Verwaltungsgericht Düsseldorf Urteil, 20. Feb. 2015 - 13 K 5350/14.A
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 Prozent des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
1
Tatbestand:
2Der Kläger ist guineischer Staatsangehöriger und reiste nach eigenen Angaben am 10. Juni 2012 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 25. Juni 2012 stellte er einen Asylantrag.
3Bei seiner Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 27. Juni 2012 machte er im Wesentlichen folgende Angaben:
4Am 4. April 2011 habe es einen Empfang für D. E. gegeben. Die UFDG habe Jugendliche rekrutiert, ihnen Motorräder gegeben und sie beauftragt D. E. bei seiner Rückkehr nach Guinea zu eskortieren. Treffpunkt sei der Sitz der Partei im Stadtviertel N. gewesen, von wo man zum Flughafen Conakrys gefahren sei. Am Flughafen seien Gendarmen und Polizisten gewesen, die Tränengas auf sie geworfen hätten. Sie hätten die Motorräder fallen gelassen und seien weggelaufen. Die Gendarmen und Polizisten seien ihnen gefolgt und hätten auch einige verhaftet. Sodann sei die Kreuzung von C. als neuer Treffpunkt vereinbart worden, weil D. E. dort habe vorbeikommen sollen. Auch dort seien bereits Polizisten gewesen, die sie erneut mit Tränengas beworfen hätten. Als sie Steine nach den Polizisten geworfen hätten, hätten diese auf sie geschossen. Viele seien verletzt worden; ein Freund von ihm sei angeschossen worden und auf dem Weg ins Krankenhaus verstorben.
5Am nächsten Tag seien Polizisten in die Stadtteile D1. , C. und I. gegangen, um Jugendliche zu verhaften. Seine Schwester, bei der er zusammen mit ihrem Ehemann und dessen beiden Brüdern gewohnt habe, habe ihn versteckt. Am nächsten Tag habe sie ihn nach M. zu seinem Halbbruder gebracht. Nach ca. vier Monaten sei er zu seiner Schwester nach D2. zurückgekehrt, da er manchmal nicht genug zu essen bekommen habe. Sie habe sich mit ihrem Mann gestritten und ihn nach L. zu einem jüngeren Bruder seines Vaters gebracht. Da auch dieser Probleme gehabt habe alle zu ernähren, sei er wieder zurück nach D2. gegangen. Seine Schwester habe ihn am 8. Juni 2012 zum Flughafen gebracht von wo aus er mit einem Begleiter nach Paris geflogen sei. Danach seien sie in einem Bus nach Hamburg gefahren.
6Das Bundesamt lehnte mit Bescheid vom 25. Juli 2014, dem Kläger zugstellt am 31. Juli 2014, den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter und die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nicht vorlägen. Zugleich forderte es den Kläger zur Ausreise auf und drohte die Abschiebung an. Zur Begründung führte es aus, dass es an einer asylerheblichen Verfolgung fehle. Eine Reaktion des guineischen Staates sei nach über zwei Jahren nach der Protestveranstaltung nicht mehr zu erwarten. Die familiären Probleme des Klägers könnten ebenfalls nicht zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft führen.
7Am 15. August 2014 hat der Kläger Klage erhoben.
8Er ist der Ansicht, das Bundesamt verkenne die politischen Verhältnisse in seinem Heimatland. Die politische Situation sei nach wie vor explosiv, wie die Entwicklung nach den Präsidentschaftswahlen 2010 Belege. Nachdem die Präsidentschaftswahlen im September 2012 stattgefunden hätten, hätten sich Regierung und Opposition gegenseitig Wahlfälschungen vorgeworfen. Die Ängste vor einer Rückkehr des Militärs zur Auflösung der Blockade mehrten sich und das Risiko eines Staatsstreichs scheine in keinem anderen Land auf der Welt so hoch wie in Guinea. Entsprechend schlimm stelle sich die Menschenrechtslage in Guinea dar. Überdies sei durch den Ausbruch der Ebola-Seuche zusätzlich eine Lage entstanden, die aus menschenrechtlichen Gründen in jedem Fall hilfsweise die Zuerkennung des subsidiären Flüchtlingsschutzes sowie die Feststellung von Abschiebungsverboten zwingend erfordere. Eine Rückkehr nach Guinea sei daher unzumutbar.
9Der Kläger beantragt,
10die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 25. Juli 2012 zu verpflichten,
11ihn als Asylberechtigten anzuerkennen und ihm die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylVfG,
12hilfsweise, subsidiären Schutz nach § 4 AsylVfG zu zuerkennen,
13hilfsweise, festzustellen, dass in seiner Person Abschiebungsverbote nach § 60 Absatz 5 und Absatz 7 AufenthG bestehen.
14Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
15die Klage abzuweisen.
16Zur Begründung bezieht sie sich auf die angefochtene Entscheidung.
17Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie des beigezogenen Verwaltungsvorgangs des Bundesamtes (Beiakte 1) und der Ausländerakte des Kreises W. (Beiakte 2) Bezug genommen.
18Entscheidungsgründe:
19Die Einzelrichterin ist für die Entscheidung zuständig, nachdem ihr der Rechtsstreit gemäß § 76 Absatz 1 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) durch Beschluss der Kammer vom 23. Dezember 2014 übertragen worden ist.
20Die Klage ist unzulässig (I.) und unbegründet (II.).
21I. Die Klage ist bereits unzulässig.
22Der Kläger hat die Klage nicht rechtzeitig innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Bescheides erhoben (§ 74 Absatz 1 AsylVfG). Der Bescheid des Bundesamtes vom 25. Juli 2014 wurde dem Kläger ausweislich der Postzustellungsurkunde im Wege der Ersatzzustellung durch Einlegung der schriftlichen Mitteilung über die Niederlegung des Schriftstücks in den Briefkasten der Gemeinschaftsunterkunft gemäß §§ 10 Absatz 5 AsylVfG, 3 Absatz 2 Verwaltungszustellungsgesetz (VwZG) in Verbindung mit § 181 Absatz 1 Satz 4 Zivilprozessordnung (ZPO) am Donnerstag, den 31. Juli 2014 zugestellt. Anhaltspunkte dafür, dass die in § 181 Absatz 1 Satz 1 ZPO geregelten Voraussetzungen für die Ersatzzustellung durch Niederlegung nicht vorlagen, liegen dem Gericht nicht vor und wurden auch vom Kläger nicht substantiiert vorgetragen.
23Die zweiwöchige Klagefrist begann mithin am 1. August 2014 (§§ 57 Absatz 2 VwGO, 222 Absatz 1 ZPO in Verbindung mit § 187 Absatz 1 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB) und endete daher mit Ablauf des 14. August 2014 (§§ 57 Absatz 2 VwGO, 222 Absatz 1 ZPO in Verbindung mit § 188 Absatz 1 BGB). Der Kläger hat die vorliegende Klage erst am 15. August 2014 erhoben.
24Eine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand nach § 60 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kommt ebenfalls nicht in Betracht. War jemand ohne Verschulden verhindert, eine gesetzliche Frist einzuhalten, so ist ihm gemäß § 60 Absatz 1 VwGO auf Antrag bzw. gemäß § 60 Absatz 2 Satz 4 VwGO von Amts wegen, die Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zu gewähren. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind glaubhaft zu machen (§ 60 Absatz 2 Satz 2 VwGO). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.
25Zwar steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger den streitgegenständlichen Bescheid aufgrund eines unverschuldeten Hindernisses erst verspätet ausgehändigt bekommen hat. Insoweit hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung glaubhaft geschildert, dass er den streitgegenständlichen Bescheid erst vier Tage später bei der Niederlassungsstelle „Centerfiliale L1. 1“ habe abholen können. Da die Gültigkeit seines Personalausweises abgelaufen gewesen sei, habe er ihn an die zuständige Stelle abgegeben, um ihn verlängern zu lassen. Als er den Bescheid habe abholen wollen, habe man gesagt, dass er ihn ohne einen gültigen Personalausweis nicht bekommen könne. Daher sei er noch am selben Tag zum Sozialamt gegangen und habe den Vorgang geschildert. Ihm sei eine Bescheinigung ausgestellt worden, die er bei der Post habe vorlegen sollen. Dort sei ihm aber gesagt worden, dass auch diese Bescheinigung nicht genüge. Er bräuchte einen Personalausweis. Er sei zurück zum Sozialamt gegangen und habe vier Tage später den Personalausweis erhalten.
26Indes fehlt es an dem erforderlichen Kausalzusammenhang zwischen dem unverschuldeten Hindernis und der Fristversäumnis. Entfällt das Hindernis – wie vorliegend – noch vor Fristablauf, wird nicht ohne weiteres eine Überlegungsfrist von zwei Wochen entsprechend § 60 Absatz 2 Satz 1 Halbsatz 1 VwGO in Gang gesetzt. Vielmehr kommt es auf die Umstände des Einzelfalles – insbesondere die Schwierigkeit der Beurteilung der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs – an, ob eine über die eigentliche Rechtsmittelfrist hinausreichende zusätzliche Beratungsfrist einzuräumen ist.
27Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Beschluss vom 25. Juni 2013 – 10 B 10.13 –, juris, Rn. 7 m.w.N.; Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Beschluss vom 4. April 2014 – 13 A 373/14.A –, juris, Rn. 7; Verwaltungsgericht Düsseldorf, Urteil vom 15. August 2014 – 13 K 1781/14.A –, juris, Rn. 38; Bier, in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 60, Rn. 50 m.w.N.; Czybulka, in: Sodan/Ziekow, 2. Aufl. 2006, § 60, Rn. 104 m.w.N.
28So liegt auch der vorliegende Fall. Der Kläger hat den streitgegenständlichen Bescheid noch innerhalb der laufenden Klagefrist ausgehändigt bekommen, nachdem er vom Sozialamt einen neuen Personalausweis erhalten hatte. Anhaltspunkte dafür, dass es dem Kläger unmöglich gewesen sein sollte, bis zum Ablauf der Klagefrist am 14. August 2014 die Erfolgsaussichten einer Klage zu beurteilen, sind nicht ersichtlich und wurden auch vom Kläger nicht hinreichend substantiiert vorgetragen. Der Kläger konnte auch bei Berücksichtigung etwaiger Sprachschwierigkeiten und fehlender Rechtskenntnisse anhand des Datums des Bescheides und insbesondere anhand des auf der Postzustellungsurkunde vermerkten Datums erkennen, dass der Bescheid schon vorher zugestellt worden sein dürfte und ihm dementsprechend nicht mehr die vollen zwei Wochen zur Einlegung eines Rechtsmittels zur Verfügung gestanden haben dürften. Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass es einer Klagebegründung bei der Klageerhebung noch nicht bedarf.
29Letztlich kann das Gericht aber offen lassen, ob dem Kläger Wiedereinsetzung in die Klagefrist zu gewähren ist, da die Klage jedenfalls unbegründet ist.
30II. Der angegriffene Bescheid des Bundesamtes vom 25. Juli 2014 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Absatz 1 und Absatz 5 VwGO.
31Das Gericht entscheidet Asylstreitigkeiten nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (§ 77 Absatz 1 Satz 1 AsylVfG). Deshalb findet die seit dem 1. Dezember 2013 durch das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU vom 28. August 2013 (BGBl. I S. 3474) veränderte Rechtslage Anwendung. Der Kläger vermag auf dieser Grundlage mit Erfolg weder seine Anerkennung als Asylberechtigter noch die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylVfG begehren, denn er ist jedenfalls nicht politisch Verfolgter im Sinne der asylrechtlichen Vorschriften.
32Politisch Verfolgter ist, wer in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale, d.h. an seine politische Überzeugung, seine religiöse Grundentscheidung oder an andere Merkmale, die für ihn unverfügbar sind und die sein Anderssein prägen, gezielt Rechtsverletzungen ausgesetzt ist, die ihn ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen. Voraussetzungen und Umfang des politischen Asyls sind wesentlich bestimmt von der Unverletzlichkeit der Menschenwürde.
33Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschlüsse vom 4. Dezember 2012 – 2 BvR 2954/09 –, juris, Rn. 24, vom 10. Juli 1989 – 2 BvR 502/86 – juris, Rn. 38 ff., und vom 2. Juli 1980 – 1 BvR 147/80 –, juris, Rn. 46; Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Urteil vom 14. Februar 2014 – 1 A 1139/13.A –, juris, Rn. 23.
34Nach § 3 Absatz 1 AsylVfG ist einem Ausländer weiter die Flüchtlingseigenschaft im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) – Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) – zuzuerkennen, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Eine Verfolgung kann dabei gemäß § 3c AsylVfG ausgehen von einem Staat, Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschen oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die zuvor genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylVfG Schutz vor der Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht. Weiter darf für den Ausländer keine innerstaatliche Fluchtalternative bestehen, § 3e AsylVfG.
35Maßgeblich ist, ob der Asylsuchende bei der Rückkehr in sein Heimatland der Gefahr politischer Verfolgung ausgesetzt wäre, wobei auf den Sachstand im Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Tatsachenentscheidung abzustellen ist (§ 77 Absatz 1 Satz 1 AsylVfG). Hat der Ausländer sein Heimatland bzw. den Staat seines gewöhnlichen Aufenthaltes auf der Flucht vor eingetretener oder unmittelbar drohender politischer Verfolgung verlassen, besteht Anspruch auf Verfolgungsschutz bereits dann, wenn er bei einer Rückkehr vor erneuter Verfolgung nicht hinreichend sicher sein kann (herabgestufter Prognosemaßstab). Ist der Ausländer hingegen unverfolgt ausgereist, hat er einen Anspruch auf Schutz nur, wenn ihm aufgrund asylrechtlich beachtlicher Nachfluchttatbestände mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung droht (gewöhnlicher Prognosemaßstab),
36BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989 – 2 BvR 502/86 –, BVerfGE 80, 315 (344); Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteile vom 15. Mai 1990 – 9 C 17.89 –, BVerwGE 85, 139 (140) und vom 20. November 1990 – 9 C 74.90 –, InfAuslR 1991, 145 (146).
37Es ist Sache des Asylbewerbers, die Gründe für seine Furcht vor politischer Verfolgung schlüssig vorzutragen. Dazu hat er unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei verständiger Würdigung ergibt, dass ihm in seinem Heimatstaat politische Verfolgung droht. Hierzu gehört, dass der Asylbewerber die in seine Sphäre fallenden Ereignisse, insbesondere seine persönlichen Erlebnisse, so schildert, dass der behauptete Asylanspruch davon lückenlos getragen wird. Das Gericht muss dabei von der Wahrheit – nicht nur von der Wahrscheinlichkeit – des vom Asylsuchenden behaupteten individuellen Verfolgungsschicksals die volle Überzeugung gewinnen. Es muss beurteilen, ob eine solche Aussage des Asylbewerbers glaubhaft ist. Dies gehört zum Wesen der richterlichen Rechtsfindung, vor allem der freien Beweiswürdigung. Bei der Bewertung der Stimmigkeit des Sachverhalts sind u. a. Persönlichkeitsstruktur, Wissensstand und Herkunft des Asylbewerbers zu berücksichtigen.
38Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 3. August 1990 – 9 B 45.90 –, juris, Rn. 2, vom 26. Oktober 1989 – 9 B 405.89 –, juris, Rn. 8, und vom 21. Juli 1989 – 9 B 239.89 –, juris, Rn. 3 f.; OVG NRW, Urteil vom 14. Februar 2014 – 1 A 1139/13.A –, juris, Rn. 35.
39Ausgehend von diesen Grundsätzen führt das Begehren des Klägers nicht zum Erfolg. Es lässt sich nicht feststellen, dass der Kläger vor seiner Ausreise aus Guinea oder im Falle einer Rückkehr nach Guinea landesweit von politischer Verfolgung betroffen war bzw. bedroht sein würde.
40Das Gericht geht nach der ausführlichen Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung vielmehr davon aus, dass er sein Heimatland unverfolgt, allein aus wirtschaftlichen Gründen, verlassen hat.
41Dahingestellt bleiben kann, ob das Vorbringen des Klägers zu seinem Verfolgungsschicksal glaubhaft gewesen ist. Selbst wenn dem Vortrag des Klägers Glauben zu schenken wäre, lägen die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht vor.
42Soweit der Kläger von seinen familiären Problemen, insbesondere dem aufgrund der Zugehörigkeit zur Gruppe „T. N1. “ resultierenden schlechten Verhältnis zu seinem Vater und den Schwierigkeiten bei seiner älteren Schwester in D2. wohnen zu können, berichtet hat, fehlt es von vornherein an Anhaltspunkten für eine poltische Verfolgung. Es ist bereits nicht erkennbar, inwieweit ihm von Seiten seiner Familie in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale Rechtsverletzungen drohen.
43Soweit der Kläger von seiner Teilnahme an der seitens der Regierung verbotenen Inempfangnahme D. E1. am 4. April 2011 berichtet hat, vermag das Gericht bereits nicht zu erkennen, dass der Kläger im Anschluss an die Teilnahme an die verbotenen Inempfangnahme oder in der Folgezeit konkreten Verfolgungshandlungen ausgesetzt gewesen ist oder solche zu befürchten hatte. Zwar hat der Kläger von Festnahmen gegenüber den Anhängern von D. E. berichtet. Indes sei er selbst nicht von den Sicherheitsbehörden aufgespürt und/oder festgenommen worden. Er kenne sich in der Gegend aus und habe verschiedene kleine Wege benutzt. Tief in die Viertel hätten sich die Sicherheitskräfte nicht hineingetraut. Ihm sei es daher gelungen den Sicherheitsbehörden zu entkommen und gegen 22 Uhr das Haus seiner Schwester zu erreichen. Der Kläger wurde nach seinem eigenen Vortrag auch in der Folgezeit nicht von den Sicherheitsbehörden aufgespürt und/oder festgenommen. Insbesondere seien diese nicht zum Haus seiner Schwester gekommen.
44Zudem fehlt es auch an dem notwendigen Zusammenhang zwischen – einer vorliegend bereits nicht ersichtlichen – Verfolgung und der Flucht. Denn die Ausreise muss sich bei objektiver Betrachtung nach ihrem äußeren Erscheinungsbild als eine unter dem Druck erlittener Verfolgung stattfindende Flucht darstellen. In dieser Hinsicht kommt der zwischen Verfolgung und Ausreise verstrichenen Zeit entscheidende Bedeutung zu. Je länger der Ausländer nach erlittener Verfolgung in seinem Heimatstaat verbleibt, umso mehr verbraucht sich der objektive äußere Zusammenhang zwischen Verfolgung und Ausreise. Daher kann allein schon bloßer Zeitablauf dazu führen, dass eine Ausreise den Charakter einer unter dem Druck erlittener Verfolgung stehenden Flucht verliert. Ein Ausländer ist mithin grundsätzlich nur dann als verfolgt ausgereist anzusehen, wenn er seinen Heimatstaat in nahem zeitlichen Zusammenhang mit der erlittenen Verfolgung verlässt.
45BVerwG, Urteil vom 23. Juli 1991 – 9 C 154.90 –, BVerwGE 88, 367-380 = juris, Rn. 22 m.w.N.
46Ein solcher zeitlicher Zusammenhang zwischen dem geschilderten Ereignis vom 4. April 2011 und der Flucht liegt nicht vor. Vielmehr hat der Kläger Guinea erst am 8. Juni 2012 verlassen und damit mehr als ein Jahr in Guinea gelebt, ohne dass er von konkrete Verfolgungshandlungen bzw. Versuche solcher Handlungen während dieser Zeit berichtet hat. So sei er am nächsten Morgen, mithin am 5. April 2011, von seiner Schwester zu seinem Onkel nach L2. gebracht worden sei, wo er ca. vier/fünf Monate geblieben sei. Anschließend sei er nach D2. zurückgekehrt und bis zur seiner Ausreise aus Guinea bei seiner Schwester geblieben. Dass nach ihm gesucht worden ist und er Guinea aus diesem Grunde verlassen hat, hat der Kläger weder beim Bundesamt noch in der mündlichen Verhandlung hinreichend substantiiert vorgetragen. Dagegen sprechen vielmehr auch die nachfolgenden Ausführungen:
47Das Gericht vermag auch nicht zu erkennen, dass der Kläger bei seiner Rückkehr nach Guinea mit einer Inhaftierung oder sonstigen Nachteilen aufgrund der Teilnahme am Empfang D. E1. rechnen müsste. Davon geht schließlich auch der Kläger offenbar nicht aus. Auf Nachfrage des Gerichts, was er denn bei einer Rückkehr in sein Heimatland befürchte, antwortete der Kläger wie folgt: Zur Zeit habe ich Ängste. Es werde zur Zeit über Ebola gesprochen. Hinzukomme, dass Ende des Jahres wieder gewählt werden würde und man nicht wisse was passieren werde. Gegenüber dem Bundesamt hat der Kläger angegeben, dass er im Falle einer Rückkehr nach Guinea zurück zu seiner Schwester müsse und ihr dadurch wieder Probleme verschaffen würde. Befürchtungen aufgrund der Teilnahme an der Inempfangnahme D. E1. äußerte er demgegenüber nicht.
48Schließlich stehen dem Kläger auch keine asylerheblichen Nachfluchttatbestände zur Seite. Ist der Asylsuchende unverfolgt ausgereist, kommt seine Anerkennung nur in Betracht, wenn ihm auf Grund von asylrelevanten Nachfluchtgründen politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht. Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit für drohende staatliche Verfolgungsmaßnahmen kann nur angenommen werden, wenn die für eine Verfolgung sprechenden Umstände bei qualifizierender Betrachtungsweise ein größeres Gewicht als die gegen eine Verfolgung sprechenden Tatsachen besitzen und deshalb für den Ausländer nach den Gesamtumständen des Falles die reale Möglichkeit einer politischen Verfolgung bei Rückkehr in sein Heimatland besteht.
49Verwaltungsgericht Düsseldorf, Urteil vom 19. Oktober 2009 – 23 K 2473/07.A –, juris, Rn. 39 m.w.N.
50Hieran fehlt es aber. Wenngleich mit Blick auf die für das Jahr 2015 vorgesehene Präsidentschaftswahl ein erhöhtes Risiko für Unruhen in Guinea und auch ein Staatsstreich nicht auszuschließen sein mag, ist zumindest nicht ersichtlich, inwieweit dem Kläger dadurch mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine politische Verfolgung droht. Hierzu hat der Kläger weder beim Bundesamt noch im gerichtlichen Verfahren hinreichend substantiiert vorgetragen.
51Der Kläger ist auch nicht subsidiär schutzberechtigt im Sinne des § 4 AsylVfG. Nach dessen Satz 1 ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Solches ist nach den vorstehenden Ausführungen auch nicht anzunehmen. Insoweit wird auf die vorstehenden Ausführungen Bezug genommen. Überdies ist dem Kläger auch nicht aufgrund der derzeitigen Ebola-Epidemie subsidiärer Schutz zu gewähren. Insoweit fehlt es bereits an einem ernsthaften Schaden im Sinne von § 4 Absatz 1 Satz 2 AsylVfG. Ungeachtet dessen bedürfte es für die Anerkennung subsidiären Schutzes jedenfalls einer konkreten individuellen Bedrohungslage, die ebenfalls nicht vorliegt, da die Ebola-Epidemie die gesamte Bevölkerung Guineas bedroht (s.u.).
52Grund für die Annahme von Abschiebungshindernissen nach § 60 Absatz 5 oder 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) besteht ebenfalls nicht. Sie ergeben sich auch nicht aus der derzeitigen Ebola‑Epidemie in Guinea.
53Zwar soll gemäß § 60 Absatz 7 Satz 1 AufenthG von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Indes sind nach § 60 Absatz 7 Satz 2 AufenthG Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Absatz 1 Satz 1 zu berücksichtigen. Aus der Sperrklausel des § 60 Absatz 7 Satz 2 AufenthG folgt der Ausschluss der Berufung auf das Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 7 Satz 1 AufenthG, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob die zuständige Landesbehörde einen allgemeinen Abschiebestopp erlassen hat oder – wie vorliegend – nicht. Mit dieser Regelung soll nach dem Willen des Gesetzgebers erreicht werden, dass dann, wenn eine bestimmte Gefahr der ganzen Bevölkerung bzw. Bevölkerungsgruppe im Zielstaat gleichermaßen droht, über deren Aufnahme oder Nichtaufnahme nicht im Einzelfall durch das Bundesamt und die Ausländerbehörde, sondern für die ganze Gruppe der potenziell Betroffenen einheitlich durch eine politische Leitentscheidung des Innenministeriums im Wege des § 60a AufenthG befunden wird.
54BVerwG, Urteil vom 13. Juni 2013 – 10 C 13.12 –, BVerwGE 147, 8-19 = juris, Rn. 13 m.w.N.; Verwaltungsgericht Düsseldorf, Urteil vom 10. Oktober 2014 – 13 K 1279/14.A –, juris, Rn. 50; Heilbronner, Ausländerrecht, Stand. 86. Ergänzungslieferung, Juni 2014, § 60a AufenthG, Rn. 79 m.w.N.
55Vorliegend greift die Sperrwirkung des § 60 Absatz 7 Satz 2 AufenthG, da die Gefahr sich mit dem Ebola‑Virus anzustecken, keine individuelle, nur dem Kläger drohende, sondern eine allgemeine Gefahr darstellt, der zurzeit die gesamte Bevölkerung in Guinea ausgesetzt ist.
56Diese Sperrwirkung kann zwar aufgrund der Schutzwirkungen der Grundrechte aus Artikel 1 Absatz 1 und Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 GG im Wege einer verfassungskonformen Auslegung durchbrochen werden, wenn dies zur Vermeidung einer verfassungswidrigen Schutzlücke erforderlich ist. Unabhängig davon, ob hier eine solche Schutzlücke besteht, liegt ein solcher Ausnahmefall nur vor, wenn der Ausländer bei einer Rückkehr einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Wann allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalls ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Die Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Das Erfordernis des unmittelbaren – zeitlichen – Zusammenhangs zwischen Abschiebung und drohender Rechtsgutverletzung setzt zudem für die Annahme einer extremen Gefahrensituation voraus, dass der Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Rückkehr in sein Heimatland in eine lebensgefährliche Situation gerät, aus der er sich weder allein noch mit erreichbarer Hilfe anderer befreien kann.
57BVerwG, Urteil vom 29. September 2011 – 10 C 24.10 –, juris, Rn. 20; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 24. Oktober 2013 – 13a B 12.30421 –, juris, Rn. 19 m.w.N.; OVG NRW, Beschlüsse vom 17. Dezember 2014 – 11 A 2468/14.A –, juris, Rn. 12 m.w.N. und 4. Januar 2013 – 13 A 2635/12.A –, juris, Rn. 11.
58Diese Voraussetzungen liegen – zumindest nach derzeitigem Erkenntnisstand – nicht vor.
59Vgl. auch OVG NRW, Beschluss vom 17. Dezember 2014 – 11 A 2468/14.A –, juris, Rn. 16 ff.; Verwaltungsgericht Düsseldorf, Urteil vom 10. Oktober 2014 – 13 K 1279/14.A –, juris, Rn. 55.
60Dem Kläger droht trotz des nach den derzeitigen Erkenntnissen nach wie vor alarmierenden Ausmaßes der Ebola‑Epidemie in Guinea – wenngleich sich die Lage allmählich zu entspannen scheint –, nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit nach seiner Rückkehr nach Guinea in eine solche lebensgefährliche Situation zu gelangen. Ihm droht bereits nicht, sich nach seiner Rückkehr mit hoher Wahrscheinlichkeit mit dem Virus zu infizieren. Denn es besteht durch die Meidung direkten Kontaktes mit Infizierten die Möglichkeit, sich vor Infektionen zu schützen. Eine Übertragung von Mensch zu Mensch ist nur durch den ungeschützten Kontakt mit Blut oder anderen Körperflüssigkeiten von erkrankten Menschen oder Verstorbenen möglich. Es gibt bisher keine Hinweise auf eine Übertragung der Viren auf den Menschen durch die Atemluft. Schließlich korreliert das Übertragungsrisiko zu einen mit der Schwere der Erkrankung und zum anderen mit der Phase in der sie sich befindet. Das Übertragungsrisiko ist in der Spätphase der Erkrankung am größten. Die Ansteckung erfolgt häufig über den Kontakt zu den Körpern Verstorbener.
61http://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/E/Ebola/Uebersicht.html.
