Bundesgerichtshof Beschluss, 04. Apr. 2007 - III ZB 85/06

published on 04/04/2007 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 04. Apr. 2007 - III ZB 85/06
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Landgericht Ulm, 6 O 14/05, 31/01/2006
Oberlandesgericht Stuttgart, 1 U 31/06, 06/07/2006

Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
III ZB 85/06
vom
4. April 2007
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Ein Rechtsanwalt, der seiner Kanzleiangestellten die Einzelanweisung erteilt,
einen Schriftsatz zur Wahrung einer Rechtsmittel- oder Rechtsmittelbegründungfrist
noch am selben Tag per Telefax an das zuständige Gericht abzusenden
, muss, jedenfalls wenn er nicht anordnet, den Schriftsatz sogleich abzuschicken
, Vorkehrungen dagegen treffen, dass sein Auftrag im Drange der
übrigen Geschäfte in Vergessenheit gerät und die Frist dadurch versäumt wird
(Fortführung von BGH, Beschluss vom 22. Juni 2004 - VI ZB 10/04 - NJW-RR
2004, 1361 f).
BGH, Beschluss vom 4. April 2007 - III ZB 85/06 - OLG Stuttgart
LG Ulm
Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 4. April 2007 durch den
Vorsitzenden Richter Schlick und die Richter Dr. Wurm, Streck, Dörr und
Dr. Herrmann

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde des Klägers gegen den Beschluss des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 6. Juli 2006 - 1 U 31/06 - wird als unzulässig verworfen.
Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.
Beschwerdewert: 96.522,70 €.

Gründe:


I.


1
Der Kläger betrieb einen privaten Rettungsdienst in Baden-Württemberg. Er macht gegen den Beklagten Ausgleichsansprüche gemäß § 28 Abs. 4 des Rettungsdienstgesetzes geltend.
2
Das Landgericht hat die Klage durch das dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 9. Februar 2006 zugestellte Urteil abgewiesen. Mit am 9. März 2006 beim Berufungsgericht eingegangenem anwaltlichen Schriftsatz hat er Berufung eingelegt, welche er mit am Dienstag, dem 11. April 2006 eingegangenem Schriftsatz vom 10. April 2006 begründet hat. Mit ebenfalls am 11. April 2006 eingegangenem weiteren Schriftsatz hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der versäumten Berufungsbegründungsfrist beantragt.
3
Zur Begründung hat er ausgeführt, er habe den korrigierten und unterschriebenen Berufungsbegründungsschriftsatz am frühen Nachmittag des 10. April 2006 seiner langjährigen und äußerst zuverlässig arbeitenden Rechtsanwaltsfachangestellten übergeben. Er habe diese angewiesen, den Schriftsatz wegen des Fristablaufs "noch heute" vorab per Fax an das Oberlandesgericht zu übermitteln. Die Angestellte habe sodann die Tagespost fertig gestellt, indem sie diese einkuvertiert und frankiert habe. Anschließend habe sie sich auf den Weg begeben, um das Gerichtsfach der Kanzlei bei dem örtlichen Amtsgericht zu leeren. Hierbei habe sie die frankierte Post in den auf dem Weg gelegenen Briefkasten eingeworfen. Nach Rückkehr in die Kanzlei habe sie im Fristenkalender die Erledigung der Gerichtspost vermerkt. Da sie die Berufungsbegründungsschrift in den Briefkasten eingeworfen habe, habe sie auch in der vorliegenden Sache einen Erledigungsvermerk im Fristenkalender angebracht, wobei sie die angeordnete Faxübermittlung vergessen habe.
4
Die Fristenkontrolle in seinem Büro sei so geregelt, dass nach Erbringung der zur Fristwahrung erforderlichen Leistung die Frist im Kalender mit einem Haken versehen werde. Sei die Übermittlung eines Schriftsatzes per Telefax angeordnet, dürfe dies nach einer entsprechenden allgemeinen Weisung erst nach Ausdruck eines beizuheftenden Sendeprotokolls mit dem Vermerk "OK" erfolgen.
5
Das Berufungsgericht hat die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt und die Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers.

II.


6
Die Rechtsbeschwerde ist unzulässig. Sie ist zwar nach § 238 Abs. 2 in Verbindung mit § 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Allerdings hat die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO), noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).
7
1. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, dem Prozessbevollmächtigten des Klägers falle ein Organisationsverschulden zur Last. Weise ein Rechtsanwalt seine Fachangestellte an, eine schon fertig gestellte und im Original von ihm unterschriebene Berufungsbegründungsschrift noch am selben Tage per Fax an das Gericht zu versenden, werde den an die Organisation einer Rechtsanwaltskanzlei zu stellenden Anforderungen nur dann ausreichend Rechnung getragen , wenn geeignete Maßnahmen getroffen seien, die einem möglichen Vergessen der mündlichen Anweisung entgegenwirkten. Solche Maßnahmen könnten in der allgemeinen Anordnung an di e Fachangestellte bestehen, eine Einzelweisung zur Übermittlung eines versandfertigen und unterschriebenen fristgebundenen Schriftsatzes per Fax entweder sofort auszuführen oder sofort im Fristenkalender einen Vermerk über die gebotene Versendung per Fax anzubringen.
8
2. Das Berufungsgericht hat damit auf der Grundlage der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entschieden.
9
Ein Rechtsanwalt darf zwar grundsätzlich darauf vertrauen, dass eine Büroangestellte, die sich bisher als zuverlässig erwiesen hat, eine konkrete Einzelweisung befolgt (ständige Rechtsprechung, z.B. BGH, Beschluss vom 22. Juni 2004 - VI ZB 10/04 - NJW-RR 2004, 1361, 1362 m.w.N.; BGH, Beschluss vom 4. November 2003 - VI ZB 50/03 - NJW 2004, 688, 689). Dieser Grundsatz gilt jedoch nicht ausnahmslos. Betrifft die Anweisung - wie hier - einen solch wichtigen Vorgang wie die Wahrung einer Rechtsmittel- oder Rechtsmittelbegründungsfrist und wird sie nur mündlich erteilt, müssen in der Kanzlei ausreichende organisatorische Vorkehrungen dagegen getroffen sein, dass die Anordnung in Vergessenheit gerät und die Frist dadurch versäumt wird. In einem solchen Fall bedeutet das Fehlen jeder Sicherung einen Organisationsmangel (BGH, Beschluss vom 22. Juni 2004 aaO; vgl. auch BGH, Beschluss vom 4. November 2003 aaO). Eine besondere Vorkehrung mag ausnahmsweise entbehrlich sein, wenn die Bürokraft die unmissverständliche Weisung erhält, einen Vorgang sogleich auszuführen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Juni 2004 aaO). Lässt der Anwalt seiner Angestellten hingegen - wie hier - einen zeitlichen Spielraum von mehreren Stunden zur Erledigung der aufgetragenen Arbeit , besteht die Gefahr, dass der Auftrag im Drange der sonstigen Geschäfte vergessen wird. Dieser Fehler kann auch ansonsten verlässlichen Kanzlei- angestellten unterlaufen. Der Rechtsanwalt muss deshalb, wenn er nicht die sofortige Ausführung seiner Einzelweisung anordnet, durch eine allgemeine Weisung oder durch einen im Einzelfall zu erteilenden Auftrag Vorkehrungenhiergegen treffen. Insoweit kommt, wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, zum Beispiel in Betracht, dass sofort nach der mündlichen Weisung, den Schriftsatz noch am selben Tag per Fax zu versenden, ein entsprechender Vermerk im Fristenkalender angebracht wird.
10
Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde steht dem der Beschluss des VI. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom 22. Juni 2004 (aaO) nicht entgegen. Zwar hat dieser Senat das Organisationsverschulden eines Rechtsanwalts, der seinem Büropersonal, wie hier, die Anweisung gegeben hatte, eine Berufungsbegründung als Fax an das Rechtsmittelgericht zu senden , mit der Erwägung angenommen, dass die Weisung bereits am Vormittag ergangen war und die klare und präzise Direktive fehlte, die Rechtsmittelbegründungsschrift umgehend, jedenfalls noch am Vormittag abzusenden (Beschluss vom 22. Juni 2004 aaO). Für den Fall, dass die Versendung am Vormittag unterblieben sei, habe die nicht fern liegende Gefahr bestanden, dass die Angestellte die Anweisung nach ihrer Mittagspause vergessen würde. Dieser Entscheidung ist jedoch, anders als die Rechtsbeschwerde meint, nicht umgekehrt zu entnehmen, dass der Rechtsanwalt darauf vertrauen darf, dass seine Einzelanweisung nicht innerhalb weniger Stunden eines halben Tages in Vergessenheit gerät.
Schlick Wurm Streck
Dörr Herrmann
Vorinstanzen:
LG Ulm, Entscheidung vom 31.01.2006 - 6 O 14/05 -
OLG Stuttgart, Entscheidung vom 06.07.2006 - 1 U 31/06 -
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(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn1.dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder2.das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.§ 542 Ab

(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwer
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(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn1.dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder2.das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.§ 542 Ab

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Annotations

War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist.

(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.

(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass

1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat,
2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat,
3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und
4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
Das Berufungsgericht oder der Vorsitzende hat zuvor die Parteien auf die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung und die Gründe hierfür hinzuweisen und dem Berufungsführer binnen einer zu bestimmenden Frist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Der Beschluss nach Satz 1 ist zu begründen, soweit die Gründe für die Zurückweisung nicht bereits in dem Hinweis nach Satz 2 enthalten sind. Ein anfechtbarer Beschluss hat darüber hinaus eine Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen zu enthalten.

(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.

(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn

1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder
2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
§ 542 Abs. 2 gilt entsprechend.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.

(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.