Bundesgerichtshof Beschluss, 29. Okt. 2015 - IX ZB 12/14
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Streitwert: 30.190,95 €
Gründe:
I.
- 1
- Das Landgericht hat mit Urteil vom 23. Oktober 2013 die Klage abgewiesen. Die klagende Rechtsanwältin legte gegen dieses ihr am 25. Oktober 2013 zugestellte Urteil Berufung ein. Das Oberlandesgericht verlängerte die Berufungsbegründungsfrist antragsgemäß bis 15. Januar 2014. Die Klägerin übermittelte ihre insgesamt 22 Seiten umfassende Berufungsbegründungsschrift per Telefax. Die erste Seite wurde am 15. Januar 2014 ab 23:52 Uhr übermittelt, die die Unterschrift tragende Seite erst am 16. Januar 2014 um 0:00 Uhr und die letzte Seite der Anlage erst am 16. Januar 2014 um 0:02 Uhr gesendet. Empfangen wurde das Telefax am 16. Januar 2014 um 0:03 Uhr.
- 2
- Daraufhin beantragte die Klägerin mit am 20. Januar 2014 eingegangenem Schriftsatz Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist. Zur Begründung ihres Wiedereinsetzungsantrags führte die Klägerin aus, dass sie den Schriftsatz am 15. Januar 2014 gegen 21:00 Uhr fertiggestellt und ausgedruckt habe, sodann aber einen durch Panikattacken oder Hyperventilationsanfälle ausgelösten körperlichen Zusammenbruch erlitten habe. Dieser habe zu einer bis nach 23:00 Uhr andauernden vollständigen Handlungsunfähigkeit geführt.
- 3
- Das Oberlandesgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung zurückgewiesen und die Berufung der Klägerin verworfen. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Rechtsbeschwerde.
II.
- 4
- Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft, jedoch unzulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind; die Sache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert sie eine Entscheidung des Senats zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung.
- 5
- 1. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Klägerin habe ein fehlendes Verschulden an der Fristversäumung nicht glaubhaft gemacht. Zwar könne eine Erkrankung grundsätzlich einen Wiedereinsetzungsgrund darstellen. Kenne der Prozessbevollmächtigte seine krankheitsbedingte Schwäche oder Anfälligkeit, obliege es ihm, für den Fall einer vorhersehbaren plötzlichen Verschlechterung des Gesundheitszustands angemessene Vorsorge zu leisten. Da die Klägerin bereits seit 2009 an Panik- und Angstattacken leide, die wiederholt auch zu akuten anfallartigen Zuständen geführt hätten, immer in den Abendstunden aufträten und Notfallmedikationen, Sofortmaßnahmen von Familienangehörigen und Notarzteinsätze erfordert hätten, sei für die Klägerin vorhersehbar gewesen , dass es erneut zu einem Ausbruch der Erkrankung kommen konnte. Dieser Anfälligkeit für gerade in den Abendstunden auftretende plötzliche Erkrankungen sei die Klägerin nicht durch ausreichende Vorsichtsmaßnahmen begegnet.
- 6
- 2. Die Rechtsbeschwerde zeigt nicht auf, dass die Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO erfüllt sind. Insbesondere verletzt der angefochtene Beschluss weder das Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip) noch den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG).
- 7
- a) Die Anforderungen, unter welchen Umständen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei einer Erkrankung des Rechtsanwalts zu gewähren ist, sind geklärt. Ebenfalls geklärt ist, dass ein Rechtsanwalt Vorkehrungen treffen muss, damit das zur Wahrung von Fristen Erforderliche auch dann unternommen wird, wenn der Rechtsanwalt unvorhergesehen ausfällt (BGH, Beschluss vom 18. September 2008 - V ZB 32/08, NJW 2008, 3571 Rn. 9 mwN). Danach schließt die Krankheit eines Prozessbevollmächtigten das Verschulden an einer Versäumung einer Frist nur dann aus, wenn die Erkrankung für den Prozessbevollmächtigten nicht vorhersehbar war (BGH, Beschluss vom 10. Mai 2006 - XII ZB 145/05, NJW 2006, 2412 Rn. 6 mwN). Eine Fristversäumung aufgrund einer Erkrankung des Prozessbevollmächtigten ist nur dann unvermeidbar, wenn die Krankheit plötzlich eintritt und unvorhersehbar war oder wenn sie so schwer ist, dass der Erkrankte zur Fristwahrung außerstande war (BGH, Beschluss vom 19. März 2009 - IX ZB 198/08, Rn. 5). Auf einen krankheitsbedingten Ausfall muss sich der Rechtsanwalt insoweit durch konkrete Maßnahmen vorbereiten, als er einen solchen Ausfall vorhersehen kann (BGH, Beschluss vom 19. März 2009 aaO; vom 5. April 2011 - VIII ZB 81/10, NJW 2011, 1601 Rn. 18). Leidet der Prozessbevollmächtigte an einer Krankheit, die sporadisch und plötzlich zu akuten Erkrankungszuständen führt, muss er im allgemeinen damit rechnen, dass die plötzlichen Erkrankungszustände erneut auftreten können ; er ist deshalb verpflichtet, Vorkehrungen zu treffen, dass im Falle seiner Erkrankung ein Vertreter die notwendigen Prozesshandlungen vornimmt (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Februar 1996 - II ZB 7/95, NJW 1996, 1540, 1541; Beschluss vom 10. Mai 2006 aaO Rn. 7).