62Überdies liegen dem Gericht Erkenntnisse vor, wonach zurzeit aufgrund der bestehenden Ebola-Epidemie faktisch keine Abschiebungen durchgeführt werden. Die Landesregierung hat die kleine Anfrage eines Abgeordneten der Piratenpartei unter dem 4. November 2014 dahingehend beantwortet, dass sich das Ministerium für Inneres und Kommunales (MIK) zwecks Sicherstellung einer sorgfältigen und gegebenenfalls aktualisierten Einzelfallprüfung frühzeitig über eventuell geplante Rückführungsmaßnahmen in die Länder Guinea, Liberia und Sierra Leone informieren lassen. Seit Februar 2014 habe es keine Abschiebung nach Guinea gegeben und auch aktuell stünden keine Abschiebungen in dieses Gebiet an.
63LT-Drs. 16/7222, S. 2 .
64Dies deckt sich mit den aus anderen Verfahren gewonnenen Erkenntnissen des Gerichts. Das MIK hat die Anfrage des Gerichts vom 15. September 2014, ob gegenwärtig Planungen bestünden, für einzelne westafrikanische Staaten die Aussetzung von Abschiebungen anzuordnen, mit Schreiben vom 22. September 2014 dahingehend beantwortet, dass nach Mitteilung der Zentralstelle für Flugabschiebungen NRW (ZfA) derzeit keine Abschiebungen nach Guinea, Liberia und Sierra Leone anstünden. Von daher sei die Anordnung eines Abschiebungsstopps nach § 60a Absatz 1 AufenthG derzeit entbehrlich. Die weitere Entwicklung bleibe abzuwarten. Von daher sei die Anordnung eines Abschiebungsstopps nach § 60a Absatz 1 AufenthG derzeit entbehrlich. Demnach ist derzeit auch ohne eine Anordnung nach § 60a Absatz 1 AufenthG sichergestellt, dass Asylbewerber in die von der Ebola-Epidemie betroffenen Länder Westafrikas nicht abgeschoben werden, solange sich die damit einhergehenden Gefahrensituation nicht wieder auf ein unbedenkliches Maß relativiert.
65Verwaltungsgericht Düsseldorf, Urteil vom 10. Oktober 2014 – 13 K 1279/14.A –, juris, Rn. 57.
66Die in dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes zugleich verfügte Abschiebungsandrohung und die festgesetzte Ausreisefrist stützen sich auf § 34 Absatz 1 AsylVfG und § 59 AufenthG.
67Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Absatz 1 VwGO. Die Nichterhebung von Gerichtskosten ergibt sich aus § 83b AsylVfG. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Absatz 1 Satz 1 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG).
68Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Absatz 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 2, 711 ZPO.
Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgericht Düsseldorf Urteil, 20. Feb. 2015 - 13 K 5350/14.A
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Verwaltungsgericht Düsseldorf Urteil, 20. Feb. 2015 - 13 K 5350/14.A zitiert oder wird zitiert von 6 Urteil(en).
(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.
(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.
(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.
(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.
(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.
(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.
(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.
(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.
(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.
(11) (weggefallen)
(1) Ist die Zustellung nach § 178 Abs. 1 Nr. 3 oder § 180 nicht ausführbar, kann das zuzustellende Schriftstück auf der Geschäftsstelle des Amtsgerichts, in dessen Bezirk der Ort der Zustellung liegt, niedergelegt werden. Wird die Post mit der Ausführung der Zustellung beauftragt, ist das zuzustellende Schriftstück am Ort der Zustellung oder am Ort des Amtsgerichts bei einer von der Post dafür bestimmten Stelle niederzulegen. Über die Niederlegung ist eine schriftliche Mitteilung auf dem vorgesehenen Formular unter der Anschrift der Person, der zugestellt werden soll, in der bei gewöhnlichen Briefen üblichen Weise abzugeben oder, wenn das nicht möglich ist, an der Tür der Wohnung, des Geschäftsraums oder der Gemeinschaftseinrichtung anzuheften. Das Schriftstück gilt mit der Abgabe der schriftlichen Mitteilung als zugestellt. Der Zusteller vermerkt auf dem Umschlag des zuzustellenden Schriftstücks das Datum der Zustellung.
(2) Das niedergelegte Schriftstück ist drei Monate zur Abholung bereitzuhalten. Nicht abgeholte Schriftstücke sind danach an den Absender zurückzusenden.
(1) Ist für den Anfang einer Frist ein Ereignis oder ein in den Lauf eines Tages fallender Zeitpunkt maßgebend, so wird bei der Berechnung der Frist der Tag nicht mitgerechnet, in welchen das Ereignis oder der Zeitpunkt fällt.
(2) Ist der Beginn eines Tages der für den Anfang einer Frist maßgebende Zeitpunkt, so wird dieser Tag bei der Berechnung der Frist mitgerechnet. Das Gleiche gilt von dem Tage der Geburt bei der Berechnung des Lebensalters.
(1) Eine nach Tagen bestimmte Frist endigt mit dem Ablauf des letzten Tages der Frist.
(2) Eine Frist, die nach Wochen, nach Monaten oder nach einem mehrere Monate umfassenden Zeitraum - Jahr, halbes Jahr, Vierteljahr - bestimmt ist, endigt im Falle des § 187 Abs. 1 mit dem Ablauf desjenigen Tages der letzten Woche oder des letzten Monats, welcher durch seine Benennung oder seine Zahl dem Tage entspricht, in den das Ereignis oder der Zeitpunkt fällt, im Falle des § 187 Abs. 2 mit dem Ablauf desjenigen Tages der letzten Woche oder des letzten Monats, welcher dem Tage vorhergeht, der durch seine Benennung oder seine Zahl dem Anfangstag der Frist entspricht.
(3) Fehlt bei einer nach Monaten bestimmten Frist in dem letzten Monat der für ihren Ablauf maßgebende Tag, so endigt die Frist mit dem Ablauf des letzten Tages dieses Monats.
(1) Wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
(2) Der Antrag ist binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen; bei Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung, des Antrags auf Zulassung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Beschwerde beträgt die Frist einen Monat. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Rechtshandlung nachzuholen. Ist dies geschehen, so kann die Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden.
(3) Nach einem Jahr seit dem Ende der versäumten Frist ist der Antrag unzulässig, außer wenn der Antrag vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war.
(4) Über den Wiedereinsetzungsantrag entscheidet das Gericht, das über die versäumte Rechtshandlung zu befinden hat.
(5) Die Wiedereinsetzung ist unanfechtbar.
Tenor
Der Wiedereinsetzungsantrag wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Wiedereinsetzungsverfahrens.
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G r ü n d e :
2Der Antrag hat keinen Erfolg.
3Zwar kann ein Wiedereinsetzungsantrag auch dann noch gestellt werden, wenn – wie hier – der infrage stehende Rechtsbehelf bereits durch rechtskräftige Entscheidung verworfen wurde.
4Vgl. Nieders. OVG, Beschluss vom 29.September 2010 - 8 LA 226/10 -, juris Bay. VGH, Beschluss vom 9. April 2009 - 2 ZB 08.3312 -, NVwZ-RR 2009, 901.
5Entgegen der Auffassung des Klägers sind aber die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 60 VwGO) nicht gegeben.
6Der Kläger hat schon nicht glaubhaft gemacht (vgl. § 60 Abs. 2 Satz 2 VwGO), ohne Verschulden verhindert gewesen zu sein, die gesetzliche Frist zur Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung, die wegen der am 20. Januar 2014 erfolgten Zustellung des Urteils am 20. Februar 2014 ablief, einzuhalten (§ 60 Abs. 1 VwGO).
7Die Wiedereinsetzungsgründe, d.h. sämtliche Umstände, die für die Frage von Bedeutung sind, auf welche Weise und durch wessen Verschulden es zu der Fristversäumnis gekommen ist, müssen bei einem Wiedereinsetzungsgesuch grundsätzlich innerhalb der Antragsfrist des § 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO dargelegt werden. Erforderlich ist eine rechtzeitige substanziierte und schlüssige Darstellung der für die unverschuldete Fristsäumnis wesentlichen Tatsachen.
8Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 6. Dezember 2000 - 2 B 57.00 - Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 236, und vom 3. Februar 1993 - 6 B 4.93 - Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 183.
9Diesen Anforderungen genügt der Wiedereinsetzungsantrag nicht.
10Das geltend gemachte Hindernis - die Erforderlichkeit der Einsicht in die Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes - ist nach dem Vorbringen des Klägers bereits am 11. Februar 2014 und damit vor Ablauf der Begründungsfrist weggefallen. Entgegen der offenbar vom Kläger vertretenen Rechtsauffassung wird bei Wegfall eines Hindernisses noch innerhalb der Rechtsmittelfrist nicht etwa von diesem Zeitpunkt an eine "Überlegungsfrist" von einem Monat entsprechend § 60 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 VwGO oder von geringerer Dauer in Lauf gesetzt; vielmehr kommt es auf die Umstände des Einzelfalls - insbesondere die Schwierigkeit der Beurteilung der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs - an, ob eine über die eigentliche Rechtsmittelfrist hinausreichende zusätzliche "Beratungsfrist" einzuräumen ist.
11Vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. Juni 2013 - 10 B 10/13 u.a. -, juris.
12Dass es dem Prozessbevollmächtigten des Klägers in den verbleibenden Arbeitstagen bis zum Fristablauf nicht möglich gewesen sein sollte, die aus der Einsicht in die Verwaltungsvorgänge gewonnenen Erkenntnisse in die Begründung des bereits am 10. Februar 2014 gestellten Antrags auf Zulassung der Berufung einzuarbeiten, ist nicht substantiiert dargelegt worden. Auf die Zustellung des Senatsbeschlusses vom 26. Februar 2014 kommt es im vorliegenden Zusammenhang nicht an.
13Im Übrigen ist die verzögerte Bearbeitung darauf zurückzuführen, dass der Kläger während des Laufes der Frist zur Einlegung und Begründung des Zulassungsantrags den Prozessbevollmächtigten gewechselt hat. Dies muss sich der Kläger zurechnen lassen, da nicht vorgetragen wurde, dass der Wechsel des Prozessbevollmächtigten aus Gründen erfolgt ist, die dem Kläger ausnahmsweise nicht zuzurechnen sind.
14Vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. Juni 2013 - 10 B 10/13 u.a. -, juris.
15Aus den obigen Erwägungen bleibt – ungeachtet ihrer Zulässigkeit - auch die vom Kläger hilfsweise erhobene Gegenvorstellung erfolglos.
16Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 155 Abs. 3 VwGO.
17Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 Prozent des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
1
Tatbestand:
2Der Kläger ist guineischer Staatsangehöriger. Er reiste nach eigenen Angaben am 28. Juli 2013 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte am 8. August 2013 die Anerkennung als Asylberechtigter.
3Mit Schreiben vom 6. Dezember 2013 wurde der Kläger zur Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) für den 19. Dezember 2013 geladen. Nachdem er zu diesem Termin nicht erschienen war, wurde ihm mit Schreiben vom 19. Dezember 2013 Gelegenheit gegeben, innerhalb eines Monats nach Zugang des Schreibens zu seinen Asylgründen und den Gründen, die einer Rückkehr in seine Heimat entgegenstehen, schriftlich Stellung zu nehmen. Der Kläger wurde ferner darauf hingewiesen, dass das Bundesamt nach Aktenlage entscheide, sofern sich der Kläger nicht innerhalb dieser Frist äußere.
4Mit Bescheid vom 17. Februar 2014, welcher am 18. Februar 2014 per Einschreiben zur Post geben wurde (Bl. 58 d. Gerichtsakte und Bl. 63 des Verwaltungsvorgangs), stellte das Bundesamt fest, dass der Asylantrag als zurückgenommen gelte und das Asylverfahren eingestellt sei. Zudem forderte es den Kläger auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen, da keine Abschiebungsverbote vorlägen. Für den Fall der Zuwiderhandlung drohte es die Abschiebung nach Guinea an.
5Hiergegen hat der Kläger am 12. März 2014 Klage erhoben und (hilfsweise) Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand gestellt.
6Zur Begründung trägt er vor, dass er die Ladung vom 6. Dezember 2013 erst am 3. Januar 2014 und den Bescheid vom 17. Dezember 2013 erst am 26. Februar 2014 erhalten habe. Die verspätete Übergabe durch den Hausmeister der Asylbewerberunterkunft sei ihm nicht zuzurechnen, da er sich jeden Tag nach eingegangener Post erkundige. Überdies sei zu berücksichtigen, dass die gerichtliche Verfügung vom 10. Juni 2014 erst am 20. Juni 2014 beim Prozessbevollmächtigten des Klägers eingegangen sei; der Postlauf habe somit zehn Tage gedauert. Wenn das Gericht diese Dauer des Postweges berücksichtige, könne es nicht mehr davon ausgehen, dass der Bescheid vom 17. Februar 2014 tatsächlich nach drei Tagen zugestellt worden ist.
7Ursprünglich hat der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes vom 17. Februar 2014 zu verpflichten, das Asylverfahren durchzuführen.
8Nach einem entsprechenden Hinweis des Gerichts beantragt er nunmehr,
9den Bescheid des Bundesamtes vom 17. Februar 2014 aufzuheben.
10Die Beklagte beantragt,
11die Klage abzuweisen.
12Sie ist der Ansicht, die Klage sei schon unzulässig. Der Bescheid sei am 18. Februar 2014 zur Post gegeben worden und gelte gemäß § 4 Absatz 1 Verwaltungszustellungsgesetz (VwZG) am dritten Tag danach, d.h. am 21. Februar 2014, als zugestellt. Im Übrigen bezieht sich die Beklagte auf ihre angefochtene Entscheidung des Bundesamtes.
13Die Beteiligten haben übereinstimmend am 24. Juni und 2. Juli 2014 auf mündliche Verhandlung verzichtet (Bl. 68 und Bl. 70 d. Gerichtsakte).
14Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge ergänzend Bezug genommen.
15Entscheidungsgründe:
16Die Kammer konnte gemäß § 101 Absatz 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) über die Klage ohne mündliche Verhandlung entscheiden, nachdem die Beteiligten hierauf verzichtet haben.
17Der Kläger konnte sein ursprüngliches Verpflichtungsbegehren zu einer Anfechtungsklage umstellen, ohne dass es auf die Voraussetzungen für eine Klageänderung nach § 91 VwGO ankommt. Es handelt sich um eine nach § 173 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 264 Nr. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) zulässige Beschränkung des Klageantrags.
18Kopp/Schenke, VwGO, 19. Aufl. 2013, § 91, Rn. 9.
19Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist bereits unzulässig.
20Die Anfechtungsklage ist zwar statthaft gemäß § 42 Absatz 1, 1. Variante VwGO. Der Erhebung einer vorrangigen Verpflichtungsklage – gerichtet auf das Rechtsschutzziel, dass die Beklagte das Asylverfahren durchführt – bedarf es nicht.
21Vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 7. März 1995 – 9 C 264.94 –, juris, Rn. 15 ff.; Heusch, in: Kluth/Heusch, Beck´scher Online-Kommentar Ausländerrecht, Stand: 1. März 2014, AsylVfG, § 33, Rn. 25; Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, Stand: 101. Erg.lieferg. Juni 2014, § 33, Rn. 45.
22Gegen den Einstellungsbescheid vom 17. Februar 2014 ist ein isoliertes Aufhebungsbegehren statthaft. Die Entscheidung nach § 32 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) stellt einen feststellenden Verwaltungsakt im Sinne des § 35 Satz 1 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) dar, dessen isolierte Aufhebung – anders als in sonstigen Fällen eines Verpflichtungsbegehrens – ausnahmsweise zulässig ist, weil schon die Beseitigung grundsätzlich zur materiellen Prüfung des gestellten Asylantrages und damit zu dem erstrebten Rechtsschutzziel führt. Denn das Bundesamt ist nach Aufhebung des Bescheides bereits gesetzlich verpflichtet, das Asylverfahren durchzuführen, §§ 31, 24 AsylVfG. Mit der Aufhebung des Bescheides wird ein Verfahrenshindernis für die inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens beseitigt, und das Asylverfahren ist in dem Stadium, in dem es zu Unrecht beendet worden ist, durch das Bundesamt weiterzuführen.
23Zum vergleichbaren Fall einer Anfechtung der ablehnenden Entscheidung des Bundesamtes gemäß § 27a AsylVfG vgl. Verwaltungsgericht Düsseldorf, Urteil vom 27. Juni 2014 – 13 K 654/14.A –, m.w.N.
24Indes ist die Klage unzulässig, da sie nicht innerhalb der zweiwöchigen Klagefrist nach § 74 Absatz 1, 1. Alternative AsylVfG erhoben worden ist.
25Der streitgegenständliche Bescheid vom 17. Februar 2014 ist dem Kläger nach § 31 Absatz 1 Satz 2 AsylVfG in Verbindung mit § 4 Absatz 2 Satz 2 VwZG am 21. Februar 2014 zugestellt worden. Nach der Zustellungsfiktion des § 4 Absatz 2 Satz 2 VwZG gilt ein Dokument, das durch die Post mittels Einschreiben zugestellt wird, grundsätzlich am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als zugestellt, es sei denn, dass es nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist. Im Zweifel hat die Behörde den Zugang und dessen Zeitpunkt nachzuweisen (§ 4 Absatz 2 Satz 3 VwZG).
26Der Bescheid ist ausweislich des Aktenvermerks nach § 4 Absatz 2 Satz 4 VwZG am 18. Februar 2014 als Einschreiben zur Post gegeben worden (Bl. 63, Heft 2 der Beiakte). Die vom Kläger zur Gerichtsakte gereichte Kopie des hierbei verwendeten Briefumschlags hat ebenfalls einen Poststempel vom 18. Februar 2014. Der Kläger hat nicht hinreichend substantiiert bestritten, dass der Bescheid nicht bzw. nicht innerhalb der Dreitagesvermutung an seiner zuletzt gegenüber dem Bundesamt angegebenen Anschrift (Am Bahnhof 2, 47877 Willich) – und damit der gemäß § 10 Absatz 2 Satz 1 AsylVfG maßgeblichen Adresse – zugegangen ist. Insoweit bedarf es eines schlüssigen Vortrags eines abweichenden Geschehensablaufs, wodurch zumindest Zweifel begründet werden.
27Thüringer Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 7. Februar 2002 – 4 ZKO 1252/97 –, juris, Rn. 4 m.w.N.; Engelhardt/App, VwVG, VwZG, 8. Aufl. 2008, § 4 VwZG, Rn. 9 m.w.N.
28Dass der Bescheid tatsächlich an dieser Adresse zugegangen ist, wird bereits durch die Tatsache verdeutlicht, dass er dem Kläger genau dort – wenn auch nach seinen eigenen Angaben erst am 26. Februar 2014 – ausgehändigt worden ist. Die bloße Behauptung, ihm sei der Bescheid erst am 26. Februar 2014 ausgehändigt worden und es sei schon einmal zu einer verspäteten Aushändigung von Post gekommen, genügt nicht, um Zweifel an einer Zustellung innerhalb der Drei-Tages-Fiktion zu begründen. Diese Frage stellt sich erst bei der Prüfung, ob dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zu gewähren ist (s.u.). Maßgeblich ist in diesem Zusammenhang allein, ob dem Hausmeister der Bescheid innerhalb der Drei-Tages-Fiktion tatsächlich übergeben worden ist. Diese Frage wird indes vom Kläger nicht ernsthaft in Abrede gestellt.
29Die Übergabe an den Hausmeister der Gemeinschaftsunterkunft ist für die Zustellung durch die Post mittels Einschreiben nach § 4 Absatz 1, 1. Alternative VwZG auch ausreichend. Danach erfolgt die Zustellung des Einschreibens persönlich an den Empfänger, seinen Ehegatten beziehungsweise Bevollmächtigten oder einen anderen Empfangsberechtigten.
30Engelhardt/App, VwVG, VwZG, 8. Aufl. 2008, § 4 VwZG, Rn. 2.
31Bei dem Hausmeister der Gemeinschaftsunterkunft X. handelt es sich um einen solchen Empfangsberechtigten. Dahingestellt blieben kann, ob sich dies – wie vom Gesetzgeber ausweislich der amtlichen Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung (BT-Drucks 15/5216, S. 12) vorgesehen – aus den einschlägigen allgemeinen Geschäftsbedingungen des Postdienstleisters, z.B. der „AGB Brief National“ der Deutschen Post AG, ergibt. Die „AGB Brief National“, die seit dem Inkrafttreten des neuen Verwaltungszustellungsgesetzes am 1. Februar 2006 schon mehrfach geändert wurden, sehen gegenwärtig (Stand 1. Juli 2014) in Ziffer 4 Absatz 2 vor, dass Sendungen an Empfänger in Gemeinschaftseinrichtungen (z.B. Gemeinschaftsunterkünften) auch an eine von der Leitung der Einrichtung mit dem Empfang von Postsendungen beauftragte Person („Postempfangsbeauftragter“) zugestellt werden können. Sofern man mit dem Bundessozialgericht (BSG) an einer solchen Regelung, worin der Gesetzgeber es einem Privatunternehmen und seinen jederzeit änderbaren allgemeinen Geschäftsbedingungen überlassen möchte, die Frage der öffentlich-rechtlichen Wirksamkeit einer Zustellung zu regeln, zweifelt, folgt dieses Ergebnis jedenfalls aus der Regelung des § 130 Absatz 1 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB).
32vgl. BSG, Beschluss vom 7. Oktober 2004 – B 3 KR 14/04 R –, juris Rn. 8 f. m.w.N.; vgl. auch Verwaltungsgericht Koblenz, Urteil vom 23. Juli 2012 – 4 K 80/12.KO –, juris, Rn. 35 f.
33Nach dieser – eine vergleichbare rechtliche Situation betreffenden Regelung – wird eine empfangsbedürftige Willenserklärung, die in Abwesenheit des Erklärungsempfängers abgegeben wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in dem sie ihm zugeht. Zugegangen ist eine Willenserklärung, wenn sie so in den Bereich des Empfängers gelangt ist, dass dieser unter normalen Verhältnissen die Möglichkeit hat, vom Inhalt der Erklärung Kenntnis zu nehmen. Eine Erklärung, die ein Empfangsbote entgegennimmt, geht dem Adressaten in dem Zeitpunkt zu, in dem nach dem regelmäßigen Verlauf der Dinge die Weiterleitung an den Adressaten zu erwarten war. Übermittelt der Empfangsbote die Erklärung verspätet, falsch oder überhaupt nicht, so geht das (erst ein Mal) zu Lasten des Empfängers; unter Umständen ist dem Empfänger aber die Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zu gewähren (s.u.). Empfangsbote ist eine Person, die vom Empfänger zur Entgegennahme von Erklärungen bestellt worden ist oder nach der Verkehrsanschauung als bestellt anzusehen ist.
34Ellenberger, in: Palandt, BGB, 73. Aufl. 2014, § 130, Rn. 5 und 9 m.w.N.
35Die Hausmeister einer Gemeinschaftsunterkunft, die die Post an die Asylbewerber verteilen, sind sowohl von der Leitung der Gemeinschaftsunterkunft zum Empfang von Postsendungen beauftragt, als auch nach der Verkehrsanschauung als bestellt anzusehen. Der Kläger hat auch nicht substantiiert vorgetragen, dass der Bescheid nicht innerhalb der Drei-Tages-Fiktion beim Hausmeister zugegangen ist. Insbesondere folgt das Gericht nicht den Ausführungen des Klägers in dessen Schriftsatz vom 2. Juli 2014. Darin führt er aus, dass die Verfügung des Gerichts vom 10. Juni 2014 erst am 20. Juni 2014 und die Verfügung vom 27. Juni 2013 per Fax erst am 30. Juni 2014 beim Prozessbevollmächtigten des Klägers eingegangen seien. Entgegen der Ansicht des Klägers ist die gerichtliche Verfügung vom 10. Juni 2014 ausweislich des darauf befindlichen Vermerks (Rückseite von Bl. 67 d. Gerichtsakte) erst am 17. Juni 2014 abgesandt worden; die Verfügung vom 27. Juni 2014 ist ausweislich des Sendeberichts vom 30. Juni 2014 (Bl. 69 d. Akte) erst am 30. Juni 2014 übersendet worden. Die „Verzögerung“ beruht mithin allein auf der notwendigen weiteren Verarbeitung der Verfügungen, nachdem sie erstellt worden sind. Die Zustellungsvorschrift des § 4 VwZG stellt aber von vornherein auf den Zeitpunkt der Aufgabe zur Post, als letzten Akt der Zustellung eines Bescheides im Verantwortungsbereich des Absenders, ab. Im Übrigen überzeugt der Vergleich auch deshalb nicht, weil die beiden gerichtlichen Verfügungen nicht nach dem Verwaltungszustellungsgesetz – schon gar nicht nach § 4 VwZG – zugestellt worden sind.
36Zur Zustellungsbedürftigkeit und -form, vgl. § 56 VwGO.
37Die zweiwöchige Klagefrist des § 74 Absatz 1 AsylVfG begann damit gemäß § 57 Absatz 2 VwGO in Verbindung mit § 222 Absatz 1 ZPO und in Verbindung mit § 187 Absatz 1 BGB an dem auf die Zustellung des Bescheides folgenden Tag, d.h. am 22. Februar 2014 und endete gemäß § 57 Absatz 2 VwGO in Verbindung mit § 222 Absatz 1 ZPO in Verbindung mit § 188 Absatz 1 BGB mit Ablauf des 7. März 2014. Der Kläger hat erst am 12. März 2014 und damit verspätet Klage erhoben.
38Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 60 VwGO kommt nicht in Betracht. Gemäß § 60 Absatz 1 VwGO ist demjenigen, der ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, auf seinen Antrag Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zu gewähren. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind nach § 60 Absatz 2 Satz 2 VwGO glaubhaft zu machen. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.
39Dahingestellt bleiben kann, ob sich der Kläger – wie von ihm behauptet – täglich beim Hausmeister der Asylbewerberunterkunft nach Post für ihn erkundigt hat und seine verspätete Kenntnisnahme vom Bescheid auf einer mangelhaften Sachbearbeitung der Mitarbeiter der Asylbewerberunterkunft beruhte. Selbst wenn das der Fall gewesen sein sollte, der Kläger zunächst also unverschuldet keine Kenntnis von der Zustellung des streitgegenständlichen Bescheides gehabt haben sollte, fehlt es jedenfalls an dem erforderlichen Kausalzusammenhang zwischen dem unverschuldeten Hindernis und der Fristversäumnis. Denn das Hindernis der fehlenden Kenntnis wäre dann zumindest durch die verspätete Übergabe am 26. Februar 2014 – und damit noch deutlich vor Ablauf der zweiwöchigen Klagefrist nach § 74 Absatz 1, 1. Alternative AsylVfG – entfallen.
40Entfällt das Hindernis – wie vorliegend, bei unterstellter Richtigkeit des Vortrags des Klägers – noch vor Fristablauf, wird nicht ohne weiteres eine Überlegungsfrist von zwei Wochen entsprechend § 60 Absatz 2 Satz 1 Halbsatz 1 VwGO in Gang gesetzt. Vielmehr kommt es auf die Umstände des Einzelfalles – insbesondere die Schwierigkeit der Beurteilung der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs – an, ob eine über die eigentliche Rechtsmittelfrist hinausreichende zusätzliche Beratungsfrist einzuräumen ist.
41BVerwG, Beschluss vom 25. Juni 2013 – 10 B 10.13 –, juris, Rn. 7 m.w.N.; Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 4. April 2014 – 13 A 373/14.A –, juris, Rn. 7; Bier, in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 60, Rn. 50 m.w.N.; Czybulka, in: Sodan/Ziekow, 2. Aufl. 2006, § 60, Rn. 104 m.w.N.
42Dass es dem Kläger vorliegend unmöglich gewesen sein sollte, bis zum Ablauf der Klagefrist am 7. März 2014 die Erfolgsaussichten einer Klage zu beurteilen, ist nicht vorgetragen und auch sonst nicht ersichtlich. Dem Kläger ist noch eine gute Woche geblieben, um sich eines Rechtsbeistandes zu bedienen und Klage zu erheben; zumal die Begründung der Klage noch später hätte erfolgen können. Der Kläger konnte auch bei Berücksichtigung etwaiger Sprachschwierigkeiten und fehlender Rechtskenntnisse anhand des Datums des Bescheides und insbesondere anhand des auf dem dazugehörigen Briefumschlag vermerkten Datums erkennen, dass der Bescheid schon vorher zugestellt worden sein dürfte und ihm dementsprechend nicht mehr die vollen zwei Wochen zur Einlegung eines Rechtsmittels zur Verfügung gestanden haben dürften.
43Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Absatz 1 VwGO. Die Nichterhebung von Gerichtskosten ergibt sich aus § 83b AsylVfG. Der Gegenstandswert folgt aus § 30 Absatz 1 Satz 1 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG).
44Die Entscheidung hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 2, 711 ZPO.
(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
Tenor
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Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 12. Februar 2009 - M 22 K 07.50683 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 in Verbindung mit Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 und 2 des Grundgesetzes. Das Urteil wird aufgehoben. Die Sache wird an das Bayerische Verwaltungsgericht München zurückverwiesen.
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Damit wird der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 20. November 2009 - 21 ZB 09.30109 - gegenstandslos.
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Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 8.000 € (in Worten: achttausend Euro) festgesetzt.
Gründe
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Die Verfassungsbeschwerde betrifft die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Beurteilung staatlicher Strafverfolgungsmaßnahmen als Bedrohung im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG.
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I.
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1. Der Beschwerdeführer, ein 39jähriger syrischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit, reiste im August 2006 in das Bundesgebiet ein und beantragte die Anerkennung als Asylberechtigter. Bei seiner Anhörung gab er an, als Aktivist für die kurdische Sache in das Blickfeld syrischer Sicherheitskräfte geraten zu sein. Er habe sich mehr als zehn Jahre im Irak aufgehalten. Als er im April 2004 nach Syrien zurückgekehrt sei, habe man ihn festgenommen und anschließend bis Mai 2005 inhaftiert; in der Haft sei er erheblich gefoltert worden. Ihm sei die Zugehörigkeit zu einer geheimen Organisation vorgeworfen worden, die Syrien teilweise annektieren wolle. Am 3. März und 29. Mai 2005 habe es Verhandlungen beim Obersten Staatssicherheitsgericht gegeben; dabei sei er von einem Anwalt begleitet worden, den ihm seine gut bemittelte Familie besorgt habe. Ende Mai 2005 sei er wegen gesundheitlicher Gründe gegen Kaution freigelassen worden. Er habe Syrien Anfang September 2005 verlassen und sei über Jordanien nach Ägypten gereist, wo er sich bis zu seiner Ausreise nach Deutschland illegal aufgehalten habe. Dort habe er erfahren, dass er am 25. September 2005 in Abwesenheit zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt worden sei. Bei einem weiteren Verbleib in Syrien habe er mit seiner erneuten Verhaftung und Misshandlung rechnen müssen.
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Zur Glaubhaftmachung seines Vorbringens legte der Beschwerdeführer mehrere Unterlagen vor, darunter zwei Ausweise einer irakischen Menschenrechtsorganisation, ein Anwalts- und Gerichtsschreiben vom 9. Juni 2005 und einen Bescheid zur Durchführung eines Haftbefehls.
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2. Mit Bescheid vom 29. Mai 2007 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Asylantrag ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG sowie Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen. Die bei der Anhörung gemachten Angaben und vorgelegten Unterlagen hätten zur Überzeugung des Einzelentscheiders geführt, dass der Beschwerdeführer in Syrien eine asyl- oder abschiebungsverbotsrelevante Verfolgung weder erlitten noch bei Rückkehr zu gewärtigen habe. Das Anwalts- und Gerichtsschreiben sowie der Bescheid zur Durchführung eines Haftbefehls wiesen erhebliche Fälschungsmerkmale auf. Einer Korrespondenzbestätigung des früheren Anwalts des Beschwerdeführers komme demgegenüber keine entscheidungserhebliche Bedeutung zu. Auch einen politischen Hintergrund, der die Annahme zuließe, er könnte ernsthaft in das Blickfeld des syrischen Geheimdienstes geraten sein, vermöge der Beschwerdeführer nicht darzutun. Schließlich liege kein Abschiebungsverbot mit Blick auf die geltend gemachten Erkrankungen vor.
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3. Mit seiner Klage machte der Beschwerdeführer im Wesentlichen geltend, dass die Feststellung des Bundesamts, bei den vorgelegten Urkunden handele es sich um Fälschungen, nicht nachvollziehbar begründet worden sei. Zum Haftbefehl finde sich keine konkrete Aussage. Im Übrigen werde lediglich die Ungewöhnlichkeit der Formulierungen moniert, was nicht genüge, nachdem der frühere Anwalt die Echtheit und Authentizität des anwaltlichen Schreibens sowie die Vertretung des Beschwerdeführers vor dem Obersten Sicherheitsgericht bestätigt habe.
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Für den Termin zur mündlichen Verhandlung kündigte der Beschwerdeführer an, zum Beweis der von ihm behaupteten Verurteilung und Inhaftierung sowie der Echtheit der vorgelegten Urkunden die Vernehmung des in England lebenden Anwalts zu beantragen. Zudem legte er weitere Unterlagen vor, darunter eine gutachtliche Stellungnahme des Europäischen Zentrums für Kurdische Studien (EZKS) vom 6. Dezember 2008, die das Anwalts- und Gerichtsschreiben und den Bescheid zur Durchführung eines Haftbefehls als echt bewertete und die Angaben des Beschwerdeführers auf der Grundlage eigener Recherchen bestätigte, sowie zwei ärztlich-psychologische Stellungnahmen, die eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostizierten.
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Im Verhandlungstermin stellte der Beschwerdeführer jeweils hilfsweise den schriftsätzlich angekündigten Beweisantrag sowie den Antrag, zum Beweis der Tatsache, dass er vom Staatssicherheitsgericht zu einer Freiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren verurteilt wurde, ein Gutachten des EZKS oder einer anderen fachkundigen Stelle einzuholen.
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4. Das Verwaltungsgericht wies die Klage mit Urteil vom 12. Februar 2009 ab. Eine Asylanerkennung komme schon deshalb nicht in Betracht, weil der Beschwerdeführer für die behauptete Einreise auf dem Luftweg beweisfällig geblieben sei. Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft könne der Beschwerdeführer nicht beanspruchen, weil er weder vorverfolgt eingereist sei noch eine politische Nachfluchtaktivität dargetan habe. Ein krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot bestehe aus den vom Bundesamt genannten Gründen ebenfalls nicht.
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Das Nichtvorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG begründete das Gericht damit, dass es dem Beschwerdeführer den Vortrag zu seinen Fluchtgründen nicht glaube. Seine Angaben zu den beim Bundesamt vorgelegten Ausweisen einer irakischen Menschenrechtsorganisation seien ungereimt. Der eigentliche Verfolgungsvortrag weise, insbesondere was den zehnjährigen Aufenthalt im Irak und die Umstände der Rückkehr nach Syrien angehe, schwere Widersprüche auf. Vor dem Hintergrund dieser Widersprüche seien auch die Angaben zu Folter und Misshandlung während der Untersuchungshaft unglaubhaft. Auskünfte von offizieller Seite seien nicht zu erwarten; der damalige Anwalt könne keinen Erkenntnisgewinn über die Behandlung des Beschwerdeführers in der Haft erbringen; die in den vorgelegten ärztlichen Gutachten beschriebenen Symptome seien für die behaupteten Misshandlungen nicht spezifisch, sondern könnten auch andere Ursachen haben. Selbst die behauptete Verurteilung und Inhaftierung seien nicht frei von Zweifeln. Das Auswärtige Amt weise in seiner Auskunft vom 23. Januar 2007 auf mehrere Fälschungsmerkmale in den vom Beschwerdeführer vorgelegten Unterlagen hin und bezeichne die Freilassung gegen Kaution als ungewöhnlich. Diese gewichtigen Zweifel habe der Beschwerdeführer durch das Gutachten des EZKS vom 6. Dezember 2008, das seinem Wesen nach überdies parteiisch sei, nicht substantiiert erschüttern können. Deshalb und weil nicht dargelegt worden sei, dass bessere Erkenntnisse zu erwarten seien, sei der Hilfsbeweisantrag auf Einholung eines Gutachtens einer anderen fachkundigen Stelle abzulehnen gewesen. Über die konkrete Verurteilung und die Dauer der Haft gäben auch die sonst vorgelegten Unterlagen keine Aufschlüsse. Der gewichtigste Einwand gegen eine Verurteilung liege schließlich in dem Umstand, dass der Beschwerdeführer das Urteil selbst nicht vorgelegt habe, obwohl die syrische Strafprozessordnung Möglichkeiten der Mitteilung an Abwesende vorsehe.
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Ergänzend führte das Gericht an, dass, selbst wenn man eine Verhaftung des Beschwerdeführers und seine Verurteilung vor dem Obersten Staatssicherheitsgericht als wahr unterstellte - was das Gericht nicht tue -, darin keine politische Verfolgung gesehen werden könnte. Die Bestrafung wegen hochverräterischen Verhaltens stelle keine solche dar, sondern sei Ausfluss des legitimen Interesses jedes Staates auf Achtung seiner territorialen Integrität. Der Anwalt des Beschwerdeführers könne allenfalls diesen Umstand belegen, nicht jedoch eine politisch motivierte unangemessene Behandlung in der Haft oder sonstige politische Mali während und beim Ergebnis des Verfahrens. Die hilfsweise beantragte Zeugenvernehmung sei deshalb unerheblich, zumal sich der Anwalt schriftlich geäußert habe und die Vernehmung entsprechend § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO habe unterbleiben können.
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5. Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung machte der Beschwerdeführer neben den Zulassungsgründen der grundsätzlichen Bedeutung und der Divergenz geltend, dass sein Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt worden sei.
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Das Verwaltungsgericht sei den hilfsweise gestellten Beweisanträgen pflichtwidrig nicht nachgekommen. Den Antrag auf Vernehmung des früheren Anwalts des Beschwerdeführers habe es mangels Vorliegens der Voraussetzungen weder als unerheblich übergehen noch aus Gründen des Prozessrechts ablehnen dürfen. Entsprechendes gelte für den weiteren Hilfsbeweisantrag. Das Auswärtige Amt habe die Echtheit der vorgelegten Unterlagen nicht abschließend verifiziert, sondern lediglich auf mögliche Fälschungsmerkmale hingewiesen. Diesen Zweifeln habe der Beschwerdeführer durch Vorlage des Gutachtens des EZKS vom 6. Dezember 2008 Rechnung getragen, weshalb die Behauptung des Verwaltungsgerichts, es fehle eine detaillierte Auseinandersetzung mit der Stellungnahme des Auswärtigen Amtes, ins Leere gehe. Die Beweiserhebung sei auch nicht deshalb entbehrlich gewesen, weil das vorgelegte Gutachten, wie vom Verwaltungsgericht behauptet, seinem Wesen nach parteiisch sei; das EZKS werde von vielen Gerichten und auch vom Bundesamt als Gutachter herangezogen.
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Des Weiteren sei die Unterstellung des Verwaltungsgerichts, die posttraumatische Belastungsstörung des Beschwerdeführers könne andere als die behaupteten Ursachen haben, aus der Luft gegriffen und objektiv nicht begründet. Dem Gericht fehle die erforderliche Sachkunde, um dies beurteilen zu können. Zur Gewährung rechtlichen Gehörs sei weitere Sachaufklärung notwendig gewesen, wie ein aktueller psychologischer Befundbericht bestätige.
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Der Verwaltungsgerichtshof lehnte den Antrag auf Zulassung der Berufung mit Beschluss vom 20. November 2009, der in Anwendung von § 78 Abs. 5 Satz 1 AsylVfG nicht begründet worden ist, ab.
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6. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung in seinen Rechten aus Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 und Art. 103 Abs. 1 GG. Die Ablehnung seines Schutzbegehrens durch das Verwaltungsgericht erweise sich als willkürlich. Die fachgerichtliche Beweiswürdigung stütze sich auf Indizien, die unter Verstoß gegen den Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs und unter Missachtung von Beweisanträgen in das Urteil eingeführt worden seien mit der Folge, dass die restlichen Indizien möglicherweise anders gewertet worden wären.
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Insbesondere die Ablehnung der Hilfsbeweisanträge verstoße gegen Art. 103 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4 und Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Willkürverbot. Das Verwaltungsgericht sei nach verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung gehalten, den Sachverhalt, solange sich ein so genannter Politmalus nicht von vornherein ausschließen lasse, in einer der Bedeutung des Asylgrundrechts entsprechenden Weise aufzuklären; dies gelte entsprechend, wenn Flüchtlingsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG begehrt werde. Die vom Beschwerdeführer behaupteten Folterungen seien Indizien für einen Politmalus, der sich nicht nur an der Strafhöhe festmachen lasse. Der Beschwerdeführer habe dargelegt, dass sein Anwalt nicht nur zur Frage der Inhaftierung und Verurteilung, sondern auch zur Frage der Folter sachgerechte Angaben hätte machen können. Das Verwaltungsgericht habe den Hilfsbeweisantrag auf Vernehmung des Anwalts deshalb nicht wegen Unerheblichkeit oder unter Verweis auf § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO und das Vorliegen einer schriftlichen Äußerung ablehnen dürfen. Auch dem weiteren Hilfsbeweisantrag habe das Verwaltungsgericht stattgeben müssen, um sich hinreichende Überzeugungsgewissheit zu verschaffen; das Vorliegen oder Nichtvorliegen der unter Beweis gestellten Verurteilung wegen eines politischen Delikts beeinflusse die Glaubhaftigkeitsbewertung insgesamt und habe deshalb nicht dahinstehen können.
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Ein Verstoß gegen Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG liege darin begründet, dass das Verwaltungsgericht sich mit den eingeführten ärztlichen Stellungnahmen nicht hinreichend auseinandergesetzt und es unterlassen habe, zu der vorgetragenen posttraumatischen Belastungsstörung und deren Ursachen ein weiteres Gutachten einzuholen.
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7. Das Bayerische Staatsministerium des Innern und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.
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II.
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Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil sie zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93b i.V.m. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Das Bundesverfassungsgericht hat die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und offensichtlich begründet im Sinne von § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG. Das Urteil des Verwaltungsgerichts verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und 2 GG.
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1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Insbesondere hat der Beschwerdeführer vor ihrer Erhebung den Rechtsweg im Sinne des § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG ordnungsgemäß erschöpft.
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a) Dem steht nicht entgegen, dass der Beschwerdeführer gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs keine Anhörungsrüge erhoben hat, obgleich er mit der Verfassungsbeschwerde Verstöße gegen Art. 103 Abs. 1 GG geltend macht. Die Anhörungsrüge wäre offensichtlich unzulässig gewesen, weil sich der Beschwerdeführer mit ihr auf keine neue und eigenständige Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch den Verwaltungsgerichtshof hätte berufen können (vgl. BVerfGK 13, 496 <499 f.>).
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b) Auch ein Verstoß gegen den Grundsatz der materiellen Subsidiarität (vgl. BVerfGE 95, 96 <127>; 112, 50 <60 ff.>) liegt nicht vor. Ein solcher folgt insbesondere nicht daraus, dass der Beschwerdeführer die Möglichkeit, die beiden Beweisanträge unbedingt zu stellen (§ 86 Abs. 2 VwGO), nicht wahrgenommen hat. Um sich mit Blick auf den Subsidiaritätsgrundsatz rechtliches Gehör zu verschaffen, kann nicht die Stellung eines durch Beschluss zu bescheidenden unbedingten Beweisantrags verlangt werden. Die hilfsweise Stellung des Beweisantrags reicht aus, da sie das Gericht nicht von der Verpflichtung enthebt, die Erheblichkeit des Beweisangebots zu beurteilen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 20. Februar 1992 - 2 BvR 633/91 -, NVwZ 1992, S. 659 <660>).
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2. Die Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet. Das Verwaltungsgericht hat die sich aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und 2 GG ergebenden Anforderungen an die Beurteilung staatlicher Strafverfolgungsmaßnahmen als Bedrohung im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG verfehlt.
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a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 16a Abs. 1 GG ist eine Verfolgung dann eine politische, wenn sie dem Einzelnen in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale gezielt Rechtsverletzungen zufügt, die ihn ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen (vgl. BVerfGE 80, 315 <335>). Dies gilt indes dann nicht, wenn die staatliche Maßnahme allein dem - grundsätzlich legitimen - staatlichen Rechtsgüterschutz, etwa im Bereich der Terrorismusbekämpfung, dient (vgl. BVerfGE 80, 315 <339>) oder sie nicht über das hinausgeht, was auch bei der Ahndung sonstiger krimineller Taten ohne politischen Bezug regelmäßig angewandt wird (vgl. BVerfGE 81, 142 <151>). Das Asylgrundrecht gewährt keinen Schutz vor drohenden (auch massiven) Verfolgungsmaßnahmen, die keinen politischen Charakter haben (BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 27. April 2004 - 2 BvR 1318/03 -, NVwZ-RR 2004, S. 613 <614>). Auch eine danach nicht asylerhebliche Strafverfolgung kann freilich in politische Verfolgung umschlagen, wenn objektive Umstände darauf schließen lassen, dass der Betroffene wegen eines asylerheblichen Merkmals eine härtere als die sonst übliche Behandlung erleidet (so genannter Politmalus; vgl. BVerfGE 80, 315 <336 ff.>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 12. Februar 2008 - 2 BvR 2141/06 -, NVwZ-RR 2008, S. 643 <644>). Solange sich ein solcher "Politmalus" nicht von vornherein ausschließen lässt, haben die Fachgerichte den diesbezüglichen Sachverhalt in einer der Bedeutung des Asylgrundrechts entsprechenden Weise aufzuklären (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 27. April 2004 - 2 BvR 1318/03 -, NVwZ-RR 2004, S. 613 <614> und Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 12. Februar 2008 - 2 BvR 2141/06 -, NVwZ-RR 2008, S. 643 <644>).
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Das Bundesverfassungsgericht überprüft die fachgerichtlichen Ermittlungen darauf, ob sie einen hinreichenden Grad an Verlässlichkeit aufweisen und auch dem Umfang nach, bezogen auf die besonderen Gegebenheiten im Asylbereich, zureichend sind (vgl. BVerfGE 76, 143 <162>; 83, 216 <234>). Eine fachgerichtliche Wertung beanstandet es, wenn sie anhand der gegebenen Begründung nicht mehr nachvollziehbar ist und/oder nicht auf einer verlässlichen Grundlage beruht (BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 12. Februar 2008 - 2 BvR 2141/06 -, NVwZ-RR 2008, S. 643 <644> m.w.N.).
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b) Diese Grundsätze gelten nicht nur für das Asylgrundrecht, sondern auch für Verfahren, die auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylVfG in Verbindung mit § 60 Abs. 1 AufenthG gerichtet sind (aus einfachrechtlicher Sicht ebenso BVerwG, Beschluss vom 3. August 2006 - 1 B 20/06 -, juris Rn. 2 f.; vgl. auch zu § 51 Abs. 1 AuslG: BVerwG, Urteil vom 10. Januar 1995 - 9 C 276/94 -, NVwZ 1996, 86 <88 f.>). Die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Beurteilung staatlicher Strafverfolgungsmaßnahmen als Bedrohung im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG ergeben sich insoweit aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und 2 GG.
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Den schutzwürdigen Interessen des Betroffenen muss auch im Anwendungsbereich des Art. 2 Abs. 2 GG wirksam Rechnung getragen werden (vgl. BVerfGK 10, 108 <112 f.>). Die Verfahrensgewährleistung des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG beschränkt sich nicht auf die Einräumung der Möglichkeit, die Gerichte gegen Akte der öffentlichen Gewalt anzurufen; sie gibt dem Bürger darüber hinaus einen Anspruch auf eine möglichst wirksame gerichtliche Kontrolle. Das Gebot effektiven Rechtsschutzes verlangt nicht nur, dass jeder potenziell rechtsverletzende Akt der Exekutive in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht der richterlichen Prüfung unterstellt ist; vielmehr müssen die Gerichte den betroffenen Rechten auch tatsächliche Wirksamkeit verschaffen (vgl. BVerfGE 35, 263 <274>; 40, 272 <275>; 67, 43 <58>; 84, 34 <49>; stRspr). Das Maß dessen, was wirkungsvoller Rechtsschutz ist, bestimmt sich entscheidend auch nach dem sachlichen Gehalt des als verletzt behaupteten Rechts (vgl. BVerfGE 60, 253 <297>), hier des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit und des Freiheitsgrundrechts. Die verfahrensrechtlichen Anforderungen an die Sachverhaltsaufklärung haben dem hohen Wert dieser Rechte Rechnung zu tragen (vgl. zu den Anforderungen an einen wirkungsvollen Rechtsschutz im Zusammenhang mit Art. 2 Abs. 2 GG BVerfGE 117, 71<106 f.>). Jedenfalls in Fällen, in denen es um die Beurteilung staatlicher Strafverfolgungsmaßnahmen als Bedrohung im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG geht, kommt der verfahrensrechtlichen Sachaufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) verfassungsrechtliches Gewicht zu. Die fachgerichtliche Verneinung einer Bedrohung im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG muss daher, solange ein politischer Charakter der Strafverfolgungsmaßnahmen nicht von vornherein auszuschließen ist, auf einer hinreichend verlässlichen, auch ihrem Umfang nach zureichenden tatsächlichen Grundlage beruhen.
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c) Diesen Anforderungen werden die tragenden Erwägungen des angegriffenen Urteils zur Verneinung einer vom Beschwerdeführer erlittenen politischen Verfolgung nicht gerecht. Das Verwaltungsgericht ist der Frage, ob die vom Beschwerdeführer dargelegte und unter Beweis gestellte Verurteilung durch das Staatssicherheitsgericht härter als diejenige zur Verfolgung ähnlicher nicht politischer Straftaten von vergleichbarer Gefährlichkeit (vgl. BVerfGE 80, 315 <338>) und damit eine Bedrohung im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG gewesen sein könnte, nicht im verfassungsrechtlich gebotenen Umfang nachgegangen.
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aa) Mit dem Gebot zureichender richterlicher Sachaufklärung nicht zu vereinbaren ist bereits, dass das Verwaltungsgericht es unterlassen hat, Feststellungen zum Vorliegen der strafrechtlichen Verurteilung zu treffen. In den Urteilsgründen findet sich hierzu lediglich die ungenügende Aussage, die Verurteilung sei "keineswegs frei von Zweifeln".
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(1) Wie die Verfassungsbeschwerde zu Recht ausführt, können aus dem Feststehen der Verurteilung wegen eines Staatsschutzdeliktes als solcher Schlüsse auf die Glaubhaftigkeit des Vorbringens zu deren politischem Charakter gezogen werden. Eine Bestätigung der vom Beschwerdeführer im Einzelnen dargelegten und unter Beweis gestellten Tatsache hätte insbesondere die vom Verwaltungsgericht gewonnene Auffassung, dass dessen Angaben zu Folter und Misshandlung während der Untersuchungshaft unglaubhaft seien, in Frage stellen und Anlass für eine andere Einschätzung der weiteren Aufklärungsmöglichkeiten, vor allem der mit dem ersten Beweisantrag angebotenen Zeugenvernehmung, geben können. Da das Verwaltungsgericht davon abgesehen hat, hierzu nachvollziehbare Feststellungen zu treffen, fehlt es an einer hinreichend verlässlichen Grundlage für die Beurteilung der Asylrelevanz der Strafverfolgungsmaßnahme.
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(2) Das Absehen von weiterer Sachaufklärung zum Vorliegen der strafrechtlichen Verurteilung war auch nicht aus der Erwägung heraus gerechtfertigt, dass das Klagevorbringen hierzu keinen tatsächlichen Anlass bot (vgl. dazu BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 12. Oktober 2000 - 2 BvR 941/99 -, juris Rn. 5). Der Beschwerdeführer hatte in der mündlichen Verhandlung hilfsweise beantragt, zum Beweis seiner Verurteilung und Inhaftierung ein Gutachten des EZKS oder einer anderen fachkundigen Stelle einzuholen, und damit eine weitere Aufklärungsmöglichkeit benannt. Diese durfte das Verwaltungsgericht nicht mit der Begründung übergehen, dass der Beschwerdeführer nicht in detailliierter Auseinandersetzung mit der hohen Beweiswert genießenden Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 23. Januar 2007 dargetan habe, warum an dessen Feststellungen Zweifel bestehen und eine andere Organisation bessere Erkenntnisse erbringen sollte. Die Auskunft des Auswärtigen Amtes enthielt nämlich zur behaupteten Verurteilung überhaupt keine Aussage, sondern befasste sich lediglich mit der Frage, ob ein vor dieser datiertes Schreiben echt sei.
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bb) Darüber hinaus entbehrt die hypothetische Annahme des Verwaltungsgerichts, bei unterstellter Verurteilung des Beschwerdeführers durch das Oberste Staatssicherheitsgericht zu zweieinhalb Jahren Gefängnis wegen Separatismus könne hierin keine politische Verfolgung gesehen werden, jeder tatsächlichen Grundlage.
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Bei einer strafrechtlichen Verurteilung durch ein syrisches Staatssicherheitsgericht bedurfte es einer Auseinandersetzung mit dem Einzelfall, um festzustellen, ob in der Anwendung der Strafgesetze durch das Gericht eine Maßnahme politischer Verfolgung zu erblicken war (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 12. Februar 2008 - 2 BvR 2141/06 -, NVwZ-RR 2008, S. 643 <644>). Das Verwaltungsgericht hätte erwägen und darlegen müssen, weshalb die Strafvorschrift als solche und nach der Strafverfolgungspraxis keinen Verfolgungscharakter aufweist, sowie Feststellungen dazu treffen müssen, dass die gegen den Betroffenen verhängte Strafe keine unverhältnismäßige, (auch) an asylerhebliche Merkmale anknüpfende Sanktion darstellt (vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 3. August 2006 - 1 B 20/06 -, juris Rn. 3). In diesem Zusammenhang wäre auch der Behauptung des Beschwerdeführers, er sei im Zuge der Ermittlungen gefoltert worden, als Indiz für das Bestehen eines "Politmalus" nachzugehen gewesen.
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Das Verwaltungsgericht hat ausweislich der Urteilsgründe keine dieser Erwägungen angestellt. Was die behauptete strafrechtliche Verurteilung angeht, hat es sich auf die - lediglich den Ausgangspunkt der gebotenen Befassung mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers bildende - Feststellung beschränkt, dass die Pönalisierung und Bestrafung hochverräterischen Verhaltens als solche keine politische Verfolgung darstelle. Auf die vom Beschwerdeführer vorgetragene Folter und Misshandlung ist es nur insoweit eingegangen, als seiner Auffassung nach die Einvernahme des früheren Anwalts des Beschwerdeführers hierzu keinen Erkenntnisgewinn bringen könne und die vorgelegten ärztlich-psychologischen Stellungnahmen insoweit keinen eindeutigen Aussagegehalt aufwiesen. Damit hat es seiner Aufklärungspflicht nicht genügt. Der Beschwerdeführer hatte klar zu erkennen gegeben, dass er einen Zusammenhang zwischen der Behandlung in der Haft und dem anschließenden Strafverfahren für gegeben erachte. Das Verwaltungsgericht hätte deshalb seinen Schilderungen über die erlittene Folter durch eigene Sachverhaltsermittlungen weiter nachgehen müssen. Da es hiervon abgesehen hat, entbehrt seine Wertung, dass die unterstellte Strafverfolgungsmaßnahme keinen politischen Charakter aufweise, jeder tatsächlichen Grundlage.
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3. Das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts beruht auf der Grundrechtsverletzung. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Verwaltungsgericht bei hinreichender Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Vorgaben zu einer anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Entscheidung gelangt wäre. Die Kammer hebt deshalb nach § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 12. Februar 2009 auf und verweist die Sache an das Verwaltungsgericht zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurück. Auf das Vorliegen der weiter gerügten Grundrechtsverletzungen kommt es nicht an.
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Der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 20. November 2009 wird damit gegenstandslos.
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III.
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Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 und Abs. 3 BVerfGG, die Festsetzung des Wertes des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit auf § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG (vgl. auch BVerfGE 79, 365 <366 ff.>).
Tenor
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 18. März 2013 – 23 K 6544/10.A – wird geändert. Der Bescheid der Beklagten vom 18. Januar 2010 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, die Klägerin als Asylberechtigte anzuerkennen und ihr die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylVfG zuzuerkennen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 vom Hundert des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 vom Hundert des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand:
2Die am 17. August 1990 geborene Klägerin ist angolanische Staatsangehörige katholischen Glaubens. Sie reiste nach ihren Angaben auf dem Luftweg in das Bundesgebiet ein und meldete sich am 29. Februar 2008 als Asylsuchende.
