Verwaltungsgericht Schwerin Urteil, 06. Dez. 2012 - 2 A 259/10
Gericht
Tenor
1. Die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 11.11.2009 (Az.: …) für den Neubau einer Terrassenüberdachung auf ihrem Grundstück in A-Stadt, Flurstück 651, Flur 1, in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.02.2010 (Az.: ….) und der Bescheid über Abweichungen vom 11.11.2009 (Az.: …..) in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.02.2010 (Az.: …) werden aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vollstreckbar.
2. Die Zuziehung der Prozessbevollmächtigten der Klägerin im Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
Tatbestand
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Die Klägerin wendet sich gegen eine den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung nebst positiver Abweichungsentscheidung für den Bau einer Terrassenüberdachung.
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Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks Flurstücke 650/1 und 650/2 der Flur 1 der Gemarkung … in der A-Straße. Südlich schließt sich das Grundstück der Beigeladenen in der …, Flurstück 651 der Flur 1 der Gemarkung …, an. Beide Grundstücke sind jeweils entlang der nördlichen Grundstücksgrenze ohne seitlichen Grenzabstand mit einem Hauptgebäude bebaut. Das Hauptgebäude der Beigeladenen weist eine etwas größere Tiefe als das Gebäude der Klägerin auf. In den jeweils rückwärtigen Grundstücksbereichen zur westlichen Grundstücksgrenze befinden sich kleinere Nebengebäude. Zwischen der jeweils westlichen Grundstücksgrenze und dem Abschluss des Hauptgebäudes befinden sich auf beiden Grundstücken überwiegend unbebaute Flächen. Zur jeweils südlichen Grundstücksgrenze weisen die Grundstücke folgende Abstände auf: das Gebäude der Beigeladenen einen Abstand von ca. 1 m im vorderen Bereich und jedenfalls nicht mehr als 1,90 m im hinteren Bereich, das Gebäude der Klägerin von 3 m im vorderen Bereich und ca. 2,60 m im hinteren Gebäudebereich. An das hintere Hauptgebäude jeweils der Klägerin und der Beigeladenen schließt sich eine Terrasse an. Auf der nördlichen Grundstücksgrenze der Klägerin hin zum Grundstück der Beigeladenen steht eine durchgehende ca. 1,90 m hohe Mauer. Zur Verdeutlichung der Bebauung und Grundstückseigenschaften wird auf den Lageplan vom 13.10.2009 als Anlage zur Baugenehmigung vom 11.11.2009 auf Blatt 3 der Behördenakten verwiesen.
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Am 13.08.2009 beantragten die Beigeladenen die Errichtung einer Terrassenüberdachung. Die Grundfläche der Terrasse beträgt gemäß dem Antrag 21,30 m². Die Seite zur Grundstücksgrenze der Klägerin hin misst 4,46 m. Die Überdachung soll nach den Bauantragsunterlagen 2,10 m am westlichen Ende und 2,85 m am östlichen Ende hoch sein. Das Glasdach wird von einer Aluminiumkonstruktion getragen. Diese weist zwei Stützen im vorderen Bereich und Querstreben im Dachbereich auf. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die dem Bauantrag beigefügten Ansichten vom 12.08.2009 auf Blatt 11 der Behördenakten verwiesen.
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Unter dem 02.09.2009 stellten die Beigeladenen einen Antrag auf Erteilung einer Zulassung über die Abweichung von den erforderlichen Abstandsflächen. Die Klägerin versagte im Zuge ihrer Beteiligung als Nachbarin die Zustimmung am 28.09.2009. Ihr sei ein weiteres, die Sicht nehmendes Bauvorhaben entlang der unbebauten Gartenfläche nicht zuzumuten. Würde man im rückwärtigen Bereich der Bebauung in diesem Block eine faktische Baulinie ziehen, springe ihr Haus 1,40 m hinter das der Beigeladenen zurück. Das Vorhaben verletze die erforderlichen Abstandsflächen und sei rücksichtslos. Die Inanspruchnahme des besonders schutzwürdigen rückwärtigen Bereiches schränke ihre Privatsphäre spürbar ein. Es sei ernsthaft zu befürchten, dass von der intensivierten Terrassennutzung nachteilige Auswirkungen wie Lärm ausgingen. Die Grundstückssituation werde erheblich verschlechtert.
