Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Urteil, 26. Nov. 2014 - 10 B 14.1235

bei uns veröffentlicht am26.11.2014

Gericht

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

Tenor

I.

Unter Abänderung der Nr. I des Urteils des Bayerischen Verwaltungsgerichts Regensburg vom 14. August 2012 wird der Bescheid der Beklagten vom 20. April 2012 insoweit aufgehoben, als dieser einen Leinenzwang auch für die Bereiche außerhalb im Zusammenhang bebauter Ortsteile enthält.

II.

Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Unter Abänderung der Nr. II des Urteils des Bayerischen Verwaltungsgerichts Regensburg vom 14. August 2012 tragen die Klägerin und die Beklagte jeweils die Hälfte der Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens.

III.

Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.

Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

IV.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin ist Halterin des etwa sechs Jahre alten Hundes „L.“ der Rasse Rhodesian Ridgeback mit einer Widerristhöhe von über 60 cm.

Am 14. März 2012 kam es zu einem Beißvorfall mit dem Hund der Klägerin. Anlässlich eines Spaziergangs mit der Klägerin - zusammen mit dem Collie der Mutter der Klägerin und dem Berner Sennenhund der Schwester der Klägerin - lief „L.“ auf einem außerhalb bebauter Ortschaften verlaufenden Radweg auf den angeleinten Jack-Russel-Terrier „St.“ zu und fügte ihm eine Bisswunde bei.

Nach Anhörung erließ die Beklagte am 20. April 2012 eine sicherheitsrechtliche Anordnung, mit der sie der Klägerin untersagte, ihren Hund sich außerhalb ihres Grundstückes unangeleint bewegen zu lassen (Leinenzwang), sowie ihr aufgab, den Hund außerhalb ihres Anwesens grundsätzlich an einer reißfesten, maximal 2 m langen Leine mit Hakenkarabiner zu führen und ihm ein schlupfsicheres Halsband anzulegen (Nr. 1 des Bescheids). Unter Nr. 2 ordnete die Beklagte die sofortige Vollziehung der Nr. 1 an. Für den Fall, dass die Klägerin die in Nr. 1 genannte Verpflichtung nicht sofort erfülle, wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 1000.- Euro angedroht (Nr. 3). Zur Begründung des auf Art. 7 Abs. 2 i. V. m. Art. 18 Abs. 2 LStVG gestützten Bescheids wurde ausgeführt, vom Hund der Klägerin gehe eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit aus, da nach den gegebenen Tatsachen zu befürchten sei, dass der Hund in naher Zukunft wieder Tiere verletzen oder unter Umständen Menschen Schaden zufügen werde. Die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Anordnung für den Einzelfall zur Haltung von Hunden seien erfüllt. Der Erlass einer solchen Anordnung stehe im pflichtgemäßen Ermessen der Gemeinde. Die Beklagte halte ein Einschreiten im öffentlichen Interesse für notwendig. Der Vorfall zeige, dass der Hund der Klägerin ohne vorhersehbaren Anlass aus seiner ungebändigten Natur heraus zu einer schweren Gefahr für Gesundheit und Leben von Menschen werde könne, wenn er sich außerhalb des Grundstücks unangeleint aufhalte. Bei der Beißattacke am 14. März 2012 seien drei Hunde unangeleint auf einen anderen Hund zugelaufen. Aufgrund des Rudelverhaltens der Tiere sei eine konkrete Gefahr zu bejahen. Das Interesse des Halters, von sicherheitsrechtlichen Maßnahmen verschont zu bleiben, sei grundsätzlich nachrangig und müsse hinter das höherwertige Ziel des Schutzes von Menschen zurücktreten, ebenso wie der natürliche Bewegungsdrang des Tieres. Unerheblich sei zudem, ob der beteiligte unterlegene Hund den Beißvorfall mitverursacht habe. Hinzu komme, dass es nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs nicht erforderlich sei, dass ein Hund bereits durch Beißen von Menschen oder Tieren oder durch sonstiges aggressives Verhalten auffällig geworden sei. Die Abwehr von Gefahren setze nicht voraus, dass bereits ein schädigendes Ereignis stattgefunden habe. Bei dem klägerischen Hund komme erschwerend hinzu, dass es sich um ein großes Tier handle. Sei es bereits zu einem Beißvorfall gekommen, seien Anordnungen nach Art. 18 Abs. 2 LStVG zur Gefahrenabwehr nicht nur zulässig, sondern vielmehr geboten. Das Ermessen sei auf Null reduziert. Die Anordnung des Leinenzwangs entspreche somit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.

Dem Antrag der Klägerin gemäß § 80 Abs. 5 VwGO gab das Verwaltungsgericht Regensburg mit Beschluss vom 24. Mai 2012 insoweit statt, als angeordnet wurde, den Hund der Klägerin auch außerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile anzuleinen. Im Übrigen wurde der Antrag abgelehnt.

Mit Schriftsatz vom 9. Mai 2012 ließ die Klägerin Klage erheben und beantragen, den Bescheid der Beklagten vom 20. April 2012 aufzuheben. Zur Begründung wurde vorgebracht, der Bescheid gehe unrichtigerweise davon aus, dass sich neben dem Hund der Klägerin auch die Hunde von deren Mutter und Schwester auf „St.“ gestürzt hätten. Auf ein Rudelverhalten könne der Bescheid nicht gestützt werden, da nur der Hund der Klägerin und „St.“ am Beißvorfall beteiligt gewesen seien. Zudem sei zu berücksichtigen, dass „St.“ unsozialisiert im Zwinger gehalten werde und äußerst aggressiv sei. Ein Beißen des Hundes der Klägerin sei unwahrscheinlich, vielmehr habe sich „St.“ nicht artgerecht verhalten, sondern versucht, sich aus dem Bissgriff des Ridgeback zu lösen. Dabei sei es wohl zu den nicht nachgewiesenen Verletzungen des Jack Russel gekommen. Die Anordnung begegne auch insoweit rechtlichen Bedenken, als der Hund der Klägerin nur noch auf dem eigenen Grundstück frei laufen dürfe. Zudem sei kein Grund zu erkennen, warum beispielsweise außerhalb von Ortschaften nicht eine längere Laufleine (z. B. mit 8 Metern) erlaubt sein solle. Auch sei nicht erkennbar, wieso eventuellen Gefahren nicht dadurch begegnet werden könne, dass der Hund (wahlweise) einen Maulkorb tragen müsse. Zudem sei die Anordnung zu unbestimmt.

Die Beklagte beantragte die Abweisung der Klage und führte aus, es könne dahinstehen, ob der gebissene Hund aggressiv sei oder unsozialisiert, denn darauf komme es bei einer Anordnung nach Art. 18 Abs. 2 LStVG nicht an. Ausreichend sei, dass vom klägerischen Hund eine konkrete Gefahr ausgehe. Auch erweise sich die angeordnete Maßnahme des Leinenzwangs als erforderlich und verhältnismäßig. Ein Maulkorbzwang sei nicht angebracht, da auch gerade das hundetypische freie Zulaufen auf andere Hunde und Personen eine Gefahr darstelle, die durch einen Maulkorbzwang nicht verhindert werden könne. Der klägerische Hund sei zudem aufgrund seiner Größe und seines Gewichts immer noch in der Lage, auch mit einem Maulkorb Personen anzuspringen oder umzuwerfen.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Regensburg am 14. August 2012 wurden sowohl die Halterin des gebissenen Hundes „St.“ als auch die Schwester und die Mutter der Klägerin als Zeuginnen einvernommen. Insoweit wird auf die Niederschrift Bezug genommen.

Mit Urteil vom 14. August 2012 wies das Bayerische Verwaltungsgericht Regensburg die Klage der Klägerin ab und begründete dies wie folgt: Die angeordnete Anleinpflicht sei durch Art. 18 Abs. 2 LStVG gedeckt. Vom Hund der Klägerin gehe eine konkrete Gefahr für die Unversehrtheit anderer Hunde aus. Dies habe sich aufgrund des Beißvorfalls am 14. März 2012 gezeigt. Der angeordneten Anleinpflicht stehe nicht entgegen, dass sich die Hunde bei dem Beißvorfall womöglich artgerecht verhalten hätten. Auch hundetypisches Verhalten könne eine Gefahr begründen. Der angeordnete Leinenzwang sei geeignet, die bestehende Gefahr zu mindern und sei auch nicht unverhältnismäßig. Zum einen stelle ein frei umherlaufender großer und kräftiger Hund nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs bereits eine konkrete Gefahr i. S. d. Art. 18 Abs. 2 LStVG dar. Zum anderen habe die Sicherheitsbehörde bei der Auswahl der angeordneten Maßnahmen einen Ermessensspielraum. Der angeordnete Leinenzwang sei auch rechtmäßig, soweit er für den Außenbereich gelte und insoweit keine Ausnahmen zulasse. Denn der Beißvorfall habe gerade im Außenbereich stattgefunden. Es bestehe die Gefahr, dass es wieder zu einem Beißvorfall komme, wenn der klägerische Hund nicht stets angeleint werde, wenn er sich außerhalb des klägerischen Anwesens befinde.

Auf Antrag der Klägerin hat der Senat die lediglich auf eine Einschränkung des Anleinzwangs gerichtete Berufung der Klägerin mit Beschluss vom 4. Juni 2014 zugelassen, weil ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen. Der angefochtene Bescheid lasse nämlich jegliche Ermessenserwägungen bei der Anordnung eines ausnahmslosen Anleinzwangs vermissen.

In ihrem Schriftsatz vom 10. Juli 2014 zur Begründung ihrer Berufung stellte die Klägerin nochmals klar, dass sie nicht eine vollständige Aufhebung des sicherheitsrechtlich angeordneten Leinenzwangs für ihren Hund begehre, sondern eine Einschränkung des Leinenzwangs, der einerseits dem Sicherheitsbedürfnis Dritter, aber andererseits auch dem artgerechten Bewegungsbedürfnis ihres Hundes und der ihr obliegenden Verpflichtung als Halterin, für eine artgerechte Bewegung ihres Tieres Sorge zu tragen, entgegenkomme und die gegenläufigen Belange abwäge und angemessen berücksichtige. Soweit der angefochtene Bescheid außerhalb ihres Grundstücks einen ausnahmslosen Anleinzwang für ihren Hund anordne, liege eine nicht notwendige und unverhältnismäßige Einschränkung der artgemäßen Bewegung für den Hund vor, die sowohl die Rechte der Klägerin als Hundehalterin als auch die Belange ihres Hundes in unvertretbarer, rechtswidriger Weise beeinträchtige. Der ausnahmslose Leinenzwang, der sich ausweislich des Wortlauts der Anordnung auch auf Hundeschulen und -pensionen sowie auf eingefriedete und gesicherte Grundstücke bzw. Privatgrundstücke, die einem öffentlichen Verkehr nicht zugänglich seien, beziehe, sei rechtswidrig, da mildere Mittel erkennbar seien, die zum gleichen Ergebnis führten. Ohne dass Dritten Gefahr drohe, könnte vom Leinenzwang abgesehen werden, wenn sich der Hund in Bereichen außerhalb von Ortschaften auf öffentlichen Wegen oder Straßen befinde und durch die Klägerin oder eine andere Person beaufsichtigt werde und sich weder Menschen noch Tiere näherten noch sonstige Gefahrensituationen vorlägen.

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Regensburg vom 14. August 2012 den Bescheid der Beklagten vom 20. April 2012 insoweit aufzuheben, als dieser einen Leinenzwang auch für die Bereiche außerhalb im Zusammenhang bebauter Ortsteile enthalte.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Für die Beklagte habe aufgrund des konkreten Vorfalls kein Grund zur Ausübung eines Auswahlermessens bestanden, da ohnehin eine Ermessensreduzierung auf Null vorliege. Der unbeschränkte Leinenzwang sei die einzige ermessensgerechte Entscheidung gewesen. Auch wenn Art. 18 Abs. 2 LStVG grundsätzlich ein Ermessen einräume, könne sich im Rahmen der Gefahrenprognose ergeben, dass nur eine Maßnahme effektiv die Gefahren beseitigen könne. Dabei sei einerseits der auslösende Vorfall zu beachten, aber auch der Gesichtspunkt, dass es sich bei den nach Art. 18 Abs. 1 LStVG geschützten Rechtsgütern grundsätzlich um höherrangige Interessen als die Bewegungsfreiheit des Hundes handle. Da es sich um einen großen Hund handle, der bereits zuvor einmal eine Katze gebissen habe, ergebe sich innerorts allein daraus eine Ermessensreduzierung auf Null. Aber auch außerhalb der Ortschaft gewähre allein der Leinenzwang eine sichere Vermeidung von Gefahren. Der Hund könne, wenn er frei umherlaufe, in gleicher Weise wie innerhalb des Ortes in Kontakt mit dritten Personen kommen. Diese Gefahr lasse sich ausschließlich mit einer Leine verhindern. Selbst mit einem Maulkorb könne der Hund immer noch Dritte verfolgen. Dies könne zu Panikreaktionen führen und damit mittelbar auch zu Verletzungen. Zudem könne sich der Hund ohne Leinenzwang grundsätzlich unbeschränkt entfernen. Dies zeige sich gerade in dem konkreten Vorfall und dem damaligen typischen Rudelverhalten des Hundes. Die Maßnahme sei auch verhältnismäßig. Es sei Aufgabe des Hundehalters, für den nötigen Auslauf auf einem ausreichend großen Privatgrundstück zu sorgen. Ein milderes Mittel als die Anordnung des Leinenzwangs sei bei einem bissigen Hund nicht ersichtlich. Zudem stelle der Leinenzwang nur einen geringen Eingriff dar, denn der Bescheid gelte ohnehin nicht für Privatgrundstücke oder Hundesportplätze, so dass ausreichend Möglichkeit zur Bewegung des Hundes bestehe.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Behördenunterlagen ebenso Bezug genommen wie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung des Senats am 24. November 2014, in der der Beklagtenvertreter klargestellt hat, dass die Anordnung des Leinenzwangs im streitgegenständlichen Bescheid nicht für ausreichend umfriedete Privatgrundstücke und Hundesport- und Hundetrainingsplätze gelte.

Gründe

Die Berufung der Klägerin ist zulässig und begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 20. April 2012 ist, soweit er noch Gegenstand der Anfechtungsklage der Klägerin ist, aufzuheben, weil er rechtswidrig ist und die Klägerin in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Zwar liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen für den Erlass der angegriffenen Anordnung nach Art. 18 Abs. 2 des Landesstraf- und -Verordnungsgesetzes (LStVG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. Dezember 1982 (BayRS 2011-2-I), zuletzt geändert durch Gesetz vom 8. Juli 2013 (GVBl S. 403) vor (dazu 1.). Jedoch leidet der angegriffene Verwaltungsakt an einem Ermessensfehler (§ 114 Satz 1 VwGO) (dazu 2.).

Streitgegenstand im vorliegenden Verfahren ist gemäß dem nach § 88 VwGO ermittelten Klagebegehren, das auch in dem durch die Bevollmächtigte der Klägerin in der mündlichen Verhandlung gestellten, allein maßgeblichen Klageantrag (s. § 103 Abs. 3 VwGO) zum Ausdruck kommt, nur noch die auf Art. 18 Abs. 2 LStVG gestützte und vom Verwaltungsgericht im angefochtenen Urteil für rechtmäßig erachtete Anordnung (Leinenzwang) in Nr. 1 des Bescheids, soweit sich diese auf Bereiche außerhalb im Zusammenhang bebauter Ortsteile bezieht. Die Klägerin konnte ihre Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 1. Alt. VwGO) insoweit gegenständlich beschränken, weil die betroffene sicherheitsbehördliche Anordnung (Verwaltungsakt i. S. d. Art. 35 Satz 1 BayVwVfG) entsprechend teilbar ist (Rennert in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 88 Rn. 11 sowie Schmidt, a. a. O., § 113 Rn. 9). Die räumliche Beschränkung und damit Teilaufhebung des fehlerhaften Teils dieser Anordnung in Nr. 1 des Bescheids - Leinenzwang außerhalb im Zusammenhang bebauter Ortsteile - ist rechtlich zulässig, weil dieser (aufzuhebende) Teil mit dem verbleibenden Teil der Anordnung (des Verwaltungsakts) nicht in einem untrennbaren Zusammenhang steht und auch die durch die Beklagte getroffene (einheitliche) Ermessensentscheidung dem nicht entgegensteht. Vielmehr kann der verbleibende Teil - Leinenzwang innerhalb im Zusammenhang bebauter Ortsteile - ohne weiteres selbstständig bestehen. Er erlangt durch die Teilaufhebung auch keine andere Bedeutung, als ihm nach der Entscheidung der Beklagten als Sicherheitsbehörde ursprünglich zukam (vgl. Schmidt, a. a. O., Rn. 9). Damit ist Streitgegenstand, ob die Beklagte der Klägerin untersagen durfte, ihren Hund im Bereich außerhalb im Zusammenhang bebauter Ortsteile sich unangeleint bewegen zu lassen (Leinenzwang), ihn dort grundsätzlich an einer reißfesten, maximal 2 m langen Leine mit Hakenkarabiner zu führen und ihm ein schlupfsicheres Halsband anzulegen.

1. Im vorliegenden Fall sind die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine sicherheitsrechtliche Anordnung nach Art. 18 Abs. 2 LStVG gegeben. Danach können Gemeinden zum Schutz bestimmter in Abs. 1 genannter Rechtsgüter Anordnungen für den Einzelfall zur Haltung von Hunden treffen. In Art. 18 Abs. 1 Satz 1 LStVG sind als Rechtsgüter Leben, Gesundheit, Eigentum oder die öffentliche Reinlichkeit genannt. Liegen die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 18 Abs. 2 LStVG vor, steht der Erlass einer Anordnung im Ermessen der Behörde.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. z. B. BayVGH v. 12.5.2014 -10 B 12.2084 - juris Rn. 35 m. w. N.), darf eine Anordnung nach Art. 18 Abs. 2 LStVG nur erlassen werden, wenn im jeweils gesondert zu betrachtenden Einzelfall eine konkrete Gefahr für die betreffenden Schutzgüter vorliegt. Dies ist dann der Fall, wenn in dem zu beurteilenden konkreten Einzelfall in überschaubarer Zukunft mit dem Schadenseintritt hinreichend wahrscheinlich gerechnet werden kann. Ob bei einer erforderlichen Gefahrenprognose dabei auf den Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids abzustellen ist, hier also auf den 20. April 2012 (vgl. BayVGH v. 29.8.2001 - 24 ZS 01.1967 - juris) oder ob es sich bei der betreffenden sicherheitsbehördlichen Anordnung (Untersagungsverfügung) um einen Dauerverwaltungsakt handelt, für dessen gerichtliche Überprüfung auch hinsichtlich der Gefahrenprognose der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgeblich ist - wofür mit Blick auf Art. 8 Abs. 3 LStVG erwägenswerte Gründe sprechen - (offen gelassen BayVGH, B. v. 13.1.2012 - 10 CS 11.2379 - juris Rn. 29; für tierschutzrechtliche Anordnungen vgl. BVerwG, B. v. 9.7.2013 - 3 B 100/12 - juris Rn. 6; für Anordnungen zum Leinen- und Maulkorbzwang vgl. OVG NRW, B. v. 30.4.2004 - 5 A 1890/03 -juris Rn. 24), kann aber dahinstehen, denn der Tatbestand des Art. 18 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 Satz 1 LStVG ist in beiden Zeitpunkten erfüllt.

1.1. Im Zeitpunkt des Erlasses des streitgegenständlichen Bescheids vom August 2012 lag nach Auffassung des Senats eine vom klägerischen Hund „L.“ ausgehende konkrete Gefahr jedenfalls für das Schutzgut Eigentum (an anderen Hunden) vor.

Aus dem Bescheid selbst ergibt sich allerdings nicht hinreichend klar, worin die Beklagte diese konkrete Gefahr sieht. Sie führt zwar zunächst aus, dass zu befürchten sei, „L.“ werde in naher Zukunft wieder Tiere verletzen oder unter Umständen Menschen Schaden zufügen. In der weiteren Begründung ist dann jedoch mehrfach davon die Rede, dass „L.“ eine „schwere Gefahr für Gesundheit und Leben von Menschen“ sei. Eine solche Gefahr lässt sich aber nicht ohne Weiteres aus dem Beißvorfall vom 14. März 2012 herleiten, der Anlass für die Anordnung war. Damals hat der klägerische Hund auf einem Radweg in der freien Natur einen wesentlich kleineren Jack-Russel-Terrier angegriffen und verletzt. Menschen kamen dabei aber nicht zu Schaden. Auch anschließend bis zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids im August 2012 sind keine Vorfälle bekannt, bei denen „L.“ Menschen bedroht, angegriffen oder gar verletzt hätte.

Ob sich zudem, wie im Bescheid angenommen wurde, eine konkrete Gefahr aufgrund eines Rudelverhaltens der am Tag des Vorfalls anwesenden drei Hunde, nämlich dem klägerischen Hund, dem Hund der Mutter der Klägerin und dem Hund der Schwester der Klägerin, bejahen lässt, ist zweifelhaft. Zwar befanden sich alle drei Hunde in unmittelbarer Nähe des gebissenen Hundes, jedoch steht nicht fest, dass sich alle drei Hunde gemeinsam auf das Opfer gestürzt hätten. Insoweit hat auch die Einvernahme der Zeuginnen in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht München am 24. November 2014 keine eindeutige Klärung erbracht. Gebissen hat jedenfalls nur der klägerische Hund, was nach Aussage aller Beteiligten feststeht.

Die Beklagte geht in ihrem Bescheid vom April 2012 im Ansatz zutreffend davon aus, dass von Hunden ausgehende Gefahren auch auf einem hundetypischen, artgerechten Verhalten beruhen können und dass der Hund der Klägerin ein großes Tier sei, das in der Lage sei, Mensch und Tier erhebliche Verletzungen zuzufügen. Der klägerische Rhodesian Ridgeback ist nämlich bereits von seiner Größe (Widerristhöhe über 60 cm) und seinem Gewicht (über 30 kg) her ein großer und kräftiger Hund, der anderen Tieren (und Menschen) allein aufgrund seines Körperbaus Angst einflössen und anlässlich eines Beißvorfalls erhebliche Schäden zufügen kann, wenngleich er vom Charakter her keine gesteigerte Aggressivität und Gefährlichkeit aufweist (vgl. „Rhodesian Ridgeback“ bei Wikipedia). Insoweit nimmt die Beklagte offensichtlich Bezug auf die Rechtsprechung des Senats, der bereits mehrfach (vgl. grundlegend U. v. 9.11.2010 - 10 BV 06.3053 - juris Rn. 25) die Auffassung vertreten hat, dass von großen Hunden, die frei herumlaufen, eine konkrete Gefahr für Leib und Leben Dritter ausgehe. Dies gilt allerdings im Regelfall nur für öffentliche Straßen und Wege mit relevantem Publikumsverkehr. Ob hier ausnahmsweise auch für den Außenbereich angenommen werden kann, dass der klägerische Hund, obwohl er noch nie einen Menschen verletzt oder angegriffen hat, allein wegen seiner Größe und des Beißvorfalls mit dem Hund eine konkrete Gefahr auch für das Schutzgut Gesundheit darstellt, kann letztlich offen bleiben.

Ungeachtet der womöglich unrichtigen Begründung im streitgegenständlichen Bescheid unterliegt die von der Beklagten getroffene Einschätzung hinsichtlich der Gefahrenprognose nicht nur in vollem Umfang der gerichtlichen Kontrolle (vgl. BayVGH, U. v. 15.3.2005 - 24 BV 04.2755 - juris Rn. 22), sondern es ist im gerichtlichen Verfahren auch von Amts wegen zu prüfen, ob vom betreffenden Hund eine konkrete Gefahr i. S. v. Art. 18 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 Satz 1 LStVG ausgeht. Lagen demnach im Zeitpunkt der Entscheidung der Beklagten Tatsachen vor, die eine von der Beklagten getroffene Gefahrenprognose hinreichend stützen, sind die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 18 Abs. 2 LStVG gegeben, auch wenn die anordnende Behörde die Gefahrenprognose missverständlich oder fehlerhaft begründet hat.

So steht im vorliegenden Fall fest, dass der klägerische Hund „L.“ in einen Beißvorfall verwickelt war, bei dem er einen wesentlich kleineren Jack-Russel-Terrier auf einem Radweg außerhalb bebauter Bereiche angegriffen und gebissen hat. Der von der Klägerin im Berufungsverfahren nicht mehr bestrittene Beißvorfall zeigt, dass ihr Hund durchaus über ein gewisses Aggressionspotential verfügt und damit die Gefahr besteht, dass er sich in einer ähnlichen Situation erneut auf einen anderen Hund stürzen könnte. Dass der Jack-Russel möglicherweise selbst ein Verhalten an den Tag gelegt hat, das nicht artgerecht ist, und er aufgrund seiner aus einer Zwingerhaltung resultierenden nicht sozialisierten Wesensart den Vorfall womöglich provoziert hat, spielt dabei keine Rolle. Ausreichend ist, dass „L.“ das Eigentum von Menschen, hier den gebissenen Hund, verletzt hat und damit eine konkrete Gefahr für ein in Art. 18 Abs. 1 LStVG genanntes Schutzgut darstellt.

1.2. Auch im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung, also dem 24. November 2014, ist von einer weiter vom klägerischen Hund ausgehenden konkreten Gefahr für ein solches Schutzgut auszugehen. Zwar hat „L.“, soweit dem Senat bekannt ist, kein weiteres Tier mehr gebissen oder angegriffen. Dies mag auch daher rühren, dass er seit dem Erlass des Bescheides im August 2012 an der Leine geführt wird. Dennoch ist die vom Hund der Klägerin ausgehende konkrete Gefahr nicht deshalb entfallen, weil es seitdem zu keinen weiteren Zwischenfällen gekommen ist. Denn mangels eines Erfahrungssatzes, nach dem ein Hund, der über einen bestimmten Zeitraum unauffällig war, es auch in Zukunft bleiben wird, widerlegt ein längerer seit einem Beißvorfall verstrichener Zeitraum nicht per se die durch den vorherigen Beißvorfall indizierte Gefahrenlage (vgl. BayVGH, B. v. 28.9.2012 - 10 CS 12.1791 - juris Rn. 25). Von einem Wegfall der konkreten Gefahr kann vielmehr allenfalls dann ausgegangen werden, wenn über den bloßen Zeitablauf ohne weitere Zwischenfälle hinaus Tatsachen vorliegen, aus denen der sichere Schluss gezogen werden kann, dass von dem betroffenen Hund inzwischen keine Gefahr mehr ausgeht (vgl. BayVGH, B. v. 25.8.2014 - juris Rn. 8; B. v. 28.9.2012 - 10 CS 12.1791 - juris Rn. 25). Solche konkreten Tatsachen sind im vorliegenden Falle aber nicht ersichtlich.

2. Die Anordnung Nr. 1 im noch streitbefangenen Umfang erweist sich aber deshalb als rechtswidrig, weil sie ermessensfehlerhaft ist (Art. 40 BayVwVfG). Dies trifft sowohl auf den Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids zu (dazu 2.1.) als auch auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Senats (dazu 2.2.), denn eine ausreichende Ermessensergänzung des Verwaltungsakts ist auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht gemäß § 114 Satz 2 VwGO erfolgt.

2.1. Der Erlass von Anordnungen für den Einzelfall zur Haltung von Hunden nach Art. 18 Abs. 2 LStVG liegt im Ermessen der Behörde. Die von dieser zu treffende Entscheidung umfasst sowohl die Frage, ob sie handeln will (Erschließungsermessen) als auch die Frage, wie sie handeln will (Auswahlermessen). Dabei hat sie ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten (Art. 40 BayVwVfG).

Zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids, also am 20. April 2012, hat die Beklagte zwar gesehen, dass ihr ein Ermessen dahingehend zusteht, ob sie Anordnungen hinsichtlich der Haltung des Hundes der Klägerin erlassen will und hat ein Einschreiten im öffentlichen Interesse ausdrücklich für notwendig gehalten. Allerdings ist sie dabei davon ausgegangen, dass vom klägerischen Hund eine schwere Gefahr für Gesundheit und Leben von Menschen ausgeht, wenn er sich außerhalb des klägerischen Grundstücks unangeleint aufhält. „L.“ hat aber bislang nie Anlass dafür gegeben, bei ihm von einer derart schweren Gefahr für diese Schutzgüter auszugehen. Zwar steht fest, dass er den Jack-Russel „St.“ beim streitgegenständlichen Beißvorfall verletzt hat, jedoch sind sonstige Beißattacken nicht nachweislich bekannt. Dass „L.“ schon einmal eine Katze gebissen hat, wird zwar behauptet, steht aber nicht eindeutig fest. Schon gar nicht hat er Menschen angegriffen und verletzt. Auch wenn die Beklagte davon ausgeht, dass der klägerische Hund eine Gefahr für Gesundheit und Leben von Menschen darstellen könne, hat auch sie nicht behauptet, ein Mensch sei von diesem Hund jemals verletzt oder auch nur sonst angegangen worden. Damit ist aber bereits fraglich, ob die Beklagte ihr Ermessen, ob sie gegen die Hundehalterin einschreiten will, ordnungsgemäß ausgeübt hat. Denn dies ist nur dann der Fall, wenn sie ihren Ermessenserwägungen Tatsachen zugrunde legt, die auch zutreffen.

Verfehlt ist überdies die rechtliche Bewertung der Beklagten, ein Einschreiten sei (zwingend) geboten, weshalb es für die Frage, ob Anordnungen überhaupt getroffen werden, keiner Ermessenserwägungen mehr bedürfe. Die Annahme der Beklagten im angefochtenen Bescheid, Anordnungen nach Art. 18 Abs. 2 LStVG zur Abwehr der realisierten Gefahr seien dann, wenn es bereits zu einem Beißvorfall gekommen sei, nicht nur zulässig, sondern vielmehr geboten, trifft in der Form hier nicht zu. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats sind zwar in Fällen, in denen es in der Vergangenheit bereits zu Beißvorfällen mit Verletzungen der Gesundheit von Menschen gekommen ist, Anordnungen nach Art. 18 Abs. 2 LStVG nicht nur zulässig, sondern regelmäßig sogar geboten (vgl. zuletzt BayVGH, B. v. 25.8.2014 -10 ZB 12.2673 - juris Rn. 8). Die Argumentation der Beklagten, bei Gefährdung von Leben und Gesundheit sei das Ermessen „auf Null“ reduziert mit der Folge, dass geeignete Maßnahmen zur Abwehr der Gefahr ergriffen werden müssten, ist gleichwohl hier verfehlt. Gerade dies liegt im vorliegenden Fall nämlich nicht vor, da Leben und Gesundheit von Menschen vom klägerischen Hund niemals gefährdet waren.

Selbst wenn man unter Hintanstellung aller Bedenken davon ausgeht, dass die Beklagte ihr Ermessen, ob sie Anordnungen hinsichtlich der Haltung des Hundes der Klägerin erlassen will, ermessensfehlerfrei ausgeübt hat, fehlt es jedenfalls an ausreichenden und nachvollziehbaren Ermessenserwägungen dahingehend, welche Maßnahmen geeignet und erforderlich waren und warum diese der Klägerin auch zumutbar waren (Art. 8 LStVG). Zu den im Bescheidstenor angeordneten Maßnahmen, nämlich Leinenzwang außerhalb des Grundstücks der Klägerin, Führen an einer reißfesten, maximal 2 Meter langen Leine mit Hakenkarabiner und Anlegen eines schlupfsicheren Halsbands enthalten die Bescheidsgründe keinerlei Ausführungen. Schon gar nicht unterscheidet die Beklagte zwischen einem Anleinzwang im Bereich bebauter Ortsteile und in Bereichen außerhalb im Zusammenhang bebauter Ortsteile. Sie führt im Bescheid zwar aus, dass der Erlass von Anordnungen im pflichtgemäßen Ermessen stehe und dass ein Einschreiten im öffentlichen Interesse notwendig sei, verliert zu den einzelnen Maßnahmen aber kein Wort. Mit dem Einzelfall der Klägerin befasst sie sich überhaupt nicht und kommt letztendlich ohne nähere Begründung zum Ergebnis, „die Anordnung hinsichtlich des Leinenzwangs entspricht somit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz“. Eine Abwägung zwischen den Belangen der Klägerin und den öffentlichen Interessen findet nicht statt. Das Interesse des Halters, von sicherheitsrechtlichen Maßnahmen verschont zu bleiben, wird lediglich insofern erwähnt, als nach Auffassung der Beklagten dieses grundsätzlich nachrangig sei und regelmäßig hinter das höherwertige Ziel des Schutzes von Menschen zurücktreten müsse. Wie oben bereits dargelegt, ist im Bescheid aber weder dargelegt noch sonst ersichtlich, inwiefern das Schutzziel der Verhütung von Gefahren für Leben und Gesundheit von Menschen im vorliegenden Fall überhaupt tangiert sein soll, da der klägerische Hund bislang keine anderen Personen angegriffen oder gar verletzt hat. Eine fehlerfreie Ermessensausübung ist aber schon vom Ansatz her nur dann möglich, wenn ein zutreffender Sachverhalt zugrunde gelegt und konkret herausgearbeitet wird, welche Gefahr vom streitgegenständlichen Hund ausgeht und ob diese Gefahr auch mit dem streitgegenständlichen Bescheid bekämpft werden soll und kann und zudem in welcher Weise.

So ist jeweils im konkreten Einzelfall zu prüfen, ob eine derart gravierende Anordnung wie ein zeitlich und räumlich unbeschränkter Leinenzwang tatsächlich erforderlich ist, um dem in Zukunft zu befürchtenden Schadenseintritt zu begegnen oder ob andere weniger beeinträchtigende Maßnahmen ausreichen. Diese Pflicht entfällt auch nicht deshalb, weil der klägerische Hund ein großer Hund mit einem allen großen Hunden immanenten Gefahrenpotential ist (vgl. oben S. 10). Für Bereiche außerhalb im Zusammenhang bebauter Ortsteile geht der Senat nämlich in der Regel davon aus, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dann verletzt und demgemäß das Ermessen dann fehlerhaft ausgeübt ist, wenn generell für das gesamte Gemeindegebiet eine Anleinpflicht angeordnet wird (vgl. BayVGH, B. v. 12.9.2001 - 24 N 00.1638 - juris Rn. 25). Dies gilt auch für große Hunde. Alternativen zum Leinenzwang werden von der Beklagten aber gar nicht aufgezeigt. Die Beklagte legt auch nicht ansatzweise dar, wieso im vorliegenden Fall die in vergleichbaren Fällen übliche Anordnung, nämlich bei ansonsten freiem Auslauf außerhalb bewohnter Gebiete den Hund unverzüglich an die Leine zu legen, wenn sich Menschen oder andere Tiere nähern oder eine sonstige Situation dies aus Sicherheitsgründen erfordert, verfügt wurde. Selbst wenn man berücksichtigt, dass der klägerische Hund gerade im Außenbereich einen anderen Hund gebissen hat und deshalb womöglich auch für diesen Bereich Anordnungen zur Hundehaltung erforderlich sind, fehlt es an jeglicher Auseinandersetzung mit der Art und Weise dieser Anordnungen. Denn außer einem zeitlich und örtlich nicht beschränkten Leinenzwang sind auch andere Anordnungen denkbar, die ein Beißen verhindern können, aber dem natürlichen Bewegungsdrang des Hundes mehr Raum lassen und deshalb einer artgerechteren Haltung dienen. Zieht man in Erwägung, dass der klägerische Hund zwar einen anderen Hund gebissen, ansonsten aber bisher weder für Menschen eine Gefahr dargestellt und weder Personen verletzt noch angesprungen hat, könnte beispielsweise auch eine längere Laufleine, die dem Hund mehr Bewegungsfreiheit eröffnet, oder das Anlegen eines Maulkorbs zur Gefahrenabwehr in Betracht kommen. Dass der uneingeschränkte Leinenzwang die einzig mögliche Maßnahme war, um zu verhindern, dass der klägerische Hund erneut einen anderen Hund beißt, wird auch im angefochtenen Bescheid weder behauptet geschweige denn hinreichend dargelegt.

2.2. Die Beklagte hat ihre Ermessenserwägungen auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht den rechtlichen Anforderungen entsprechend (§ 114 Satz 2 VwGO) ergänzt, so dass sich der Bescheid auch dann, wenn zur Beurteilung seiner Rechtmäßigkeit auf den jetzigen Zeitpunkt abzustellen wäre, nicht als ermessensfehlerfrei erweist.

Ungeachtet der Frage, ob der angefochtene Bescheid im Hinblick auf das Auswahlermessen überhaupt Ermessenserwägungen beinhaltet, die gemäß § 114 Satz 2 VwGO ergänzt werden können, und der Frage, ob hier ein Fall gegeben ist, in dem auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren die Ermessensentscheidung nachgeholt werden kann und erstmals Ermessenserwägungen angestellt werden dürfen (vgl. dazu BVerwG, U. v. 3.8.2004 - 1 C 30/02 - juris Rn. 31; BVerwG, U. v. 5.9.2006 - 1 C 20/09 - juris Rn. 22), hat die Beklagte jedenfalls ihr Ermessen auch nachträglich nicht ordnungsgemäß ausgeübt bzw. ergänzt. Weder im erstinstanzlichen noch im Berufungsverfahren wurden durch die Beklagte am Zweck der Ermächtigung orientierte und den Einzelfall in den Blick nehmende Ermessenserwägungen angestellt. Vielmehr hat sie in ihrem Berufungserwiderungsschriftsatz vom 7. August 2014 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass für sie kein Grund zur Ausübung eines Auswahlermessens bestanden habe, da insoweit eine Ermessensreduzierung auf Null vorgelegen habe. Der unbeschränkte Leinenzwang sei die einzige ermessensgerechte Entscheidung gewesen. Auch in der mündlichen Verhandlung des Senats am 24. November 2014, in der die Beklagte im Rechtsgespräch darauf hingewiesen worden ist, dass ein Leinenzwang ohne jede Einschränkung wohl mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit kaum vereinbar sei und ein intendiertes Ermessen oder eine Ermessensreduzierung auf Null hinsichtlich des Auswahlermessens wohl nicht in Betracht komme, hat die Beklagte keine ermessensergänzenden Ausführungen mehr gemacht.

Aus den genannten Gründen war der Berufung der Klägerin mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i. V. m. § 708 f. ZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

Urteilsbesprechung zu Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Urteil, 26. Nov. 2014 - 10 B 14.1235

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Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 113


(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Urteil, 26. Nov. 2014 - 10 B 14.1235 zitiert 11 §§.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

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(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 80


(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a). (2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur 1. bei der

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 167


(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs. (2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungskl

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 132


(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulas

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Soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht auch, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens übersch

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 88


Das Gericht darf über das Klagebegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden.

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(1) Der Vorsitzende eröffnet und leitet die mündliche Verhandlung. (2) Nach Aufruf der Sache trägt der Vorsitzende oder der Berichterstatter den wesentlichen Inhalt der Akten vor. (3) Hierauf erhalten die Beteiligten das Wort, um ihre Anträge

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(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).

(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur

1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten,
2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten,
3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen,
3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen,
4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
Die Länder können auch bestimmen, daß Rechtsbehelfe keine aufschiebende Wirkung haben, soweit sie sich gegen Maßnahmen richten, die in der Verwaltungsvollstreckung durch die Länder nach Bundesrecht getroffen werden.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.

(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.

(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

Soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht auch, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Die Verwaltungsbehörde kann ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen.

Das Gericht darf über das Klagebegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden.

(1) Der Vorsitzende eröffnet und leitet die mündliche Verhandlung.

(2) Nach Aufruf der Sache trägt der Vorsitzende oder der Berichterstatter den wesentlichen Inhalt der Akten vor.

(3) Hierauf erhalten die Beteiligten das Wort, um ihre Anträge zu stellen und zu begründen.

Tenor

I.

Unter Abänderung des Urteils des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 24. März 2011 wird der Bescheid der Beklagten vom 31. März 2010 insgesamt aufgehoben.

II.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

III.

Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

IV.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Rechtmäßigkeit einer Anordnung zur Hundehaltung.

Der Kläger war zum Zeitpunkt des Erlasses des streitgegenständlichen Bescheids im März 2010 Halter zweier Hunde, nämlich eines Rüden („O.“) und einer Hündin („T.“), beide Dobermann-Schäferhund-Mischlinge.

Wegen der Hunde gingen seit dem Jahr 2009 mehrere Beschwerden bei der Beklagten ein, in denen vorgebracht wurde, die Hunde verhielten sich bedrohlich und würden die Umzäunung überspringen. Am 27. November 2009 ereignete sich ein Beißvorfall, bei dem der Dackelmischling einer Spaziergängerin von der Hündin „T.“ des Klägers schwer verletzt worden ist. Noch im November 2009 wandten sich zahlreiche Nachbarn an den Kläger und baten ihn, seine Grundstückszäune instand zu setzen, damit die Hunde das Grundstück nicht mehr verlassen konnten. Sie hätten Angst um ihre Kinder und diese fürchteten sich auch vor den Hunden. Im Dezember 2009 meldete sich dann eine weitere Nachbarin bei der Beklagten, die angab, im März 2009 auf dem Fahrrad von einem Hund des Klägers attackiert worden zu sein. Sie habe Verletzungen (Bluterguss und Schürfwunden) davongetragen, sei aber nicht gebissen worden. Weitere Beschwerden von einem Nachbarn des Klägers gingen im Januar und März 2010 bei der Beklagten ein. Die Hunde verhielten sich nach wie vor aggressiv und würden ständig, auch nachts, im Garten bellen.

Mit Bescheid vom 31. März 2010 untersagte die Beklagte dem Kläger, Hunde auf seinem Grundstück in F., W.-Straße ..., außerhalb des Hauses frei laufen zu lassen, solange nicht der Zaun auf mindestens 1,50 Meter erhöht und die Lücke in der Einfriedung repariert sei. Das große Eisentor sei gegen unbeabsichtigtes Öffnen entsprechend zu sichern (Nr. 1 des Bescheids). Zudem wurde dem Kläger aufgegeben, die Hunde außerhalb des Grundstücks an einer reißfesten maximal 1,50 Meter langen Leine zu führen und ihnen außerdem Beißkörbe anzulegen (Nr. 2). In Nr. 3 wurde die sofortige Vollziehung der Nr. 1 und 2 angeordnet. Für den Fall der Nichterfüllung der Pflichten aus Nummer 1 und 2 des Bescheids wurde jeweils ein Zwangsgeld von 1.000 Euro bei einer Zuwiderhandlung angedroht (Nr. 4 a und b).

Zur Begründung des Bescheids führte die Beklagte aus, bereits am 27. August 2009 habe die Polizeiinspektion G. mit dem Kläger ein klärendes Gespräch geführt. Der Kläger habe gegenüber der Polizei versichert, dass die Hunde das Grundstück nicht verlassen würden. Bis heute habe der Kläger jedoch keine geeigneten Sicherungsmaßnahmen getroffen, so dass sich die Gemeinde gezwungen sehe, entsprechende Anordnungen zu erlassen. Rechtsgrundlage der Anordnungen in Nummer 1 und 2 des Bescheids sei Art. 18 Abs. 2 LStVG. Die Gemeinde sei für den Erlass der Anordnungen zuständig. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 18 Abs. 2 LStVG lägen auch vor. Der Kläger sei als Halter der Hunde richtiger Adressat der Anordnung. Der Erlass einer Anordnung nach Art. 18 Abs. 2 LStVG stehe im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde. Die Gemeinde halte ein Einschreiten im öffentlichen Interesse für notwendig, denn die Vorfälle zeigten, dass die beiden Hunde des Klägers ohne vorhersehbaren Anlass aus ihrer ungebändigten Natur heraus zu einer schweren Gefahr für Gesundheit und Leben von Menschen werden könnten, wenn ihr Aufenthalt nicht auf das Grundstück des Klägers beschränkt werde oder wenn sie sich außerhalb des Grundstücks ohne Maulkorb aufhielten. Die Anordnung hinsichtlich der Maulkörbe entspreche dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz aus Art. 8 LStVG.

Am 30. April 2010 erhob der Kläger Klage gegen den Bescheid der Beklagten.

Am 5. Juli 2010 ereignete sich ein weiterer Beißvorfall mit der Hündin „T.“. Die Hündin war aus dem Grundstück des Klägers entwichen und auf ein Nachbargrundstück gelaufen, wo sie eine dort angeleinte Jack-Russell-Terrier-Hündin gebissen und schwer verletzt hat.

Der Kläger begründete mit Schreiben vom 16. Februar 2011 seine Klage im Wesentlichen damit, dass der Vorfall am 10. März 2009 unzutreffend geschildert worden sei. Ursächlich dafür sei gewesen, dass sich die Leinen seiner Hunde beim Spazierengehen verheddert hätten. Seine Hündin sei dabei aus dem Halsband gerutscht. Die beteiligte Radfahrerin sei lediglich erschrocken. Der Hund habe sie nur gestreift. Der Leinenzwang sowie der Maulkorbzwang seien daher nicht erforderlich. Der Leinenzwang sei auch überflüssig, da im Gebiet der Beklagten bereits ein Leinenzwang aufgrund gemeindlicher Satzung bestehe. Dass Hunde Beißkörbe tragen, sei in L. allgemein unüblich. Löcher in der Einfriedung beziehungsweise im Zaun seines Grundstückes würden von ihm immer sofort repariert, wenn er diese bemerke. Die Schäden am Zaun seien durch die Bepflanzung auf dem Nachbargrundstück entstanden. Er habe den Nachbarn aufgefordert, die entsprechenden Gewächse zurückzuschneiden beziehungsweise zu entfernen. Das Gartentor sei ständig verschlossen. Die Hunde könnten dort nicht entweichen. Hinsichtlich der auferlegten Erhöhung der Einfriedung sei festzustellen, dass seine Hunde den bestehenden Zaun niemals übersprungen hätten. Hinsichtlich der nördlichen Einfriedung gebe es widersprüchliche Aussagen über die Eigentumsverhältnisse. Es müsse deshalb erst eine Vermessung durchgeführt werden.

Die Beklagte beantragte die Zurückweisung der Klage und trug vor, aufgrund der bereits vorgefallenen Attacken der Hunde des Klägers liege eine konkrete Gefahrenlage im Sinne von Art. 18 Abs. 2 LStVG vor, die die Beklagte zum Erlass entsprechender Einzelfallanordnungen berechtige. Die im angefochtenen Bescheid angeordneten Maßnahmen seien erforderlich, geeignet und verhältnismäßig, um die konkrete Gefahr zu begrenzen. Durch die Anordnung werde sichergestellt, dass die Hunde nicht unkontrolliert das Grundstück verlassen und Menschen beziehungsweise Tiere angreifen könnten.

Aus einem Aktenvermerk der Polizeiinspektion G. vom 8. Februar 2011 ergibt sich, dass das Grundstück des Klägers am 7. Februar 2011 in Augenschein genommen worden ist. Drei Grundstücksseiten seien gerichtet. Von den Hunden des Klägers dürfte insofern keine Gefahr mehr ausgehen. Die vierte Grundstücksgrenze sei nach wie vor provisorisch. Insoweit müsse das Grundstück noch vermessen werden.

Mit Urteil vom 24. März 2011 hob das Bayerische Verwaltungsgericht Augsburg die Nummer 2 sowie die Nummer 3, soweit sie sich auf Nummer 2 des Bescheids beziehe, und die Nummer 4 b des Bescheids der Beklagten vom 31. März 2010 auf und wies die Klage im Übrigen ab. Zur Begründung seiner teilweisen Klageabweisung führte das Verwaltungsgericht aus, die Anordnung in Nummer 1 des Bescheids sei rechtmäßig. Insoweit sei auf den Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides abzustellen. Eine eventuell fehlende Anhörung des Klägers vor Erlass des Bescheids sei mittlerweile geheilt. Die Anordnung sei erforderlich, um Gefährdungen Dritter durch die Hunde vom Grundstück aus durch Anbellen oder Schnappen am Zaun sowie das Entweichen der Hunde vom Haltergrundstück mit der Folge des unbeaufsichtigten Umherlaufens zu verhindern. Eine konkrete Gefahr sei zu bejahen, weil die Einfriedung des Grundstücks des Klägers keine ausreichende Höhe aufweise beziehungsweise in einem baulichen Zustand sei, der es den Hunden ermögliche, sich auf dem Zaun mit den Vorderläufen aufzustützen und die Köpfe über die Umzäunung hinauszustrecken beziehungsweise die Einzäunung zu überwinden und unbeaufsichtigt das Grundstück zu verlassen. Auch wenn der Kläger bereits Sicherungsmaßnahmen auf dem Grundstück durchgeführt habe, habe es sich bei der letzten Grundstücksbesichtigung doch gezeigt, dass auf einer Grundstücksseite noch keine Erhöhung des Zauns erfolgt sei.

Am 12. Mai 2011 ließ der Kläger Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 24. März 2011 stellen. Am 15. Juni 2011 wurde der Antrag damit begründet, dass der aggressivere der beiden Hunde zwischenzeitlich habe eingeschläfert werden müssen und der noch beim Kläger lebende Hund überaus friedlich sei.

Im Hinblick auf diese Änderung des Sachverhalts hat der Senat die Berufung mit Beschluss vom 13. September 2012 zugelassen.

Zur Begründung seiner Berufung führt der Kläger aus, die von seinen Hunden ausgehende Gefahr habe sich zwischenzeitlich durch den Tod des aggressiveren Hundes erledigt. Zudem sei die Entscheidung im Wesentlichen auf die Aussagen einer Nachbarin gestützt worden, wonach die Hunde des Klägers mehrfach über den Gartenzaun gesprungen seien. Tatsächlich sei diese Nachbarin nicht einvernommen worden. Auch gehe die in Nummer 1 des Bescheids getroffene Anordnung viel zu weit. Damit werde der Kläger verpflichtet, jeden Hund, den er derzeit oder in Zukunft halte, nicht außerhalb des Hauses frei laufen zu lassen. Eine derartige Anordnung wäre nur dann rechtmäßig, wenn sie sich auf einen konkreten Hund beziehen würde. Darüber hinaus hätte das Verwaltungsgericht den in der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung vom 24. März 2011 gestellten Beweisanträgen folgen müssen. Diese hätten zum Ergebnis geführt, dass der angefochtene Bescheid vollumfänglich aufzuheben sei.

Der Kläger beantragt,

in Abänderung des Urteils des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 24. März 2011 den Bescheid der Beklagten vom 31. März 2010 auch im Übrigen, noch streitgegenständlichen Umfang aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Gefahr, die bisher von beiden Hunden des Klägers ausgegangen sei, sei mit dem Tod eines Hundes nicht beseitigt. Beide seien aggressiv. Das Urteil des Verwaltungsgerichts stütze sich zudem nicht auf die Aussage der nicht einvernommenen Nachbarin, sondern auf die Aussage einer anderen Zeugin und die Beobachtungen der Polizeibeamten der Polizeiinspektion G. Auch der Vortrag des Klägers, der Bescheid sei zu unbestimmt, treffe nicht zu. Aus den Gründen des Bescheids ergebe sich eindeutig, auf welche beiden Hunde sich der Bescheid beziehe. Dem Kläger sei auch nicht das rechtliche Gehör beschnitten worden, denn er habe sein Einverständnis mit einer Entscheidung über seine Beweisanträge im Urteil signalisiert. Es sei zwar richtig, dass sich durch das Ableben eines Hundes eine geänderte Sachlage ergebe. Diese ändere aber nichts an der Rechtmäßigkeit der Nummer 1 des Bescheids. Diese angeordnete Maßnahme sei für jeden Einzelnen der Hunde erforderlich gewesen.

Die als Vertreter des öffentlichen Interesses am Verfahren beteiligte Landesanwaltschaft Bayern stellte keinen eigenen Antrag.

Die Beklagte teilte am 1. August 2013 ergänzend mit, dass am 28. Juli 2013 im Haus des Klägers ein zehnjähriger Junge von dem „Rottweiler-Mischling“ (gemeint ist wohl der Dobermann-Schäferhund-Mischling) „O.“ in den Fuß gebissen worden sei. Auch die herbeigerufenen Polizeibeamten seien von diesem Hund in den Oberschenkel beziehungsweise in die Hand gebissen worden.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 14. April 2014 wurde die Sach- und Rechtslage eingehend erörtert. Der Bevollmächtigte der Beklagten gab noch abschließende Erwägungen zur streitbefangenen Verfügung zu Protokoll. Auf die Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten und die Behördenakte verwiesen.

Gründe

Die Berufung des Klägers ist zulässig und begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 31. März 2010 ist, soweit er noch Gegenstand dieses Verfahrens ist, aufzuheben, weil er rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Zwar ist der Bescheid formell rechtmäßig (dazu 1.) und die tatbestandlichen Voraussetzungen für den Erlass der angegriffenen Anordnung nach Art. 18 Abs. 2 des Landesstraf- und Verordnungsgesetzes (LStVG) i. d. F. der Bekanntmachung vom 13. Dezember 1982 (BayRS 2011-2-I), zuletzt geändert durch Gesetz vom 8. Juli 2013 (GVBl S. 403), liegen vor (dazu 2.). Jedoch leidet der angegriffene Verwaltungsakt an einem Ermessensfehler (§ 114 Satz 1 VwGO) (dazu 3.).

Streitgegenstand im vorliegenden Verfahren ist ausschließlich die auf Art. 18 Abs. 2 LStVG gestützte und vom Verwaltungsgericht im angefochtenen Urteil nicht - wie die übrigen Anordnungen - aufgehobene Verfügung in Nummer 1 des Bescheids einschließlich der diesbezüglichen Zwangsgeldandrohung in Nr. 4 a). Damit ist im Wesentlichen nur noch Streitgegenstand, ob die Beklagte dem Kläger untersagen durfte, Hunde auf seinem Grundstück in F., W.-Straße ..., außerhalb des Hauses frei laufen zu lassen, solange nicht der Zaun auf mindestens 1,50 m erhöht ist und die Lücken der Einfriedung repariert sind, sowie die Anordnung, das große Eisentor gegen unbeabsichtigtes Öffnen entsprechend zu sichern. Dabei ist der Bescheid nach seinem objektiven Erklärungswert gemäß §§ 133, 157 BGB entsprechend dahingehend auszulegen, dass er nur die beiden im Zeitpunkt seines Erlasses im Eigentum des Klägers gestandenen Hunde „T.“ und „O.“ betraf und nach dem Tod von „T.“ nur noch „O.“ betrifft. Dies entspricht unter Berücksichtigung aller dem Kläger erkennbaren Umstände dem maßgeblichen Willen der Beklagten, der sich insbesondere aus den zur Auslegung heranzuziehenden Gründen des Bescheids ergibt, in denen die beiden Hunde mit Namen bezeichnet sind und auch deren Rassezugehörigkeit genannt wird. Bereits daran ist unzweifelhaft ersichtlich, dass die Anordnungen der Beklagten nur für diese beiden Hunde erlassen worden sind und nicht in Zukunft vom Kläger angeschaffte Hunde („zwei Pudel“) betreffen sollen.

Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 31. März 2010 hat nicht dadurch seine Erledigung gefunden, dass die Hündin „T.“, die im Wesentlichen in die in den Akten dokumentierten Beißvorfälle verwickelt war, inzwischen gestorben ist. Denn der Kläger besitzt weiterhin den Rüden „O.“, der bereits im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides in seinem Besitz war und auf den sich der Bescheid ebenfalls bezieht. Die Anordnungen in Nummer 1 bis 4 des Bescheids betrafen ganz offensichtlich beide Hunde. Dies ergibt sich nicht nur aus dem Bescheidstenor, sondern aus der Begründung, in der immer von „Hunden“ die Rede ist. Auch werden sowohl „T.“ als auch „O.“ namentlich im Bescheid erwähnt. Damit entfaltet die noch streitbefangene Anordnung in Nummer 1 des Bescheids nach wie vor unmittelbare Regelungswirkung.

1. Der Bescheid der Beklagten ist formell rechtmäßig, denn der Mangel der zunächst unzweifelhaft fehlenden Anhörung ist inzwischen geheilt (dazu 1.1.). Ob der Bescheid in vollem Umfang den formellen Anforderungen an die Begründung genügt, kann offen bleiben (dazu 1.2.).

1.1. Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG schreibt vor, dass vor Erlass eines Verwaltungsakts, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, diesem Gelegenheit zu geben ist, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Eine solche Anhörung hat vor Erlass des Bescheids der Beklagten vom 31. März 2010 nicht stattgefunden. Eine schriftliche Anhörung ist unstreitig nicht erfolgt. Weder findet sich ein Nachweis für eine solche Anhörung in den Verwaltungsakten noch behauptet die Beklagte, den Kläger förmlich angehört zu haben. Sie hat im angegriffenen Bescheid nur darauf verwiesen, dass die Polizeiinspektion G. mit dem Kläger bereits am 27. August 2009 ein klärendes Gespräch geführt habe und dieses Gespräch offenbar als Anhörung gewertet. Eine allgemeine Erörterung des Problems mit der örtlichen Polizei, dass die Hunde möglicherweise über den Zaun springen, entspricht jedoch nicht den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Anhörung gemäß Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG. Denn dazu muss dem Betroffenen im Verwaltungsverfahren (s. Art. 9 BayVwVfG) die Gelegenheit gegeben werden, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Hierzu gehört insbesondere eine Anhörung zu den ins Auge gefassten Maßnahmen gegen den Betroffenen. Darüber ist aber ausweislich des Aktenvermerks vom 17. September 2009 über das Gespräch am 27. August 2009 nicht gesprochen worden. Hinzu kommt vor allem, dass die Erörterung der Gefahrenlage mit Polizeibeamten im Rahmen eines polizeilichen Verfahrens nicht im hier allein maßgeblichen die Anordnungen zur Hundehaltung betreffenden Verwaltungsverfahren erfolgt ist. Da auch keine Gründe vorliegen, die dazu führen, dass von der Anhörung nach Art. 28 Abs. 2 BayVwVfG abgesehen werden konnte oder eine Anhörung nach Art. 28 Abs. 3 BayVwVfG unterbleiben durfte, liegt ein Verfahrensfehler im Sinne von Art. 45 BayVwVfG vor.

Gemäß Art. 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BayVwVfG ist eine Verletzung der Verfahrensvorschrift des Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG aber unbeachtlich, wenn die erforderliche Anhörung eines Beteiligten nachgeholt wird. Dies kann bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens, also bis zum Abschluss des Verfahrens vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof, erfolgen.

Im vorliegenden Fall liegt die Nachholung der Anhörung darin, dass sich der Kläger und dessen Bevollmächtigter im verwaltungsgerichtlichen Verfahren umfangreich zu den Maßnahmen der Beklagten geäußert haben und der Beklagtenvertreter das Vorbringen der Klägerseite zur Kenntnis genommen und in seine Erwägungen, ob der Bescheid aufgrund des Vorbringens der Klägerseite abgeändert werden sollte, einbezogen hat. Der Senat hält eine Nachholung der Anhörung in dieser Form für ausreichend, zumal Art. 45 Abs. 2 BayVwVfG für die Nachholung der Anhörung lediglich eine zeitliche Grenze setzt, nämlich den Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens, nicht aber eine bestimmte Form vorschreibt (vgl. BayVGH, B. v. 5.3.2009 - 10 ZB 08.3435 - juris Rn. 12; OVG NRW, B. v. 11.2.2014 - 15 B 69/14 - juris Rn. 14). Dass eine unterlassene Anhörung allein im Rahmen eines behördlichen Verwaltungsverfahrens nachgeholt werden kann, ist dieser Regelung nicht zu entnehmen (vgl. dazu auch BayVGH, B. v. 26.1.2009 - 3 CS 09.46 - juris Rn. 23 m. w. N.). Die Gegenmeinung berücksichtigt nicht, dass die frühere Regelung des Art. 45 Abs. 2 BayVwVfG den Zeitraum der Heilungsmöglichkeit noch nicht bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz vorsah (vgl. BVerwG, B. v. 15.12.1983 - 3 C 27/82 - juris Rn. 64). Schließlich überzeugt auch nicht die teilweise in der Literatur vertretene Rechtsauffassung (z. B. Kopp/Ramsauer, BayVwVfG, 14. Aufl. 2013, Art. 45 Rn. 27 und 45), dass die Nachholung der Anhörung stets eines besonderen Ergänzungs- oder Nachverfahrens vor der Ausgangsbehörde bedarf sowie nach der Nachholung einer weiteren, ergänzenden Entscheidung dieser Behörde. Denn Art. 45 Abs. 2 BayVwVfG fordert die Einhaltung dieser Form gerade nicht.

1.2. Der Bescheid der Beklagten vom 31. März 2010 ist zwar unzureichend begründet. Ob insoweit auch ein formeller Mangel vorliegt, kann indes offen gelassen werden (vgl. dazu nachfolgend 3.).

Nach Art. 39 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG ist ein schriftlicher Verwaltungsakt mit einer Begründung zu versehen. Satz 2 dieser Vorschrift bestimmt, dass in der Begründung die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe mitzuteilen sind, die die Behörde zu ihrer Entscheidung bewogen haben. Diesen formellen Anforderungen genügt der angefochtene Bescheid (noch). Seine Begründung lässt zumindest in groben Zügen erkennen, von welchen tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen und Überlegungen die Behörde bei ihrer Entscheidung ausging. Es werden die wesentlichen Gesetzesbestimmungen aufgeführt, die die Rechtsgrundlage der Anordnungen darstellen und die tatbestandlichen Voraussetzungen, nämlich dass von den klägerischen Hunden eine Gefahr ausgeht, herausgestellt. Damit genügt der Bescheid insoweit den formellen Anforderungen des Art. 39 Abs. 1 BayVwVfG. Ob die Begründung rechtlich zutreffend ist, ist demgegenüber eine Frage des materiellen Rechts.

Für Ermessensentscheidungen erweitert Art. 39 Abs. 1 Satz 3 BayVwVfG jedoch die Begründungspflicht des Art. 39 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG und verlangt, dass die Begründung auch die Gesichtspunkte erkennen lässt, von denen die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist. Insoweit enthält die im Ermessen der Beklagten stehende sicherheitsrechtliche Anordnung nach Art. 18 Abs. 2 LStVG lediglich folgende Ausführungen - soweit diese im Berufungsverfahren noch streitgegenständlich sind -: „… steht der Erlass von Anordnungen im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde. Die Gemeinde … hält ein Einschreiten im öffentlichen Interesse für notwendig. Die Vorfälle zeigen, dass die beiden Hunde ohne vorhersehbaren Anlass aus ihrer ungebändigten Natur heraus zu einer schweren Gefahr für Gesundheit und Leben von Menschen werden können, wenn ihr Aufenthalt nicht auf das Grundstück des Herrn … beschränkt wird …“ Ob diese äußerst knappe Begründung, auch wenn ihr zu entnehmen ist, dass der Beklagten bewusst war, dass sie eine Ermessensentscheidung zu treffen hatte und dass sie dies im öffentlichen Interesse auch für erforderlich hielt, die Gesichtspunkte, von denen die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist, hinreichend erkennen lässt und damit den Anforderungen von Art. 39 Abs. 1 Satz 3 BayVwVfG genügt, kann aber offen gelassen werden. Denn der Bescheid ist unabhängig davon rechtswidrig. Zwar liegen die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 18 Abs. 2 LStVG vor (dazu 2.), jedoch ist der Bescheid letztendlich ermessensfehlerhaft (Art. 40 BayVwVfG; dazu 3.).

2. Im vorliegenden Fall sind die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine sicherheitsrechtliche Anordnung gegeben. Nach Art. 18 Abs. 2 LStVG können Gemeinden zum Schutz bestimmter in Absatz 1 genannter Rechtsgüter Anordnungen für den Einzelfall zur Haltung von Hunden treffen. In Art. 18 Abs. 1 Satz 1 LStVG sind als Rechtsgüter Leben, Gesundheit, Eigentum oder die öffentliche Reinlichkeit genannt. Liegen die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 18 Abs. 2 LStVG vor, steht der Erlass einer Anordnung im Ermessen der Behörde.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. z. B. BayVGH v. 9.11.2010 -10 BV 06.3053 - juris Rn. 22 m. w. N.) darf eine Anordnung nach Art. 18 Abs. 2 LStVG nur erlassen werden, wenn im jeweils gesondert zu betrachtenden Einzelfall eine konkrete Gefahr für die betreffenden Schutzgüter vorliegt. Dies ist dann der Fall, wenn in dem zu beurteilenden konkreten Einzelfall in überschaubarer Zukunft mit dem Schadenseintritt hinreichend wahrscheinlich gerechnet werden kann. Ob bei einer erforderlichen Gefahrenprognose dabei auf den Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids abzustellen ist, hier also auf den März 2010 (so das Verwaltungsgericht im angefochtenen Urteil; vgl. auch BayVGH v. 29.8.2001 - 24 ZS 01.1967 - juris) oder ob es sich bei der betreffenden sicherheitsbehördlichen Anordnung (Untersagungsverfügung) um einen Dauerverwaltungsakt handelt, für dessen gerichtliche Überprüfung auch hinsichtlich der Gefahrenprognose der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgeblich ist - wofür mit Blick auf Art. 8 Abs. 3 LStVG erwägenswerte Gründe sprechen - (offen gelassen BayVGH, B. v. 13.1.2012 - 10 CS 11.2379 - juris Rn. 29; für tierschutzrechtliche Anordnungen vgl. BVerwG, B. v. 9.7.2013 -3 B 100/12 - juris Rn. 6; für Anordnungen zum Leinen- und Maulkorbzwang vgl. OVG NRW, B. v. 30.4.2004 - 5 A 1890/03 - juris Rn. 24) kann aber dahinstehen, denn der Tatbestand des Art. 18 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 Satz 1 LStVG ist in beiden Zeitpunkten erfüllt.

