Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Mai 2006 - XII ZB 145/05

published on 10/05/2006 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Mai 2006 - XII ZB 145/05
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Amtsgericht Meppen, 8 C 1479/03, 12/03/2004
Landgericht Osnabrück, 1 S 286/04, 14/06/2005

Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 145/05
vom
10. Mai 2006
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Ist ein Rechtsanwalt infolge vorhersehbarer Erkrankungen (hier: öfters auftretende
Sehstörungen) gehindert, fristwahrende Schriftsätze zu fertigen, muss er
durch Bestellung eines Vertreters für deren Erledigung sorgen oder zumindest
in anderer Weise sicherstellen, dass rechtzeitig Fristverlängerung beantragt
werden kann.
BGH, Beschluss vom 10. Mai 2006 - XII ZB 145/05 - LG Osnabrück
AG Meppen
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. Mai 2006 durch die
Vorsitzende Richterin Dr. Hahne, die Richter Fuchs, Dr. Ahlt, die Richterin
Dr. Vézina und den Richter Dose

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Osnabrück vom 14. Juni 2005 wird auf Kosten der Klägerin als unzulässig verworfen. Beschwerdewert: 2.258 €

Gründe:


I.

1
Die Klägerin hat gegen das am 25. März 2004 zugestellte Urteil des Amtsgerichts rechtzeitig Berufung eingelegt. Die Berufungsbegründungsfrist ist auf Antrag ihres Prozessbevollmächtigten zuletzt bis zum 9. Juli 2004 verlängert worden. Die Berufungsbegründung ist am Montag, den 12. Juli 2004, bei dem Berufungsgericht eingegangen. Am gleichen Tag hat die Klägerin ebenfalls per Fax Wiedereinsetzung wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt. Zur Begründung hat sie vorgetragen, ihr Prozessbevollmächtigter leide seit einiger Zeit unter sporadisch auftretenden, akuten Sehstörungen, die dazu führten, dass er nicht einmal mehr das Schriftbild in Akten und Büchern erkennen könne. Deshalb habe ihr Prozessbevollmächtigter sich in den letzten Monaten einer Vielzahl von medizinischen Untersuchungen unterziehen müs- sen und auch die zweite Fristverlängerung beantragt. Die Berufungsbegründung sei bis zum 9. Juli 2004 weitgehend fertig gestellt gewesen und habe nur noch einer Überarbeitung bedurft. Als ihr Prozessbevollmächtigter nach Büroschluss am Freitag, den 9. Juli 2004, die Berufungsbegründung habe fertig stellen wollen, seien erneut akute Sehstörungen aufgetreten, weshalb die Berufungsbegründung am 9. Juli 2004 nicht habe fertig gestellt werden können, sondern erst am darauf folgenden Montag, den 12. Juli 2004. Aufgrund der Sehstörungen habe ihr Prozessbevollmächtigter auch keinen weiteren Verlängerungsantrag innerhalb der Frist mehr abfassen können.
2
Das Landgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Gegen diesen Beschluss richtet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin, mit der sie ihr Wiedereinsetzungsgesuch weiter verfolgt und die Aufhebung der vom Landgericht ausgesprochenen Verwerfung der Berufung erstrebt.

II.

3
Die Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 ZPO statthaft. Sie ist jedoch nicht zulässig, da es an den Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO fehlt.
4
Entgegen der Auffassung der Klägerin ist eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht erforderlich. Die Entscheidung des Berufungsgerichts beruht weder auf der Verletzung von Verfahrensgrundrechten, namentlich des Rechts auf Gewähr rechtlichen Gehörs (BGHZ 151, 221, 226 f.), noch verletzt sie den An- spruch der Klägerin auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 GG i.V. mit dem Rechtsstaatsprinzip, BGH Beschluss vom 23. Oktober 2003 - V ZB 28/03 - NJW 2004, 367, 368).
5
Das Berufungsgericht ist aufgrund des Vortrags des Prozessbevollmächtigten der Klägerin in dem Wiedereinsetzungsgesuch vom 12. Juli 2004 davon ausgegangen, dass dieser seit einiger Zeit unter sporadisch auftretenden akuten Sehstörungen leidet und sich deshalb in den letzten Monaten einer Vielzahl von medizinischen Untersuchungen unterziehen musste. Das Berufungsgericht hat deshalb angenommen, der Prozessbevollmächtigte der Klägerin sei verpflichtet gewesen, durch Bestellung eines Vertreters dafür Sorge zu tragen, dass die fristgebundenen Arbeiten für den Fall einer erneut auftretenden Sehstörung ordnungsgemäß erledigt werden konnten.
6
Diese Annahme des Berufungsgerichts steht in Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Danach schließt die Krankheit eines Prozessbevollmächtigten das Verschulden der Versäumung einer Frist nur dann aus, wenn die Erkrankung für den Prozessbevollmächtigten nicht vorhersehbar war (BGH Beschlüsse vom 11. März 1991 - II ZB 1/91 - VersR 1991, 1270 f. m.w.N.; vom 26. Februar 1996 - II ZB 7/95 - NJW 1996, 1540, 1541; vom 8. Februar 2000 - XI ZB 20/99 - Juris).
7
Das war hier nach dem eigenen Vortrag des Prozessbevollmächtigten im Wiedereinsetzungsgesuch nicht der Fall. Auch bei Berücksichtigung seines weiteren , erst nach Zustellung des angefochtenen Beschlusses vom 14. Juni 2005 erfolgten Vortrags zu den Einzelheiten seiner Erkrankung ist eine andere Beurteilung nicht angezeigt. Nachdem die massiven Sehstörungen wiederholt plötzlich aufgetreten waren, musste der Prozessbevollmächtigte der Klägerin auch dann, wenn ab Ende Mai und nach Verordnung einer Brille bis zum 9. Juli 2004 keine Sehstörung mehr aufgetreten war, jedenfalls noch im Juli 2004 damit rechnen, dass die plötzlichen Sehstörungen wieder auftreten können. Er war deshalb verpflichtet, durch Bestellung eines Vertreters für die Erledigung der fristgebundenen Arbeiten Sorge zu tragen oder zumindest sicherzustellen, dass rechtzeitig ein Fristverlängerungsantrag gestellt werden konnte.
Hahne Fuchs Ahlt Vézina Dose

Vorinstanzen:
AG Meppen, Entscheidung vom 12.03.2004 - 8 C 1479/03 -
LG Osnabrück, Entscheidung vom 14.06.2005 - 1 S 286/04 -
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(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn1.dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder2.das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.§ 542 Ab

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unver

(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwer
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(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn1.dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder2.das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.§ 542 Ab

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unver

(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwer
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Annotations

War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist.

(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.

(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass

1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat,
2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat,
3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und
4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
Das Berufungsgericht oder der Vorsitzende hat zuvor die Parteien auf die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung und die Gründe hierfür hinzuweisen und dem Berufungsführer binnen einer zu bestimmenden Frist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Der Beschluss nach Satz 1 ist zu begründen, soweit die Gründe für die Zurückweisung nicht bereits in dem Hinweis nach Satz 2 enthalten sind. Ein anfechtbarer Beschluss hat darüber hinaus eine Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen zu enthalten.

(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.

(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn

1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder
2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
§ 542 Abs. 2 gilt entsprechend.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.

(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.