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Am 11.11.2009 erteilte der Beklagte unter Zulassung einer Abweichung von den erforderlichen Abstandsflächen die Baugenehmigung. Im Bescheid über die Zulassung der Abweichung führte er aus, die Unterschreitung der Abstandsflächen sei der sogenannten Tüschenbauweise geschuldet. Es handele sich hier um die nach der Erhaltungssatzung für …. und im Denkmalbereich … zwingend einzuhaltende Tüschenbauweise. Diese betreffe die jeweils südlichen Grundstücksgrenzen der Baugrundstücke. Zu den nördlichen Grundstücksgrenzen seien jeweils keine Abstandsflächen eingehalten, hier sei eine Grenzbauweise abzuleiten. Die Baugenehmigung wurde der Klägerin bekannt gegeben, die Abweichungsentscheidung nicht.
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Am 18.11.2009 erhob die Klägerin Widerspruch gegen die erteilte Baugenehmigung. Sie führte aus, die Terrassenkonstruktion halte in einer Höhe von 2,85 m auf einer 0,6 m über der Geländeoberfläche liegenden Terrasse die vorgeschriebene Abstandsfläche nicht ein. Eine Abweichung könne nicht zugelassen werden. Die Erhaltungssatzung gebe nicht zwingend geringere Abstandsflächen vor. Die Tüschenbauweise sei nur straßenseitig, nicht im rückwärtigen Grundstücksbereich gegeben. Für die rückwärtigen Bereiche sei typisch, dass die sich jeweils an das Haupthaus anschließende Bebauung zurückspringe und hierdurch einen größeren Abstand zu der gemeinsamen Grundstücksgrenze von 2 bis 3 m oder mehr bilde. Es fehle an einem für eine positive Abweichungsentscheidung atypischen, von der gesetzlichen Regelung nicht hinreichend erfassten oder bedachten Sachverhalt. Es sei nicht erkennbar, dass die Gestaltung des Straßenbildes oder andere städtebauliche Erfordernisse eine Verringerung der Abstandsflächen rechtfertigen könne. Eine rechtmäßige Ermessensausübung sei nicht erfolgt. Am 07.01.2010 legte die Klägerin Widerspruch gegen den Abweichungsbescheid mit der gleichen Begründung ein.
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Mit Bescheiden vom 15.02.2010 wies der Beklagte die Widersprüche gegen die Baugenehmigung und gegen den Abweichungsbescheid als unbegründet zurück: Das Vorhaben füge sich in die nähere Umgebung ein. Eine Atypik sei vorhanden. Das Gebiet sei vorgeprägt durch eine abweichende Bauweise wegen Unterschreitungen der Abstandsflächen nach Süden hin. Die in den Hofbereichen bestehende städtebauliche Situation sei geprägt durch eine dichte und heterogene Bebauung. Diese Vorprägung bilde den Gestaltungsrahmen, in dem sich das Neuvorhaben bewegen müsse. Zu den südlichen Grundstücksgrenzen überwögen schmale Wege (sogenannte Tüschen) im vorderen Grundstücksbereich zwischen Grundstücksgrenze und Hauptgebäude. Im Hinblick auf die langjährige Genehmigungspraxis in vergleichbaren Fällen sei der Abweichungsbescheid ergangen. Bei der Ermessensausübung hätten die Interessen der Beigeladenen überwogen. Für die Klägerin nicht zumutbare nachteilige Auswirkungen seien nicht erkennbar. Das Interesse der Klägerin an der Erhaltung der Privatsphäre und der Wohnruhe sei berücksichtigt worden. Mögliche Beeinträchtigungen seien zumutbar. Eine erhebliche Verschlechterung der Grundstückssituation durch Lärmbeeinträchtigungen sei nicht zu erwarten. Es handele sich lediglich um die Überdachung einer bereits vorhandenen Terrasse.
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Am 18.02.2010 wurden die Widerspruchsbescheide der Prozessbevollmächtigten der Klägerin zugestellt.
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Am 17.03.2010 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie vertieft ihre Ausführungen und ergänzt, der Abstand zur gemeinsamen Grundstücksgrenze betrage lediglich 1,45 m. In der Umgebung seien vergleichbare Terrassenüberdachungen nicht vorhanden. Die Beigeladenen könnten das Vorhaben schmaler bauen und so die Abstandsflächen einhalten. Die Abweichung sei nicht wegen des Ortsbildes und zum Erhalt historischer Bausubstanzen erforderlich. Eine langjährige Genehmigungspraxis des Beklagten in vergleichbaren Fällen gebe es nicht. In etlichen Genehmigungsverfahren sei eine gestaffelte Bebauung genehmigt worden, bei der die Abstandsflächen der rückwärtigen Bebauung zur südlichen Grundstücksgrenze immer ca. 3 m aufweisen würden. Selbst die Abstandsflächen der Wohnhäuser würden bis zu 3 m betragen. Auch das im Widerspruchsbescheid ausgeübte Ermessen sei fehlerhaft. Fehlerhaft sei nur auf die konkrete Beeinträchtigung abgestellt worden. Die generelle Beeinträchtigung der Nutzungsmöglichkeit des Grundstücks der Klägerin für zukünftige Vorhaben sei unerwähnt geblieben. Ferner komme es darauf an, ob die so gegebene Schmälerung der Interessen der Klägerin durch gewichtige öffentliche Belange gerechtfertigt sei. Daran fehle es. Die Interessen des Bauherrn seien in diesem Zusammenhang nicht maßgeblich. Zum Hilfsantrag führt die Klägerin aus, ihr seien die Kosten des Widerspruchverfahrens zu ersetzen, da der Ausgangsbescheid rechtswidrig gewesen sei und eine Heilung erst durch den Widerspruchsbescheid und dessen Begründung herbeigeführt worden sei.