Auch wenn im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides im März 2010 insbesondere die inzwischen verstorbene Hündin „T.“ aus dem Grundstück entwichen ist und in Beißvorfälle verwickelt war bzw. Menschen angegriffen und verletzt hat und die Nachbarn, insbesondere Kinder, allein durch ihr freies Herumlaufen erschreckt hat, ging von O., selbst wenn ein Entweichen aus dem Grundstück durch ihn nicht dokumentiert ist und im Nachhinein - auch durch Zeugeneinvernahmen - nicht mehr festgestellt werden kann, allein deshalb eine Gefahr aus, weil es sich bei „O.“ um einen großen und kräftigen Hund handelt, der fähig ist, seine Vorderläufe auf das Gartentor des Klägers zu stellen, und damit mit dem Kopf über das Tor reicht und auch am Gartenzaun hochspringen und Passanten erschrecken kann. Zusammen mit „T.“ ist er - vom Kläger nicht bestritten - des Öfteren am Tor und am Zaun des Grundstücks des Klägers hochgesprungen und hat Passanten angebellt. Auch in einem solchen Fall geht von einem Hund eine mit einer sicherheitsrechtlichen Anordnung bekämpfbare Gefahr aus, weil durch das Hochspringen und Bellen Passanten erschreckt werden und dadurch auch infolge unkontrollierter Reaktionen in eine gefährliche Situation kommen können. Hierzu hat der Senat in seinem Urteil vom 9. November 2010 (10 BV 06.3053 - juris Rn. 25) u. a. ausgeführt, dass von großen Hunden - und dazu gehören auch der klägerische Hund „O.“ sowie seine verstorbene Hündin „T.“, beide Dobermann-Schäferhund-Mischlinge - in vergleichbaren Situationen in der Regel eine konkrete Gefahr für Leib und Leben Dritter ausgeht. Selbst wenn ein großer Hund durchaus friedliche Absichten hat, kann er durch das plötzliche Hochspringen am Zaun eine vorbeigehende Person nachhaltig erschrecken und insbesondere Kinder, die keine Erfahrung im Umgang mit Hunden haben, dazu veranlassen, aus Angst vor dem hochspringenden Hund, und ohne auf den Verkehr zu achten, auf die Straße auszuweichen und von einem Fahrzeug erfasst zu werden oder zu stolpern und sich (auch) dadurch gesundheitliche Beeinträchtigungen bzw. Schäden zuzuziehen.

Stellt man demgegenüber auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Senats ab, geht nach dem Tod von „T.“ bereits deshalb eine konkrete Gefahr allein vom klägerischen Hund „O.“ aus, weil er anlässlich eines Beißvorfalls am 28. Juli 2013 gleich mehrere Personen verletzt hat. Dass dies im Haus des Klägers geschehen ist, spielt dabei keine Rolle. Ein Hund, der entsprechend aggressiv reagiert, ist, selbst wenn der Beißvorfall auf dem Fehlverhalten des Gebissenen beruhen sollte, als Gefahr im Sinne von Art. 18 Abs. 2 LStVG anzusehen. Es kann nämlich mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass dieser Hund auch in anderen Situationen entsprechend aggressiv reagieren wird. Damit ist aber die im angefochtenen Bescheid angenommene konkrete Gefahr in keinem Fall durch den Tod der Hündin „T.“ entfallen, wie der Klägerbevollmächtigte meint.

3. Der streitgegenständliche Bescheid vom 31. März 2010 erweist sich aber deshalb als rechtswidrig, weil er ermessensfehlerhaft ist (Art. 40 BayVwVfG). Dies trifft sowohl auf den Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids zu (dazu 3.1.) als auch auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Senats (dazu 3.2.), denn eine ausreichende Ermessensergänzung des Verwaltungsakts ist auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht gemäß § 114 Satz 2 VwGO erfolgt.

3.1. Der Erlass von Anordnungen für den Einzelfall zur Haltung von Hunden nach Art. 18 Abs. 2 LStVG liegt im Ermessen der Behörde. Die von dieser zu treffende Entscheidung umfasst sowohl die Frage, ob sie handeln will (Entschließungsermessen) als auch die Frage, wie sie handeln will (Auswahlermessen). Dabei hat sie ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten.

Zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides, also am 31. März 2010, hat die Beklagte gesehen, dass ihr ein Ermessen dahingehend zusteht, ob sie Anordnungen hinsichtlich der Haltung der Hunde des Klägers erlassen will, ein Ermessensfehlgebrauch liegt aber deshalb vor, weil die Beklagte von einem nicht vollständig aufgeklärten Sachverhalt ausging. Im Bescheid wird zudem nicht hinreichend differenziert, welche Gefahr von welchem der beiden klägerischen Hunde ausgeht, und nicht berücksichtigt, ob diese Gefahr auch mit dem streitgegenständlichen Bescheid bekämpft werden soll. Eine fehlerfreie Ermessensausübung ist aber schon vom Ansatz her nur dann möglich, wenn der Sachverhalt ausreichend ermittelt ist. Dies bedeutet für den vorliegenden Fall, dass eine ordnungsgemäße Ermessensausübung nur dann vorgelegen hätte, wenn die Beklagte die von jedem der beiden Hunde ausgehende individuelle Gefahr festgestellt und unter Abwägung aller entscheidungserheblichen Gesichtspunkte die jeweils angemessenen Anordnungen getroffen hätte. Dies war aber nicht der Fall.

Die Beklagte nimmt wohl zutreffend an, dass der Beißvorfall am 27. November 2009 ausschließlich der Hündin „T.“ zuzurechnen ist. Hinsichtlich des Vorfalls am 10. März 2009 wird kein konkreter Hund benannt, sondern lediglich ausgeführt, dass „ein Hund“ des Klägers eine vorbeifahrende Radlerin attackiert habe. Der Kläger selbst hat zu diesem Vorfall geäußert, es habe sich bei dem außerhalb des Grundstücks befindlichen Hund nur um „T.“ gehandelt. Während nach diesen Erkenntnissen lediglich die Hündin „T.“ das Grundstück des Klägers mehrmals verlassen hat und in Beißvorfälle verwickelt war, steht nicht fest, ob der Rüde „O.“ überhaupt an irgendeinem der im Bescheid genannten Vorfälle beteiligt war und jemals aus dem Grundstück des Klägers entwichen ist. Dennoch hat die Beklagte im Bescheid nicht nach dem jeweiligen Hund differenziert, sondern hat Anordnungen für beide Hunde getroffen, obwohl nach den vorliegenden Erkenntnissen „O.“ zum damaligen Zeitpunkt keine mit dem Bescheid zu bekämpfende Gefahr dargestellt hat. Denn nach den Ausführungen im Bescheid sollten die Anordnungen (lediglich) dazu dienen, Gefahren für Gesundheit und Leben von Menschen, die durch ein Entweichen der Hunde aus dem Grundstück entstehen können, zu verhindern. Diese Gefahren gingen aber offenbar nur von „T.“ aus. Gefahren, die auch von „O.“ ausgehen können, hatte die Beklagte dagegen nicht im Blick. Eine solche Gefahr wird auch im Bescheid nicht erwähnt. Fehlt es aber an einer genauen Ermittlung, von welchem Hund welche mit der Anordnung zu bekämpfende Gefahr ausgeht, war die Beklagte von vorneherein schon nicht in der Lage, alle Gesichtspunkte, insbesondere diejenigen, die die Geeignetheit und die Erforderlichkeit der beabsichtigten Maßnahme betreffen, bei ihrer Entscheidung zu berücksichtigen. Eine zweckorientierte Entscheidung ist nämlich nicht möglich, wenn von unzutreffenden oder fälschlich angenommenen tatsächlichen Voraussetzungen ausgegangen wird.

Zudem lässt der Bescheid nicht erkennen, welche Maßnahmen die Beklagte für geeignet und erforderlich gehalten hat und warum diese dem Kläger auch zumutbar waren. Im Bescheidstenor werden zwar einzelne Maßnahmen genannt, die dem Kläger auferlegt wurden. Danach sollte er die Hunde im Haus halten, solange nicht der Zaun erhöht und Lücken in der Einfriedung repariert waren. Erst danach hätte der Kläger die Hunde wieder frei auf seinem Grundstück laufen lassen dürfen. Zudem wurde ihm auferlegt, das Eisentor zu sichern. In den Bescheidsgründen ist demgegenüber nur von der Beschränkung des Aufenthalts der Hunde auf das Grundstück des Klägers die Rede. Danach hat sich die Beklagte nicht damit auseinandergesetzt, ob mit den im Bescheidstenor angeordneten Maßnahmen die Gefahren, die einerseits von „T.“ und andererseits von „O.“ ausgehen (und die offensichtlich nicht die gleichen Gefahren sind), tatsächlich bekämpft werden können, also ob diese Anordnungen zur beabsichtigten Gefahrenabwehr überhaupt geeignet sind. Weiterhin wurden keine Ermessenserwägungen dahingehend angestellt, ob alle diese Maßnahmen erforderlich sind. Schließlich ist ebenfalls nicht zu erkennen, ob sich die Beklagte überhaupt mit Alternativen beschäftigt hat, die zum gleichen Erfolg hätten führen können und womöglich für den Kläger weniger belastend gewesen wären.

3.2. Die Beklagte hat ihre Ermessenserwägungen aber auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht den rechtlichen Anforderungen entsprechend (§ 114 Satz 2 VwGO) ergänzt, so dass sich der Bescheid auch dann, wenn zur Beurteilung seiner Rechtmäßigkeit auf den jetzigen Zeitpunkt abzustellen wäre, nicht als ermessens-fehlerfrei erweist.

Ungeachtet der Frage, ob der ursprüngliche Bescheid überhaupt Ermessenserwägungen beinhaltet, die gemäß § 114 Satz 2 VwGO ergänzt werden können, und der Frage, ob hier ein Fall gegeben ist, in dem auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren die Ermessensentscheidung nachgeholt werden kann und erstmals Ermessenserwägungen angestellt werden dürfen (vgl. dazu BVerwG, U. v. 3.8.2004 -1 C 30/02 - juris Rn. 31; BVerwG, U. v. 5.9.2006 - 1 C 20/05 - juris Rn. 22), hat die Beklagten jedenfalls ihr Ermessen auch nachträglich nicht ordnungsgemäß ergänzt. Weder im erstinstanzlichen noch im Berufungsverfahren wurden durch die Beklagte am Zweck der Ermächtigung orientierte und den Einzelfall in den Blick nehmende Ermessenserwägungen angestellt. Schließlich gehen auch die abschließenden Erwägungen, die die Beklagte in der mündlichen Verhandlung des Senats am 14. April 2014 zur streitbefangenen Verfügung zu Protokoll gegeben hat, nicht über die Darlegung, dass der Hund „O.“ als Gefahr für Radfahrer, Jogger und Kinder angesehen werden muss, hinaus. Die besondere Gefährlichkeit des Hundes stellt aber nur eine Tatbestandsvoraussetzung dar, die überhaupt erst die Anordnung einer Maßnahme nach Art. 18 Abs. 2 LStVG rechtfertigt. Ermessenserwägungen sind der Erklärung der Beklagten aber gerade nicht zu entnehmen. Insbesondere bleibt nach wie vor offen, wieso gerade im Hinblick auf den Hund „O.“ die im Bescheidstenor genannten Anordnungen zum jetzigen Zeitpunkt verfügt wurden. Zwar kam es nach Erlass des Bescheids auch bei „O.“ zu einem nachgewiesenen Beißvorfall, bei dem gleich drei Personen verletzt worden sind, jedoch hat sich dieser Vorfall im Haus des Klägers ereignet und weder auf öffentlichen Straßen noch auf dem klägerischen Grundstück außerhalb des Hauses. Ob die streitgegenständlichen Anordnungen daher überhaupt geeignet sind, den von „O.“ ausgehenden Gefahren wirksam zu begegnen, ist [mehr als] fraglich. Jedenfalls hat sich die Beklagte auch mit dieser Frage überhaupt nicht auseinandergesetzt, geschweige denn ihr Ermessen im Übrigen ordnungsgemäß ausgeübt.

Aus den genannten Gründen war der Berufung des Klägers mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i. V. m. § 708 f. ZPO).

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

Soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht auch, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Die Verwaltungsbehörde kann ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen.

Tenor

I.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

III.

Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Der Kläger verfolgt mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung seine in erster Instanz erfolglose Klage gegen die Anordnungen der Beklagten weiter, bei der Haltung seiner Jagdhündin dafür zu sorgen, dass diese in bewohnten Gebieten einschließlich öffentlicher Wege, Straßen und Plätze an einer reißfesten Leine von nicht mehr als 1,5 m Länge mit einem schlupfsicheren Halsband nur von einer ausreichend kräftigen und zuverlässigen Person geführt wird und dass ein Verlassen des befriedeten Besitztums des Klägers unter Missachtung dieser Vorgaben ausgeschlossen ist.

Der zulässige Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Die der Sache nach geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor. Weder bestehen ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO; I.), noch liegt ein Verfahrensmangel vor, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO; II.).

I. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils, die die Zulassung der Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO rechtfertigen könnten, lägen nur vor, wenn der Kläger einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt hätte (vgl. BVerfG, B.v. 10.9.2009 - 1 BvR 814/09 - juris Rn. 11). Dies ist jedoch nicht der Fall.

1. Zutreffend legt das Verwaltungsgericht als Rechtsgrundlage für die von der Beklagten getroffenen Anordnungen Art. 18 Abs. 2 LStVG zugrunde, nach dem in Verbindung mit Art. 18 Abs. 1 LStVG zum Schutz von Leben, Gesundheit, Eigentum oder öffentlicher Reinlichkeit Anordnungen für den Einzelfall zur Haltung von Hunden getroffen werden können. Im Einklang mit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs geht es dabei davon aus, dass der Erlass solcher Anordnungen das Bestehen einer konkreten Gefahr für eines der genannten Rechtsgüter voraussetzt (st.Rspr.; vgl. zuletzt BayVGH, B.v. 31.7.2014 - 10 ZB 14.688 - juris Rn. 6).

Eine solche Gefahr bejaht das Verwaltungsgericht mit der Begründung, die von jedem Hund ausgehende abstrakte Gefahr habe sich im Falle der Hündin des Klägers dadurch realisiert, dass es zu zwei vom Kläger auch eingeräumten Beißvorfällen gekommen sei. In diesem Fall bestehe aber die konkrete Gefahr weiterer solcher Vorfälle. Unerheblich sei, ob der Beißvorfall vom 14. November 2009, bei dem ein Mann, der Werbeprospekte verteilt habe, durch die nicht angeleinte Hündin des Klägers in die rechte Hand und den linken Oberschenkel gebissen worden sei, durch ein Fehlverhalten des Geschädigten mit verursacht worden sei. Fehlreaktionen von Passanten gegenüber frei umherlaufenden Hunden entsprächen der Lebenserfahrung. Entgegen der Ansicht des Klägers sei die konkrete Gefahr auch nicht dadurch entfallen, dass zwischen dem letzten Beißvorfall am 3. September 2010, bei dem eine Frau, als sie die Straße betrat, von der sich dort aufhaltenden und nicht angeleinten Hündin des Klägers im Bereich des rechten Knies und Oberschenkels gebissen worden sei, und dem Erlass des die streitgegenständlichen Maßnahmen anordnenden Bescheids vom 24. Juni 2012 kein weiterer Beißvorfall aktenkundig geworden sei. Ein längerer zeitlicher Abstand zwischen einem Beißvorfall und dem sicherheitsrechtlichen Tätigwerden widerlege nicht per se die durch die vorherigen Beißvorfälle indizierte Gefahrenlage. Es bestehe kein Erfahrungssatz, dass ein Hund, der über einen bestimmten Zeitraum hinweg unauffällig gewesen sei, dies auch bleiben werde. Tatsachen, die den Schluss rechtfertigen könnten, dass von der Hündin des Klägers in Zukunft keine Gefahren mehr ausgingen, habe der Kläger nicht vorgetragen. Auch die Begutachtung durch die Amtstierärztin belege nicht, dass von der Hündin keine Gefahr mehr ausgehe. Abgesehen davon, dass die durch mehrere Beißvorfälle belegte Gefährlichkeit der Hündin keiner weiteren Überprüfung durch ein Gutachten bedürfe, stelle die Tierärztin fest, dass der Kläger auf von ihm erkannte potenzielle Gefahrensituationen nicht immer prompt reagiert habe. So habe er seine Hündin erst nach einer kurzen Weile zu sich gerufen, als sie in einen nicht eingezäunten Garten mit spielenden Kindern gelaufen sei. Die fehlende Einsichtsfähigkeit eines Hundehalters in die von seinem Hund ausgehenden Gefahren verschärfe die durch das Verhalten des Hundes indizierte Gefahr.

