seine Aufgaben nicht wirksam wahrnehmen könnte und daher der mit der Bestellung eines Betreuers erstrebte Erfolg nicht zu erreichen ist.
- 20
- c) Die von der Rechtsbeschwerde erhobenen Verfahrensrügen hat der Senat geprüft, aber nicht für durchgreifend erachtet, § 74 Abs. 7 FamFG.
Vorinstanzen:
AG Tempelhof-Kreuzberg, Entscheidung vom 27.03.2014 - 52 XVII W 1472 -
LG Berlin, Entscheidung vom 11.12.2014 - 87 T 200/14 -
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(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft ist und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.
(2) Ergibt die Begründung des angefochtenen Beschlusses zwar eine Rechtsverletzung, stellt sich die Entscheidung aber aus anderen Gründen als richtig dar, ist die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
(3) Der Prüfung des Rechtsbeschwerdegerichts unterliegen nur die von den Beteiligten gestellten Anträge. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die geltend gemachten Rechtsbeschwerdegründe nicht gebunden. Auf Verfahrensmängel, die nicht von Amts wegen zu berücksichtigen sind, darf die angefochtene Entscheidung nur geprüft werden, wenn die Mängel nach § 71 Abs. 3 und § 73 Satz 2 gerügt worden sind. Die §§ 559, 564 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend.
(4) Auf das weitere Verfahren sind, soweit sich nicht Abweichungen aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts ergeben, die im ersten Rechtszug geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden.
(5) Soweit die Rechtsbeschwerde begründet ist, ist der angefochtene Beschluss aufzuheben.
(6) Das Rechtsbeschwerdegericht entscheidet in der Sache selbst, wenn diese zur Endentscheidung reif ist. Andernfalls verweist es die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und des Verfahrens zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das Beschwerdegericht oder, wenn dies aus besonderen Gründen geboten erscheint, an das Gericht des ersten Rechtszugs zurück. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Gerichts erfolgen, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat. Das Gericht, an das die Sache zurückverwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde liegt, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.
(7) Von einer Begründung der Entscheidung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.