Verwaltungsgericht Arnsberg Beschluss, 24. März 2014 - 5 L 924/13.A
Gericht
Tenor
Der Antrag der Antragsgegnerin, den Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit nach den besonderen Umständen des Einzelfalls nach billigem Ermessen des Gerichts festzusetzen, wird abgelehnt.
1
I.
2Mit am 27. Dezember 2013 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz seiner Verfahrensbevollmächtigten beantragte der Antragsteller - sinngemäß -, die aufschiebende Wirkung seiner gegen die in dem Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 12. Dezember 2013 unter Ziffer 2 enthaltene Abschiebungsanordnung erhobenen Klage - 5 K 4230/13.A - anzuordnen. Durch Beschluss vom 3. Februar 2014 entsprach das Gericht diesem Begehren und legte der Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens auf.
3Mit Schriftsatz vom 4. Februar 2014 haben die Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers Kostenfestsetzung in Höhe von 334,75 EUR beantragt und ihrer Kostenberechnung einen Gegenstandswert von 2.500,00 EUR zugrunde gelegt. Durch Beschluss vom 5. Februar 2014 hat die Kostenbeamtin die von der Antragsgegnerin zu erstattenden Kosten antragsgemäß festgesetzt.
4Mit Schriftsatz vom 10. Februar 2014 hat die Antragsgegnerin die Festsetzung des Gegenstandswertes durch das Gericht nach dessen billigem Ermessen beantragt.
5II.
6Der gemäß § 33 Abs. 1 und 2 RVG zulässige Antrag der Antragsgegnerin auf Festsetzung des Gegenstandswertes für die anwaltliche Tätigkeit mit dem Ziel einer (niedrigeren) Wertfestsetzung auf der Grundlage einer Billigkeitsentscheidung des Gerichts nach § 30 Abs. 2 RVG hat keinen Erfolg.
7Für die Bestimmung des Gegenstandswertes ist hier allein § 30 Abs. 1 Satz 1 RVG maßgebend. Danach beträgt der Gegenstandswert in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach dem Asylverfahrensgesetz - zu denen das vorliegende Verfahren gehört - 2.500,00 EUR.
8Eine davon abweichende Festsetzung gemäß § 30 Abs. 2 RVG, wonach das Gericht einen höheren oder niedrigeren Wert festsetzen kann, wenn der nach Absatz 1 bestimmte Wert nach den besonderen Umständen des Einzelfalls unbillig ist, scheidet aus, weil die Voraussetzungen für eine solche abweichende Festsetzung nicht vorliegen. Die Antragsgegnerin begründet ihren Antrag damit, dass ein geringerer als der in § 30 Abs. 1 Satz 1 RVG vorgesehene Gegenstandswert festzusetzen sei, da Gegenstand des Verfahrens lediglich die Abschiebungsanordnung in den EU-Staat Ungarn gewesen sei und der Streitgegenstand deswegen - verglichen mit einem üblichen asylrechtlichen Eilverfahren - einen wesentlich geringeren Umfang gehabt habe. Dieser Argumentation, die dazu führt, dass der Gegenstandswert eines in den Anwendungsbereich des § 30 Abs. 1 Satz 1 RVG fallenden Verfahrenstypus (Verfahren nach der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und des Verfahrens zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrag zuständig ist - Dublin-II-Verordnung -) generell und somit unabhängig von den Umständen des Einzelfalls abweichend festzusetzen wäre, kann nicht gefolgt werden. Dem stehen Wortlaut, Systematik sowie Sinn und Zweck der durch das Zweite Gesetz zur Modernisierung des Kostenrechts vom 23. Juli 2013 (BGBl. I S. 2586) erfolgten Neufassung des § 30 Abs. 1 und 2 RVG entgegen.
9§ 30 Abs. 2 RVG eröffnet die Möglichkeit einer von den gesetzlichen Wertfestsetzungen des Absatzes 1 abweichenden Wertbestimmung, wenn der Wert nach den besonderen Umständen des Einzelfalls unbillig ist. Schon nach ihrem Wortlaut begründet die Vorschrift ausschließlich eine einzelfallbezogene und von besonderen Umständen geprägte Abweichungsmöglichkeit.