Der Kläger macht insoweit geltend, er habe sich an seine gegenüber der Beklagten abgegebene Erklärung vom 21. Oktober 2010 gehalten, er werde den Hund künftig an der Leine führen. Der Hund sei lediglich einige Male ohne Leine zu einem befreundeten Nachbarn über die Straße gelaufen und werde in Zukunft ohne jegliche Ausnahme an der Leine geführt. Auch der in der mündlichen Verhandlung vernommene Zeuge, der die Hündin nach seinen Angaben mehrmals unangeleint auf der Straße angetroffen habe, habe einräumen müssen, dass sich die Hündin ihm gegenüber nie aggressiv gezeigt habe und dass er jeweils davon überzeugt gewesen sei, dass sie ihm nichts tun werde. Bei dieser Sachlage könne insbesondere deshalb nicht automatisch auf eine Gefährlichkeit des Hundes geschlossen werden, weil der letzte Beißvorfall vom 3. September 2010 datiere und der Hund seitdem beanstandungsfrei geführt worden sei.

Diese Ausführungen stellen aber die das angefochtene Urteil tragende Annahme, von der Hündin des Klägers gehe eine konkrete Gefahr für die Gesundheit anderer aus, wie dies für Anordnungen nach Art. 18 Abs. 2 LStVG erforderlich sei, nicht mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage.

Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, geht von einem Hund eine konkrete Gefahr für die Gesundheit, die Anordnungen nach Art. 18 Abs. 2 LStVG rechtfertigen kann, jedenfalls dann aus, wenn es wie hier in der Vergangenheit bereits zu Beißvorfällen gekommen ist. In solchen Fällen sind Anordnungen nach Art. 18 Abs. 2 LStVG zur Abwehr einer Gefahr, die sich in der Vergangenheit bereits realisiert hat, auch nicht nur zulässig, sondern regelmäßig sogar geboten (st.Rspr.; vgl. zuletzt BayVGH, B.v.31.7.2014 - 10 ZB 14.688 - juris Rn. 9; B.v.28.9.2012 - 10 CS 12.1791 - juris Rn. 24; 10 ZB 11.1837 m. w. N.). Zu Recht geht das Verwaltungsgericht auch davon aus, dass die damit angesichts der Beißvorfälle vom 14. November 2009 und 3. September 2010 von der Hündin des Klägers ausgehende konkrete Gefahr entgegen der Auffassung des Klägers nicht deshalb entfallen ist, weil es seitdem zu keinen weiteren Zwischenfällen gekommen ist. Denn mangels eines Erfahrungssatzes, nach dem ein Hund, der über einen bestimmten Zeitraum unauffällig war, es auch in Zukunft bleiben wird, widerlegt ein längerer seit einem Beißvorfall verstrichener Zeitraum nicht per se die durch die vorherigen Beißvorfälle indizierte Gefahrenlage (vgl. BayVGH, B.v. 28.9.2012 - 10 CS 12.1791 - juris Rn. 25). Von einem Wegfall der konkreten Gefahr kann vielmehr allenfalls dann ausgegangen werden, wenn über den bloßen Zeitablauf ohne weitere Zwischenfälle hinaus Tatsachen vorliegen, aus denen der sichere Schluss gezogen werden kann, dass von dem betroffenen Hund inzwischen keine Gefahr mehr ausgeht (vgl. BayVGH, B.v. 10.11.2000 - 24 ZS 00.2789 - juris Rn. 10; B.v. 28.9.2012 - 10 CS 12.1791 - juris Rn. 25).

Dies gilt entgegen der Auffassung des Klägers auch nicht nur dann, wenn vor den Beißvorfällen bereits ein sicherheitsrechtlicher Bescheid zur Haltung der Hunde ergangen war (vgl. BayVGH, B.v.10.11.2000 - 24 ZS 00.2789 - juris, wo wie hier den einige Zeit zurückliegenden Beißvorfällen keine Anordnung nach § 18 Abs. 2 LStVG vorausgegangen war). Denn ob ein Hund, der mehrfach Personen gebissen hat, als solcher gefährlich ist und deshalb von ihm eine konkrete Gefahr ausgeht, die Maßnahmen nach Art. 18 Abs. 2 LStVG rechtfertigen kann, hängt nicht davon ab, ob bereits Anordnungen zur Hundehaltung getroffen waren, als sich die von ihm ausgehende Gefahr durch die Beißvorfälle tatsächlich realisiert hat.

Damit hat das Verwaltungsgericht aber entgegen der Ansicht des Klägers trotz der seit den Beißvorfällen verstrichenen Zeit zu Recht eine von der Hündin des Klägers ausgehende und fortbestehende konkrete Gefahr bejaht. Denn der Kläger hat Tatsachen, aus denen der sichere Schluss gezogen werden könnte, dass von seiner Hündin inzwischen keine Gefahr mehr ausgehe, nicht vorgetragen. Die Gesichtspunkte, die seiner Ansicht nach gegen eine konkrete Gefahr sprechen, rechtfertigen einen solchen Schluss jedenfalls nicht.

Insbesondere lässt sich aus der Aussage des vom Verwaltungsgericht vernommenen Zeugen, nach der die Hündin des Klägers ihm gegenüber nie aggressiv gewesen sei, nicht sicher schließen, dass von dem Hund inzwischen keine Gefahr mehr ausgeht. Denn dass das Tier dem Zeugen gegenüber, der selbst Hundehalter ist, kein aggressives Verhalten gezeigt hat, lässt nicht den sicheren Schluss zu, dass es sich gegenüber anderen und vor allem gegenüber im Umgang mit Hunden weniger erfahrenen Personen ebenfalls nicht aggressiv verhalten wird oder dass es unter ähnlichen Umständen wie bei den Beißvorfällen in den Jahren 2009 und 2010 nicht erneut zubeißen wird.

Ebenso wenig lässt es die von der Hündin des Klägers als solcher ausgehende konkrete Gefahr entfallen, dass der Kläger das Tier künftig ausnahmslos an der Leine führen will. Die Gefahr, die von der Hündin des Klägers ausgeht, besteht darin, dass sie Menschen beißt und damit in ihrer Gesundheit beeinträchtigt, wenn sie auf öffentlichen Straßen frei umherläuft. Das Anleinen des Hundes stellt sich demgegenüber als Maßnahme zur Abwehr dieser Gefahr dar. Als Gefahrenabwehrmaßnahme, die nach Art. 18 Abs. 2 LStVG angeordnet werden kann, lässt das Anleinen des Hundes aber nicht das Vorliegen der konkreten Gefahr, deren Abwehr es dient, als Tatbestandsvoraussetzung der seiner Anordnung zugrundeliegenden Ermächtigungsgrundlage entfallen. Dass der Kläger seine Hündin in Zukunft ausnahmslos an der Leine führen will, wirft vielmehr die Frage auf, ob die Anordnung des Leinenzwangs deshalb rechtswidrig ist, weil sie nicht erforderlich ist und damit gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstößt.

2. Auch wenn man daher das Vorbringen des Klägers, er werde seine Hündin künftig ausnahmslos anleinen, so versteht, dass es sich gegen die Erforderlichkeit der den Gegenstand der Klage bildenden Anordnungen richtet, ergeben sich daraus keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils. Das Verwaltungsgericht geht vielmehr zu Recht davon aus, dass der Erforderlichkeit der das Anleinen des Hundes betreffenden Anordnungen der Beklagten (Nr. I.1., I.2. und I.3. des Bescheids vom 24. Juni 2012) die Zusage des Klägers, er werde seinen Hund freiwillig innerhalb bewohnter Gebiete nur noch angeleint ausführen, nicht entgegensteht. Denn dass der Kläger seine Hündin in Zukunft anleint, ohne dazu durch eine entsprechende Anordnung verpflichtet worden zu sein, ist zur Abwehr der von einem freien Umherlaufen der Hündin ausgehenden Gefahren nicht im gleichen Maß geeignet wie eine entsprechende behördliche Anordnung, die anders als die Selbstverpflichtung des Klägers mit Hilfe von Zwangsmitteln durchgesetzt werden kann. Dies gilt umso mehr, als der Kläger bereits in einem Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 21. Oktober 2010 erklärt hatte, er werde seinen Hund künftig den damals beabsichtigten Anordnungen der Beklagten entsprechend an der Leine führen, er sich daran aber, wie er selbst einräumt, später nicht immer gehalten hat.

II. Die Berufung ist schließlich auch nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO wegen eines Verfahrensmangels zuzulassen.

1. Zwar macht der Kläger der Sache nach geltend, das Gericht habe seine Verpflichtung nach § 86 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 VwGO verletzt, den Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären, wenn er sinngemäß ausführt, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht die von ihm angebotenen Zeugen zum Anleinverhalten des Klägers nicht vernommen. Der Kläger hat den gerügten Verfahrensmangel aber nicht den Anforderungen von § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend dargelegt.

Ein Gericht verletzt seine Pflicht zur erschöpfenden Aufklärung des Sachverhalts grundsätzlich dann nicht, wenn es von einer Beweiserhebung absieht, die ein anwaltlich vertretener Beteiligter in der mündlichen Verhandlung nicht ausdrücklich beantragt hat. Dass ein solcher Beweisantrag nicht gestellt wurde, ist nur dann unerheblich, wenn sich dem Gericht auch ohne ausdrücklichen Beweisantrag eine weitere Ermittlung des Sachverhalts hätte aufdrängen müssen. Die Aufklärungsrüge ist dabei nur dann erfolgreich, wenn das Gericht auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung Anlass zu weiterer Sachaufklärung hätte sehen müssen. Außerdem muss der Kläger darlegen, welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Aufklärung voraussichtlich getroffen worden wären und inwiefern das unterstellte Ergebnis zu einer für ihn günstigen Entscheidung geführt hätte (vgl. BVerwG, B.v. 16.3.2011 - 6 B 47.10 - juris Rn. 12; BayVGH, B.v. 21.3.2012 - 10 ZB 10.100 - juris Rn. 22; B.v. 18.10.2013 - 10 ZB 11.618 - juris Rn. 25). Diese Voraussetzungen sind hier jedoch nicht dargelegt.

Da der anwaltlich vertretene Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 6. November 2012 einen Beweisantrag nicht gestellt hat und damit die Aufhebung des Beweisbeschlusses vom 18. September 2012 hinsichtlich zweier von ihm benannter Zeugen durch die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts vom 25. Oktober 2012 und 30. Oktober 2012 sowie das dem Kläger mit Schreiben vom 25. Oktober mitgeteilte Absehen von der Einvernahme zweier weiterer von ihm benannter Zeugen hat auf sich beruhen lassen, hätte er darlegen müssen, dass sich die Einvernahme der betreffenden Zeugen dem Gericht hätte aufdrängen müssen, weil es auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung Anlass zu weiterer Sachaufklärung hätte sehen müssen. Dies ist jedoch nicht in den Anforderungen von § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechender Weise geschehen.

Der Kläger legt zwar dar, dass die Zeugen hätten bekunden können, dass er seine Hündin in der Regel an der Leine geführt habe und sich die gelegentlichen Ausnahmen darauf beschränkt hätten, dass der Hund unangeleint die Straße überquert habe, um zum Grundstück eines befreundeten Nachbarn zu laufen. Er legt aber nicht dar, warum dies für das Verwaltungsgericht entscheidungserheblich gewesen wäre und weshalb es deshalb auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung Anlass zu weiterer Sachverhaltsaufklärung gehabt hätte.

Dies war im Übrigen auch nicht offensichtlich. Denn das Verwaltungsgericht hat die Erforderlichkeit der das Anleinen der Hündin des Klägers betreffenden Anordnungen unter anderem damit begründet, dass sich der Kläger in der Vergangenheit nicht an seine Zusage gehalten habe, seinen Hund künftig anzuleinen. Es hat diese Feststellung nicht nur auf die Aussage des in der mündlichen Verhandlung vernommenen Zeugen, sondern auch darauf gestützt, dass der Kläger selbst eingeräumt habe, dass seine Hündin unangeleint zum auf der anderen Straßenseite gelegenen Nachbaranwesen gelaufen sei. Wenn aber nach Auffassung des Verwaltungsgerichts für die Erforderlichkeit der von der Beklagten getroffenen Anordnungen ausreichte, dass der Kläger, wie von ihm eingeräumt, seinen Hund ohne Leine über die Straße zum Nachbaranwesen laufen ließ, so bedurfte es nach dieser Rechtsauffassung nicht mehr der vom Kläger für notwendig erachteten Klärung, ob seine Hündin im Übrigen im öffentlichen Straßenraum regelmäßig an der Leine geführt worden ist.

2. Soweit der Kläger schließlich meint, es sei erforderlich gewesen, die Gefährlichkeit des Hundes konkret bewerten zu lassen, ist auch damit ein Verstoß des Verwaltungsgerichts gegen seine Verpflichtung, den Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären, nicht den Anforderungen von § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend dargelegt. Denn weder hat der anwaltlich vertretene Kläger in der mündlichen Verhandlung einen entsprechenden Beweisantrag gestellt, noch hat er dargelegt, dass sich dem Verwaltungsgericht die Notwendigkeit weiterer Sachaufklärung hätte aufdrängen müssen.

Das Verwaltungsgericht ging davon aus, dass es bei einer durch mehrere Beißvorfälle belegten Gefährlichkeit eines Hundes keiner weiteren Nachprüfung durch ein Gutachten bedürfe und dass ein längerer zeitlicher Abstand zwischen einem Beißvorfall und dem sicherheitsrechtlichen Tätigwerden die durch die Beißvorfälle indizierte Gefahrenlage nicht per se, sondern nur dann widerlege, wenn sonstige Tatsachen vorlägen, aus denen der Schluss gezogen werden könne, dass von der Hündin keine konkrete Gefahr mehr ausgehe. Warum das Verwaltungsgericht auf der Grundlage dieser Rechtsauffassung Anlass zu weiterer Sachaufklärung hätte sehen müssen, ist dem Vorbringen des Klägers aber nicht zu entnehmen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 sowie § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

Soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht auch, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Die Verwaltungsbehörde kann ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen.

Tatbestand

1

Der Kläger, ein 1963 geborener türkischer Staatsangehöriger, erstrebt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis als Ehegatte nach § 30 Abs. 1 AufenthG.

2

Der Kläger lebte nach eigenen Angaben von 1985 bis 1991 mit seiner jetzigen Ehefrau, einer türkischen Staatsangehörigen, in einer religiösen Ehe in der Türkei. Aus dieser Beziehung stammen die Kinder M., geboren 1986, B., geboren 1987, und H., geboren 1993.

3

Im April 1991 heiratete der Kläger in der Türkei eine deutsche Staatsangehörige. Nach seiner Einreise nach Deutschland erhielt er im Juli 1991 eine Aufenthaltserlaubnis für drei Jahre. Diese wurde aufgrund der Angaben der Eheleute, dass die eheliche Lebensgemeinschaft nach wie vor bestünde, im September 1994 um weitere drei Jahre verlängert. Diese Angaben waren falsch und führten zu einer Verurteilung des Klägers nach § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Tatsächlich lebte der Kläger nach den Feststellungen des Strafgerichts nicht mit seiner Ehefrau, sondern mit der Mutter seiner Kinder zusammen, die im Frühjahr 1994 nach Deutschland eingereist war, nachdem sie im Oktober 1993 ihrerseits einen deutschen Staatsangehörigen geheiratet hatte.

4

Der Beklagte wies den Kläger daraufhin mit Bescheid vom Juni 1998 aus der Bundesrepublik Deutschland aus und lehnte die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis ab. Die hiergegen eingelegten Rechtsmittel blieben ohne Erfolg. Im Oktober 1999 wurde der Kläger in die Türkei abgeschoben.

5

Der Kläger ließ sich nunmehr von seiner deutschen Ehefrau scheiden und heiratete im Mai 2002 die Mutter seiner Kinder, die sich bereits im Juli 2000 von ihrem deutschen Ehemann hatte scheiden lassen. Danach beantragte er ein Visum zur Familienzusammenführung zu seiner weiterhin in Berlin lebenden Ehefrau und den gemeinsamen drei Kindern. Die Ehefrau ist im Besitz eines als Niederlassungserlaubnis fortgeltenden Aufenthaltstitels. Im Februar 2005 befristete der Beklagte die Wirkungen der Ausweisung auf den Tag der Befristungserklärung. Im Dezember 2005 wurde dem Kläger ein Visum zur Familienzusammenführung erteilt, mit dem er nach Deutschland einreiste. Der Beklagte sah zu jenem Zeitpunkt den Unterhalt des Klägers und seiner Familie als (knapp) gesichert an.

