Bundesgerichtshof Beschluss, 23. Aug. 2016 - VIII ZR 46/15
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 23. August 2016 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Milger, die Richter Dr. Achilles und Dr. Schneider, die Richterin Dr. Fetzer sowie den Richter Kosziol
beschlossen:
Gründe:
- 1
- Die gemäß § 321a Abs. 1 ZPO statthafte und innerhalb der Frist des § 321a Abs. 2 Satz 1 ZPO eingelegte Anhörungsrüge ist unzulässig, weil es an der vorgeschriebenen Darlegung (§ 321a Abs. 2 Satz 5 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO) einer entscheidungserheblichen Gehörsverletzung durch den Senat fehlt.
- 2
- 1. Eine Anhörungsrüge muss konkrete Ausführungen dazu enthalten, aus welchen Umständen sich eine entscheidungserhebliche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch das Gericht ergibt.
- 3
- Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet die Gerichte zwar dazu, das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei der Urteilsfindung in Erwägung zu ziehen (BVerfGE 11, 218, 220; 83, 24, 35; Senat, BGHZ 154, 288, 300; st. Rspr.). Grundsätzlich ist jedoch davon auszugehen, dass sie diesen Pflichten nachgekommen sind, auch wenn sie das Vorbringen nicht ausdrücklich beschieden haben (BVerfGE 47, 182, 187; 86, 133, 146; 96, 205, 216; BVerfG RdL 2004, 68, 69; st. Rspr.). Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs ist erst dann verletzt, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht seiner Pflicht zur Kenntnisnahme und zur Erwägung des Vorgetragenen nicht nachgekommen ist (vgl. BVerfGE 22, 267, 274; 65, 293, 295; 88, 366, 375 f.).
- 4
- Die schlichte Behauptung einer Gehörsverletzung genügt danach nicht. Die nach § 321a Abs. 2 Satz 5 ZPO erforderliche Darlegung setzt die Angabe der Tatsachen voraus, aus denen sich die geltend gemachte Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG ergibt, sowie einen substantiierten Vortrag zum Vorliegen der Voraussetzungen einer Gehörsverletzung (vgl. BGH, Urteil vom 1. Oktober 2002 - XI ZR 71/02, BGHZ 152, 182, 185 mwN; Beschluss vom 19. März 2009 - V ZR 142/08, MDR 2009, 760 Rn. 9 f., jeweils zur Nichtzulassungsbeschwerde ). In der Anhörungsrüge sind somit, wie bei einer Verfassungsbeschwerde, die Umstände vorzutragen, aus denen sich ergibt, dass das Gericht bei der Entscheidung das Vorbringen übergangen haben muss (vgl. dazu BVerfGE 92, 205, 216; BGH, Beschluss vom 19. März 2009 - V ZR 142/08, aaO Rn. 10). Auch die Entscheidungserheblichkeit der geltend gemachten Gehörsverletzung hat die Partei nach § 321a Abs. 2 Satz 5 ZPO substantiiert darzulegen. Ob tatsächlich eine Gehörsverletzung vorliegt, ist zwar eine Frage der Begründetheit der Rüge. Steht jedoch von vornherein fest, dass die geltend gemachte Gehörsverletzung keinerlei nachteilige Wirkungen für die betroffene Partei haben kann, ist sie bereits unzulässig (BGH, Beschluss vom 17. Februar 2015 - XI ZR 17/14, juris; vgl. auch BGH, Beschlüsse vom 15. November 2012 - V ZR 79/12, juris Rn. 3; vom 21. Juli 2011 - I ZR 204/09, juris Rn. 1; vom 14. Mai 2013 - V ZB 286/11, juris Rn. 1).
- 5
- 2. Den vorbeschriebenen Darlegungsanforderungen wird die Anhörungsrüge der Beklagten nicht gerecht. Die Beklagte zeigt schon kein in der Revisionsinstanz zu berücksichtigendes Vorbringen auf, das der Senat übergangen haben könnte. Vielmehr erschöpft sie sich in der Darlegung einer von der Rechtsauffassung des Senats abweichenden Würdigung sowie von Gesichtspunkten , die nicht Gegenstand des Revisionsverfahrens waren, sondern erstmals mit der Anhörungsrüge vorgetragen werden und aus diesem Grund von vornherein ungeeignet sind, eine Gehörsverletzung darzulegen.
- 6
- a) Die Anhörungsrüge trägt unter Punkt 1 ihrer Begründung vor, der Senat habe nicht annehmen dürfen, dass zwischen den Parteien zum 1. Januar 2007 ein Tarifkundenverhältnis begründet worden sei. Damit wiederholt sie lediglich ihre von dem Senatsurteil (dort Rn. 30) abweichende Rechtsauffassung, wobei sie wesentliche und vom Senat für entscheidend erachtete Gesichtspunkte (vgl. Rn. 22, 2) ausblendet und nicht darlegt, welchen konkreten entscheidungserheblichen Sachvortrag sie als übergangen ansieht. Gleiches gilt für die von der Rüge unter Punkt 2 angeführten Überlegungen zu § 2 Nr. 3 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin, den der Senat (Senatsurteil Rn. 28) in einem nicht mit der Revisionsauffassung übereinstimmenden Sinn ausgelegt hat.
- 7
- b) Soweit die Rüge unter Punkt 3 zur Begründung ihrer vom Senat abweichenden Auslegung des Schreibens der Klägerin vom 11. November 2006 auf Rechtsvorschriften des Unionsgesetzgebers beruft, liegt hierin schon deswegen - von vornherein - keine Darlegung einer entscheidungserheblichen Gehörsverletzung , weil die von der Beklagten nunmehr (erstmals) vorgebrachte Argumentation nicht Gegenstand des Revisionsvorbringens war. Im Übrigen erschöpft sich das Vorbringen unter diesem Punkt wiederum in der Wiederholung der von dem Senatsurteil abweichenden Rechtsauffassung der Beklagten im Hinblick auf den Inhalt der in dem Schreiben der Klägerin vom 11. November 2006 verkörperten Willenserklärung.
- 8
- c) Die Rüge wendet sich unter Punkt 4 schließlich erneut - pauschal - gegen die auch in Rn. 30 des Senatsurteils zugrunde gelegte gefestigte Rechtsauffassung des Senats, dass im Tarifkundenverhältnis der zu Vertragsbeginn geltende Preis einer Billigkeitskontrolle entzogen ist, zeigt aber nicht ansatzweise auf, welchen entscheidungserheblichen Vortrag sie als übergangen ansieht. Soweit die Anhörungsrüge schließlich allgemein auf eine Beschwerde zur EU-Kommission zum Az. CHAP 201401145 verweist, handelt es sich wiederum um neues Vorbringen, das nicht Gegenstand des Revisionsverfahrens war und eine Anhörungsrüge von vornherein nicht begründen kann.
- 9
- d) Die von der Anhörungsrüge beantragte Aussetzung des vorliegenden Verfahrens gemäß § 148 ZPO scheidet schon wegen der eingetretenen Rechtskraft des Urteils aus. Dr. Milger Dr. Achilles Dr. Schneider Dr. Fetzer Kosziol
LG Berlin, Entscheidung vom 29.10.2012 - 28 O 131/11 -
KG Berlin, Entscheidung vom 28.11.2014 - 6 U 236/12 -
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Annotations
(1) Auf die Rüge der durch die Entscheidung beschwerten Partei ist das Verfahren fortzuführen, wenn
- 1.
ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist und - 2.
das Gericht den Anspruch dieser Partei auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.
(2) Die Rüge ist innerhalb einer Notfrist von zwei Wochen nach Kenntnis von der Verletzung des rechtlichen Gehörs zu erheben; der Zeitpunkt der Kenntniserlangung ist glaubhaft zu machen. Nach Ablauf eines Jahres seit Bekanntgabe der angegriffenen Entscheidung kann die Rüge nicht mehr erhoben werden. Formlos mitgeteilte Entscheidungen gelten mit dem dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Die Rüge ist schriftlich bei dem Gericht zu erheben, dessen Entscheidung angegriffen wird. Die Rüge muss die angegriffene Entscheidung bezeichnen und das Vorliegen der in Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 genannten Voraussetzungen darlegen.
(3) Dem Gegner ist, soweit erforderlich, Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.
(4) Das Gericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Rüge an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist erhoben ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Rüge als unzulässig zu verwerfen. Ist die Rüge unbegründet, weist das Gericht sie zurück. Die Entscheidung ergeht durch unanfechtbaren Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden.
(5) Ist die Rüge begründet, so hilft ihr das Gericht ab, indem es das Verfahren fortführt, soweit dies auf Grund der Rüge geboten ist. Das Verfahren wird in die Lage zurückversetzt, in der es sich vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung befand. § 343 gilt entsprechend. In schriftlichen Verfahren tritt an die Stelle des Schlusses der mündlichen Verhandlung der Zeitpunkt, bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden können.
(1) Auf die Rüge der durch die Entscheidung beschwerten Partei ist das Verfahren fortzuführen, wenn
- 1.
ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist und - 2.
das Gericht den Anspruch dieser Partei auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.
(2) Die Rüge ist innerhalb einer Notfrist von zwei Wochen nach Kenntnis von der Verletzung des rechtlichen Gehörs zu erheben; der Zeitpunkt der Kenntniserlangung ist glaubhaft zu machen. Nach Ablauf eines Jahres seit Bekanntgabe der angegriffenen Entscheidung kann die Rüge nicht mehr erhoben werden. Formlos mitgeteilte Entscheidungen gelten mit dem dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Die Rüge ist schriftlich bei dem Gericht zu erheben, dessen Entscheidung angegriffen wird. Die Rüge muss die angegriffene Entscheidung bezeichnen und das Vorliegen der in Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 genannten Voraussetzungen darlegen.
(3) Dem Gegner ist, soweit erforderlich, Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.
(4) Das Gericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Rüge an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist erhoben ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Rüge als unzulässig zu verwerfen. Ist die Rüge unbegründet, weist das Gericht sie zurück. Die Entscheidung ergeht durch unanfechtbaren Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden.
(5) Ist die Rüge begründet, so hilft ihr das Gericht ab, indem es das Verfahren fortführt, soweit dies auf Grund der Rüge geboten ist. Das Verfahren wird in die Lage zurückversetzt, in der es sich vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung befand. § 343 gilt entsprechend. In schriftlichen Verfahren tritt an die Stelle des Schlusses der mündlichen Verhandlung der Zeitpunkt, bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden können.
(1) Das Gericht kann, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen sei.
(2) Das Gericht kann ferner, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits von Feststellungszielen abhängt, die den Gegenstand eines anhängigen Musterfeststellungsverfahrens bilden, auf Antrag des Klägers, der nicht Verbraucher ist, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des Musterfeststellungsverfahrens auszusetzen sei.