10Nichts anderes ergibt sich aus der Systematik des § 30 RVG. Dessen Absatz 1 Satz 1 enthält eine Regelung, die unterschiedslos für alle Verfahrensarten nach dem Asylverfahrensgesetz gilt und deren Gegenstandswerte allein unter Differenzierung zwischen Klageverfahren und Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auf 5.000 EUR bzw. 2.500 EUR festlegt. Die frühere Unterscheidung zwischen auf einen unterschiedlichen Schutzstatus gerichteten Verfahren nach dem Asylverfahrensgesetz wurde aus Gründen der Vereinfachung durch Bestimmung einheitlicher Werte für alle Verfahren nach dem Asylverfahrensgesetz aufgegeben (vgl. BT-Drucks. 17/11471 S. 269). Ausgehend davon stellt § 30 Abs. 2 RVG eine systematisch ausschließlich auf den Einzelfall beschränkte und damit einer generalisierenden Anwendung entgegenstehende Ausnahmeregelung dar. Eine generelle Erweiterung des Anwendungsbereichs des § 30 Abs. 2 RVG auf Verfahren nach der Dublin-II-Verordnung und damit auf einen bestimmten Verfahrenstypus stünde im Gegensatz zu dieser vom Gesetzgeber bewusst aufgegebenen Differenzierung. Sie führte überdies in unzulässiger Weise zu einer Nivellierung des systematisch vorgegebenen Regel-Ausnahme-Verhältnisses der Absätze 1 und 2 des § 30 RVG.
11Auch Sinn und Zweck des § 30 Abs. 2 RVG lassen ausschließlich eine einzelfallbezogene Auslegung der Ausnahmeregelung zu. Der Gesetzgeber eröffnet eine von den starren gesetzlichen Wertfestsetzungen des § 30 Abs. 1 Satz 1 RVG abweichende niedrigere Wertfestsetzung nur bei nach den besonderen Umständen gegebener Unbilligkeit des Einzelfalls. Diese Zweckbestimmung schließt es aus, generalisierend für eine größere „Verfahrensgruppe“ abweichende Gegenstandswertbestimmungen vorzunehmen.
12Nach Maßgabe dessen scheidet die von der Antragsgegnerin (generell) begehrte niedrigere Festsetzung des Gegenstandswertes für Verfahren nach der Dublin-II-Verordnung auf der Grundlage des § 30 Abs. 2 RVG aus. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin und der von ihr zitierten Rechtsprechung handelt es sich bei diesen Verfahren nicht um Einzelfälle i.S.d. § 30 Abs. 2 RVG, sondern um Fallkonstellationen, die durch die Anwendbarkeit eines Regelwerkes - der Dublin-II-Verordnung - typisiert sind. Allein diese Typisierung gibt keine Auskunft über die nach § 30 Abs. 2 RVG allein maßgebliche Bedeutung des Verfahrens und dessen Grad an Komplexität im Einzelfall. Die Anwendbarkeit des § 30 Abs. 2 RVG lässt sich auch nicht daraus herleiten, dass der Bescheid im Verfahren nach der Dublin-II-Verordnung nur eine Zwischenfeststellung über die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates für die Prüfung des Asylantrages enthält. Verfahrensgegenständlich und damit maßgebend für den Gegenstandswert ist die Entscheidung über das Asylbegehren des Antragstellers, nicht hingegen deren Begründung, die ohnehin kein geeigneter Maßstab zur Bestimmung der Bedeutsamkeit des Verfahrens im Einzelfall ist.
13Darüber hinausgehende einzelfallbezogene Umstände für eine abweichende Wertbestimmung nach § 30 Abs. 2 RVG hat die Antragsgegnerin nicht vorgetragen, solche sind auch sonst nicht ersichtlich. Das vorläufige Rechtsschutzverfahren war nicht besonders einfach gelagert. Dies zeigt sich neben der Vielzahl formeller Aspekte, die der Antragsteller gegen den angegriffenen Bescheid vorgebracht hat, auch darin, dass ‑ wie die zahl- und umfangreichen Eingaben der Antragsgegnerin verdeutlichen ‑ die Frage, ob Abschiebungen nach Ungarn wegen einer bestehenden Selbsteintrittsverpflichtung der Bundesrepublik Deutschland zulässig sind, in der Rechtsprechung kontrovers diskutiert wird. Dass das Verfahren für den Antragsteller allein deswegen weniger bedeutsam gewesen wäre, weil er nicht - wie in anderen asylrechtlichen Eilrechtsschutzverfahren üblich - den Aufschub des Vollzugs der Abschiebung in sein Heimatland begehrt, sondern den einer Abschiebung nach Ungarn, kann schon aufgrund der in dem Beschluss des Gerichts vom 3. Februar 2014 dargestellten Situation für Flüchtlinge in Ungarn nicht unterstellt werden.
14Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG). Zugleich endet die vom Gericht durch Beschluss vom 21. Februar 2014 verfügte einstweilige Aussetzung der Vollziehung des Kostenfestsetzungsbeschlusses vom 5. Februar 2014
Annotations
(1) Berechnen sich die Gebühren in einem gerichtlichen Verfahren nicht nach dem für die Gerichtsgebühren maßgebenden Wert oder fehlt es an einem solchen Wert, setzt das Gericht des Rechtszugs den Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit auf Antrag durch Beschluss selbstständig fest.
(2) Der Antrag ist erst zulässig, wenn die Vergütung fällig ist. Antragsberechtigt sind der Rechtsanwalt, der Auftraggeber, ein erstattungspflichtiger Gegner und in den Fällen des § 45 die Staatskasse.
(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 1 können die Antragsberechtigten Beschwerde einlegen, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200 Euro übersteigt. Die Beschwerde ist auch zulässig, wenn sie das Gericht, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat, wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage in dem Beschluss zulässt. Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn sie innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung der Entscheidung eingelegt wird.
(4) Soweit das Gericht die Beschwerde für zulässig und begründet hält, hat es ihr abzuhelfen; im Übrigen ist die Beschwerde unverzüglich dem Beschwerdegericht vorzulegen. Beschwerdegericht ist das nächsthöhere Gericht, in Zivilsachen der in § 119 Absatz 1 Nummer 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes bezeichneten Art jedoch das Oberlandesgericht. Eine Beschwerde an einen obersten Gerichtshof des Bundes findet nicht statt. Das Beschwerdegericht ist an die Zulassung der Beschwerde gebunden; die Nichtzulassung ist unanfechtbar.
(5) War der Beschwerdeführer ohne sein Verschulden verhindert, die Frist einzuhalten, ist ihm auf Antrag von dem Gericht, das über die Beschwerde zu entscheiden hat, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er die Beschwerde binnen zwei Wochen nach der Beseitigung des Hindernisses einlegt und die Tatsachen, welche die Wiedereinsetzung begründen, glaubhaft macht. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist. Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist an gerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden. Gegen die Ablehnung der Wiedereinsetzung findet die Beschwerde statt. Sie ist nur zulässig, wenn sie innerhalb von zwei Wochen eingelegt wird. Die Frist beginnt mit der Zustellung der Entscheidung. Absatz 4 Satz 1 bis 3 gilt entsprechend.
(6) Die weitere Beschwerde ist nur zulässig, wenn das Landgericht als Beschwerdegericht entschieden und sie wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage in dem Beschluss zugelassen hat. Sie kann nur darauf gestützt werden, dass die Entscheidung auf einer Verletzung des Rechts beruht; die §§ 546 und 547 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend. Über die weitere Beschwerde entscheidet das Oberlandesgericht. Absatz 3 Satz 3, Absatz 4 Satz 1 und 4 und Absatz 5 gelten entsprechend.
(7) Anträge und Erklärungen können ohne Mitwirkung eines Bevollmächtigten schriftlich eingereicht oder zu Protokoll der Geschäftsstelle abgegeben werden; § 129a der Zivilprozessordnung gilt entsprechend. Für die Bevollmächtigung gelten die Regelungen der für das zugrunde liegende Verfahren geltenden Verfahrensordnung entsprechend. Die Beschwerde ist bei dem Gericht einzulegen, dessen Entscheidung angefochten wird.
(8) Das Gericht entscheidet über den Antrag durch eines seiner Mitglieder als Einzelrichter; dies gilt auch für die Beschwerde, wenn die angefochtene Entscheidung von einem Einzelrichter oder einem Rechtspfleger erlassen wurde. Der Einzelrichter überträgt das Verfahren der Kammer oder dem Senat, wenn die Sache besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist oder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Das Gericht entscheidet jedoch immer ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter. Auf eine erfolgte oder unterlassene Übertragung kann ein Rechtsmittel nicht gestützt werden.
(9) Das Verfahren über den Antrag ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet; dies gilt auch im Verfahren über die Beschwerde.
(1) In Klageverfahren nach dem Asylgesetz beträgt der Gegenstandswert 5 000 Euro, in den Fällen des § 77 Absatz 4 Satz 1 des Asylgesetzes 10 000 Euro, in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes 2 500 Euro. Sind mehrere natürliche Personen an demselben Verfahren beteiligt, erhöht sich der Wert für jede weitere Person in Klageverfahren um 1 000 Euro und in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes um 500 Euro.
(2) Ist der nach Absatz 1 bestimmte Wert nach den besonderen Umständen des Einzelfalls unbillig, kann das Gericht einen höheren oder einen niedrigeren Wert festsetzen.