3In der Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) trug sie im Wesentlichen vor: Ihre Mutter sei bei ihrer Geburt gestorben, ihr Vater neun Jahre später. Seitdem habe sie bei ihrem Onkel, einem einfachen Berufssoldaten, in M. gelebt. Ihre Ausbildung an einer Fachhochschule für Gesundheit habe sie im Jahre 2006 abbrechen müssen, weil ihr Onkel diese nicht weiter habe finanzieren können. Zu ihrem 16. Geburtstag habe ihr Onkel ihre Verlobung mit dem General P. I. arrangiert. Da sie damit nicht einverstanden gewesen sei, sei sie im Juni oder Juli 2007 in die Sekte „D. F. “ geschickt worden, um ihren Widerstand zu brechen und ihre Beschneidung vorzubereiten. In einem unbeobachteten Moment habe sie durch eine geöffnete Tür fliehen können. Sie sei weglaufen und später von Unbekannten zu einer Mission gebracht worden. In katholischen Missionen sei sie versteckt mit Auto und Flugzeug über I1. nach M1. gebracht worden. Von dort sei sie nach Deutschland geflogen.
4Das Bundesamt lehnte es mit Bescheid vom 18. Januar 2010 ab, der Klägerin Asyl zu gewähren sowie die Flüchtlingseigenschaft und Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) festzustellen. Außerdem forderte es die Klägerin auf auszureisen und drohte ihr die Abschiebung nach Angola an. Der Bescheid wurde der Klägerin am 20. September 2010 zugestellt.
5Am 1. Oktober 2010 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie hat ergänzend vorgetragen, sie habe vergeblich von Deutschland aus versucht, Kontakt zu ihrem Zwillingsbruder aufzunehmen. In Angola habe sie niemanden mehr.
6Die Klägerin hat beantragt,
7die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 18. Januar 2010 zu verpflichten, sie als Asylberechtigte anzuerkennen sowie ihr die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen und festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz vorliegen,
8hilfsweise, die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des Bescheides zu verpflichten, festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2, Abs. 3 oder Abs. 7 Satz 2 Aufenthaltsgesetz besteht,
9weiter hilfsweise, die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des Bescheides zu verpflichten, festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz besteht.
10Die Beklagte hat beantragt,
11die Klage abzuweisen.
12Mit dem angefochtenen Urteil hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Der Senat hat die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts durch Beschluss vom 3. Juli 2013 zugelassen. Zur Begründung hat die Klägerin im Wesentlichen auf ihren bisherigen Vortrag Bezug genommen und ergänzt, die Zwangsverlobung habe von vornherein nicht in eine Ehe münden sollen. Ziel sei nur gewesen, sie dem General zur Verfügung zu stellen. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat sie ihre Angaben weiter vertieft.
13Die Klägerin beantragt,
14das angefochtene Urteil aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 18. Januar 2010 zu verpflichten, sie als Asylberechtigte anzuerkennen und ihr die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylVfG zuzuerkennen,
15hilfsweise, ihr subsidiären Schutz nach § 4 AsylVfG zuzuerkennen,
16weiter hilfsweise, festzustellen, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG vorliegen.
17Die Beklagte beantragt,
18die Berufung zurückzuweisen.
19Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Verfahrensakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge (2 Hefte) Bezug genommen.
20E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
21Mit Einverständnis der Beteiligten konnte der Senat gemäß § 87 a Abs. 2 und 3 VwGO durch die Berichterstatterin als Einzelrichterin entscheiden.
22Die zulässige Berufung ist begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 18. Januar 2010 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 und Abs. 1 Satz 1 VwGO). Sie hat einen Anspruch darauf, dass die Beklagte sie als Asylberechtigte nach Art. 16 a Abs. 1 GG anerkennt (dazu I.) und ihr die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylVfG zuerkennt (dazu II.). Daher kann auch die Abschiebungsandrohung in Ziffer 4 des angefochtenen Bescheides keinen Bestand haben.
23Maßgebliche Rechtslage für die geltend gemachten Ansprüche der Klägerin ist gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG die im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung geltende. Dies sind u. a. die seit dem 1. Dezember 2013 geltenden §§ 3 ff. AsylVfG, welche die Richtlinie 2011/95/EU ins deutsche Recht umsetzen.
24I. Die Klägerin ist als Asylberechtigte gemäß Art. 16 a Abs. 1 GG anzuerkennen.
251. Nach dieser Vorschrift genießen politisch Verfolgte Asylrecht. Eine Verfolgung ist dann eine politische, wenn sie dem Einzelnen in Anknüpfung an seine politische Überzeugung, seine religiöse Grundentscheidung oder an für ihn unverfügbare Merkmale, die sein Anderssein prägen, gezielt Rechtsverletzungen zufügt, die ihn ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen. Voraussetzungen und Umfang des politischen Asyls sind wesentlich bestimmt von der Unverletzlichkeit der Menschenwürde.
26Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 4. Dezember 2012 – 2 BvR 2954/09 –, NVwZ 2013, 500 = juris, Rn. 24, vom 10. Juli 1989 – 2 BvR 502/86 u. a. –, BVerfGE 80, 315 = DVBl. 1990, 102 = juris, Rn. 38 ff., und vom 2. Juli 1980 – 1 BvR 147/80 u. a. –, BVerfGE 54, 341 = NJW 1980, 2641 = juris, Rn. 46.
27Zu den unverfügbaren Merkmalen im eben genannten Sinne zählt auch die Geschlechtszugehörigkeit.
28Vgl. VG Kassel, Urteil vom 26. März 2012 – 4 K 782/10.KS.A –, juris (Zwangsverheiratung); VG Stuttgart, Urteil vom 9. März 2006 – A 11 K 11112/04 –, juris, Rn. 26 f. (Verfolgung durch einen gewalttätigen Ehemann); VG Frankfurt, Urteil vom 23. August 2005 – 12 E 194/05.A –, juris, Rn. 12 (drohender Ehrenmord); VG Berlin, Urteil vom 3. September 2003 – 1 X 23.03 –, juris, Rn. 22 f. (Genitalverstümmelung); VG Aachen, Urteil vom 12. August 2003 – 2 K 1924/00.A –, juris, Rn. 49 (Genitalverstümmelung); VG Frankfurt, Urteil vom 29. August 2001 – 3 E 30495/98.A (2) –, NVwZ-RR 2002, 460 = juris, Rn. 41 (Genitalverstümmelung); VG München, Urteil vom 20. Juni 2001 – M 21 K 98.50394 –, juris, Rn. 92 ff. (Genitalverstümmelung).
29Die Rechtsverletzung, aus der der Asylbewerber seine Asylberechtigung herleitet, muss ihm gezielt, d. h. gerade in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale zugefügt worden sein. Hieran fehlt es regelmäßig bei Nachteilen, die jemand aufgrund der allgemeinen Zustände in seinem Herkunftsstaat zu erleiden hat, etwa infolge von Naturkatastrophen, Arbeitslosigkeit, einer schlechten wirtschaftlichen Lage oder infolge allgemeiner Auswirkungen von Unruhen, Revolutionen und Kriegen. Die in diesem Sinne gezielt zugefügte Rechtsverletzung muss von einer Intensität sein, die sich nicht nur als Beeinträchtigung, sondern als ausgrenzende Verfolgung darstellt, so dass der davon Betroffene gezwungen war, in begründeter Furcht vor einer ausweglosen Lage sein Heimatland zu verlassen und im Ausland Schutz zu suchen.
30Vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989 – 2 BvR 502/86 u. a. –, BVerfGE 80, 315 = DVBl. 1990, 102 = juris, Rn. 43 ff. m. w. N.
31Politische Verfolgung gemäß Art. 16 a Abs. 1 GG ist grundsätzlich staatliche Verfolgung. "Private" Handlungen können jedoch dann als "politische" Verfolgung im Sinne des Art. 16 a Abs. 1 GG anzusehen sein, wenn der Staat Einzelne oder Gruppen zu Verfolgungsmaßnahmen anregt oder derartige Handlungen unterstützt, billigt oder tatenlos hinnimmt und damit dem Betroffenen den erforderlichen Schutz versagt, weil er hierzu nicht willens oder nicht in der Lage ist. Anders liegt es, wenn die Schutzgewährung die Kräfte eines konkreten Staates übersteigt; jenseits der ihm an sich zur Verfügung stehenden Mittel endet seine asylrechtliche Verantwortlichkeit. Dabei ist zu berücksichtigen, dass keine staatliche Ordnungsmacht einen lückenlosen Schutz vor Unrecht und Gewalt zu garantieren vermag.
32Vgl. BVerfG, Urteile vom 23. Januar 1991 – 2 BvR 902/85 u. a. – BVerfGE 83, 216 = NVwZ 1991, 768 = juris, Rn. 44, vom 10. Juli 1989 – 2 BvR 502/86 u. a. –, BVerfGE 80, 315 = DVBl. 1990, 102 = juris, Rn. 40, 46 f., und vom 2. Juli 1980 – 1 BvR 147/80 u.a. –, BVerfGE 54, 341 = NJW 1980, 2641 = juris, Rn. 48.
33Für die Beurteilung der Frage, ob ein Schutzsuchender asylberechtigt ist, gelten unterschiedliche Maßstäbe je nachdem, ob er seinen Heimatstaat auf der Flucht vor eingetretener oder unmittelbar drohender politischer Verfolgung verlassen hat oder ob er unverfolgt in die Bundesrepublik Deutschland gekommen ist. Im erstgenannten Fall ist Asyl schon dann zu gewähren, wenn der Ausländer bei einer Rückkehr in seinen Heimatstaat vor erneuter Verfolgung nicht hinreichend sicher sein kann. Hat der Ausländer sein Heimatland jedoch unverfolgt verlassen, so kann sein Asylantrag nur Erfolg haben, wenn ihm aufgrund von Nachfluchttatbeständen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung droht.
34Vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989 – 2 BvR 502/86 u. a. –, BVerfGE 80, 315 = DVBl. 1990, 102 = juris, Rn. 67 ff.; BVerwG, Urteil vom 22. November 2011 – 10 C 29.10 –, BVerwGE 141, 161 = NVwZ 2012, 1042 = juris, Rn. 24.
35Asyl nach Art. 16 a Abs. 1 GG wird nicht gewährt, wenn für den Betroffenen eine inländische Fluchtalternative in anderen Landesteilen existiert. Dies setzt voraus, dass er in den in Betracht kommenden Gebieten vor politischer Verfolgung hinreichend sicher ist und ihm jedenfalls dort auch keine anderen Nachteile und Gefahren drohen, die nach ihrer Intensität und Schwere einer asylerheblichen Rechtsgutbeeinträchtigung aus politischen Gründen gleichkommen und am Herkunftsort so nicht bestünden. Der Asylsuchende kann auch dann auf eine inländische Fluchtalternative verwiesen werden, wenn er dort in anderer Weise als durch politische Verfolgung existenziell gefährdet wäre und eine gleichartige existenzielle Gefährdung auch am Herkunftsort bestände. In einem solchen Fall liegt nämlich nicht in einer am Herkunftsort drohenden politischen Verfolgung, sondern in der auch in anderen Landesteilen drohenden sonstigen existenziellen Gefährdung der eigentliche Grund dafür, dass außerhalb des für die Schutzgewährung in erster Linie zuständigen Herkunftsstaates Schutz gesucht wird. Das Fehlen des wirtschaftlichen Existenzminimums am Ort einer inländischen Fluchtalternative ist also nur asylerheblich, wenn es verfolgungsbedingt ist.
36Vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. Juli 2003 – 2 BvR 32/03 –, DVBl. 2004, 111 = juris, Rn. 2 f.; BVerwG, Urteil vom 9. September 1997 – 9 C 43.96 –, BVerwGE 105, 204 = DVBl. 1998, 274 = juris, Rn. 26.
37Es ist Sache des Asylbewerbers, die Gründe für seine Furcht vor politischer Verfolgung schlüssig vorzutragen. Dazu hat er unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei verständiger Würdigung ergibt, dass ihm in seinem Heimatstaat politische Verfolgung droht. Hierzu gehört, dass der Asylbewerber die in seine Sphäre fallenden Ereignisse, insbesondere seine persönlichen Erlebnisse, so schildert, dass der behauptete Asylanspruch davon lückenlos getragen wird. Das Gericht muss beurteilen, ob eine solche Aussage des Asylbewerbers glaubhaft ist. Dies gehört zum Wesen der richterlichen Rechtsfindung, vor allem der freien Beweiswürdigung. Bei der Bewertung der Stimmigkeit des Sachverhalts sind u. a. Persönlichkeitsstruktur, Wissensstand und Herkunft des Asylbewerbers zu berücksichtigen.
38Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 3. August 1990– 9 B 45.90 –, Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 225 = juris, Rn. 2, vom 26. Oktober 1989– 9 B 405.89 –, InfAuslR 1990, 38 = juris, Rn. 8, und vom 21. Juli 1989 – 9 B 239.89 –, InfAuslR 1989, 349 = juris, Rn. 3 f.
392. Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe ist die Klägerin aufgrund der besonderen Umstände ihres Einzelfalls als Asylberechtigte anzuerkennen. Das Gericht glaubt der Klägerin ihr Vorbringen (dazu a)). Sie ist wegen ihres Geschlechts von Privaten verfolgt worden und ihr droht bei einer Rückkehr erneut politische Verfolgung im Sinne des Art. 16 a Abs. 1 GG (dazu b)). Diese Verfolgung ist dem angolanischen Staat zuzurechnen (dazu c)). Der Klägerin stand keine inländische Fluchtalternative in Angola zur Verfügung (dazu d)). Art. 16 a Abs. 2 GG steht dem Asylanspruch nicht entgegen (dazu e)).
40a) Das Gericht hält den Vortrag der Klägerin für insgesamt glaubhaft. Diese hat in der mündlichen Verhandlung detailliert, in sich schlüssig und sichtlich emotional berührt ihr Schicksal geschildert. Ihre Aussagen passen in den wesentlichen Punkten zu ihren bisherigen Angaben in der Anhörung vor dem Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht sowie zu den Erkenntnissen des Senats über Angola.
41Der Senat geht von folgendem Sachverhalt aus: Zunächst wurde die Klägerin an ihrem 16. Geburtstag ohne ihre Zustimmung von ihrem Onkel, einem einfachen Berufssoldaten, nach einer sogenannten Verlobungsfeier dem General P. I. , dem Vorgesetzten des Onkels, der Sache nach überlassen, blieb aber weiter bei ihrem Onkel wohnen. Der General wollte die Klägerin nicht heiraten. Die angebliche Verlobung diente ihm vielmehr als Vorwand, sie gegen ihren Willen immer wieder, auch über Nacht, mitzunehmen und nach Belieben über sie zu verfügen.
42Die Angaben der Klägerin über ihre sogenannte Verlobung decken sich mit den Erkenntnissen des Senats zu Angola. Dort werden innerhalb des Landes Frauen und Mädchen zum Zwecke der gewerbsmäßigen sexuellen Ausbeutung gehandelt.
43Vgl. Bundesamt, Geschlechtsspezifische Verfolgung in ausgewählten Herkunftsländern, April 2010, S. 52.
44Die Klägerin sollte zwar keiner gewerbsmäßigen Prostitution nachgehen, aber dem General persönlich zu sexuellen Zwecken zur Verfügung stehen. Unabhängig davon, ob das Ansinnen, die Klägerin dem General zu überlassen, vom General oder vom Onkel der Klägerin ausging, erscheint plausibel, dass ein einfacher Berufssoldat mit Geldnöten sich seinem Vorgesetzten insoweit nicht widersetzt, zumal es nicht um seine eigene Tochter ging und er offenbar keine Skrupel hatte, seine Nichte zu verkaufen.
45Die Klägerin, die regelmäßig den katholischen Gottesdienst besuchte, erzählte dem Priester ihrer Gemeinde von den Vorfällen. Nachdem dieser ihren Onkel zur Rede gestellt hatte, verbot der Onkel der Klägerin, weiter zur Kirche zu gehen. Als der General die Abneigung der Klägerin gegen ihn bemerkte, ließ er sie in eine geschlossene Sekte außerhalb der Stadt verbringen. Die Klägerin sollte dort zunächst durch „Beten“ gefügig gemacht werden. Außerdem war geplant, sie nach Ablauf einiger Monate zu beschneiden. Berücksichtigt man, dass eine Heirat ohnehin nicht beabsichtigt war, der General sie immer wieder abgeholt hat, wenn er in M. war, und sie dann einige Zeit, auch über Nacht, mit ihm verbringen musste, erklärt sich auch ihre Aussage in der Anhörung vor dem Bundesamt (Seite 5 des Protokolls), die Beschneidung habe verhindern sollen, dass sie mit einem anderen Mann schlafe, wenn der General nicht in M. gewesen sei: Der General wollte die Klägerin wie einen persönlichen Besitz für sich allein beanspruchen und drohte mit einer Genitalverstümmelung, um dieses Ziel durchzusetzen. Außerdem bedrohte er sie mit dem Tod, sollte sie sich weigern, sich auf ihn einzulassen.
46Die Aussagen der Klägerin zur geplanten Genitalverstümmelung stimmen mit den Berichten überein, nach denen in seltenen Fällen weibliche Genitalverstümmelung in den östlichen Provinzen von Angola bzw. in abgelegenen Gegenden praktiziert wird.
47Vgl. United States Department of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2012, zu Angola, S. 30; United Kingdom Border Agency, Country of Origin Information Report, Angola, 1. September 2010, S. 50.
48M. , der Wohnsitz des Onkels der Klägerin und der Ort der Sekte, liegt im Osten von Angola.
49Die Klägerin wurde während des Aufenthaltes bei der Sekte krank. Da sie geschwächt war, wurde sie nicht mehr so streng bewacht wie vorher. Dabei gelang ihr in einem unbeobachteten Moment die Flucht. Da sie einen speziellen Kittel der Sekte trug, war sie ohne Weiteres als Sektenangehörige erkennbar. Menschen, die der Klägerin außerhalb des Areals der Sekte begegneten, brachten sie auf ihren Wunsch zu einer katholischen Gemeinde. Dort traf sie den Priester ihrer Heimatgemeinde, der bereits nach ihr gesucht hatte, nachdem sie nicht mehr zur Kirche gekommen war. Er organisierte eine Fahrt mit dem Auto und Begleitern nach I1. , von wo aus die Klägerin nach M1. flog. Dort wurde sie von den dortigen katholischen Missionen aufgenommen, die schließlich den Flug der Klägerin nach Deutschland organisierten. Auf diesem Flug begleitete sie eine angolanische Familie.
50Gegen die Glaubhaftigkeit der Angaben der Klägerin sprechen insbesondere nicht ihre Aussagen zum Zeitablauf ihres Schulbesuchs. Die Klägerin hat in der Anhörung erklärt, sie sei mit 6 Jahren eingeschult worden. Da die Schule nach den Angaben der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht im Januar beginnt und da die Klägerin im August 1996 6 Jahre alt geworden ist, muss ihr Schulbesuch im Januar 1997 begonnen haben. Sie hat in der Anhörung vor dem Bundesamt, in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht und in der mündlichen Verhandlung des Senats angegeben, sie sei 8 Jahre lang zur Schule gegangen. Dies muss etwa bis zum Januar 2006 gewesen sein. Damals war die Klägerin 15 Jahre alt. Anschließend hat sie die gesundheitstechnische Schule in M. etwa drei Monate lang besucht, bis ihr Onkel nicht mehr gezahlt hat. Dies kann zeitlich ohne Weiteres vor ihrem 16. Geburtstag am 17. August 2006 erfolgt sein, an dem ihr Onkel sie aus finanziellen Gründen verkauft hat. Soweit im Erstgespräch beim Jugendamt der Stadt E. am 7. März 2008 protokolliert wurde, die Klägerin habe 11 Jahre lang eine Schule besucht, hat die Klägerin dies mit einem Missverständnis erklärt. Im Hinblick darauf, dass ihre Angaben glaubhaft sind und die Klägerin damals erst kurz in Deutschland war, so dass sie die deutschen Angaben mangels Sprachkenntnissen nicht selbst überprüfen konnte, ist dies plausibel, zumal damals ausweislich des Protokolls keine Rückübersetzung erfolgte.
51b) Die Klägerin ist wegen ihrer Geschlechtszugehörigkeit verfolgt worden. Ihre Menschenwürde ist grob missachtet worden, indem sie als Frau zum Handelsobjekt herabgewürdigt worden ist. Außerdem ist mit der angekündigten Genitalverstümmelung auch ihr Recht auf körperliche Unversehrtheit bedroht worden. Beides erfolgte in Anknüpfung an ihre Geschlechtszugehörigkeit. Der General, der nach den Angaben der Klägerin immer junge Frauen suchte, nur eine Zeitlang mit einer Frau zusammen war und ihrer dann wohl überdrüssig wurde, war an der Klägerin nur interessiert, weil sie eine Frau war und weil sie jung war. Auf diese Weise wurde die Klägerin als sozial minderwertiges Wesen ohne eigene Rechte behandelt und aus der übergreifenden Friedensordnung des Staates ausgegrenzt. Indem der General ihr die Genitalverstümmelung ankündigte und diese plante, um zu verhindern, dass sie mit anderen Männern als mit ihm schläft, reduzierte er sie auf ein bloßes Sexualobjekt.
52Vgl. zur drohenden Beschneidung bei Männern als asylrelevanter Verfolgung BVerwG, Urteil vom 5. November 1991 – 9 C 118.90 –, BVerwGE 89, 162 = NVwZ 1992, 582 = juris, Rn. 10: „…ergibt sich in rechtlicher Hinsicht, dass der Kläger politisch Verfolgter im Sinne des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG ist, weil ihm bei einer Rückkehr in die Türkei mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr droht, während des Wehrdienstes zwangsbeschnitten zu werden.“ und Rn. 13: „Es kann weiterhin auch nicht zweifelhaft sein, dass eine gegen den Willen des Betroffenen durchgeführte Beschneidung ihrer Intensität nach einen asylrechtlich erheblichen Eingriff in seine physische und psychische Integrität darstellt. Das Berufungsgericht führt in dieser Hinsicht zu Recht aus, dass - abgesehen von dem körperlichen Eingriff - der von einer Zwangsbeschneidung Betroffene unter Missachtung seines religiösen und personalen Selbstbestimmungsrechts zum bloßen Objekt erniedrigt wird.“
53Durch die Bedrohung mit dem Tod war auch das Recht der Klägerin auf Leben gefährdet. Auch dies hängt unmittelbar mit ihrer Verfolgung als Frau zusammen. Der General nahm es der Klägerin nach ihren glaubhaften Angaben persönlich übel, dass sie ihn ablehnte, und drohte ihr deshalb mit dem Tod. Dabei handelte es sich nicht nur um einen privaten kriminellen Racheakt ohne politische Motive. Die Todesdrohung ist hier vielmehr vor dem Hintergrund der sie begleitenden politischen Verfolgung wegen des Geschlechts zu sehen. Ohne diese hätte der General die Klägerin nicht mit dem Tod bedroht. Bei lebensnaher Betrachtung ist davon auszugehen, dass die Todesdrohung sich nicht durch die Ausreise der Klägerin und eine mehrjährige Abwesenheit im Ausland erledigt hat. Denn der General hatte bereits nach der Klägerin suchen lassen, nachdem sie aus der Sekte entkommen war. Er hatte für sie bezahlt und wollte sich die Gegenleistung nicht entgehen lassen. Außerdem dürfte er es in seiner Stellung als hoher Vertreter des Militärs gewohnt sein, seine Interessen und Ziele durchzusetzen, und war beleidigt wegen der Flucht der Klägerin. Es erscheint plausibel, dass er seine Rache auch aus Gründen der Machtdemonstration in jedem Fall durchzusetzen versucht. Die vorverfolgt ausgereiste Klägerin wäre bei einer Rückkehr nach Angola aus diesen Gründen nicht hinreichend sicher vor erneuter Verfolgung wegen ihres Geschlechts, zumindest in Form der Bedrohung mit dem Tod.
54c) Diese Verfolgung ist dem angolanischen Staat zuzurechnen. Dieser ist entweder nicht in der Lage oder nicht willens, der Klägerin Schutz zu bieten. Wenn die Klägerin sich an die Polizei oder Gerichte gewandt hätte, wäre nicht zu erwarten gewesen, dass sie als Waise von dort effektive Hilfe gegen ihren Onkel als ihren Betreuer und gegen den General als einen hohen Vertreter des Militärs, dem als solchen wesentlich mehr gesellschaftliche und finanzielle Einflussmöglichkeiten zustehen dürften als der Klägerin, erhält. Dies ergibt sich aus Folgendem:
55Kindesmissbrauch („child abuse“) ist weit verbreitet und von den angolanischen Behörden weitgehend toleriert. Insbesondere schutzbedürftige Kinder („vulnerable children“) wie Waisen laufen Gefahr, von ihren Betreuern missbraucht zu werden. Die angolanische Regierung verfügt über keine Strategie, um solche Kinder zu schützen. Sexuelle Beziehungen zwischen Erwachsenen und Kindern zwischen 12 und 18 Jahren sind zwar als sexueller Missbrauch strafbewehrt. Eingeschränkte Ermittlungsmöglichkeiten und ein unzureichendes Justizsystem verhindern jedoch in den meisten Fällen eine Strafverfolgung.
56Vgl. United States Department of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2012, zu Angola, S. 32 f.; Bundesamt, Geschlechtsspezifische Verfolgung in ausgewählten Herkunftsländern, April 2010, S. 51.
57Häusliche Gewalt gegenüber Frauen ist verbreitet und allgegenwärtig. Sie ist nicht illegal. Trotzdem wird sie gelegentlich als Vergewaltigung, Beleidigung oder Körperverletzung verfolgt.
58Vgl. Bundesamt, Geschlechtsspezifische Verfolgung in ausgewählten Herkunftsländern, April 2010, S. 51; UK Border Agency, Country of Origin Information Report, Angola, 1. September 2010, S. 49.
59Die meisten Fälle häuslicher Gewalt werden von den betroffenen Frauen jedoch nicht angezeigt. Dies geschieht wegen des den Behörden grundsätzlich entgegengebrachten starken Misstrauens und der unangemessenen Einstellung der Polizei zu Fällen häuslicher Gewalt. Die Anzeige eines solchen Falles würde für die betreffende Frau einen sie frustrierenden, beschämenden und zeitraubenden Vorgang darstellen. Zudem sind Richter häufig nachsichtig, wenn es um die Verurteilung eines Mannes geht, der sich der Gewalt gegenüber einer Frau schuldig gemacht hat.
60Vgl. Bundesamt, Geschlechtsspezifische Verfolgung in ausgewählten Herkunftsländern, April 2010, S. 51 f.
61Verfahrensrechte laufen aufgrund des materiell schlecht ausgestatteten, langsam arbeitenden und korruptionsanfälligen Justizsystems vielfach leer. Der Justizweg ist allenfalls eingeschränkt gewährleistet. Ermittlungsbehörden und Polizei sind überlastet, unterbezahlt, ineffektiv und korruptionsanfällig.
62Vgl. Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Angola vom 26. Juni 2007, S. 6; United States Department of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2012, zu Angola, S. 9; United Kingdom Border Agency, Country of Origin Information Report, Angola, 1. September 2010, S. 28; nach den Informationen von Dalichau, Angola: Ungelöste innenpolitische Herausforderungen, Juni 2011, S. 4, gehört der Perzeptionsindex für Korruption zu den höchsten der Welt.
63Da der angolanische Staat nach diesen Auskünften schon für den Regelfall einer Misshandlung einer jungen Frau durch ihre Familie bzw. einen hohen Militärangehörigen keinen wirksamen Schutz zur Verfügung stellt, entlastet es ihn nicht, dass kein Staat der Welt lückenlosen Schutz vor politischer Verfolgung durch Private bieten kann.
64d) Der Klägerin stand keine inländische Fluchtalternative in anderen Landesteilen von Angola zur Verfügung. Es ist bei lebensnaher Betrachtung davon auszugehen, dass der General als hoher Vertreter des Militärs im Hinblick auf seine gesellschaftliche Stellung und die allgegenwärtige Korruption im Land die Möglichkeit hat und diese nutzen würde, die Klägerin mit Hilfe des Militärs oder anderer Beziehungen auch in anderen Teilen von Angola ausfindig zu machen, um sich an ihr zu rächen. Er hatte bereits nach ihr suchen lassen, während sie in M1. bei den katholischen Missionen versteckt war.
65Unabhängig davon könnte die Klägerin als alleinstehende Frau ohne Unterstützung einer Familie ihren Lebensunterhalt nicht in zumutbarer Weise sichern. Der größere Teil der angolanischen Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze.
66Vgl. Die Zeit: „Auf nach Afrika!“ vom 18. April 2013: über die Hälfte; taz: „Je reicher das Land, desto mächtiger der Chef“ vom 5. April 2012: Zwei Drittel leben unterhalb der absoluten Armutsgrenze von 2 Dollar am Tag; ebenso Dalichau: „Angola: Ungelöste innenpolitische Herausforderungen“ von Juni 2011, S. 3; Der Spiegel: „Die Revolution ist beerdigt“ vom 15. Juni 2009; Spiegel online: „Mit Hühnern gegen Raubtierkapitalismus“ vom 29. März 2009; Le Monde diplomatique: „Reiches Land mit armen Leuten“ vom 9. Mai 2008.
67Die Lebenshaltungskosten in Angola und insbesondere in der Hauptstadt M1. sind extrem hoch. Insbesondere, wenn kein familiärer Rückhalt besteht, der zumindest für den Beginn Unterstützung gewährt, ist es zum Teil äußerst schwierig, wenn nicht sogar ausgeschlossen (abhängig von den persönlichen Fähigkeiten/Verhältnissen), „Fuß zu fassen“.
68So die Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Verwaltungsgericht Wiesbaden vom 22. September 2009.
69Das Fehlen des wirtschaftlichen Existenzminimums in anderen Landesteilen von Angola ist hier auch asylerheblich, weil es verfolgungsbedingt ist. Die asylrechtlich relevante Verfolgung der Klägerin hatte ihren Ursprung darin, dass ihr Onkel sie dem General zur Verfügung stellte, u. a. zur sexuellen Ausbeutung. Daher ist es ihr unzumutbar, zu ihrem Onkel zurückzukehren. Zu dem einzigen anderen Familienangehörigen der Klägerin in Angola, ihrem Zwillingsbruder, hat sie keinen Kontakt mehr, weil sie seinen Aufenthalt nicht mehr kennt. Die Klägerin verfügt zwar über eine 8-jährige angolanische Schulbildung und ist nach ihren Aussagen in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat dabei, ihren Realschulabschluss zu erwerben. Auch spricht sie ziemlich gut Deutsch. Allerdings verfügt sie nicht über eine Berufsausbildung. Wenn sie nach Angola zurückkehrte, ist ohne familiäre Unterstützung und ohne gesicherte Anlaufstelle nicht ersichtlich, wie sie in ihrem besonderen Einzelfall ihren Lebensunterhalt, gerade in der ersten Zeit nach der Rückkehr, in zumutbarer Weise sichern könnte.
70e) Art. 16 a Abs. 2 GG, § 26 a AsylVfG stehen dem Asylanspruch der Klägerin nicht entgegen. Danach erhält kein Asyl, wer aus einem sicheren Drittstaat eingereist ist. Dazu zählen alle an Deutschland angrenzenden Staaten, so dass Asyl für diejenigen ausgeschlossen ist, die auf dem Landweg einreisen.
71Das Gericht geht davon aus, dass die Klägerin auf dem Luftweg nach Deutschland gekommen ist. Sie hat glaubhaft geschildert, wie sie von M1. mit einer südafrikanischen Fluglinie und einem Zwischenstopp in Afrika nach Deutschland geflogen ist. Dass der Zwischenstopp in Afrika stattfand, ergibt sich für das Gericht aufgrund der glaubhaften Angaben der Klägerin, dass die Menschen auf diesem Flughafen afrikanisch gewesen seien. Aufgrund der hier vorliegenden besonderen Umstände des Einzelfalles macht es ihr Vorbringen nicht unglaubhaft, dass sie ihren Pass, den Namen, auf den dieser Pass ausgestellt war, und die Sitznummer im Flugzeug nicht kannte. Ebenso wenig ist ihr vorzuhalten, dass sie nicht bereits auf dem deutschen Ankunftsflughafen Asyl beantragt hat. Denn die Klägerin war wegen ihrer persönlichen Situation damals kaum in der Lage, die konkrete Ausgestaltung der Flucht nach Deutschland selbst in die Hand zu nehmen. Sie verließ sich vielmehr auf ihre erwachsenen Reisebegleiter: Die Klägerin war bei der Ausreise aus Angola 17 Jahre alt. Sie hatte bis zu ihrer Flucht nie ohne ihre Familie gelebt und ihr Leben nie völlig selbstständig organisiert. Sie reiste zum ersten Mal aus Angola aus. Sie war ganz auf sich allein gestellt, nachdem ihr Onkel sie verkauft und sie keinen Kontakt mehr zu ihrem Zwillingsbruder hatte. Sie war von den vorangegangenen Ereignissen emotional beeinträchtigt. Die katholische Mission hatte ihre Ausreise zusammen mit einer Familie organisiert, an die sie sich halten sollte. Ihren Pass hatte der Vater dieser Familie, der sie sich angeschlossen hatte. Sie folgte daher deren Anweisungen, als sie am Flughafen von einem Mann mit einem Auto abgeholt wurden und als sie sich in C. in einem bestimmten Büro melden sollte. Dabei ging sie davon aus, dass die Familie, wie angekündigt, folgen würde, und wartete vergeblich auf diese. In einer solchen Situation ist es nachvollziehbar, dass die Klägerin nicht alle Einzelheiten ihrer Ausreise wiedergeben konnte.
72II. Der Klägerin steht auch Flüchtlingsschutz nach § 3 Abs. 1 AsylVfG zu.
731. Nach dieser Vorschrift ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.
74Gemäß § 3 a Abs. 1 Nr. 1 und 2 AsylVfG gelten Handlungen als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist. Nach § 3 a Abs. 2 AsylVfG können als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 u. a. folgende Handlungen gelten: die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt (Nr. 1) sowie Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen (Nr. 6). Nach § 3 b Abs. 1 Nr. 4 Teilsatz 1 AsylVfG gilt eine Gruppe insbesondere dann als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn die Mitglieder dieser Gruppe u. a. angeborene Merkmale gemein haben und die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der die umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird. Eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe kann auch dann vorliegen, wenn sie allein an das Geschlecht anknüpft (§ 3 b Abs. 1 Nr. 4 Teilsatz 4 AsylVfG).
75Akteure, von denen Verfolgung ausgehen kann, sind gemäß § 3 c AsylVfG der Staat (Nr. 1), Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (Nr. 2) oder nichtstaatliche Akteure, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3 d AsylVfG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (Nr. 3). Schutz vor Verfolgung kann nach § 3 d Abs. 1 AsylVfG nur geboten werden vom Staat (Nr. 1) oder von Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, sofern sie willens und in der Lage sind, Schutz gemäß Absatz 2 zu bieten (Nr. 2). Nach Absatz 2 Satz 1 der Vorschrift muss der Schutz vor Verfolgung wirksam und nicht nur vorübergehender Art sein. Generell ist ein solcher Schutz gewährleistet, wenn die in Absatz 1 genannten Akteure geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, und wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat (§ 3 d Abs. 2 Satz 2 AsylVfG).
76Gemäß § 3 e Abs. 1 AsylVfG wird einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3 d hat (Nr. 1) und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (Nr. 2).
77Bei der Prüfung der Flüchtlingseigenschaft ist der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen, unabhängig von der Frage, ob der Ausländer vorverfolgt ausgereist ist oder nicht. Die Privilegierung des Vorverfolgten bzw. in anderer Weise Geschädigten erfolgt durch die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU, nicht durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Nach dieser Vorschrift besteht eine tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadensstiftenden Umstände bei der Rückkehr erneut realisieren werden. Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften. Dies ist im Rahmen freier Beweiswürdigung zu beurteilen. Die bereits erlittener Verfolgung gleichzustellende unmittelbar drohende Verfolgung setzt eine Gefährdung voraus, die sich schon so weit verdichtet hat, dass der Betroffene für seine Person ohne Weiteres mit dem jederzeitigen Verfolgungseintritt aktuell rechnen muss.
78Vgl. BVerwG, Urteil vom 22. November 2011– 10 C 29.10 –, BVerwGE 141, 161 = NVwZ 2012, 1042 = juris, Rn. 23 ff.; OVG NRW, Urteil vom 17. August 2010 – 8 A 4063/06.A –, juris, Rn. 35 ff. m. w. N. (jeweils zur entsprechenden Vorschrift des Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG).
792. Die Klägerin ist aus den unter I. 2. genannten Gründen aufgrund der Besonderheiten ihres Einzelfalls als junge, unverheiratete und elternlose Minderjährige wegen ihrer Zugehörigkeit zum weiblichen Geschlecht verfolgt worden. Ihr „Verkauf“ an den General ist unauflöslich mit sexueller Gewalt und Ausbeutung verbunden. Er zielt auf den Genderstatus der Frau, ihr Alter, Geschlecht, ihre wirtschaftliche und soziale Stellung wie auch ihre sexuelle Verwertbarkeit zu wirtschaftlichen Zwecken.
80Vgl. Marx, Furcht vor Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (Art. 10 I Bst. d RL 2004/83/EG), ZAR 2005, 177 (184); zur geschlechtsspezifischen Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG; Hess. VGH, Urteil vom 23. März 2005 – 3 UE 3457/04.A –, NVwZ-RR 2006, 504 = juris, Rn. 38 ff., 43 ff. (Genitalverstümmelung); VG Gelsenkirchen, Urteil vom 18. Juli 2013 – 5a K 4418/11.A –, juris, Rn. 62 ff. (Zwangsverheiratung); VG Magdeburg, Urteil vom 18. September 2012 – 5 A 182/11 MD –, juris (Zwangsverheiratung); VG Kassel, Urteil vom 26. März 2012 – 4 K 782/10.KS.A –, juris, (Zwangsverheiratung); VG Würzburg, Urteil vom 19. September 2005 – W 8 K 04.30919 –, juris, Rn. 13 (Zwangsprostitution); Ziffer 60.1.2 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz vom 26. Oktober 2009 nennt als Beispiele für an das Geschlecht anknüpfende Verfolgungshandlungen drohende Genitalverstümmelung und Fälle schwerer häuslicher Gewalt; siehe auch Treiber, in: GK-AufenthG, Stand: Jan. 2014, § 60 Rn. 187, nach dem die Gruppe der minderjährigen oder der unverheirateten Frauen eine soziale Gruppe darstellen kann.
81Unter Berücksichtigung der oben angeführten Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU für Vorverfolgte droht der Klägerin bei einer Rückkehr nach Angola mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit erneute Verfolgung, zumindest in Form der Bedrohung mit dem Tod durch den General. Stichhaltige Anhaltspunkte dafür, dass der General von seiner angekündigten Rache gegenüber der Klägerin Abstand nehmen könnte, sind nicht ersichtlich.
82Schutz vor dieser Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure im Sinne des § 3 c Nr. 3 AsylVfG ist vom angolanischen Staat nicht zu erwarten. Aus den oben genannten Gründen bietet der angolanische Staat keinen wirksamen und dauerhaften Schutz vor der Verfolgung im Sinne des § 3 d AsylVfG. Ein interner Schutz in anderen Teilen von Angola im Sinne von § 3 e AsylVfG besteht ebenfalls nicht, weil der General die Klägerin dort finden würde und – unabhängig davon – weil die Klägerin als alleinstehende Frau ohne Familienangehörige ihren Lebensunterhalt nicht in zumutbarer Weise sichern könnte.
83III. Die Feststellung in Nr. 3 des angefochtenen Bescheides, dass keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen, ist aufzuheben. Einer Entscheidung über die mit den Hilfsanträgen geltend gemachten Abschiebungsverbote bedarf es nach der Asylanerkennung und der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht (vgl. § 31 Abs. 3 Satz 2 AsylVfG).
84Vgl. OVG NRW, Urteil vom 17. August 2010– 8 A 4063/06.A –, juris, Rn. 117 ff.
85IV. Die Abschiebungsandrohung in Ziffer 4 des angefochtenen Bescheides war aufzuheben. Da die Klägerin als Asylberechtigte anzuerkennen ist und ihr die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist, darf eine Abschiebungsandrohung nach § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 AsylVfG nicht ergehen.
86Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 83 b AsylVfG. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
87Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen (§ 132 Abs. 2 VwGO).
(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.
(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.
(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.
(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.
(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.
(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.
(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.
(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.
(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.
(11) (weggefallen)
(1) Die oberste Landesbehörde kann aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird. Für einen Zeitraum von länger als sechs Monaten gilt § 23 Abs. 1.
(2) Die Abschiebung eines Ausländers ist auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Die Abschiebung eines Ausländers ist auch auszusetzen, wenn seine vorübergehende Anwesenheit im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen eines Verbrechens von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre. Einem Ausländer kann eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Soweit die Beurkundung der Anerkennung einer Vaterschaft oder der Zustimmung der Mutter für die Durchführung eines Verfahrens nach § 85a ausgesetzt wird, wird die Abschiebung des ausländischen Anerkennenden, der ausländischen Mutter oder des ausländischen Kindes ausgesetzt, solange das Verfahren nach § 85a nicht durch vollziehbare Entscheidung abgeschlossen ist.
(2a) Die Abschiebung eines Ausländers wird für eine Woche ausgesetzt, wenn seine Zurückschiebung oder Abschiebung gescheitert ist, Abschiebungshaft nicht angeordnet wird und die Bundesrepublik Deutschland auf Grund einer Rechtsvorschrift, insbesondere des Artikels 6 Abs. 1 der Richtlinie 2003/110/EG des Rates vom 25. November 2003 über die Unterstützung bei der Durchbeförderung im Rahmen von Rückführungsmaßnahmen auf dem Luftweg (ABl. EU Nr. L 321 S. 26), zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist. Die Aussetzung darf nicht nach Satz 1 verlängert werden. Die Einreise des Ausländers ist zuzulassen.
(2b) Solange ein Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Absatz 1 besitzt, minderjährig ist, soll die Abschiebung seiner Eltern oder eines allein personensorgeberechtigten Elternteils sowie der minderjährigen Kinder, die mit den Eltern oder dem allein personensorgeberechtigten Elternteil in familiärer Lebensgemeinschaft leben, ausgesetzt werden.
(2c) Es wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Zur Behandlung der Erkrankung erforderliche Medikamente müssen mit der Angabe ihrer Wirkstoffe und diese mit ihrer international gebräuchlichen Bezeichnung aufgeführt sein.
(2d) Der Ausländer ist verpflichtet, der zuständigen Behörde die ärztliche Bescheinigung nach Absatz 2c unverzüglich vorzulegen. Verletzt der Ausländer die Pflicht zur unverzüglichen Vorlage einer solchen ärztlichen Bescheinigung, darf die zuständige Behörde das Vorbringen des Ausländers zu seiner Erkrankung nicht berücksichtigen, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Einholung einer solchen Bescheinigung gehindert oder es liegen anderweitig tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, vor. Legt der Ausländer eine Bescheinigung vor und ordnet die Behörde daraufhin eine ärztliche Untersuchung an, ist die Behörde berechtigt, die vorgetragene Erkrankung nicht zu berücksichtigen, wenn der Ausländer der Anordnung ohne zureichenden Grund nicht Folge leistet. Der Ausländer ist auf die Verpflichtungen und auf die Rechtsfolgen einer Verletzung dieser Verpflichtungen nach diesem Absatz hinzuweisen.
(3) Die Ausreisepflicht eines Ausländers, dessen Abschiebung ausgesetzt ist, bleibt unberührt.
(4) Über die Aussetzung der Abschiebung ist dem Ausländer eine Bescheinigung auszustellen.
(5) Die Aussetzung der Abschiebung erlischt mit der Ausreise des Ausländers. Sie wird widerrufen, wenn die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe entfallen. Der Ausländer wird unverzüglich nach dem Erlöschen ohne erneute Androhung und Fristsetzung abgeschoben, es sei denn, die Aussetzung wird erneuert. Ist die Abschiebung länger als ein Jahr ausgesetzt, ist die durch Widerruf vorgesehene Abschiebung mindestens einen Monat vorher anzukündigen; die Ankündigung ist zu wiederholen, wenn die Aussetzung für mehr als ein Jahr erneuert wurde. Satz 4 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe durch vorsätzlich falsche Angaben oder durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit selbst herbeiführt oder zumutbare Anforderungen an die Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen nicht erfüllt.
(6) Einem Ausländer, der eine Duldung besitzt, darf die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht erlaubt werden, wenn
- 1.
er sich in das Inland begeben hat, um Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erlangen, - 2.
aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei ihm aus Gründen, die er selbst zu vertreten hat, nicht vollzogen werden können oder - 3.
er Staatsangehöriger eines sicheren Herkunftsstaates nach § 29a des Asylgesetzes ist und sein nach dem 31. August 2015 gestellter Asylantrag abgelehnt oder zurückgenommen wurde, es sei denn, die Rücknahme erfolgte auf Grund einer Beratung nach § 24 Absatz 1 des Asylgesetzes beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, oder ein Asylantrag nicht gestellt wurde.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des aufgrund des Urteils jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
1
Tatbestand:
2Der am 00.0.1994 geborene Kläger ist guineischer Staatsangehöriger und gehört der Volksgruppe der Kpèlè an. Er reiste nach eigenen Angaben im Januar 2012 mit dem Bus von Frankreich in die Bundesrepublik Deutschland.
3Der Kläger beantragte am 20. Januar 2012 seine Anerkennung als Asylberechtigter. Zur Begründung führte er zu seinem Verfolgungsschicksal in seiner Anhörung vom 26. Januar 2012 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) wie folgt aus:
4Er habe mit seiner Familie bis September 2011 in O. im Dorf T. gelebt. Seine Familie habe der Religion des Animismus angehört, die auch Rituale durchgeführt habe. Sein Großvater habe einen Gris-Gris gehabt, das die Familie habe schützen sollen. Dafür sei jeden Monat ein Lamm geschlachtet worden; andernfalls koste es ein Menschenleben. Bisweilen habe es fünf Menschenopfer gegeben. Ein Mal im Jahr seien Familienangehörige von außerhalb gekommen, um an der Schlachtung teilzunehmen. Er habe irgendwann auch initiiert werden sollen; in der Regel werde man mit 17 Jahren initiiert. Dafür gehe man in den Wald, wo man gefoltert und tätowiert werde.
5In seiner Werkstatt habe er einen Belgier namens S. L. kennengelernt, der sein Motorrad habe reparieren lassen. Dieser sei ein Zeuge Jehovas gewesen und habe ihm zwei Schriften hinterlassen. Sie hätten dann zusammen aus der Bibel gelesen und über die Bibel gesprochen. Er habe angefangen, seine Familie zu vernachlässigen und sich geweigert bei den Ritualen mitzumachen. Sein Großvater habe gesagt, wenn es ein Menschenopfer geben müsse, würde er ihn beim nächsten Ritual – mithin im Dezember 2011 – opfern. Er sei nach Conakry zu seinem Onkel gefahren, habe da aber nicht bleiben können. Der Onkel habe gesagt, er sei selbst so erzogen worden und würde das Ritual durchführen, wenn es an der Zeit sei. Daher sei er nach Casablanca geflogen, von wo aus er in einem Auto versteckt – möglicherweise auf einem Schiff – nach Frankreich gereist sei.
6Auf Nachfrage gab der Kläger an, ungefähr 2010 in Spanien Asyl beantragt zu haben; der Antrag sei aber abgelehnt worden. Er sei dann nach Guinea zurückgekehrt. In Conakry habe er sich einen Pass ausstellen lassen und sei kurz darauf wieder nach Europa gefahren. Die Probleme von denen er erzählt habe, hätten schon früher angefangen. S. L. habe er etwa 2010 kennengelernt.
7Das Ausländeramt der Kreisverwaltung L1. teile dem Bundesamt mit Schreiben vom 9. Februar 2012 die Anschrift „U.-----straße 1, in L2. “ als neue Adresse des Klägers mit.
8Mit Bescheid vom 4. Februar 2014 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter und die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nicht vorlägen. Zugleich forderte es den Kläger zur Ausreise auf und drohte die Abschiebung nach Guinea an.
9Am 6. Februar 2014 versuchte die Deutsche Post AG, den Bescheid an den Kläger unter der vorstehend genannten Adresse zuzustellen. Der Postbote vermerkte auf der Postzustellungsurkunde, dass der Kläger unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln gewesen sei (Bl. 80 Heft 1 der Beiakten). Die Beklagte bat die Ausländerbehörde in L1. , den Bescheid dem Kläger gegen Empfangsbekenntnis auszuhändigen. Am 18. Februar 2014 wurde dem Kläger der Bescheid übergeben.
10Am 24. Februar 2014 hat der Kläger beim Verwaltungsgericht Klage erhoben.
11Der Kläger trägt vor, dass er in der „U.-----straße 1b“ wohne. Der Zusteller hätte den offensichtlichen Fehler erkennen müssen, als er einen Bescheid des Bundesamtes an einen Mann offensichtlich ausländischer Herkunft im Haus „U.-----straße 1“ habe zustellen wollen, da dort keine Asylbewerber untergebrachten seien.
12Im Übrigen widerholt er im Wesentlichen seinen Vortrag aus der Anhörung. Ergänzend führt er aus, seinem Großvater Ende 2010 erklärt zu haben, dass er nicht mehr an der Initiation teilnehmen werde. Dieser habe ihm daraufhin erklärt, dass seine Verweigerung zu seinem Tod führen werde; sei es durch einen Zauber, sei es dadurch, dass er eines Nachts im Schlaf erwürgt werde. In Guinea sei sein Leben nicht mehr sicher. In Conakry lebten noch weitere Familienangehörige. Seine Herkunft werde aufgrund seiner Sprache überall bekannt werden.
13Der Kläger beantragt,
14die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes vom 4. Februar 2014 zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen und ihm die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylVfG zuzuerkennen,
15hilfsweise subsidiären Schutz nach § 4 AsylVfG zuzuerkennen,
16hilfsweise festzustellen, dass in der Person des Klägers Abschiebungsverbote nach § 60 Absatz 5 und 7 AufenthG bestehen.
17Die Beklagte beantragt,
18die Klage abzuweisen.
19Zur Begründung bezieht sie sich auf ihr Vorbingen aus dem Verwaltungsverfahren.
20Das Gericht hat mit Schreiben vom 15. September 2014 beim Ministerium für Inneres und Kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen (MIK) um Auskunft gebeten, ob gegenwärtig Planungen bestehen, für einzelne westafrikanische Staaten die Aussetzung von Abschiebungen anzuordnen. Das MIK hat diese Anfrage mit Schreiben vom 22. September 2014 dahingehend beantwortet, dass nach Mitteilung der Zentralstelle für Flugabschiebungen NRW (ZfA) derzeit keine Abschiebungen nach Guinea, Liberia und Sierra Leone anstünden.
21Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie den der beigezogenen Verwaltungsvorgänge ergänzend Bezug genommen.
22Entscheidungsgründe:
23Die Klage ist zulässig (vgl. I.), aber unbegründet (vgl. II.).
24I. Der Kläger hat die Klage rechtzeitig innerhalb der Klagefrist des § 74 Absatz 1 Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG) erhoben. Danach muss die Klage gegen Entscheidungen nach dem AsylVfG innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung der Entscheidung erhoben werden.
25Der streitgegenständliche Bescheid ist dem Kläger nicht schon am 6. Februar 2014, sondern erst am 18. Februar 2104 zugestellt worden. Der Bescheid der Beklagten war gemäß § 31 Absatz 1 Satz 2 AsylVfG dem seinerzeit nicht anwaltlich vertretenen Kläger persönlich zuzustellen, wobei die Beklagte von der in § 3 Verwaltungszustellungsgesetz (VwZG) vorgesehenen Zustellmöglichkeit mit Zustellungsurkunde Gebrauch gemacht hat. Der Versuch der Zustellung des Bescheides vom 6. Februar 2014 mittels Postzustellungsurkunde an die Adresse „U.-----straße 1, in L2. “ scheiterte, da der Kläger dort nicht ermittelt werden konnte. Insoweit regelt zwar § 10 Absatz 2 Satz 4 AsylVfG, dass die Zustellung als mit der Aufgabe zur Post bewirkt gilt, wenn eine Sendung dem Asylbewerber nicht zugestellt werden kann, selbst wenn die Sendung als unzustellbar zurückkommt. Diese Norm findet vorliegend aber keine Anwendung. Voraussetzung für den Eintritt dieser Fiktionswirkung ist, dass der erfolglose Zustellversuch ordnungsgemäß erfolgt ist.
26Hailbronner, Ausländerrecht, AsylVfG, 64. Aktualisierung Juni 2009, § 10, Rn. 43; Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, 91. Aktualisierung Mai 2011, § 10, Rn. 259.
27Dass ist vorliegend aber nicht der Fall, da der Kläger zu keiner Zeit unter der Zustellanschrift gewohnt hat. Darauf, dass der Zustellungsempfänger unter der Zustellungsanschrift wohnt, kann sich bereits die Beweiskraft der Zustellungsurkunde gemäß § 418 Zivilprozessordnung (ZPO) nicht erstrecken. Der Zustellungsurkunde kommt insoweit nur ein indizieller Charakter zu.
28Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Kammerbeschluss vom 3. Juni 1991 – 2 BvR 511/89 –, juris, Rn. 16 f.; Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, 91. Aktualisierung Mai 2011, § 10, Rn. 102 m.w.N.
29Diese wurde vorliegend aber widerlegt. Wie sich aus dem Schreiben des Oberbürgermeisters der Gemeinde L2. vom 3. September 2014 ergibt, hat das gemeindliche Übergangsheim, in dem der Kläger wohnt, die Anschrift „U.-----straße 1b“ (Bl. 31 d. Gerichtsakte). Die Mitteilung der Ausländerbehörde der Kreisverwaltung L1. vom 9. Februar 2012 ist daher unzutreffend gewesen, weshalb der Kläger diese Mitteilung auch nicht gemäß § 10 Absatz 2 Satz 1 AsylVfG gegen sich gelten lassen muss.
30Der Zustellungsmangel ist erst durch die am 18. Februar 2014 erfolgte erneute Zustellung – gegen Empfangsbestätigung durch die für den Kläger zuständige Ausländerbehörde – gemäß § 8 VwZG geheilt worden (Bl. 82 Heft 1 der Beiakten).
31Da die zweiwöchige Klagefrist demnach gemäß §§ 57 Absatz 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), 222 Absatz 1 ZPO und 187 Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) am 19. Februar 2014 zu laufen begann, endete sie gemäß §§ 57 Absatz 2 VwGO, 222 Absatz 1 ZPO, 188 Absatz 2 BGB erst mit Ablauf des 4. März 2014. Der Kläger hat bereits am 24. Februar 2014 Klage erhoben.
32II. Die Klage hat aber in der Sache keinen Erfolg. Der angegriffene Bescheid des Bundesamtes vom 4. Februar 2014 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Absatz 1 und 5 VwGO.
33Das Gericht entscheidet Asylstreitigkeiten nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (§ 77 Absatz 1 Satz 1 AsylVfG). Deshalb findet die seit dem 1. Dezember 2013 durch das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU vom 28. August 2013 (BGBl. I S. 3474) veränderte Rechtslage Anwendung. Der Kläger vermag auf dieser Grundlage mit Erfolg weder seine Anerkennung als Asylberechtigter noch die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylVfG begehren, denn er ist jedenfalls nicht politisch Verfolgter im Sinne der asylrechtlichen Vorschriften.
34Politisch Verfolgter ist, wer in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale, d.h. an seine politische Überzeugung, seine religiöse Grundentscheidung oder an andere Merkmale, die für ihn unverfügbar sind und die sein Anderssein prägen, gezielt Rechtsverletzungen ausgesetzt ist, die ihn ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen. Voraussetzungen und Umfang des politischen Asyls sind wesentlich bestimmt von der Unverletzlichkeit der Menschenwürde.
35BVerfG, Beschlüsse vom 4. Dezember 2012 – 2 BvR 2954/09 –, juris, Rn. 24, vom 10. Juli 1989 – 2 BvR 502/86 – juris, Rn. 38 ff., und vom 2. Juli 1980 – 1 BvR 147/80 –, juris, Rn. 46; Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Urteil vom 14. Februar 2014 – 1 A 1139/13.A –, juris, Rn. 23.
36Nach § 3 Absatz 1 AsylVfG ist einem Ausländer weiter die Flüchtlingseigenschaft im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) – Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) – zuzuerkennen, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Eine Verfolgung kann dabei gemäß § 3c AsylVfG ausgehen von einem Staat, Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschen oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die zuvor genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylVfG Schutz vor der Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht. Weiter darf für den Ausländer keine innerstaatliche Fluchtalternative bestehen, § 3e AsylVfG.
37Maßgeblich ist, ob der Asylsuchende bei der Rückkehr in sein Heimatland der Gefahr politischer Verfolgung ausgesetzt wäre, wobei auf den Sachstand im Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Tatsachenentscheidung abzustellen ist (§ 77 Absatz 1 Satz 1 AsylVfG). Hat der Ausländer sein Heimatland bzw. den Staat seines gewöhnlichen Aufenthaltes auf der Flucht vor eingetretener oder unmittelbar drohender politischer Verfolgung verlassen, besteht Anspruch auf Verfolgungsschutz bereits dann, wenn er bei einer Rückkehr vor erneuter Verfolgung nicht hinreichend sicher sein kann (herabgestufter Prognosemaßstab). Ist der Ausländer hingegen unverfolgt ausgereist, hat er einen Anspruch auf Schutz nur, wenn ihm aufgrund asylrechtlich beachtlicher Nachfluchttatbestände mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung droht (gewöhnlicher Prognosemaßstab),
38BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989 – 2 BvR 502/86 –, BVerfGE 80, 315 (344); Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteile vom 15. Mai 1990 – 9 C 17.89 –, BVerwGE 85, 139 (140) und vom 20. November 1990 – 9 C 74.90 –, InfAuslR 1991, 145 (146).
39Es ist Sache des Asylbewerbers, die Gründe für seine Furcht vor politischer Verfolgung schlüssig vorzutragen. Dazu hat er unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei verständiger Würdigung ergibt, dass ihm in seinem Heimatstaat politische Verfolgung droht. Hierzu gehört, dass der Asylbewerber die in seine Sphäre fallenden Ereignisse, insbesondere seine persönlichen Erlebnisse, so schildert, dass der behauptete Asylanspruch davon lückenlos getragen wird. Das Gericht muss dabei von der Wahrheit – nicht nur von der Wahrscheinlichkeit – des vom Asylsuchenden behaupteten individuellen Verfolgungsschicksals die volle Überzeugung gewinnen. Es muss beurteilen, ob eine solche Aussage des Asylbewerbers glaubhaft ist. Dies gehört zum Wesen der richterlichen Rechtsfindung, vor allem der freien Beweiswürdigung. Bei der Bewertung der Stimmigkeit des Sachverhalts sind u. a. Persönlichkeitsstruktur, Wissensstand und Herkunft des Asylbewerbers zu berücksichtigen.
40Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 3. August 1990 – 9 B 45.90 –, juris, Rn. 2, vom 26. Oktober 1989 – 9 B 405.89 –, juris, Rn. 8, und vom 21. Juli 1989 – 9 B 239.89 –, juris, Rn. 3 f.; OVG NRW, Urteil vom 14. Februar 2014 – 1 A 1139/13.A –, juris, Rn. 35.
41Ausgehend von diesen Grundsätzen führt das Begehren des Klägers nicht zum Erfolg. Es lässt sich nicht feststellen, dass der Kläger vor seiner Ausreise aus Guinea oder im Falle einer Rückkehr nach Guinea landesweit von politischer Verfolgung betroffen war bzw. bedroht sein würde.
42Das Gericht geht nach der ausführlichen Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung vielmehr davon aus, dass er sein Heimatland unverfolgt verlassen hat.
43Dahingestellt bleiben kann, ob das Vorbingen des Klägers glaubhaft gewesen ist, da es sich jedenfalls um keinen Fall politischer Verfolgung handelt. Selbst wenn dem Vortrag des Klägers Glauben zu schenken wäre, lägen die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter bzw. Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht vor, da es zum einen bei den befürchteten Repressionen bzw. der Todesdrohung durch die eigene Familie an der erforderlichen asylerheblichen Gerichtetheit fehlen würde.
44Vgl. Verwaltungsgericht Düsseldorf, Urteil vom 8. November 2013 – 13 K 3557/13.A –, juris, Rn. 31.
45Zum anderen kann auch nicht festgestellt werden, dass der Kläger sich nicht in einem anderen Landesteil vor den erwähnten Gefahren in Sicherheit bringen könnte, insbesondere nicht die Hilfe staatlicher Stellen in Guinea in Anspruch nehmen könnte. Soweit der Kläger vorträgt, die Regierung könne nichts tun, da es sich um einen Kult handle und er sich damit mittelbar auf eine Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure im Sinne des §3 c Nr. 3 AsylVfG beruft, wird diese Aussage durch die aktuelle Sach- und Erkenntnislage des Gerichts widerlegt. Danach schützen sowohl Verfassung als auch nationale Gesetze der Republik Guinea die Religionsfreiheit und werden in der Praxis von den staatlichen Stellen auch beachtet und durchgesetzt;
46vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Länderglossar Islamische Länder, Band Guinea, Februar 2011, S. 11; US Department of State, 2012 International Religious Freedom Report - Guinea.
47Es bestehen daher keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger, selbst wenn er tatsächlich zum Glauben Jehovas übergetreten wäre, deshalb von staatlicher Seite keine Hilfe erhalten würde.
48Vgl. Verwaltungsgericht Düsseldorf, Urteil vom 8. November 2013 – 13 K 3557/13.A –, juris, Rn. 33.
49Auch dass der Kläger sich in einer Großstadt wie Conakry oder einer anderen größeren Stadt Guineas nicht unerkannt von seiner Familie aufhalten könnte, ist vom Kläger nicht hinreichend substantiiert dargelegt worden. Zwar hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, seine Familie sei überall in Guinea verteilt. Sie würde ihn umbringen, wenn sie ihn fände. Im Rahmen der Klagebegründung führte der Kläger zudem aus, seine Herkunft werde aufgrund seiner Sprache überall bekannt werden. Indes erscheint die Befürchtung des Klägers, seine Familie würde ihn überall finden und bedrohen, bereits vor dem Hintergrund, dass sich der Kläger nach seiner eigenen Aussage vor seiner Ausreise aus Guinea zweimal in der Großstadt Conakry aufgehalten hat, ohne dass er von seiner Familie bedroht worden ist, wenig plausibel. Es ist bereits nicht erkennbar, inwieweit der Kläger zumindest außerhalb seiner Heimatstadt von seiner Familie bedroht wird, selbst wenn es sich um eine Großfamilie handelt und man seine Herkunft anhand seiner Sprache erkennen kann. Insoweit ist zunächst zu berücksichtigen, dass die dem Animismus angehörige Religion nach eigenen Angaben des Klägers in der Form nur von seiner Familie väterlicherseits praktiziert wird. Der Kläger gab in diesem Zusammenhang auch in seiner Anhörung beim Bundesamt an, seine Mutter sei nicht dagegen gewesen, dass er eine andere Religion annehme. Bei seiner Flucht aus seiner Heimatstadt wandte er sich zudem hilfesuchend an ein Familienmitglied, nämlich seinen in Conakry lebenden Onkel. Dieser habe ihn lediglich nicht aufnehmen wollen, ihn aber nicht weiter bedroht. Auch bei seiner Rückkehr aus Spanien hielt sich der Kläger in Conakry auf, ohne dass ihn ein Familienmitglied finden und bedrohen konnte. Vor diesem Hintergrund und unter Berücksichtigung der Größe der Hauptstadt Guineas mit ca. 2,5 Millionen Einwohnern, die noch dazu in einem vom Lebensmittelpunkt seiner Familie in O. weit entfernten Landesteil liegt, ist nicht ersichtlich, inwiefern er auch dort noch von seiner Familie bedroht werden würde.
50Der Kläger ist auch nicht subsidiär schutzberechtigt im Sinne des § 4 AsylVfG. Nach dessen Satz 1 ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Die einzig denkbare in Betracht kommende Alternative der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Absatz 1 Nr. 2 AsylVfG) droht dem Kläger nach den obigen Ausführungen nicht.
51Grund für die Annahme von Abschiebungshindernissen nach § 60 Absatz 5 oder 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) besteht ebenfalls nicht. Sie ergeben sich auch nicht aus der derzeitigen Ebola‑Epidemie in Guinea.
52Zwar soll gemäß § 60 Absatz 7 Satz 1 AufenthG von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Indes sind nach § 60 Absatz 7 Satz 2 AufenthG Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Absatz 1 Satz 1 zu berücksichtigen. Aus der Sperrklausel des § 60 Absatz 7 Satz 2 AufenthG folgt der Ausschluss der Berufung auf das Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 7 Satz 1 AufenthG, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob die zuständige Landesbehörde einen allgemeinen Abschiebestopp erlassen hat oder – wie vorliegend – nicht. Mit dieser Regelung soll nach dem Willen des Gesetzgebers erreicht werden, dass dann, wenn eine bestimmte Gefahr der ganzen Bevölkerung bzw. Bevölkerungsgruppe im Zielstaat gleichermaßen droht, über deren Aufnahme oder Nichtaufnahme nicht im Einzelfall durch das Bundesamt und die Ausländerbehörde, sondern für die ganze Gruppe der potenziell Betroffenen einheitlich durch eine politische Leitentscheidung des Innenministeriums im Wege des § 60a AufenthG befunden wird.
53BVerwG, Urteil vom 13. Juni 2013 – 10 C 13.12 –, BVerwGE 147, 8-19 = juris, Rn. 13 m.w.N.; Heilbronner, Ausländerrecht, Stand. 86. Ergänzungslieferung, Juni 2014, § 60a AufenthG, Rn. 79 m.w.N.
54Vorliegend greift die Sperrwirkung des § 60 Absatz 7 Satz 2 AufenthG, da die Gefahr sich mit dem Ebola‑Virus anzustecken, keine individuelle, nur dem Kläger drohende, sondern eine allgemeine Gefahr darstellt, der zurzeit die gesamte Bevölkerung in Guinea ausgesetzt ist.
55Diese Sperrwirkung kann zwar aufgrund der Schutzwirkungen der Grundrechte aus Artikel 1 Absatz 1 und Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 GG im Wege einer verfassungskonformen Auslegung durchbrochen werden, wenn dies zur Vermeidung einer verfassungswidrigen Schutzlücke erforderlich ist. Unabhängig davon, ob hier eine solche Schutzlücke besteht, liegt ein solcher Ausnahmefall nur vor, wenn der Ausländer bei einer Rückkehr einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Wann allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalls ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Die Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Das Erfordernis des unmittelbaren – zeitlichen – Zusammenhangs zwischen Abschiebung und drohender Rechtsgutverletzung setzt zudem für die Annahme einer extremen Gefahrensituation voraus, dass der Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Rückkehr in sein Heimatland in eine lebensgefährliche Situation gerät, aus der er sich weder allein noch mit erreichbarer Hilfe anderer befreien kann.
56BVerwG, Urteil vom 29. September 2011 – 10 C 24.10 –, juris, Rn. 20; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 24. Oktober 2013 – 13a B 12.30421 –, juris, Rn. 19 m.w.N.; OVG NRW, Beschluss vom 4. Januar 2013 – 13 A 2635/12.A –, juris, Rn. 11.
57Diese Voraussetzungen liegen – zumindest nach derzeitigem Erkenntnisstand – nicht vor. Dem Kläger droht trotz des nach den derzeitigen Erkenntnissen erschreckenden Ausmaßes der Ebola‑Epidemie in Guinea – und den Nachbarländern Sierra Leone, Liberia und Nigeria –, nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit nach seiner Rückkehr nach Guinea in eine solche lebensgefährliche Situation zu gelangen. Ihm droht bereits nicht, sich nach seiner Rückkehr mit hoher Wahrscheinlichkeit mit dem Virus zu infizieren. Denn es besteht durch die Meidung direkten Kontaktes mit Infizierten die Möglichkeit, sich vor Infektionen zu schützen. Eine Übertragung von Mensch zu Mensch ist nur durch den ungeschützten Kontakt mit Blut oder anderen Körperflüssigkeiten von erkrankten Menschen oder Verstorbenen möglich. Es gibt bisher keine Hinweise auf eine Übertragung der Viren auf den Menschen durch die Atemluft. Schließlich korreliert das Übertragungsrisiko zu einen mit der Schwere der Erkrankung und zum anderen mit der Phase in der sie sich befindet. Das Übertragungsrisiko ist in der Spätphase der Erkrankung am größten. Die Ansteckung erfolgt häufig über den Kontakt zu den Körpern Verstorbener.
58http://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/E/Ebola/Uebersicht.html.
59Überdies liegen dem Gericht Erkenntnisse vor, wonach zurzeit aufgrund der bestehenden Ebola-Epidemie faktisch keine Abschiebungen durchgeführt werden. Das MIK hat die Anfrage des Gerichts vom 15. September 2014, ob gegenwärtig Planungen bestünden, für einzelne westafrikanische Staaten die Aussetzung von Abschiebungen anzuordnen, mit Schreiben vom 22. September 2014 dahingehend beantwortet, dass nach Mitteilung der Zentralstelle für Flugabschiebungen NRW (ZfA) derzeit keine Abschiebungen nach Guinea, Liberia und Sierra Leone anstünden. Von daher sei die Anordnung eines Abschiebungsstopps nach § 60a Absatz 1 AufenthG derzeit entbehrlich. Die weitere Entwicklung bleibe abzuwarten. Demnach ist derzeit auch ohne eine Anordnung nach § 60a Absatz 1 AufenthG sichergestellt, dass Asylbewerber in die von der Ebola-Epidemie betroffenen Länder Westafrikas nicht abgeschoben werden, solange sich die damit einhergehenden Gefahrensituation nicht wieder auf ein unbedenkliches Maß relativiert.
60Die in dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes zugleich verfügte Abschiebungsandrohung und die festgesetzte Ausreisefrist stützen sich auf § 34 Absatz 1 AsylVfG und § 59 AufenthG.
61Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Absatz 1 VwGO. Die Nichterhebung von Gerichtskosten ergibt sich aus § 83b AsylVfG. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Absatz 1 Satz 1 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG).
62Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Absatz 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 2, 711 ZPO.
(1) Die oberste Landesbehörde kann aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird. Für einen Zeitraum von länger als sechs Monaten gilt § 23 Abs. 1.
(2) Die Abschiebung eines Ausländers ist auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Die Abschiebung eines Ausländers ist auch auszusetzen, wenn seine vorübergehende Anwesenheit im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen eines Verbrechens von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre. Einem Ausländer kann eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Soweit die Beurkundung der Anerkennung einer Vaterschaft oder der Zustimmung der Mutter für die Durchführung eines Verfahrens nach § 85a ausgesetzt wird, wird die Abschiebung des ausländischen Anerkennenden, der ausländischen Mutter oder des ausländischen Kindes ausgesetzt, solange das Verfahren nach § 85a nicht durch vollziehbare Entscheidung abgeschlossen ist.
(2a) Die Abschiebung eines Ausländers wird für eine Woche ausgesetzt, wenn seine Zurückschiebung oder Abschiebung gescheitert ist, Abschiebungshaft nicht angeordnet wird und die Bundesrepublik Deutschland auf Grund einer Rechtsvorschrift, insbesondere des Artikels 6 Abs. 1 der Richtlinie 2003/110/EG des Rates vom 25. November 2003 über die Unterstützung bei der Durchbeförderung im Rahmen von Rückführungsmaßnahmen auf dem Luftweg (ABl. EU Nr. L 321 S. 26), zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist. Die Aussetzung darf nicht nach Satz 1 verlängert werden. Die Einreise des Ausländers ist zuzulassen.
(2b) Solange ein Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Absatz 1 besitzt, minderjährig ist, soll die Abschiebung seiner Eltern oder eines allein personensorgeberechtigten Elternteils sowie der minderjährigen Kinder, die mit den Eltern oder dem allein personensorgeberechtigten Elternteil in familiärer Lebensgemeinschaft leben, ausgesetzt werden.
(2c) Es wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Zur Behandlung der Erkrankung erforderliche Medikamente müssen mit der Angabe ihrer Wirkstoffe und diese mit ihrer international gebräuchlichen Bezeichnung aufgeführt sein.
(2d) Der Ausländer ist verpflichtet, der zuständigen Behörde die ärztliche Bescheinigung nach Absatz 2c unverzüglich vorzulegen. Verletzt der Ausländer die Pflicht zur unverzüglichen Vorlage einer solchen ärztlichen Bescheinigung, darf die zuständige Behörde das Vorbringen des Ausländers zu seiner Erkrankung nicht berücksichtigen, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Einholung einer solchen Bescheinigung gehindert oder es liegen anderweitig tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, vor. Legt der Ausländer eine Bescheinigung vor und ordnet die Behörde daraufhin eine ärztliche Untersuchung an, ist die Behörde berechtigt, die vorgetragene Erkrankung nicht zu berücksichtigen, wenn der Ausländer der Anordnung ohne zureichenden Grund nicht Folge leistet. Der Ausländer ist auf die Verpflichtungen und auf die Rechtsfolgen einer Verletzung dieser Verpflichtungen nach diesem Absatz hinzuweisen.
(3) Die Ausreisepflicht eines Ausländers, dessen Abschiebung ausgesetzt ist, bleibt unberührt.
(4) Über die Aussetzung der Abschiebung ist dem Ausländer eine Bescheinigung auszustellen.
(5) Die Aussetzung der Abschiebung erlischt mit der Ausreise des Ausländers. Sie wird widerrufen, wenn die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe entfallen. Der Ausländer wird unverzüglich nach dem Erlöschen ohne erneute Androhung und Fristsetzung abgeschoben, es sei denn, die Aussetzung wird erneuert. Ist die Abschiebung länger als ein Jahr ausgesetzt, ist die durch Widerruf vorgesehene Abschiebung mindestens einen Monat vorher anzukündigen; die Ankündigung ist zu wiederholen, wenn die Aussetzung für mehr als ein Jahr erneuert wurde. Satz 4 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe durch vorsätzlich falsche Angaben oder durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit selbst herbeiführt oder zumutbare Anforderungen an die Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen nicht erfüllt.
(6) Einem Ausländer, der eine Duldung besitzt, darf die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht erlaubt werden, wenn
- 1.
er sich in das Inland begeben hat, um Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erlangen, - 2.
aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei ihm aus Gründen, die er selbst zu vertreten hat, nicht vollzogen werden können oder - 3.
er Staatsangehöriger eines sicheren Herkunftsstaates nach § 29a des Asylgesetzes ist und sein nach dem 31. August 2015 gestellter Asylantrag abgelehnt oder zurückgenommen wurde, es sei denn, die Rücknahme erfolgte auf Grund einer Beratung nach § 24 Absatz 1 des Asylgesetzes beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, oder ein Asylantrag nicht gestellt wurde.
(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.
(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.
(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.
(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.
(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.
(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.
(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.
(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.
(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.
(11) (weggefallen)
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
1
G r ü n d e :
2Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
31. Gegenstand des Zulassungsverfahrens ist allein die Feststellung von nationalem Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 AufenthG, in der Fassung der Änderungen des Asylverfahrensgesetzes und des Aufenthaltsgesetzes zum 1. Dezember 2013 durch das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU vom 28. August 2013, BGBl. I S. 3474. Nur hierauf sind die Darlegungen des Zulassungsantrages beschränkt.
42. Die zur Begründung des Zulassungsantrages allein geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG) wird nicht im Sinne des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG dargelegt bzw. ist nicht gegeben.
5Zur Darlegung einer grundsätzlichen Bedeutung muss eine tatsächliche oder rechtliche Frage aufgeworfen werden, die entscheidungserheblich ist und über den Einzelfall hinaus im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder Fortentwicklung des Rechts einer Klärung bedarf.
6Vgl. BVerwG, Urteil vom 31. Juli 1984 - 9 C 46.84 -, BVerwGE 70, 24 ff., und Beschlüsse vom 2. Oktober 1984 - 1 B 114.84 -, InfAuslR 1985, 130 f., sowie vom 19. Juli 2011 - 10 B 10.11, 10 PKH 10 PKH 4.11 -, juris, Rn. 3.
7Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Der Kläger erachtet die Frage für grundsätzlich klärungsbedürftig,
8„ob in Guinea in der Form der Ebola-Epidemie eine beachtliche Gefahr für Leib und Leben im Sinne des § 60 Abs. 7 AufenthG droht und dadurch eine extreme Gefahrenlage für nach Guinea zurückkehrende Asylsuchende besteht, die eine verfassungskonforme Auslegung des § 60 Abs. 7 AufenthG im Einzelfall erfordert“.
9Für das Vorliegen einer solchen „extreme Gefahrenlage“ ist aber weder etwas dargelegt noch sonst ersichtlich.
10Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gemäß Satz 2 dieser Bestimmung sind Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen.
11Fehlt - wie hier - eine politische Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 2 AufenthG
12- vgl. auch VG Düsseldorf, Urteil vom 10. Oktober 2014 - 13 K 1279/14.A -, juris, Rn. 57 -
13kann der Kläger Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur ausnahmsweise beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren.
14Vgl. zu § 60 Abs. 7 Sätze 1 und 3 AufenthG (a. F.) BVerwG, Urteile vom 29. Juni 2010 - 10 C 10.09 -, BVerwGE 137, 226 (232), und vom 29. September 2011 - 10 C 24.10 -, Buchholz 402.25 § 73 AsylVfG Nr. 41, S. 86 f.
15Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Dieser hohe Wahrscheinlichkeitsgrad ist ohne Unterschied in der Sache in der Formulierung mit umschrieben, dass die Abschiebung dann ausgesetzt werden müsse, wenn der Ausländer ansonsten „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde".
16Vgl. zu § 60 Abs. 7 Sätze 1 und 3 AufenthG (a. F.) BVerwG, Urteile vom 29. Juni 2010 - 10 C 10.09 -, BVerwGE 137, 226 (233), und vom 8. September 2011 - 10 C 14.10 -, BVerwGE 140, 319 (329 f.).
17Von diesen Grundsätzen ausgehend droht dem Kläger bei einer Rückkehr nach Guinea wegen der der dort vorhandenen Ebola-Epidemie nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben, so dass er im Sinne der vorzitierten höchstrichterlichen Rechtsprechung „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen“ ausgeliefert wäre.
18Zwar ist Guinea neben Sierra Leone und Liberia eines der Hauptausbreitungsgebiete des Ebola-Virus in Westafrika. Nach allgemein zugänglichen Erkenntnissen, insbesondere der Weltgesundheitsorganisation - World Health Organization (WHO) -, sind in Guinea bis Dezember 2014 in 2.292 Fällen Erkrankungen an diesem Virus und 1.428 Tote registriert worden, wobei seit Oktober 2014 eine leicht steigende Tendenz beobachtet und die Gefahr, nach einer Infizierung an dem Virus zu sterben, mit einer Wahrscheinlichkeit zwischen 61 und 76 % bewertet wird.
19WHO, Ebola Risponse Roadmap - Situation Report, 10. Dezember 2014, www.who.int/cos/disease/ebo-la/situation-reports.
20Wenngleich eine rein quantitative oder statistische Betrachtung nicht allein maßgeblich ist, zeigt sich aber bereits bei einem Vergleich der an Ebola Erkrankten oder hieran Verstorbenen mit der Einwohnerzahl von Guinea von rund 10,9 Millionen Einwohnern - rund 2,5 Millionen Guineer allein wohnen in der Hauptstadt Conacry -,
21vgl. Auswärtiges Amt, Länderinformationen Guinea, www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laen-der/Laenderinformationen.
22dass die Ansteckungsgefahr in Guinea im Verhältnis zur Gesamteinwohnerzahl im Promillebereich liegt. Diese Feststellung gilt auch dann, wenn man unterstellt, dass die Dunkelziffer der am Ebola-Virus Erkrankten bzw. Verstorbenen höher liegt, als die von der Weltgesundheitsorganisation berichteten Fallzahlen, und die Zahl der Infizierten oder Getöteten möglicherweise doppelt und im Extremfall viermal so hoch ist.
23Vgl. Süddeutsche Zeitung vom 12. Dezember 2014, Ebola wütet weiter.
24Zudem ist die Ansteckungsgefahr mit dem Ebola-Virus nur bei einem direkten Kontakt gegeben. Die Übertragung von Mensch zu Mensch erfolgt nur durch den Kontakt mit dem Blut, Sekreten oder sonstigen Körperflüssigkeiten Erkrankter oder Verstorbener. Ein Ansteckungsrisiko besteht daher insbesondere für die lokale Bevölkerung mit sehr engem Kontakt zu symptomatisch Erkrankten oder an Ebola Verstorbenen bei Beerdigungen. Unbeschadet der Warnhinweise des Auswärtigen Amtes vor Reisen nach Guinea wird das Übertragungsrisiko ohne solchen engen Kontakt zu Erkrankten oder Verstorbenen als sehr gering eingeschätzt.
25Vgl. WHO, Media centre - Ebola virus disease, Fact sheet No 103, updated September 2014, www.who.int/mediacentre/factsheets/fs103/en; Auswärtiges Amt, Guinea: Reise- und Sicherheitshinweise, www.auswaertiges-amt.de/DE/Laenderinforma-tionen.
26Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 2 VwGO, 83b AsylVfG.
27Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist nunmehr rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylVfG).
28Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des aufgrund des Urteils jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
1
Tatbestand:
2Der am 00.0.1994 geborene Kläger ist guineischer Staatsangehöriger und gehört der Volksgruppe der Kpèlè an. Er reiste nach eigenen Angaben im Januar 2012 mit dem Bus von Frankreich in die Bundesrepublik Deutschland.
3Der Kläger beantragte am 20. Januar 2012 seine Anerkennung als Asylberechtigter. Zur Begründung führte er zu seinem Verfolgungsschicksal in seiner Anhörung vom 26. Januar 2012 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) wie folgt aus:
4Er habe mit seiner Familie bis September 2011 in O. im Dorf T. gelebt. Seine Familie habe der Religion des Animismus angehört, die auch Rituale durchgeführt habe. Sein Großvater habe einen Gris-Gris gehabt, das die Familie habe schützen sollen. Dafür sei jeden Monat ein Lamm geschlachtet worden; andernfalls koste es ein Menschenleben. Bisweilen habe es fünf Menschenopfer gegeben. Ein Mal im Jahr seien Familienangehörige von außerhalb gekommen, um an der Schlachtung teilzunehmen. Er habe irgendwann auch initiiert werden sollen; in der Regel werde man mit 17 Jahren initiiert. Dafür gehe man in den Wald, wo man gefoltert und tätowiert werde.
5In seiner Werkstatt habe er einen Belgier namens S. L. kennengelernt, der sein Motorrad habe reparieren lassen. Dieser sei ein Zeuge Jehovas gewesen und habe ihm zwei Schriften hinterlassen. Sie hätten dann zusammen aus der Bibel gelesen und über die Bibel gesprochen. Er habe angefangen, seine Familie zu vernachlässigen und sich geweigert bei den Ritualen mitzumachen. Sein Großvater habe gesagt, wenn es ein Menschenopfer geben müsse, würde er ihn beim nächsten Ritual – mithin im Dezember 2011 – opfern. Er sei nach Conakry zu seinem Onkel gefahren, habe da aber nicht bleiben können. Der Onkel habe gesagt, er sei selbst so erzogen worden und würde das Ritual durchführen, wenn es an der Zeit sei. Daher sei er nach Casablanca geflogen, von wo aus er in einem Auto versteckt – möglicherweise auf einem Schiff – nach Frankreich gereist sei.
6Auf Nachfrage gab der Kläger an, ungefähr 2010 in Spanien Asyl beantragt zu haben; der Antrag sei aber abgelehnt worden. Er sei dann nach Guinea zurückgekehrt. In Conakry habe er sich einen Pass ausstellen lassen und sei kurz darauf wieder nach Europa gefahren. Die Probleme von denen er erzählt habe, hätten schon früher angefangen. S. L. habe er etwa 2010 kennengelernt.
7Das Ausländeramt der Kreisverwaltung L1. teile dem Bundesamt mit Schreiben vom 9. Februar 2012 die Anschrift „U.-----straße 1, in L2. “ als neue Adresse des Klägers mit.
8Mit Bescheid vom 4. Februar 2014 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter und die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nicht vorlägen. Zugleich forderte es den Kläger zur Ausreise auf und drohte die Abschiebung nach Guinea an.
9Am 6. Februar 2014 versuchte die Deutsche Post AG, den Bescheid an den Kläger unter der vorstehend genannten Adresse zuzustellen. Der Postbote vermerkte auf der Postzustellungsurkunde, dass der Kläger unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln gewesen sei (Bl. 80 Heft 1 der Beiakten). Die Beklagte bat die Ausländerbehörde in L1. , den Bescheid dem Kläger gegen Empfangsbekenntnis auszuhändigen. Am 18. Februar 2014 wurde dem Kläger der Bescheid übergeben.
10Am 24. Februar 2014 hat der Kläger beim Verwaltungsgericht Klage erhoben.
11Der Kläger trägt vor, dass er in der „U.-----straße 1b“ wohne. Der Zusteller hätte den offensichtlichen Fehler erkennen müssen, als er einen Bescheid des Bundesamtes an einen Mann offensichtlich ausländischer Herkunft im Haus „U.-----straße 1“ habe zustellen wollen, da dort keine Asylbewerber untergebrachten seien.
12Im Übrigen widerholt er im Wesentlichen seinen Vortrag aus der Anhörung. Ergänzend führt er aus, seinem Großvater Ende 2010 erklärt zu haben, dass er nicht mehr an der Initiation teilnehmen werde. Dieser habe ihm daraufhin erklärt, dass seine Verweigerung zu seinem Tod führen werde; sei es durch einen Zauber, sei es dadurch, dass er eines Nachts im Schlaf erwürgt werde. In Guinea sei sein Leben nicht mehr sicher. In Conakry lebten noch weitere Familienangehörige. Seine Herkunft werde aufgrund seiner Sprache überall bekannt werden.
13Der Kläger beantragt,
14die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes vom 4. Februar 2014 zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen und ihm die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylVfG zuzuerkennen,
15hilfsweise subsidiären Schutz nach § 4 AsylVfG zuzuerkennen,
16hilfsweise festzustellen, dass in der Person des Klägers Abschiebungsverbote nach § 60 Absatz 5 und 7 AufenthG bestehen.
17Die Beklagte beantragt,
18die Klage abzuweisen.
19Zur Begründung bezieht sie sich auf ihr Vorbingen aus dem Verwaltungsverfahren.
20Das Gericht hat mit Schreiben vom 15. September 2014 beim Ministerium für Inneres und Kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen (MIK) um Auskunft gebeten, ob gegenwärtig Planungen bestehen, für einzelne westafrikanische Staaten die Aussetzung von Abschiebungen anzuordnen. Das MIK hat diese Anfrage mit Schreiben vom 22. September 2014 dahingehend beantwortet, dass nach Mitteilung der Zentralstelle für Flugabschiebungen NRW (ZfA) derzeit keine Abschiebungen nach Guinea, Liberia und Sierra Leone anstünden.
21Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie den der beigezogenen Verwaltungsvorgänge ergänzend Bezug genommen.
22Entscheidungsgründe:
23Die Klage ist zulässig (vgl. I.), aber unbegründet (vgl. II.).
24I. Der Kläger hat die Klage rechtzeitig innerhalb der Klagefrist des § 74 Absatz 1 Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG) erhoben. Danach muss die Klage gegen Entscheidungen nach dem AsylVfG innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung der Entscheidung erhoben werden.
25Der streitgegenständliche Bescheid ist dem Kläger nicht schon am 6. Februar 2014, sondern erst am 18. Februar 2104 zugestellt worden. Der Bescheid der Beklagten war gemäß § 31 Absatz 1 Satz 2 AsylVfG dem seinerzeit nicht anwaltlich vertretenen Kläger persönlich zuzustellen, wobei die Beklagte von der in § 3 Verwaltungszustellungsgesetz (VwZG) vorgesehenen Zustellmöglichkeit mit Zustellungsurkunde Gebrauch gemacht hat. Der Versuch der Zustellung des Bescheides vom 6. Februar 2014 mittels Postzustellungsurkunde an die Adresse „U.-----straße 1, in L2. “ scheiterte, da der Kläger dort nicht ermittelt werden konnte. Insoweit regelt zwar § 10 Absatz 2 Satz 4 AsylVfG, dass die Zustellung als mit der Aufgabe zur Post bewirkt gilt, wenn eine Sendung dem Asylbewerber nicht zugestellt werden kann, selbst wenn die Sendung als unzustellbar zurückkommt. Diese Norm findet vorliegend aber keine Anwendung. Voraussetzung für den Eintritt dieser Fiktionswirkung ist, dass der erfolglose Zustellversuch ordnungsgemäß erfolgt ist.
26Hailbronner, Ausländerrecht, AsylVfG, 64. Aktualisierung Juni 2009, § 10, Rn. 43; Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, 91. Aktualisierung Mai 2011, § 10, Rn. 259.
27Dass ist vorliegend aber nicht der Fall, da der Kläger zu keiner Zeit unter der Zustellanschrift gewohnt hat. Darauf, dass der Zustellungsempfänger unter der Zustellungsanschrift wohnt, kann sich bereits die Beweiskraft der Zustellungsurkunde gemäß § 418 Zivilprozessordnung (ZPO) nicht erstrecken. Der Zustellungsurkunde kommt insoweit nur ein indizieller Charakter zu.
28Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Kammerbeschluss vom 3. Juni 1991 – 2 BvR 511/89 –, juris, Rn. 16 f.; Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, 91. Aktualisierung Mai 2011, § 10, Rn. 102 m.w.N.
29Diese wurde vorliegend aber widerlegt. Wie sich aus dem Schreiben des Oberbürgermeisters der Gemeinde L2. vom 3. September 2014 ergibt, hat das gemeindliche Übergangsheim, in dem der Kläger wohnt, die Anschrift „U.-----straße 1b“ (Bl. 31 d. Gerichtsakte). Die Mitteilung der Ausländerbehörde der Kreisverwaltung L1. vom 9. Februar 2012 ist daher unzutreffend gewesen, weshalb der Kläger diese Mitteilung auch nicht gemäß § 10 Absatz 2 Satz 1 AsylVfG gegen sich gelten lassen muss.
30Der Zustellungsmangel ist erst durch die am 18. Februar 2014 erfolgte erneute Zustellung – gegen Empfangsbestätigung durch die für den Kläger zuständige Ausländerbehörde – gemäß § 8 VwZG geheilt worden (Bl. 82 Heft 1 der Beiakten).
31Da die zweiwöchige Klagefrist demnach gemäß §§ 57 Absatz 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), 222 Absatz 1 ZPO und 187 Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) am 19. Februar 2014 zu laufen begann, endete sie gemäß §§ 57 Absatz 2 VwGO, 222 Absatz 1 ZPO, 188 Absatz 2 BGB erst mit Ablauf des 4. März 2014. Der Kläger hat bereits am 24. Februar 2014 Klage erhoben.
32II. Die Klage hat aber in der Sache keinen Erfolg. Der angegriffene Bescheid des Bundesamtes vom 4. Februar 2014 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Absatz 1 und 5 VwGO.
33Das Gericht entscheidet Asylstreitigkeiten nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (§ 77 Absatz 1 Satz 1 AsylVfG). Deshalb findet die seit dem 1. Dezember 2013 durch das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU vom 28. August 2013 (BGBl. I S. 3474) veränderte Rechtslage Anwendung. Der Kläger vermag auf dieser Grundlage mit Erfolg weder seine Anerkennung als Asylberechtigter noch die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylVfG begehren, denn er ist jedenfalls nicht politisch Verfolgter im Sinne der asylrechtlichen Vorschriften.
34Politisch Verfolgter ist, wer in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale, d.h. an seine politische Überzeugung, seine religiöse Grundentscheidung oder an andere Merkmale, die für ihn unverfügbar sind und die sein Anderssein prägen, gezielt Rechtsverletzungen ausgesetzt ist, die ihn ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen. Voraussetzungen und Umfang des politischen Asyls sind wesentlich bestimmt von der Unverletzlichkeit der Menschenwürde.
35BVerfG, Beschlüsse vom 4. Dezember 2012 – 2 BvR 2954/09 –, juris, Rn. 24, vom 10. Juli 1989 – 2 BvR 502/86 – juris, Rn. 38 ff., und vom 2. Juli 1980 – 1 BvR 147/80 –, juris, Rn. 46; Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Urteil vom 14. Februar 2014 – 1 A 1139/13.A –, juris, Rn. 23.
36Nach § 3 Absatz 1 AsylVfG ist einem Ausländer weiter die Flüchtlingseigenschaft im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) – Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) – zuzuerkennen, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Eine Verfolgung kann dabei gemäß § 3c AsylVfG ausgehen von einem Staat, Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschen oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die zuvor genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylVfG Schutz vor der Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht. Weiter darf für den Ausländer keine innerstaatliche Fluchtalternative bestehen, § 3e AsylVfG.
37Maßgeblich ist, ob der Asylsuchende bei der Rückkehr in sein Heimatland der Gefahr politischer Verfolgung ausgesetzt wäre, wobei auf den Sachstand im Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Tatsachenentscheidung abzustellen ist (§ 77 Absatz 1 Satz 1 AsylVfG). Hat der Ausländer sein Heimatland bzw. den Staat seines gewöhnlichen Aufenthaltes auf der Flucht vor eingetretener oder unmittelbar drohender politischer Verfolgung verlassen, besteht Anspruch auf Verfolgungsschutz bereits dann, wenn er bei einer Rückkehr vor erneuter Verfolgung nicht hinreichend sicher sein kann (herabgestufter Prognosemaßstab). Ist der Ausländer hingegen unverfolgt ausgereist, hat er einen Anspruch auf Schutz nur, wenn ihm aufgrund asylrechtlich beachtlicher Nachfluchttatbestände mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung droht (gewöhnlicher Prognosemaßstab),
38BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989 – 2 BvR 502/86 –, BVerfGE 80, 315 (344); Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteile vom 15. Mai 1990 – 9 C 17.89 –, BVerwGE 85, 139 (140) und vom 20. November 1990 – 9 C 74.90 –, InfAuslR 1991, 145 (146).
39Es ist Sache des Asylbewerbers, die Gründe für seine Furcht vor politischer Verfolgung schlüssig vorzutragen. Dazu hat er unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei verständiger Würdigung ergibt, dass ihm in seinem Heimatstaat politische Verfolgung droht. Hierzu gehört, dass der Asylbewerber die in seine Sphäre fallenden Ereignisse, insbesondere seine persönlichen Erlebnisse, so schildert, dass der behauptete Asylanspruch davon lückenlos getragen wird. Das Gericht muss dabei von der Wahrheit – nicht nur von der Wahrscheinlichkeit – des vom Asylsuchenden behaupteten individuellen Verfolgungsschicksals die volle Überzeugung gewinnen. Es muss beurteilen, ob eine solche Aussage des Asylbewerbers glaubhaft ist. Dies gehört zum Wesen der richterlichen Rechtsfindung, vor allem der freien Beweiswürdigung. Bei der Bewertung der Stimmigkeit des Sachverhalts sind u. a. Persönlichkeitsstruktur, Wissensstand und Herkunft des Asylbewerbers zu berücksichtigen.
40Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 3. August 1990 – 9 B 45.90 –, juris, Rn. 2, vom 26. Oktober 1989 – 9 B 405.89 –, juris, Rn. 8, und vom 21. Juli 1989 – 9 B 239.89 –, juris, Rn. 3 f.; OVG NRW, Urteil vom 14. Februar 2014 – 1 A 1139/13.A –, juris, Rn. 35.
41Ausgehend von diesen Grundsätzen führt das Begehren des Klägers nicht zum Erfolg. Es lässt sich nicht feststellen, dass der Kläger vor seiner Ausreise aus Guinea oder im Falle einer Rückkehr nach Guinea landesweit von politischer Verfolgung betroffen war bzw. bedroht sein würde.
42Das Gericht geht nach der ausführlichen Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung vielmehr davon aus, dass er sein Heimatland unverfolgt verlassen hat.
43Dahingestellt bleiben kann, ob das Vorbingen des Klägers glaubhaft gewesen ist, da es sich jedenfalls um keinen Fall politischer Verfolgung handelt. Selbst wenn dem Vortrag des Klägers Glauben zu schenken wäre, lägen die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter bzw. Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht vor, da es zum einen bei den befürchteten Repressionen bzw. der Todesdrohung durch die eigene Familie an der erforderlichen asylerheblichen Gerichtetheit fehlen würde.
44Vgl. Verwaltungsgericht Düsseldorf, Urteil vom 8. November 2013 – 13 K 3557/13.A –, juris, Rn. 31.
45Zum anderen kann auch nicht festgestellt werden, dass der Kläger sich nicht in einem anderen Landesteil vor den erwähnten Gefahren in Sicherheit bringen könnte, insbesondere nicht die Hilfe staatlicher Stellen in Guinea in Anspruch nehmen könnte. Soweit der Kläger vorträgt, die Regierung könne nichts tun, da es sich um einen Kult handle und er sich damit mittelbar auf eine Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure im Sinne des §3 c Nr. 3 AsylVfG beruft, wird diese Aussage durch die aktuelle Sach- und Erkenntnislage des Gerichts widerlegt. Danach schützen sowohl Verfassung als auch nationale Gesetze der Republik Guinea die Religionsfreiheit und werden in der Praxis von den staatlichen Stellen auch beachtet und durchgesetzt;
46vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Länderglossar Islamische Länder, Band Guinea, Februar 2011, S. 11; US Department of State, 2012 International Religious Freedom Report - Guinea.
47Es bestehen daher keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger, selbst wenn er tatsächlich zum Glauben Jehovas übergetreten wäre, deshalb von staatlicher Seite keine Hilfe erhalten würde.
48Vgl. Verwaltungsgericht Düsseldorf, Urteil vom 8. November 2013 – 13 K 3557/13.A –, juris, Rn. 33.
49Auch dass der Kläger sich in einer Großstadt wie Conakry oder einer anderen größeren Stadt Guineas nicht unerkannt von seiner Familie aufhalten könnte, ist vom Kläger nicht hinreichend substantiiert dargelegt worden. Zwar hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, seine Familie sei überall in Guinea verteilt. Sie würde ihn umbringen, wenn sie ihn fände. Im Rahmen der Klagebegründung führte der Kläger zudem aus, seine Herkunft werde aufgrund seiner Sprache überall bekannt werden. Indes erscheint die Befürchtung des Klägers, seine Familie würde ihn überall finden und bedrohen, bereits vor dem Hintergrund, dass sich der Kläger nach seiner eigenen Aussage vor seiner Ausreise aus Guinea zweimal in der Großstadt Conakry aufgehalten hat, ohne dass er von seiner Familie bedroht worden ist, wenig plausibel. Es ist bereits nicht erkennbar, inwieweit der Kläger zumindest außerhalb seiner Heimatstadt von seiner Familie bedroht wird, selbst wenn es sich um eine Großfamilie handelt und man seine Herkunft anhand seiner Sprache erkennen kann. Insoweit ist zunächst zu berücksichtigen, dass die dem Animismus angehörige Religion nach eigenen Angaben des Klägers in der Form nur von seiner Familie väterlicherseits praktiziert wird. Der Kläger gab in diesem Zusammenhang auch in seiner Anhörung beim Bundesamt an, seine Mutter sei nicht dagegen gewesen, dass er eine andere Religion annehme. Bei seiner Flucht aus seiner Heimatstadt wandte er sich zudem hilfesuchend an ein Familienmitglied, nämlich seinen in Conakry lebenden Onkel. Dieser habe ihn lediglich nicht aufnehmen wollen, ihn aber nicht weiter bedroht. Auch bei seiner Rückkehr aus Spanien hielt sich der Kläger in Conakry auf, ohne dass ihn ein Familienmitglied finden und bedrohen konnte. Vor diesem Hintergrund und unter Berücksichtigung der Größe der Hauptstadt Guineas mit ca. 2,5 Millionen Einwohnern, die noch dazu in einem vom Lebensmittelpunkt seiner Familie in O. weit entfernten Landesteil liegt, ist nicht ersichtlich, inwiefern er auch dort noch von seiner Familie bedroht werden würde.
50Der Kläger ist auch nicht subsidiär schutzberechtigt im Sinne des § 4 AsylVfG. Nach dessen Satz 1 ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Die einzig denkbare in Betracht kommende Alternative der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Absatz 1 Nr. 2 AsylVfG) droht dem Kläger nach den obigen Ausführungen nicht.
51Grund für die Annahme von Abschiebungshindernissen nach § 60 Absatz 5 oder 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) besteht ebenfalls nicht. Sie ergeben sich auch nicht aus der derzeitigen Ebola‑Epidemie in Guinea.
52Zwar soll gemäß § 60 Absatz 7 Satz 1 AufenthG von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Indes sind nach § 60 Absatz 7 Satz 2 AufenthG Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Absatz 1 Satz 1 zu berücksichtigen. Aus der Sperrklausel des § 60 Absatz 7 Satz 2 AufenthG folgt der Ausschluss der Berufung auf das Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 7 Satz 1 AufenthG, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob die zuständige Landesbehörde einen allgemeinen Abschiebestopp erlassen hat oder – wie vorliegend – nicht. Mit dieser Regelung soll nach dem Willen des Gesetzgebers erreicht werden, dass dann, wenn eine bestimmte Gefahr der ganzen Bevölkerung bzw. Bevölkerungsgruppe im Zielstaat gleichermaßen droht, über deren Aufnahme oder Nichtaufnahme nicht im Einzelfall durch das Bundesamt und die Ausländerbehörde, sondern für die ganze Gruppe der potenziell Betroffenen einheitlich durch eine politische Leitentscheidung des Innenministeriums im Wege des § 60a AufenthG befunden wird.
53BVerwG, Urteil vom 13. Juni 2013 – 10 C 13.12 –, BVerwGE 147, 8-19 = juris, Rn. 13 m.w.N.; Heilbronner, Ausländerrecht, Stand. 86. Ergänzungslieferung, Juni 2014, § 60a AufenthG, Rn. 79 m.w.N.
54Vorliegend greift die Sperrwirkung des § 60 Absatz 7 Satz 2 AufenthG, da die Gefahr sich mit dem Ebola‑Virus anzustecken, keine individuelle, nur dem Kläger drohende, sondern eine allgemeine Gefahr darstellt, der zurzeit die gesamte Bevölkerung in Guinea ausgesetzt ist.
55Diese Sperrwirkung kann zwar aufgrund der Schutzwirkungen der Grundrechte aus Artikel 1 Absatz 1 und Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 GG im Wege einer verfassungskonformen Auslegung durchbrochen werden, wenn dies zur Vermeidung einer verfassungswidrigen Schutzlücke erforderlich ist. Unabhängig davon, ob hier eine solche Schutzlücke besteht, liegt ein solcher Ausnahmefall nur vor, wenn der Ausländer bei einer Rückkehr einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Wann allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalls ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Die Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Das Erfordernis des unmittelbaren – zeitlichen – Zusammenhangs zwischen Abschiebung und drohender Rechtsgutverletzung setzt zudem für die Annahme einer extremen Gefahrensituation voraus, dass der Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Rückkehr in sein Heimatland in eine lebensgefährliche Situation gerät, aus der er sich weder allein noch mit erreichbarer Hilfe anderer befreien kann.
56BVerwG, Urteil vom 29. September 2011 – 10 C 24.10 –, juris, Rn. 20; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 24. Oktober 2013 – 13a B 12.30421 –, juris, Rn. 19 m.w.N.; OVG NRW, Beschluss vom 4. Januar 2013 – 13 A 2635/12.A –, juris, Rn. 11.
57Diese Voraussetzungen liegen – zumindest nach derzeitigem Erkenntnisstand – nicht vor. Dem Kläger droht trotz des nach den derzeitigen Erkenntnissen erschreckenden Ausmaßes der Ebola‑Epidemie in Guinea – und den Nachbarländern Sierra Leone, Liberia und Nigeria –, nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit nach seiner Rückkehr nach Guinea in eine solche lebensgefährliche Situation zu gelangen. Ihm droht bereits nicht, sich nach seiner Rückkehr mit hoher Wahrscheinlichkeit mit dem Virus zu infizieren. Denn es besteht durch die Meidung direkten Kontaktes mit Infizierten die Möglichkeit, sich vor Infektionen zu schützen. Eine Übertragung von Mensch zu Mensch ist nur durch den ungeschützten Kontakt mit Blut oder anderen Körperflüssigkeiten von erkrankten Menschen oder Verstorbenen möglich. Es gibt bisher keine Hinweise auf eine Übertragung der Viren auf den Menschen durch die Atemluft. Schließlich korreliert das Übertragungsrisiko zu einen mit der Schwere der Erkrankung und zum anderen mit der Phase in der sie sich befindet. Das Übertragungsrisiko ist in der Spätphase der Erkrankung am größten. Die Ansteckung erfolgt häufig über den Kontakt zu den Körpern Verstorbener.
58http://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/E/Ebola/Uebersicht.html.
59Überdies liegen dem Gericht Erkenntnisse vor, wonach zurzeit aufgrund der bestehenden Ebola-Epidemie faktisch keine Abschiebungen durchgeführt werden. Das MIK hat die Anfrage des Gerichts vom 15. September 2014, ob gegenwärtig Planungen bestünden, für einzelne westafrikanische Staaten die Aussetzung von Abschiebungen anzuordnen, mit Schreiben vom 22. September 2014 dahingehend beantwortet, dass nach Mitteilung der Zentralstelle für Flugabschiebungen NRW (ZfA) derzeit keine Abschiebungen nach Guinea, Liberia und Sierra Leone anstünden. Von daher sei die Anordnung eines Abschiebungsstopps nach § 60a Absatz 1 AufenthG derzeit entbehrlich. Die weitere Entwicklung bleibe abzuwarten. Demnach ist derzeit auch ohne eine Anordnung nach § 60a Absatz 1 AufenthG sichergestellt, dass Asylbewerber in die von der Ebola-Epidemie betroffenen Länder Westafrikas nicht abgeschoben werden, solange sich die damit einhergehenden Gefahrensituation nicht wieder auf ein unbedenkliches Maß relativiert.
60Die in dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes zugleich verfügte Abschiebungsandrohung und die festgesetzte Ausreisefrist stützen sich auf § 34 Absatz 1 AsylVfG und § 59 AufenthG.
61Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Absatz 1 VwGO. Die Nichterhebung von Gerichtskosten ergibt sich aus § 83b AsylVfG. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Absatz 1 Satz 1 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG).
62Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Absatz 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 2, 711 ZPO.
(1) Die oberste Landesbehörde kann aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird. Für einen Zeitraum von länger als sechs Monaten gilt § 23 Abs. 1.
(2) Die Abschiebung eines Ausländers ist auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Die Abschiebung eines Ausländers ist auch auszusetzen, wenn seine vorübergehende Anwesenheit im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen eines Verbrechens von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre. Einem Ausländer kann eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Soweit die Beurkundung der Anerkennung einer Vaterschaft oder der Zustimmung der Mutter für die Durchführung eines Verfahrens nach § 85a ausgesetzt wird, wird die Abschiebung des ausländischen Anerkennenden, der ausländischen Mutter oder des ausländischen Kindes ausgesetzt, solange das Verfahren nach § 85a nicht durch vollziehbare Entscheidung abgeschlossen ist.
(2a) Die Abschiebung eines Ausländers wird für eine Woche ausgesetzt, wenn seine Zurückschiebung oder Abschiebung gescheitert ist, Abschiebungshaft nicht angeordnet wird und die Bundesrepublik Deutschland auf Grund einer Rechtsvorschrift, insbesondere des Artikels 6 Abs. 1 der Richtlinie 2003/110/EG des Rates vom 25. November 2003 über die Unterstützung bei der Durchbeförderung im Rahmen von Rückführungsmaßnahmen auf dem Luftweg (ABl. EU Nr. L 321 S. 26), zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist. Die Aussetzung darf nicht nach Satz 1 verlängert werden. Die Einreise des Ausländers ist zuzulassen.
(2b) Solange ein Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Absatz 1 besitzt, minderjährig ist, soll die Abschiebung seiner Eltern oder eines allein personensorgeberechtigten Elternteils sowie der minderjährigen Kinder, die mit den Eltern oder dem allein personensorgeberechtigten Elternteil in familiärer Lebensgemeinschaft leben, ausgesetzt werden.
(2c) Es wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Zur Behandlung der Erkrankung erforderliche Medikamente müssen mit der Angabe ihrer Wirkstoffe und diese mit ihrer international gebräuchlichen Bezeichnung aufgeführt sein.
(2d) Der Ausländer ist verpflichtet, der zuständigen Behörde die ärztliche Bescheinigung nach Absatz 2c unverzüglich vorzulegen. Verletzt der Ausländer die Pflicht zur unverzüglichen Vorlage einer solchen ärztlichen Bescheinigung, darf die zuständige Behörde das Vorbringen des Ausländers zu seiner Erkrankung nicht berücksichtigen, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Einholung einer solchen Bescheinigung gehindert oder es liegen anderweitig tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, vor. Legt der Ausländer eine Bescheinigung vor und ordnet die Behörde daraufhin eine ärztliche Untersuchung an, ist die Behörde berechtigt, die vorgetragene Erkrankung nicht zu berücksichtigen, wenn der Ausländer der Anordnung ohne zureichenden Grund nicht Folge leistet. Der Ausländer ist auf die Verpflichtungen und auf die Rechtsfolgen einer Verletzung dieser Verpflichtungen nach diesem Absatz hinzuweisen.
(3) Die Ausreisepflicht eines Ausländers, dessen Abschiebung ausgesetzt ist, bleibt unberührt.
(4) Über die Aussetzung der Abschiebung ist dem Ausländer eine Bescheinigung auszustellen.
(5) Die Aussetzung der Abschiebung erlischt mit der Ausreise des Ausländers. Sie wird widerrufen, wenn die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe entfallen. Der Ausländer wird unverzüglich nach dem Erlöschen ohne erneute Androhung und Fristsetzung abgeschoben, es sei denn, die Aussetzung wird erneuert. Ist die Abschiebung länger als ein Jahr ausgesetzt, ist die durch Widerruf vorgesehene Abschiebung mindestens einen Monat vorher anzukündigen; die Ankündigung ist zu wiederholen, wenn die Aussetzung für mehr als ein Jahr erneuert wurde. Satz 4 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe durch vorsätzlich falsche Angaben oder durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit selbst herbeiführt oder zumutbare Anforderungen an die Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen nicht erfüllt.
(6) Einem Ausländer, der eine Duldung besitzt, darf die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht erlaubt werden, wenn
- 1.
er sich in das Inland begeben hat, um Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erlangen, - 2.
aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei ihm aus Gründen, die er selbst zu vertreten hat, nicht vollzogen werden können oder - 3.
er Staatsangehöriger eines sicheren Herkunftsstaates nach § 29a des Asylgesetzes ist und sein nach dem 31. August 2015 gestellter Asylantrag abgelehnt oder zurückgenommen wurde, es sei denn, die Rücknahme erfolgte auf Grund einer Beratung nach § 24 Absatz 1 des Asylgesetzes beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, oder ein Asylantrag nicht gestellt wurde.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des aufgrund des Urteils jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
1
Tatbestand:
2Der am 00.0.1994 geborene Kläger ist guineischer Staatsangehöriger und gehört der Volksgruppe der Kpèlè an. Er reiste nach eigenen Angaben im Januar 2012 mit dem Bus von Frankreich in die Bundesrepublik Deutschland.
3Der Kläger beantragte am 20. Januar 2012 seine Anerkennung als Asylberechtigter. Zur Begründung führte er zu seinem Verfolgungsschicksal in seiner Anhörung vom 26. Januar 2012 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) wie folgt aus:
4Er habe mit seiner Familie bis September 2011 in O. im Dorf T. gelebt. Seine Familie habe der Religion des Animismus angehört, die auch Rituale durchgeführt habe. Sein Großvater habe einen Gris-Gris gehabt, das die Familie habe schützen sollen. Dafür sei jeden Monat ein Lamm geschlachtet worden; andernfalls koste es ein Menschenleben. Bisweilen habe es fünf Menschenopfer gegeben. Ein Mal im Jahr seien Familienangehörige von außerhalb gekommen, um an der Schlachtung teilzunehmen. Er habe irgendwann auch initiiert werden sollen; in der Regel werde man mit 17 Jahren initiiert. Dafür gehe man in den Wald, wo man gefoltert und tätowiert werde.
5In seiner Werkstatt habe er einen Belgier namens S. L. kennengelernt, der sein Motorrad habe reparieren lassen. Dieser sei ein Zeuge Jehovas gewesen und habe ihm zwei Schriften hinterlassen. Sie hätten dann zusammen aus der Bibel gelesen und über die Bibel gesprochen. Er habe angefangen, seine Familie zu vernachlässigen und sich geweigert bei den Ritualen mitzumachen. Sein Großvater habe gesagt, wenn es ein Menschenopfer geben müsse, würde er ihn beim nächsten Ritual – mithin im Dezember 2011 – opfern. Er sei nach Conakry zu seinem Onkel gefahren, habe da aber nicht bleiben können. Der Onkel habe gesagt, er sei selbst so erzogen worden und würde das Ritual durchführen, wenn es an der Zeit sei. Daher sei er nach Casablanca geflogen, von wo aus er in einem Auto versteckt – möglicherweise auf einem Schiff – nach Frankreich gereist sei.
6Auf Nachfrage gab der Kläger an, ungefähr 2010 in Spanien Asyl beantragt zu haben; der Antrag sei aber abgelehnt worden. Er sei dann nach Guinea zurückgekehrt. In Conakry habe er sich einen Pass ausstellen lassen und sei kurz darauf wieder nach Europa gefahren. Die Probleme von denen er erzählt habe, hätten schon früher angefangen. S. L. habe er etwa 2010 kennengelernt.
7Das Ausländeramt der Kreisverwaltung L1. teile dem Bundesamt mit Schreiben vom 9. Februar 2012 die Anschrift „U.-----straße 1, in L2. “ als neue Adresse des Klägers mit.
8Mit Bescheid vom 4. Februar 2014 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter und die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nicht vorlägen. Zugleich forderte es den Kläger zur Ausreise auf und drohte die Abschiebung nach Guinea an.
9Am 6. Februar 2014 versuchte die Deutsche Post AG, den Bescheid an den Kläger unter der vorstehend genannten Adresse zuzustellen. Der Postbote vermerkte auf der Postzustellungsurkunde, dass der Kläger unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln gewesen sei (Bl. 80 Heft 1 der Beiakten). Die Beklagte bat die Ausländerbehörde in L1. , den Bescheid dem Kläger gegen Empfangsbekenntnis auszuhändigen. Am 18. Februar 2014 wurde dem Kläger der Bescheid übergeben.
10Am 24. Februar 2014 hat der Kläger beim Verwaltungsgericht Klage erhoben.
11Der Kläger trägt vor, dass er in der „U.-----straße 1b“ wohne. Der Zusteller hätte den offensichtlichen Fehler erkennen müssen, als er einen Bescheid des Bundesamtes an einen Mann offensichtlich ausländischer Herkunft im Haus „U.-----straße 1“ habe zustellen wollen, da dort keine Asylbewerber untergebrachten seien.
12Im Übrigen widerholt er im Wesentlichen seinen Vortrag aus der Anhörung. Ergänzend führt er aus, seinem Großvater Ende 2010 erklärt zu haben, dass er nicht mehr an der Initiation teilnehmen werde. Dieser habe ihm daraufhin erklärt, dass seine Verweigerung zu seinem Tod führen werde; sei es durch einen Zauber, sei es dadurch, dass er eines Nachts im Schlaf erwürgt werde. In Guinea sei sein Leben nicht mehr sicher. In Conakry lebten noch weitere Familienangehörige. Seine Herkunft werde aufgrund seiner Sprache überall bekannt werden.
13Der Kläger beantragt,
14die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes vom 4. Februar 2014 zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen und ihm die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylVfG zuzuerkennen,
15hilfsweise subsidiären Schutz nach § 4 AsylVfG zuzuerkennen,
16hilfsweise festzustellen, dass in der Person des Klägers Abschiebungsverbote nach § 60 Absatz 5 und 7 AufenthG bestehen.
17Die Beklagte beantragt,
18die Klage abzuweisen.
19Zur Begründung bezieht sie sich auf ihr Vorbingen aus dem Verwaltungsverfahren.
20Das Gericht hat mit Schreiben vom 15. September 2014 beim Ministerium für Inneres und Kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen (MIK) um Auskunft gebeten, ob gegenwärtig Planungen bestehen, für einzelne westafrikanische Staaten die Aussetzung von Abschiebungen anzuordnen. Das MIK hat diese Anfrage mit Schreiben vom 22. September 2014 dahingehend beantwortet, dass nach Mitteilung der Zentralstelle für Flugabschiebungen NRW (ZfA) derzeit keine Abschiebungen nach Guinea, Liberia und Sierra Leone anstünden.
21Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie den der beigezogenen Verwaltungsvorgänge ergänzend Bezug genommen.
22Entscheidungsgründe:
23Die Klage ist zulässig (vgl. I.), aber unbegründet (vgl. II.).
24I. Der Kläger hat die Klage rechtzeitig innerhalb der Klagefrist des § 74 Absatz 1 Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG) erhoben. Danach muss die Klage gegen Entscheidungen nach dem AsylVfG innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung der Entscheidung erhoben werden.
25Der streitgegenständliche Bescheid ist dem Kläger nicht schon am 6. Februar 2014, sondern erst am 18. Februar 2104 zugestellt worden. Der Bescheid der Beklagten war gemäß § 31 Absatz 1 Satz 2 AsylVfG dem seinerzeit nicht anwaltlich vertretenen Kläger persönlich zuzustellen, wobei die Beklagte von der in § 3 Verwaltungszustellungsgesetz (VwZG) vorgesehenen Zustellmöglichkeit mit Zustellungsurkunde Gebrauch gemacht hat. Der Versuch der Zustellung des Bescheides vom 6. Februar 2014 mittels Postzustellungsurkunde an die Adresse „U.-----straße 1, in L2. “ scheiterte, da der Kläger dort nicht ermittelt werden konnte. Insoweit regelt zwar § 10 Absatz 2 Satz 4 AsylVfG, dass die Zustellung als mit der Aufgabe zur Post bewirkt gilt, wenn eine Sendung dem Asylbewerber nicht zugestellt werden kann, selbst wenn die Sendung als unzustellbar zurückkommt. Diese Norm findet vorliegend aber keine Anwendung. Voraussetzung für den Eintritt dieser Fiktionswirkung ist, dass der erfolglose Zustellversuch ordnungsgemäß erfolgt ist.
26Hailbronner, Ausländerrecht, AsylVfG, 64. Aktualisierung Juni 2009, § 10, Rn. 43; Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, 91. Aktualisierung Mai 2011, § 10, Rn. 259.
27Dass ist vorliegend aber nicht der Fall, da der Kläger zu keiner Zeit unter der Zustellanschrift gewohnt hat. Darauf, dass der Zustellungsempfänger unter der Zustellungsanschrift wohnt, kann sich bereits die Beweiskraft der Zustellungsurkunde gemäß § 418 Zivilprozessordnung (ZPO) nicht erstrecken. Der Zustellungsurkunde kommt insoweit nur ein indizieller Charakter zu.
28Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Kammerbeschluss vom 3. Juni 1991 – 2 BvR 511/89 –, juris, Rn. 16 f.; Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, 91. Aktualisierung Mai 2011, § 10, Rn. 102 m.w.N.
29Diese wurde vorliegend aber widerlegt. Wie sich aus dem Schreiben des Oberbürgermeisters der Gemeinde L2. vom 3. September 2014 ergibt, hat das gemeindliche Übergangsheim, in dem der Kläger wohnt, die Anschrift „U.-----straße 1b“ (Bl. 31 d. Gerichtsakte). Die Mitteilung der Ausländerbehörde der Kreisverwaltung L1. vom 9. Februar 2012 ist daher unzutreffend gewesen, weshalb der Kläger diese Mitteilung auch nicht gemäß § 10 Absatz 2 Satz 1 AsylVfG gegen sich gelten lassen muss.
30Der Zustellungsmangel ist erst durch die am 18. Februar 2014 erfolgte erneute Zustellung – gegen Empfangsbestätigung durch die für den Kläger zuständige Ausländerbehörde – gemäß § 8 VwZG geheilt worden (Bl. 82 Heft 1 der Beiakten).
31Da die zweiwöchige Klagefrist demnach gemäß §§ 57 Absatz 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), 222 Absatz 1 ZPO und 187 Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) am 19. Februar 2014 zu laufen begann, endete sie gemäß §§ 57 Absatz 2 VwGO, 222 Absatz 1 ZPO, 188 Absatz 2 BGB erst mit Ablauf des 4. März 2014. Der Kläger hat bereits am 24. Februar 2014 Klage erhoben.
32II. Die Klage hat aber in der Sache keinen Erfolg. Der angegriffene Bescheid des Bundesamtes vom 4. Februar 2014 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Absatz 1 und 5 VwGO.
33Das Gericht entscheidet Asylstreitigkeiten nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (§ 77 Absatz 1 Satz 1 AsylVfG). Deshalb findet die seit dem 1. Dezember 2013 durch das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU vom 28. August 2013 (BGBl. I S. 3474) veränderte Rechtslage Anwendung. Der Kläger vermag auf dieser Grundlage mit Erfolg weder seine Anerkennung als Asylberechtigter noch die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylVfG begehren, denn er ist jedenfalls nicht politisch Verfolgter im Sinne der asylrechtlichen Vorschriften.
34Politisch Verfolgter ist, wer in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale, d.h. an seine politische Überzeugung, seine religiöse Grundentscheidung oder an andere Merkmale, die für ihn unverfügbar sind und die sein Anderssein prägen, gezielt Rechtsverletzungen ausgesetzt ist, die ihn ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen. Voraussetzungen und Umfang des politischen Asyls sind wesentlich bestimmt von der Unverletzlichkeit der Menschenwürde.
35BVerfG, Beschlüsse vom 4. Dezember 2012 – 2 BvR 2954/09 –, juris, Rn. 24, vom 10. Juli 1989 – 2 BvR 502/86 – juris, Rn. 38 ff., und vom 2. Juli 1980 – 1 BvR 147/80 –, juris, Rn. 46; Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Urteil vom 14. Februar 2014 – 1 A 1139/13.A –, juris, Rn. 23.
36Nach § 3 Absatz 1 AsylVfG ist einem Ausländer weiter die Flüchtlingseigenschaft im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) – Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) – zuzuerkennen, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Eine Verfolgung kann dabei gemäß § 3c AsylVfG ausgehen von einem Staat, Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschen oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die zuvor genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylVfG Schutz vor der Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht. Weiter darf für den Ausländer keine innerstaatliche Fluchtalternative bestehen, § 3e AsylVfG.
37Maßgeblich ist, ob der Asylsuchende bei der Rückkehr in sein Heimatland der Gefahr politischer Verfolgung ausgesetzt wäre, wobei auf den Sachstand im Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Tatsachenentscheidung abzustellen ist (§ 77 Absatz 1 Satz 1 AsylVfG). Hat der Ausländer sein Heimatland bzw. den Staat seines gewöhnlichen Aufenthaltes auf der Flucht vor eingetretener oder unmittelbar drohender politischer Verfolgung verlassen, besteht Anspruch auf Verfolgungsschutz bereits dann, wenn er bei einer Rückkehr vor erneuter Verfolgung nicht hinreichend sicher sein kann (herabgestufter Prognosemaßstab). Ist der Ausländer hingegen unverfolgt ausgereist, hat er einen Anspruch auf Schutz nur, wenn ihm aufgrund asylrechtlich beachtlicher Nachfluchttatbestände mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung droht (gewöhnlicher Prognosemaßstab),
38BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989 – 2 BvR 502/86 –, BVerfGE 80, 315 (344); Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteile vom 15. Mai 1990 – 9 C 17.89 –, BVerwGE 85, 139 (140) und vom 20. November 1990 – 9 C 74.90 –, InfAuslR 1991, 145 (146).
39Es ist Sache des Asylbewerbers, die Gründe für seine Furcht vor politischer Verfolgung schlüssig vorzutragen. Dazu hat er unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei verständiger Würdigung ergibt, dass ihm in seinem Heimatstaat politische Verfolgung droht. Hierzu gehört, dass der Asylbewerber die in seine Sphäre fallenden Ereignisse, insbesondere seine persönlichen Erlebnisse, so schildert, dass der behauptete Asylanspruch davon lückenlos getragen wird. Das Gericht muss dabei von der Wahrheit – nicht nur von der Wahrscheinlichkeit – des vom Asylsuchenden behaupteten individuellen Verfolgungsschicksals die volle Überzeugung gewinnen. Es muss beurteilen, ob eine solche Aussage des Asylbewerbers glaubhaft ist. Dies gehört zum Wesen der richterlichen Rechtsfindung, vor allem der freien Beweiswürdigung. Bei der Bewertung der Stimmigkeit des Sachverhalts sind u. a. Persönlichkeitsstruktur, Wissensstand und Herkunft des Asylbewerbers zu berücksichtigen.
40Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 3. August 1990 – 9 B 45.90 –, juris, Rn. 2, vom 26. Oktober 1989 – 9 B 405.89 –, juris, Rn. 8, und vom 21. Juli 1989 – 9 B 239.89 –, juris, Rn. 3 f.; OVG NRW, Urteil vom 14. Februar 2014 – 1 A 1139/13.A –, juris, Rn. 35.
41Ausgehend von diesen Grundsätzen führt das Begehren des Klägers nicht zum Erfolg. Es lässt sich nicht feststellen, dass der Kläger vor seiner Ausreise aus Guinea oder im Falle einer Rückkehr nach Guinea landesweit von politischer Verfolgung betroffen war bzw. bedroht sein würde.
42Das Gericht geht nach der ausführlichen Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung vielmehr davon aus, dass er sein Heimatland unverfolgt verlassen hat.
43Dahingestellt bleiben kann, ob das Vorbingen des Klägers glaubhaft gewesen ist, da es sich jedenfalls um keinen Fall politischer Verfolgung handelt. Selbst wenn dem Vortrag des Klägers Glauben zu schenken wäre, lägen die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter bzw. Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht vor, da es zum einen bei den befürchteten Repressionen bzw. der Todesdrohung durch die eigene Familie an der erforderlichen asylerheblichen Gerichtetheit fehlen würde.
44Vgl. Verwaltungsgericht Düsseldorf, Urteil vom 8. November 2013 – 13 K 3557/13.A –, juris, Rn. 31.
45Zum anderen kann auch nicht festgestellt werden, dass der Kläger sich nicht in einem anderen Landesteil vor den erwähnten Gefahren in Sicherheit bringen könnte, insbesondere nicht die Hilfe staatlicher Stellen in Guinea in Anspruch nehmen könnte. Soweit der Kläger vorträgt, die Regierung könne nichts tun, da es sich um einen Kult handle und er sich damit mittelbar auf eine Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure im Sinne des §3 c Nr. 3 AsylVfG beruft, wird diese Aussage durch die aktuelle Sach- und Erkenntnislage des Gerichts widerlegt. Danach schützen sowohl Verfassung als auch nationale Gesetze der Republik Guinea die Religionsfreiheit und werden in der Praxis von den staatlichen Stellen auch beachtet und durchgesetzt;
46vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Länderglossar Islamische Länder, Band Guinea, Februar 2011, S. 11; US Department of State, 2012 International Religious Freedom Report - Guinea.
47Es bestehen daher keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger, selbst wenn er tatsächlich zum Glauben Jehovas übergetreten wäre, deshalb von staatlicher Seite keine Hilfe erhalten würde.
48Vgl. Verwaltungsgericht Düsseldorf, Urteil vom 8. November 2013 – 13 K 3557/13.A –, juris, Rn. 33.
49Auch dass der Kläger sich in einer Großstadt wie Conakry oder einer anderen größeren Stadt Guineas nicht unerkannt von seiner Familie aufhalten könnte, ist vom Kläger nicht hinreichend substantiiert dargelegt worden. Zwar hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, seine Familie sei überall in Guinea verteilt. Sie würde ihn umbringen, wenn sie ihn fände. Im Rahmen der Klagebegründung führte der Kläger zudem aus, seine Herkunft werde aufgrund seiner Sprache überall bekannt werden. Indes erscheint die Befürchtung des Klägers, seine Familie würde ihn überall finden und bedrohen, bereits vor dem Hintergrund, dass sich der Kläger nach seiner eigenen Aussage vor seiner Ausreise aus Guinea zweimal in der Großstadt Conakry aufgehalten hat, ohne dass er von seiner Familie bedroht worden ist, wenig plausibel. Es ist bereits nicht erkennbar, inwieweit der Kläger zumindest außerhalb seiner Heimatstadt von seiner Familie bedroht wird, selbst wenn es sich um eine Großfamilie handelt und man seine Herkunft anhand seiner Sprache erkennen kann. Insoweit ist zunächst zu berücksichtigen, dass die dem Animismus angehörige Religion nach eigenen Angaben des Klägers in der Form nur von seiner Familie väterlicherseits praktiziert wird. Der Kläger gab in diesem Zusammenhang auch in seiner Anhörung beim Bundesamt an, seine Mutter sei nicht dagegen gewesen, dass er eine andere Religion annehme. Bei seiner Flucht aus seiner Heimatstadt wandte er sich zudem hilfesuchend an ein Familienmitglied, nämlich seinen in Conakry lebenden Onkel. Dieser habe ihn lediglich nicht aufnehmen wollen, ihn aber nicht weiter bedroht. Auch bei seiner Rückkehr aus Spanien hielt sich der Kläger in Conakry auf, ohne dass ihn ein Familienmitglied finden und bedrohen konnte. Vor diesem Hintergrund und unter Berücksichtigung der Größe der Hauptstadt Guineas mit ca. 2,5 Millionen Einwohnern, die noch dazu in einem vom Lebensmittelpunkt seiner Familie in O. weit entfernten Landesteil liegt, ist nicht ersichtlich, inwiefern er auch dort noch von seiner Familie bedroht werden würde.
50Der Kläger ist auch nicht subsidiär schutzberechtigt im Sinne des § 4 AsylVfG. Nach dessen Satz 1 ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Die einzig denkbare in Betracht kommende Alternative der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Absatz 1 Nr. 2 AsylVfG) droht dem Kläger nach den obigen Ausführungen nicht.
51Grund für die Annahme von Abschiebungshindernissen nach § 60 Absatz 5 oder 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) besteht ebenfalls nicht. Sie ergeben sich auch nicht aus der derzeitigen Ebola‑Epidemie in Guinea.
52Zwar soll gemäß § 60 Absatz 7 Satz 1 AufenthG von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Indes sind nach § 60 Absatz 7 Satz 2 AufenthG Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Absatz 1 Satz 1 zu berücksichtigen. Aus der Sperrklausel des § 60 Absatz 7 Satz 2 AufenthG folgt der Ausschluss der Berufung auf das Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 7 Satz 1 AufenthG, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob die zuständige Landesbehörde einen allgemeinen Abschiebestopp erlassen hat oder – wie vorliegend – nicht. Mit dieser Regelung soll nach dem Willen des Gesetzgebers erreicht werden, dass dann, wenn eine bestimmte Gefahr der ganzen Bevölkerung bzw. Bevölkerungsgruppe im Zielstaat gleichermaßen droht, über deren Aufnahme oder Nichtaufnahme nicht im Einzelfall durch das Bundesamt und die Ausländerbehörde, sondern für die ganze Gruppe der potenziell Betroffenen einheitlich durch eine politische Leitentscheidung des Innenministeriums im Wege des § 60a AufenthG befunden wird.
53BVerwG, Urteil vom 13. Juni 2013 – 10 C 13.12 –, BVerwGE 147, 8-19 = juris, Rn. 13 m.w.N.; Heilbronner, Ausländerrecht, Stand. 86. Ergänzungslieferung, Juni 2014, § 60a AufenthG, Rn. 79 m.w.N.
54Vorliegend greift die Sperrwirkung des § 60 Absatz 7 Satz 2 AufenthG, da die Gefahr sich mit dem Ebola‑Virus anzustecken, keine individuelle, nur dem Kläger drohende, sondern eine allgemeine Gefahr darstellt, der zurzeit die gesamte Bevölkerung in Guinea ausgesetzt ist.
55Diese Sperrwirkung kann zwar aufgrund der Schutzwirkungen der Grundrechte aus Artikel 1 Absatz 1 und Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 GG im Wege einer verfassungskonformen Auslegung durchbrochen werden, wenn dies zur Vermeidung einer verfassungswidrigen Schutzlücke erforderlich ist. Unabhängig davon, ob hier eine solche Schutzlücke besteht, liegt ein solcher Ausnahmefall nur vor, wenn der Ausländer bei einer Rückkehr einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Wann allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalls ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Die Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Das Erfordernis des unmittelbaren – zeitlichen – Zusammenhangs zwischen Abschiebung und drohender Rechtsgutverletzung setzt zudem für die Annahme einer extremen Gefahrensituation voraus, dass der Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Rückkehr in sein Heimatland in eine lebensgefährliche Situation gerät, aus der er sich weder allein noch mit erreichbarer Hilfe anderer befreien kann.
56BVerwG, Urteil vom 29. September 2011 – 10 C 24.10 –, juris, Rn. 20; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 24. Oktober 2013 – 13a B 12.30421 –, juris, Rn. 19 m.w.N.; OVG NRW, Beschluss vom 4. Januar 2013 – 13 A 2635/12.A –, juris, Rn. 11.
57Diese Voraussetzungen liegen – zumindest nach derzeitigem Erkenntnisstand – nicht vor. Dem Kläger droht trotz des nach den derzeitigen Erkenntnissen erschreckenden Ausmaßes der Ebola‑Epidemie in Guinea – und den Nachbarländern Sierra Leone, Liberia und Nigeria –, nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit nach seiner Rückkehr nach Guinea in eine solche lebensgefährliche Situation zu gelangen. Ihm droht bereits nicht, sich nach seiner Rückkehr mit hoher Wahrscheinlichkeit mit dem Virus zu infizieren. Denn es besteht durch die Meidung direkten Kontaktes mit Infizierten die Möglichkeit, sich vor Infektionen zu schützen. Eine Übertragung von Mensch zu Mensch ist nur durch den ungeschützten Kontakt mit Blut oder anderen Körperflüssigkeiten von erkrankten Menschen oder Verstorbenen möglich. Es gibt bisher keine Hinweise auf eine Übertragung der Viren auf den Menschen durch die Atemluft. Schließlich korreliert das Übertragungsrisiko zu einen mit der Schwere der Erkrankung und zum anderen mit der Phase in der sie sich befindet. Das Übertragungsrisiko ist in der Spätphase der Erkrankung am größten. Die Ansteckung erfolgt häufig über den Kontakt zu den Körpern Verstorbener.
58http://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/E/Ebola/Uebersicht.html.
59Überdies liegen dem Gericht Erkenntnisse vor, wonach zurzeit aufgrund der bestehenden Ebola-Epidemie faktisch keine Abschiebungen durchgeführt werden. Das MIK hat die Anfrage des Gerichts vom 15. September 2014, ob gegenwärtig Planungen bestünden, für einzelne westafrikanische Staaten die Aussetzung von Abschiebungen anzuordnen, mit Schreiben vom 22. September 2014 dahingehend beantwortet, dass nach Mitteilung der Zentralstelle für Flugabschiebungen NRW (ZfA) derzeit keine Abschiebungen nach Guinea, Liberia und Sierra Leone anstünden. Von daher sei die Anordnung eines Abschiebungsstopps nach § 60a Absatz 1 AufenthG derzeit entbehrlich. Die weitere Entwicklung bleibe abzuwarten. Demnach ist derzeit auch ohne eine Anordnung nach § 60a Absatz 1 AufenthG sichergestellt, dass Asylbewerber in die von der Ebola-Epidemie betroffenen Länder Westafrikas nicht abgeschoben werden, solange sich die damit einhergehenden Gefahrensituation nicht wieder auf ein unbedenkliches Maß relativiert.
60Die in dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes zugleich verfügte Abschiebungsandrohung und die festgesetzte Ausreisefrist stützen sich auf § 34 Absatz 1 AsylVfG und § 59 AufenthG.
61Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Absatz 1 VwGO. Die Nichterhebung von Gerichtskosten ergibt sich aus § 83b AsylVfG. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Absatz 1 Satz 1 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG).
62Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Absatz 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 2, 711 ZPO.
(1) Die Abschiebung ist unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Ausnahmsweise kann eine kürzere Frist gesetzt oder von einer Fristsetzung abgesehen werden, wenn dies im Einzelfall zur Wahrung überwiegender öffentlicher Belange zwingend erforderlich ist, insbesondere wenn
- 1.
der begründete Verdacht besteht, dass der Ausländer sich der Abschiebung entziehen will, oder - 2.
von dem Ausländer eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht.
- 1.
der Aufenthaltstitel nach § 51 Absatz 1 Nummer 3 bis 5 erloschen ist oder - 2.
der Ausländer bereits unter Wahrung der Erfordernisse des § 77 auf das Bestehen seiner Ausreisepflicht hingewiesen worden ist.
(2) In der Androhung soll der Staat bezeichnet werden, in den der Ausländer abgeschoben werden soll, und der Ausländer darauf hingewiesen werden, dass er auch in einen anderen Staat abgeschoben werden kann, in den er einreisen darf oder der zu seiner Übernahme verpflichtet ist. Gebietskörperschaften im Sinne der Anhänge I und II der Verordnung (EU) 2018/1806 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. November 2018 zur Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind (ABl. L 303 vom 28.11.2018, S. 39), sind Staaten gleichgestellt.
(3) Dem Erlass der Androhung steht das Vorliegen von Abschiebungsverboten und Gründen für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nicht entgegen. In der Androhung ist der Staat zu bezeichnen, in den der Ausländer nicht abgeschoben werden darf. Stellt das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Abschiebungsverbots fest, so bleibt die Rechtmäßigkeit der Androhung im Übrigen unberührt.
(4) Nach dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung bleiben für weitere Entscheidungen der Ausländerbehörde über die Abschiebung oder die Aussetzung der Abschiebung Umstände unberücksichtigt, die einer Abschiebung in den in der Abschiebungsandrohung bezeichneten Staat entgegenstehen und die vor dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung eingetreten sind; sonstige von dem Ausländer geltend gemachte Umstände, die der Abschiebung oder der Abschiebung in diesen Staat entgegenstehen, können unberücksichtigt bleiben. Die Vorschriften, nach denen der Ausländer die im Satz 1 bezeichneten Umstände gerichtlich im Wege der Klage oder im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach der Verwaltungsgerichtsordnung geltend machen kann, bleiben unberührt.
(5) In den Fällen des § 58 Abs. 3 Nr. 1 bedarf es keiner Fristsetzung; der Ausländer wird aus der Haft oder dem öffentlichen Gewahrsam abgeschoben. Die Abschiebung soll mindestens eine Woche vorher angekündigt werden.
(6) Über die Fristgewährung nach Absatz 1 wird dem Ausländer eine Bescheinigung ausgestellt.
(7) Liegen der Ausländerbehörde konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass der Ausländer Opfer einer in § 25 Absatz 4a Satz 1 oder in § 25 Absatz 4b Satz 1 genannten Straftat wurde, setzt sie abweichend von Absatz 1 Satz 1 eine Ausreisefrist, die so zu bemessen ist, dass er eine Entscheidung über seine Aussagebereitschaft nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 3 oder nach § 25 Absatz 4b Satz 2 Nummer 2 treffen kann. Die Ausreisefrist beträgt mindestens drei Monate. Die Ausländerbehörde kann von der Festsetzung einer Ausreisefrist nach Satz 1 absehen, diese aufheben oder verkürzen, wenn
- 1.
der Aufenthalt des Ausländers die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder - 2.
der Ausländer freiwillig nach der Unterrichtung nach Satz 4 wieder Verbindung zu den Personen nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 2 aufgenommen hat.
(8) Ausländer, die ohne die nach § 4a Absatz 5 erforderliche Berechtigung zur Erwerbstätigkeit beschäftigt waren, sind vor der Abschiebung über die Rechte nach Artikel 6 Absatz 2 und Artikel 13 der Richtlinie 2009/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 über Mindeststandards für Sanktionen und Maßnahmen gegen Arbeitgeber, die Drittstaatsangehörige ohne rechtmäßigen Aufenthalt beschäftigen (ABl. L 168 vom 30.6.2009, S. 24), zu unterrichten.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.
(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.
Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:
- 1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen; - 2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a; - 3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird; - 4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden; - 5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären; - 6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden; - 7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen; - 8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht; - 9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung; - 10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist; - 11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.