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Sie beantragt,
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1. die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 11.11.2009 (Az.: …) für den Neubau einer Terrassenüberdachung auf ihrem Grundstück in …, C-Straße, Gemarkung …, Flurstück 651, Flur 1, in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.02.201 (Az.: …) und den Bescheid über Abweichungen vom 11.11.2009 (Az.: ….) in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.02.2010 (Az.: ….) aufzuheben;
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hilfsweise,
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die Kostenentscheidungen in den vorbenannten Widerspruchsbescheiden des Beklagten vom 15.02.2010 (Az.: … und …) aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die Kosten der beiden Widerspruchsverfahren (nebst Anwaltskosten der Klägerin) zu tragen bzw. den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin die in den beiden Widerspruchsverfahren angefallenen Rechtsanwaltskosten in i.H.v. …. € zu erstatten.
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2. Die Zuziehung der Prozessvertretung der Klägerin in den beiden Widerspruchsverfahren gemäß § 162 Ab. 2 VwGO für notwendig zu erklären.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er vertieft seine Ausführungen und ergänzt, eine Schmälerung der nachbarlichen Interessen sei nicht gegeben. Die bestehende Terrasse sei nach allen Seiten offen und solle lediglich eine genehmigungspflichtige Überdachung erhalten. Eine Veränderung der Belüftungssituation des Grundstücks werde nicht entstehen.
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Die Beigeladenen haben keinen Antrag gestellt.
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Sie tragen vor, die Terrassenüberdachung bewege sich in einer finanziellen Größenordnung von etwa 20.000 €. Ein Grund für die Überdachung sei, dass auf dem nördlich angrenzenden Grundstück im hinteren Bereich eine Pension betrieben werde. Über die dort vorhandene Wendeltreppe zum ersten Obergeschoss beständen Einsichtsmöglichkeiten auf ihren Terrassenbereich. Auf der Wendeltreppe würden sich zeitweise Personen aufhalten, beispielsweise zum Rauchen. Sofern dies hilfreich sei, könne klargestellt werden, dass sich die Verglasung auf eine Überdachung beschränke und eine seitliche Verglasung der Aluminiumkonstruktion nicht erfolgen solle.
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Das Gericht hat die Akten der Verfahren 2 B 256/10 und 2 B 1227/09 beigezogen. Ferner hat es Beweis erhoben durch Inaugenscheinnahme ausgedruckter Luft- und Satellitenbildern (Blatt 110 bis 113 der Akte). Ferner hat das Gericht einen ausgedruckten Auszug der automatischen Liegenschaftskarte für das Gebiet aus dem Geoportal Mecklenburg-Vorpommern in Augenschein genommen. Die Ausdrucke wurden mit den Beteiligten erörtert.
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Im Übrigen wird zum Sach- und Streitstand auf die Gerichts- und die Behördenakten verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist die Klägerin klagebefugt gemäß § 42 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Es besteht die Möglichkeit, dass die Klägerin durch die angegriffenen Bescheide in ihren Rechten verletzt ist. Da die Regelungen zu den notwendigen Abstandsflächen nachbarschützend sind, kann die Klägerin grundsätzlich geltend machen, durch eine Zulassung einer Abweichung von den erforderlichen Abstandsflächen in eigenen Rechten verletzt zu sein. Gleiches gilt für die Baugenehmigung. Gemäß § 63 Abs. 1 Nr. 2 der Landesbauordnung Mecklenburg-Vorpommern (LBauO M-V) sind auch im vereinfachten Genehmigungsverfahren Abstandsflächen Gegenstand des Verfahrens, wenn die beantragten Abweichungen im Sinne des § 67 Abs. 1 und 2 Satz 2 der LBauO M-V Abstandsflächen betreffen. So liegt der Fall hier.
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Die Klage ist begründet. Die Baugenehmigung und die Abweichungsentscheidung jeweils in Gestalt des Widerspruchsbescheids sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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Die Voraussetzungen für die Zulassung einer Abweichung von den erforderlichen Abstandsflächen gemäß § 67 Abs. 1 i.V.m. § 6 LBauO M-V liegen nicht vor.
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1. Zunächst ist festzustellen, dass das genehmigte Vorhaben von den Anforderungen des Gesetzes im Sinne von § 67 Abs. 1 Satz 1 LBauO M-V abweicht, denn es hält die gemäß § 6 LBauO erforderlichen Abstandsflächen nicht ein. Die Beteiligten haben dies zu Recht nicht in Streit gestellt.
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Gemäß § 6 Abs. 1 Satz 2 LBauO M-V fallen bauliche Anlagen, von denen Wirkungen wie von Gebäuden ausgehen, in den Anwendungsbereich dieser Vorschrift. Beim Vorhaben der Beigeladenen handelt sich um eine Anlage in diesem Sinne. Lediglich kleine Aufschüttungen bis 1 m Höhe, Mauern unter 2 m Höhe oder sonstige Kleinstvorhaben entfalten in der Regel keine gebäudeähnlichen Wirkungen und fallen aus dem weit zu verstehenden Anwendungsbereich von § 6 LBauO M-V heraus. Um ein solches Kleinstvorhaben handelt es sich hier jedoch nicht. Die hier in Rede stehende Terrassenüberdachung ist als von einer Aluminiumkonstruktion getragenes Glasdach abstrakt auch ohne seitliche Verglasung durchaus geeignet, die Belüftung, Besonnung sowie den Wohnfrieden zu beeinträchtigen.
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Die Regelungen zu den Abstandsflächen gemäß § 6 LBauO M-V werden hier auch nicht durch bauplanungsrechtliche Vorschriften verdrängt. Gemäß § 6 Abs. 1 Satz 3 LBauO M-V sind Abstandsflächen nur dann nicht erforderlich vor Außenwänden, die an Grundstücksgrenzen errichtet werden, wenn nach planungsrechtlichen Vorschriften an die Grenze gebaut werden muss oder gebaut werden darf. So kann es gemäß § 34 Abs. 1 BauGB bei geschlossener Bauweise zulässig sein, ein Gebäude ohne Abstandsflächen an der Grenze zu errichten. Diese Voraussetzungen erfüllt das Vorhaben der Beigeladenen jedoch nicht. Die Bebauung des Grundstücks der Beigeladenen entspricht bereits nicht einer geschlossenen Bauweise. Das Hauptgebäude der Beigeladenen ist zur südlichen Grundstücksgrenze – nur diese ist hier relevant – hin in offener Bauweise errichtet und gerade nicht an die Grenze gebaut.
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Die Tiefe der erforderlichen Abstandsfläche beträgt hier gemäß § 6 Abs. 5 Satz 1 LBauO M-V die Mindesttiefe von 3 m. Eine Ausnahme gemäß § 6 Abs. 6 Nr. 2 LBauO M-V für Vorbauten, für welche gemäß Nr. 2 Buchstabe c eine Abstandsfläche von 2 m genügen würde, liegt nicht vor. Einen Abstand von 3 m hält das Vorhaben jedoch nicht ein. Der Abstand zur Grundstücksgrenze der Klägerin beträgt unstreitig jedenfalls nicht mehr als 1,90 m.
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2. Die Voraussetzungen für eine Abweichung liegen nicht vor.
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Die Bauaufsichtsbehörde kann Abweichungen gemäß § 67 Abs. 1 Satz 1 LBauO M-V zulassen, wenn sie unter Berücksichtigung des Zwecks der jeweiligen Anforderung und unter Würdigung der öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belange mit den öffentlichen Belangen vereinbar sind. Bei der Auslegung dieser Vorschrift ist zwar zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber das materielle Bauordnungsrecht vollzugstauglich flexibilisieren wollte und zum Ziel hatte, die Erreichung des jeweiligen Schutzzieles der Norm in den Vordergrund zu rücken (vgl. Landtagsdrucksache 4/1810, Seite 170). Jedenfalls bei Abweichungen von der erforderlichen Mindestabstandsfläche jedoch greift dieser Gedanke nicht, da kein Fall der Flexibilisierung vorliegt, sondern das Ziel der Abstandsflächen - ausreichende Belichtung, Belüftung und Sozialabstand - bei Zulassung einer Abweichung nicht mehr vollständig erreicht werden kann. § 6 LBauO M-V sieht bereits differenzierter Weise in Absatz 6 und 7 Ausnahmen vom Grundsatz der Tiefe 0,4 H vor und setzt im Übrigen den erforderlichen Abstand auf ein Mindestmaß von 3 m fest. Abweichungen nach § 67 LBauO M-V von den erforderlichen Abstandsflächen können daher, insbesondere vom Mindestabstand, nur in besonderen Ausnahmefällen zugelassen werden. Die Zulassung einer Abweichung erfordert Gründe, durch die sich das Vorhaben vom Regelfall unterscheidet und die die etwa bewirkte Einbuße an geschützten Nachbarrechtspositionen vertretbar erscheinen lassen. Für die Zulassung einer Abweichung ist mithin eine atypische Situation zu fordern (VGH München, Urt. v. 22.09.2011, Az.: 2 B 11.762 – zitiert nach Juris). Liegt eine Atypik nicht vor, ist die Erteilung einer Abweichung grundsätzlich ausgeschlossen, weil die zu berücksichtigenden Belange und Interessen regelmäßig bereits durch die bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenvorschriften und insbesondere durch diejenigen über den einzuhaltenden Mindestabstand in einen gerechten Ausgleich gebracht worden sind und die Gleichmäßigkeit des Gesetzesvollzugs kein beliebiges Abweichen von den Vorschriften gestattet (Johlen, in: Gädtke/Czepuck/Johlen/Plietz/Wenzel, BauO NRW, 12. Auflage, 2011 § 73 Rn. 4 e). Eine Abweichung kommt daher grundsätzlich nur in Betracht, wenn der Nachbar nicht schutzbedürftig ist oder die Gründe, die für die Abweichung streiten, objektiv derartig gewichtig sind, dass die Interessen des Nachbarn ausnahmsweise zurücktreten müssen (Johlen a. a. O. Rn. 12). Bei der Zulassung einer Abweichung von nachbarschützenden Vorschriften wie Abstandsflächenvorschriften kann der Nachbar zudem nicht nur eine ausreichende Berücksichtigung seiner Interessen beanspruchen. Er ist auch dann in seinen Rechten verletzt, wenn die Abweichung aus einem anderen Grund, etwa weil sie nicht mit im konkreten Fall zu erwägenden öffentlichen Belangen zu vereinbaren ist (VGH München, Urt. v. 22.09.2011, Az.: 2 B 11.762 – zitiert nach Juris), rechtswidrig ist.
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Gemessen an diesen Maßstäben ist die hier in Rede stehende Abweichung mit öffentlichen und nachbarlichen Belangen nicht zu vereinbaren, da es an objektiv gewichtigen Gründen für eine Abweichung fehlt.
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Die städtebauliche Situation stellt sich wie folgt dar: Die südlich der … beginnende bis zum Flurstück 632 in der …, zwischen … und … im Blockinnenbereich gelegene Bebauung stellt sich als heterogen dar. Dies ist erwiesen aufgrund der in der Verhandlung mit den Beteiligten erörterten Luftbilder und den Auszügen aus der Liegenschaftskarte. Diese zeigen im Blockinnern überwiegend weitgehend überbaute Grundstücke mit teilweise kleinen unbebauten Flächen, Höfen und Gängen, aber auch Grundstücke, die große Freiflächen aufweisen. Es überwiegen im Blockinnern Gebäude, die wie Nebengebäude erscheinen. Es befinden sich dort aber auch einige Gebäude, die nach ihrem Erscheinungsbild als Hauptnutzung erscheinen müssen. Die von der Klägerin vorgetragene abgestufte Bauweise ist dagegen nicht als durchgehendes Prinzip zu erkennen. Auch wenn diese Struktur nach dem Auszug aus der Liegenschaftskarte bei den Flurstücken 653, 647/4, 645, 644, 633 teilweise zu erkennen ist, zeigen die Ausdrucke eine zunehmende Verdichtung, bei der eine Abstufung mit sich daraus ergebenden Abständen jedenfalls als prägendes Prinzip nicht mehr zu erkennen ist. Nicht zutreffend ist anhand dieser Feststellungen auch der Vortrag des Beklagten, die nähere Umgebung sei durch eine Tüschenbauweise geprägt. Dies trifft lediglich auf die Gebäude unmittelbar an der Straße zu, nicht jedoch auf die Blockinnenbebauung und Nebenanlagen. Die Bebauung im Blockinnern bezeichnet der Beklagte zu Recht an anderer Stelle als heterogen.
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Diese Sachlage lässt bezogen auf die hier in Rede stehende rückwärtige Grundstückssituation keine gewichtigen Belange städtebaulicher Art erkennen, die eine Abweichung von der Mindestabstandsfläche rechtfertigen könnten. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Tüschenbauweise zum historisch schützenswerten und geschützten Erscheinungsbild gehört und, wie vom Beklagten behauptet, durch die Erhaltungssatzung sowie die Festlegung als Denkmalbereich rechtlich wirksam geschützt ist (zur Nichtigkeit von Denkmalbereichsverordnung und Erhaltungssatzung für das Gebiet … vgl. VG Schwerin, Urt. v. 03.12.2009 - 2 A 174/08 -). Die Einhaltung der gesetzmäßigen Abstandsflächen im Blockinnern berührt bei dieser diffusen Prägung das Erscheinungsbild des Stadtbildes, insbesondere die Tüschenbauweise, nicht. Dass die Blockinnenbebauung mit ihrer heterogenen und diffusen Prägung zum historisch geschützten Erscheinungsbild gehört, an dessen Verdichtung ein städtebauliches Interesse bestehen könnte, ist weder ersichtlich noch vom Beklagten substantiiert vorgetragen. Vielmehr kann eine Blockinnen– und Hinterhofbebauung, die zunehmend Abstandsflächen unterschreitet wegen der damit verbundenen Steigerung bodenrechtlicher Spannungen kaum wünschenswert sein.
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Ein atypischer Fall ist auch nicht aufgrund der Eigenschaften des Grundstücks der Beigeladenen anzunehmen. Eine grundstücksbezogene Atypik kann vorliegen, wenn anders als durch Zulassung einer Abweichung eine sinnvolle und angemessene Nutzung des Grundstücks nicht möglich ist, insbesondere weil die Abweichung in dem Bereich für die Instandsetzung, Aufwertung oder Erneuerung einer überalterten Bausubstanz in einem dicht bebauten innerstädtischen Bereich erforderlich ist (vgl. OVG Greifswald, Beschl. v. 14.07.2005, Az.: 3 M 69/05, NordÖR 2005, 424; vgl. VGH München, Urt. v. 22.09.2011, Az.: 2 B 11.762 – zitiert nach Juris).
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Eine solche Sachlage ist hier nicht ersichtlich. Das Grundstück der Beigeladenen ist regelmäßig geschnitten und bereits mit einem Hauptgebäude bebaut. Auch die Terrasse kann genutzt werden. Die Überdachung mit einer aufwendigen Konstruktion mag zwar wünschenswert sein, sie ist jedoch nicht zwingender Bestandteil einer angemessenen Nutzung und dient auch nicht lediglich der Anpassung einer überalterten Bausubstanz an unentbehrliche oder nach dem Gesetz zwingende Nutzungsanforderungen. Dem steht der Vortrag der Beigeladenen, die Überdachung sei zu Abwehr unzumutbarer Einsichtsmöglichkeiten vom Nachbargrundstück an der Nordgrenze erforderlich, nicht entgegen. Zunächst kann eine frei von Einsichtsmöglichkeiten bestehende Terrasse in einem durch dichte Bebauung vorgeprägten Blockinnenbereich nicht als Standard vorausgesetzt werden. Ferner ist es nicht Zweck der Abweichungsvorschriften, einen städtebaulichen Missstand durch einen weiteren zu kompensieren und die sich daraus ergebenden Folgen an die Allgemeinheit und die Nachbarschaft weiterzureichen. Vielmehr sind die Beigeladenen gehalten, gegebenenfalls zivilrechtliche Abwehransprüche geltend zu machen oder die Ordnungsbehörden einzuschalten, wenn unzumutbare Störungen infolge der Einsichtsmöglichkeiten von dem Pensionsbetrieb vorliegen sollten. Doch auch aus tatsächlichen Gründen verfängt die Argumentation der Beigeladenen nicht. Wie auf dem Lichtbild der Anlage B 1, Blatt 105 der Akten, zu erkennen und von keinem Beteiligten in Abrede gestellt worden ist, verfügt das Haus der Beigeladenen über eine Markise. Die Beigeladenen sind aus diesem Grund Einsichtsmöglichkeiten nicht schutzlos ausgesetzt. Ferner bestände die Möglichkeit, eine kleinere Terrassenüberdachung unter Einhaltung der Abstandsflächen zu errichten, welche vor Einsichtsnahmemöglichkeiten vom Norden her schützen würde.
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3. Die Klägerin ist durch die fehlerhafte Genehmigung und Zulassung der Abweichung auch in ihren Rechten verletzt.