6

Mit Bescheid vom 20. Juni 2006 erteilte der Beklagte dem Kläger eine bis zum 19. Juni 2007 befristete Aufenthaltserlaubnis gemäß § 29 i.V.m. § 30 Abs. 1 AufenthG. Die Aufenthaltserlaubnis war mit folgender Nebenbestimmung versehen: "Erwerbstätigkeit gestattet. Erlischt mit dem Bezug von Leistungen nach dem SGB II oder XII."

7

Das Jobcenter Friedrichshain-Kreuzberg in Berlin bewilligte der Ehefrau des Klägers mit Bescheid vom 17. Oktober 2006 für September 2006 Leistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II) für sich und ihre Familie in einer Gesamthöhe von 412,56 €, wovon auf den Kläger ein persönlicher Anteil von 76,64 € monatlich entfiel. Auch in der Folgezeit bezog die Familie weiterhin Leistungen nach dem SGB II, die Einkünfte des Klägers überstiegen im Verlauf der Zeit aber den Betrag, der zur Deckung seines persönlichen Bedarfs - ohne Berücksichtigung seiner Familienangehörigen - erforderlich gewesen wäre.

8

Mit Bescheid vom 6. Februar 2008 lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis ab und drohte ihm die Abschiebung an. Zur Begründung bezog er sich auf den Eintritt der auflösenden Bedingung, die der Aufenthaltserlaubnis beigefügt war, weil der Bedarfsgemeinschaft des Klägers ab September 2006 Leistungen nach dem SGB II bewilligt worden seien. Wegen fehlender Sicherung des Lebensunterhalts sei auch die Neuerteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 30 Abs. 1 AufenthG abzulehnen.

9

Die hiergegen gerichtete Klage blieb in erster Instanz ohne Erfolg. Demgegenüber hat das Oberverwaltungsgericht durch Urteil vom 27. August 2009 (InfAuslR 2009, 448) die erstinstanzliche Entscheidung geändert und den Beklagten verpflichtet, dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Zwar könne der Kläger die begehrte Aufenthaltserlaubnis nicht unter den erleichterten Voraussetzungen einer Verlängerung nach § 30 Abs. 3 AufenthG beanspruchen, weil mit dem Bezug von Leistungen nach dem SGB II die zuvor erteilte Aufenthaltserlaubnis erloschen sei. Er habe aber einen Anspruch auf Neuerteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 30 Abs. 1 AufenthG. Sinn und Zweck der Erteilungsvoraussetzung der Lebensunterhaltssicherung stünden der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht entgegen, wenn durch sie keine zusätzliche Belastung der öffentlichen Haushalte eintrete. Deshalb dürfe die Aufenthaltserlaubnis einem Ausländer wie dem Kläger nicht versagt werden, der für seinen eigenen Unterhaltsbedarf ein ausreichendes Einkommen erziele, aber mit seiner Familie eine Bedarfsgemeinschaft bilde, die ihrerseits über kein hinreichendes Einkommen verfüge. Dies gelte jedenfalls dann, wenn - wie hier - die bedürftigen Familienmitglieder eigenständige, nicht vom Kläger abgeleitete Aufenthaltsrechte besäßen, deren Beendigung nicht anstehe. Eine Belastung der öffentlichen Haushalte trete dann durch die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht ein, ein etwa vorhandener Einkommensüberschuss des Klägers käme zudem der Bedarfsgemeinschaft zugute und führe zu einer Entlastung der öffentlichen Hand. Der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis an den Kläger stünden auch keine Versagungsgründe entgegen.

10

Die vom Berufungsgericht zugelassene Revision begründet der Beklagte im Wesentlichen wie folgt: Die Sicherung des Lebensunterhalts sei danach zu beurteilen, ob der Bedarf der Familie gedeckt sei, mit der der Ausländer in häuslicher Gemeinschaft lebe. Dies ergebe sich aus dem Sozialrecht, auf das das Ausländerrecht hinsichtlich der Unterhaltssicherung verweise. Im Übrigen sei es eine legitime Folge der Versagung der Aufenthaltserlaubnis an den Kläger, dass Druck auf die Familie zur nachhaltigen Erzielung von Einkünften ausgeübt werde. Denn dem Ziel der Schonung der öffentlichen Haushalte widerspreche die weitere Aufenthaltsverfestigung einer Familie, die Sozialleistungen in Anspruch nehme.

11

Der Kläger tritt der Revision entgegen und verteidigt das angefochtene Urteil. Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht hat sich an dem Verfahren beteiligt und sich im Wesentlichen der Argumentation des Beklagten angeschlossen.

Entscheidungsgründe

12

Die Revision des Beklagten ist zulässig und begründet. Das Berufungsurteil beruht auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Das Berufungsgericht hat einen Anspruch des Klägers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis als Ehegatte nach § 30 Abs. 1 AufenthG mit einer Begründung bejaht, die revisionsgerichtlicher Prüfung nicht standhält. Es ist davon ausgegangen, dass der Lebensunterhalt des Klägers im Bundesgebiet gesichert und damit die Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG erfüllt ist, ohne dabei zu berücksichtigen, dass der Kläger für den Lebensunterhalt seiner Ehefrau und seines minderjährigen Sohnes H. auf Leistungen nach dem SGB II angewiesen ist. Dies ist mit Bundesrecht nicht vereinbar. Mangels ausreichender Feststellungen im Berufungsurteil kann der Senat in der Sache nicht abschließend entscheiden, ob die besonderen Gesamtumstände des Falles eine Ausnahme von der Regelerteilungsvoraussetzung rechtfertigen. Das Verfahren ist daher an das Oberverwaltungsgericht zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

13

1. Das Oberverwaltungsgericht hat einen Anspruch des Klägers auf Verlängerung der ihm erteilten Aufenthaltserlaubnis vom 20. Juni 2006 nach § 30 Abs. 3 AufenthG zu Recht verneint. Durch den Eintritt der ihr beigefügten Nebenbestimmung ist diese Erlaubnis im Oktober 2006 erloschen, nachdem der Kläger aufgrund des Bewilligungsbescheids vom 17. Oktober 2006 Leistungen nach dem SGB II bezogen hat.

14

Der Aufenthaltserlaubnis war als Nebenbestimmung der Satz angefügt: "Erlischt mit dem Bezug von Leistungen nach dem SBG II oder SGB XII". Dabei handelt es sich um eine auflösende Bedingung. Sie soll dazu dienen, dem Bezug von Sozialleistungen vorzubeugen und ein Aufenthaltsrecht zunächst auch in solchen Fällen zu gewähren, in denen sich die Ausländerbehörde nicht sicher ist, ob die Erteilungsvoraussetzung der Sicherung des Lebensunterhalts während der gesamten Laufzeit des Aufenthaltstitels vorliegen wird.

15

Es kann offenbleiben, ob solch eine auflösende Bedingung rechtmäßig ist, da sie - wie das Oberverwaltungsgericht zutreffend ausführt - jedenfalls wirksam war und damit zum Erlöschen der dem Kläger erteilten Aufenthaltserlaubnis geführt hat. Grundsätzlich darf nach § 12 Abs. 2 Satz 1 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis mit Bedingungen erteilt werden. Streitig ist aber, ob eine auflösende Bedingung wie die hier verfügte rechtmäßig ist (so Huber, AufenthG 2010, § 12 Rn. 5, Maor, in: Kluth/Hund/Maaßen, Zuwanderungsrecht, § 4 Rn. 50, Zeitler, in: HTK-AuslR, Stand Oktober 2009, § 12 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, Anm. 2 f., Wenger, in: Storr/Wenger/Eberle/Albrecht/Harms, Zuwanderungsrecht, 2. Aufl. 2008, § 12 Rn. 5 und OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22. August 2007 - OVG 11 S 58.07 - InfAuslR 2007, 451; a.A. Hoppe, InfAuslR 2008, 292 <294 f.>). Dies kann hier aber dahingestellt bleiben, da eine derartige auflösende Bedingung jedenfalls nicht nichtig nach § 44 VwVfG ist. Das Oberverwaltungsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass kein besonders schwerwiegender und offensichtlicher Mangel im Sinne von § 44 Abs. 1 VwVfG vorliegt. Für die Wirksamkeit der Nebenbestimmung genügt, dass sie bestandskräftig geworden ist. Das war hier der Fall, da gegen sie innerhalb der Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO kein Rechtsmittel eingelegt wurde.

16

2. Das Oberverwaltungsgericht hat daher zu Recht geprüft, ob dem Kläger ein Anspruch auf Neuerteilung einer Aufenthaltserlaubnis als Ehegatte nach § 30 Abs. 1 AufenthG zusteht.

17

a) Dabei ist es im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen, dass die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nicht am Vorliegen eines Ausweisungsgrundes scheitert (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 55 Abs. 2 Nr. 6 und § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG).

18

Der Kläger erfüllt nicht den Ausweisungstatbestand des § 55 Abs. 2 Nr. 6 AufenthG. Dieser setzt voraus, dass der Ausländer für sich, seine Familienangehörigen oder für sonstige Haushaltsangehörige Sozialhilfe in Anspruch nimmt. Der Kläger nimmt zwar für sich, seine Ehefrau und seinen Sohn H. Leistungen nach dem SGB II in Anspruch. Diese stellen jedoch keine Sozialhilfeleistungen im Sinne von § 55 Abs. 2 Nr. 6 AufenthG dar. Vielmehr erfasst der Ausweisungstatbestand nur die Sozialhilfe im engeren Sinne, insbesondere Leistungen nach dem SGB XII, nicht aber Leistungen nach dem SGB II (vgl. Armbruster, in: HTK-AuslR, Stand Dezember 2007, § 55 AufenthG, zu Abs. 2 Nr. 6 Anm. 1; Discher, in: GK-AufenthG, Stand Juli 2009, § 55 Rn. 964; Hailbronner, AuslR, Stand Februar 2009, § 55 AufenthG Rn. 69; noch offengelassen im Urteil vom 26. August 2008 - BVerwG 1 C 32.07 - BVerwGE 131, 370 Rn. 23). Dass der Bezug von Leistungen nach dem SGB II diesen Ausweisungsgrund nicht erfüllen soll, ergibt sich eindeutig aus dem Gesetzgebungsverfahren. Der Bundesrat wollte nämlich den Begriff "Sozialhilfe" - ebenso wie in anderen Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes (etwa § 27 Abs. 3 Satz 1 AufenthG) - durch "Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch" ersetzt wissen, um auch Bezieher von Leistungen nach dem SGB II in den Ausweisungstatbestand einzubeziehen (vgl. BTDrucks 16/5527 S. 7). Diesen Änderungsvorschlag hat die Bundesregierung aber abgelehnt (vgl. BTDrucks 16/5527 S. 19). Die im Evaluierungsbericht zum Zuwanderungsgesetz vom Juli 2006 erneut empfohlene Einbeziehung von Leistungen nach dem SGB II in den Ausweisungsgrund (Bericht des Bundesministeriums des Innern zur Evaluierung des Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern - Evaluierungsbericht -, Juli 2006, S. 142 f.) wurde ebenfalls nicht umgesetzt.

19

b) Das Oberverwaltungsgericht hat aber die Erteilungsvoraussetzung der Sicherung des Lebensunterhalts nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG zu Unrecht bejaht. Es hat rechtsfehlerhaft nur auf den eigenen Bedarf des Klägers abgestellt und nicht berücksichtigt, dass es nach der gesetzlichen Regelung auf die Sicherung des Lebensunterhalts der in einer Bedarfsgemeinschaft zusammen lebenden Kernfamilie - hier: bestehend aus dem Kläger, seiner Ehefrau und dem minderjährigen Sohn H. - ankommt. Der Lebensunterhalt der Kernfamilie kann im vorliegenden Fall jedoch nicht ohne Inanspruchnahme von Leistungen nach dem SGB II bestritten werden.

20

aa) Nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG setzt die Erteilung eines Aufenthaltstitels in der Regel voraus, dass der Lebensunterhalt gesichert ist. Dies ist nach § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG der Fall, wenn der Ausländer ihn einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann. Dabei bleiben die in § 2 Abs. 3 Satz 2 AufenthG aufgeführten öffentlichen Mittel außer Betracht. Es bedarf mithin der positiven Prognose, dass der Lebensunterhalt des Ausländers in Zukunft auf Dauer ohne Inanspruchnahme anderer öffentlicher Mittel gesichert ist. Dies erfordert einen Vergleich des voraussichtlichen Unterhaltsbedarfs mit den voraussichtlich zur Verfügung stehenden Mitteln. Dabei richtet sich die Ermittlung des Unterhaltsbedarfs und des zur Verfügung stehenden Einkommens seit dem 1. Januar 2005 bei erwerbsfähigen Ausländern im Grundsatz nach den entsprechenden Bestimmungen des Zweiten Buchs des Sozialgesetzbuches - SGB II - (vgl. Urteile vom 26. August 2008 a.a.O. Rn. 19 und vom 7. April 2009 - BVerwG 1 C 17.08 - BVerwGE 133, 329 Rn. 29; vgl. aber unten Rn. 33). Erstrebt ein erwerbsfähiger Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis zum Zusammenleben mit seinen Familienangehörigen in einer häuslichen Gemeinschaft oder lebt er - wie der Kläger - bereits in einer solchen, so gelten für die Berechnung seines Anspruchs auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II grundsätzlich die Regeln über die Bedarfsgemeinschaft nach § 9 Abs. 1 und 2 i.V.m. § 7 Abs. 3 SGB II.

21

Da sich im Grundsatz nach den Maßstäben des Sozialrechts bemisst, ob der Lebensunterhalt des Ausländers gemäß § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG gesichert ist, scheidet eine isolierte Betrachtung des Hilfebedarfs für jedes Einzelmitglied der familiären Gemeinschaft aus. Vielmehr gilt in einer Bedarfsgemeinschaft, wenn deren gesamter Bedarf nicht gedeckt werden kann, jede Person im Verhältnis des eigenen Bedarfs zum Gesamtbedarf als hilfebedürftig (§ 9 Abs. 2 Satz 3 SGB II). Insofern ergibt sich schon aus der Regelung in § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG, dass im Aufenthaltsrecht die Sicherung des Lebensunterhalts des erwerbsfähigen Ausländers allgemein den Lebensunterhalt des mit ihm in familiärer Gemeinschaft lebenden Ehepartners und der unverheirateten Kinder bis zum 25. Lebensjahr umfasst. Dies ist im Urteil des Senats vom gleichen Tag im Verfahren BVerwG 1 C 21.09, in dem es um die Sicherung des Lebensunterhalts bei Erteilung einer Niederlassungserlaubnis geht, im Einzelnen ausgeführt. Hierauf wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.

22

Im Bereich des Familiennachzugs zeigt - unabhängig von diesen allgemeinen Erwägungen - auch die in § 2 Abs. 3 Satz 4 AufenthG getroffene Regelung, dass bei der Sicherung des Lebensunterhalts auf den Gesamtbedarf der Kernfamilie des Ausländers abzustellen ist. Nach dieser Vorschrift werden bei der Erteilung und Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug "Beiträge der Familienangehörigen zum Haushaltseinkommen berücksichtigt". Wie diese Bestimmung zu verstehen ist, ist zwar im Einzelnen umstritten. Insbesondere ist fraglich, ob unter Familienangehörige im Sinne dieser Vorschrift - entsprechend der Terminologie in den Bestimmungen zum Familiennachzug - (auch) der nachziehende Familienangehörige fällt (so Hailbronner, AuslR, § 2 AufenthG, Stand April 2008, Rn. 41) oder ob darunter nur sonstige Familienangehörige fallen. Dies kann hier aber ebenso offenbleiben wie die Frage, ob mit Beiträgen im Sinne dieser Vorschrift sämtliche Einkünfte des Familienangehörigen oder nur die den eigenen Bedarf übersteigenden Einkünfte gemeint sind. Denn jedenfalls macht die Verwendung des Begriffs "Haushaltseinkommen" deutlich, dass der Gesetzgeber insoweit von einer einheitlichen Betrachtung der häuslichen Familiengemeinschaft ausgeht.

23

Dies entspricht auch den Bestimmungen der Familienzusammenführungsrichtlinie (Richtlinie 2003/86/EG), die mit dem Aufenthaltsgesetz umgesetzt werden sollte. Nach deren Art. 7 Abs. 1 Buchst. c können die Mitgliedstaaten verlangen, dass der sich in dem Mitgliedstaat aufhaltende Zusammenführende über feste und regelmäßige Einkünfte verfügt, die ohne Inanspruchnahme der Sozialhilfeleistungen für seinen eigenen Lebensunterhalt und den seiner Familienangehörigen ausreichen. Auch die Richtlinie geht insoweit von einer familieneinheitlichen Betrachtung aus (vgl. auch Art. 16 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie).

