Bundesgerichtshof Beschluss, 15. Juli 2015 - XII ZB 144/15
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gründe:
I.
- 1
- Die 1977 geborene Betroffene leidet seit ihrer Jugend an einer zwischenzeitlich chronifizierten Psychose und steht unter einer umfassenden Betreuung. Seit November 2005 ist ihre zivilrechtliche Unterbringung durchgehend genehmigt, wobei sie sich im Wesentlichen in einer psychiatrischen Klinik befand. Immer wieder verweigerte sie phasenweise die Behandlung mit DepotNeuroleptika , deren zwangsweise Verabreichung mehrfach betreuungsgerichtlich genehmigt wurde.
- 2
- Ende 2014 ließ die Betreuerin die Betroffene in eine geschlossene Wohneinrichtung verlegen. Die Betreuerin will, dass die Betroffene auch dort die Depotmedikation zwangsweise verabreicht bekommt. Sie hat daher einen Antrag auf (neuerliche) Genehmigung der ärztlichen Zwangsmaßnahme gestellt.
- 3
- Diesen hat das Amtsgericht zurückgewiesen. Auf die von der Betreuerin eingelegte Beschwerde hat das Landgericht den Beschluss aufgehoben und das Amtsgericht angewiesen, den Genehmigungsantrag nicht mit der Begründung abzulehnen, die Behandlung sei im Rahmen eines Heimaufenthalts aus rechtlichen Gründen generell unzulässig.
- 4
- Hiergegen richtet sich die von der Betroffenen eingelegte Rechtsbeschwerde.
II.
- 5
- Die Rechtsbeschwerde ist unzulässig, weil es ihr an der Statthaftigkeit nach § 70 FamFG fehlt.
- 6
- 1. Das Landgericht hat die Rechtsbeschwerde im angefochtenen Beschluss nicht zugelassen (§ 70 Abs. 1 FamFG). Die vom Beschwerdegericht erteilte - unzutreffende - Rechtsmittelbelehrung stellt keine Entscheidung über die Zulassung der Rechtsbeschwerde dar (Senatsbeschlüsse vom 7. Mai 2014 - XII ZB 540/13 - FamRZ 2014, 1285 Rn. 6 und vom 20. Juli 2011 - XII ZB 445/10 - FamRZ 2011, 1728 Rn. 16).
- 7
- 2. Ein Fall der Statthaftigkeit ohne Zulassung gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FamFG liegt nicht vor.
- 8
- Durch § 70 Abs. 3 Satz 2 FamFG ist ausdrücklich geregelt, dass Rechtsbeschwerden in Unterbringungs- und Freiheitsentziehungssachen nur dann ohne Zulassung statthaft sind, wenn sich die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss richtet, der die Unterbringung oder die freiheitsentziehende Maßnahme anordnet. Der Gesetzgeber wollte die zulassungsfreie Rechtsbeschwerde nur gegen Beschlüsse eröffnen, die unmittelbar freiheitsentziehende Wirkung haben (Senatsbeschluss vom 7. Mai 2014 - XII ZB 540/13 - FamRZ 2014, 1285 Rn. 8; BT-Drucks. 16/12717 S. 60).
- 9
- In dem angefochtenen Beschluss hat das Landgericht lediglich den die Genehmigung nach § 1906 Abs. 3a BGB verweigernden Beschluss des Amtsgerichts aufgehoben und das Verfahren an das Amtsgericht zurückverwiesen. Auch wenn es dabei über für die Genehmigungsentscheidung gegebenenfalls maßgebliche Vorfragen entschieden hat, ist damit keine unmittelbare Freiheitsentziehung , hier in Form der Genehmigung ärztlicher Zwangsmaßnahmen (§ 312 Satz 1 Nr. 1 FamFG), verbunden. Vielmehr bedarf es aus Sicht des Beschwerdegerichts einer Reihe weiterer Ermittlungen und Feststellungen, bevor abschließend über den Genehmigungsantrag befunden werden kann.
