Bundesgerichtshof Beschluss, 09. Nov. 2011 - 1 StR 524/11

published on 09/11/2011 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 09. Nov. 2011 - 1 StR 524/11
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Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 524/11
vom
9. November 2011
BGHSt: nein
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
____________________________
Bei einer Wahllichtbildvorlage sollten einem Zeugen Lichtbilder von wenigstens
acht Personen vorgelegt werden. Dabei ist es vorzugswürdig, ihm diese nicht
gleichzeitig sondern nacheinander (sequentiell) vorzulegen oder (bei Einsatz
von Videotechnik) vorzuspielen. Wird die Wahllichtbildvorlage vor der Vorlage
bzw. dem Vorspielen von acht Lichtbildern abgebrochen, weil der Zeuge erklärt
hat, eine Person wiedererkannt zu haben, macht dies das Ergebnis der Wahllichtbildvorlage
zwar nicht wertlos, kann aber ihren Beweiswert mindern.
BGH, Beschluss vom 9. November 2011 - 1 StR 524/11 - LG Heilbronn
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 9. November 2011 beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Heilbronn vom 30. Mai 2011 wird als unbegründet verworfen, da
die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung
keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die
dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen
Auslagen zu tragen.

Gründe:


1
Der Angeklagte wurde wegen versuchten Totschlags und weiterer Gewaltdelikte sowie wegen mehrerer Unterschlagungen unter Einbeziehung einer früheren Verurteilung (ebenfalls wegen vorsätzlicher Körperverletzung) zu einer Jugendstrafe verurteilt.
2
Seine Revision bleibt erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO).
3
Die (gefährliche) Körperverletzung zum Nachteil des ihm bis dahin nicht bekannten Mi. R. hat der Angeklagte bestritten. Dieser und weitere Zeugen der Tat hatten den Angeklagten bei einer im Ermittlungsverfahren durchgeführten Wahllichtbildvorlage nicht oder nicht sicher wiedererkannt. Ähnlich war das Ergebnis der Hauptverhandlung, auch soweit dort weitere Tatzeu- gen vernommen wurden, mit denen im Ermittlungsverfahren keine Wahllichtbildvorlage durchgeführt worden war. Soweit Mi. R. den Angeklagten in der Hauptverhandlung erkannte, hat die Jugendkammer zutreffend erwogen , dass er möglicherweise das ihm früher gezeigte Lichtbild wiedererkannt haben könnte. Die Jugendkammer stützt ihre Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten entscheidend auf die Aussage des ebenfalls bei der Tat anwesenden M. R. . Dieser hatte den Angeklagten vor allem deshalb wiedererkannt, weil er einige Monate zuvor selbst einen Streit und eine tätliche Auseinandersetzung mit dem Angeklagten gehabt hatte. Außerdem hat er, wie die Vernehmung des damit befassten Polizeibeamten bestätigte, den Angeklagten bei einer Wahllichtbildvorlage wiedererkannt. Der Angeklagte war auf dem fünften dem Zeugen vorgelegten Lichtbild abgebildet gewesen. Nachdem der Zeuge erklärt hatte, er erkenne den Angeklagten auf diesem Bild als denjenigen wieder, der Mi. R. mit dem Messer verletzt hatte, wurde die Wahllichtbildvorlage beendet, obwohl die Vorlage von neun Lichtbildern vorbereitet gewesen war. Die Jugendkammer führt näher aus, dass trotz des Abbruchs der Wahllichtbildvorlage deren Ergebnis, etwa wegen der Angabe M. R. s, den Angeklagten von der früheren Auseinandersetzung her zu kennen, und aus sonstigen, von der Jugendkammer dargelegten Gründen, „nicht wertlos“ gewe- sen sei.
4
Die Revision knüpft an den Abbruch der Wahllichtbildvorlage an und meint, dass unter den gegebenen Umständen „der Beweiswert [der Wahllicht- bildvorlage] … gegen Null (strebt)“.
5
Der Senat sieht keinen Rechtsfehler.
6
Allerdings sollen, dies ist ein Ergebnis kriminalistischer Erfahrung, einem Zeugen bei einer Gegenüberstellung „eine Reihe“ von Vergleichspersonen ge- genübergestellt werden (vgl. Nr. 18 RiStBV), wobei eine Zahl von mindestens acht Vergleichspersonen empfehlenswert ist. Die gleiche Anzahl von Lichtbildern ist bei Wahllichtbildvorlagen sachgerecht (vgl. Bender/Nack/Treuer, Tatsachenfeststellung vor Gericht, 3. Aufl., Rn. 1257, 1251 mwN). Dabei ist es vorzugswürdig , wenn dem Zeugen die Lichtbilder nicht gleichzeitig sondern nacheinander (sequentiell) vorgelegt werden (BGH, Beschluss vom 9. März 2000 - 4 StR 513/99, StV 2000, 603; vgl. auch BGH, Urteil vom 14. April 2011 - 4 StR 501/10; generell zur sequentiellen Vorlage Odenthal NStZ 2001, 580 ff. mwN). Der nicht näher ausgeführte Hinweis des Generalbundesanwalts, der Abbruch einer Wahllichtbildvorlage, sobald eine Person erkannt sei, beruhe (nicht nur) auf „polizeilichen Richtlinien“ (vgl. insoweit auch Odenthal aaO S. 582), sondern sei auch „in entsprechender Software implementiert“, spricht dafür, dass hier - die Urteilsgründe äußern sich hierzu nicht ausdrücklich - die Wahllichtbildvorlage nicht in Papierform sondern (rechtlich unbedenklich) mit Videotechnik durchgeführt wurde. Unabhängig davon ist der Senat der Auffassung, dass einem Zeugen auf jeden Fall im Rahmen einer Wahllichtbildvorlage (mindestens) acht Personen gezeigt bzw. vorgespielt werden sollten, auch wenn er schon zuvor angibt, eine Person erkannt zu haben. Denn er kann bei einer größeren Vergleichszahl etwaige Unsicherheiten in seiner Beurteilung besser erkennen und dementsprechend offen legen, sodass im Ergebnis eine Wiedererkennung unter (mindestens) acht Vergleichspersonen einen höheren - in Grenzfällen möglicherweise entscheidenden - Beweiswert gewinnen kann (vgl. Eisenberg, Beweisrecht der StPO, 7. Aufl., Rn. 1405, Odenthal aaO, jew. mwN).
7
Daraus folgt jedoch nicht, dass es, wie die Revision im Ergebnis meint, aus Rechtsgründen schlechterdings ausgeschlossen wäre, das Ergebnis einer Wiedererkennung im Rahmen einer (deshalb) nach Vorlage von fünf Bildern abgebrochenen Wahllichtbildvorlage in die Gesamtwürdigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme einzubeziehen. Möglicher Schwächen dieser Art der Beweisgewinnung war sich die Jugendkammer bewusst, wie ihre sehr weitgehen- de Einschränkung, dass das Ergebnis der Wahllichtbildvorlage „nicht wertlos“ war, zeigt. In diesem Umfang konnte sie es in die eingehend und sehr sorgfältig von ihr vorgenommene Gesamtwürdigung des Beweisergebnisses einstellen. Die Grenzen möglicher tatrichterlicher Beweiswürdigung hat sie weder dabei noch sonst überschritten.
8
Auch im Übrigen hat die auf Grund der Revisionsrechtfertigung gebotene Überprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler ergeben, wie dies auch der Generalbundesanwalt in seiner Stellungnahme vom 17. Oktober 2011 zutreffend im Einzelnen dargelegt hat. Wahl Rothfuß Hebenstreit Elf Graf
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.
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Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.