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Grundsätzlich kann sich ein Nachbar gegen jede Unterschreitung der (Mindest)Abstandsfläche zur Wehr setzen. Dieses Recht unterliegt mit Rücksicht auf den das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis beherrschenden Grundsatz von Treu und Glauben jedoch Grenzen. Der baurechtliche Nachbarschutz beruht auf den Gedanken der gegenseitigen Rücksichtnahme; seine Grundlage ist das nachbarrechtliche Gemeinschaftsverhältnis, in dessen Rahmen jeder Eigentümer zu Gunsten seines Nachbarn bestimmten Beschränkungen unterworfen ist und im Austausch dafür verlangen kann, dass der Nachbar diese Beschränkungen gleichfalls beachtet. Aus diesem System nachbarlicher Ausgleichs- und Rücksichtnahmepflichten folgt, dass derjenige, der selbst mit seinem Gebäude den erforderlichen Grenzabstand nicht einhält, billiger Weise nicht verlangen kann, dass der Nachbar die Abstandsfläche freihält. Damit kann ein Nachbar aus dem Gesichtspunkt unzulässiger Rechtsausübung gehindert sein, die Verletzung des Grenzabstandes zu rügen. Der Vorwurf treuwidrigen Verhaltens entfällt nicht dadurch, dass das Gebäude des sich wehrenden Nachbarn in Einklang mit den damals geltenden Bauvorschriften errichtet worden ist; maßgeblich ist allein, dass er mit seinem Gebäude den (jetzt) erforderlichen Grenzabstand nicht einhält. Denn die Versagung des Abwehranspruchs beruht darauf, dass es unbillig wäre, einen Nachbarn den von den grenznahen baulichen Anlagen des anderen Nachbarn ausgehenden Nachteilen auszusetzen, ihm selbst aber eine Ausnutzung seines Grundstücks im Grenzbereich zu verwehren. Das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis erlaubt in diesen Fällen eine Abwehrmaßnahme nur dann, wenn die Verletzung nachbarschützender Abstandsregelungen durch das angegriffene Vorhaben nicht vergleichbar ist, sondern schwerer wiegt als die Inanspruchnahme des Bauwiches durch den sich wehrenden Nachbarn. Bei vergleichbaren Verstößen vermag dagegen der letztlich aus Treu und Glauben und dem Verbot eigenen widersprüchlichen Verhaltens ergebende Grundsatz nur dann eine Einschränkung zu finden, wenn anderenfalls in gefahrenrechtlicher Hinsicht völlig untragbare Zustände entstünden. Für die Vergleichbarkeit der die Nachbarn in diesem Sinne wechselseitig beeinträchtigenden Rechtsverstöße ist jeweils neben dem konkreten Grenzabstand auch die Qualität der mit der Verletzung der Abstandflächenvorschriften einhergehenden Beeinträchtigung von wesentlicher Bedeutung (OVG Greifswald, Beschl. v. 14.07.2005, Az.: 3 M 69/05, NordÖR, 2005, 424 – zitiert nach Juris).
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Hieran gemessen verhält sich die Klägerin nicht treuwidrig, wenn sie sich auf die Verletzung der Abstandsflächen beruft. Die Grenzmauer der Klägerin verletzt mit einer Höhe von ca. 1,90 m keine Abstandsflächen. Diese ist nach § 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 3 LBauO M-V als bis zu 2 m hohe geschlossene Einfriedung ohne eigene Abstandsfläche zulässig.
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Die Pflicht des Beklagten, die Kosten zu tragen folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Gemäß § 162 Abs. 2 Satz 2 war auf Antrag der Klägerin hin die Zuziehung ihrer Prozessbevollmächtigten für das Vorhaben für notwendig zu erklären. Ob die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren notwendig war, ist vom Standpunkt einer verständigen Partei aus zu beurteilen. Maßgebend ist, ob sich ein vernünftiger Bürger mit gleichem Bildungs- und Erfahrungsstand bei der gegebenen Sach- und Rechtslage eines Rechtsanwalts bedient hätte. Notwendig ist die Zuziehung eines Bevollmächtigten nur dann - aber dann grundsätzlich auch immer -, wenn es dem Beteiligten nach seiner Vorbildung, Erfahrung und seinen sonstigen persönlichen Umständen nicht zuzumuten war, das Verfahren selbst zu führen. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn es nicht nur um Sachfragen, sondern um die Beantwortung von nicht einfach gelagerten Rechtsfragen geht. Vor dem Hintergrund der aufgeworfenen abstandsflächenrechtlichen Sach- und Rechtsfragen war es der Klägerin nicht zuzumuten, das Verfahren selbst zu führen.
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Hinsichtlich der Beigeladenen folgt die Kostenentscheidung aus § 154 Abs. 3, § 162 Abs. 3 VwGO. Insbesondere haben die Beigeladenen keinen Sachantrag gestellt und sich so keinem Kostenrisiko ausgesetzt.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO, § 709 ZPO.
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(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts (Anfechtungsklage) sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts (Verpflichtungsklage) begehrt werden.
(2) Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein.
(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
(1) Innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile ist ein Vorhaben zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. Die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse müssen gewahrt bleiben; das Ortsbild darf nicht beeinträchtigt werden.
(2) Entspricht die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete, die in der auf Grund des § 9a erlassenen Verordnung bezeichnet sind, beurteilt sich die Zulässigkeit des Vorhabens nach seiner Art allein danach, ob es nach der Verordnung in dem Baugebiet allgemein zulässig wäre; auf die nach der Verordnung ausnahmsweise zulässigen Vorhaben ist § 31 Absatz 1, im Übrigen ist § 31 Absatz 2 entsprechend anzuwenden.
(3) Von Vorhaben nach Absatz 1 oder 2 dürfen keine schädlichen Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche in der Gemeinde oder in anderen Gemeinden zu erwarten sein.
(3a) Vom Erfordernis des Einfügens in die Eigenart der näheren Umgebung nach Absatz 1 Satz 1 kann im Einzelfall abgewichen werden, wenn die Abweichung
- 1.
einem der nachfolgend genannten Vorhaben dient: - a)
der Erweiterung, Änderung, Nutzungsänderung oder Erneuerung eines zulässigerweise errichteten Gewerbe- oder Handwerksbetriebs, - b)
der Erweiterung, Änderung oder Erneuerung eines zulässigerweise errichteten, Wohnzwecken dienenden Gebäudes oder - c)
der Nutzungsänderung einer zulässigerweise errichteten baulichen Anlage zu Wohnzwecken, einschließlich einer erforderlichen Änderung oder Erneuerung,
- 2.
städtebaulich vertretbar ist und - 3.
auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist.
(4) Die Gemeinde kann durch Satzung
- 1.
die Grenzen für im Zusammenhang bebaute Ortsteile festlegen, - 2.
bebaute Bereiche im Außenbereich als im Zusammenhang bebaute Ortsteile festlegen, wenn die Flächen im Flächennutzungsplan als Baufläche dargestellt sind, - 3.
einzelne Außenbereichsflächen in die im Zusammenhang bebauten Ortsteile einbeziehen, wenn die einbezogenen Flächen durch die bauliche Nutzung des angrenzenden Bereichs entsprechend geprägt sind.
(5) Voraussetzung für die Aufstellung von Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 und 3 ist, dass
- 1.
sie mit einer geordneten städtebaulichen Entwicklung vereinbar sind, - 2.
die Zulässigkeit von Vorhaben, die einer Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung nach Anlage 1 zum Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung oder nach Landesrecht unterliegen, nicht begründet wird und - 3.
keine Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung der in § 1 Absatz 6 Nummer 7 Buchstabe b genannten Schutzgüter oder dafür bestehen, dass bei der Planung Pflichten zur Vermeidung oder Begrenzung der Auswirkungen von schweren Unfällen nach § 50 Satz 1 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes zu beachten sind.
(6) Bei der Aufstellung der Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 und 3 sind die Vorschriften über die Öffentlichkeits- und Behördenbeteiligung nach § 13 Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und 3 sowie Satz 2 entsprechend anzuwenden. Auf die Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 1 bis 3 ist § 10 Absatz 3 entsprechend anzuwenden.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) Kosten sind die Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten einschließlich der Kosten des Vorverfahrens.
(2) Die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts oder eines Rechtsbeistands, in den in § 67 Absatz 2 Satz 2 Nummer 3 und 3a genannten Angelegenheiten auch einer der dort genannten Personen, sind stets erstattungsfähig. Soweit ein Vorverfahren geschwebt hat, sind Gebühren und Auslagen erstattungsfähig, wenn das Gericht die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig erklärt. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können an Stelle ihrer tatsächlichen notwendigen Aufwendungen für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen den in Nummer 7002 der Anlage 1 zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz bestimmten Höchstsatz der Pauschale fordern.
(3) Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nur erstattungsfähig, wenn sie das Gericht aus Billigkeit der unterliegenden Partei oder der Staatskasse auferlegt.
(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.
(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.
Andere Urteile sind gegen eine der Höhe nach zu bestimmende Sicherheit für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Soweit wegen einer Geldforderung zu vollstrecken ist, genügt es, wenn die Höhe der Sicherheitsleistung in einem bestimmten Verhältnis zur Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages angegeben wird. Handelt es sich um ein Urteil, das ein Versäumnisurteil aufrechterhält, so ist auszusprechen, dass die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil nur gegen Leistung der Sicherheit fortgesetzt werden darf.