Bundesgerichtshof Beschluss, 07. Juni 2018 - V ZB 237/17
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
(im Anschluss an EuGH, Urteil vom 13. September 2017, Khir Amayry, C-60/16, EU:C:2017:675, Rn. 39; Modifizierung von Senat, Beschluss vom 6.April 2017 - V ZB 126/16, InfAuslR 2017, 290).
BGH, Beschluss vom 7. Juni 2018 - V ZB 237/17 - LG Landau AG Landau
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 7. Juni 2018 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, die Richterinnen Dr. Brückner und Weinland und die Richter Dr. Kazele und Dr. Hamdorf
beschlossen:
Die Beteiligten tragen ihre außergerichtlichen Kosten in allen Instanzen selbst. Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.
Gründe:
I.
- 1
- Der Betroffene, ein eritreischer Staatsangehöriger, reiste unerlaubt in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte einen Asylantrag. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge richtete am 31. Oktober 2016 ein Übernahmeersuchen nach der Dublin-III-Verordnung an Italien. Hierauf reagierte Italien nicht. In der Folgezeit wurde der Asylantrag des Betroffenen als unzulässig abgelehnt und seine Abschiebung nach Italien angeordnet.
- 2
- Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 17. Oktober 2017 Haft bis zum 16. Januar 2018 zur Sicherung der Abschiebung des Betroffenen angeordnet. Auf seine Beschwerde hat das Landgericht den Beschluss des Amtsgerichts aufgehoben und den Antrag der beteiligten Behörde auf Anordnung von Sicherungshaft abgelehnt. Dagegen richtet sich die am 23. November 2017 bei dem Bundesgerichtshof eingegangene Rechtsbeschwerde der beteiligten Behörde. Nach der Abschiebung des Betroffenen am 21. Dezember 2017 nach Italien beantragt sie jetzt, nachdem sie zunächst die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Entscheidung des Landgerichts beantragt hatte, dem Betroffenen die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
II.
- 3
- Nach Ansicht des Beschwerdegerichts durfte Sicherungshaft nicht angeordnet werden, weil die Überstellung des Betroffenen in den zuständigen Mitgliedstaat nicht innerhalb der mit der Vollziehung der Haft beginnenden sechswöchigen Frist des Art. 28 Abs. 3 Dublin-III-VO durchführbar sei.
III.
- 4
- 1. Die Rechtsbeschwerde der Behörde ist zulässig. Sie ist nach § 70 Abs. 3 Satz 3 FamFG ohne Zulassung durch das Beschwerdegericht statthaft, weil sie sich gegen einen eine freiheitsentziehende Maßnahme ablehnenden Beschluss richtet. Die Rechtsbeschwerde der Behörde ist auch im Übrigen zulässig , insbesondere ist sie nicht dadurch unzulässig geworden, dass der Betroffene während des Rechtsbeschwerdeverfahrens nach Italien abgeschoben wurde. Das schließt zwar eine Sachentscheidung über die Haftanordnung aus; mangels Feststellungsinteresses kann die beteiligte Behörde die Rechtsbeschwerde auch nicht mit einem Feststellungsantrag analog § 62 FamFG aufrechterhalten. Sie kann das Rechtsmittel aber - wie hier geschehen - auf den Kostenpunkt beschränken und das Verfahren in diesem beschränkten Umfang fortführen (vgl. Senat, Beschluss vom 31. Januar 2013 - V ZB 22/12, BGHZ 196, 118 Rn. 6 ff.).
- 5
- 2. Die Entscheidung über die Kosten ist gemäß § 83 Abs. 2 in Verbindung mit § 81 Abs. 1 Satz 1 FamFG nach billigem Ermessen zu treffen. Eine Entscheidung über die Kosten zugunsten des Rechtsbeschwerdeführers hat danach zu ergehen, wenn sein Rechtsmittel ohne die Erledigung der Hauptsache begründet gewesen wäre (Senat, Beschluss vom 19. Dezember 2013 - V ZB 145/13, juris Rn. 5). Im vorliegenden Fall entspricht es billigem Ermessen , dass jeder Beteiligte seine außergerichtlichen Kosten selbst trägt, da offen ist, wie das Verfahren ohne das erledigende Ereignis ausgegangen wäre.
- 6
- a) Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts, das sich auf die Entscheidung des Senats vom 6. April 2017 (V ZB 126/16, InfAuslR 2017, 290) stützt, stand Art. 28 Abs. 3 Unterabs. 3 der Dublin-III-Verordnung der Anordnung von Haft nicht entgegen. Nach dem zwischenzeitlich ergangenen Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 13. September 2017 (Khir Amayry, C-60/16, EU:C:2017:675, Rn. 39) gilt die in dieser Vorschrift vorgesehene Höchstfrist von sechs Wochen, innerhalb deren die Überstellung einer in Haft genommenen Person erfolgen muss, nur in dem Fall, dass sich diese bereits in Haft befindet, wenn eines der beiden in dieser Bestimmung angeführten Ereignisse (Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs oder das Ende der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs gegen eine Überstellungsentscheidung oder der Überprüfung einer solchen Entscheidung) eintritt (vgl. auch Senat, Beschluss vom 11. Oktober 2017 - V ZB 81/17, juris Rn. 3). Hier wurde die Haft aber erst nach der (gemäß Art. 22 Abs. 7 Dublin-III-VO fingierten) Annahme des Wiederaufnahmegesuchs angeordnet. Daher findet die SechsWochen -Frist des Art. 28 Abs. 3 Unterabs. 3 Dublin-III-Verordnung keine Anwendung.
- 7
- b) Daraus dass das Beschwerdegericht zu Unrecht annimmt, dass Art. 28 Abs. 3 Unterabs. 3 der Dublin-III-Verordnung der Haftanordnung entgegenstand , folgt jedoch lediglich, dass es aus diesem Grund die Haftanordnung nicht hätte aufheben dürfen. Ob die von dem Betroffenen mit der Beschwerde vorgebrachten weiteren Einwendungen eine Aufhebung der Haftanordnung gerechtfertigt hätten, ist dagegen offen, weil sich das Beschwerdegericht hiermit - aus seiner Sicht folgerichtig - nicht befasst hat. Diese von dem Beschwerdegericht als Tatsacheninstanz (Senat, Beschluss vom 10. Oktober 2013 - V ZB 127/12, FGPrax 2014, 39 Rn. 8) vorzunehmende Prüfung kann von dem Senat als Rechtsbeschwerdegericht nicht nachgeholt werden. Eine Zurückverweisung an das Beschwerdegericht kommt nicht in Betracht, da nur noch über die Kosten zu entscheiden ist.
- 8
- 3. Hat sich die Hauptsache erledigt, muss im Rechtsbeschwerdeverfahren eine Entscheidung über die Gerichtskosten für alle Rechtszüge ergehen, selbst wenn und soweit sie nur klarstellende Bedeutung hat (Senat, Beschluss vom 7. November 2013 - V ZB 111/12, juris Rn. 5). Gemäß § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83 Abs. 2 FamFG werden Gerichtskosten in allen Instanzen nicht erhoben.
- 9
- 4. Die Festsetzung des Beschwerdewerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.
Vorinstanzen:
AG Landau in der Pfalz, Entscheidung vom 17.10.2017 - 2 XIV 56/17 B -
LG Landau, Entscheidung vom 03.11.2017 - 3 T 145/17 -
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(1) Die Rechtsbeschwerde eines Beteiligten ist statthaft, wenn sie das Beschwerdegericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) Die Rechtsbeschwerde gegen einen Beschluss des Beschwerdegerichts ist ohne Zulassung statthaft in
- 1.
Betreuungssachen zur Bestellung eines Betreuers, zur Aufhebung einer Betreuung, zur Anordnung oder Aufhebung eines Einwilligungsvorbehalts, - 2.
Unterbringungssachen und Verfahren nach § 151 Nr. 6 und 7 sowie - 3.
Freiheitsentziehungssachen.
(4) Gegen einen Beschluss im Verfahren über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung einer einstweiligen Anordnung oder eines Arrests findet die Rechtsbeschwerde nicht statt.
(1) Hat sich die angefochtene Entscheidung in der Hauptsache erledigt, spricht das Beschwerdegericht auf Antrag aus, dass die Entscheidung des Gerichts des ersten Rechtszugs den Beschwerdeführer in seinen Rechten verletzt hat, wenn der Beschwerdeführer ein berechtigtes Interesse an der Feststellung hat.
(2) Ein berechtigtes Interesse liegt in der Regel vor, wenn
(3) Hat der Verfahrensbeistand oder der Verfahrenspfleger die Beschwerde eingelegt, gelten die Absätze 1 und 2 entsprechend.
(1) Die Rechtsbeschwerde eines Beteiligten ist statthaft, wenn sie das Beschwerdegericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) Die Rechtsbeschwerde gegen einen Beschluss des Beschwerdegerichts ist ohne Zulassung statthaft in
- 1.
Betreuungssachen zur Bestellung eines Betreuers, zur Aufhebung einer Betreuung, zur Anordnung oder Aufhebung eines Einwilligungsvorbehalts, - 2.
Unterbringungssachen und Verfahren nach § 151 Nr. 6 und 7 sowie - 3.
Freiheitsentziehungssachen.
(4) Gegen einen Beschluss im Verfahren über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung einer einstweiligen Anordnung oder eines Arrests findet die Rechtsbeschwerde nicht statt.
(1) Hat sich die angefochtene Entscheidung in der Hauptsache erledigt, spricht das Beschwerdegericht auf Antrag aus, dass die Entscheidung des Gerichts des ersten Rechtszugs den Beschwerdeführer in seinen Rechten verletzt hat, wenn der Beschwerdeführer ein berechtigtes Interesse an der Feststellung hat.
(2) Ein berechtigtes Interesse liegt in der Regel vor, wenn
(3) Hat der Verfahrensbeistand oder der Verfahrenspfleger die Beschwerde eingelegt, gelten die Absätze 1 und 2 entsprechend.
(1) Das Gericht kann die Kosten des Verfahrens nach billigem Ermessen den Beteiligten ganz oder zum Teil auferlegen. Es kann auch anordnen, dass von der Erhebung der Kosten abzusehen ist. In Familiensachen ist stets über die Kosten zu entscheiden.
(2) Das Gericht soll die Kosten des Verfahrens ganz oder teilweise einem Beteiligten auferlegen, wenn
- 1.
der Beteiligte durch grobes Verschulden Anlass für das Verfahren gegeben hat; - 2.
der Antrag des Beteiligten von vornherein keine Aussicht auf Erfolg hatte und der Beteiligte dies erkennen musste; - 3.
der Beteiligte zu einer wesentlichen Tatsache schuldhaft unwahre Angaben gemacht hat; - 4.
der Beteiligte durch schuldhaftes Verletzen seiner Mitwirkungspflichten das Verfahren erheblich verzögert hat; - 5.
der Beteiligte einer richterlichen Anordnung zur Teilnahme an einem kostenfreien Informationsgespräch über Mediation oder über eine sonstige Möglichkeit der außergerichtlichen Konfliktbeilegung nach § 156 Absatz 1 Satz 3 oder einer richterlichen Anordnung zur Teilnahme an einer Beratung nach § 156 Absatz 1 Satz 4 nicht nachgekommen ist, sofern der Beteiligte dies nicht genügend entschuldigt hat.
(3) Einem minderjährigen Beteiligten können Kosten in Kindschaftssachen, die seine Person betreffen, nicht auferlegt werden.
(4) Einem Dritten können Kosten des Verfahrens nur auferlegt werden, soweit die Tätigkeit des Gerichts durch ihn veranlasst wurde und ihn ein grobes Verschulden trifft.
(5) Bundesrechtliche Vorschriften, die die Kostenpflicht abweichend regeln, bleiben unberührt.
(1) Wird das Verfahren durch Vergleich erledigt und haben die Beteiligten keine Bestimmung über die Kosten getroffen, fallen die Gerichtskosten jedem Teil zu gleichen Teilen zur Last. Die außergerichtlichen Kosten trägt jeder Beteiligte selbst.
(2) Ist das Verfahren auf sonstige Weise erledigt oder wird der Antrag zurückgenommen, gilt § 81 entsprechend.
(1) Soweit sich in einer vermögensrechtlichen Angelegenheit der Geschäftswert aus den Vorschriften dieses Gesetzes nicht ergibt und er auch sonst nicht feststeht, ist er nach billigem Ermessen zu bestimmen.
(2) Soweit sich in einer nichtvermögensrechtlichen Angelegenheit der Geschäftswert aus den Vorschriften dieses Gesetzes nicht ergibt, ist er unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere des Umfangs und der Bedeutung der Sache und der Vermögens- und Einkommensverhältnisse der Beteiligten, nach billigem Ermessen zu bestimmen, jedoch nicht über 1 Million Euro.
(3) Bestehen in den Fällen der Absätze 1 und 2 keine genügenden Anhaltspunkte für eine Bestimmung des Werts, ist von einem Geschäftswert von 5 000 Euro auszugehen.
(4) Wenn sich die Gerichtsgebühren nach den für Notare geltenden Vorschriften bestimmen, sind die für Notare geltenden Wertvorschriften entsprechend anzuwenden. Wenn sich die Notargebühren nach den für Gerichte geltenden Vorschriften bestimmen, sind die für Gerichte geltenden Wertvorschriften entsprechend anzuwenden.