Bundesgerichtshof Beschluss, 08. Feb. 2000 - XI ZB 20/99
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Der Beschwerdewert beträgt 120.000 DM.
Gründe:
Das Landgericht hat die Beklagte zur Zahlung verurteilt. Das Urteil wurde am 28. Juli 1999 ihrem erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten zugestellt. Mit Schriftsatz vom 26. August 1999, der am selben Tag als Telefax einging, legte der beim Oberlandesgericht Naumburg nicht zugelassene Rechtsanwalt H. gegen dieses Urteil Berufung ein, ohne anzugeben, daß dies für die Beklagte geschehe. Nachdem der Senatsvorsitzende ihn mit Telefax vom 30. August 1999 auf Bedenken gegen die Zulässigkeit der Berufung hingewiesen hatte, hat die Beklagte durch ihre inzwischen beauftragten neuen Prozeßbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 16. September 1999 erneut Berufung eingelegt und zugleich gegen die Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.
Sie hat vorgetragen und dies durch eidesstattliche Versicherungen ihres Ehemannes und ihres damaligen Prozeßbevollmächtigten, Rechtsanwalt H., glaubhaft gemacht: Bereits bei der Mandatierung am 23. oder 24. August 1999 sei Rechtsanwalt H. "schwer erkrankt" gewesen. Obwohl er am 25. August 1999 an starken Schmerzen im Bauchbereich gelitten habe und weder körperlich noch geistig in der Lage gewesen sei, seiner anwaltlichen Tätigkeit nachzugehen, habe er diese vor allem aus Existenzgründen fortgesetzt. Am 30. August 1999 sei er schließlich durch den Notarzt ins Krankenhaus eingewiesen worden, wo man auf der Intensivstation eine lebensbedrohliche Bauchspeicheldrüsenentzündung diagnostiziert habe.
Mit Beschluß vom 17. September 1999 hat das Oberlandesgericht den Wiedereinsetzungsantrag der Beklagten zurückgewiesen und ihre Berufung als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt:
Die Mängel der Berufungsschrift vom 26. August 1999 beruhten auf einem Verschulden des damaligen Prozeßbevollmächtigten, das sich die Beklagte gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen müsse. Dabei könne offenbleiben, ob Rechtsanwalt H. nicht gewußt habe, daß eine Berufung nur durch einen beim Oberlandesgericht Naumburg zugelassenen Anwalt wirksam eingelegt werden könne, oder ob er dies allein aufgrund seiner Erkrankung verkannt habe. In jedem Fall habe er die Mängel der Berufungsschrift zu vertreten, weil er trotz seiner Erkrankung ein neues Mandat übernommen und nicht für eine Vertretung durch einen Kollegen gesorgt habe.
Gegen diesen am 28. September 1999 zugestellten Beschluß hat die Beklagte am 12. Oktober 1999 sofortige Beschwerde eingelegt. Sie
macht vor allem geltend, bei der Mandatserteilung sei die Erkrankung von Rechtsanwalt H. noch nicht so schwerwiegend gewesen, daß er ihre Interessen nicht mehr mit der gebotenen Sorgfalt hätte wahrnehmen können; vielmehr sei es erst am 25. August 1999 zu einer rapiden und nicht vorhersehbaren Verschlechterung seines Gesundheitszustandes gekommen. Er habe dann versucht, die eiligen Sachen zu bearbeiten. Da er zu diesem Zeitpunkt nicht mehr voll handlungsfähig gewesen sei, seien ihm bei der Einlegung der Berufung zwei Fehler unterlaufen.
II.
Die sofortige Beschwerde der Beklagten ist zulässig, aber nicht begründet.
1. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Beklagten zu Recht als unzulässig verworfen. Die von Rechtsanwalt H. am 26. August 1999 eingelegte Berufung ist unzulässig, weil er nicht beim Oberlandesgericht Naumburg zugelassen ist. Die von den jetzigen Prozeßbevollmächtigten der Beklagten am 16. September 1999 eingelegte Berufung wahrt die am 30. August 1999 abgelaufene Berufungsfrist nicht und ist deshalb unzulässig (§§ 516, 519 b Abs. 1 ZPO).
2. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 233 ZPO) gegen die Versäumung der Berufungsfrist hat das Oberlandesgericht der Beklagten zu Recht versagt. Die Beklagte war nicht ohne ihr Verschulden verhindert , die Berufungsfrist einzuhalten. Denn ihren damaligen Prozeßbevollmächtigten Rechtsanwalt H. trifft an der Versäumung ein Verschulden , das sich die Beklagte gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muß. Als Rechtsanwalt mußte er unbedingt wissen, daß er, ohne
beim Oberlandesgericht Naumburg zugelassen zu sein, dort keine zulässige Berufung einlegen konnte und daß der Berufungskläger und der Berufungsbeklagte in der Berufungsschrift anzugeben sind.
Seine Erkrankung räumt ein Verschulden nicht aus; denn es kann nicht davon ausgegangen werden, daß Rechtsanwalt H. seine fehlende Postulationsfähigkeit krankheitsbedingt unverschuldet nicht erkannt hat.
Wenn er, wie die Beklagte im Wiedereinsetzungsantrag vorgetragen hat, bereits bei der Mandatierung am 23. oder 24. August 1999 "schwer erkrankt" war, hätte er die Übernahme des Mandats zur Einlegung der Berufung beim Oberlandesgericht Naumburg ablehnen müssen , zumal er dort nicht zugelassen war. Wenn, wie die Beklagte nunmehr in ihrer Beschwerdebegründung vorträgt, am 23. und 24. August 1999 nur ein "leichter Erkrankungszustand" in Form von Unbehagen und kleineren Schmerzen vorhanden war, der eine Mandatsübernahme nicht ausschloß, mußte Rechtsanwalt H. trotz seiner Erkrankung unbedingt klar sein, daß er selbst zur Einlegung der Berufung beim Oberlandesgericht Naumburg nicht befugt war.
Er hätte deshalb für den Fall, daß sich seine Erkrankung verschlimmerte , geeignete Vorsorge treffen müssen, daß ein Vertreter vorhanden war, der die notwendigen Prozeßhandlungen vornehmen oder veranlassen konnte (vgl. BGH, Beschlüsse vom 11. März 1991 - II ZB 1/91, VersR 1991, 1270, 1271 und vom 26. Februar 1996 - II ZB 7/95, NJW 1996, 1540, 1541). Daß dies geschehen ist, hat die Beklagte nicht vorgetragen.
Dieses Organisationsverschulden wäre zwar, da für die eingetretene Fristversäumung nicht kausal, irrelevant, wenn die Erkrankung so plötzlich und unvorhersehbar aufgetreten oder akut geworden wäre, daß Rechtsanwalt H. einen Vertreter oder einen beim Oberlandesgericht Naumburg zugelassenen Rechtsanwalt nicht mehr hätte einschalten können oder dies für ihn nicht zumutbar war (vgl. BGH, Beschlüsse vom 6. März 1990 - VI ZB 4/90, VersR 1990, 1026 und vom 11. März 1991 - II ZB 1/91, VersR 1991, 1270, 1271). Davon kann hier indes nicht ausgegangen werden.
Nach dem Vorbringen der Beklagten war Rechtsanwalt H. schon bei der Übernahme des Mandats am 23. und 24. August 1999 erkrankt, ist aber noch am 25. und 26. August 1999 seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt nachgegangen und erst am 30. August 1999 ins Krankenhaus eingeliefert worden. Nichts spricht dafür, daß er am 26. August 1999, wie geschehen, zwar die Berufungsschrift veranlassen und unterzeichnen konnte, aber nicht mehr in der Lage war, einen beim Oberlandesgericht Naumburg zugelassenen Rechtsanwalt anzurufen oder einem etwaigen Vertreter seine Erkrankung mitzuteilen.
Daß Rechtsanwalt H. nach gerichtlichem Hinweis auf die Mängel der Berufungsschrift am 30. August 1999 krankheitsbedingt nicht mehr in der Lage war, für die erneute Einlegung der Berufung durch einen beim Oberlandesgericht Naumburg zugelassenen Rechtsanwalt zu sorgen , ändert nichts daran, daß er die Versäumung der Berufungsfrist verschuldet hat.
3. Die sofortige Beschwerde war daher mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
Nobbe Richter am Dr. Bungeroth Bundesgerichtshof Dr. Schramm ist urlaubsbedingt verhindert seine Unterschrift beizufügen. Nobbe Dr. Müller Dr. Joeres
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Annotations
(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie nicht von der miterschienenen Partei sofort widerrufen oder berichtigt werden.
(2) Das Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden der Partei gleich.
War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist.
(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie nicht von der miterschienenen Partei sofort widerrufen oder berichtigt werden.
(2) Das Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden der Partei gleich.
(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.
(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.
(3) (weggefallen)