- 10
- Auf eine solche Fallgestaltung findet § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 FamFG schon mangels planwidriger Regelungslücke keine entsprechende Anwendung (vgl. Senatsbeschluss vom 7. Mai 2014 - XII ZB 540/13 - FamRZ 2014, 1285 Rn. 9). Der Gesetzgeber wollte eine zulassungsfreie Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde im Bereich der Unterbringungs- und Freiheitsentziehungssachen nur für unmittelbar in die Freiheitsgrundrechte der Betroffenen eingreifende Gerichtsentscheidungen. Alle anderen Beschlüsse und damit auch solche, die sich auf eine Zurückverweisung beschränken, sind mithin nur nach einer Zulassung gemäß § 70 Abs. 1 FamFG mit der Rechtsbeschwerde anfechtbar. Im Übrigen ist die Interessenlage des Betroffenen eines Unterbrin- gungsverfahrens, in dem das Beschwerdegericht die Sache unter Aufhebung des erstinstanzlichen Beschlusses zurückverweist, nicht mit der in § 70 Abs. 3 Satz 2 FamFG geregelten vergleichbar. Denn entgegen der von der Rechtsbeschwerde vertretenen Auffassung ist mit der Zurückverweisung gerade keine freiheitsentziehende Wirkung verbunden. Vielmehr kommt es durch sie zu einer neuerlichen Prüfung durch das Amtsgericht, ob es der Anordnung einer Unterbringung oder freiheitsentziehenden Maßnahme bedarf.
- 11
- 3. Mangels zulässiger Rechtsbeschwerde hat es daher bei der vom Beschwerdegericht - unter Verstoß gegen § 69 Abs. 1 Satz 2 und 3 FamFG und trotz des Umstands, dass das Beschwerdegericht die nicht beschwerdeberechtigte Betreuerin als Beschwerdeführerin angesehen hat und nicht von einem Rechtsmittel namens der Betroffenen im Sinn des § 335 Abs. 3 FamFG ausgegangen ist - angeordneten Zurückverweisung an das Amtsgericht zu verbleiben. Dieses wird sich auch mit der von der Rechtsbeschwerdebegründung aufgeworfenen Rechtsfrage auseinanderzusetzen haben, ob die beantragte zwangsweise Verabreichung einer Depotmedikation eine Heilbehandlung im Sinn von § 1906 Abs. 3 Satz 1, Abs. 1 Nr. 2 BGB darstellen kann (vgl. dazu Senatsbeschluss vom 1. Juli 2015 - XII ZB 89/15 - juris Rn. 17 ff. mwN).
Vorinstanzen:
AG Waldbröl, Entscheidung vom 11.03.2015 - 10 XVII 103/15 -
LG Bonn, Entscheidung vom 18.03.2015 - 4 T 79/15 -
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(1) Die Rechtsbeschwerde eines Beteiligten ist statthaft, wenn sie das Beschwerdegericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) Die Rechtsbeschwerde gegen einen Beschluss des Beschwerdegerichts ist ohne Zulassung statthaft in
- 1.
Betreuungssachen zur Bestellung eines Betreuers, zur Aufhebung einer Betreuung, zur Anordnung oder Aufhebung eines Einwilligungsvorbehalts, - 2.
Unterbringungssachen und Verfahren nach § 151 Nr. 6 und 7 sowie - 3.
Freiheitsentziehungssachen.
(4) Gegen einen Beschluss im Verfahren über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung einer einstweiligen Anordnung oder eines Arrests findet die Rechtsbeschwerde nicht statt.
Unterbringungssachen sind Verfahren, die die Genehmigung oder Anordnung einer
- 1.
freiheitsentziehenden Unterbringung nach § 1831 Absatz 1 und 2 auch in Verbindung mit Absatz 5 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, - 2.
freiheitsentziehenden Maßnahme nach § 1831 Absatz 4 auch in Verbindung mit Absatz 5 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, - 3.
ärztlichen Zwangsmaßnahme, auch einschließlich einer Verbringung zu einem stationären Aufenthalt, nach § 1832 Absatz 1, 2 und 4 auch in Verbindung mit Absatz 5 des Bürgerlichen Gesetzbuchs oder - 4.
freiheitsentziehenden Unterbringung, freiheitsentziehenden Maßnahme oder ärztlichen Zwangsmaßnahme bei Volljährigen nach den Landesgesetzen über die Unterbringung psychisch Kranker
(1) Die Rechtsbeschwerde eines Beteiligten ist statthaft, wenn sie das Beschwerdegericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) Die Rechtsbeschwerde gegen einen Beschluss des Beschwerdegerichts ist ohne Zulassung statthaft in
- 1.
Betreuungssachen zur Bestellung eines Betreuers, zur Aufhebung einer Betreuung, zur Anordnung oder Aufhebung eines Einwilligungsvorbehalts, - 2.
Unterbringungssachen und Verfahren nach § 151 Nr. 6 und 7 sowie - 3.
Freiheitsentziehungssachen.
(4) Gegen einen Beschluss im Verfahren über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung einer einstweiligen Anordnung oder eines Arrests findet die Rechtsbeschwerde nicht statt.
Unterbringungssachen sind Verfahren, die die Genehmigung oder Anordnung einer
- 1.
freiheitsentziehenden Unterbringung nach § 1831 Absatz 1 und 2 auch in Verbindung mit Absatz 5 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, - 2.
freiheitsentziehenden Maßnahme nach § 1831 Absatz 4 auch in Verbindung mit Absatz 5 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, - 3.
ärztlichen Zwangsmaßnahme, auch einschließlich einer Verbringung zu einem stationären Aufenthalt, nach § 1832 Absatz 1, 2 und 4 auch in Verbindung mit Absatz 5 des Bürgerlichen Gesetzbuchs oder - 4.
freiheitsentziehenden Unterbringung, freiheitsentziehenden Maßnahme oder ärztlichen Zwangsmaßnahme bei Volljährigen nach den Landesgesetzen über die Unterbringung psychisch Kranker
(1) Die Rechtsbeschwerde eines Beteiligten ist statthaft, wenn sie das Beschwerdegericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) Die Rechtsbeschwerde gegen einen Beschluss des Beschwerdegerichts ist ohne Zulassung statthaft in
- 1.
Betreuungssachen zur Bestellung eines Betreuers, zur Aufhebung einer Betreuung, zur Anordnung oder Aufhebung eines Einwilligungsvorbehalts, - 2.
Unterbringungssachen und Verfahren nach § 151 Nr. 6 und 7 sowie - 3.
Freiheitsentziehungssachen.
(4) Gegen einen Beschluss im Verfahren über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung einer einstweiligen Anordnung oder eines Arrests findet die Rechtsbeschwerde nicht statt.
(1) Das Beschwerdegericht hat in der Sache selbst zu entscheiden. Es darf die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und des Verfahrens nur dann an das Gericht des ersten Rechtszugs zurückverweisen, wenn dieses in der Sache noch nicht entschieden hat. Das Gleiche gilt, soweit das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet und zur Entscheidung eine umfangreiche oder aufwändige Beweiserhebung notwendig wäre und ein Beteiligter die Zurückverweisung beantragt. Das Gericht des ersten Rechtszugs hat die rechtliche Beurteilung, die das Beschwerdegericht der Aufhebung zugrunde gelegt hat, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.
(2) Der Beschluss des Beschwerdegerichts ist zu begründen.
(3) Für die Beschwerdeentscheidung gelten im Übrigen die Vorschriften über den Beschluss im ersten Rechtszug entsprechend.
(1) Das Recht der Beschwerde steht im Interesse des Betroffenen
- 1.
dessen Ehegatten oder Lebenspartner, wenn die Ehegatten oder Lebenspartner nicht dauernd getrennt leben, sowie dessen Eltern und Kindern, wenn der Betroffene bei diesen lebt oder bei Einleitung des Verfahrens gelebt hat, den Pflegeeltern, - 2.
einer von dem Betroffenen benannten Person seines Vertrauens sowie - 3.
dem Leiter der Einrichtung, in der der Betroffene lebt,
(2) Das Recht der Beschwerde steht dem Verfahrenspfleger zu.
(3) Der Betreuer oder der Vorsorgebevollmächtigte kann gegen eine Entscheidung, die seinen Aufgabenkreis betrifft, auch im Namen des Betroffenen Beschwerde einlegen.
(4) Das Recht der Beschwerde steht der zuständigen Behörde zu.