24

Die historische Auslegung spricht ebenfalls dafür, dass der Gesetzgeber an dem Erfordernis der Sicherung des Lebensunterhalts mit Blick auf die schon vor der Neuregelung maßgebliche Familiengemeinschaft festhalten wollte. Bereits nach dem Ausländergesetz 1990 war jedenfalls beim Familiennachzug nicht allein auf den Nachziehenden, sondern in erster Linie auf die wirtschaftliche Situation des Stammberechtigten und seiner Familie abzustellen. Eine Berücksichtigung der Erwerbseinkünfte des nachziehenden Familienangehörigen selbst war nur in besonderen Härtefällen unter bestimmten Voraussetzungen möglich. Auch in diesen Fällen musste aber der Lebensunterhalt der Familie insgesamt gesichert sein (§ 17 Abs. 2 Nr. 3 AuslG 1990). Es reichte danach in keinem Fall aus, dass der Nachziehende durch eigene Erwerbstätigkeit nur sich selbst unterhalten konnte, die aufnehmende Familie aber Sozialhilfe in Anspruch nehmen musste. Dahinter stand ersichtlich der Gedanke, dass nur ein wirtschaftlich integrierter Ausländer seinen Ehegatten oder seine Kinder sollte nachziehen lassen können und diese Integration einen aus eigenen Mitteln finanzierten Lebensunterhalt für die Familie voraussetzte. Dass der Gesetzgeber mit dem Aufenthaltsgesetz hieran etwas Grundlegendes ändern wollte, lässt sich der Gesetzesbegründung nicht entnehmen (BTDrucks 15/420 zu § 29 S. 81). Er hat lediglich davon abgesehen, die Lebensunterhaltssicherung weiterhin gesondert beim Familiennachzug zu regeln, sondern ist davon ausgegangen, dass sich die bisherigen Anforderungen des § 17 Abs. 2 Nr. 3 AuslG 1990 nunmehr in den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des Aufenthaltsgesetzes finden. Dementsprechend regelt jetzt § 2 Abs. 3 Satz 4 AufenthG, dass bei der Erteilung und Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug die Beiträge der Familienangehörigen zum Haushaltseinkommen zu berücksichtigen sind, also weiterhin auf den Unterhaltsbedarf der Familie abzustellen ist.

25

Auch die Regelung in § 27 Abs. 3 AufenthG spricht dafür, dass beim Familiennachzug auf den Unterhaltsbedarf der Familie und nicht nur des Nachzugswilligen abzustellen ist. Nach dieser Vorschrift kann der Familiennachzug versagt werden, wenn der Stammberechtigte anderen Familienangehörigen oder anderen Haushaltsangehörigen Unterhalt zu leisten hat und diese auf Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch des Sozialgesetzbuches angewiesen sind. Es ergibt wenig Sinn, dass bei Bezug von SGB II-Leistungen durch unterhaltsberechtigte Familienangehörige des Stammberechtigten zumindest ein fakultativer Versagungsgrund vorgesehen ist, der Bezug solcher Leistungen durch den Stammberechtigten selbst aber gänzlich unbeachtlich sein sollte.

26

Die auf den Bedarf der familiären Gemeinschaft abstellende Auslegung des Gebots der Sicherung des Lebensunterhalts entspricht auch Sinn und Zweck der gesetzlichen Erteilungsvoraussetzung. Sie dient dazu, neue Belastungen für die öffentlichen Haushalte zu vermeiden (vgl. Urteil vom 26. August 2008 a.a.O. Rn. 21). Nach Auffassung des Berufungsgerichts steht das Erfordernis der Unterhaltssicherung dem Nachzug eines Familienangehörigen nicht entgegen, der seinen eigenen Lebensunterhalt bestreiten kann. Eine zusätzliche Belastung öffentlicher Haushalte trete durch dessen Aufenthalt in Deutschland nicht ein. Vielmehr komme ein etwa vorhandener Einkommensüberschuss den übrigen Familienmitgliedern zugute und entlaste damit die öffentlichen Kassen. Diese Sichtweise berücksichtigt nicht ausreichend, dass der Nachzug eines Familienangehörigen - hier des Familienvaters - typischerweise zu einer tatsächlichen Verfestigung des Aufenthalts der übrigen auf Sozialleistungen angewiesenen Mitglieder der Familie führt. Die Option, die eheliche oder familiäre Lebensgemeinschaft im Herkunftsland zu führen, rückt damit jedenfalls in die Ferne. Die dadurch bedingte Perpetuierung der Inanspruchnahme von Sozialleistungen entspricht schwerlich dem Willen des Gesetzgebers. Allerdings ist der Umfang der Belastung öffentlicher Haushalte durch den Nachzug eines Familienangehörigen, der seinen eigenen Lebensunterhalt bestreiten kann, im Rahmen der Prüfung zu berücksichtigen, ob eine Ausnahme von dem Regelerteilungserfordernis des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG vorliegt (vgl. dazu unten Rn. 28).

27

c) Auf den Versagungsgrund des § 27 Abs. 3 Satz 1 AufenthG kommt es bei diesem rechtlichen Ausgangspunkt nicht mehr an. Danach kann die Aufenthaltserlaubnis versagt werden, wenn derjenige, zu dem der Familiennachzug stattfindet, für den Unterhalt von anderen Familienangehörigen oder anderen Haushaltsangehörigen auf Leistungen nach SGB II oder SGB XII angewiesen ist. Ist, wie oben ausgeführt, der Bezug von Leistungen nach dem SGB II durch die Ehefrau und den Sohn des Klägers bereits bei der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG zu berücksichtigen, wird er nicht zusätzlich noch von § 27 Abs. 3 Satz 1 AufenthG erfasst. Dieser Versagungsgrund bezieht sich vielmehr nur auf nicht zur familiären Bedarfsgemeinschaft gehörende andere Familienangehörige oder Haushaltsangehörige des stammberechtigten Ausländers (vgl. BTDrucks 15/420 zu § 27 Abs. 3 S. 81).

28

d) Für die Entscheidung des Rechtsstreits kommt es somit entscheidend darauf an, ob im vorliegenden Fall ausnahmsweise vom Regelerfordernis der Unterhaltssicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG abzusehen ist. Davon ist insbesondere dann auszugehen, wenn besondere, atypische Umstände vorliegen, die so bedeutsam sind, dass sie das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regelung beseitigen, aber auch dann, wenn höherrangiges Recht wie der Schutz von Ehe und Familie oder die unionsrechtlichen Vorgaben der Familienzusammenführungsrichtlinie (Richtlinie 2003/86/EG) es gebieten (vgl. Urteil vom 26. August 2008 a.a.O. Rn. 27). Diese Frage hat das Berufungsgericht - nach seiner Rechtsauffassung folgerichtig - nicht geprüft. Zwar hat es im Rahmen der Versagungsgründe des § 27 Abs. 3 AufenthG (UA S. 17 ff.) eine Prüfung der Umstände des Einzelfalls vorgenommen. Die hierzu angestellten Erwägungen reichen aber nicht aus, um alle für einen Ausnahmefall nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG maßgeblichen Gesichtspunkte zu erfassen. Der Rechtsstreit war daher zur Nachholung der erforderlichen Feststellungen an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Für das neue Berufungsverfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

29

Unionsrecht steht der Berücksichtigung des Unterhaltsbedarfs von Familienangehörigen im Rahmen des Familiennachzugs grundsätzlich nicht entgegen. Vielmehr ermächtigt die Familienzusammenführungsrichtlinie die Mitgliedstaaten in Art. 7 Abs. 1 Buchst. c, den Nachzug von Familienangehörigen von festen und regelmäßigen Einkünften des Zusammenführenden abhängig zu machen, die ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen für seinen Lebensunterhalt und den seiner Familienangehörigen ausreichen.

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Auch aus dem Diskriminierungsverbot der durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützten Ehe ergibt sich im vorliegenden Fall keine Ausnahme vom Erfordernis der Unterhaltssicherung. Die Voraussetzungen, unter denen das Bundesverfassungsgericht in seinem Kammerbeschluss vom 11. Mai 2007 - 2 BvR 2483/06 - (NVwZ 2007, 1302) eine Diskriminierung der Ehe angenommen hat, liegen hier nicht vor. Das Bundesverfassungsgericht ist in dem von ihm entschiedenen Fall zu dem Ergebnis gekommen, dass es gegen das aus Art. 6 Abs. 1 GG folgende Diskriminierungsverbot verstößt, wenn einem Ehegatten der weitere Aufenthalt nur wegen des Bestehens einer ehelichen Lebensgemeinschaft versagt wird, er dagegen bei Trennung vom Ehepartner ein eigenständiges Aufenthaltsrecht nach § 31 AufenthG hätte. In einem solchen Fall beruhe die Versagung des Aufenthalts allein auf der Ehe, was nicht zulässig sei. Überträgt man diese Rechtsprechung auf den vorliegenden Fall, so ergibt sich keine ehebedingte Diskriminierung. Denn der Kläger hatte zur Zeit des Erlöschens seiner Aufenthaltserlaubnis noch nicht - wie von § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG verlangt - zwei Jahre in ehelicher Lebensgemeinschaft rechtmäßig im Bundesgebiet gelebt. Die ihm erteilte Aufenthaltserlaubnis vom 20. Juni 2006 war schon vor Ablauf ihrer Gültigkeitsfrist (19. Juni 2007) gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG erloschen. Denn im Oktober 2006 war die auflösende Bedingung des Bezugs von Sozialleistungen eingetreten. Ab diesem Zeitpunkt war der Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet nicht mehr rechtmäßig. Damit hat er sich - auch unter Einrechnung des durch die Visumerteilung vom Dezember 2005 erfassten Zeitraums - weniger als ein Jahr rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten.

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Allerdings sind bei der Frage, ob eine Ausnahme von der Regelvoraussetzung der Unterhaltssicherung zu bejahen ist, die in Art. 6 Abs. 1 GG, Art. 8 EMRK und Art. 7 GR-Charta enthaltenen Wertentscheidungen zugunsten der Familie zu berücksichtigen. Damit müssen Ausnahmen vom Familiennachzug unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ausgelegt werden (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 11. Mai 2007 a.a.O.; Urteil vom 30. März 2010 - BVerwG 1 C 8.09 - NVwZ 2010, 964, zur Veröffentlichung in BVerwGE vorgesehen, Rn. 30 ff.). Dabei ist zugunsten des Klägers zu berücksichtigen, dass er seinen eigenen Unterhaltsbedarf in Deutschland decken kann. Das reicht aber für sich genommen noch nicht aus. Maßgeblich ist vielmehr, wie groß der Hilfebedarf der familiären Bedarfsgemeinschaft insgesamt ist und inwieweit der Kläger zur Reduzierung dieses Bedarfs beiträgt. Das hat das Berufungsgericht bisher nicht festgestellt. Insbesondere fehlen Feststellungen zum Einkommen der Ehefrau des Klägers. Weiterhin sind Feststellungen dazu von Bedeutung, ob und ggf. in welchem Umfang der Kläger seinen familiären Unterhaltsverpflichtungen während seines Türkeiaufenthalts von 1999 bis 2005 nachgekommen ist. Denn sie erleichtern die Prognose darüber, in welchem Umfang sich der Kläger auch zukünftig um die weitere Reduzierung der Bedarfslücke seiner Familienangehörigen bemühen wird, und erlauben damit eine Aussage zu den Erfolgsaussichten der wirtschaftlichen Integration. Auch insoweit fehlt es an Feststellungen des Berufungsgerichts. Weiter wird der Frage nachzugehen sein, ob die Familie auch in der Türkei leben könnte. Dabei sind die Dauer des Aufenthalts des Klägers, seiner Ehefrau und des Sohnes H. in Deutschland sowie der Umfang ihrer Integration in die hiesigen Lebensverhältnisse zu würdigen. Allerdings dürfte die Tatsache, dass der inzwischen 17 Jahre alte Sohn seit 1994 in Deutschland aufgewachsen ist, ohne jede Feststellung zu seiner Integration und der familiären Gesamtsituation (nahende Volljährigkeit) für einen Ausnahmefall noch nicht genügen. Umgekehrt ist ein Ausnahmefall nicht schon wegen der Verstöße des Klägers gegen die deutsche Rechtsordnung, die zu seiner Ausweisung geführt haben, ausgeschlossen, nachdem die Ausländerbehörde die Wirkungen der Ausweisung befristet hat.

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Bei der erforderlichen Berechnung des Hilfebedarfs der familiären Bedarfsgemeinschaft - bestehend aus dem Kläger, seiner Ehefrau und dem Sohn H. - wird das Berufungsgericht Folgendes zu berücksichtigen haben:

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Der Senat hat in seinem Urteil vom 26. August 2008 - BVerwG 1 C 32.07 - (a.a.O. Rn. 19) entschieden, dass bei der Berechnung des zur Verfügung stehenden Einkommens der Freibetrag für Erwerbstätigkeit nach § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 i.V.m. § 30 SGB II und die Werbungskostenpauschale von 100 € nach § 11 Abs. 2 Satz 2 SGB II zu Lasten des Ausländers zu berücksichtigen sind. Die Notwendigkeit einer solchen Berücksichtigung ergibt sich aus dem Verweis des Aufenthaltsgesetzes auf die Bedarfs- und Einkommensermittlung nach den Regelungen des Sozialrechts und hier speziell des § 11 SGB II. Diese Entscheidung des nationalen Gesetzgebers bedarf aber der Korrektur, soweit dem höherrangiges Recht - hier Unionsrecht - entgegensteht. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat in seinem Urteil vom 4. März 2010 in der Rechtssache Chakroun (C-578/08) für den Anwendungsbereich der Familienzusammenführungsrichtlinie entschieden, dass der Begriff der "Sozialhilfeleistungen des ... Mitgliedstaats" ein autonomer Begriff des Unionsrechts ist, der nicht anhand von Begriffen des nationalen Rechts ausgelegt werden kann (Rn. 45). Nach dem Unionsrecht bezieht sich der Begriff "Sozialhilfe" in Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie auf Unterstützungsleistungen, die einen Mangel an ausreichenden festen und regelmäßigen Einkünften ausgleichen (Rn. 49). Unter diesen unionsrechtlichen Begriff der Sozialhilfe fällt aber nicht der Freibetrag für Erwerbstätigkeit nach § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 i.V.m. § 30 SGB II, der in erster Linie aus arbeitsmarkt- bzw. beschäftigungspolitischen Gründen gewährt wird und eine Anreizfunktion zur Aufnahme bzw. Beibehaltung einer Erwerbstätigkeit haben soll (vgl. Urteil vom 26. August 2008 a.a.O. Rn. 22), nicht aber einen Mangel an ausreichenden festen und regelmäßigen Einkünften im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs ausgleicht. Dieser Freibetrag darf daher bei der Bemessung des Unterhaltsbedarfs im Anwendungsbereich der Familienzusammenführungsrichtlinie nicht zu Lasten des nachzugswilligen Ausländers angerechnet werden.

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Die in § 11 Abs. 2 Satz 2 SGB II pauschaliert erfassten Werbungskosten stellen hingegen im Grundsatz Aufwendungen dar, die die tatsächlich verfügbaren Einkünfte eines Erwerbstätigen reduzieren, sodass ihrer Berücksichtigung bei der Bemessung des Unterhaltsbedarfs die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union nicht entgegensteht. Allerdings ist dem Gebot der individualisierten Prüfung jedes einzelnen Antrags auf Familienzusammenführung gemäß Art. 17 der Richtlinie dadurch Rechnung zu tragen, dass der Ausländer einen geringeren Bedarf als die gesetzlich veranschlagten 100 € nachweisen kann.

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Im Übrigen weist der Senat auf die Regelung über den - allerdings antragsabhängigen - Kinderzuschlag in § 6a BKGG hin, durch die in Fällen, in denen nur der Lebensunterhalt von Kindern nicht vollständig aus eigenen Mitteln bestritten werden kann, über den Bezug eines (nach § 2 Abs. 3 Satz 2 AufenthG unschädlichen) Kinderzuschlags unter bestimmten Voraussetzungen eine Inanspruchnahme von Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB II vermieden werden kann. Sollten die gesetzlichen Voraussetzungen des § 6a BKGG bei der Familie des Klägers vorliegen und sollte deshalb der Bezug von Leistungen nach dem SGB II entfallen, wäre der Lebensunterhalt im Sinne von § 2 Abs. 3 AufenthG als gesichert anzusehen.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung das Bundesverwaltungsgericht sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden.