Verwaltungsgericht Magdeburg Beschluss, 13. Apr. 2016 - 9 A 105/14 MD
Gericht
Tenor
Das Verfahren wird bis zu einer Entscheidung des Landesverfassungsgerichts Sachsen-Anhalt in der Verfassungsstreitsache LVG 1/16 ausgesetzt.
Gründe
I.
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Das Verfahren war im Lichte der Verfassungsstreitsache LVG 1/16 (Normenkontrollverfahren der Fraktion DIE LINKE im Landtag von Sachsen-Anhalt nach Artikel 75 Ziffer 3 Verf LSA, §§ 39 ff. LVerfGG gegen § 18 Abs. 2 KAG LSA in der Fassung des Gesetzes zur Änderung kommunalabgabenrechtlicher Vorschriften vom 17.12.2014 [GVBl. LSA, S. 522] – KAGÄndG –) in entsprechender Anwendung von § 94 VwGO auszusetzen. Es besteht zwar im vorliegenden Fall keine gesetzlich normierte Pflicht zur Aussetzung des Verfahrens (vgl. Art. 100 GG), zumal es sich bei der Feststellung der Gültigkeit einer Rechtsnorm nicht um ein vorgreifliches Rechtsverhältnis im Sinne von § 94 VwGO handelt. Insbesondere zur Vermeidung von widersprüchlichen Entscheidungen wird § 94 VwGO jedoch analog angewandt, wobei die Aussetzung des Verfahrens im Ermessen des Gerichts steht (vgl. BVerwG, B. v. 03.11.2006 - 6 B 21/06 -, juris; so auch Garloff in: Posser/ Wolff, VwGO, Kommentar, 2. Aufl., § 94 Rn. 3). Das Gericht macht von der ihm so eingeräumten Aussetzungsmöglichkeit zur Gewährung einer prozessualen Chancengleichheit auch im Lichte der Rechtsprechung des OVG LSA, B. v. 17.02.2016 - 4 L 119/15 -, juris , Gebrauch, weil die Verfassungskonformität der im Normenkontrollverfahren angegriffenen Regelung des § 18 Abs. 2 KAG LSA nicht ausgeschlossen werden kann und im Falle der Feststellung der Nichtigkeit der Vorschrift nicht mehr anfechtbare Entscheidungen der Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit, die auf der für nichtig erklärten Norm beruhen, unberührt bleiben (vgl. § 183 VwGO).
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Das Gericht vermag es insoweit nicht gänzlich auszuschließen, dass durch das Inkrafttreten des § 18 Abs. 2 KAG LSA sowohl der rechtsstaatliche Grundsatz des Vertrauensschutzes als auch der Grundsatz der Rechtssicherheit aus Art. 2 Abs. 1 Verf LSA verletzt ist. Diese Grundsätze finden ihre Ausprägung sowohl im Rückwirkungsverbot als auch im Gebot der Belastungsklarheit und –vorhersehbarkeit (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 05.03.2013 -1 BvR 2457/08 - und vom 12.11.2015 - 1 BvR 2961/14-; beide juris).
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Die Anwendung von § 18 Abs. 2 KAG LSA ist vorliegend auch entscheidungserheblich und insbesondere wegen des Sinn und Zwecks der Regelung (siehe unten) keiner anderweitigen verfassungsrechtlichen Auslegung zugänglich.
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1. Mit der Einführung von §§ 13 b, 18 Abs. 2 KAG LSA verfolgte der Gesetzgeber in Sachsen-Anhalt in Entsprechung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 05.03.2013 (a. a. O.) das Ziel, einen verfassungskonformen Zustand zur rechtssicheren Erhebung von Abgaben herbeizuführen, wobei von der Regelung alle noch offen Veranlagungsfälle und nicht nur die nach Inkrafttreten des KAGÄndG entstehenden Vorteilslagen erfasst werden sollten (so auch OVG LSA, B. v.17.02.2016 – 4 L 119/15 –, bislang unv.). § 13 b Satz 1 KAG LSA regelt insoweit, dass eine Abgabenfestsetzung unabhängig vom Entstehen der Abgabenpflicht zum Vorteilsausgleich mit Ablauf des zehnten Kalenderjahres, welches auf den Eintritt der Vorteilslage folgt, ausgeschlossen ist. Die nach Maßgabe dieser Vorschrift zu bestimmende Ausschlussfrist endet jedoch nicht vor dem Ablauf des Jahres 2015 (§ 18 Abs. 2 KAG LSA). Durch letztere Vorschrift sollte den Aufgabenträgern die Möglichkeit eröffnet werden, a l l e noch offenen Beitragsfälle einer Festsetzung zuzuführen (LT-Drs. 6/3419, S. 23). Ziel des § 18 Abs. 2 KAG LSA war es mithin nicht, den Aufgabenträgern nur die Möglichkeit einzuräumen, noch die Beitragsverhältnisse zu realisieren, die mit Ablauf des Jahres 2014 die 10-Jahres-Grenze erreicht hätten. Denn dann wäre eine Regelung erforderlich gewesen, die dies ausdrücklich in diesem Sinne regelt (z. B. …Für die Vorteilslagen, für die wegen § 13 b KAG LSA Beiträge bis zum 31.12.2014 festgesetzt werden müssen, können noch bis 31.12.2015 Beiträge erhoben werden...). Der Gesetzgeber hat durch § 18 Abs. 2 KAG LSA mithin die in § 13 b Satz 1 KAG LSA enthaltene Regelung um eine Ablaufhemmung mit der Folge modifiziert, dass sämtliche offenen Beiträge bis 31.12.2015 noch festgesetzt werden konnten. Anders gewendet: Bei § 18 Abs. 2 KAG LSA handelt es sich nicht um eine Übergangsfrist im formellen Sinne; vielmehr bewirkt sie eine materielle Höchstfristbestimmung für die Vorteilslagen, die von § 13 b Satz 1 KAG LSA, weil vor dem 01.01.2005 entstanden, nicht mehr erfasst werden. Deshalb kann es dahinstehen, ob der Gesetzgeber wegen der bisherigen Rechtlage und des Inkrafttretens des KAGÄndG am 24.12.2014 befugt bzw. (sogar) gehalten war, eine Übergangsfrist im formellen Sinne für die Festsetzung solcher Beitragsfälle zu bestimmen, bei denen die 10 Jahres-Frist aus § 13 b Satz 1 KAG LSA zum Ende des Jahres 2014 ablief, was wohl zu bejahen sein dürfte.
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2. Das Rechtsstaatsprinzip in seiner Ausprägung als der Rechtssicherheit dienendes Gebot der Belastungsklarheit und –vorhersehbarkeit verlangt nach Regelungen, die sicherstellen, dass Abgaben zum Vorteilsausgleich nicht zeitlich unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festgesetzt werden können. Dem Gesetzgeber obliegt es, einen Ausgleich zu schaffen zwischen dem Interesse der Allgemeinheit an der Erhebung von Beiträgen für solche Vorteile einerseits und dem Interesse des (potentiellen) Beitragsschuldners andererseits Klarheit zu erlangen, ob und in welchem Umfang er zu einem Beitrag herangezogen werden kann (vgl. BVerfG, B. v. 05.03.2013, a. a. O.). Trifft der Gesetzgeber solche Regelungen auch mit Wirkung für solche Vorteilslagen, die bereits in der Vergangenheit entstanden sind, unterliegt er insoweit den aus dem verfassungsrechtlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes resultierenden Beschränkungen, wobei für die Beurteilung des rechtsstaatlichen Vertrauensschutzes auf den jeweiligen Lebenssachverhalt abzustellen ist (vgl. BVerfG, B. v 12.11.2015, a. a. O.). Anders gewendet: Regelungen zur Belastungsklarheit und –vorhersehbarkeit sind in diesen Fällen auch an den Anforderungen des verfassungsrechtlichen Gebotes des Vertrauensschutzes zu messen.
a)
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Insoweit unterlag der Gesetzgeber zwar nicht den sich aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes ergebenden Beschränkungen für eine echte Rückwirkung (i. S. e. tatbestandlichen Rückbewirkung von Rechtsfolgen). Denn diese betrifft nur Sachverhalte, die bereits in der Vergangenheit endgültig abgeschlossenen waren, wobei es sich bei der Beurteilung, wann ein Sachverhalt in der Vergangenheit bereits (endgültig) abgeschlossen war, um eine ausschließlich von den Gerichten zu beurteilende Rechtsfrage handelt. In beitragsrechtlicher Hinsicht hat das BVerfG mit Beschluss vom 12.11.2015 (a. a. O.) klargestellt, dass dies nicht nur dann der Fall ist, wenn zuvor wirksam ein Beitragsschuldverhältnis begründet worden war. Vielmehr kann es genügen, dass Beiträge nach der bisherigen Rechtslage nicht mehr hätten erhoben werden können, was jedoch durch die konstitutive Gesetzesänderung in dem zu entscheidenden Fall gerade (wieder) ermöglicht werden sollte. § 18 Abs. 2 KAG LSA würde jedoch nur dann in einen bereits abgeschlossenen Sachverhalt eingreifen, wenn in der Vergangenheit eine (Höchst-)Frist gegolten hätte, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des KAGÄndG bereits abgelaufen war; dies ist nicht der Fall.
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Eine echte Rückwirkung ergibt sich auch nicht daraus, dass nach der bisherigen Rechtslage wegen einer nicht vorhandenen Begrenzungsregelung in zeitlicher Hinsicht gar keine Anschlussbeiträge hätten erhoben werden können. Denn das grundsätzliche Verbot rückwirkender belastender Gesetze beruht auf dem Prinzip des Vertrauensschutzes; dieses greift jedoch deshalb nicht, weil niemand in den uneingeschränkten Fortbestand einer ungültigen Rechtslage – im Sinne ihrer Unabänderbarkeit – ein schützenswertes Vertrauen haben kann (vgl. BVerwG, B. v. 22.01.1986 - 8 B 123.84 -; BVerfG, B. v. 03.09.2009 - 1 BvR 2384/08 -; beide juris). Dies wird insbesondere daran deutlich, dass auch das Bundesverfassungsgericht in Ansehung der Verfassungswidrigkeit der Rechtslage (in Bayern) lediglich eine Unvereinbarkeitsfeststellung getroffen und Möglichkeiten für den Gesetzgeber zur Schaffung einer verfassungskonformen Rechtslage aufgezeigt hat. Eine echte Rückwirkung hätte aber Gestaltungsmöglichkeiten des Gesetzgebers von vornherein ausgeschlossen.
b)
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Das Gericht vermag es jedoch nicht mit einer der Aussetzung entgegenstehenden Wahrscheinlichkeit auszuschließen, dass der Gesetzgeber mit § 18 Abs. 2 KAG LSA nicht hinreichend die oben dargelegten verfassungsrechtlichen Anforderungen an die (Höchstfristen-)Regelung beachtet hat, die auch Sachverhalte erfasst, die bereits in der Vergangenheit begonnen haben. Zur Beachtung dürfte er jedoch deshalb verpflichtet gewesen sein, weil der Regelung des § 18 Abs. 2 KAG LSA unechte Rückwirkung (i. S. e. tatbestandlichen Rückanknüpfung) zukommen dürfte (a. A. OVG LSA, B. v. 17.02.2016 – 4 L 119/15 –). Denn eine solche liegt immer dann vor, wenn eine Norm auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt (1), damit zugleich die betroffene Rechtsposition nachträglich entwertet wird (2) und die Rechtsposition auch schutzwürdig war (3).
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(1) Mit § 18 Abs. 2 KAG LSA wird auf einen noch nicht abgeschlossenen Sachverhalt (Eintritt einer beitragspflichtigen Vorteilslage und noch nicht abgeschlossene Beitragserhebung) für die Zukunft eingewirkt.
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(2) Der Abgabenschuldner hatte zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des KAGÄndG eine solche Rechtsposition inne, die infolge der Regelung des § 18 Abs. 2 KAG LSA entwertet werden kann.
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Die vom Gesetzgeber (nunmehr) zu schützende Rechtsposition dürfte nach derzeitiger rechtlicher Bewertung durch das Gericht an die vermittelte (tatsächlichen) Vorteilslage dergestalt anknüpfen, weil er dadurch zum potentiellen Abgabenschuldner wird und das geltende Recht Regelungen im Sinne der Belastungsklarheit und –vorhersehbarkeit enthalten muss. Denn mit der (beitragsrechtlichen) Vorteilslage sind zwischen dem Grundstückseigentümer und Aufgabenträger Rechtsbeziehungen entstanden, aus denen sich u. a. die aus dem Gebot der der Belastungsklarheit und –vorhersehbarkeit notwendigen Erfordernisse (zeitliche Begrenzung) ergeben. Dass auch der Fall des regelungslosen Zustandes eine schützenswerte Rechtsposition vermittelt, wird anschaulich, stelle man sich anstelle der verfassungswidrigen Rechtslage eine solche vor, die von Regelungen geprägt war, die nunmehr mit Wirkung für die Zukunft geändert werden (z. B. Frist von 10 Jahren, 5 Jahre abgelaufen, Verlängerung auf 15 Jahre). War die Rechtslage davon geprägt, dass es an solchen Regelungen mangelte, kann dies in Bezug auf die Rechtsposition im Falle eines regelungslosen Zustandes aus der Sicht des Gerichts nicht anders zu beurteilen sein. Dies angenommen, ist bei der Schaffung von Regelungen zur Herstellung eines verfassungskonformen Zustandes von einer durch die tatsächlichen Verhältnisse und daraus resultierender Abgabenansprüche geprägten Rechtsposition der von der Neuregelung Betroffenen auszugehen. Anders gewendet: Das Fehlen einer Regelung zur Höchstfrist für die Beitragserhebung führt nicht dazu, dass es an einer bei der Schaffung erstmaliger Regelungen zu berücksichtigenden Rechtsposition mangelt, da diese zwingend erforderlich sind.
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Vor diesem Hintergrund erschließt sich zudem, dass mit der erstmaligen Regelung einer Höchstfrist für die Festsetzung von Beiträgen auch belastende Wirkungen im Sinne der Entwertung der bisherigen Rechtsposition einhergehen können. Dies schon deshalb, weil ohne (jegliche) Begrenzungsregelung eine gesetzliche Grundlage für die Erhebung von Anschlussbeiträgen fehlte. Dies aber auch, wenn der Gesetzgeber den o. a. Maßstab für die (hier: erstmalige) Schaffung solcher Regelungen missachtet, die zur Verwirklichung des Gebotes der Belastungsklarheit und –vorhersehbarkeit unabdinglich sind. Für die Beurteilung, ob mit einer gesetzlichen Regelung bestehende Rechtspositionen entwertet werden, ist dagegen nicht beachtlich, dass nach der alten Rechtslage die Beitragserhebung zeitlich unbegrenzt – nunmehr aber nur noch zeitlich begrenzt – möglich war, da dieser Zustand verfassungswidrig war, mithin nicht als Maßstab für die Frage, ob mit der Neuregelung eine Entwertung der bisherigen Rechtsposition einhergeht, herhalten kann. Deshalb spricht auch der Umstand, dass mit der erstmaligen Einführung einer Höchstfrist zwar formell den verfassungsrechtlichen Anforderungen Genüge getan wird, weil sie dem Bürger Rechtsklarheit verschafft, nicht per se dafür, dieser Regelung von vorherein eine belastende Wirkung abzusprechen.
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(3) Die Rechtsposition der potentiellen Abgabenschuldner dürfte auch schutzwürdig sein. Dem steht aus der Sicht des Gerichts jedenfalls nicht entgegen, dass jeder potentielle Abgabenschuldner nach der zuvor bestehenden Rechtslage habe damit rechnen müssen, zeitlich unbegrenzt zu einem Beitrag herangezogen zu werden (so aber OVG LSA, B. v. 17.02.2016, a. a. O.). Denn diese Rechtslage war - wie zuvor dargelegt - verfassungswidrig. Eine durch eine nicht vorhandene, jedoch zwingend notwendige zeitliche Begrenzungsregelung verfassungswidrige Rechtslage führt jedoch nicht dazu, dem Grundstückseigentümer ein schutzwürdiges Vertrauen in Bezug auf die erstmalige Herstellung eines verfassungskonformen Zustandes abzusprechen.
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3. Vorliegend besteht ein nicht durch sachliche Gründe zu rechtfertigender Wertungswiderspruch zwischen der in § 13 b Satz 1 KAG LSA geregelten "Regel"Höchstfrist von 10 Jahren und der sich im Einzelfall aus § 18 Abs. 2 KAG LSA ergebenden Höchstfrist, die vom 15.06.1991 bis zum 31.12.2015 reichen kann. Insoweit steht nicht in Frage, ob sich der Gesetzgeber generell für eine Höchstfrist von z. B. 30 Jahren hätte entscheiden können, da er dies ersichtlich nicht durchgängig getan hat. Vielmehr ist das Handeln des Gesetzgebers allein danach zu beurteilen, ob er für die Ausgestaltung der Höchstfrist folgerichtige Regelungen getroffen hat, die zu einer, nur beim Vorliegen sachlich gerechtfertigter Gründe ungleichen Belastung infolge der Abgabenerhebung führt. Diese differenzierende Betrachtung ist deshalb geboten, weil eine nur ergebnisbezogene ausscheidet, da es a l l e i n Aufgabe des Gesetzgeber ist, einen Ausgleich zwischen den widerstreitenden Interessen der Abgabepflichtigen und Aufgabenträger zu schaffen (vgl. BVerwG, U. v. 15.04.2015 - 9 C 19/14 -, juris), so dass die in der vorstehenden Entscheidung vom Bundesverwaltungsgericht akzeptierte Frist von 18 Jahren allenfalls ein Anhaltspunkt bei der hier nicht beachtlichen rechtlichen Beurteilung über die Höchstdauer der Frist sein kann.
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Das durch den Gesetzgeber zwingend zu berücksichtigende Vertrauen der Grundstückseigentümer ist umso schützenswerter, je näher die rückwirkende Regelung vom Ergebnis einer echten Rückwirkung gleichkommt (vgl. BVerfG, B. v. 12.11.2015, a. a. O., Rn.63). Geht das Bundesverfassungsgericht davon aus (vgl. B. v. 05.03.2013, a. a. O.), dass sich ein Vorteil "verflüchtigen" kann, dann kann auch das Vertrauen des Einzelnen, von der Abgabenerhebung verschont zu bleiben, mit zunehmender Dauer einer unterbliebenen Beitragserhebung nicht völlig unbedeutend sein bzw. in einer Weise erstarken, dass dieser Sachverhalt einem solchen nahekommt, bei dem ein Abgabenschuldner nicht mehr mit seiner Heranziehung zu rechnen brauchte (= echte Rückwirkung). Deshalb ist zumindest eine Abweichung von § 13 b Satz 1 KAG LSA in der von § 18 Abs. 2 KAG LSA angeordneten Weise beachtlich rechtfertigungsbedürftig.
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Die Entscheidung des Gesetzgebers dürfte ungeachtet der dafür angeführten Gründe (LT-Drs. 6/3419, S. 23) im Ergebnis der von Verfassungs wegen erforderlichen nachvollziehbaren Abwägung zwischen den Interessen der Beteiligten nicht Stand halten. Vielmehr könnten gewichtige Anhaltspunkte dafür sprechen, dass sie auch im Ergebnis den Interessen an der (vollständigen) Abgabenerhebung ein so alleinbestimmendes Gewicht beimisst, ohne dass erkennbar wäre, dass die Interessen der Grundstückseigentümer (auch nur ansatzweise) berücksichtigt worden sind. So lässt der Gesetzgeber trotz seiner in § 13 b Satz 1 KAG LSA getroffenen Grundentscheidung keinerlei Gesichtspunkte für eine zeitliche Begrenzung in die Vergangenheit erkennen.
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Wie bereits oben dargelegt, kann für die Abschöpfung von Vorteilsagen, die bereits vor mehr als 10 Jahren begründet wurden, nicht erfolgreich darauf verwiesen werden, die Grundstückseigentümer mussten aufgrund der bisherigen Rechtsprechung jedenfalls auch noch zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des KAGÄndG 2014 mit ihrer Heranziehung zu Anschlussbeiträgen rechnen. Dies ist zwar in tatsächlicher Hinsicht richtig. Aus rechtlicher Sicht kann dem Grundstückseigentümer die bis dahin bestehende verfassungswidrige (Rechts-)Lage jedoch nicht dergestalt zum Nachteil gereichen, dass nunmehr jedwede Berücksichtigung seiner Interessen entbehrlich ist. Insoweit kann zugunsten der Grundstückseigentümer von einer rechtlich schützenswerten Rechtsposition in der Weise ausgegangen werden, der Gesetzgeber bzw. die Gerichte werden die Abgabenerhebung in zeitlicher Hinsicht nach Entstehen der Vorteilslage begrenzen. Mag auch der Umstand der gefestigten Rechtsprechung zum Entstehen der sachlichen Beitragspflicht (vgl. Haack in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Stand März 2016, § 8 Rn. 2201 ff.) und der daraus abzuleitenden (relativ) unbegrenzten Beitragserhebung in zeitlicher Hinsicht den Grad der Schutzwürdigkeit eines Grundstückseigentümers mindern, so hält das Gericht jedoch eine um 150% längere Frist als die in § 13 b Satz 1 KAG LSA geregelte "Regel"frist für nicht hinreichend gerechtfertigt.
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Auch der Umstand des Fortwirkens der seinerzeit vermittelten Vorteilslage genügt für sich genommen nicht, von der durch § 13 b Satz 1 KAG LSA getroffenen Wertung in der durch § 18 Abs. 2 KAG LSA bewirkten Weise abzuweichen (dazu schon BVerfG, B. v. 05.03.2013, a. a. O.). Denn einerseits versetzt das Fortwirken des Vorteils den Gesetzgeber überhaupt erst in die Lage, nicht einen bereits in der Vergangenheit (endgültig) abgeschlossenen Sachverhalt vorzufinden, und so von den in den Fällen der unechten Rückwirkung zulässigen rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten Gebrauch machen zu können. Andererseits betrifft das Fortwirken des Vorteils alle in der Vergangenheit begründeten Vorteilslagen, mithin auch die nach § 13 b Satz KAG LSA beachtlichen. Wenn es jedoch ein Gebot der Rechtssicherheit ist, eine zeitliche Grenze dafür festzulegen, bis zu der der Abgabenschuldner noch mit seiner Belastung rechnen muss, dann muss der zeitliche Aspekt in der gesetzlichen Regelung jedenfalls dann seinen Niederschlag finden, wenn der Gesetzgeber grundsätzlich davon ausgeht, nur innerhalb von 10 Jahren muss ein Grundstückseigentümer mit seiner Heranziehung zu einem Beitrag rechnen; dem wird jedenfalls eine vollständige Nivellierung der zeitlichen Komponente nicht gerecht. Eine hinreichende Abwägung folgt auch nicht aus dem Umstand, dass sich bei Zugrundelegung der äußersten Grenzen (15.06.1991 [Zeitpunkt des Inkrafttretens des KAG LSA] und 31.12.2015 [Ende der Frist nach § 18 Abs. 2 KAG LSA]) eine Frist von 25 Jahren ergibt. Die materielle Bestimmung der Frist war deshalb nicht Gegenstand einer Abwägung durch den Gesetzgeber, weil – wie sich aus den obigen Darlegungen ergibt – ihm allein daran gelegen war, alle noch offenen Beitragsfälle zu erfassen. Dies wird auch daran deutlich, dass er in zeitlicher Hinsicht die äußerste Grenze des rechtlich Möglichen (Zeitpunkt des Inkrafttretens des KAG LSA) nachgezeichnet hat.
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Die Berücksichtigung des Zeitmoments als wertende Betrachtung durch den Gesetzgeber im Lichte dessen ist auch deshalb nicht unbeachtlich, weil die Anlagen, für die Beiträge zum Vorteilsausgleich erhoben werden, keine unendliche Lebensdauer haben und jedenfalls einer Abnutzung unterliegen, die den Beitrag, der sich an den Herstellungskosten orientiert, im Laufe der Zeit zumindest als entwertet erscheinen lassen kann und vorteilsvermittelnde Maßnahmen in den Fällen des § 13 b Satz 1 KAG LSA sogar beitragsfrei bleiben.
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Der vom OVG LSA im Beschluss vom 16.02.2016 (a. a. O.) als Rechtfertigung für die Frist des § 18 Abs. 2 KAG LSA herangezogenen Aspektes der Schwierigkeiten beim Aufbau der Kommunalverwaltungen/ Abwasserzweckverbände vermag ebenfalls als Rechtfertigung nicht in belastbarer Weise herzuhalten. Denn dies lässt unberücksichtigt, dass diese Phase spätestens mit Beginn der 2000-er Jahre abgeschlossen war, so dass ca. 15 Jahre Zeit blieben, die zuvor bereits bewirkten Vorteilslagen beitragsrechtlich zu erfassen. Lagen Defizite zudem häufig im Bereich des rechtswirksamen Erlasses von Abgabensatzungen, so ist das Land, welches über Jahre keine Mustersatzungen empfohlen hat, jedenfalls aus seiner Verantwortung in der Weise nicht entlassen, dass im Rahmen der Abwägung zwischen den Interessen der Aufgabenträger und den der Abgabenschuldner derartige Defizite nicht einseitig zu Lasten Letzterer gehen. Dies gilt gerade dann, wenn wegen § 6 Abs. 6 Satz 2 KAG LSA die sachliche Beitragspflicht im Bereich der leitungsgebundenen Einrichtungen erst mit dem Inkrafttreten der ersten wirksamen Abgabensatzung entstehen kann.
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Die Abweichung in § 18 Abs. 2 KAG LSA von § 13 b Satz 1 KAG LSA ist auch nicht von dem dem Gesetzgeber insoweit zustehenden weiten Gestaltungsspielraum (vgl. BVerfG, B. v. 05.03.2013, a. a. O.) gedeckt. Weite Gestaltungsspielräume bedeuten jedoch nicht gleichsam gesetzesungebundenes Entscheidungsverhalten, sondern sollen allenfalls das "Wie" der Ausgestaltung einer gesetzlichen Regelung einer ansonsten umfassenden verwaltungsgerichtlichen Kontrolldichte entziehen. Weicht der Gesetzgeber - wie hier - ohne nachvollziehbaren Grund von einer einmal getroffenen Wertentscheidung ab, hält er sich nicht mehr innerhalb des ihm zustehenden Gestaltungsspielraumes.
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Auch der Aspekt einer gleichmäßigen Abgabenerhebung für gleiche Vorteile ist nicht belastbar. Denn die Fristen (z. B. Verjährungsfristen) einerseits immanente Rechtssicherheit führt andererseits stets zu einer ungleichmäßigen Abgabenbelastung. Da es sich bei beiden betroffenen Rechtsgütern um solche von gleichem Verfassungsrang handelt, sind gegen das prioritäre Wirken eines Rechtsgutes Bedenken nicht angezeigt.
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Der Umstand, dass die Grundstücke infolge der Herstellung der öffentlichen Abwasseranlage (dauerhaft) eine Wertsteigerung erlangt haben, ist keine sachliche Rechtfertigung für die durch § 18 Abs. 2 KAG LSA bewirkte und von der Wertung des § 13 b Satz 1 KAG LSA abweichende Möglichkeit der Beitragserhebung in zeitlicher Hinsicht. Denn die Kommunen hatten unstreitig einen beachtlichen Zeitraum zur Verfügung, um auch solche Vorteilslagen abzuschöpfen, die z. B. in den 1990-er Jahren begründet wurden.
II.
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Dürfte hat der Gesetzgeber insofern von den ihm zur Seite stehenden rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten in nicht fehlerfreier Weise Gebrauch gemacht haben, ist allein er gehalten, einen verfassungskonformen Zustand herzustellen (vgl. BVerwG, U. v. 15.04.2015, a. a. O.).
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So dürfte aus der Sicht des Gerichts zwar eine unterschiedliche Ausgestaltung von zukünftig geltenden und vergangenheitsbezogenen Höchstfristen aufgrund der (Rechts-)Entwicklung nicht von vornherein ausscheiden. Für die vergangenheitsbezogene Höchstfrist ist jedoch eine ganzheitliche Betrachtung vorzunehmen, in der die schutzwürdigen Belange der Grundstückseigentümer und Aufgabenträger gegeneinander abzuwägen sind, wobei Abweichungen von der nur für zukünftig entstehende Vorteilslagen geltenden Höchstfrist umso rechtfertigungsbedürftiger sind, je gravierender dieselbe ist. Sofern der Gesetzgeber erneut erwägen sollte, auch Vorteilslagen zu berücksichtigen, die bereits in den 1990-er entstanden sind, so dürfte es nicht unbeachtlich sein, dass erst das Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die kommunale Gemeinschaftsarbeit sowie des Kommunalabgabengesetzes vom 06.10.1997 (GVBl. LSA, S. 878) – KAGÄnG 1997 – zur Heilung der Zweckverbände führte und zugleich Änderungen über den Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht (§ 6 Abs. 6 Satz 2 KAG LSA) in Kraft getreten sind. Insoweit dürfte auch der Gesetzgeber im Lichte des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichtes vom 12.11.2015 (a. a. O.) von folgendem Rechtszustand auszugehen haben:
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Die vom Bundesverfassungsgericht herangezogenen Kriterien zu Grunde gelegt, dürfte der mit dem KAGÄndG 1997 vorgenommenen Änderung zum Entstehen der sachlichen Beitragspflicht (§ 6 Abs. 6 KAG LSA a. F./ § 6 Abs. 6 Satz 2 KAG LSA) wegen des damit verfolgten Zieles konstitutive Rückwirkung zukommen (a. A. OVG LSA, B. v. 17.02.2016, a. a. O.).
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a) Das KAGÄndG 1997 war Gegenstand des sog. 2. Heilungsgesetzes. Damit galten unter bestimmten Voraussetzungen auch die auf der Grundlage von § 61 Kommunalverfassung-DDR errichteten Zweckverbände rückwirkend als Körperschaften des öffentlichen Rechts mit Satzungshoheit gebildet; dessen Verfassungskonformität hat das Landesverfassungsgericht Sachsen-Anhalt mit Urteil vom 12. 12. 1997 – LVG 12/97 – festgestellt.
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Als Folge der rückwirkenden Bildung der Zweckverbände hielt der Gesetzgeber seinerzeit "ein Hinausschieben der Entstehung der Beitragspflicht frühestens auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens der ersten rechtsgültigen Satzung" für erforderlich, "um Beitragsausfällen oder Rückforderungen vorzubeugen" (LT-Drs. 2/3895, S. 7). Daraus folgt, dass der Gesetzgeber jedenfalls befürchtet hatte, dass dem in der Vergangenheit liegenden Zeitpunkt des Entstehens der Beitragspflicht nun der Mangel einer unwirksamen Zweckverbandsgründung genommen wurde. War der Gesetzgeber jedoch der Auffassung, mit der Neuregelung ein Hinausschieben des Zeitpunktes des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht bewirken zu können, dann ist er offensichtlich davon ausgegangen, die rückwirkende Heilung führe auch zur "Heilung" i. S. eines formellen Geltungsanspruchs einer bereits erlassenen Abgabensatzung (so dann auch OVG LSA, B. v. 4. 7. 2001 – 1 L 248/01 –; v. 15. 6. 2004 – 1 M 387/02 –; v. 1. 6. 2005 – 1 M 196/05 –; alle juris) und/oder der Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht knüpfe allein an die Beendigung der Maßnahme an.
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Die Befürchtung des Gesetzgebers war auch begründet. Denn § 6 Abs. 6 KAG LSA a. F. entsprach der Regelung in Niedersachsen, zu der das OVG Lüneburg u. a. mit Urteil vom 15.09.1995, 9 L 6166/93, entschieden hatte, dass dann, wenn bezogen auf den Zeitpunkt des Entstehens der Vorteilslage (§ 6 Abs. 6 NKAG) keine oder keine wirksame Satzung vorlag, die Maßnahme (zum Begriff siehe unten) beitragsfrei bleibt, es sei denn, der Zeitpunkt der Beendigung der Maßnahme wird nachträglich in rechtlich zulässiger Weise in den zeitlichen Geltungsbereich einer Satzung einbezogen. Daraus ergibt sich, dass einer erst danach erlassenen Satzung jedenfalls Rückwirkung bis zu diesem Zeitpunkt beigemessen werden muss (vgl. dazu Blomenkamp in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Kommentar, Stand September 2015, § 8 Rn. 1057 f.), soweit dies im Lichte von § 2 Abs. 2 KAG LSA rechtlich zulässig ist. Der Zeitpunkt des Entstehens der Beitragspflicht war aber nach § 6 Abs. 6 KAG LSA a. F. stets auf den Zeitpunkt der Beendigung der Maßnahme fixiert.
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Deshalb dürfte die Rechtsauffassung des OVG LSA im Beschluss vom 19.02.1998, B 2 S 141/97, wonach dem KAGÄndG 1997 keine konstitutive Wirkung zukam, im Lichte der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung (u. a. B. v. 12.11.2016, a. a. O.; B. v. 17.12.2013 – 1 BvL 5/08 –, Rn. 55 ff., juris) nicht zu teilen sein. Denn anders als nach der Vorgängerregelung des § 6 Abs. 6 KAG LSA a. F. ist das Vorhandensein einer wirksamen Satzung nach § 6 Abs. 6 Satz 2 KAG LSA nunmehr Voraussetzung für die Fixierung des Zeitpunktes für das Entstehen des Beitragsanspruchs. Dass der Gesetzgeber mit dem KAGÄndG 1997 das angestrebte Ziel, nämlich dass die sachliche Beitragspflicht erst mit einer wirksamen Satzung entsteht, die auch zeitlich der beendigten Maßnahme ohne Rückwirkung nachfolgen kann, erreicht hat, ergibt sich aus der ständigen Rechtsprechung des OVG LSA, seit B. v. 23.10.2000, 1 M 209/00.
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b) Dürfte dem KAGÄndG 1997 konstitutive Wirkung zukommen, ist insoweit zwischen Fällen der echten und unechten Rückwirkung zu differenzieren. In allen Fällen, in denen zum Zeitpunkt der Gesetzesänderung eine Beitragserhebung – wozu selbstredend auch die Fälle der nach altem Recht bereits eingetretenen Festsetzungsverjährung (Beendigung der Maßnahme + wirksame (ggf. rückwirkend erlassene Satzung) zählen – gar nicht mehr möglich gewesen wäre, dürfte es sich um eine echte Rückwirkung handeln. Davon dürften folgende Fallgestaltungen erfasst sein:
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1. (schlichte Beendigungs-)Fälle, bei denen, zum Zeitpunkt der Beendigung der Maßnahme (zum Begriff siehe unten) vor Inkrafttreten des KAGÄndG 1997 (= Zeitpunkt des Entstehens der tatsächlichen Vorteilslage), keine Satzung vorlag,
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2. (Satzungs-)Fälle, bei denen die Maßnahme bereits 1992 beendet war und eine unwirksame Satzung vorlag, diese aber bis Ende 1996 nicht durch eine wirksame Satzung ersetzt wurde. Denn war die Ersetzung der unwirksamen Satzung nicht bis zu diesem Zeitpunkt erfolgt, hätte das rückwirkende Inkrafttreten zur Folge, dass in der juristischen Sekunde, in der die Satzung rückwirkend in Kraft getreten ist, zugleich Festsetzungsverjährung eingetreten wäre, der Sachverhalt – vergleichbar wie in Brandenburg – abgeschlossen war.
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Es dürfte sich jedoch dann um eine unechte Rückwirkung handeln, wenn zwar eine (unwirksame) Satzung vorlag, die Maßnahme jedoch erst im Jahre 1993 beendet wurde. Denn dann hätte auch noch (ohne Gesetzesänderung) bis 31.12.1997 durch das Inkrafttreten einer rückwirkenden Satzung (irgendwann im Laufe der Jahres 1993, jedoch vor Beendigung der Maßnahme und höchstens rückwirkend bis zum beabsichtigten Inkrafttreten der unwirksamen Satzung) die sachliche Beitragspflicht begründet werden können, ohne dass zugleich Festsetzungsverjährung eingetreten wäre. Denn die Festsetzungsverjährung wäre für diese Maßnahmen erst am 01.01.1994 an- und am 31.12.1997 abgelaufen. Für diese Fallgestaltungen dürfte es sich deshalb um eine unechte Rückwirkung deshalb handeln, weil mit dem KAGÄndG 1997 eben gerade nicht in einen in der Vergangenheit endgültig abgeschlossenen Sachverhalt eingegriffen wurde. Hinsichtlich der Zulässigkeit einer unechten Rückwirkung dürften jedoch mangels eines zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des KAGÄndG 1997 bereits abgeschlossenen – sondern allein ins Werk gesetzten – Sachverhaltes (eben gerade anders als in Brandenburg), des Hintergrunds der Heilung der Zweckverbände sowie des erst kurzen Zeitraumes seit der Herstellung und der fortwährenden Vorteilslage bei einer Gesamtabwägung hinreichende Gründe für die Gesetzesänderung sprechen.
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c) Eine weitere Einschränkung der oben herausgearbeiteten und für eine echte Rückwirkung sprechenden Fallgestaltungen dürfte sich jedoch daraus ergeben, dass die "Maßnahme" für das jeweilige Grundstück auch abgeschlossen gewesen sein muss. Daraus folgt, dass sich die "Maßnahme" auf eine öffentliche Einrichtung im Sinne von § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA beziehen muss, weshalb das Bestehen einer solchen zwingende Voraussetzung ist. Das Vorhandensein einer öffentlichen Einrichtung im Rechtssinne setzt jedenfalls deren Widmung voraus, die jedoch auch konkludent und nicht nur durch Satzung (so aber VG Halle, U. v. 25.01.2016 – 4 A 240/14 HAL –) erfolgen kann; die Anforderungen daran dürften dürften deshalb eher gering und bereits dann erfüllt sein, wenn die Anlage von der öffentlichen Hand betrieben und der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt wird (vgl. OVG LSA, zuletzt U. v. 24.06.2015 – 4 L 32/15 – m. w. N., juris). Dies gilt auch für Altanschlussnehmer, die sich mithin nicht mit Erfolg darauf berufen können, dass es bereits in der Zeit der ehemaligen DDR eine leitungsgebundene Schmutzwasseranlage gegeben hat. Denn insoweit besteht in rechtlicher Hinsicht keine Anlagenidentität bzw. –kontinuität (so auch VG Magdeburg, U. v. 26.03.2015 – 9 A 253/14; OVG Berlin-Brandenburg, U. v. 14.11.2013 – 9 B 35.12 –, beide juris).
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Die öffentliche Einrichtung muss jedoch auch betriebsbereit sein, es darf sich nicht nur um ein sog. (Nach-Wende)Provisorium (vgl. dazu VG Magdeburg, B. v. 11.09.2015 – 9 B 694/15 MD –, juris) handeln. Dem wird eine nur in tatsächlicher Hinsicht vorgenommene Abwasserentsorgung nach 1990 nicht gerecht. Vielmehr muss eine Anlage geschaffen worden sein, die auf ein Zukunftskonzept (Abwasserbeseitigungskonzept) beruht, ohne dass an letzteres hohe rechtliche Anforderungen zu stellen wären (so schon OVG LSA, U. v. 04.12.2003 – 1 L 226/03 – und v. 05.07.2007 – 4 L 229/06 –). Daraus folgt jedenfalls, dass auch für Altanschlussnehmer die Maßnahme erst dann beendet war, wenn die Ableitung des auf ihrem Grundstück anfallenden Abwassers in eine solche Abwasseranlage möglich war, die auf Dauer eine Entsorgungssicherheit bot (OVG LSA, U. v. 05.07.2007 – 4 L 229/06 –).
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Welche Bedeutung der Gesetzgeber dem aus der Sicht der Aufgabenträger beachtlichen Aspekt des durch die Heilung der Zweckverbände sowie der Änderungen in Bezug auf den Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht eingetretenen Rechtszustandes – z. B. im Hinblick auf eine bereits in der Vergangenheit vorliegende Satzung mit formellen Geltungsanspruch – beimisst, ist schlussendlich seiner wertenden Betrachtung überlassen, wobei stets an den Zeitpunkt des Eintritts der Vorteilslage i. S. v. § 13 b Satz 1 KAG LSA anzuknüpfen ist. Der Gesetzgeber versteht dabei bislang den Begriff der Vorteilslage dahingehend, dass es sich um den "Zeitpunkt des Eintritts der tatsächlichen Vorteilslage" (LT-Drs. 6/3419, S. 22) handelt. Gleichwohl kann der Begriff nicht gänzlich von Rechtseinflüssen freigestellt werden, zumal es sich bei der Vorteilslage stets um eine "beitragsrechtliche" handelt (so schon BVerfG, B. v. 05.03.2013, a. a. O., Rn. 45). Daraus folgt aber auch, dass bei der Auslegung des Begriffs nur an solche Kriterien anzuknüpfen ist, die sich in der Rechtswirklichkeit auch jedem Grundstückseigentümer hätten offenbaren können und aus denen er auf einen abzugeltenden Vorteil hätte schließen können, mithin jedenfalls nicht z. B. auf die Wirksamkeit einer Satzung. Insoweit müssen sich die Kriterien jedoch nicht aus dem Gesetz selbst ergeben, da dies weder das Gebot der Bestimmtheit und Klarheit einer Rechtsnorm verlangt (vgl. BVerwG, U. v. 01.12.2005 – 10 C 4/04 –, juris) noch die Komplexität der Regelungsmaterie dies ermöglicht. Die Gerichte haben jedoch bei der Auslegung dieses Begriffs dessen Sinn und Zweck zu beachten, der von der objektiven Sicht des Grundstückseigentümers auf die abzugeltende Vorteilslage geprägt ist. So hätte z. B. ein altangeschlossener Grundstückseigentümer nicht schutzwürdig von einer abzugeltenden Vorteilslage allein deshalb ausgehen dürfen, nur weil seine Anschlusssituation unverändert fortbestand. Denn es dürfte auch vor dem Hintergrund des oben unter I. erörterten Gebotes der Belastungsklarheit und –vorhersehbarkeit hinsichtlich der Erkennbarkeit des Vorteilsausgleichs durch den Grundstückseigentümer zulässig sein, darauf abzustellen, dass überhaupt Investitionen vorgenommen wurden, die eine weitere Aufrechterhaltung der Abwasserbeseitigung ermöglichen. Die grundsätzlich bestehende Abgängigkeit von zu DDR-Zeiten errichteten Abwassersystemen und die sich an anderen technischen und umweltrechtlichen Standards auszurichtende konzeptionelle Neuerrichtung war allgemein bekannt – und gewünscht –.
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Beabsichtigt der Gesetzgeber jedoch auch für in der Vergangenheit entstandene Vorteilslagen an § 13 b Satz 1 KAG LSA anzuknüpfen, dürfte ihm nicht verborgen bleiben, dass erst mit Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 04.12.2003 – 1 L 226/03 –, juris, die grundsätzliche Differenzierung der beitragsrechtlichen Stellung von Alt- und Neuanschlussnehmern vorgenommen wurde und die Erhebung von Beiträgen für diese Grundstücke jedenfalls wegen der bis dahin bestehenden Rechtsunsicherheiten häufig zurückgestellt wurden (vgl. dazu Haack in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Kommentar, Stand März 2016, § 8 Rn. 2219).
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Das Gericht kann, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, anordnen, daß die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen sei.
(1) Hält ein Gericht ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig, so ist das Verfahren auszusetzen und, wenn es sich um die Verletzung der Verfassung eines Landes handelt, die Entscheidung des für Verfassungsstreitigkeiten zuständigen Gerichtes des Landes, wenn es sich um die Verletzung dieses Grundgesetzes handelt, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes einzuholen. Dies gilt auch, wenn es sich um die Verletzung dieses Grundgesetzes durch Landesrecht oder um die Unvereinbarkeit eines Landesgesetzes mit einem Bundesgesetze handelt.
(2) Ist in einem Rechtsstreite zweifelhaft, ob eine Regel des Völkerrechtes Bestandteil des Bundesrechtes ist und ob sie unmittelbar Rechte und Pflichten für den Einzelnen erzeugt (Artikel 25), so hat das Gericht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes einzuholen.
(3) Will das Verfassungsgericht eines Landes bei der Auslegung des Grundgesetzes von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes oder des Verfassungsgerichtes eines anderen Landes abweichen, so hat das Verfassungsgericht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes einzuholen.
Das Gericht kann, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, anordnen, daß die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen sei.
Hat das Verfassungsgericht eines Landes die Nichtigkeit von Landesrecht festgestellt oder Vorschriften des Landesrechts für nichtig erklärt, so bleiben vorbehaltlich einer besonderen gesetzlichen Regelung durch das Land die nicht mehr anfechtbaren Entscheidungen der Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit, die auf der für nichtig erklärten Norm beruhen, unberührt. Die Vollstreckung aus einer solchen Entscheidung ist unzulässig. § 767 der Zivilprozeßordnung gilt entsprechend.