- 8
- b) Das Berufungsgericht geht von diesen Grundsätzen aus. Es hat sodann in Anwendung dieser Grundsätze entschieden, dass die Klägerin nach der Art der ihr seit fast fünf Jahren bekannten Krankheit geeignete Vorkehrungen hätte treffen müssen, um bei einer plötzlich auftretenden Panikattacke gerade in den Abendstunden sicherzustellen, dass fristgebundene Arbeiten abgewickelt werden konnten. Diese Würdigung enthält keinen Rechtsfehler, der die Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO erfüllt.
- 9
- Zu Unrecht macht die Rechtsbeschwerde geltend, dass das Berufungsgericht die Sorgfaltsanforderungen an die Klägerin überspanne. Vielmehr beschränkt sich das Berufungsgericht darauf, dass die Klägerin geeignete Vorsorgemaßnahmen für gerade in den Abendstunden auftretende plötzliche Panikattacken treffen musste. Ebenso wenig geben die Angriffe der Rechtsbeschwerde auf die Würdigung des Berufungsgerichts einen Grund, der zur Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde führen könnte. Mit ihrer Annahme, die Panikattacke sei un- vorhersehbar gewesen, setzt die Rechtsbeschwerde nur ihre eigene Würdigung des Sachverhalts an die Stelle der Würdigung des Berufungsgerichts. Die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) hat der Senat geprüft und nicht für durchgreifend erachtet. Soweit die Rechtsbeschwerde meint, das Berufungsgericht habe ein Sachverständigengutachten zum Gesundheitszustand der Klägerin einholen müssen, verkennt sie, dass der Antragsteller das fehlende Verschulden glaubhaft zu machen hat (§ 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO) und insoweit gemäß § 294 Abs. 2 ZPO auf präsente Beweismittel beschränkt ist. Ein vom Gericht erst einzuholendes Sachverständigengutachten über den gesundheitlichen Zustand der Klägerin zählt hierzu nicht. Es wäre Sache der Klägerin gewesen, einen Entschuldigungsgrund etwa durch ein ärztliches Attest glaubhaft zu machen.
- 10
- Soweit die Rechtsbeschwerde behauptet, es sei im Januar 2014 nicht mehr mit Anfällen zu rechnen gewesen, widerspricht dies dem eigenen Vortrag der Klägerin in ihrem Wiedereinsetzungsantrag, wonach zwar die Häufigkeit der Anfälle deutlich zurückgegangen sei, diese allerdings nicht auszuschließen seien. Aus der eidesstattlichen Versicherung des Ehemanns der Klägerin ergibt sich allein, dass sich die Abstände zwischen den akuten Anfällen vergrößert haben. Selbst in ihrer ergänzenden Stellungnahme hat die Klägerin lediglich behauptet, dass es seit Mitte/Ende 2011 zu keinem so akuten Zusammenbruch mehr gekommen sei, der die ansonsten aufgetretenen Auswirkungen und die Handlungsunfähigkeit der Klägerin auslöste. Das durfte das Berufungsgericht vor dem Hintergrund der weiter erfolgenden, regelmäßigen Behandlungen und der Medikation ohne Rechtsfehler so verstehen, dass es auch in den Jahren 2012 und 2013 zu Panikattacken gekommen ist, die lediglich in ihren Auswirkungen hinter den vorherigen zurückblieben.
Möhring Schoppmeyer
Vorinstanzen:
LG Leipzig, Entscheidung vom 23.10.2013 - 1 O 1313/13 -
OLG Dresden, Entscheidung vom 17.02.2014 - 13 U 1844/13 -
moreResultsText
Annotations
(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn
- 1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder - 2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.
(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.
(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.
(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass
- 1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, - 2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, - 3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und - 4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.
(1) Das Verfahren über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist mit dem Verfahren über die nachgeholte Prozesshandlung zu verbinden. Das Gericht kann jedoch das Verfahren zunächst auf die Verhandlung und Entscheidung über den Antrag beschränken.
(2) Auf die Entscheidung über die Zulässigkeit des Antrags und auf die Anfechtung der Entscheidung sind die Vorschriften anzuwenden, die in diesen Beziehungen für die nachgeholte Prozesshandlung gelten. Der Partei, die den Antrag gestellt hat, steht jedoch der Einspruch nicht zu.
(3) Die Wiedereinsetzung ist unanfechtbar.
(4) Die Kosten der Wiedereinsetzung fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.
(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn
- 1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder - 2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.
(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.
(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.
(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn
- 1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder - 2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.
(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.
(1) Die Form des Antrags auf Wiedereinsetzung richtet sich nach den Vorschriften, die für die versäumte Prozesshandlung gelten.
(2) Der Antrag muss die Angabe der die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen enthalten; diese sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Prozesshandlung nachzuholen; ist dies geschehen, so kann Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden.