Verwaltungsgericht Magdeburg Beschluss, 25. Apr. 2017 - 15 B 4/17
Gericht
Gründe
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Die Antragstellerin ist Bürgermeisterin und Hauptverwaltungsbeamtin der Stadt A-Stadt und wurde unter dem 03.02.2017 durch den Antragsgegner als Stadtrat der Stadt A-Stadt nach § 38 Abs. 1 Satz 1 und 2 Disziplinargesetz Sachsen-Anhalt (DG LSA) vorläufig des Dienstes enthoben. Der dagegen bei dem erkennenden Disziplinargericht gestellte Antrag nach § 61 DG LSA ist unter dem Az. 15 B 3/17 MD anhängig und mit Beschluss vom heutigen Tage abgelehnt worden. Zum weiteren Sachverhalt wird auf diesen Beschluss verwiesen.
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Mit dem hier zu entscheidenden Verfahren begehrt die Antragstellerin die gerichtliche Entscheidung über die ihrer Meinung nach "disziplinarrechtliche Durchsuchung des Dienst-PC der Antragstellerin im Rathaus" mit dem Antrag,
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festzustellen, dass die Durchsuchung des Dienst-PC der Antragstellerin im Rathaus der Stadt A-Stadt am 02.02./03.02.2017 rechtswidrig gewesen ist und die dabei erhobenen Daten im Disziplinarverfahren gegen die Antragstellerin nicht verwertet werden dürfen,
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und ergänzend
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festzustellen, dass die Durchsuchung und Beschlagnahme von Dateien des Netzwerkordners "C." am 02.02.2017 und des E-Mail-Accounts der Antragstellerin am 05.02.2017 rechtswidrig gewesen ist und die dabei erhobenen Daten im Disziplinarverfahren nicht gegen die Antragstellerin verwendet werden dürfen.
II.
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Der Antrag hat keinen Erfolg. Dabei kann es dahingestellt bleiben, ob ein entsprechender Antrag nach den Regelungen des Disziplinarrechts zulässig wäre.
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1.) Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 DG LSA kann das Disziplinargericht auf Antrag durch Beschluss Beschlagnahmen und Durchsuchungen anordnen (vgl. dazu: VG Magdeburg, Beschluss v. 16.04.2015, 8 B 6/15; juris). Nach § 26 Satz 2 DG LSA kann das Disziplinargericht die Herausgabe von Schriftstücken, Zeichnungen, bildlichen Darstellungen und Aufzeichnungen einschließlich technischer Aufzeichnungen durch Beschluss anordnen und durch die Festsetzung eines Zwangsgeldes erzwingen. Diese grundrechtsrelevanten Maßnahmen unterliegen dem Richtervorbehalt und dürfen in Bezug auf die Bedeutung des Tatvorwurfs und die zu erwartende Disziplinarmaßnahme nicht unverhältnismäßig sein (Vgl. zusammenfasend: VG Magdeburg, Beschluss v. 16.04.2015, 8 B 6/15; juris).
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Ob im Umkehrschluss auch ein – vorbeugender - gerichtlicher Antrag zur Nichtverwertung bei Verstoß gegen den Richtvorbehalt zulässig ist oder entsprechende Verwertungsverbote vielmehr erst im Rahmen des Disziplinarverfahrens zu klären sind, muss vorliegend nicht geklärt werden. Denn entscheidend ist, dass die im Antrag genannten Daten nicht in dem anhängigen behördlichen Disziplinarverfahren gegen die Antragstellerin erlangt sind, sondern im Rahmen der allgemeinen behördlichen internen IT-Systempflege angefallen sind. Das Disziplinargericht hat in dem Beschluss vom 24.04.2017 in dem Suspendierungsverfahren der Antragstellerin (15 A 3/17 MD) ausgeführt:
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"Die Sachgebietsleiterin IT, Frau S..., hat in einer zur Akte gereichten dienstlichen Erklärung ausgeführt, dass sie den von der Antragstellerin angeordneten IT-Dienst während der Ausschusssitzungen am 03.02.2017 selbst wahrgenommen und dabei festgestellt habe, dass das dienstliche Verzeichnis der Antragstellerin leer gewesen sei. Das Verzeichnis habe nur noch eine Größe von 128 KB (eine Datei) gehabt, so dass nahezu alle Daten gelöscht worden seien. Das User-Verzeichnis sei am 02.02.2017 um 16.30 Uhr letztmalig verändert worden. Frau S... habe das Verzeichnis im Umfang von 1,36 GB, 549 Dateien und 65 Ordnern wiederhergestellt. Bei einer späteren Sicherung des PC's habe sie festgestellt, dass die Festplatte neu installiert und erstellt worden sei. Das Löschen von Daten aus dem personalisiertem User-Verzeichnis könne nur durch die IT-Administratoren oder durch die Antragstellerin selbst mittels eigenem Passwort vorgenommen worden sein. Ebenso seien über 9.000 Einträge aus dem Postfach gelöscht worden.
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Dieser Sachverhalt zeigt zur Überzeugung des Disziplinargerichts, dass am Dienstrechner der Antragstellerin ganz erheblich manipuliert wurde und somit es auf der Hand liegt, dass weitere disziplinarrechtliche Ermittlungen wesentlich beeinträchtigt werden konnten oder könnten. Diese Erkenntnisse sind in der vorliegenden Entscheidung auch berücksichtigungsfähig und rechtlich verwertbar; sie unterliegen nicht etwa einem Verwertungsverbot. Auf eine Abwägung der widerstreitenden Rechtsgüter kommt es demnach überhaupt nicht an. Denn entscheidend ist, dass Frau S... als Sachgebietsleiterin Informationstechnologie bei der Stadt A-Stadt berechtigt war, Datenverlusten entgegenzuwirken. Nach Punkt 4.1.7 der Dienstanweisung Datenschutz der Stadt A-Stadt vom 01.08.2002 oblag es ihr, unerwartetes Systemverhalten, ungewöhnliche Ereignisse sowie jeglichen Datenverlust dem Systembetreuer zu melden. Darüber hinaus ordnete die Antragstellerin ausweislich eines Protokollauszuges der Dienstberatung vom 15.12.2015 an, dass während der Ausschusssitzungen das Sachgebiet IT zwingend besetzt werden müsse, um die Sicherstellung der Funktionalität des Netzwerkes hinsichtlich des jederzeitigen Datenaustausches bzw. benötigter Unterlagen zu gewährleisten. Die bereits vor der entscheidenden Beschlussfassung über die Suspendierung der Antragstellerin durch Frau S... festgestellten Datenmanipulationen sind daher nicht dem laufenden Disziplinarverfahren zuzuordnen, sondern dem alltäglichen Pflichtenkreis der Frau S... als Sachgebietsleiterin der Informationstechnologie. Die Maßnahmen dienten daher ausschließlich dem Schutz der eigenen IT-Infrastruktur und sind nicht als Durchsuchung anzusehen. Sie betrafen vielmehr die bestimmungsgemäße Behandlung von Daten sowie die Ausübung von Befugnissen durch die Nutzer sowie hier durch Frau S... als Sachgebietsleiterin IT. Kann somit eine Manipulation des Dienstrechners bzw. der dortigen Daten der Antragstellerin nur durch die Administratoren bzw. denjenigen, welcher über das von der Antragstellerin vergebene Passwort verfügt, durchgeführt werden, rechtfertigt dies zum augenblicklichen Zeitpunkt jedenfalls die Annahme der wesentlichen Beeinträchtigung der weiteren Ermittlungen.
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Schließlich belegt auch die im Rahmen der IT-Sicherheit wiederhergestellte E-Mail der Antragstellerin vom 29.01.2017 an die Kollegin D... die realistische Gefahr der Einflussnahme auf die Ermittlungen durch die Antragstellerin. Denn mit der Wendung:
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"Dann müssen wir besprechen, dass Y… oder/und die Azubis ALLE Unterlagen bei der W… rausholen und sichern in einem Raum. Frag dazu mal bitte C…",
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"regte" die Antragstellerin "nicht lediglich an, die Sicherung der Akten unter Hinzuziehung von Verwaltungspersonal zu besprechen", wie es die Antragstellerin meint. Auch die "Sicherung in einem separaten Raum" ändert daran nichts, solange dieser Raum unbekannt ist und nur ihrer "Sicherung" untersteht. Im Übrigen sind der Verbleib der im Büro von Frau W... „sichergestellten“ Akten und Gegenstände, deren Anzahl sowie genau Auflistung gerade streitig zwischen den Beteiligten. In der Verfügungsgewalt der Stadt A-Stadt befinden sich die Unterlagen jedenfalls nicht. Gerade deswegen wird nunmehr auch strafrechtlich gegen die Antragstellerin ermittelt (Az.: 586 Js 11754/17). Insoweit darf auch bezweifelt werden, ob diese "Sicherung" aus "dienstlichen Gründen notwendig" war, wie die Antragstellerin meint. Aus der nunmehr vorliegenden Aufstellung der aus dem Dienstzimmer der Frau W... abhanden gekommenen Gegenstände ergibt sich eine Vielzahl von Gegenständen, Akten und Unterlagen, die nichts mit dem arbeitsgerichtlichen Verfahren zwischen der Antragstellerin als Vertreterin der Stadt A-Stadt und Frau W... als abgemahnter stellvertretender Bürgermeisterin zu tun haben können. Dabei ist zum augenblicklichen für das Disziplinargericht entscheidungserheblichen Zeitpunkt auch nicht ausschlaggebend, ob die Antragstellerin tatsächlich für die Wegnahme der Gegenstände rechtlich verantwortlich ist; dies bleibt dem augenblicklichen staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren vorbehalten. Es kommt in diesem Zusammenhang auch nicht darauf an, ob die durch Frau S... wiederhergestellte E-Mail einem Beweisverwertungsverbot unterliegt. Denn entscheidend ist, dass die Antragstellerin unstreitig den Auftrag zur "Sicherstellung" von Akten im Büro der Frau W... durch den Bediensteten C… gegeben hat und dies auch geschehen ist."
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Demnach handelte es sich gerade nicht um gezielte Ermittlungen im anhängigen behördliche Disziplinarverfahren, welche nach §§ 26, 27 DG LSA zu beurteilen wären und dem Richtervorbehalt unterliegen.
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Mangels des gezielten Grundrechtseingriffs scheidet auch eine einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO zur Verhinderung der Beweiserhebung aus (vgl dazu: VG Magdeburg, Beschluss v. 27.05.2017, 8 B 9/15; juris).
Annotations
(1) Auf Antrag kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, daß durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint.
(2) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen ist das Gericht der Hauptsache zuständig. Dies ist das Gericht des ersten Rechtszugs und, wenn die Hauptsache im Berufungsverfahren anhängig ist, das Berufungsgericht. § 80 Abs. 8 ist entsprechend anzuwenden.
(3) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen gelten §§ 920, 921, 923, 926, 928 bis 932, 938, 939, 941 und 945 der Zivilprozeßordnung entsprechend.
(4) Das Gericht entscheidet durch Beschluß.
(5) Die Vorschriften der Absätze 1 bis 3 gelten nicht für die Fälle der §§ 80 und 80a.